Kaiser Friedrich II. Der Wegbereiter der Renaissance/IV. Der „Diener der Gerechtigkeit“
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IV. Der „Diener der Gerechtigkeit“
Im Auftrage des normannischen Königs Roger II. von Sizilien und unter dessen lebhafter Mitwirkung schrieb Edrisi seine Geographie. Von dem Königreiche seines Gönners berichtet er: „Wir sagen, daß Sizilien die Perle des Jahrhunderts an Reichtum und Schönheit ist, das erste Land der Welt an Fruchtbarkeit des Bodens, Volkszahl und Alter der Kultur. Von allen Seiten strömen die Reisenden und Kaufleute dorthin und rühmen einstimmig Siziliens hohen Wert, preisen seine glänzende Schönheit und sprechen von den mannigfachen Vorzügen, die es vereinigt, und von den Gütern, die es aus aller Herren Länder an sich zieht. Ruhmvoll vor allen anderen waren, die hier herrschten, mächtig gegen alle, die sich ihnen widersetzten. Fürwahr, die sizilischen Könige stehen allen anderen weit voran an Macht, Ruhm und hohen Plänen“ … Besonders verweilt die Schilderung bei Palermo, „der schönen, gewaltigen Stadt des prächtigsten, glänzendsten Aufenthalts, der mächtigen, erhabenen Hauptstadt der Welt. Der alte Königssitz ist sonnig und heiter am Meer gelegen, von den Bergen umkränzt und dazu mit Gebäuden geschmückt, daß die Reisenden von weither kommen, um ihre Architektur, [33] die auserlesene künstliche Ornamentik zu bewundern.“ Dann rühmt Edrisi „die turmgekrönten Paläste, die prächtigsten und stolzesten Gebäude, Moscheen, Kaufhäuser, Bäder und Läden der Handelsleute.“ Von der Moschee Gâmi, die dem christlichen Kultus zurückgegeben war, heißt es: „Man vermag sich kaum ein Bild zu machen, wieviel Schönes sich an ihr findet, kunstvoller Schmuck fremdländischer Arbeit, seltsame, nie gesehene Skulpturen und Malereien, goldene und buntfarbige Zierate …“ Ringsum ist das Land von Wasserläufen durchzogen, allenthalben sprudeln Quellen hervor. Palermo ist überreich an Früchten. Seine Gebäude, seine zierlichen Villen kann man nicht beschreiben in ihrer berückenden Pracht. Mit einem Wort: diese Stadt wirkt sinnbetörend auf den Beschauer …“ Edrisi übertreibt nicht. Die von der Natur bevorzugte, fruchtbare Insel mit ihrem damaligen Gewerbefleiß und Geschäftssinn, das Eingangstor des Abendlandes für die Orientalen, war in der normannischen Zeit zum reichsten Lande der Christenheit geworden. Die Hauptstadt Palermo hatte in der Welt nur eine Nebenbuhlerin, die an Schönheit und Größe mit ihr wetteiferte: die Kaiserstadt am Bosporus. Von dieser vergangenen Größe zeugen heute noch ganz besonders der ragende Dom von Monreale und die Königsgräber in Palermo, die für ihre Zeit einzig waren. Kein Wunder, daß Friedrich II., der größte Sohn dieser Insel, von ihr, seinem Augapfel, sagt: „Ein Hafen ist sie in den Flutungen und unter Dornengestrüpp ein Lustgarten!“ Der Gott der Juden, meint er ein ander Mal, hätte nicht so viel Wesens vom gelobten Lande gemacht, wenn er sein sizilisches Reich gekannt hätte.
Eine zweitausendjährige Geschichte hat dieses schöne Land. Seine geographische Lage und seine wirtschaftliche Bedeutung machten es zum Zankapfel der Jahrhunderte. Griechen, Römer, Byzantiner, Araber, Normannen haben nacheinander mit gieriger Hand Besitz von ihm genommen. Seine große Geschichte umfaßt aber nur einen kleinen Zeitraum: beginnend mit dem Normannenkönig Roger I. und schließend mit dem Staufer Friedrich II. Bald nach diesem Kaiser haben die Spanier die Aussaat der drei großen sizilischen Herrscher und Gesetzgeber vernichtet und die Insel zur Heimstätte des Elends und der Verbrechen gemacht.
