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Kaiser Friedrich II. Der Wegbereiter der Renaissance/VIII. Der Mythus vom Kaiser Friedrich

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Kaiser Friedrich II. Der Wegbereiter der Renaissance
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VIII. Der Mythus vom Kaiser Friedrich

Er, der mit vollen Zügen die belebende Luft des frischen, prangenden Morgen der Renaissance einsog, der schwärmerische Cola di Rienzo mit den Feueraugen und der Glutseele, erschien seinem großen Lobredner Petrarca als Träger der Zukunftshoffnungen seiner Tage. Ein goldenes Zeitalter der Gerechtigkeit, des Friedens, der Freiheit, das dereinst, wie der große Humanist mit Dante und vielen seiner Zeitgenossen wähnte, in der Ära des Augustus Wirklichkeit [77] gewesen war, erwartete er von diesem in der Größe der alten Roma wiedergeborenen verzückten Poeten im Gewande des Tribunen. Und wie Vergil Roms ersten Imperator als göttergleichen Messiasknaben in seinem berühmten vierten Hirtengedicht verheißen hatte, so feiert Petrarca den Volkstribunen als den „Knaben“, der die Welt befrieden soll. Das Hirtenlied, das Cola nach diesem Chorführer des Humanismus singt, das sanfte Lied, das die Geister zum neuen Leben weckte, erklang auch an der Wiege des Wegbereiters der Renaissance.

Abb. 72. Thronsaal Friedrichs II. im Castell del Monte. 13. Jahrhundert. Aufnahme Alinari, Florenz

Am Hofe Heinrichs VI. preist den neugeborenen Königsknaben Friedrich – den die Mutter, vielleicht im Banne einer Sibylle, die einen Erretterkaiser der Griechen und der Römer mit diesem Namen verhieß, zuerst Konstantin nennen wollte –, Petrus von Eboli mit Wendungen, die er jener vierten Ekloge Vergils entnimmt, als Bringer einer goldenen Zeit. Als Sonnensohn erscheint Friedrich II. bei diesem Dichter. War doch das neue Zeitalter des Saturn, welches das später von Vergil auf Augustus gedeutete Knäblein der Ekloge begründen sollte, auch ein Zeitalter des Apollon-Helios. Der Staufer ließ sich ja selbst von den Erwartungen seiner Tage tragen, wenn er wieder und wieder verkündete, daß er das Augusteische Glücksalter erneuern wolle. Friedrich II. ist Zeit seines Lebens in den in alten Erinnerungen lebenden Träumen mancher Landsleute tatsächlich das Sonnenkind geblieben. Bei seinem märchenhaften, Großes verheißenden Aufstieg feierte man ihn als „Kind von Apulien“, als „Kind von Pulle“. Aber auch dann noch, als er schon Jahrzehnte mit dem Papste gerungen, singt sein norditalienischer Vergil: „Und seiner Herrschaft kehret zurück das goldene Alter!“ Ein anderer Landsmann dichtet dann noch den Vers: „Und Apuliens Knabe wird alles in Friede beherrschen!“ Als lebte man noch in dem alten, hier und da wirklich unter den Trümmern der heidnischen Tempel noch glimmenden Glauben der Mysterien des Mithra, so feierte man den neuen staufischen Erretter im Bilde der „unbesiegten Sonne“, ja, man glich beide einander so an, daß [78] geradezu von einer Vergottung des gewaltigen Menschen gesprochen werden darf. Schon Friedrichs Vater wurde von Petrus von Eboli als „Sol augustissime“ angeredet. „Die neue Sonne ist geboren: Friede, Ruhm, Wegsteig und Hafen!“ sang darnach ein Notar Friedrichs von Antiochien. Als die große Verschwörung das Leben Friedrichs bedrohte, ruft zornbebend ein anderer Magister: „Die Welt wollte man ihrer Sonne berauben, und der Sonnengottheit trachtete Satan den Gegenthron zur Seite zu setzen.“ Friedrichs „heilige Nachkommenschaft“ wächst nach diesem „als strahlende Sonne von der Sonne heran“. Als dann Friedrich der Welt plötzlich genommen ward, da klagt Manfred: „Untergegangen ist die Sonne der Welt, die über die Völker geleuchtet, untergegangen die Sonne des Rechts, der Hort des Friedens!“ Und unmittelbar nach dem Ableben des Staufers schreiben kaisertreue Tiburtiner: „Gleichwie die Sonne, wenn sie von der Himmelsachse in das westliche Meer hinabsinkt, so hinterläßt Friedrich II. im Westen den Sonnensohn, dessen Frührot schon zu leuchten beginnt.“

