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MKL1888:Alpenwirtschaft

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Meyers Konversations-Lexikon
4. Auflage
Seite mit dem Stichwort „Alpenwirtschaft“ in Meyers Konversations-Lexikon
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Band 1 (1885), Seite 407408
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Alpenwirtschaft. In: Meyers Konversations-Lexikon. 4. Auflage. Bibliographisches Institut, Leipzig 1885–1890, Band 1, Seite 407–408. Digitale Ausgabe in Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/wiki/MKL1888:Alpenwirtschaft (Version vom 23.10.2023)

[407] Alpenwirtschaft, die Viehwirtschaft auf den Weideplätzen der Hochgebirge und die damit verbundene Verarbeitung der Milch auf Käse, Zieger, Milchzucker, seltener auf Butter. Die A. ist in den Schweizer Alpen, in ganz Savoyen, einem Teil von Piemont, Venedig und Mailand, in ganz Tirol, im Algäu und in den vorarlbergischen Herrschaften, im südlichen Teil von Bayern und dem südöstlichsten von Schwaben, in Obersteiermark und in einem Teil von Illyrien, im Salzburgischen und Berchtesgaden eingeführt. Ebenso findet man sie in vielen Teilen des Juragebirges und vorzüglich in der Franche-Comté. Auch die Berge der Auvergne, die von Salers, Mont d’Or und Cantal, die Apenninen, Pyrenäen und Skandinavien haben A. Die Alpauffahrt geschieht Ende Mai oder Anfang Juni, doch geht man zunächst in die weniger hohen Regionen und erst im Juli auf die höchsten Höhen, von denen dann, je nach der Witterung, früher oder später die Rückkehr erfolgt, bis die Vorboten des Winters zur Heimkehr (Alpabfahrt) zwingen. Die schroffsten Alpen werden nur von Schafen und Ziegen, minder schroffe von Kühen beweidet; aber auf Revieren, zu welchen kein Tier mehr vordringt, gewinnen verwegene Älpler noch ein vorzugsweise aromatisches Heu (Wildheu), welches sie, in Tücher gestopft, auf dem Kopf heimtragen.

Hinsichtlich des Besitztitels werden die Alpen eingeteilt in Gemeindealpen (Allmenden), Staatsalpen oder Domänen, wie in Bayern und Tirol, welche an Gemeinden oder Einzelne verpachtet werden, und Privat- oder Herrenalpen. Erstere bilden in der westlichen, letztere in der östlichen Schweiz, ebenso in Tirol, Salzburg und Steiermark die überwiegende Mehrzahl. Aus den Gemeindealpen ist jeder Gemeindebürger zur Auftrift einer bestimmten Menge von Rind- oder Kleinvieh berechtigt. Die Privatalpen (meist Eigentum von Spitälern, Klöstern, reichen Privatpersonen etc.) werden an Sennen, die nur Vieh, aber keinen Alpengrund besitzen, gegen einen Zins (Alpenzins, Alpengeld) zur Benutzung überlassen. Große Alpen von mehreren Hundert Stößen (d. h. auf welchen mehrere Hundert Kühe sich ernähren können) werden meist nicht von Einem Senn, sondern von mehreren in Pacht genommen. Ganze Gemeinden nehmen einen gemeinschaftlichen Senn an, der jedem einzelnen Eigentümer der gemeinsamen Herde den ihm zukommenden Anteil von Butter und Käse etc. zur gehörigen Zeit überliefert. Auch finden sich noch manche andre wirtschaftliche Formen. In den Tiroler und Bayrischen Alpen werden die Wartung der Herde sowie die Gewinnung und Verarbeitung ihrer Produkte meist von einer Magd, der Sennerin (Sentrin, Schwagrin), besorgt. Treibt eine ganze Gemeinde ihr Vieh auf die Alp, so ist, wo dasselbe zahlreich ist, ein Käsemeister mit der Aufsicht über mehrere Sennen betraut.

