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Ludwig Uhland (Die Gartenlaube 1887)

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Textdaten
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Autor: Rudolf von Gottschall
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Titel: Ludwig Uhland
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 278–279
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Ludwig Uhland
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Ludwig Uhland.

Das deutsche Volk hat seine Lieblinge unter den Dichtern: es sind nicht immer diejenigen, aus deren Feder eine lange Reihe von Bänden floß – ein einziges unvergängliches Lied, ein einziges Gedicht von herzgewinnender Schönheit genügt, dem Dichter im Herzen seines Volkes eine sichere Stätte zu bereiten.

Der Sänger, dessen Säkularfeier nicht bloß im Schwabenlande, sondern in ganz Deutschland jetzt festlich begangen wird, gehört zu diesen Auserwählten deutscher Nation; seine Lieder und Balladen leben wie diejenigen Schiller’s im Munde des Volkes, und die Schwesterkünste Musik und Malerei wetteiferten mit einander, aus dem Brunnen dieser Dichtung zu schöpfen für eigene schöne Gebilde.

Ein schlichter Mann war dieser schwäbische Dichter und schlicht sein Leben, und unbequem war jede Feier und Verherrlichung dem Lebenden.

Ludwig Uhland, am 26. April 1787 zu Tübingen geboren, studirte die Rechte auf der Universität seiner Vaterstadt, wurde dann Advokat und Doktor; von 1812 bis 1814 arbeitete er im Bureau des Justizministers. Die Befreiungskriege, welche in allen Herzen den patriotischen Schwung geweckt hatten, begeisterten auch seine Muse, gleichzeitig der Kampf für Verfassung und Volksrechte, der damals in allen deutschen Staaten entbrannte. Seitdem hat sich Uhland’s Wirksamkeit nach zwei Seiten hin getheilt: er war Politiker und Gelehrter. Seine Neigung trieb ihn zum Studium altgermanischer und altfranzösischer Ueberlieferungen. Wie seine Schriften zur „Geschichte der Dichtung und Sage“ beweisen, hat er sich mit Eifer und Erfolg diesen Studien hingegeben; er hat über Walther von der Vogelweide, über das altfranzösische Epos, über die nordische Sagenlehre vom Thor geschrieben und eine Sammlung „alter hoch- und niederdeutscher Volkslieder“ herausgegeben. Im Jahre 1829 war er zum außerordentlichen Professor der deutschen Sprache und Litteratur zu Tübingen ernannt worden, trat aber schon 1833 von dieser Professur zurück, als man, nachdem er zum Abgeordneten für die zweite Kammer gewählt worden, ihn nicht von seiner akademischen Stellung dispensiren wollte. Schon im Jahre 1819 war er von dem Oberamt Tübingen in die Ständeversammlung gewählt worden; ebenso hatte er in den nächstfolgenden Jahren als Abgeordneter einen Sitz darin. Im Landtage von 1833 gehörte er zu den eifrigsten Mitgliedern der konstitutionellen Opposition, verzichtete aber 1839 auf die Wiederwahl. Im Jahre 1848 wurde er in Tübingen zum Mitglied des deutschen Parlaments erwählt, wo er sich der Linken anschloß; er starb in seiner Vaterstadt am 13. November 1862.

Dieser kurze Lebensabriß soll nur Bekanntes den Lesern in die Erinnerung zurückrufen. Uhland’s Thätigkeit als Abgeordneter und gelehrter Forscher ging nicht gleichgültig einher neben seinen dichterischen Schriften. Aus patriotischer Gesinnung flossen viele seiner schwunghaften Lieder, und aus dem Jungbrunnen altdeutscher Volkspoesie schöpfte seine Muse nicht nur Anregung und Begeisterung, sondern auch manchen willkommenen Stoff und die Tonweise, die im Herzen des Volles Wiederhall finden sollte, wie sie ihn früher gefunden hatte. Ludwig Uhland ist ein deutscher Volkssänger, aber durch edle Fassung und Haltung himmelweit von allen Bänkelsängern verschieden: er hat zuerst die Selbstherrlichkeit des deutschen Liedes verkündet:

„Singe, wem Gesang gegeben,
In dem deutschen Dichterwald!“

Das Lied aus Volksmund hat sein gutes Recht neben dem Lied der Begabten der gefeierten Sangesmeister:

Nicht an ein’ge stolze Namen
Ist die Liederkunst gebannt;
Ausgestreuet ist ihr Samen
Ueber alles deutsche Land.

Heilig achten wir die Geister,
Aber Namen sind uns Dunst;
Würdig ehren wir die Meister,
Aber frei ist uns die Kunst.“

Uhland selbst aber zählt zu diesen Meistern, welche das Volkslied geadelt haben. Nicht jeder Singsang sollte, wie oft mißbräuchlich angenommen worden, mit jenen weihevollen Versen gerechtfertigt werden, auch die freie Kunst müßte doch immer eine Kunst bleiben. In seinen „Gedichten“, deren erste Auflage im Jahre 1815 erschien, während jetzt schon die sechzigste Auflage derselben vorliegt, hat er das Volkslied, dessen Herold er war, als Meister gepflegt. Seine Lieder und Naturbilder sind stimmungsvoll, dabei gefällig, kurz und schlicht, wie es das Volkslied verlangt. Wir sind gleich dort, wohin uns der Dichter führen will; er bedarf keiner weiten Wege; wir empfinden mit ihm, wir sehen mit seinen Augen, mögen wir mit ihm die sanften Tage der ersten Frühlingszeit begrüßen oder die Winterreise machen bei kaltem Wetter und trüber Sonne. Als Blumenmaler giebt er nie einen todten Abdruck aus einem botanischen Herbarium: er beseelt seine Blumen durch die Sprache der Empfindung. Und wenn er vielfach in diesen stillen Klängen an Goethe’s Liederdichtung erinnert, so erinnert er an die Schiller’sche Poesie, wenn er begeisterte Vaterlandslieder dichtet und als Anwalt der Volksrechte in feurigen Versen auftritt.