Abb. 73. Foggia. Tor des Schlosses Friedrichs II. Nach Haseloff, Bauten der Hohenstaufen in Unteritalien. Leipzig, K. W. Hiersemann

Diese Vergottung des Erretterkaisers ist unbedingt auf antike Vorstellungen zurückzuführen, auf die gleichen geheimnisvoll fortwirkenden Bilder des Mithradienstes, die auch das Vorbild hergaben zur Schilderung der Geburt Jesu in der Form eines Sonnenaufgangs im Protoevangelium des Jakobus, die Ephraem dem Syrer den Lobpreis der Gottesmutter in den Mund legten: „Aufgegangen ist aus ihr die Sonne der Gerechtigkeit, die durch ihr Aufgehen die ganze Welt erleuchtet hat!“, die zu wiederholten Malen im Mittelalter Christus als „Sonne der Gerechtigkeit“ zeigen. Der Vermittler dieser Vorstellung war außer den fortlebenden mythologischen Erinnerungen und außer Vergil auch Byzanz, wo noch in später Zeit der Herrscher als „Kaiser-Sonne“ angerufen und knechtisch wie ein Gott verehrt wurde. Ganz im Stil der byzantinischen Höflinge feiert der Grieche Georgios von Gallipoli den Kaiser in einem Drohgedicht gegen die Römer wegen ihres Abfalles „von der allmächtigen Fortuna“ als den Donnerer Juppiter, „dem Erde, Meer und Himmelsgewölbe dienen“, dessen „Blitze aus der Höhe leuchten, den feindlichen Übermut tilgend“. Die Massen [79] im Abendlande, die so lange wundersüchtig erhalten wurden und deren Phantasie plötzlich der Fesseln ledig und durch die Zauberwelt des Orient überreizt ward, sahen in dieser Vergottung des kaiserlichen Heros mehr als bloße dichterische Überschwenglichkeiten. Der in Italien sich bildende Mythus von dem übermenschlichen Titanen Friedrich, den das Göttliche umstrahlt, war ganz nach dem Herzen dieser nach dem Seltsamen, Fernen, Großen sehnend ausschauenden Zeit.

Abb. 74. Foggia. Inschrift oberhalb des Tores des Schlosses Friedrichs II. Nach Haseloff, Bauten der Hohenstaufen in Unteritalien. Leipzig, K. W. Hiersemann

Das allgemeine Hoffen der Zeit auf ein Neuwerden der Welt, die erwachende Teilnahme des Italieners für die nationale Größe seines Volkes unter den römischen Augusti haben diesen Friedrich-Mythus geschaffen. Nicht das überirdische Licht der himmlichen Seligkeit, sondern der goldene Glanz des irdischen Paradieses, das sich nach dem Zeitglauben im Rom des Augustus mit seinen schönen, adligen und königlichen Menschen darstellte, strahlt von ihm aus. Wie anders zuvor! – Nur zu oft hatten früher die Kassandrarufe der Sibylle die Gemüter geschreckt. Bald dieser, bald jener Kaiser wurde als Vorläufer der Endzeit mitten hineingestellt in das überkommene Bild der letzten Dinge der Welt. Mit den sich vererbenden typischen Wendungen hatten Anhänger Joachims von Fiore auch Friedrich II. zu Lebzeiten als „Hammer der Kirche“, als Antichrist eingespannt in diese Apokalyptik. Die an des Staufers Person sich heftenden Befürchtungen dringen auch über die Alpen nach Deutschland, wandeln sich aber auf diesem Wege zu der Hoffnung auf eine Reform der Kirche durch Friedrich. Sie lenken damit nur um so nachdrücklicher die Blicke auf die zum Mythus werdende Gestalt des dem deutschen Gemüte fremden, aber gerade in der Entfernung des Märchenhaften fesselnden Kaisers. Erst nach dessen Tode sollte der Reformgedanke auf deutscher Erde seinem Mythus auch deutsches Leben geben.

