Lustgang um und in die „Fränkische Krone“
Ein gemeinschaftlicher Ausflug nach Coburg wurde von einem Leipziger Freundeskreis in trübseligen Wintertagen fest beschlossen und in schönster Sommerzeit ausgeführt. Da ich zu diesem Kreis gehörte, so fiel mir von selbst das Wegweiseramt in der alten Heimath zu.
Mit dem Mittagszuge der Werrabahn kamen wir in Coburg an. Es war Sonnabend. Wie sehnsüchtig auch besonders unsere Künstler die Blicke nach der jenseits der Stadt hochaufragenden Veste richteten, so bestand ich doch darauf, dem unterwegs entworfenen Programm treu zu bleiben: diesen Nachmittag der Stadt, den andern Morgen der Fahrt über Neuseß und Schloß Callenberg zur Rosenau und den Rest des Tages bis tief in die Nacht der Veste zu widmen.
Auf dem Wege vom Bahnhof zur Stadt wiederholte sich uns, sobald wir die Brücke (Judenbrücke) über die Itz überschritten hatten, das Bild so vieler Städte: aus dem alten Kern strecken überall sich die neuen frischen Arme aus. Den Coburgern muß man in ihren Neubauten ungewöhnlichen Geschmack nachrühmen; ihre Baumeister verstehen es, ihre Bauformen dem Bilde ihrer lieblichen fränkischen Hügellandschaft anzuschmiegen. Dabei unterstützt sie der schöne Sandstein, der dem Leipziger ein so seltener Anblick ist.
Das Innere der Stadt ist eben alt; die Straßen sind meist schmal und krumm, manche stattlichere, aber durch ihre Erker oder Eckthürmchen an Nürnberg erinnernd, Alles recht wacker altfränkisch. „Was Sie nur immer mit Ihrem ‚Fränkisch‘ wollen? Coburg gehört doch noch zu Thüringen!“ zürnte da Einer. – „Der Staat,“ sagte ich, „ja, aber das Volksleben, nein! Uebrigens heißt in der ganzen mittelsächsischen Geschichte dieses Ländchen ausdrücklich ‚der Ort Landes in Franken‘; Ort aber bedeutet so viel wie Bezirk oder meinetwegen Provinz.“ Wir waren derweil auf dem Marktplatz angekommen, den der Wochenmarkt mit seinem bunten Treiben erfüllte. „Da, seht Euch diese Itzgründer Bauern und Bauernmädel an! Ob das nicht echtfränkischer Schlag ist?“ Und da standen sie der Bratwurstbudenreihe entlang, jeder seine Semmel mit der eingelegten Wurst in der Hand, – und wie theilnehmend schaute hoch von seinem Postament auf des Marktes Mitte „der Albert“ zu ihnen herab, der nur äußerlich, in seinem Hosenbandsordens-Ornat, so fremd aussieht. Schade, daß man diese Statue nicht lieber in England aufgestellt und den Deutschen es überlassen hat, ihn in ihrer Kunst selbst zu verewigen! Wer kennt in dieser Gestalt den Prinzen wieder, der einst hier an denselben Bratwurstbuden zwischen den Bauern stand und sich halbtodtlachen wollte, weil seine englischen Cavaliere sich so überaus ungeschickt anstellten, als sie, wie er, Wurst und Semmel ohne Teller, Messer und Gabel verzehren sollten.
Wir durchschritten die Hauptstraßen mit ihrem lebhaften Volksgewühl und Verkehrstreiben, aber auch die Reihen der Käse- und Butterweiber, der Bamberger Gärtner, der Getreidebauern und erfreuten uns der Sprach- und Tracht-Verschiedenheiten, je nachdem die Leutchen Thüringen oder Baiern näher wohnten oder gar dort her waren. Denn in Coburg reichen sich beide, die Südthüringer und Nordfranken, zum Austausch ihrer Producte und zum gegenseitigen Befriedigen ihrer Bedürfnisse die Hand, und diese glückliche Mittellage hauptsächlich hat Coburg zur wohlhäbigen Stadt gemacht.
Die Sehenswürdigkeiten, zu denen ich in den Nachmittagsstunden bis zum Abend meine Gesellschaft führte, brauche ich hier nicht zu nennen. Sie sind nicht unbekannt, unsere Reisebücher von Meyer und Bädeker führen sie sämmtlich auf. Die Statue, welche auf unserer Illustration des Residenzschlosses „Ehrenburg“ sichtbar ist, stellt den Vater des jetzigen Landesherrn, Herzog Ernst den Ersten, dar. Das Modell dazu ist aus Schwanthaler’s Atelier hervorgegangen. Zwei andere plastische Monumentalstücke werden in den Reisebüchern nicht erwähnt, weil es nicht üblich ist, den Fremden in Schulsäle zu führen. Die Aula des Gymnasiums schmückt eine Colossalbüste des Herzogs Johann Casimir, den wir noch sehr oft zu nennen haben, und eine andere, die eines der berühmtesten Coburger Landeskinder, des großen Mathematikers Regiomontanus (Johann Müller aus dem coburgischen Städtchen Königsberg in Franken), der dem deutschen Volke seinen ersten Kalender geschrieben hat, beide von dem trotzalledem verlassenen und vergessenen Bildhauer G. von Dornis. Dazu kam neuerdings ein treffliches Relief-Medaillon Rückert’s aus der Zeit, wo er in Coburg seinen Liebesfrühling lebte und dichtete. Am Coburger Wohnhaus des Liebesfrühlingsdichters hat man in Erz den alten Brahmanen verewigt.
Prächtig war die Fahrt am andern Morgen. Wind, Welt und Wetter, Alles frisch und klar, als wir die dumpfen Gassen hinter uns hatten. Da geht’s über die Judenbrücke. Wie grün vor uns der Adamiberg lacht! Was meine Mutter mit Jean Paul da droben erlebt hat, habe ich in der Gartenlaube 1863 (Seite 143) erzählt. Am Bahnhofe vorüber, im Schatten buschiger Hügel dahin. Da erhebt sich links der Jagdthurm, den nach einem Muster aus seinem spanisch-maroccanischen Reisealbum Graf Arthur Mensdorff baute, derselbe, dem wir das Bild von Radhen Saleh (1865, Nr. 25[WS 1]) verdanken. Gleich daneben ragt Thümmel’s Grabsäule auf. Aber rechts ist Rückert’s Neuseß, und nahe an der Landstraße in seinem Garten steht des Dichters Denkmalbüste. Unsere Abbildung giebt sein Haus nicht von der Gartenseite. An dieser saß ich einmal, in der Laube neben der Thür lesend, als der alte Herr, jedenfalls einem drohenden Besuch entweichend, fuchswild zur Thür herauskam und, an mir vorüberschreitend, im besten Fränkisch murrte: „Wenn nur der Teufel die Leut’ holet!“ – Die Rückert-Büste von Ernst Conrad in Hildburghausen ist eine sinnige, wohldurchdachte Arbeit, von wahrer Künstlerhand ausgeführt. Rückert saß 1846 dazu. Die Müller’sche Marmorarbeit danach, die hier als Denkmal steht, verdient ebenfalls alles Lob.
