Lichtenstein/Zweiter Teil/XI
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„– – Wie du nun so ganz
Verlassen da stehst und so ganz entblößt,
Und wie nun ich, dein einz’ger Lehensmann,
Der einz’ge bin, der dich noch Herzog nennt,
Und wie nun mir allein die Ehre bleibt,
Dir Dienst zu leisten bis zum letzten Hauch.“
L. Uhland.[1]
Auch Georg hatte erwartungsvoll hingesehen. Er musterte mit schnellem Blick die Eintretenden; in dem einen erkannte er sogleich den Pfeifer von Hardt, der andere war – jener Krämer, den er in der Herberge von Pfullingen gesehen hatte. Der letztere warf seinen Pack, den er auf dem Rücken getragen, ab, riß das Pflaster weg, womit er ein Auge bedeckt hatte, richtete sich aus seiner gebückten Stellung auf und stand nun als ein untersetzter, starkgebauter Mann, mit offenen, kräftigen Zügen vor ihnen.
[281] „Marx Stumpf!“ rief der Geächtete mit dumpfer Stimme, „wozu diese finstere Stirne? Du bringst uns gute Botschaft! nicht wahr, sie wollen uns das Pförtchen öffnen, sie wollen mit uns aushalten bis auf den letzten Mann?“
Marx Stumpf von Schweinsberg warf einen bekümmerten Blick auf ihn. „Machet Euch auf Schlimmes gefaßt, Herr!“ sagte er. „Die Botschaft ist nicht gut, die ich bringe.“
„Wie“, entgegnete jener, indem die Röte des Zornes über seine Wangen flog und die Ader auf seiner Stirne sich zu heben begann; „wie, du sagst, sie zaudern, sie schwanken? Es ist nicht möglich; sieh’ dich wohl vor, daß du nichts Übereiltes sagst; es ist der Adel des Landes, von dem du sprichst.“
„Und dennoch sage ich es“, antwortete Schweinsberg, indem er einen Schritt weiter vortrat; „im Angesicht vor Kaiser und Reich will ich es sagen, sie sind Verräter.“
„Du lügst!“ schrie der Vertriebene mit schrecklicher Stimme. „Verräter, sagst du? du lügst. Wie wagst du es, vierzig Ritter ihrer Ehre zu berauben? Ha! gestehe, du lügst.“
„Wollte Gott, ich allein wäre ein Ritter ohne Ehre, ein Hund, der seinen Herrn verläßt. Aber alle vierzig haben ihren Eid gebrochen, Ihr habt Euer Land verloren, Herr Herzog! Tübingen ist über.“
Der Mann, dem diese Rede galt, sank auf einen Stuhl am Fenster; er bedeckte sein Gesicht mit den Händen, seine Brust hob und senkte sich, als suche sie vergeblich nach Atem, und seine Arme zitterten.
Die Blicke aller hingen gerührt und schmerzlich an ihm. Vor allen Georgs, denn wie ein Blitz hatte der Name des Herzogs das Dunkel erhellt, in welchem ihm bisher dieser Mann erschienen war. Er war es selbst, es war Ulerich von Württemberg! In einem schnellen Fluge zog es an seiner Seele vorüber, wie er diesen Gewaltigen zuerst getroffen, wie er ihn tief in der Erde Schoß besuchte, welche Worte jener zu ihm gesprochen, wie sein ganzes Wesen ihn schon damals überrascht und angezogen hatte; es war ihm unbegreiflich, daß er nicht längst schon von selbst auf diese Entdeckung gekommen war.
[282] Eine geraume Weile wagte niemand das Schweigen zu brechen. Man hörte nur die tiefen Atemzüge des Herzogs und das Winseln seines treuen Hundes, der sein Unglück zu kennen und zu teilen schien. Endlich winkte Lichtenstein dem Ritter von Schweinsberg, sie traten zu Ulerich, sie faßten sein Gewand und schienen ihn erwecken zu wollen; er blieb unbeweglich und stumm. Marie hatte weinend in der Ferne gestanden, sie nahte sich jetzt mit unsicheren, zagenden Schritten, sie legte ihre schöne Hand auf seine Schulter, sie blickte ihn bange an, sie faßte sich endlich ein Herz und flüsterte: „Herr Herzog! hie ist noch gut Württemberg alleweg!“
Ein tiefer Seufzer löste sich aus seiner gepreßten Brust, aber seine Hände drückten sich fester auf die Augen, er sah nicht auf. Jetzt nahte auch Georg. Unwillkürlich kam ihm der heldenmütige Ausdruck dieses Mannes in die Seele, jene gebietende Erhabenheit, die er ihm, als er ihn zum erstenmal gesehen, gezeigt hatte; jedes Wort, das er damals gesprochen, kehrte wieder, und der junge Mann wagte es, zu ihm zu sprechen: „Warum so kleinmütig, Mann ohne Namen?