Von dem Wust dieser eschatologischen Befürchtungen, die eine gesunde Tätigkeit der Phantasie unterdrückten, hielt sich dieser italienische Kaisermythus vom Anbeginn seiner Entstehung ab frei. Daß freilich auch er schließlich doch wieder im Umkreise des Göttlichen blieb, das liegt nun einmal in der Tatsache beschlossen, daß die Weltherrschaftsidee, seitdem sie im Zweistromlande geboren war, die Trägerin des ewig sich regenden menschlichen Hoffens auf Heil und Erlösung ist. Dieses Göttliche aber – auch hier wieder leuchtet das Frührot der Renaissance – ist nicht mehr der mittelalterliche Kirchenglaube, sondern die Göttermär, die Sonnenmär der Alten.

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Abb. 75. Eigenhändige Unterschrift König Konradins unter einer der Stadt Pisa verliehenen Urkunde vom 14. Juni 1268

Friedrichs Gestalt, schon in Italien mit den leuchtenden Farben des mithraeischen Sonnenkultes allen weithin sichtbar gemacht, wirkte ihren Zauber bis ins Heilige Land. Und dort sollten sich Beziehungen anbahnen zwischen dem staufischen Sonnen-Kaiser und einer wirklichen, freilich vermenschlichten alten Mär von der Sonnengottheit, die bald von Westen her über das Meer zum Berge des Aufgangs fährt, bald die Nacht im Berge verbringt und dann morgens aus diesem hervorkommt und ihn als Thron der Herrlichkeit besteigt, um der Welt neues Leben zu spenden. Dieser Weltenberg, bei dem oder auf dem der Weltenbaum ragt, liegt jenseits der ewigen Wasser im Eiland des Paradieses. Aus dem Gott, der ihn besteigt, wurde im Laufe der Zeit ein Musterkönig, und durch die Jahrhunderte erhielt sich im Orient die Erwartung, daß dieser König – Oannes oder Johannes geheißen – im Lichtlande seligen Lebens vom Bergthron der Herrlichkeit aus die Welt befrieden werde. In dieser Hoffnung des Ostens wurzelt die Sage der Christen im Heiligen Lande von einem großen Priesterkönig Johann, dessen Land das Paradies ist. Hier erhebt sich ein Turmpalast, eine architektonische Nachbildung des Götterberges, der sich, wie dieser, in sieben Terrassen erhebt, deren oberste, mit Sonne, Mond und Sternen geschmückt, sich dreht wie die Welt. War jener Berg im Mythus Babels das „Schlafhaus der Sonne“, so ist dieser Palast – um eine andere der zahlreichen Bezeichnungen des Götterberges zu gebrauchen – „die Wohnung der Ewigkeit“. Kaiser Manuel, heißt es in dieser Sage, zog in ihn ein mit seinem ganzen Volke für immer. Hier steht auch der Weltenbaum, der als „dürrer Baum“ eingeführt wird. Der, der seinen Schild daran zu hängen vermag, wird der Herr der Welt. Es ist dieser Baum der gleiche, den der Perserkönig Xerxes auf seinem großen Zuge mit einem goldenen Kranze – der Kranz ist ein Gleichnis des Himmels – schmückte, derselbe, bei dem der große Alexander sich die Weltherrschaft erstritt, der auf dem Weltenberg aufragt und über dessen weites Geäst der Himmelsgott seinen Mantel mit den goldenen Sternen bei seiner heiligen Hochzeit mit der bräutlichen Erde breitet, wodurch jener seine goldenen Früchte, die Äpfel der Hesperiden wiedererlangt, während die Welt bei jeder Umarmung des Gottes neue Lebensströme durchfluten. Das Aufhängen des Schildes ist demnach eine Kulthandlung: ein Herrschafts- oder ein Fruchtbarkeitszauber, der an jene heilige Hochzeit des Götterpaares erinnert.

