Luftballon und Flugmaschine
Flugmaschine – lenkbares Luftschiff – wer zuckte nicht vor fünfzehn Jahren noch die Achsel, wenn von dergleichen Plänen die Rede war? Heute beginnt das allmählich anders zu werden; an die Stelle des überlegenen Lächelns gerade unter den Fachleuten in der Mechanik ist das feste Vertrauen auf die fortschreitende Technik, an die Stelle des grübelnden Projektenmachers der kühle Experimentator und der wissenschaftliche Forscher getreten.
Am stärksten macht sich diese Entwicklung zum Besseren bemerkbar, wenn man die Versuche der neueren Zeit berücksichtigt, die Aufgabe ohne Unterstützung des Lufballons einfach mit Hilfe mechanischer Vorrichtungen zu lösen. Daß der Flug ohne Ballon möglich sei, beweist uns die Natur täglich an Tausenden von Vögeln und Insekten, und wenn auch auf den ersten Blick die Anwendung eines hebenden Gases als offenbarer Vorteil gegen den Flug aus eigener Kraft erscheint, so lehrt doch die Rechnung und der Versuch, daß dieser Vorteil durch anderweitige Nachteile reichlich aufgewogen wird. Selbst die günstigsten Ballonformen erfahren bei ihrer Bewegung durch die Luft so viel Widerstand, daß man starker Motoren bedarf, um mit ihnen auch nur gegen einen mäßigen Wind ankämpfen zu können, einer kräftigen Brise aber, oder gar einem leichten Sturm wird auch der bestberechnete Ballon unter keinen Umständen Widerstand leisten können. Dazu kommt, daß mit der sehnlichst gewünschten größeren Geschwindigkeit der lenkbaren Luftschiffe auch ihr Kraftbedarf sehr schnell wächst, wodurch größere und schwerere Motoren nötig werden, welche ihrerseits wieder umfangreichere Ballons erfordern. Damit wächst dann wieder der Luftwiderstand und die zur Bewegung nötige Arbeit, und so dreht man sich in einem Kreise, aus dem es keinen Ausweg zu geben scheint.
Diese und andere Schwierigkeiten waren es, welche neuerdings die meisten Erfinder von der Verfolgung des lenkbaren Ballons abweichen und sich dem Fluge nach Art der Vögel oder wenigstens nach verwandten Prinzipien zuwenden ließen. Besonders in Deutschland und Oesterreich arbeitet man schon seit zehn bis fünfzehn Jahren aufs eifrigste in dieser Richtung, während die Franzosen, als die ersten Erfinder lenkbarer Ballonformen, sich noch immer nicht von diesem Wege trennen können und auch in Amerika von Zeit zu Zeit immer wieder einmal ein neuer Plan eines derartigen Apparates auftaucht.
Wir brauchen hier auf die Geschichte der früheren Versuche mit lenkbaren Luftballons nicht zurückzukommen, da sie erst vor einiger Zeit in der „Gartenlaube“ (Jahrgang 1892, Nr. 46) eine sachgemäße Darstellung gefunden hat. Nur einiger neuerer Erfindungen wollen wir gedenken, mittels deren namentlich der amerikanische Spürsinn der Lösung näher zu kommen sucht. Freilich hat es auch dort drüben nicht an warnenden Beispielen gefehlt! Noch vor wenigen Jahren fand das Luftschiff des Amerikaners C. Campbell in den Fluten des Atlantischen Oceans ein spurloses Ende. Die verhängnisvolle Fahrt begann in New York; der eiförmige Ballon, den der Luftschiffer mittels einer kleine, durch Armkraft bewegten Schraube dem Winde entgegenzuführen gedachte, trieb vor der sich erhebenden stärkeren Brise widerstandslos her. Augenzeugen folgten der rasenden Fahrt gegen zwei Stunden mit den Augen – dann verschwand das kleine Fahrzeug in der Richtung der offenen See. Die Meldung eines Lotsen, der an demselben Tage einen Ballon in die Fluten des Oceans stürzen und versinken sah, ist die einzige Nachricht, welche seitdem zu den Ohren der Zurückbleibenden gedrungen ist. Daß indessen auch solche Fälle die Hoffnung auf ein schließliches Gelingen nicht zu töten vermochten, zeigen die neuesten Erfindungen auf diesem Gebiete, unter denen wir hier das Luftfahrzeug von Compaguon erwähnen möchten.