Si fractus illabatur orbis,
Impavidum ferient ruinae!“
Wie ein Zauber wirkten diese Worte auf Ulerich von Württemberg. Sei es dieser sein Wahlspruch, sei es jene Mischung von Seelengröße, Trotz und wahrer Erhabenheit über das Unglück, was ihm bei seinen Zeitgenossen den Namen „des Unerschrockenen“ erwarb, – er zeigte sich von diesem Augenblick an seines Namens würdig.
„Das war das rechte Wort, mein junger Freund“, sprach er zur Verwunderung aller mit fester Stimme, indem er seine Hände sinken ließ, sein Haupt stolzer aufrichtete und das alte, kriegerische Feuer aus seinen Augen loderte; „das war das rechte Wort. Ich danke dir, daß du mir es zugerufen. Tretet vor, Marx Stumpf, Ritter von Schweinsberg, und berichtet mir über Eure Sendung. Doch reiche mir zuvor einen Becher, Marie!“
„Es war letzten Donnerstag, daß ich Euch verließ“, hob der Ritter an; „Hans steckte mich in diese Kleidung und zeigte mir, [283] wie ich mich zu benehmen habe. In Pfullingen kehrte ich ein, um zu probieren, ob man mich nicht kenne, aber die Wirtin gab mir so gleichgültig einen Schoppen, als habe sie den Ritter Stumpf in ihrem Leben nicht gesehen, und ein Ratsherr, den ich noch vor acht Tagen tüchtig ausgescholten hatte, trank mit mir, als hätte ich zeitlebens den Kram auf dem Rücken getragen. Der junge Herr dort war auch in der Schenke.“
Der Herzog schien sich an dieser Erzählung zu zerstreuen; munterer, als man bei so großem Unglück hätte denken sollen, fragte er: „Nun Georg, du hast ihn gesehen; sah er so recht aus wie ein schäbiger, filziger Krämer? Wie?“
„Ich denke, er hat seine Rolle gut gespielt“, antwortete der junge Mann lächelnd.
„Von Pfullingen zog ich abends noch fürbaß bis nach Reutlingen. Dort war in der Weinstube ein ganzer Trieb Bündischer: Augsburger, Nürnberger, Ulmer, alle mögliche Städtler, und jubelierten mit den Reutlingern, daß man die Hirschgeweihen wieder von ihrem Wappen genommen, die Ihr ihnen aufgesetzt habt[Hauff 1]. Sie schimpften und sangen Spottlieder über Euch, die bewiesen, wie sehr sie Euch noch immer fürchten. Am Karfreitag früh ging ich nach Tübingen. Das Herz pochte mir, als ich das Burgholz herunterkam und das schöne Neckarthal vor meinen Blicken lag, und die festen Türme und Zinnen von Tübingen vom Berg herüberragten.“
Der Herzog preßte die Lippen zusammen, wandte sich ab und sah hinaus ins Weite. Der von Schweinsberg hielt inne und blickte teilnehmend auf seinen Herrn, doch jener winkte ihm, fortzufahren.
„Ich stieg hinab ins Thal und wandelte weiter nach Tübingen. Die Stadt war schon seit vielen Tagen von den Bündischen besetzt, und nur wenige Truppen standen mehr im Lager, das sie über dem Ammerthal auf dem Berge geschlagen hatten. Ich beschloß, mich in die Stadt zu schleichen und hinzuhorchen, wie es mit dem Schloß stehe, ehe denn ich auf dem geheimen Wege zur Besatzung ginge. Ihr kennet die Herberge in der oberen Stadt, nicht weit von Sankt Georgenkirche, dort trat ich ein und setzte [284] mich zum Weine. Die bündischen Ritter, so erfuhr ich unterweges, kehrten oft dort ein, daher schien mir dies der beste Platz zu meinem Zweck.“
„Ihr wagtet viel“, unterbrach ihn Herr von Lichtenstein; „wie leicht konnten Leute da sein, die Euch abkaufen wollten, und da wäre der Krämer bald entdeckt gewesen!“
„Ihr vergeßt, daß es Festtag war“, entgegnete jener; „ich hatte also guten Grund, mein Bündel nicht aufzupacken und anzupreisen nach Krämersitte. Doch so leicht wäre ich wohl nicht entdeckt worden, habe ich doch an Georg von Frondsberg ein Büchslein mit Wundbalsam verkauft! Weiß Gott, ich hätte lieber mit ihm gestritten, daß er es gleich hätte brauchen können. – Es war noch das Hochamt in der Kirche, daher war niemand in der Herberge; vom Wirt aber erfuhr ich, daß die Ritter im Schloß einen Waffenstillstand bis Ostermontag früh gemacht haben. Als die Kirche aus war, kamen richtig, wie ich mir gedacht hatte, viele Ritter und Herren in die Herberge zum Frühtrunk. Ich setzte mich in einen Winkel auf die Ofenbank, wie es armen Leuten geziemt in Gegenwart so großer Herren.“
„Wen sahst du dort?“ fragte der Herzog.