Abb. 76, 77. Münzen Konradins. Berlin, Münzkabinett

Bald nachdem Damiette 1221 wieder in die Hände der Ungläubigen gefallen war, wurde eine angeblich arabische Verheißung von den bedrängten Christen im Heiligen Lande verbreitet. Diese verkündet einen großen König aus dem Westen und den König aus Kalabrien, welcher Mekka erobern und das Reich Muhammeds vernichten wird. Beide Herrscher sollen in Jerusalem zusammenkommen, worauf der dürre Baum wieder grünen wird. Dieser Zug wird erst in Verbindung mit dem anderen von dem Aufhängen des Schildes, des Gleichnisses des Himmels, verständlich. Der Schild ist an die Stelle des Weltenmantels des Gottes getreten,

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Abb. 78. Konradin von Hohenstaufen auf der Falkenjagd
Nach der Großen Heidelberger (Manessischen) Liederhandschrift (Faksimile-Ausgabe des Inselverlages, Leipzig)

[81] welcher dem Weltenbaum seine goldenen Früchte wiedergibt.

So ist Kaiser Friedrich II., der Sonnenkaiser und nunmehr auch der Nachfahre des Sonnengottes des Ostens, zu Lebzeiten eingezogen in das Reich der Sage vom Musterkönig mit dem Berg der glorreichen Auferstehung und dem Baume der Weltherrschaft jenseits der großen Wasser im Lande des Aufgangs. Nicht allzulange, und die Sage erzählte von ihm, daß er zu diesen beiden über das Meer fährt, oder daß er triumphierend, wie die neue Sonne, aus dem Berge hervorgeht.

Abb. 79. Anfang der deutschen Fassung des Reichslandfriedens von 1235 nach Cod. lat. Monac. 16083 (Mitte oder Ausgang des 13. Jahrh.) s. Fußnote S. 30

„Er lebt und er lebt nicht!“ hatte die Sibylle gleich nach dem Ableben dieses Gewaltigen gerufen. Tatsächlich wollten weitere Kreise, in ihren hoffenden und bangenden Erwartungen getäuscht, an das Ende des Kaisers nicht glauben. Man suchte ihn zunächst irgendwo, der Welt entrückt, so, wie man den wundersam von dieser Erde hinweggenommenen persischen Nationalhelden, den König Chosro, suchte. Dann aber erzählte man, daß er, wie dereinst der große Alexander, nach seinem Tode durch die Lande walle. Schließlich aber hält er seinen Einzug in den Berg zu König Artus.

Der zeitgenössische Chronist Salimbene, ein überzeugter Anhänger des Kalabreser Abtes Joachim und der unter dessen Namen gehenden Verheißungen, berichtet: „Viele glaubten, er sei nicht tot, da er wirklich tot war.“ In Florenz wurde eine Wette, deren Gegenstand dieses darnach weitverbreitete Gerücht war, urkundlich beglaubigt. Dieses Raunen ward namentlich stark in Unteritalien. Der und jener hatte den Kaiser leibhaftig gesehen. In der Gegend des Ätna tauchten falsche Friedriche auf und fanden Glauben beim Volke. Schon flüsterte man sich scheu zu, daß der staufische Antichrist in diesen Berg des höllischen Feuers eingezogen sei mit seinem ganzen Heere – wie vordem Dietrich von Bern. Ein Mönch berichtete, mit seinen eigenen Augen geschaut zu haben, wie Friedrich mit seinen Genossen in feurig erglänzenden Panzern durch das hell aufziehende Meer zum Ätna geritten sei. Diese Mär des Mönches mag mit

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Abb. 80. Festung und Kastell von Lucera von Osten. Nach Haseloff, Bauten der Hohenstaufen in Unteritalien. Leipzig, K.W. Hiersemann
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Abb. 81. Festung und Kastell von Lucera. Nordecke des Kastells. Nach Haseloff, Bauten der Hohenstaufen in Unteritalien. Leipzig, K.W. Hiersemann

[84] dem Glauben des Volkes zusammenhängen, daß der Hölle Gluten und mit diesen das Geschrei der armen Seelen aus dieses Berges unheimlichem Schlund hervordringen zur Oberwelt. Eher aber ist dieses mönchische Gesicht eine klerikale Verzerrung einer dem Mythus des Kaisers eher entsprechenden und ihm freundlichen Sage, die sich mit der Ätnasage des in der ausgehenden staufischen Epoche hochgefeierten bretonischen Sagenkönigs Artus verquickt hatte.