[107] Die Eigenart dieser noch jungen Erfindung liegt in der Form ihrer „Propeller“. Diese bestehen nämlich weder aus Schrauben noch aus Schaufelrädern, sondern aus acht länglichen Flügeln, denen der Libelle ähnlich, welche paarweise zu beiden Seiten des cylindrischen Flugkörpers angebracht sind. Im Auf- und Abschlagen erzeugen sie, ähnlich den Flügeln der Vögel und Insekten, einen so starken Vorwärtstrieb, daß dadurch nach den Versuchen des Erfinders die Wirkung von Schraubenflügeln um das Dreifache übertroffen werden soll. Bedenkt man, daß die häufig ungeheuren Flugleistungen der Vögel lediglich durch dieselbe Schlagbewegung der Flügel erreicht werden, so liegt durchaus kein Grund vor, an den Angaben Compaguons zu zweifeln, und man darf sich nur darüber wundern, daß dieses Fortbewegungsprinzip erst so spät in die Flugtechnik eingeführt worden ist. Noch günstiger stellt sich die Wirkung der neuen Erfindung dadurch, daß nun zum erstenmal der Antrieb in den Ballon selbst, anstatt in die Gondel verlegt worden ist. Alle früheren Versuche krankten an dem Uebelstande, daß die Schrauben oder Räder ihre Kraft zunächst nur an die Gondel abgaben und der Ballon lediglich mitgezerrt werden mußte. Compaguon vermied diesen Uebelstand dadurch, daß er die gaserfüllte Hülle seines Ballons in der Mitte durch einen freien Raum unterbrach, der, von der Gondel aus erreichbar, den gesamten Antriebsmechanismus enthält. Ein Getriebe von Rädern und Hebeln steht hier im Innern mit den Flügelpaaren in Verbindung und entwickelt hinreichend Kraft, um den Schwingen eine Bewegung von 250 Schlägen in der Minute zu erteilen. Wie die Abbildung S. 106 zeigt, bildet das ganze Luftschiff einen äußerst einfachen, einheitlichen Bewegungskörper, an dem die kleine Gondel lediglich als ein kleines Anhängsel sich ausnimmt.
Wenn nun auch der Compaguonsche Ballon, trotz der günstigen Ergebnisse, die bei Versuchen damit erzielt worden sind, noch keineswegs als das vollkommene Ideal des lenkbaren Luftschiffes gelten kann, so ist anderseits nicht mehr zu leugnen, daß wir hier vor recht befriedigenden und brauchbaren Erfolgen stehen. Eine andere Frage ist freilich die nach dem praktischen Nutzen der gelungenen Erfindung für die Verkehrszwecke im großen – das Ziel, welches doch schließlich allen Bestrebungen der Luftschifffahrt als höchster Preis vorschwebt – und die Antwort auf diese Frage würde, selbst wenn die Brauchbarkeit des Luftschiffes über allem Zweifel stünde, dennoch ein Achselzucken bleiben müssen. Welchen Wert für den Verkehr könnten jemals diese Luftschiffe erhalten, welche kaum mehr als ein, höchstens einige Dutzend Personen gleichzeitig zu befördern imstande sind. Ein Eisenbahnzug faßt über 1000 Passagiere, 4000 und mehr Centner an Lasten; ein Seeschiff vereinigt in seinem Riesenbauch 1000 Reisende und 20000 Centner Frachtgüter – und das lenkbare Luftschiff, mit seiner Tragfähigkeit von 50 Centnern, sollte den Verkehr in umwälzender Weise beeinflußen? Man sieht, wenn nicht noch andere Hilfsmittel dazukommen, so ist es mit der langersehnten Verkehrsstraße durch die Luft – noch lange nichts!
