MKL1888:Accent
[75] Accent (lat., bei den Griechen Prosodía, „Beigesang“), in der Grammatik die Betonung und die zur Bezeichnung derselben üblichen Zeichen (Accente). Die griechischen Accente wurden von dem alexandrinischen Grammatiker Aristophanes von Byzanz (3. Jahrh. v. Chr.) erfunden; indessen verstand man damals unter Prosodie oder A. auch die beiden Spiritus und die Interpunktionszeichen; erst das spätere Altertum schränkte den Gebrauch des Worts A. auf die Betonung ein. Für den A. in diesem engern Sinn gibt es im Griechischen drei Zeichen: die oxeia prosodia (´), „der scharfe oder Hochton“, bei den Römern accentus acutus; die bareia prosodia (`), „der gesenkte oder Tiefton“, bei den Römern accentus gravis, und die perispomene prosodia (῀), „der gewundene A.“, nach der Gestalt des Zeichens, bei den Römern accentus circumflexus, womit ein gedehnter, sich erst hebender und dann senkender Ton bezeichnet wird. Die Neugriechen haben die drei alten Accente beibehalten; der Akutus und Gravis finden sich auch in den romanischen Sprachen, namentlich im Französischen (accent aigu und accent grave), das auch den Zirkumflex in der Form ^ erhalten hat (accent circonflexe). In andern neuern oder neuentdeckten Sprachen hat man namentlich den Akutus und Gravis dazu angewendet, um in der lateinischen Schrift nicht durch besondere Buchstaben ausgedrückte Lautnüancen zu bezeichnen: so sind im Ungarischen á é í ó lange Vokale im Gegensatz zu den kurzen a e i o. Im Polnischen ist é ein zwischen e und i in der Mitte liegender Vokal, ć ist wie tsch oder dsch zu sprechen; bei der Umschreibung des Sanskritalphabets durch lateinische Buchstaben hat Rˊ den Lautwert tsch, gˊ den Lautwert dsch etc. In der Metrik bezeichnet allgemein ´ den Hochton, ` den Tiefton. Auch die alten indischen Grammatiker sind die Erfinder eines besondern Systems von Accenten, die sie jedoch nur in den Wedas und andern als heilig geachteten Sanskritwerken zur Anwendung brachten. Sie unterschieden einen „gehobenen Ton“ (udâtta), einen „ungehobenen Ton“ (anudâtta) und einen „tönenden A.“ (svarita), der als eine Kombination eines höhern mit einem tiefern Ton beschrieben wird. Diese drei Accente entsprechen also genau den drei griechischen; doch war die Bezeichnungsweise eine andre und auch in verschiedenen Gegenden Indiens, wie die neuern Forschungen gezeigt haben, eine verschiedene und nur darin übereinstimmend, daß in der Regel horizontale oder perpendikuläre Striche über und unter der Linie oder quer die Buchstaben durchkreuzend zur Anwendung kamen. Der griechische wie der indische A. drückten wahrscheinlich die musikalische Höhe oder Tiefe des Tons aus; dagegen beruht in den neuern europäischen Sprachen der A. meist auf mehr oder weniger lauter Aussprache der accentuierten Silbe, also auf der Intensität des Tons. Den musikalischen A. haben wir Deutschen nur im Satzton, der von dem Wortaccent wohl zu unterscheiden ist; so wird in der Frage das Wort, auf dem der Nachdruck liegt, zugleich mit höherer Stimme gesprochen, während bei der Behauptung der Tiefton eintritt, und unser Ja z. B. kann je nach der Höhe des Tons, mit dem es ausgesprochen wird, sehr verschiedene Bedeutungen haben. Außerdem tritt bei uns der musikalische A. in dem sogen. Singen hervor, das ein deutscher Dialekt dem andern schuld gibt, und das ohne Zweifel auf verschiedenartiger Modulation der Stimme beruht; hierauf gehen auch die Ausdrücke „eine fremde Sprache mit oder ohne A. oder mit fremdem A. sprechen“ u. dgl. Dagegen spielt im Chinesischen und den hinterindischen Sprachen der musikalische A. eine ungemein wichtige Rolle, indem er dazu dient, die zahlreichen gleichlautenden einsilbigen Wörter, welche diese Sprachen haben, voneinander zu unterscheiden. So soll im Anamitischen ba bà bâ bá bedeuten: „Drei Damen (geben eine) Ohrfeige (dem) Günstling des Fürsten“. Außer dem Zurücktreten des musikalischen Accents ist für die meisten neuern Sprachen auch das Zusammenfallen der betonten mit den langen Silben charakteristisch. So werden im Neuhochdeutschen die zwei Momente der vernehmlichern Aussprache und der längern Dauer einer Silbe nicht mehr unterschieden, und so fällt z. B. das im Mittelhochdeutschen in der Aussprache ganz getrennte Tor (Thür) und Tôre (Narr) in unserm jetzigen Thor zusammen, wie überhaupt die betonten Kürzen gedehnt worden sind, wenn es hiervon auch namentlich in den Mundarten einzelne Ausnahmen gibt, z. B. Glas, Gas, das in der gesamten norddeutschen, treten, holen, das in der bayrischen Aussprache noch kurz gesprochen wird. Hierauf beruhen auch die totale Verschiedenheit der neuhochdeutschen von der mittelhochdeutschen Metrik und der durchgreifende Unterschied zwischen Alt- und Neugriechisch. Was die Stellung des Accents im Wort betrifft, so pflegt derselbe im Lauf der Sprachgeschichte immer mehr auf die Anfangssilben zurückzutreten. So ruht er im Sanskrit und Griechischen noch häufig auf der Schlußsilbe; im Latein, in dem weniger altertümlichen äolischen Dialekt des Altgriechischen, [76] im Deutschen, Englischen und in andern germanischen Sprachen wird er dagegen möglichst zurückgeworfen, und im Böhmischen liegt er auf der ersten Silbe. Auch in den semitischen Sprachen hatte ursprünglich die vorletzte Silbe den A. Übrigens pflegen in den meisten Sprachen längere Wörter mehr als einen A. zu haben, wie z. B. in unserm Haushaltung die erste Silbe den Hoch-, die zweite den Tiefton hat. Für Sprachgeschichte und Sprachvergleichung ist der A. von großer Bedeutung, namentlich durch die vielfach beobachtete Thatsache, daß die auf die Accentsilbe folgenden unbetonten Silben eines Worts starken, oft bis zu völliger Abwerfung gehenden Verkürzungen unterliegen. So ist das lateinische amáre im Französischen zu aimer, amátus zu aimé geworden etc.
In der Musik versteht man unter A. die Hervorhebung einzelner Töne durch größere Tonstärke. Bisher galt zu Recht bestehend, daß der erste Ton jedes Taktes einen A. bekommt und in zusammengesetzten Taktarten auch die Anfangstöne der Takthälften oder Taktdrittel. Doch steht diese Theorie mit der musikalischen Praxis im Widerspruch; nicht Accente, sondern crescendo und diminuendo sind die natürlichen dynamischen Formen der Taktmotive. Wirklicher A. ist dagegen die beliebte Verstärkung des Motiv- und Phrasenanfangs sowie die Hervorhebung dissonierender Töne; diese Accente dienen der deutlichern Darlegung des musikalischen Inhalts. Vgl. Takt, Rhythmik und Phrasierung.