„Ich kannte einige, andere erriet ich aus dem Gespräch, das sie führten. Es war Frondsberg, Alban von Closen, die Huttischen, Sickingen und noch viele; bald trat auch der Truchseß von Waldburg ein. Ich zog die Kappe tiefer ins Gesicht, als ich ihn sah, denn er wird noch nicht vergessen haben, wie ich ihn vor fünfzehn Jahren im Lanzenstechen zu Nürnberg von der Mähre warf.“
„Saht Ihr nicht auch den Hauptmann Hans von Breitenstein?“ unterbrach ihn Georg.
„Breitenstein? daß ich nicht wüßte, doch ja, so hieß wohl jener, der den Hammelschlegel auf einem Sitz verzehrte! Jetzt fingen sie an, von der Belagerung zu reden und vom Waffenstillstand. Sie sprachen hin und her, oft flüsterten sie auch untereinander, doch ich habe gute Ohren und vernahm, was mir nicht lieb war. Der Truchseß nämlich erzählte, daß er einen Pfeil in die Burg habe schießen lassen, mit einem Brieflein an Ludwig von Stadion[2]. [285] Es muß dies schon mehrere Mal geschehen sein, denn die Ritter verwunderten sich nicht, als er weiter fortfuhr und sagte, wie er auf demselben Weg eine Antwort erhalten habe.“
Des Herzogs Stirne verfinsterte sich. „Ludwig von Stadion!“ rief er schmerzlich. „Ich hätte Häuser auf ihn gebaut! Er war mir so lieb, ich that ihm alles, was ich ihm an den Augen ansehen konnte – er hat mich zuerst verraten?!“
„Im Brieflein stand, daß er, der Stadion, und noch zwölf andere der Fehde müde seien, auch schon halb und halb willens gewesen; Georg von Hewen[3] aber habe ihnen abgeraten.“
„Um den hab’ ich’s nicht verdient“, sagte Ulerich; „ich war ihm gram, weil er mich oft getadelt hat, wenn ich nicht nach seinem Sinne that. Wie man sich irren kann in den Menschen. Hätte man mich gefragt, wer mich verraten würde und wer dagegen spreche, ich hätte dort den Stadion, hier vielleicht Georg von Hewen genannt!“
„Im Brieflein stand auch noch weiter, daß Euer Durchlaucht vielleicht Entsatz bringen; oder, wenn dies nicht möglich, auf geheimen Wegen in die Burg sich begeben wollen. Die Bündischen sprachen mancherlei hierüber. Sie waren aber darin einig, daß man die Besatzung zu einem Vergleich bringen müsse, ehe Ihr heranrücket oder gar ins Schloß kämet. Denn dann, meinten sie, können sie noch lange belagern müssen. Wie ich nun dies alles hörte, schien es mir nicht geraten, durch den geheimen Weg geradezu in die Burg zu gehen und mich zu entdecken, denn wie leicht konnte Stadion schon die Oberhand gewonnen haben, und dann war ich verraten. Ich beschloß, den Tag noch zu warten; hörte ich bis Samstag früh nichts Schlimmeres über die Besatzung, so wollte ich ins Schloß dringen und Euer Durchlaucht Schreiben übergeben. Ich streifte im Lager und in der Stadt umher, und niemand hielt mich an; auch suchte ich mich immer in der Nähe der Obersten zu halten; so kam der Nachmittag.“
[286] „Das war noch Freitags, an dem Fest?“ fragte Lichtenstein.
„Am heiligen Freitag war’s. Nachmittags um drei Uhr ritt Georg von Frondsberg mit etlichen andern Hauptleuten vor die Stadtpforte an dem Schloß und schrie hinauf, ob sie im Schlosse bauen? Ich stand nicht weit davon und sah, wie Stadion auf den Wall kam und antwortete: ‚Nein; denn es wäre wider den Pakt des Stillstandes; aber ich sehe, daß Ihr im Feld bauet.‘ Georg von Frondsberg rief: ‚So es geschehen, ist es ohne meinen Befehl geschehen; wer bist du?‘ Da antwortete der im Schloß: ‚Ich bin Ludwig von Stadion.‘ Drauf lächelte der Bündische und strich sich den Bart. ‚Ist’s also wie du sagst‘, rief er, ‚so will ich’s wenden‘, ritt zu ein paar Schanzkörben und warf sie um. Dann rief er dem Stadion zu, mit einigen Rittern herabzukommen und miteinander einen Trunk zu thun[Hauff 2].“
„Und sie kamen?“ rief der Herzog; „die Ehrvergessenen kamen?“
„Auf dem Schloßberg vor dem äußersten Graben ist ein Platz, dort sieht man weit ins Land; hinab ins Neckarthal, hinauf die Steinlach, hinüber an die Alb und Zollern, und viele Burgen schmücken die Aussicht. Dorthin ließen sie einen Tisch bringen und Bänke, und die Bundesobersten setzten sich zum Wein. Dann ging das Thor von Hohen-Tübingen auf, die Brücke fiel über den Graben, und Ludwig von Stadion mit noch sechs andern kamen über die Brücke; sie brachten Eure silbernen Deckelkrüge, sie brachten Eure goldenen Becher und Euren alten Wein, sie grüßten die Feinde mit Gruß und Handschlag und setzten sich, besprachen sich mit ihnen beim kühlen Wein.“
„Der Teufel gesegne es ihnen allen!“ unterbrach ihn der Ritter vom Lichtenstein und schüttete seinen Becher aus. Der Herzog aber lächelte schmerzlich und gab Marx Stumpf einen Wink, fortzufahren.
