Zum Inhalt springen

Lettische Volkslieder und Mythen/Sonne und Mond

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Kurlands Preis Lettische Volkslieder und Mythen
von Victor von Andrejanoff
Gott und Teufel
{{{ANMERKUNG}}}
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
[48]
138.
Sonne und Mond.

Untreu wurde Mond der Sonne,
Suchte bei der Sonnentochter,
Seinem wunderschönen Stiefkind,
Streng verbotner Liebe Glück;
Denn dem jungen Morgensterne
War versprochen schon das Mädchen,
Und der Himmelsherrscher Pehrkon
Heischte ihren Ehebund.

Eines Morgens früh erwachte
Mutter Sonn’, und fand allein sich
Auf dem Purpurwolkenlager,
Ganz allein, getrennt vom Gatten.
Zitternd, zwischen Zorn und Kummer
Schwankend, teilte sie den goldnen
Vorhang ihres Himmelsbettes.

[49]

Spähte sorgend in die Ferne.
Sieh! Auf weißem Nebelpfade
Stieg das Liebespaar gerade
Nieder zu der dunkeln Erde.

Fest umschlungen hielt der falsche
Mond die schöne Sonnentochter,
Die sich willig des Verführers
Süßer Überredung hingab.

Zornesbebend sprang Frau Sonne,
Blutig leuchtend jetzt vom Lager,
Rief mit Klagen, rief mit Fluchen
Pehrkons Rat und Hilfe an.

Und der Donnrer schwang aufs graue
Wolkenroß die mächtigen Glieder,
Schwang ums Haupt sein großes Schlachtschwert
Blitze sprühend auf die Erde,
Ritt im Sturme, sausend, brausend.
Den verliebten Flücht’gen nach.

Furchtbar traf den Mond das Schlachtschwert.
Spaltet’ ihn, daß seine Scheibe
Ward entstellt zur schmalen Sichel,
Furchtbar traf die Sonuentochter
Pehrkons Fluch: „Sei ausgestoßen
Aus dem Kreis der sel’gen Götter.
Die du Pflicht und Scham vergessen!

Auf die arme Erde bann’ ich,
Falsche, dich, – dort magst dein Leben
Du in Feuersflammen fristen.
Brennen in des Knechtes Stube,
Auf dem Herd des Ackerpflügers!“

Seit dem Tage sehn als Sichel
Wir den Mond am Himmel droben,
Seit dem Tag irrt Sonnentochter
Unten auf der armen Erde. …

(Nach einem lettischen Märchen.)