Auf der weitern Fahrt hatten wir den schmucken Callenberg auf seinem grünen Hügel vor uns, bis dieses Grün uns selbst umfing und wir im Schatten desselben bis hinauf zum Schlosse gelangten. Auf diesem seinem Lieblingssitze – und es
[326][328] ist ein beneidenswerther Aufenthalt! – hat Herzog Ernst bis auf die Kirche und das neue Schloß Vieles neu schaffen und Alles umgestalten lassen und zwar hauptsächlich durch einen Künstler, den wir auf der Veste des Näheren kennen lernen werden. Er hat das alte Schloß um-, den Marstall, die Wasserleitung mit Dampfkraft und auch die Musterfarm neugebaut, über welche wir in der Gartenlaube (1863) Bild und Beschreibung gebracht haben und die, selbst trefflich gedeihend, durch ihr Beispiel sich auf das Gedeihlichste auch für das Land bewährt hat. Meine Freunde waren nicht nur von dem echtritterlichen Aeußern, sondern ebenso von der inneren Einrichtung und Ausschmückung, die durchweg mehr dem Geschmack als der Pracht huldigt, sehr befriedigt. Der Rundblick auf der reizenden Terrasse hat den Vorzug, daß er die Veste mit als Hauptzierde in sein Bild einschließt.
Vom Callenberg führt ein Fahrweg mitten durch die fruchtbare Flur und durch die Dörfer Neuseß, Bertelsdorf und Esbach bis zum Park und Gasthaus der Rosenau. Auf dieser Fahrt sprach einer unserer Baumeister seine Freude aus über die schönen Bäume und Baumgruppen, die oft mitten auf den Feldern und Wiesen stehen.
„Die Landleute müssen hier mehr Sinn für solchen landschaftlichen Schmuck haben als bei uns, wo Derlei sofort zu Geld gemacht würde.“
„Das ist leider ein Irrthum,“ entgegnete ich. „Sehr viele dieser Bäume sind für die Besitzer des Grund und Bodens längst in blanke Gulden verwandelt. Der vorige Herzog Ernst war ein so eifriger Naturfreund, daß er schöne Bäume, denen die Gefahr des Umgeschlagenwerdens drohte, kaufte und sie stehen und pflegen ließ, wenn sie zur Zierde der Landschaft gehörten. Sein feines Verständniß für Naturschönheiten bekundete er namentlich hier, denn Ihr werdet sehen, daß der Uebergang von der freien Flur zum Park der Rosenau so unmerklich geschieht, daß man sich plötzlich darin fühlt, ohne zu wissen, wo man hineingekommen ist.“
Und so war es auch.
Wir stiegen vor dem Gasthause aus und nahmen auf den einladenden weißen Bänken unter einem der prächtigen Bäume Platz; hier hatten wir das Bild des Schlosses vor uns, wie unsere Illustration es giebt. Schloß und Park waren, wie die Schöpfung, auch der Lieblingssitz des „alten Herzogs“, der, im Gegensatze zu seinem Sohne und Nachfolger, neben der Naturpflege auch fürstlicher Pracht huldigte, und darnach unterscheidet sich auch der innere Charakter von Callenberg und Rosenau. Bekanntlich ist das Schloß die Geburtsstätte des Prinzen Albert und der Lieblingsaufenthaltsort der Königin Victoria, so oft sie die Heimath ihres Gemahls besucht. Stille und Frieden umfängt sie da wohl; Straßen und Bahnen ziehen fern vorüber, und wohin das Auge sich wendet, wird es von einem lieblichen Bilde begrüßt. Die anmuthigste Stelle ist bei dem wunderschönen Springbrunnen vor dem Schlosse mit dem Ausblicke nach Norden. Breite Wiesenflächen, durchschlängelt von der noch rasch im Gebirgsschritte vorwärts rauschenden Itz mit ihrer Erlen-Umgebung, dehnen sich bis zu sanften Hügeln aus, an denen die Kornfelder bis zur halben Höhe hinansteigen. Dort die hellaufragende Ruine Lauterburg frei vor dem Tannenwalde, der ihren dunklen Hintergrund bildet. Und ein wenig rechts davon öffnet es sich, wie ein tiefes, breites Thor zum Thüringerwalde. Wie Coulissen schieben von links und rechts die Höhen ihre Wände hervor, unten in goldnen Ackerflächen und grünen Thälern sich berührend. Und wie sie von der Nähe in die Ferne immer höher übereinander aufsteigen, so wechseln ihre Farben vom saftigsten Grün bis zum Nebelschleier über dem verschwindenden Blau. Das ist ein Plätzchen wie dazu geschaffen, in selig sich selbst vergessendes Hinträumen sich leise zu verlieren. Das kosende Plätschern des Wasserspiels trägt redlich dazu bei. Die Gefahr eines sanften Einnickens war uns drohend nahe, da ermannten wir uns rasch und energisch; noch einen Blick auf das herrliche Bild, und so schieden wir von der Rosenau an ihrer verführerischsten Stelle, um unsere größte Sehnsucht, die nach der mahnend winkenden Veste Coburg, endlich zu befriedigen.
Von der Rosenau führte ich unsere naturselige Schaar den schönsten Weg zur Veste zu Fuß durch den Buchenwald des Bausenbergs, eines der südlichen Vorberge des Thüringerwaldgebirgs, der nach Südwesten hin gleichsam eine Faust vorstreckt, auf welcher die alte Veste Coburg steht. Als wir, nach etwa anderthalbstündigem naturgenußreichem Gange, aus dem Walde heraustraten, hatten wir die Veste vor uns, die sich hier mit ihrem dreifach übereinander aufragenden Mauergürtel stattlich erhebt.
Hier war einst ihre gefährdetste Seite; von allen anderen Seiten der Veste fällt der Berg steil zu Thale ab, nur von hier konnte eine stürmende Schaar vordringen und von den zu nahen Berghöhen das feindliche Geschütz wirken. Von hier aus versuchte Wallenstein (1631) mehrere Stürme, aber vergeblich; dafür trägt die „Hohe Bastei“ noch heute die Spuren seiner Karthaunen in dem mit Backsteinen ausgeflickten Mauerwerk. Da die äußere Wallmauer (Contreescarpe) längst vollständig beseitigt und der Wallgraben eingeebnet ist, so gewinnt man nur bei der Brücke zum Hauptthor noch ein Bild von der ehemaligen äußeren Befestigung. Dieses Thor ist wegen seines Steinbildhauereischmucks ansehenswerth und deshalb in unseren Randbilderkranz aufgenommen.