„So thaten sie sich gütlich bis in die Nacht und zechten, bis sie rote Köpfe bekamen und taumelten; ich stand nicht ferne, und keine ihrer verräterischen Reden entging mir. Als sie aufbrachen, nahm der Truchseß den Stadion bei der Hand; ‚Herr Bruder‘, sagte er, ‚in Eurem Keller ist ein guter Wein, lasset uns bald ein, [287] daß wir ihn trinken.‘ Jener aber lachte darüber, schüttelte ihm die Hand und sagte: ‚Kommt Zeit, kommt Rat.‘ Wie ich nun sah, daß die Sachen also stehen, beschloß ich, mit Gott mein Leben dran zu setzen und in die Burg zu den Verrätern zu gehen. Ich ging hinaus bis in die Grafenhalde, wo der kleinere, unterirdische Gang beginnt. Ungesehen stieg ich hinab und drang bis in die Mitte. Dort hatten sie das Fallgatter herabgelassen und einen Knecht hingestellt; er legte an auf mich, als er mich durch die Finsternis kommen hörte, und fragte nach der Losung. Ich sprach, wie Ihr befohlen, das Losungswort Eures tapfern Ahnherrn Eberhards im Bart ‚Atempto‘; der Kerl machte große Augen, zog aber das Gatter auf und ließ mich durch. Jetzt ging ich schnellen Schrittes weiter vor und kam heraus im Keller. Ich schöpfte einige Augenblicke Luft, denn der Atem war mir schier ausgeblieben in dem engen Gang.“
„Armer Marx! geh, trinke einen Becher, das Reden wird dir schwer“, sagte Ulerich; willig befolgte jener das gütige Geheiß seines Fürsten und sprach dann mit frischer Stimme weiter:
„Im Keller hörte ich viele Stimmen, und es war mir, als zanke man sich. Ich ging den Stimmen nach und sah eine ganze Schar der Besatzung vor dem großen Faß sitzen und trinken. Es waren einige von Stadions Partei und Hewen und mehrere der Seinigen. Sie hatten Lampen aufgestellt und große Humpen vor sich; es sah schauerlich aus, fast wie das Femgericht. Ich barg mich in ihrer Nähe hinter ein Faß und hörte, was sie sprachen. Georg von Hewen sprach mit rührenden Worten zu ihnen und stellte ihnen ihre Untreue vor; er sagte, wie sie ja gar nicht nötig haben, sich zu ergeben, wie sie auf lange mit Vorräten versehen seien, wie Euer Durchlaucht ein Heer sammeln werden, Tübingen zu entsetzen, wie eher die Belagerer in Not kommen, als sie.“
„Ha! wackerer Hewen! und was gaben sie zur Antwort?“
„Sie lachten und tranken; ‚Da hat es gute Weile, bis der ein Heer sammelt! wo das Geld hernehmen und nicht stehlen?‘ sagte einer. Hewen aber fuhr fort und sagte, wenn es auch nicht sobald möglich sei, so müssen sie sich doch halten bis auf den letzten Mann, wie sie Euch zugeschworen, sonst handeln sie als Verräter [288] an ihrem Herrn. Da lachten sie wieder und tranken und sagten: ‚Wer will auftreten und uns Verräter nennen?‘ Da rief ich hinter meinem Faß hervor: ‚Ich, ihr Buben, ihr seid Verräter am Herzog und am Land!‘ Alle waren erschrocken, der Stadion ließ seinen Becher fallen, ich aber trat hervor, nahm meine Kappe ab und den falschen Bart, stellte mich hin und zog Euren Brief aus dem Wams. ‚Hier ist ein Brief von eurem Herzog‘, sagte ich; ‚er will, ihr sollet euch nicht übergeben, sondern zu ihm halten; er selbst will kommen und mit euch siegen oder in diesen Mauern sterben.‘“
„O Tübingen“, sagte der Herzog mit Seufzen, „wie thöricht war ich, daß ich dich verließ! Zwei Finger meiner Linken gebe ich um dich, was sage ich, zwei Finger, die Rechte ließ’ ich mir abhauen, könnte ich dich damit erkaufen, und mit der Linken wollte ich dem Bund den Weg zeigen! Und gaben sie nichts, gar nichts auf meine Worte?“
„Die Falschen sahen mich finster an und schienen nicht recht zu wissen, was sie thun sollten. Hewen aber vermahnte sie nochmals. Da sagte Ludwig von Stadion: Ich komme schon zu spät. Achtundzwanzig der Ritterschaft wollen sich der Fehde mit dem Bunde begeben und den Herzog solche allein ausmachen lassen. Komme er wieder mit Heeresmacht ins Land, so wollen sie getreulich zu ihm stehen, aber aufs Ungewisse wollen sie den Krieg nicht fortführen, denn ihre Burgen und Güter werden so lange beschädigt und gebrandschatzt, bis sie nicht mehr gegen den Bund dienen. Ich verlangte nun, sie sollen mich hinaufführen in den Rittersaal, ich wolle versuchen, ob nicht Männer da seien, das Schloß zu halten, ich zählte auf, wen ich noch für treu halte, die Nippenburg, die Gültlingen, die Ow, die beiden Berlichingen, die Westerstetten, die Eltershofen, Schilling, Reischach, Welwart, Kaltenthal, – der von Hewen aber schüttelte den Kopf und sagte, ich habe mich in manchem geirrt!“
„Und Stammheim, Thierberg, Westerstetten, meine Getreuen, hast du sie nicht gesehen?“