Ohne starke Einwirkungen der orientalischen Mär vom Priesterkönige Johann hätte sich diese sizilische vom König Artus sicherlich nicht gestaltet. Auch dieser ist ein solarischer Held, der, wie der Sonnengott, aus dem Berge hervorkommt und allbeglückend, wie der ewige Spender des Lebens, von dem strahlenden Gipfel dieses Berges aus die Welt regiert. Ihm zu eigen ist der Sonnentisch, der schon auf dem Bergthron des Ostens stand, eine Tafel, die rund ist wie die Welt und sich dreht wie die Welt. In Abwandlungen dieser Sage trägt dieser Tisch das strahlende Sonnensymbol, und in den Parzivalepen den heiligen Gral. Von einer seligen Entrückung Artus’ in den Berg hat schon in den dreißiger Jahren des dreizehnten Jahrhunderts die deutsche Dichtung „Wartburgkrieg“ Kunde erhalten. Ein anderes deutsches Gedicht „Lohengrin“ sucht diesen Berg in Indien – also in dem Lande des geheimnisvollen Erretters Johann.

In der Mischkultur Siziliens, wo ja auch Wolfram von Eschenbach das Zauberschloß Klinschors mit den Schätzen, die dem Paradiesesreich des Priesterkönigs Johann entstammen, sucht, hat diese Sage, die sich später auch in Wales und Schottland an Berge knüpfte, das Innere des Ätna zum wonnigen Aufenthaltsorte ihres Helden gemacht. Noch zu Lebzeiten Friedrichs II. bringt Gervasius von Tilbury eine Erzählung, die lebhaft an die Kyffhäusersage erinnert. Darnach entsprang einem Diener sein Pferd; er suchte es am Ätna und entdeckte plötzlich einen Eingang in den Berg, durch den er zum König Artus gelangte.

Abb. 82. Kaiser Friedrich II. und seine Familie. Relief an der Kanzel des Domes in Bitonto (1229)

Nicht für immer war Artus in diesen Berg eingezogen. Nach seiner weitverästelten Mär sollte er, der Frühlingssonne gleich, dereinst aus ihm wieder hervorbrechen und in Herrlichkeit erneut erscheinen. Das ist wohl auch schon der tiefere Sinn der Ätnasage. Auf sizilischer Erde wirkte sich in diesem Helden anderer Zonen und [85] anderer Zeiten noch einmal der uralte orientalische Gedanke von dem in den Berg sich am Abend zurückziehenden und dann am Morgen wieder glorreich aus ihm emporsteigenden Tagesgestirn aus. Das Mittelstück des alten Weltbildes: der Weltenberg mit dem Sonnentisch erhebt sich demnach noch als Hintergrund für die Gestalt des Helden. Der Zauber dieses Sonnenmythus umstrahlt, aber wandelt auch die Züge Kaiser Friedrichs, seitdem dieser nicht als der der Hölle verfallene Antichrist, sondern wie Artus als zukünftiger Heilbringer in das Wunderreich des Bretonen entrückt ward.

Abb. 83. Relief vom Sarge der Konstanze von Aragonien. Palermo, Kathedrale. Aufnahme Alinari, Florenz

Das Raunen dieser sizilischen Ätnasage wurde in Italien übertönt von den stauferfeindlichen, auf die letzten Dinge der Welt und der Menschen gerichteten Weissagungen, die jetzt, nachdem der Held der Unheilserwartungen hinweggerafft war, den Antichrist aus dessen Nachkommenschaft erwarteten. Was romantische Dichtung in Italien erzählte, was der Haß dort verhieß, das drang auch über die Alpen. Fahrende Sänger oder deutsche Ritter, die für des Staufers „heiligen Stamm“ das Schwert im Süden zogen, werden mit den allbeliebten Liedern von König Artus auch die Mär von Kaiser Friedrich dem Andern in die deutsche Heimat getragen haben. Durch Anhänger jenes Joachim erhielt diese aber auch Kunde davon, daß immer noch Verheißungen eines Strafgerichtes über die sündige Kirche umliefen. Der dichterischen Mär vermählte sich in Deutschland das Sehnen nach Reform der Kirche.

