Lieder einer Verlorenen/In der Irre
Ueber der dummen kurzen Komödie
Sind ernste lange Jahre vergangen;
Es ward eine dumme lange Tragödie
Und heiße Thränen durchfurchten die Wangen,
Als Leib und Seele zusammenbrachen.
Und als ich fortgezogen,
Hab’ ich in der letzten Nacht
Der Straße, wo er wohnte,
Hab’ angesehen die Steine,
Die oft sein Fuß betritt,
Und dachte, wär’ ich reich,
Ich nähme sie alle mit.
Und wußte selbst nicht wie,
Und hin bis an das Thor –
Dort sank ich auf die Knie’.
Ich sah empor zum Fenster
Ich habe mit heißer Lippe
Die Stufen am Thore geküßt.
Ja selbst die kalte Mauer
Berührte mein brennender Mund;
Denn an mich hinan sprang sein Hund.
Und er stand hinter mir;
Ich sah ihn schweigend an.
Da fragte er mich lächelnd,
Dies Lächeln war vernichtend,
Ich rang nach einem Wort;
Dann sagte ich kaum hörbar:
„Herr, morgen geh’ ich fort.“
Das mich so elend gemacht:
„Ich wünsche glückliche Reise –
Und mithin gute Nacht.“
Evoe! Es klingen die Becher;
Wilder, brünstiger klammern sich fest
Zum lüsternen Tanze die lüsternen Leiber.
Evoe! Die trunkene Lust
Kann uns der Himmel nimmer geben:
Evoe! – Dieses wüste Leben!
Es rauscht und schwirrt das Saitenspiel;
Sie faßten mich an zum Tanz.
Hei, wie der bachantische Kreis sich schwang
Sie preßten mir in die Hand ein Glas,
Bekränzten mit Rosen mein Kleid;
Ich ward in Bachus Namen getauft
Und der Frau Venus geweiht.
Im Wagen bin gesessen,
Da sagte man mir lächelnd:
So wirst du ihn vergessen.
Ist dein Leben freudenleer –
Ist das Herz von Gram dir schwer –
Trink’ Champagner!
Spotten die Menschen um dich her –
Trink’ Champagner!
Trink’ Champagner!
Trink’ Champagner! Es bannt die Trauer
Der leichte Franzose, der rosig glüht,
Jagt die sentimentalen Grillen
Die lustigen Champagnergeister
Die drehen mich jetzt im Kreis
Und im Kopfe summt mir
Eine seltsam wirbelnde Weis’.
Auch gar so wunderlich;
Doch das allergrößte Uebel
Ist, daß ich denk’ an Dich!
Sie glauben, daß ich betrunken sei
O hütet euch, gerad’ im Rausch
Erwachen die bösen Grillen.
Denn wenn ich’s recht toll getrieben,
Getobt, mich heiser gesungen:
Meine bösen Erinnerungen.
Wie man im Rausch noch denken kann?
Ihr meint wohl, daß die Gedanken,
So wie die matten, schweren Füße
Mein Leben ist ein langer Rausch,
Und weil ich darin gar viel gedacht,
So hat mich das viele Denken
Zuletzt noch nüchtern gemacht.
Und mich beinahe todt gesehnt;
Ich kam zurück zu ihm –
Und habe mich glücklich gewähnt.
Drei Stunden stand ich vor dem Thor
Und holte mir einen Schnupfen
Und Husten so zum Spaß.
In später Nacht kam er nach Haus
Und lud mich mit Müh’ nur ein;
Von schlechtem Ofnerwein.
Dann sprach er von seinem Windspiel,
Daß es kein schön’res gibt;
Und dann von einer Todten,
Wir gingen plaudernd zu Bette,
Er schlief sehr bald auch ein;
Ich aber mußte noch lange,
Sehr lange wach noch sein.
Goß über den Schläfer sein Licht
Und sah, wie ich weinend küßte
Des blassen Mannes Gesicht.
Ich hab’ einen schönen Traum geträumt
Da warst du gut und freundlich mit mir,
Doch hat’s mich traurig gemacht.
Du hieltest mich an die Brust gedrückt,
Unser Athem hat sich vereint;
Und leise dabei geweint.
Du legtest die Hände mir auf’s Haupt
Und sahst mich forschend an;
Ich aber weinte immer fort,
„Und hab’ ich dir auch Leides gethan,
Vergiß es nur geschwind
Und weine nicht“ – so sprachest du –
„Mein armes verlorenes Kind!“
Ich will dich hegen und pflegen,
Und weil du bald stirbst, so will ich
Dich selbst zur Ruhe legen.“ –
Ich aber weinte immer fort
Und bin im Arm eines Andern
Am Morgen aufgewacht.
Alle Herzen, alle Menschen
Hatten sich von mir gewandt,
Meinen Namen bald genannt.