„O ja, sie saßen im Keller beim Stadion und tranken Euren Wein. Hinauf wollten sie mich aber nicht lassen. Selbst Hewen, [289] selbst Freiberg und Heideck, die mit ihm waren, rieten ab, sie sagten, die zwei Parteien seien ohnedies schon schwierig gegeneinander, der Stadion habe die Mehrzahl für sich und auch den größten Teil der Knechte. Wenn ich hinaufgehe, komme es im Schloßhof und im Rittersaal zum Kampfe, und es bleibe ihnen als den Geringeren nichts übrig als zu sterben. So gerne sie nun auch für Euch den letzten Blutstropfen aufwenden, so wollen sie doch lieber in der Feldschlacht gegen den Feind fallen, als von ihren Landsleuten und Waffenbrüdern totgeschlagen werden. Da blieb mir nichts übrig, als sie zu bitten, sie möchten sich des Prinzen Christoph und Eures zarten Töchterleins annehmen und ihnen das Schloß bei der Übergabe erhalten. Einige sagten zu, andere schwiegen und zuckten die Achsel, ich aber gab den Verrätern meinen Fluch als Christ und Ritter, sagte fünf von ihnen auf und lud sie zum Kampf auf Leben und Tod, wenn der Krieg zu Ende sei; dann wandte ich mich und ging auf demselben Wege aus der Burg, wie ich gekommen war.“
„Herr Gott im Himmel! hätte ich dies für möglich gehalten“, rief Lichtenstein. „Zweiundvierzig Ritter, zweihundert Knechte, eine feste Burg, und sie doch verraten! Unser guter Name ist beschimpft; noch in späten Zeiten wird man von unserem Adel sprechen, und wie sie ihr Fürstenhaus im Stich gelassen; das Sprüchwort ‚Treu und ehrlich wie ein Württemberger‘ ist zum Hohn geworden!“
„Wohl konnte man einst sagen, treu wie ein Württemberger“, sprach Herzog Ulerich, und eine Thräne fiel in seinen Bart. „Als mein Ahnherr Eberhard einst hinabritt gen Worms und mit den Kurfürsten, Grafen und Herren zu Tische saß, da sprachen und rühmten sie viel vom Vorzug ihrer Länder. Der eine rühmte seinen Wein, der andere sprach von seiner Frucht, der dritte gar von seinem Wild, der vierte grub Eisen in seinen Bergen. Da kam es auch an Eberhard im Bart. ‚Von euren Schätzen weiß ich nichts aufzuweisen‘, sagte er, ‚doch gehe ich abends durch den dunkelsten Wald, und komm’ ich nachts durch die Berge und bin müd’ und matt, so ist ein treuer Württemberger bald zur Hand, ich grüße ihn und leg’ mich in seinen Schoß und schlafe ruhig ein.‘ [290] Des wunderten sich alle und staunten und riefen: ‚Graf Eberhard hat recht‘, und ließen treue Württemberger leben. Geht jetzt der Herzog durch den Wald, so kommen sie und schlagen ihn tot, und leg’ ich meine Treuen in die Burgen, kaum wende ich den Rücken, so handeln sie mit dem Feind. Die Treue soll der Kuckuck holen, – doch fahre fort; gib mir den Kelch bis auf die Hefe, ich bin der Mann dazu, ohne Furcht den Grund zu sehen.“
„Nun, daß ich’s kurz sage, ich hielt mich noch in Tübingen auf, bis ich Gewißheit bekäme wegen der Übergabe. Gestern, am Ostermontag, sind sie zusammengekommen; sie haben die Pakten schriftlich aufgesetzt und nachher durch den Herold auf den Straßen ausrufen lassen, um fünf Uhr abends haben sie das Schloß übergeben. Ihr seid der Regierung förmlich entsetzt. Prinz Christoph, Euer Söhnlein, behält Schloß und Amt Tübingen, doch zu des Bundes Dienst und unter seiner Obervormundschaft, und in das übrige, heißt es, werden sich die Herren teilen. Ich habe viel Jammer erfahren in meinem Leben, ich habe einen Freund im Lanzenstechen umgebracht, ein liebes Kind ist mir gestorben und mein Haus abgebrannt, aber, so wahr mir Gott gnädig sei und seine Heiligen, mein Schmerz war nie so groß als in jener Stunde, wo ich des Bundes Farben neben Euer Durchlaucht Panieren aufpflanzen, als ich ihr rotes Kreuz Württembergs Geweihe und den Helm mit dem Jagdhorn bedecken sah!“
So sprach Marx Stumpf von Schweinsberg. Die Sonne war während seiner Erzählung völlig heraufgekommen, auch an den äußersten Bergen war der Nebel gefallen, und was um die fernen Höhen von Asperg zog, war ein Duft, der wie ein zarter Schleier vom Horizont herabhing und die Gegenden, über welche er sich breitete, nur in noch reizenderem Lichte durchschimmern ließ. Angethan mit dem sanften Grün der Saaten, mit den dunkleren Farben der Wälder, geschmückt mit freundlichen Dörfern, mit glänzenden Burgen und Städten, lag Württemberg in seiner Morgenpracht. Sein unglücklicher Fürst überschaute es mit trüben Blicken. Die Natur hatte ihm einen festen Mut und ein Herz gegeben, das Kummer und Elend nicht zu brechen vermochte; nicht zu jeder Stunde, nicht jedem teilte er seine Empfindungen [291] mit, und wenn ein großes Unglück über ihn kam, pflegte er zu schweigen und zu handeln.