Gierig greifen weitere Kreise des deutschen Volkes das Gerücht von dem geheimnisvollen Verschwinden des Kaisers auf, dessen nahes befreiendes Werk als Hammer der verweltlichten Kirche ihnen ja, bald hier, bald dort, verheißen worden war. Jans der Enenkel trägt in seine Chronik ein: „Dar nâch der Kaiser wart verholn, den Kristen allen vor verstoln, wan nieman west diu maere wa er hin kommen waere.“ In ein Nirgendheim von der Art der Gralsburg, in der die toten und doch nicht toten Vollendeten Aufnahme finden, irgendwo zwischen Himmel und Erde, sucht unser Volk zuerst seinen der Welt entrückten Kaiser. Wußten die „Hundert alten Novellen“ in Italien von dem Wunderstein, dem Sonnenstein des östlichen Mythus zu erzählen, der ehedem auf dem Sonnentische lag, und den der Priesterkönig Johann dem Kaiser Friedrich II. sandte, so wird in deutschen Dichtungen des ausgehenden dreizehnten Jahrhunderts die Wundereigenschaft des Steins, unsichtbar zu machen, besonders hervorgehoben. Die Erregung, die das Gerücht vom Fortleben Friedrichs in Deutschland hervorrief, [86] äußert sich auch in der Tatsache, daß hier, ebenso wie in Italien, mehrere falsche Friedriche auftauchten und Glauben fanden, ferner darin, daß Bauern erzählten, sie hätten den Kaiser – und damit gehen Züge Wotans auf diesen über – als Waler durch das Land ziehen sehen.

Abb. 84. Grabmal Kaiser Friedrichs II. Palermo, Kathedrale

In diese Vorstellung vom Fortleben des Kaisers, die sich sehr bald in die von seiner Wiederkehr wandeln mußte, kleidete das Volk nun immer mehr seine leidenschaftlichen Hoffnungen auf eine Reform der verweltlichten Kirche. Indem es dabei zurückgriff auf die alten sibyllinischen Verheißungen eines großen Idealkaisers, der vor dem Auftreten des Antichrist und nach dem Strafgericht über den Klerus, ein Reich des beseligenden Friedens begründen und dann auf Golgatha Krone und Zepter niederlegen werde, nahm es dem Mythus Friedrichs II. alle persönlichen Züge. Hundert Jahre nach dem Tod des Staufers schrieb Johannes von Winterthur – nicht ohne seinerseits Widerspruch zu erheben – von einem viel verbreiteten Aberglauben: „In diesen Tagen verbreitete sich bei zahlreichen Leuten jedes Standes die Meinung, daß Kaiser Friedrich der Zweite dieses Namens in größter Machtfülle wiederkehren werde, um den völlig verschlechterten Zustand der Kirche zu reformieren. Die Leute, welche diese Meinung vertreten, fügen hinzu, daß er notwendig kommen müsse, auch wenn er in tausend Stücke zerschnitten oder zu Asche verbrannt worden wäre, weil es Gottes unabänderlicher Ratschluß sei, daß es so geschehen müsse. Nach dieser Meinung wird er, sobald er vom Tode auferstanden und auf die Höhe seiner Herrschermacht zurückgekehrt ist, die armen Frauen und Jungfrauen reichen Männern zur Ehe [87] geben und umgekehrt. Die Nonnen und Beghinen wird er verheiraten, die Mönche zur Ehe veranlassen. Unmündigen, Waisen und Witwen wird er alles, was ihnen geraubt ist, wieder verschaffen und allermänniglichen sein volles Recht zuteilwerden lassen. Die Geistlichen wird er so heftig verfolgen, daß sie ihre Tonsuren, wenn sie sonst keine Kopfbedeckung haben, lieber mit Kuhmist verdecken werden, um nur nicht die Tonsur zu zeigen. Die Klostergeistlichen, welche durch ihre Denunziationen den Papst zu seiner Verfolgung angeregt und ihn vom Reiche vertrieben haben, vorzüglich die Minderbrüder, wird er aus dem Lande verjagen. Er wird nach der Wiederaufrichtung seines Reiches, das er gerechter und ruhmvoller denn je regieren wird, mit seinem zahlreichen Heer übers Meer fahren und auf dem Ölberg oder bei dem dürren Baum dem Reiche entsagen.“

Abb. 85. Grabmal der Kaiserin Konstanze. Palermo, Kathedrale. Aufnahme Alinari, Florenz