Der Ertrag der Schweizerkühe auf den Alpen ist nicht höher als bei einer immerwährenden gut bestellten Stallfütterung. Die besten Schweizerkühe, z. B. im Saanenland, geben zur Zeit, wo sie am milchreichsten sind, täglich etwa 18–20 kg Milch. Allein das dauert nur eine Zeitlang, und im allgemeinen kann man bloß 14–15 kg Milch des Tags in den 16–18 Wochen der Alpfahrt rechnen. Nicht selten werden auf den Alpenwirtschaften neben den Milchkühen und Milchziegen auch viele Arten Geltvieh und Mastochsen, Pferde und Schafe gehalten, und man hat eigne sogen. Mastalpen für Mastvieh, Stieralpen oder Gustiberge für junges Hornvieh oder Pferde und Schafalpen, welch letztere die steilsten sind. Außerdem zieht man wohl in jeder Alp noch mehrere Schweine auf, die sich von den Abfällen der Käsefabrikation ernähren. Da die Erträgnisse mancher Alpen neuerdings zurückgegangen sind, so hat man alpenwirtschaftliche Versuchsstationen errichtet zu dem Zweck, eine rationelle Pflege derselben (Bearbeitung, Düngung), bessern Betrieb, geregelteres Beweiden u. dgl. m. einzuführen. Die genossenschaftliche Bewirtschaftung sowohl als die Fabrikation der Milchprodukte auf gemeinsame Rechnung verbreiten sich mehr und mehr, und anderseits sucht man auch da, wo geboten, den Waldbau und die Wiederbewaldung genossenschaftlich zu regeln.

Die Schweiz besitzt in 690 Gemeinden zusammen etwa 4560 Alpen (über ca. 50 Gemeinden fehlen Angaben). Als Einheit des Flächenmaßes der Alpen gilt ein Stück Weide von solcher Ausdehnung, daß eine Kuh darauf gesommert werden kann (Kuhrecht). Dasselbe schwankt von 2 Juchert oder Morgen (39,4 Ar) bis zu über 10, je nach der Höhe der Lage, und beträgt im Durchschnitt 1,3 Hektar. Das Korrelat des Kuhrechts ist der Stoß, d. h. die Viehzahl, welche auf ein Kuhrecht geweidet werden kann. Es kommt nämlich auf 1 Stoß 1 Kuh, auf 1 Pferd von 1, 2 oder 3 Jahren kommen 1, 2 oder 3 Stöße, auf 3 Rinder 2 Stöße, auf 1 Kalb 1/4, auf 1 Schwein 1/4, auf 1 Ziege oder 1 Schaf 1/5 Stoß. Die 4559 Alpen, von welchen 1525 oder 33,5 Proz. den Gemeinden, 80 = 1,8 Proz. Gemeinden und Privaten zusammen, 453 = 9 Proz. Korporationen, 2488 = 54,6 Proz. Privaten und 11 = 0,2 Proz. dem Staat gehören, und die in Höhen von 630–2820 m ü. M. liegen, waren 1864 mit 270,389 Stößen Vieh besetzt. Die Gesamtzahl der Weidetage betrug 25,074,238. Der Kapitalwert der Alpen wird sehr niedrig, zu 77,186,103 Frank, angegeben. Der Bergzins (Pachtzins) betrug 3,362,642 Fr. Ziemlich genau ist der Ertrag ermittelt. Im J. 1864 (neuere statistische Angaben fehlen) weideten 153,320 Kühe auf den Alpen der Schweiz, welche einen Ertrag von 8,182,788 Fr. ergaben, sowie 115,941 Stück Geltvieh, d. h. nicht milchgebendes Rindvieh, und übrige Viehgattungen, die durch Zuwachs 2,703,463 Fr. abwarfen. Der Gesamtbetrag ist demnach 10,893,874 Fr. oder 14,11 Proz. des geschätzten Kapitalwerts oder nach Abzug der Zinsen und Amortisation des Betriebskapitals (Vieh etc.) 9,545,000 Fr. oder 12,4 Proz. Zu 5 Proz. gerechnet, betrüge der Wert der Alpen 190,900,120 Fr. und mit den nicht in Rechnung gezogenen Alpen wenigstens 200 Mill. Fr. Der Wert des gesamten Schweizer Viehstandes wird auf 260 Mill. Fr. geschätzt.

Vgl. Steinmüller, Beschreibung der schweizerischen Alpen- und Landwirtschaft (Winterth. 1802, 2 Bde.); Emminghaus, Die schweizerische Volkswirtschaft (Leipz. 1860–61, 2 Bde.); Schatzmann: Schweizerische A. (Aarau 1862–66, 7 Hefte), Anleitung zum Betrieb der Sennerei (3. Aufl., das. 1876), Anleitung zum Betrieb der A. (das. 1876); „Die A. der Schweiz“, hrsg. vom schweizer. Statistischen Büreau (Bern 1868); „Die A. in Kärnten“ [408] (Klagenf. 1873–81, 2 Tle.); Wilkens, Die A. der Schweiz, des Algäus und der westösterreich. Alpenländer (Wien 1874); Anderegg, Statistischer Atlas über die Viehzucht und Milchwirtschaft in der Schweiz (Zür. 1884); „Alpwirtschaftliche Monatsblätter“, hrsg. von Schatzmann (Aarau, seit 1866).