Nun hinein in das von einem neuen Thurm überragte und fünfundzwanzig Schritte tiefe letzte Thor, in dessen Mitte die Zacken eines Fallgatters auf unsere Köpfe herabdrohen. Jenseits desselben haben wir unser zweites Festungsbildchen, den äußeren Hof, vor uns. Links der in den Hof hervortretende Steinbau, der in Verbindung mit der daranstoßenden Mauer sammt Thor diesen ersten, äußeren vom zweiten, inneren Hof abschließt, heißt der alte Fürstenbau; im rechten Winkel schließt sich ihm der durch seine Holzconstruction ausgezeichnete neue Fürstenbau an, der mit der Capelle endet. Rechts davon führen Treppen zu einer Terrasse und der „Hohen Bastei“, die wieder mit dem neuen Wirthshause zusammenhängt, welches mit seiner Terrasse bis zum Thorthurm reicht und die südöstliche Seite des Hofes abschließt.
Erhitzt von der Nachmittagssonne und dem Berggange zogen wir den Aufenthalt im zugfreien Zimmer vor, und zwar öffnete Herr Christian Barth, der unseren Lesern aus dem „Heimweh“ (1866, Nr. 28 der Gartenlaube) bereits bekannte Gärtner und Wirth der Veste, uns das Seitencabinet neben der allgemeinen Gaststube, die sogenannte „Humpenburg“. Hier hatte ich gleich Gelegenheit, meine Gesellschaft mit dem schon auf dem Callenberg erwähnten Künstler bekannt zu machen, dem nicht blos die Veste, sondern auch die Stadt und Umgegend manche bauliche Zierde verdankt. Die Restaurirung der alten Veste hatte unter Herzog Ernst dem Ersten begonnen und war von dem berühmten Heideloff und dem Baumeister Görgel ausgeführt worden. Zu ihnen trat als Dritter im Bunde im Jahre 1830 Ferdinand Rothbart aus Nürnberg, der seitdem die bauliche und decorative Wiederherstellung der Veste vollendete und durch seine vielseitigen Kenntnisse und Fertigkeiten als Maler, Baumeister und Kunsthistoriker auch um die Aufstellung, Vervollständigung und Pflege der kunst- und culturgeschichtlich wichtigen Sammlungen der Veste sich große Verdienste erwarb. Er ist noch jetzt, mit dem Titel „Hofbaurath“, Inspector derselben.
Unsere Künstler lernten ihn sofort schätzen an seinem flott hingeworfenen Frescobilde des auf einem Fasse reitenden Bacchus an der Wand. Da Rothbart, dem ich einen Besuch machte, sich erbot, nach einer halbe Stunde selbst uns durch seine Sammlungen zu führen, so schlug ich, um die Zeit möglichst auszunützen, vor, sogleich das Naturaliencabinet zu besehen.
Wir gingen über den äußeren Hof zum Thore in den inneren Hof. Im Vorbeigehen warfen wir einen Blick in die Trophäenhalle des alten Fürstenbaues, über welcher der Ritter Sanct Georg, von Heinrich Schneider, dem Director der Gothaischen Bildergalerie, in Fresco gemalt, Wache hält. Bei den Siegeszeichen von Eckernförde sind jetzt auch eine Kanone aus Metz und französische Waffen von den Schlachtfeldern aufbewahrt. – Der innere Hof, den wir nun betraten, imponirt mehr durch seine Größe, als durch seine Gebäude, die sämmtlich ziemlich einfach und schmucklos sind: links das große ehemalige Zeughaus, jetzt Beamtenwohnung, geradeaus das kleine Zeughaus, rechts die ehemalige Caserne, jetzt Naturaliencabinet, und, gegen Osten den Hof abschließend, der alte Fürstenbau mit der Thormauer.
„Na, so ein altes Gemäuer! Da wird viel d’rin sein!“ räsonnirte [329] es hinter mir. Im selben Augenblicke begrüßte uns in der Thür der Conservator der Sammlung, Herr Ehrhardt, ein Mann von anerkannter naturwissenschaftlicher Tüchtigkeit, und lud uns ohne alle Phrasen zum Eintritte ein. Ein „Ah!“ der Verwunderung entfuhr Allen beim Anblick des ersten Saales. Einen solchen Prachtraum hatte Rothbart aus der alten, baufälligen Kaserne zu schaffen verstanden! Galerien verzieren und Oberlicht erhellt den stattlichen Saal, den eine Vögelsammlung vollständig einnimmt. In derselben sind die europäischen Vogelarten nahezu sämmtlich, die der übrigen Erdtheile ziemlich reich vertreten. Der Conservator fragte uns, ob Fachmänner unter uns seien. Als wir dies verneinten, meinte er: „Dann wird Ihnen weniger an unseren naturwissenschaftlichen Seltenheiten als an unserer Hauptzierde gelegen sein. Hier ist sie!“ Und wahrlich, vor solch einem Bilde muß jedes Auge von selbst lachen. Nicht weniger als dreihundert Colibris, die etwa hundertsiebenzig Arten vertreten, entfalten hier die Pracht ihrer Farben. Man weiß nicht, soll man diese, oder die geschmackvolle Aufstellung mehr bewundern. Ungern trennt man sich von den köstlichen Geschöpfchen, wie vom ganzen gleichsam lebenvollen Raum.
Im nächsten Saal machte sich eine größere Mannigfaltigkeit in schöner Ordnung geltend. Wir sahen Eier und Nester, Amphibien, Fische, Insecten, Krebse, Stachelhäuter (Seesterne etc.) und Pflanzenthiere (Korallen etc.); einen dritten Saal nahmen Conchylien und Petrefacten ein, und in einem vierten fanden wir eine Mineraliensammlung, in eine oryktognostische und eine geognostische Abtheilung geschieden. Als Glanzstück derselben zeigte uns Herr Ehrhardt eine Chalcedonkugel aus China, die ein ziemliches Quantum Urwasser einschließt, ein Naß, dessen Alter wir voll Ehrfurcht anstaunten.
„Zu dieser Sammlung“, belehrte uns zum Abschiede Herr Ehrhardt, „die unter der Direction des Oberbibliothekars Dr. von Schauroth steht, haben Herzog Ernst und sein Bruder, der Prinz Albert, 1846 den Grund gelegt und der Herzog von Edinburg ist für die Vermehrung derselben wacker in seines Vaters Fußstapfen getreten. Die afrikanische Reise des Ersteren und die Jagden des Letzteren auf den Falklandsinseln und auf Neuseeland waren besonders ausgiebig für alle Theile des Cabinets.“ Wir schieden, und meine Leipziger hatte dieser erste Gang nun mit ganz anderen Erwartungen für das noch Kommende erfüllt.