Doch würde Uhland durch seine anmuthenden, sich sanft einschmeichelnden Lieder kaum ein gefeierter Lieblingsdichter unseres Volkes geworden sein, wenn ihm nicht der große Wurf auf dem Gebiete der Ballade gelungen wäre. Dieser große Wurf heißt „Des Sängers Fluch“, ein meisterliches Gedicht, das allein dem Namen des Dichters eine schöne Unvergänglichkeit sichert. Hier [279] ist neben der sanften Stimmenführung der andern Uhland’schen Balladen eine markige Kraft und ein dramatisches Leben bei hinreißendem Wohllaut der Sprache und der Verse: dieses Juwel ist das glänzendste in Uhland’s Dichterkrone. Daneben aber funkeln andere Balladen als kleinere Edelsteine, zum Theil leuchtend im Wiederschein mittelalterlicher Minnepoesie; ihre Helden sind in weichen Umrissen gehalten, eine sanfte träumerische Beleuchtung umschwebt diese Ritter und Sänger, Heldenkönige und Jungfräulein; sie ziehen uns an mit geheimem Zauber und ihr Bild fesselt die Empfindung und die Phantasie. Einige dieser Balladen, wie „Der weiße Hirsch“ und „Graf Eberstein“ haben neckisch schalkhafte Pointen; in „Graf Eberhard der Rauschebart“ ist ein vollerer Ton angeschlagen und aus der breiter einherwogenden Nibelungenstrophe heben sich die Gestalten markiger und plastischer hervor.

Mit allen diesen Liedern und Balladen ist schon unsere Jugend vertraut; wir wollen sie hier weder zergliedern noch beurtheilen; wir wollen sie nur wie Blumen am Festtage zu einem schönen Kranze flechten für das Haupt des gefeierten Dichters. Weniger bekannt sind seine dramatischen Dichtungen „Ernst von Schwaben“ und „Ludwig der Baier“; selten nur sind sie auf deutschen Bühnen gegeben worden, herausgeboren aus warmem Vaterlandsgefühl athmen sie den Schiller’schen Geist und schlagen im sprachlichen Ausdruck einen verwandten Ton an.

Gehört der Dichter auch dem ganzen deutschen Volke an, so wurzelt er doch im Boden seiner engeren Heimath. Justinus Kerner nennt die Natur die Meisterin der schwäbischen Dichterschule, nachdem er die Schönheiten Schwabens, die lichten Wolken, das dunkle Waldrevier, die Berge voll Reben, den blauen Neckar und die epheuumrankten Burgen seines Vaterlandes mit Begeisterung gepriesen. Das innige Naturgefühl Uhland’s fand hier ernste und dauernde Anregung. Und diese Natur, sonnig durchlichtet und durchleuchtet, spiegelt sich in seinen Gesängen wieder. Auch die Gestalten der Geschichte und Sage, welche seine Muse heraufbeschwor, mochte auch ein sanftes abendröthliches Licht sie umfließen, verloren sich nirgends in geheimnißvolle Dämmerung oder unergründliches Dunkel. Die Romantiker des märkischen Sandes beschworen die mondbeglänzte Zaubernacht des Mittelalters herauf, in welcher schattenhaft ihre Gestalten vorüberzogen und allerlei Kobolde und gespenstige Nachtgeister ihr unholdes Wesen trieben: sonnenhell ist das Mittelalter, welches Uhland besingt; vieles daraus schimmert in goldigem Glanze; krystallklar ist der Becher, in dem er uns den edeln Wein seiner Dichtung kredenzt.

Doch Uhland’s Muse hatte auch einen warmen Pulsschlag, wo es das nationale Leben der Gegenwart galt. Es liegt im schwäbischen Volksstamme eine kernige Eigenart – und auch diesen Zug finden wir bei Uhland in dem Festhalten an Ueberzeugungen, die ihm in Fleisch und Blut übergegangen, in der Unerschütterlichkeit der Gesinnung. Frei von aller Renommage, sanft und still, aber fest: das war die Devise seines Lebens, seiner Dichtung. Wir würden vergebens bei ihm überströmende Ergüsse einer politischen Lyrik suchen; gleichwohl ist er ein Vorläufer derselben; er hat in einigen kräftigen und schlagenden Versen Losungen ausgegeben, die einen Nachhall gefunden bei der Nation und den Dichtern eines jüngeren Geschlechtes.

So erinnert sich das deutsche Volk des edeln schwäbischen Sängers an seinem Säkulartage mit dankbarer Hingebung, eingedenk der Goethe’schen Verse:

„So feiert ihn! Denn was dem Mann das Leben
Nur halb ertheilt, soll ganz die Nachwelt geben!“

Rudolf von Gottschall.