Indessen haben andere Forscher und Erfinder ihre Bemühungen in der That dem „aerostatischen“, d. h. durch die Tragkraft leichter Gase unterstützten Luftschiff zielbewußt zugewandt. Daß dem bloßen Luftballon, selbst bei vollkommener Lenkbarkeit und Beweglichkeit, diese Aufgabe nie gelingen werde, lehrte die einfachste Rechnung, dagegen bot sich dem Beobachter des Vogelfluges eine gewisse, besonders von den Raub- und Seevögeln ausgeübte Flugart, welche dem ersehnten Ziel näher zu führen schien. Man sieht diese Vögel nämlich häufig, ohne daß sie einen Flügel rühren, in langen Wellenlinien und mit ungeheurer Geschwindigkeit die Luft durchschneiden und muß sich sagen, daß es bei diesem FLuge einzig und allein die Atmosphäre sein kann, welche das Gewicht des Vogelkörpers trägt. Zur Erklärung dieses sogenannten „Segelfluges“ nimmt man an, daß der Vogel sich, möglichst gegen den Wind gerichtet, mit seinem vollen Gewicht der Luft entgegenwirft und nun, vermöge der günstigen Form seiner Flügel, förmlich auf dem Winde abwärts gleitet wie ein Wagen auf geneigter Strecke. Am tiefsten Punkte seiner Bahn braucht sich dann der Segler nur etwas aufzurichten, um durch die Schwungkraft des Abwärtssausens und den Luftwiderstand drachenartig wieder emporgetragen zu werden und sich aus der erreichten Höhe von neuem fallen zu lassen.
Auf der Bahn dieses Segelfluges bewegen sich die Bemühungen einer ganzen Anzahl von Luftschiffern, und Proben dieser Art liegen vor in den zwei Flugapparaten von Lippert und Platte. Der Wiener Ingenieur Lippert will die hebende Kraft der Atmosphäre durch ein ganzes System von Segelflächen auffangen, welche durch Schnüre oder Gestänge verbunden sind, an geeigneten Punkten ein oder mehrere Fahrzeuge zur Aufnahme von Menschen oder Lasten enthalten und je nach ihrer Schrägstellung entweder auf dem Winde abwärts gleiten, oder mit kräftigem Schwunge von ihm emporgetragen werden. Vorbehalten bleibt dabei, die Fahrzeuge wenigstens anfänglich durch große, dreiseitige Gassäcke, welche etwa in die Falten der einzelnen Segelflächen mit eingenäht werden können, teilweise zu entlasten, so daß dem Winde nur noch die Hebung des Uebergewichtes zufiele. Eine ähnliche Rolle spielt das Gas beim Platteschen Luftschiff, welches, in riesigen Größenverhältnissen gedacht, zum größten Teile durch einen ringförmigen, die Wandung des Ganzen bildenden gasgefüllten Tragballon entlastet wird, während seine Hauptwirkung darauf beruht, daß es sich wie ein Adler oder Habicht von hochgelegenen Punkten in die Tiefe stürzt und die dabei erlangte lebendige Kraft, im Verein mit der hebenden Wirkung des Windes, in derselben Weise zum Ansteigen benutzt, wie dies auch der Vogel beim Segelflug thut.
Wir brauchen den Leser übrigens kaum zu versichern, daß wir die letztgenannten Erfindungen, trotz ihrer anscheinend ganz vernünftigen Grundlagen, nicht für ernsthafte Lösungen der Luftschiffahrtsfrage halten, und so sei es denn mit dem Platteschen Phantasiestück genug von der Luftschiffahrt unter Benutzung von Gasballons. Wenden wir uns nun den Bestrebungen zu, die Atmosphäre nur mit Hilfe mechanischer Arbeit zu meistern, so finden wir auch da eine nicht geringe Mannigfaltigkeit der Lösungsversuche. Bald mit Maschinenkraft, bald ohne dieselbe und im bloßen Vertrauen auf die menschliche Kraft, bald mit Schraubenflügeln von der verwickeltsten Form, bald mit einfachen Ruderschlägen denkt man sich in der Schwebe zu halten.