Rothbart, den wir bei den vier „Falconettlein“ fanden, die er aus der Sammlung alter Schießwaffen hier vor dem Wachtlocal aufgestellt hat, machte, nach kurzer gegenseitiger Vorstellung, meine Leipziger zunächst auf den nahen, dritthalbhundert Fuß tiefen Festungsbrunnen aufmerksam; dann ging es sofort hinauf in den Fürstenbau, der ebenfalls durch sein schlichtes Aeußere seinen reichen Inhalt nicht verräth. Auf einer Freitreppe zu einer offenen Galerie gelangt, haben wir auf der ganzen langen Rückwand derselben das von Heinrich Schneider und Rothbart gemalte und jüngst wieder aufgefrischte Frescobild des Einzugs des Herzogs Johann Casimir (er hat kurz vor dem Dreißigjährigen Kriege, wie in der Ahnung an die schlimmste Zeit, die ehemalige Burg erst zur Festung umgeschaffen) mit einer seiner beiden Bräute vor uns. Unter dem zahlreichen Personal sind viele Portraits, darunter auch das Friedrich Rückert’s. Rothbarth zeigte auf den fürstlichen Brautwagen des Bildes hin, indem er eine Thür aufschloß und rief: „Hier steht das Original!“
Wirklich birgt die aufgeschlossene Halle vier solcher culturgeschichtlichen Seltenheiten: den Brautwagen Johann Friedrich’s des Großmüthigen und die beiden Brautwagen Johann Casimir’s als Denkmale des Geschmacks und der Holzbildhauerei vor, und den Ernst’s des Frommen als ein solches nach den Verwüstungen des deutschen Lebens durch den Dreißigjährigen Krieg. Der Unterschied ist merkwürdig belehrend; nur die Echtheit der überreichen Vergoldung und der Farben hat sich bei allen gleich bewährt. – Neben dieser Halle öffnet sich eine andere mit ebenso beachtenswerthen alten Festschlitten, die mit mythologischen, in Holz geschnitzten und bunt bemalten Figuren verziert sind, und mit Sätteln und Pferdegeschirren aus verschiedenen Zeiten, beachtenswerth für Geschichtsschreiber und Dichter, Künstler und Kunsthandwerker, an deren Adresse wir uns in diesen Sammlungen überhaupt noch oft zu wenden haben.
Von der Galerie aus folgten wir Rothbart in eine Vorhalle des alten Fürstenbaus, in welchem er meine Freunde besonders auf die hier aufgestellten sogenannten Orgelgeschütze (die Ahnen der Mitrailleusen) hinwies. Es sind deren zwei, das eine mit neunundzwanzig, das andere mit neunundvierzig Läufen, die zugleich losgeschossen wurden. Von diesem Vorplatze führt links eine an sich sehenswerthe Thür zum großen Waffensaale, rechts eine andere in das sogenannte Lutherzimmer. Links von der Waffensaalthür stellt ein altes Oelgemälde den Ritter Eberhard Rauber, genannt der deutsche Hercules, dar. Der in zwei Zöpfen geflochtene Bart desselben reicht bis zu den Füßen und wieder herauf bis zum Gürtel, wo die Zopfenden festgesteckt sind. Von ihm wird ein gar seltsamer Zweikampf erzählt. Auf dem letzten deutschen Turnier machte ein spanischer Ritter sich so üppig, daß Helene, des Kaisers Maximilian Töchterlein, Demjenigen den Preis verhieß, welcher den Spanier in einen Sack stecken werde. Ritter Rauber war der Held, welcher einen solchen Kampf einging und den Spanier nach gewaltigem Ringen richtig einsackte. Ich sah dasselbe Bild in den Sammlungen des Ständehauses zu Graz, wo jenes Turnier stattfand.
Rechts von der Waffensaalthür füllt die ganze Seite bis zur Fensterwand ein Frescogemälde von Heinrich Schneider aus. Es stellt die tragikomische Scene dar, wie einst die Bären, deren man stets einige in einem Zwinger hielt, sich aus demselben befreit hatten und zur Thür des Banquetsaales hereinmarschirten, wo man eben an der fürstlichen Tafel saß. Die allgemeine Flucht ist prächtig zu sehen; nur eine Hofdame besaß Geistesgegenwart und Muth genug, den Bären mit einer Schüssel voll Obst und Zuckerwerk entgegenzutreten und die Leckermäuler zu besänftigen. Was aber die Bären betrifft, so darf der geneigte Leser nur die Fenster öffnen, um in dem Bärenzwinger die späten Nachkommen der Helden jenes Bildes zu beschauen.
Wir begeben uns nun in die sogenannte Lutherstube. Ich sage „sogenannte“, weil ich nicht glaube, daß Luther, dem nachweislich der ganze obere Fürstenbau zur Verfügung gestellt worden war, sich diese düstere enge Klause zu einem halbjährigen Aufenthalt ausgewählt haben sollte. Ueberhaupt hat die Veste Coburg bei ihren gediegenen und so höchst werthvollen übrigen historischen Reichthümern nicht nöthig, sich mit unverbürgten Reformationsreliquien auszuputzen. Wer sich von der außerordentlichen Wichtigkeit von Luther’s Aufenthalt auf der Veste überzeugen will, der lese Ernst Pfeilschmidt’s treffliche Schrift: „Luther in Coburg“; er wird dann nicht mehr darnach fragen, in welchem Raum gerade der große Mann so Bewundernswerthes geleistet hat. Auch bedenke man, daß die Veste nach seiner Zeit den Dreißigjährigen Krieg erlebt hat, daß sie längere Zeit im Besitz der Kaiserlichen war, die schwerlich Luther-Erinnerungen mit besonderer Liebe behandelten, und man wird auch dem Lutherbett nicht viel Glauben schenken. Dem Volk freilich war es das echte Lutherbett; die Spähne desselben haben unzählig viele Zahnschmerzen vertrieben, und dieser Glaube hat es in den dermaligen Zustand gebracht. Ich selbst habe als Knabe, meiner Mutter zu Liebe, mehrmals sogar die Bettpflöcke davongetragen – und stets durch neue ersetzt gefunden; also genau wie es mit den alten Stiefeln des Andreas Hofer erging, die, so oft sie auch von Engländern gekauft wurden, für den nächsten Engländer immer durch ein neues Paar alte Stiefel ersetzt waren. – Wie gesagt, die Veste hat solche Reliquienspielerei nicht nöthig, Luther bleibt darum doch ihr Stolz und ihre höchste geschichtliche Ehre. Deshalb ist auch das Ansammeln von Luther-Erinnerungen in einem Raum der Veste, wozu neuerdings sogar eine Luther-Bibliothek gekommen ist, aller Anerkennung werth.