Auch in diesen schrecklichen Momenten, wo mit der letzten festen Burg seine letzte Hoffnung gefallen war, verschloß er einen großen Schmerz in einer tapfern Brust. Wer stand je an dem Sarg einer Mutter und fühlte nicht, wenn er den letzten Blick auf die teuren bleichen Züge, auf den verstummten Mund warf, bittere Empfindungen in sich aufsteigen? Es ist die Reue, was in solchen Augenblicken den Menschen übermannt. Man erinnert sich, wie unendlich viel sie für uns gethan, wie sie uns als Kind so liebreich hegte, wie ihr kein Opfer zu schwer ward, das sie dem Jüngling nicht gebracht hätte. Und wie haben wir vergolten? Wir waren gleichgültig gegen so viele rührende Liebe; wir glaubten, es müsse nun einmal so sein, wir waren sogar undankbar und murrten, wenn nicht alle unsere Wünsche schnell erfüllt wurden, wir verpraßten ihr Gut und achteten nicht auf ihre stillen Thränen.
Jetzt, wo dieses liebevolle Auge uns nicht mehr sieht, wo dieses Ohr auf immer verschlossen ist, das nur auf unsere Wünsche lauschte, wo diese Hände unsern letzten Druck nicht mehr fühlen, diese Hände, die uns mühsam nährten: jetzt bestürmen alle jene Gefühle von Reue, Dankbarkeit, Liebe unsere Brust, deren eines hingereicht hätte in den vorigen Tagen, sie glücklich zu machen!
Ein ähnliches Gefühl der Reue war es, was drückend auf der Brust Ulerichs von Württemberg lag, als er auf sein Land hinabschaute, das auf ewig für ihn verloren schien. Seine edlere Natur, die er oft im Gewühle eines prächtigen Hofes und betäubt von den Einflüsterungen falscher Freunde verleugnet hatte, trauerte mit ihm, und es war nicht sein Unglück allein, was ihn beschäftigte, sondern auch der Jammer des okkupierten Landes.
Als er sich daher nach geraumer Zeit von dem Anblick in die Ferne zu seinen Freunden wandte, staunten sie über den Ausdruck seiner Züge. Sie hatten erwartet, Zorn und Grimm über den Verrat seiner Edlen auf seiner Stirne, in seinen Augen zu lesen, aber es war eine tiefe Rührung, ein stiller, großer Schmerz, [292] was seinen Mienen einen Ausdruck von Milde gab, den sie nie an ihm gekannt hatten.
„Marx! wie verfahren sie gegen das Landvolk?“ fragte er.