Am längsten findet sich die Ansicht verfochten, daß es mittels sich drehender, den Schiffsschrauben ähnlicher Schraubenräder gelingen müsse, sich sowohl in die Luft emporzuheben, als auch in horizontaler Richtung vorzudringen. Jedem Leser sind ohne Zweifel die kleinen als „Schraubenflieger“ bezeichneten Kinderspielzeuge bekannt, deren Wirksamkeit darin besteht, daß eine kleine Blechschraube durch das Abziehen einer Schnur in schnelle Umdrehung versetzt wird und sich nun zu beträchtlicher Höhe emporschraubt – ein einfaches und unwiderlegliches Beispiel dafür, daß es keine Unmöglichkeit ist, mittels geeigneter Luftschrauben auch den Menschen zum Aufsteigen in die Luft zu befähigen. An Versuchen hat es nicht gefehlt, und im Jahre 1878 gelang es in der That dem Professor Forlanini in Mailand, das Modell eines Dampfflugapparates herzustellen, das sich mehrmals bis zu 15 Meter emporhob. Indessen auch Forlanini stellte seine Arbeiten bald wieder ein, wahrscheinlich weil er einsah, daß das Fliegen von nur geringem praktischen Wert bliebe, solange zur Beförderung eines einzelnen Menschen eine Maschinenkraft von mehrere Pferdestärken erforderlich sei. Man hat denn auch genugsam versucht, den Schraubenflug lediglich mit den Muskelkräften des Menschen selbst zu bewerkstelligen, und der jüngste derartige Versuch liegt uns in dem Delpradschen „Luftvelociped“ vor; indessen ist doch zu befürchten, daß diese Maschine das Schicksal aller ihrer Vorgängerinnen teilen und nach kurzen, mißglückten Versuchen wieder der Vergessenheit anheimfallen werde. Der Erfinder hat seinen Apparat mit allen Mitteln der Neuzeit [108] zu vervollkommnen gesucht; Stahlrohr und Aluminium haben das Gewicht der ganzen Maschine bis auf 20 Kilogramm erniedrigt, die vollkommensten Hilfsmittel der Mechanik machen den Antrieb der Räder, von denen das große zum Schweben, das kleine zur Horizontalbewegung dient, so leicht wie nur möglich – erinnern wir uns aber daran, daß nach den Berechnungen bewährter Fachleute zum Heben eines Menschen durch Luftschrauben gegen zwei Pferdestärken erforderlich sind, so scheint uns doch jeder Versuch, dasselbe Ziel mit Menschenkraft erreichen zu wollen, nur zu aussichtslos.
Auf ganz andere Weise, nämlich mittels kräftiger Flügelschläge, sucht der französische Akademiker Gustav Trouvé das Ziel zu erreichen. Sein Modell, dem er den pomphaften Namen „Vogel-Generator-Motor-Propeller“ beilegt, hat ein etwas abenteuerliches, zwischen Fledermaus und Drachen die Mitte haltendes Aussehen und erhält seine Antriebskraft durch die Ausdehnung explosiver Gase. Da diese Flugmaschine, wenn auch nur in sehr verkleinertem Maßstabe und ohne Belastung, bereits ihre Flugfähigkeit bewiesen hat, so dürfen wir sie nicht übergehen. Der Sitz der Kraft ist ein hufeisenförmiges elastisches Stahlrohr, an dessen oberen Enden die Flügel befestigt sind. In regelmäßigen Zwischenräumen, dem Flügelschlage des Vogels entsprechend, zuckt dieses Rohr unter dem Einfluß der darin explodierenden Gase heftig zusammen und schlägt dabei jedesmal die Flügel in kräftigem Schwunge nieder, um sie dann langsam wieder zu erheben. Die Kraft dieser Flügelschläge, verstärkt durch die Tragkraft des ausgebreiteten Schwanzes und eines über dem Apparate ausgespannten Segels aus Seide, erhalten das Ganze schwebend und führen das Modell in horizontaler Richtung bereits 80 bis 90 Meter vorwärts. Wie sich diese Verhältnisse ändern, wenn der Apparat entsprechend vergrößert und mit dem Gewichte eines Menschen belastet wird, muß wiederum erst die Zukunft lehren.
Das Ideal eines Flugapparates wäre offenbar eine Vorrichtung, welche uns in stand setzte, es einfach den Vögeln nachzuthun und uns mit Hilfe eines leichten einfachen Mechanismus und unserer eigenen Muskelkraft durchs Reich der Wolken zu befördern. Kein Wunder daher, daß es auch auf diesem Wege nicht an Experimentatoren fehlt, von denen es uns erlaubt sein mag, nur noch zwei anzuführen.