Und nun hinüber zum Waffensaal. Der Anblick dieser trefflich und geschmackvoll aufgestellten reichen Waffensammlung ist in der That überraschend. Vom zwölften bis zum siebenzehnten Jahrhundert herauf fehlt hier nicht leicht eine Gattung von Waffen und Rüstzeug, und sämmtliche Waffenstücke sind in einem so vollkommenen Zustand und so gut gehalten, daß die Kunstfertigkeit und Pracht, welche die Alten in diesen Dingen kund gaben, sich hier vollkommen erkennen läßt. Der Saal nimmt das ganze Mittelgeschoß des alten Fürstenbaues ein und ist einundachtzig Fuß lang und einundvierzig Fuß breit. Auf einer Empore im Hintergrunde stehen sich zwei Ritterpaare in vollem Turnierschmuck hoch zu Roß mit eingelegten Lanzen gegenüber.
[330] Während ich nur für diesmal den alten riesigen gußeisernen Ofen, vielleicht noch das einzig erhaltene Gußwerk aus der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts, zur Beschauung vornahm, überließ ich die Freunde der Führung Rothbart’s, der ihre Aufmerksamkeit namentlich auf Stücke hinlenkte, die in den Reisebüchern theils falsch angegeben, theils ganz übergangen sind. Er zeigte ihnen, als Stücke von besonderem geschichtlichem Kunstwerth, die Rüstung des Herzogs Bernhard von Weimar, der die Veste vor Wallenstein gerettet, ferner zwei geriefte Rüstungen aus der Zeit Maximilian’s und einen Helm aus dem dreizehnten Jahrhundert, dann die uralten Holzschilde, die Bauernwaffen (nägelgespickte Dreschflegel, Morgensterne etc.) aus dem. Bauernkriege, die zum Theil außerordentlich prächtigen Schwerter von Toledo und Ferrara mit ihren kunstvollen Gefäßen, in Eisen geschnitten, reich vergoldet oder ciselirt, niellirt, mit Edelsteinen besetzt oder mit Gold und Silber eingeschlagen. Als er aber bei den Richtschwertern auf eines hinweisend sagte: „Mit diesem ist Kanzler Brück in Gotha enthauptet worden, mußte ich „Halt!“ rufen.
„Hier,“ sagte ich, „ist ein aus dem Kataloge der Sammlung in alle Reisebücher übergegangener Fehler zu berichtigen. Brück wurde, wie Grumbach, von unten aus geviertheilt, ebenso ihr Mitgeächteter, Wilhelm von Stein, der jedoch vorher erst, wie nach ihm David Baumgarten, der Patricier von Augsburg, enthauptet worden ist. Das Beil hier (es ist bei den Richtschwertern aufbewahrt) hat daher wohl für jene Drei, das Schwert nur für die beiden Letzteren gedient. Darnach sind diese Angaben zu berichtigen; das Grausige von beiden verliert dadurch nichts.
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Wir stiegen nun auf der Treppe im Vorsaale zum obern Geschoß des alten Fürstenbaues. Hier bat ich Rothbart mir für die Räume zur Linken die Richtung der Führung zu überlassen. „Wir wollen ein Stück deutscher Geschichte durchwandern,“ sagte ich und ermahnte meine Freunde, von dieser bis zur nächsten Thür sich weder links noch rechts umzusehen, um sich den beabsichtigten Eindruck nicht zu verderben. Nachdem sie so einen Raum von der halben Länge des großen Waffensaales durchwandelt und die nächste Thür hinter sich geschlossen hatten, erkannten sie, daß sie sich plötzlich im schönsten Mittelalter befanden. Die schöne Kunst spielte damals noch gern, und darum hat sie die Decke dieses langen geräumigen Zimmers, das einst als Trinkstube gedient hat, mit etwa vierhundert Holz-Rosen geschmückt, von denen nicht zwei sich gleichen. Hoch an den Wänden wandeln, al Fresco, die Ahnen der Wettiner bis zum Ende des Mittelalters, stets Paar und Paar. Auf den Seiten der Fensternischen Bilder des häuslichen Ritterlebens und an dem bunten Kachelofen Bilder zum Theil recht derben Inhalts aus dem damaligen Volksleben. In der Mitte ein langer Tisch mit Aufsatz für eine ausgezeichnete Trinkgläsersammlung, über deren Seltenheiten die Reisebücher hinlänglich belehren.
„Nun laßt uns aus dem weltlich heiteren in das christlich fromme Mittelalter gehen!“ – und die nächste Thür führte uns in das „Marienzimmer“. Man sollte es, rascher bezeichnend, „Madonnenzimmer“ nennen. Hier ist aufbewahrt, was aus den ehemaligen Klöstern des Landes (namentlich Mönchröden) an Kunstwerken gerettet wurde. Der Hauptschmuck dieses Raumes von heiliger Dämmerung sind eine Statue der Madonna von dem tapferen Bildhauer und Bürgermeister Riemenschneider in Würzburg, dem Meister der Kaisersarkophage im Dom zu Bamberg, und neun Reliefdarstellungen aus dem Leben der Maria, nach Zeichnungen des Israel von Meken in Holz gearbeitet. Aber noch ehe wir uns durch die stille Beschauung der schönen Madonnen in die Hindämmerung zur Glaubensseligkeit jener Tage verlieren, rüttelt uns ein ahnungsvolles Donnern auf, das von Sachsen und von der Schweiz dahertönt –
Es wächst zum mächtigen Chor an und faßt mit Gewalt im Nu
Des Mittelalters Thor an und schmettert es auf ewig zu!
Die Reformation that’s! Nun öffn’ ich Euch die Thür:
Da treten aus lichtem Golde die muthigen Geister herfür. –
Sie sind hierher beschworen von Künstlers Zauberhand,
All’ die Reformatoren, wie einst ihr Kreis um Luther stand.
Bei Luthern auch von Bora sein Käthchen lobesam,
Die vom Gesang der Hora zu Wiegenliedern kam,
Die sie gleich fromm gesungen zu Gottes Freud’ und Ehr’:
Denn über die Mutterwürde geht Ihm auf dieser Welt nichts mehr.
So stehen wir im goldstrahlenden Triumphraume der Reformation. Aber was wird nun kommen? Wohin wird unser nächster Schritt durch die verhängnißvolle Thür uns führen? Oeffnet und tretet ein: Ihr seid mitten im Dreißigjährigen Krieg!