„Wie Räuber“, antwortete dieser; „sie verwüsten ohne Not die Weinberge, sie hauen die Obstbäume nieder und verbrennen sie am Wachtfeuer, Sickingens Reiter traben durch das Saatfeld und treten nieder, was die Pferde nicht fressen. Sie mißhandeln die Weiber und pressen den Männern das Geld ab. Schon jetzt murrt das Volk allerorten, und lasset erst den Sommer kommen und den Herbst! Wenn aus den zerstampften Fluren kein Korn aufgeht, wenn auf den verwüsteten Bergen keine Weinbeere wächst, wenn sie erst noch die ungeheure Kriegssteuer, die der Bundesrat umlegen wird, bezahlen müssen, – da wird das Elend erst recht angehen.“
„Die Buben!“ rief der Herzog, und ein edler Zorn sprühte aus seinen Augen; „sie rühmten sich mit großen Worten, sie kämen, um Württemberg von seinem Tyrannen zu befreien, es zu entheben aller Not. Und sie hausen im Lande wie im Türkenkrieg. Aber ich schwöre es, so mir Gott eine fröhliche Urständ[4] gebe und seine Heiligen gnädig sein wollen meiner Seele, wenn keine Saat aufgeht in den verwüsteten Thälern des Neckars und auf seinen Höhen keine Traube reift, ich will kommen und mähen und Garben schneiden – in ihren Gliedern, ich will kommen mit schrecklichen Winzern, will sie treten und keltern und ihr Blut verzapfen. Ich will rächen, was sie an mir und meinem Land gethan, so mir der Herr helfe.“
„Amen!“ sprach der Ritter vom Lichtenstein. „Aber ehe Ihr hereinkommt, müßt Ihr auf gute Art hinaus sein aus dem Land. Es ist keine Zeit zu verlieren, wenn Ihr ungefährdet entkommen wollet.“
Der Herzog sann eine Weile nach und antwortete dann: „Ihr habt recht, ich will nach Mömpelgard; von dort aus will ich sehen, ob ich so viele Mannschaft an mich ziehen kann, um einen Einfall in das Land zu wagen. Komm her, du treuer Hund, du [293] wirst mir folgen ins Elend der Verbannung. Du weißt nicht, was es heißt, die Treue brechen und den Eid vergessen.“
„Hier steht noch einer, der dies auch nicht kennt“, sagte Schweinsberg und trat näher zu dem Herzog. „Ich will mit Euch ziehen nach Mömpelgard, wenn Ihr meine Begleitung nicht verschmähet.“
Aus den Augen des alten Lichtenstein blitzte ein kriegerisches Feuer. „Nehmt auch mich mit Euch, Herr!“ sagte er. „Meine Knochen taugen freilich nicht mehr viel, aber meine Stimme ist noch vernehmlich im Rat.“
Marie sah mit leuchtenden Blicken auf den Geliebten, über die Wangen Georgs von Sturmfeder zog ein glühendes Rot, sein Auge leuchtete vom Mut der Begeisterung. „Herr Herzog!“ sagte er. „Ich habe Euch meinen Beistand angetragen in jener Höhle, als ich nicht wußte, wer Ihr wäret, Ihr habt ihn nicht verschmäht. Meine Stimme gilt nicht viel im Rat, aber könnet Ihr ein Herz brauchen, das recht treu für Euch schlägt, ein Auge, das für Euch wacht, wenn Ihr schlafet, und einen Arm, der die Feinde von Euch abwehrt, so nehmt mich auf und lasset mich mit Euch ziehen!“
Alle jene Empfindungen, die ihn zu dem Mann ohne Namen gezogen hatten, loderten in dem Jüngling auf, sein Unglück und die erhabene Art, wie er es trug, vielleicht auch jener aufmunternde Blick der Geliebten, erhöhten diese Flammen zur Begeisterung und zogen ihn zu den Füßen des Herzogs ohne Land.
Der alte Herr von Lichtenstein blickte mit stolzer Freude auf seinen jungen Gast, gerührt sah ihn der Herzog an und bot ihm seine Hand, hob ihn auf von den Knieen und küßte ihn auf die Stirne.
„Wo solche Herzen für uns schlagen“, sagte er, „da haben wir noch feste Burgen und Wälle und sind noch nicht arm zu nennen. Du bist mir lieb und wert, Georg von Sturmfeder, du wirst mich begleiten, mit Freuden nehme ich deine treuen Dienste an. Marx Stumpf von Schweinsberg; dich brauche ich zu wichtigerem Geschäft als meinen Leib zu decken. Ich werde dir Aufträge geben nach Hohentwiel und der Schweiz; Eure Begleitung, [294] guter Lichtenstein, kann ich nicht annehmen. Ich ehre Euch wie einen Vater, Ihr habt getreu an mir gehandelt, Ihr habt mir allnächtlich Eure Burg geöffnet; ich will’s vergelten. Wenn ich mit Gottes Hülfe wieder ins Land komme, soll Eure Stimme die erste sein in meinem Rat.“
Sein Auge fiel auf den Pfeifer von Hardt, der demütig in der Ferne stand: „Komm her, du getreuer Mann!“ rief er ihm zu und reichte ihm seine Rechte, „du hast dich einst schwer an Uns verschuldet, aber du hast treu abgebüßt, was du gefehlt.“
„Ein Leben ist nicht so schnell vergolten“, sagte der Bauer, indem er düster zum Boden blickte, „noch bin ich in Eurer Schuld, aber ich will sie zahlen.“
„Gehe heim in deine Hütte, so ist mein Wille; treibe deine Geschäfte wie zuvor, vielleicht kannst du Uns treue Männer sammeln, wenn Wir wieder ins Land kommen. Und Ihr, Fräulein! wie kann ich Eure Dienste lohnen? Seit vielen Nächten habt Ihr den Schlaf geflohen, um mir die Thüre zu öffnen und mich zu sichern vor Verrat! Errötet nicht so, als hättet Ihr eine große Schuld zu gestehen; jetzt ist es Zeit zu handeln. Alter Herr“, wandte er sich zu Mariens Vater; „ich erscheine als Brautwerber vor Euch, Ihr werdet den Eidam nicht verschmähen, den ich Euch zuführe?“
„Wie soll ich Eure Reden verstehen, gnädigster Herr“, sagte der Ritter, indem er verwundert auf seine Tochter sah.