Bei dem Segelapparat des Berliner Ingenieurs Lilienthal liegt die eigentliche Neuerung in einer geringen Wölbung der beiden fledermausartigen Flügel, in denen der Fliegende ohne jedweden Mechanismus, einfach mittels seiner Muskelkraft hängt. Die gewölbten Flügel weisen bei der durch den Absprung von erhöhten Punkten erzielten Bewegung durch die luft eine sehr achtungswerte Tragkraft auf, ein schiffsruderähnliches Steuer sorgt für die Erhaltung der Richtung; und nach einiger Uebung mit diesem einfachen Apparat soll es sehr leicht möglich sein, sich mit ihm von Hügeln oder sonstigen Höhepunkten dem Winde entgegen zu werfen und beträchtliche Strecken von ihm tragen zu lassen, bevor man in sanftem Anprall den Boden gewinnt. Der Konstrukteur selbst, welcher seine Versuche mit diesen Schwebeapparaten bereits vor drei Jahren begann, hat nach langer Uebung eine so völlige Herrschaft über seinen Apparat erlangt, daß er den Absprung selbst von namhaften Höhen nicht mehr zu scheuen hat und neuerdings eine Flugweite bis zu 250 Metern erreichen konnte. Er sieht das Gedeihen der Flugfrage hauptsächlich in der Fortsetzung seiner Versuche durch möglichst viele Teilnehmer und behandelt vorerst den Uebergang von diesem fallschirmartigen Schwebe- zum selbständigen Fliegeapparat noch als eine Zukunftsfrage, die zu lösen seinerzeit nicht allzu schwer fallen könne. Mit Unrecht allerdings, denn gerade bei diesem Uebergang dürften sich die größten Schwierigkeiten erst einstellen, und wenn an dem geneigten Sinken aus gewissen Höhen mittels starrer Flügelflächen auch der größte Skeptiker nicht mehr zweifeln kann, so ist doch von da bis zum Flügelschlage noch ein weiter mühseliger Weg.
Die zweite Lösungsart, welche Buttenstedt, einer der genauesten Kenner unserer Vogelwelt, anstrebt, würde sich ebenfalls der Flugart der großen Schwebevögel stark nähern und soll mit geringem Kraftaufwand ein schnelles und andauerndes Fliegen ermöglichen. Die großen Flügel seines Apparates sind zum Schweben oder Schwimmen auf der Atmosphäre berechnet und haben eine Konstruktion, die es ermöglicht, auch die kleinste Senkung des Fliegers in wagerechte Flugkraft umzuwandeln, so daß also jeder Höhenverlust des Fliegenden keine Kraftverschwendung darstellt. Zwei kleine, von den Beinen des Fliegers bewegte Flügel am hinteren Ende des Apparates, welche in schnellem Auf- und Abschwingen begriffen sind, geben dem ganzen Apparat eine kräftige Vorwärtsbewegung. An Einfachheit läßt diese Flugmaschine jedenfalls nichts zu wünschen übrig, und da sie sich überdies dem bewährten Flugapparat der Vögel ziemlich nähert – auch bei vielen Vögeln wurde im Schwanz eine ähnliche antreibende Fächerbewegung nachgewiesen, wie sie die kleinen Treibflügel der Buttenstedtschen Maschine ausüben – so ließen sich von diesem Apparat bei richtiger Ausführung und genügender Geschicklichkeit des Besitzers recht gute Leistungen erwarten.
Wir glaubten hiermit am Ende der langen Reihe neuerfundener Flugapparate zu stehen, als uns eine Erfindung näher bekannt wurde, welche in den jüngsten Tagen viel von sich reden machte: Professor Wellners „Segelradflugmaschine“. Georg Wellner, dem seine Stellung als Professor der Maschinenkunde am Brünner Polytechnikum auch zu schwierigeren Experimentaluntersuchungen Gelegenheit giebt, als sie privaten Erfindern wohl offen stehen, ist – unter den Männern der strengen Wissenschaft eine Ausnahme – von der Möglichkeit des mechanischen Fluges längst überzeugt, und seine Beiträge in der deutschen Vereinszeitschrift für Luftschiffahrt gehörten stets zu den lichtvollsten und besonnensten. Ob darum seine Erfindung, welche vom persönlichen Kunstflug wieder zur komplizierten Maschinerie zurückkehrt, die Lösung bringen werde, ist freilich noch nicht entschieden, aber beachtenswert bleibt sie darum immer als die durchdachte Arbeit eines anerkannten Fachmanns. In der zweiten Hälfte des Jahres 1892 hat sich Professor Wellner das Verdienst erworben, die bisher unkontrollierten Versuche Lilienthals in Bezug auf die Tragfähigkeit