Da stehen sie, lebensgroß an der Wand, im alten Trotz sich gegenüber: da Kaiser Ferdinand und dort der Schwedenkönig Gustav Adolf, da Wallenstein und dort der Herzog Bernhard von Weimar, da der finstere Tilly und dort der Fürst des Landes in dieser großen Noth, der Herzog Johann Casimir von Coburg. Wer fühlt hier nicht den eisigen und doch erhebenden Hauch der Geschichte, des ungeheuren deutschen Schicksals! – Seid Ihr mit meiner Führung zufrieden?
Sie waren’s, und Alle bedauerten nur, daß dieser Saal nicht einzig dem Andenken an jenen Krieg gewidmet werden könne; derselbe hat noch die zweite Bestimmung eines Gewehrsaales. Hier, wie im Waffensaal hat der Castellan Merkel sich um die Reinigung und decorative Aufstellung der Waffen aller Art große Verdienste erworben. Man findet hier vom ersten wirklichen und wahrhaftigen „Schießprügel“, dem Urahn aller Handfeuerwaffen, an durch alle Verbesserungen des Gewehrschlosses guterhaltene und zum Theil außerordentlich kostbare Exemplare bis zu den neuesten und feinsten Erfindungen. Aeußerlich geschieden sind die etwa 700 Stück der Sammlung in Kriegs-, Luxus- und Jagdgewehre, unter den ersteren auch schwedische Musketen, die auf den Schlachtfeldern von Lützen und Breitenfeld, viele noch mit der Ladung, aufgefunden worden sind.
„Wie viel mag ein solches Stück werth sein?“ fragte ich, auf ein auffallend schönes Gewehr zeigend.
Rothbart lachte und sagte: „Sie haben gut gewählt. Dieses Cabinetsstück in Construction und künstlerischer Ausschmückung wird von Kennern jetzt sehr gern mit zwei- bis dreitausend Thalern bezahlt.“
Selbst bei allen Anderen rief diese Angabe ein staunendes „Was?“ hervor. Rothbart schritt ruhig zu dem mit den verschiedenartigsten Trinkgefäßen reich beladenen Büffet und ergriff einen der in langer Reihe dort aufgestellten Apostelkrüge. „Wie hoch schätzen Sie diesen?“ fragte er.
Niemand wagte zu antworten. Da zeigte er das schöne und seltene Exemplar näher und sagte: „Die Sammlungen gratuliren sich, wenn sie jetzt ein solches Stück für hundert bis hundertfünfzig Thaler erhalten können.“
Welch ein wunderliches Wesen der Mensch ist! Gestanden doch Viele, daß es wie ein neuer Respect vor diesen Sammlungen in sie gefahren sei, seitdem sie auch bedenken müßten, welcher Baarwerth hier aufgehäuft liege.
„Aber wo ist denn Hofer’s Stutzen?“ fragte plötzlich Einer, in seinem „Thüringer Wegweiser“ blätternd. „Da lese ich, daß es das interessanteste Stück dieser Sammlung sei, wenn nicht Zweifel an seiner Echtheit erlaubt wären.“ – „Dieser Stutzen war hier,“ erklärte Rothbart, „Herzog Ernst hat ihn jedoch dem Lande Tirol zurückgegeben; er befindet sich jetzt im städtischen Museum zu Innsbruck.“ – „Und was die Echtheit betrifft,“ fügte ich hinzu, „so kann ich darüber einen Aufschluß geben, der früher aus besonderen Rücksichten verschwiegen bleiben mußte und überhaupt wohl nur Wenigen bekannt geworden ist. Der Stutzen war echt. Kaiser Napoleon, in dessen Besitz er zuerst nach Hofer’s Gefangennehmung gekommen war, hatte ihn dem Könige Maximilian von Baiern zum Geschenke gemacht. Dieser verehrte ihn dem Schwiegervater seines Sohnes, des Kronprinzen Ludwig, dem Herzog Friedrich von Hildburghausen, einem leidenschaftlichen Waidmann. Als im Jahre 1826 die drei fürstlichen Erben des ausgestorbenen Hauses Gotha über die Erbtheilung im Residenzschlosse zu Hildburghausen verhandelten, sah Herzog Ernst der Erste von Coburg den Stutzen mit so sprechenden Blicken an, daß er ihn zum Geschenk erhielt. So kam er in die Coburger Gewehrkammer, die damals im Zeughause in Coburg unter der Aufsicht des alten Hofjägers Koch stand, der mütterlicherseits uns nahe verwandt war. Einstmals erbot sich der ‚Vetter Hofjäger‘, meinen Eltern die Gewehrsammlung zu zeigen; ich, als ihr ‚Größter‘, durfte mit. Als bei den Jagdgewehren auch ‚Andreas Hofer’s Stutzen‘ an die Reihe kam, fragte mein Vater, der aus einer Jägerfamilie stammte, ein wenig ungläubig: ‚Sollte der Tirol gesehen haben?‘ – ‚Freilich!‘ erwiderte der Vetter Hofjäger. ‚Aber wenn großen Herren ein Streich passirt, so müssen wir Kleinen das Maul halten, sonst geht’s an Dienst und Brod. Dir will ich’s sagen, Vetter; aber es bleibt unter uns. Siehst Du, da steht Dir einmal der alt (Herzog) Friedrich mit ein paar von seinen Cavalieren zufällig vor dem Stutzen und meint so: ‚Das gäb’ eine gute Bürschbüchse, aber der Schaft ist mir gar zu unbequem.‘ Und was geschieht? Schicken Die den Stutzen zum Büchsenmacher und lassen einen neuen Schaft hinanmachen! Da hast Du das Ding, und nun ist nichts mehr echt dran als das Schloß und der Lauf. Unser Herzog hat mich wohl zehnmal nach Hildburghausen um den alten Schaft geschickt; ich habe bei [337] allen Bedienten und Büchsenmachern danach gesucht, aber er war nimmer zu finden.‘ Das ist die wahre Geschichte von Hofer’s Stutzen.“
Nachdem Rothbart noch auf den dem Büffet gegenüber aufgestellten Schrank, ein Prachtwerk der Renaissance in Zeichnung und Ausführung, aufmerksam gemacht, folgten wir ihm quer über den Vorplatz in ein Zimmer voll größerer Schießwaffen. „Hier,“ sagte er, auf zwei Falconets auf Rädern zeigend, „sind unsere ältesten Hinterlader-Kanonen. Die eine trägt die Jahrzahl ‚1504‘. Noch älter und wohl der älteste Hinterlader der Art, welcher bis jetzt aufgefunden wurde, ist dieser ‚Gaisfuß‘ (ein Handfeuergewehr) mit Luntenschloß aus dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts. Er erinnert in der Idee ganz an das Zündnadelgewehr: die Patrone, eine eiserne Hülse mit angelötheter Zündpfanne, wird von hinten in den Lauf gesteckt und dieser dann ähnlich wie das Zündnadelgewehr geschlossen.“ Bei den zahlreich an den Wänden lehnenden alten Wallbüchsen erzählte Rothbart, daß er im Jahre 1851 in einem auf der Themse liegenden chinesischen Schiff Gewehre gesehen habe, die, zwar kleineren Calibers, aber mit Luntenschloß, diesen Wallbüchsen auf’s Haar glichen. „Man kam wirklich in Versuchung zu glauben, daß das Schiff aus den alten Vorräthen eines deutschen Zeughauses armirt worden sei.“ Wie der Hinterlader, ist auch die gezogene Kanone schon dagewesen. Man hat die Angabe alter Festungsbewohner, daß die Veste im Besitze einer solchen gewesen, die leider in schlimmster Zeit mit vielem andern Geschütz verschleudert worden sei, belächelt, bis endlich der Beweis für diese Behauptung gefunden wurde: eine sechspfündige Kanonenkugel, welche unterhalb der Veste in einer alten Eiche, und zwar auf der Seite nach der Festung hin, stak, also von dieser aus geschossen worden war. Diese Kugel, innen von Eisen, ist etwa einen Finger dick mit Blei umhüllt, ganz so wie in Preußen die ersten derartigen Projectile construirt waren, und in der Bleiumhüllung sind auf der einen Seite die Züge deutlich eingedrückt. Neuerdings sind auch einige sehr alte Spreng-Wurfgeschosse und sogar ältere Revolver, Gewehre, in welche mehrere Schüsse aufeinander geladen und nacheinander abgefeuert werden können, ein neuer Schmuck dieser geschichtlich gewiß höchst werthvollen Sammlung geworden.