Da kam Einer, sah in’s Antlitz,
In das thränenblasse mir:
„Unter Schweinen,“ sprach er traurig,
Die Luft ist wie verpestet,
Vergiftet, was ich seh’,
Und alle Blicke sind Dolche
Und jedes Wort ein Weh.
Erkennen mich nimmermehr;
Von Allen aber, von Allen
Verkennt mich am meisten er!
Und würd’ ich’s ihm erzählen,
Er würde auch dann noch lachen
Und ich – ich wäre todt!
Und bist Du auch so höhnisch mit mir,
Und siehst du mich auch nicht gern,
Als ständ’ ich dir nicht so fern.
Als wären deine Gedanken
Dennoch öfter bei mir;
Und wenn ich so denke und sinne,
Ich stehe zitternd vor deinem Haus,
Mir ist, du müßtest mich holen;
Doch Niemand kommt und Niemand ruft –
Und weinend enteil’ ich verstohlen.
Wenn ich so seufze und schwärme
Und tugendhaft und thränenreich
Leib und Seele hinunter härme.
Das Gestern mag vergessen sein
Das Heut’ ist mein – und dieser Wein
Vergessen macht das Morgen.
Lebend unter Niedern und Rohen
Zieht’s mich mächtig empor zum Hohen;
Sink’ ich auf’s neue herab zum Gemeinen.
Müde des Eklen und Kleinen
Eil’ ich zu Orgien aus bitterer Noth –
Und so, begeistert vom Reinen,
Daß im Herzen mir erstorben
Alle, alle guten Keime,
Daß vom Laster überfluthen
Meine Worte, meine Reime;
Wüste Leidenschaften toben:
Menschen, das verdank’ ich euch!
Teufel müssen euch belohnen!
Es giebt viel Elend in der Welt,
An allen Ecken und Enden hallt
Der Aufschrei großer Schmerzen.
Ein Elend aber kenne ich –
Es kann kein größ’res geben;
Es heißt: verfehltes Leben.
Hab’ oft nicht zurecht mich gefunden
Da draußen im Gedränge,
Und oft auch wieder wurde
Dann liebt’ ich schnell und lebte schnell
Und schürte mein Verderben;
Der Pöbel johlte – ich lachte
Zu meinem lustigen Sterben.
Ich bin schon, die ihr sucht:
Das Wunderthier, das, noch so jung,
Die ganze Welt schon verflucht.
Doch fürchtet euch nicht, ich bin kein Thier,
Ich bin ein armes Wesen nur,
Das von seinem Elend singt.
Als ich, mit der Welt zerfallen,
Schweigend ging umher,
Was quälet dich so sehr?
Ich sagte ihnen die Wahrheit;
Sie haben sich fortgedrückt
Und hinter meinem Rücken
Ich kam mit Thränen und wollte büßen,
Was ich und Andere verschuldet;
Sie aber traten stolz mit Füßen
Das Herz, das schon so viel erduldet.
Die mich entrüstet mit Geißelhieben
So tugend-dumm und weiblich-nieder
Von neuem stets in’s Elend trieben.
Was drängt die bunte Menge
Es ist ein junges Mädchen
Mit Zügen krampfhaft wild.
Ihr alten eitlen Gecken
Drängt euch nicht so nahe hin,
Den abgestumpften Sinn.
Seht hinter euch – o sehet!
Dort an der dunkelsten Stell’
Lehnt bleich, ohnmächtig von Hunger,
Ich habe mich zu erhängen gesucht:
Der Strick ist abgerissen.
Ich bin in’s Wasser gesprungen:
Sie erwischten mich bei den Füßen.
Man hat mich noch gerettet.
Ich sprang auch einmal zum Fenster hinaus:
Weich hat der Sand mich gebettet.
Den Teufel! ich habe nun alles versucht,
Nun werd’ ich wieder zu leben versuchen:
Vielleicht kann ich dann sterben.
Komödianten ziehen vorüber,
Wüst verwitterte Gestalten
Lügnerisch verschminkten Falten.
Dieses übertünchte Elend
Diese rohe Prahlerei
Ist doch einmal etwas Neues
Nehmt mich mit! Ich will das spielen,
Was mich Welt und Liebe lehrte,
Und ihr sollt euch wundern, Leute,
Wie mein Elend ich verwerthe!
Ach, Kleine, ich seh’ dein Ringen:
Du bist so elend und mußt lachen;
Ich hör’ die Thränen kichernd klingen,
Ich seh’ Begeist’rung mit Verzweiflung streiten –
Lachend sterben, sterbend lachen
Ist ein herzzerreißend Spiel!
Moderne Zigeuner,
Wüste Gesellen,
Die ringen
Und wandern
Und suchen –
Doch immer vergebens!
Mit halbem Wissen
Todtkrankem Herzen. –
Und immer hinaus, immer weiter!
Nach außen keck,
Den Rücken zerschlagen von der Hand,
An die sie vertrauend sich geklammert!