gewölbter Flächen im Winde und in der Bewegung mit genauen Apparaten und Berechnungsarten, besonders durch vielfache Fahrten auf der österreichisch-ungarischen Staatsbahn, zu wiederholen; die Ergebnisse bestätigen, mit teilweise noch günstigeren Ziffern, die Behauptung des Berliner Experimentators, daß gewölbte Flächen, schnell bewegt, einen erheblichen [109] Auftrieb erfahren und sogar in der Richtung ihrer Bewegung fortgezogen werden. Auf diesen so wichtigen Thatsachen aber baut sich merkwürdigerweise Wellners Erfindung nur zum kleinsten Teil auf; sie wirkt in der Hauptsache durch Luftwirbel oder Pressungen, welche von eigentümlich geformten Schaufelrädern unter den schmalen, schiffsartigen Körper des Apparates geschleudert werden und ihn gewissermaßen tragen sollen. Suchen wir uns mit Hilfe der neben stehenden Abbildung den Hergang klar zu machen. Durch den im Tragkörper befindlichen Motor A werden die Segelräder zu beiden Seiten rasch in der Richtung der Pfeile umgedreht. Dabei werden die einzelnen Schaufeln dieser Segelräder durch die Excenter E so in ihrer Stellung verändert, daß sie mit ihren Vorderkanten oberhalb des Mittelpunktes stets auswärts, unterhalb desselben aber einwärts gedreht werden und so fortwährend die stärkste mögliche Hebekraft entfalten. An der inneren Seite sind sie durch schief zur Flugrichtung gestellte Rippen versteift, die zusammen gleichsam eine große unterbrochene Schraube bilden. Diese Rippen übernehmen die Vorwärtsbewegung. O und U sind vorn oben und rückwärts unten angebrachte drehbare Ruder zum Zweck der Steuerung des Fahrzeugs. Ob der Erfolg der erwartete sein wird, bleibt trotz der rechnungsmäßigen Unterlagen noch zu bezweifeln, da wir mit den Gesetzen der bewegten Luft noch durchaus nicht so innig vertraut sind. Jedenfalls aber würden wir auch in der Segelrad-Flugmaschine vor einer Erfindung stehen, welche bei ihrem Kraftaufwand von 80 bis 100 Pferdestärken für eine Last von wenigen Personen doch wohl nur ein Privilegium für wenige bleiben würde.
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Kein entscheidender Haupterfolg, aber ein langsames Vorrücken auf verschiedenen Punkten, das ist der Gesamteindruck, den wir bei einem Rückblick auf die geschilderten Versuche gewinnen. Am fernsten einer Lösung steht noch das Problem einer Massenbeförderung von Menschen und Gütern durch die Luft. Und doch wäre von einer solchen erst jene tiefgreifende Veränderung unserer gesamten Lebens- und Verkehrsverhältnisse zu erwarten, in deren Ausmalung sich zu ergehen für Forscher und Laien ein gleich angenehmes Vergnügen ist. Was fingen der Privatmann noch mit Zaun und Mauer, die Staaten noch mit Wällen und Gräben an, wenn der Mensch nicht mehr dem Wurme gleich am Boden zu kriechen verurteilt wäre? Was würde aus den Zollschranken, wenn den Schmugglern der ganze Luftraum zur Verfügung stände, was hätten Staatengrenzen überhaupt noch für einen Sinn, wenn sie nicht bloß von den eisernen Schienen und dem elektrischen Draht, sondern auch noch von Tausenden von Flugmaschinen überbrückt würden? Breite Ströme und tiefe Thäler, ja das Hochgebirge und selbst die Fluten des Meeres müßten den letzten Rest von verkehrshemmender Wirkung einbüßen, der ihnen heute noch anhaftet. Und wenn es keine Grenzen der Staaten mehr giebt, dann giebt es auch keine Kriege um diese Grenzen mehr, der ewige Völkerfriede wäre das naturnotwendige Endergebnis des vollkommen gelösten Flugproblems! Ist es ein Wunder, daß solche Zukunftsbilder selbst auf nüchtern Denkende einen gewaltigen Reiz ausüben, daß schwärmerisch veranlagte Gemüter durch solche Träume ganz dahingerissen werden, bis zu vollständiger Verkennung des weiten und schwierigen, ja dem menschlichen Vermögen vielleicht ganz verschlossenen Weges, der die Menschheit noch von diesem Ziele trennt!
Wir haben manches gelernt und manches erreicht. Aber die Fabel von Ikarus, der im Uebermute zu hoch flog und sich die Flügel an der Sonne versengte, hat auch für das heutige Geschlecht noch nicht ganz ihre Bedeutung verloren.