Die Gesellschaft wollte das Zimmer verlassen, ohne ein kleines, freilich unansehnliches Stück, das mir aber an’s Herz gewachsen ist, nur eines Blickes gewürdigt zu haben. „Halt!“ rief ich. „Da Ihr den Geldwerth so hoch schätzt, so sagt mir, was wohl diese kleine Kanone da gekostet hat.“ Rothbart lachte; er verstand mich. Die Andern lachten auch und meinten: „Dieses Böllerchen wird wohl für ein paar Thaler zu haben sein.“ – „Respect, meine Herren!“ rief ich da, „für diese Kanone hat Herzog Ernst zehntausend Gulden bezahlt.“ – „Unmöglich!“ – „Und doch wahr, seht sie Euch recht genau an! Das ist die Kanone, welche Wilhelm Bauer mit dem Dampfschiffe ‚Ludwig‘ aus dem Bodensee gehoben hat. Diese kühne Schiffhebung, welche man damals, im patriotischen Festjahre 1863, als einen deutschen Triumph pries, wäre unmöglich gewesen, wenn nicht der Herzog unserm Bauer in dessen tiefster Noth durch jene Summe zur Erreichung seines Zieles geholfen hätte. Also, Achtung vor dem ‚Böllerchen‘! Es gereicht jedenfalls der Veste und dem Herzoge stets zur Ehre.“ Jetzt war’s freilich etwas Anderes. Alle drängten nach dem kleinen Stücke hin, beguckten es wie eine Merkwürdigkeit ersten Ranges und nahmen schließlich fast zärtlichen Abschied von der kleinen „Ludwigskanone“.
Von da führte Rothbart uns zu dem sogenannten Hornzimmer (das „Jagdzimmer“ unserer Illustration). Sämmtliche Wände desselben sind mit den seltensten Schnitzarbeiten ausgeschmückt, einer kunstvollen Holzmosaik, welche die großartigen Jagden des Herzogs Johann Casimir darstellt, und ebenso ist die Decke mit solcher eingelegten Arbeit bekleidet, Alles im reinsten Renaissance-Styl. Rothbart sagte: „Man darf mit Fug und Recht auch dieses ein Unicum nennen. Ich kenne nichts Reicheres und Besseres in diesem Genre.“ Die Zeichnungen dazu sind von Wolf Pirkner, dem Hofmaler des Herzogs. Nach den noch vorhandenen Rechnungen betrug der Kostenaufwand dafür zwanzigtausend Gulden, eine Summe, die jetzt mindestens den dreifachen Werth haben würde.
Wir rüsteten uns nun zum Besuche der letzten der großen Sammlungen der Veste, der Kupferstichsammlung, indem wir im Voraus – der Abend nahte heran – auf die Beschauung der Münz- und Autographensammlung verzichteten, wie sehr wir auch dies bedauerten, denn auch diese Sammlungen zeichnen sich, wie wir bei allen anderen gesehen haben, durch mit besonderem Glücke erworbene Glanzstücke aus.
Ueber die für Künstler und Gelehrte (Kunsthistoriker, Alterthumsforscher etc.) ohne Zweifel hochwichtige Kupferstichsammlung, eine der bedeutendsten in Deutschland, gab Rothbart uns eine sehr dankenswerthe Belehrung. Nachdem er uns erst durch die drei Säle geführt hatte, von denen einer den Deutschen allein gewidmet ist, der zweite die Niederländer und Franzosen, der dritte die Italiener, Engländer etc. enthält und in welchen diese Kunstschätze in Eichenholzschränken aufbewahrt sind, benutzte er die Verwunderungsfrage eines unserer Künstler, „wie es möglich gewesen sei, daß ein so kleiner Hof so große Kunstreichthümer habe erwerben können,“ zu folgender Auseinandersetzung.
„Die herzogliche Kupferstichsammlung ist gesammelt von dem Großvater des jetzigen Landesherrn, dem Herzog Franz (starb 1806) in der Zeit, in welcher es im lieben deutschen Vaterlande nur Wenige gab, die auf solche Dinge besonderen Werth legten, und wo leider und besonders in unseren alten Reichsstädten, wie in Nürnberg etc. diese Schätze um ein elendes Stückchen Geld an Juden und sonstige Zwischenhändler im wahren Sinne des Wortes verschleudert wurden. Zum großen Theil sind sie in’s Ausland gewandert, denn der heimische Markt hatte keinen Begehr danach. Aus diesem Grunde ist Ihnen nun erklärlich, wie der in seinen Mitteln so sehr beschränkte Herzog Franz im Stande war, eine so werthvolle, zwischen zweihundert- bis zweihundertfünfzigtausend Nummern enthaltende Sammlung Kupferstiche, Holzschnitte und Handzeichnungen zusammenzubringen. Seine Hauptbezugsquelle waren Nürnberg, die alten Patricierhäuser und sein Vermittler dort Frauenholz.
