MKL1888:Äthiopische Sprache und Litteratur
[1013] Äthiopische Sprache und Litteratur. Die äthiopische Sprache, auch Geezsprache genannt, zur südlichen Gruppe der semitischen Sprachen gehörig, ist nahe mit dem Arabischen, am nächsten mit der Sprache der himjaritischen Inschriften Südarabiens verwandt, von wo aus sie in vorgeschichtlicher Zeit nach Abessinien gelangte. Hier wurde sie die herrschende Sprache, begann aber vom 14. Jahrh. ab durch die Einführung des jüngern amharischen Dialekts als Hofsprache zu schwinden und lebt jetzt nur noch als Kirchensprache fort. Sie ist für die vergleichende Erforschung der semitischen Sprachen durch die Bewahrung mancher altertümlicher Wörter und Formen von großer Bedeutung; doch enthält sie auch viele Neubildungen und fremde Elemente, z. B. die griechischen Monatsnamen. Die Schrift stammt von der himjaritischen ab, die ihrerseits auf die phönikische oder das sogen. semitische Uralphabet zurückgeht, läuft aber von links nach rechts wie die europäischen Alphabete und ist eine reine Silbenschrift. Unter den ältern Kennern des Äthiopischen ist Ludolf (17. Jahrh.), unter den neuern Dillmann (s. d.) hervorzuheben, der unter anderm eine Grammatik, ein Wörterbuch und eine Chrestomathie des Äthiopischen lieferte. Vgl. König, Schrift, Aussprache und allgemeine Formenlehre des Äthiopischen (Leipz. 1877).
Die ziemlich reiche äthiopische Litteratur gehört ausschließlich der christlichen Zeit an, deren Beginn in das 4. Jahrh. fällt; ihre beiden ältesten, sicher datierbaren Denkmäler sind zwei in Axum gefundene Inschriften aus dem 5. oder 6. Jahrh. Schon sehr früh wurde die ganze Bibel ins Äthiopische übersetzt. Von dieser Übersetzung wurde das Neue Testament neuerdings von Platt herausgegeben (Lond. 1830); eine Gesamtausgabe des Alten Testaments hat Dillmann begonnen (Leipz. 1855 ff.), der auch das „Buch Henoch“, die „Ascensio Isaiae vatis“, das „Buch der Jubiläen“ und andre äthiopische Texte, zum Teil mit Übersetzung, herausgegeben hat. Diese und andre theologische Werke, darunter noch der „Hirt des Hermas“ (äthiop. u. lat. von d’Abbadie, Leipz. 1860), die „Apokalypse des Esra“, die Schrift „Synaxar“ (Sammlung), welche hauptsächlich Biographien der abessinischen Heiligen enthält, u. a., sind teils als alte Übersetzungen apokryphischer Schriften, deren griechische Originale nicht mehr erhalten sind, teils für die Geschichte des Christentums in Abessinien von Interesse. Die nichttheologische Litteratur in äthiopischer Sprache ist unbedeutend. Am wichtigsten sind die erst teilweise herausgegebenen Chroniken: „Keber za Negeste“ (eine Geschichte des einst mächtigen Reichs von Axum) und „Tarek Negushti“ u. a. Die äthiopische Übersetzung eines alten medizinischen Werks, des „Physiologus“, gab Hommel (Leipz. 1877), das „Äthiopische Briefbuch“ Prätorius (das. 1869) äthiopisch und deutsch heraus. Die meisten äthiopischen Handschriften befinden sich zu Paris, Oxford (Katalog von Dillmann, 1877), London (Katalog von Wright, 1858), Petersburg, Rom, Frankfurt a. M. (durch Rüppell) und Tübingen (durch Krapf).