Während hier der Mythus von Kaiser Friedrich II. wieder völlig von dem Gestrüpp der Bängnisse der letzten Dinge überwuchert wird, zieht ziemlich gleichzeitig Kaiser Friedrich als zukünftiger Erneuerer der alten Kaiserlichkeit in den Kyffhäuser ein. Es geschah das nicht ohne starke Einwirkungen mythologischer Erinnerungen an das Seelenreich Wotans im Berge, aber gewiß auch nicht, wie die merkwürdige Übereinstimmung des Zuges vom verirrten Diener dartut, ohne wesentliche Anregung durch die sicherlich von Nachzüglern der ritterlichen Dichtung oder vom Volke festgehaltene Erinnerung an die Ätnasage. Am thüringischen Hofe des Enkels Friedrichs, jenes Friedrich des Freidigen, der selbst als der Zukunftskaiser angesehen wurde, dürfte man wohl Kunde gehabt haben von dem fernen Singen und Sagen von dem gewaltigen sizilischen Ahnherrn. In dieser [88] deutschen Bergsage aber verblaßte das Bild des staufischen Titanen noch stärker. Seine staatliche und geistige Schöpferkraft hatte sich fern vom Kernlande des Imperium ausgewirkt und nichts Bleibendes in Deutschland und für Deutschland hinterlassen, das an ihn erinnerte. Er, der die deutsche Zerrissenheit unheilbar gemacht und das Reich mit sich in die Grube gerissen hatte, war kein rechter Träger der Hoffnungen auf Erneuerung der Kaiserherrlichkeit. Ein anderer trat ganz unmerklich an dessen Stelle: Barbarossa, der Heros der Hochzeit deutscher Größe und deutschen Lebens! Genannt wird der Rotbart als Held der Kaisersage erst in dem Volksbuch vom Jahre 1519.

Mit diesem nationalen Helden wird auch die Kaiserherrlichkeit wieder auferstehen. So kündete jetzt die Sage in den nachfolgenden Jahrhunderten einem Volke, das sich nicht aufraffen konnte zu dem Willen zur Nation, das sich in Zukunftsträumen verlor und die Schicksalsforderung der Deutschen, in dem von allen Seiten gefährdeten Herzlande Europas allzeit ein Kämpfer zu sein, überhörte. Immerhin! Die Barbarossa-Sage hat das Gedenken an die gewaltigen Kraftnaturen der deutschen Geschichte und an die deutsche Größe in der Vergangenheit hinübergerettet in die Zeit, da Geist vom Geiste jener Kraftmenschen, welche die Sage feierte, in den ersten Jahrzehnten des neunzehnten Jahrhunderts den Einheitsgedanken zum Einheitsdrange steigerte. Die Kaisersage in mannigfacher dichterischer Verklärung wurde der Ausdruck eines zur Erkenntnis der eigenen Kraft gelangten nationalen Wollens, seitdem Friedrich Rückert ihr die epische Form gegeben und darnach noch die Verse gedichtet hatte:

„Es steht auf einem Feld
des Reiches dürrer Baum
und wartet, bis der Held
erwacht aus einem Traum.

Wenn der aufhänget kühn
am Baume seinen Schild,
dann wird der dürre grün,
dann blüht das Reichsgefild“

Abb. 86. Königssiegel Manfreds in Montecassino
Nach Erbach-Fürstenau, Die Manfredbibel
Leipzig, K. W. Hiersemann

Für diesen Vers nahm Rückert die Farben von den Farben jenes Jahrtausende alten Bildes des Gottes, der über den Weltenbaum den Himmelsmantel breitet.

Diese Mär vom Gotte, wie die vom Kaiser ist nunmehr verklungen.

Des „Reiches Baum“ ragt noch empor. Sein üppiges Land, das er wiedergewann, hat ihm der Sturm genommen. Kein Herrschafts- und kein Fruchtbarkeitszauber wird es ihm wiedergeben. Erst wenn seine tiefer grabenden Wurzeln in dem Erdreich, dem er entwachsen ist, die lebendigen Adern eines großen, starken, selbstbewußten, nationalen Willens aufgespürt haben, wird, wie dereinst, wieder sprossen sein weltenweites Geäst.