Die Sammlung ist vor zwölf Jahren auf Befehl des Herzogs Ernst des Zweiten hierher auf die Veste gebracht und chronologisch und nach Schulen geordnet aufgestellt. Die Kataloge sind soweit vorgeschritten, daß auf Verlangen jeder Meister sofort vorgelegt werden kann, und Kenner und Liebhaber haben jeden Tag Zutritt zu der Sammlung, können auch auf Wunsch dieselbe zu Studien etc. benutzen. Wegen der dazu nöthigen Erlaubniß wendet man sich an mich.
Am reichhaltigsten vertreten ist die deutsche Schule; sie umfaßt etwa siebenzigtausend Blätter und beginnt mit den Blättern des Meisters E. S. – um 1460. Aber auch die übrigen Schulen, besonders die italienische und französische, sind, wenn auch nicht so zahlreich, so doch in ihren besten Meistern und in guten Abdrücken vertreten. Als besonders bemerkenswerth sind zu bezeichnen Originalkupferplatten von Marco Antonio Reymondi, Agostina Veneziano und J. E. Ridinger.
Für uns Deutsche ist offenbar hier der liebste und werthvollste Schatz bewahrt. Hier ist der fast vollständige Albrecht Dürer! In durchgängig sehr guten, zum Theil vortrefflichen Abdrücken besitzt unsere Sammlung seine derartigen Werke vollständig bis auf etwa zehn Holzschnitte und folgende sechs Kupferstiche: ‚Die Dreieinigkeit‘, ‚Sanct Hieronymus‘, ‚Veronica‘, ‚Das Urtheil des Paris‘, ‚Der große Courier‘ und ‚Joachim Patenier‘. Im Ganzen enthält die Dürer-Sammlung einhundertsiebenzehn Blätter Kupferstiche, vierhundertsiebenzig Blätter Holzschnitte, darunter ‚Die Eule‘ als ein Unicum, und eine Anzahl Handzeichnungen, unter letzteren eine Armstudie zu einem Christus am Kreuze und das Brustbild einer Nürnbergerin, beide in Kohle gezeichnet und in natürlicher Größe.“
Nicht blos unsere Künstler, auch wir Laien betrachteten mit patriotischer Erhebung diesen deutschen Kunstschatz; trotzalledem konnte Einer die Frage nicht unterdrücken: „Wie hoch möchte sich wohl der Geldwerth dieser großen Kupferstichsammlung belaufen?“
„Darauf,“ antwortete Rothbart, „muß ich Ihnen die Antwort schuldig bleiben. Nur Das kann ich Ihnen sagen, daß diese unsere Dürer allein jetzt nicht unter vierzigtausend Thaler erworben, bei einer Auction aber leicht auf sechszigtausend Thaler gesteigert werden könnten.“
Zum Schlusse zeigte uns Rothbart die letzte Erwerbung [338] dieser Sammlung, ein Geschenk des sächsichen Generalconsuls Gerson in Frankfurt am Main, bestehend in zweihundertundzwölf Handzeichnungen, die in Rom zwischen 1550 und 1555, also zu einer Zeit, wo die antiquarischen Studien dort einen höchst bemerkenswerthen Aufschwung nahmen, entstanden sind und unschätzbaren Werth für die classische Alterthumskunde dadurch erhalten, daß ein nicht geringer Theil der hier dargestellten Monumente seitdem vollständig verschollen ist. Auch von den noch existirenden sind, wie uns diese Zeichnungen belehren, nur sehr wenig noch in demselben Zustande, in dem sie das sechszehnte Jahrhundert kannte. Es wird daraus klar erkennbar, wie unglaublich diese Denkmäler unter den Restaurationen des siebenzehnten und achtzehnten Jahrhunderts gelitten haben. Eine ausführliche Beschreibung derselben gab Dr. Matz in Göttingen in einem Monatsberichte der königlichen Akademie der Wissenschaften in Berlin, die deren Werth so hoch stellt, daß sie eine Vervielfältigung dieser Blätter auf ihre Kosten angeordnet hat.
Wir gingen nur noch durch die Räume der Münz- und Autographensammlung, um wenigstens ein Bild ihrer äußeren Anordnung mitzunehmen. Im Vorbeigehen traten wir in den ehemaligen Fürstenstand der Luther-Capelle ein. Das ist der Raum, den in den verhängnißvollsten Tagen seines Glaubenskampfes so oft Luther’s Stimme erfüllt hat. Wie klein und schmucklos ist dieses Kirchlein! Und doch spricht aus ihm gerade in diesem Augenblick, wo der vor vierthalbhundert Jahren begonnene Kampf von Neuem und am erbittertsten in Deutschland tobt, sein Geist mahnend und stärkend zu unseren Herzen.
Und nun hinaus in’s Freie! Welchen Gang durch die deutsche Geschichte hatten wir auf unserer dreistündigen Wanderung vollbracht! Es war ein Uebermaß von Eindrücken, das uns nicht sogleich zum Genusse der Naturschönheit kommen ließ, die hier von allen Himmelsgegenden aus der Nähe und Ferne uns winkt. Nach kurzer Rast und Erquickung machten wir rasch noch einen Gang um den Wall, um einige beachtenswerthe alte Geschütze der Bärenbastei zu besehen und uns des Rundblicks ins Land zu erfreuen. Letzterer ist oft geschildert und bedarf hier meines Lobes nicht mehr.
Auf der hohen Bastei hatte Barth uns das schönste Plätzchen bewahrt, eine uralte Laube hart vor dem Wirthshause mit dem freien Blicke nach Süden und Osten. Wir erreichten sie noch im rechten Augenblick. Die letzten Strahlen der scheidenden Sonne beleuchteten die Thürme von Banz, die Kirchenfenster von Vierzehnheiligen, die Capelle des Staffelberges und die fernen Berghäupter des Fichtelgebirgs und des näheren Franken-Jura; auf den anmuthigen Itzgrund sank schon die Dämmerung hinab. Auf der Bastei und auf den Terrassen herrschte überall munteres Leben; für uns aber hatte der Tag so reichen Stoff aufgesponnen, daß der Faden der Unterhaltung kein Ende genommen hätte, wenn nicht, wie Alles in der Welt, auch eine Festung endlich geschlossen würde.
Als wir am äußern Burgthor den in der Veste wohnenden Freunden den letzten Handdruck gereicht und im Freien waren, gingen wir, weil wir vom Berg noch nicht lassen konnten, noch einmal um den äußern, parkartigen Wall, und Alle stimmten mir zu, als ich, an meine alte Dichtung von der Veste erinnernd und auf das Land hinabzeigend, sprach: „Ja, es ist und bleibt herrlich, hier
Zu wandeln rings um die Bastei’n,
Zu weilen in den Mauerscharten
Im Hauch der Nacht, im Sternenschein
Umblüht von diesem Wundergarten!“
Anmerkungen (Wikisource)
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