Der Herzog ergriff Georgs Hand und führte ihn zu jenem. „Dieser liebt Eure Tochter, und das Fräulein ist ihm nicht abhold, wie wäre es, alter Herr, wenn Ihr ein Pärlein aus ihnen machtet? Zieht nicht die Stirne so finster zusammen, es ist ein ebenbürtiger Herr, ein tapferer Kämpe, dessen Arm ich selbst versuchte, und jetzt mein treuer Geselle in der Not.“
Marie schlug die Augen nieder, auf ihren Wangen wechselte hohe Röte mit Blässe, sie zitterte vor dem Ausspruch des Vaters. Dieser sah sehr ernst auf den jungen Mann: „Georg“, sagte er, „ich habe Freude an Euch gehabt seit der ersten Stunde, daß ich Euch sah; sie möchte übrigens nicht so groß gewesen sein, hätte ich gewußt, was Euch in mein Haus führte.“
[295] Georg wollte sich entschuldigen, der Herzog aber fiel ihm in die Rede: „Ihr vergesset, daß ich es war, der ihn zu Euch schickte mit Brief und Siegel, er kam ja nicht von selbst zu Euch; doch was besinnet Ihr Euch so lange? Ich will ihn ausstatten wie meinen Sohn, ich will ihn belohnen mit Gütern, daß Ihr stolz sein sollet auf einen solchen Schwiegersohn.“
„Gebt Euch keine Mühe weiter, Herr Herzog“, sagte der junge Mann gereizt, als der Alte noch immer unschlüssig schien. „Es soll nicht von mir heißen, ich habe mir ein Weib erbettelt und ihrem Vater mich aufdrängen wollen; dazu ist mein Name zu gut.“ Er wollte im Unmut das Zimmer verlassen, der Ritter von Lichtenstein aber faßte seine Hand, „Trotzkopf!“ rief er, „wer wird denn gleich so aufbrausen, da, nimm sie, sie sei dein, aber – denke nicht daran, sie heimzuführen, so lange ein fremdes Banner auf den Türmen von Stuttgart weht. Sei dem Herrn Herzog treu, hilf ihm wieder ins Land zu kommen, und wenn du treulich aushältst: am Tag, wo ihr in Stuttgarts Thore einzieht, wo Württemberg seine Fahnen wieder aufpflanzt und seine Farben von den Zinnen wehen, will ich dir mein Töchterlein bringen, und du sollst mir ein lieber Sohn sein!“
„Und an jenem Tag“, sprach der Herzog, „wird das Bräutchen noch viel schöner erröten, wenn die Glocken tönen von dem Turme und die Hochzeit in die Kirche ziehet! Dann werde ich zum Bräutigam treten und zum Lohn fordern, was mir gebührt. Da, guter Junge! gib ihr den Brautkuß, es ist zu vermuten, daß es nicht der erste ist, herze sie noch einmal, und dann gehörst du mein bis an den fröhlichen Tag, wo wir in Stuttgart einziehen. Lasset uns trinken, ihr Herren, auf die Gesundheit des Brautpaars.“
Auf Mariens holden Zügen stieg ein Lächeln auf und kämpfte mit den Thränen, die noch immer aus den schönen Augen perlten. Sie goß die Becher voll, und kredenzte den ersten dem Herzog mit so dankbaren Blicken, mit so lieblicher Anmut, daß er Georg glücklich pries und sich gestehen mußte, manch anderer machte um solchen Preis selbst sein Leben wagen.
Die Männer ergriffen ihre Becher und erwarteten, daß ihnen [296] der Herzog einen guten Spruch dazu sagen werde nach seiner Weise. Aber Ulerich von Württemberg warf einen langen Abschiedsblick auf das schöne Land, von dem er scheiden mußte, einen Augenblick wollte sich eine Thräne in seinem Auge bilden, er wandte sich kräftig ab. „Ich habe hinter mich geworfen“, sagte er, „was mir einst teuer war, ich werde es wiedersehen in besseren Tagen. Doch hier in diesen Herzen besitze ich noch Länder. Beklaget mich nicht, sondern seid getrosten Mutes, wo der Herzog ist und seine Treuen: Hie gut Württemberg allewege!“
- ↑ „Ernst, Herzog von Schwaben“. 2. Aufzug, gegen Ende.
- ↑ Ludwig von Stadion war der Oberhauptmann von Ulrichs Heer
- ↑ Freiherr Georg von Hewen (oder Höwen) und Marx Stumpf von Schweinsberg waren bei der Belagerung von Tübingen unter 40 Edlen die einzigen, die am Herzog nicht zu Verrätern wurden.
- ↑ Auferstehung.
Anmerkungen (Hauff)
- ↑ [299] Drei Hirschgeweihe, wovon die zwei obersten vier, das untere aber drei Enden hat, sind das alte Wappen von Württemberg.
- ↑ [299] „Der Tüfell gsegen jn allen“, sind die Worte des Chronisten Stumphardt, die ihm unwillkürlich entschlüpfen, indem er die Unterhandlung der Ritter „bei’m kielen Wein“ beschreibt.
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