In dieses von Menschen verschiedensten Stammes bewohnte Land, die alle in dem weichen Klima leicht zu sorglosen und tückischen Tagedieben entarteten, verlegte Friedrich den Schwerpunkt des römisch-deutschen Reiches. Sollte das mehr sein als die Laune eines Despoten, sollte die Insel wirklich die Hauptträgerin der grundsätzlich mit allen historischen Voraussetzungen brechenden Politik dieses Kaisers werden, sollte Sizilien das erste Land sein, in welchem die Unbedingtheit des mit dem römischen Rechte wieder erstandenen Kaisergedankens der Augusti nicht nur eine über dem Menschen schwebende, unfaßbare, stolze Idee, sondern eine wirkliche Tatsache war, so ergab sich die Notwendigkeit, daß Friedrich alle Kräfte seines süditalienischen Staates straff zusammenfaßte und durch die Wohltat der erreichten Ordnung den Willen zur Nation in dem bunten Völkergemisch weckte. Aus dieser Erkenntnis heraus, aber auch mit dem normannischen Triebe zum Staat und mit der Liebe des Italieners zur Heimat begann Friedrich die großartige Wiederherstellung des Reiches Rogers II.
„Sizilien ist der Tyrannen Mutter“, sagte der Staufer einmal. Seine halborientalischen Untertanen, die den Herrscher als etwas Überirdisches und Heiliges verehrten, brauchten den Tyrannen, der seinen Willen der Selbsterhaltung und der Erhaltung des Staates zum ordnenden, ausgleichenden, die Neigung zum Nichtstun und zum Verbrechen scheuchenden Gesetz erhob. Das hatten schon in vorchristlicher Zeit die Griechen erkannt, als sie dieses Land durch Tyrannen zur ruhigen Arbeit zwangen und es damit zum ersten Male zum Bollwerk des Abendlandes gegen eine semitische Weltmacht, gegen Karthago, machten. [34]
Friedrichs gesetzgeberische Tätigkeit umfaßt sein ganzes Leben als Herrscher. Nur große Bruchstücke davon sind auf uns gekommen, die zum überwiegenden Teil sich wiederfinden in der von seiner Zeit und von der Nachwelt angestaunten, später fortgesetzten oder nachgeahmten Kodifikation von Gesetzen in den dem Jahre 1231 angehörenden, aber darnach wiederholt mit Nachträgen versehenen Konstitutionen von Melfi. Bei der Formgebung dieser Gesetze, die oft mit dröhnendem Pathos eines barocken Latein zu uns sprechen, war Peter von Vinea, lange die rechte Hand des Kaisers, hauptsächlich beteiligt. Auch der Erzbischof Jakob von Capua und andere der vorzüglichen Juristen Friedrichs haben daran mitgearbeitet. Das Werk als Ganzes ist Geist vom Geiste des Staufers.
Wir pflegen diese Konstitutionen den Staatsschriften Friedrichs zuzuzählen, wozu wir auch seine Urkunden, Erlasse und namentlich auch seine Briefe an Päpste und Prälaten, Könige und Fürsten, Länder und Städte, sowie an seine Familienmitglieder rechnen. Ein Blick auf diese Staatsschriften tut dar, daß in diesen häufig zwei, sich gegenseitig ausschließende Weltanschauungen – oft scheinbar einträglich nebeneinander – in dem gleichen Schreiben oder Gesetz zu Worte kommen: die christlich-mittelalterliche mit der alten getragenen Würde und in den überkommenen Formen, und die aus arabisch-antiker Geisteswelt stammende modernere, die sich mit einer fast elementaren Wucht in kecken herausfordernden Schlagworten äußert.
Die eigentlichen Autoren dieser Schriftsätze, vor allem der eben genannte Peter von Vinea, waren groß geworden in der alten Weltanschauung mit ihren typischen Gedankenbildern und geschult in dem Kanzleistil der Kurie. Das Typische und Formelhafte der noch souverän herrschenden Weltanschauung konnte auch ein Kraftmensch von dem Ausmaße des letzten Staufers noch nicht aus seiner Kanzlei verdrängen, die, wie alle Kanzleien, besonders stark zum Konservativen hinneigte. Aber durch die Wirkungen, die sein überragender Geist auf seine Umgebung ausübte, war es möglich, daß in die alte Form auch Friedrichs neue Ideen eindrangen. Der Denker Friedrich war ein Schüler und Bewunderer des arabischen Philosophen und Freigeistes Averroës. Als seine geistige Heimat werden wir später des Orients nicht beengte Weite erkennen. Durch arabische Vermittlung versenkte er sich auch in die Welt der heidnischen Antike. Seine Gedanken, abseits des christlichen Denkens geboren, rührten auch fern des kirchlichen Bannkreises die jungen Schwingen. Wenn Friedrich in diesen Schriftsätzen die Ausdrucksformen der alten, von ihm innerlich schon völlig überwundenen Weltanschauung scheinbar billigte, so konnte er als Politiker bei der Vorherrschaft der kirchlichen Idee in der zeitgenössischen abendländischen Welt gar nicht anders. Auch entsprach die Beibehaltung jener alten Wendungen durchaus Friedrichs antiker, man darf sogar sagen heidnisch-antiker Auffassung der christlichen Religion als Staatsreligion. Als Quelle für die geistige Persönlichkeit Friedrichs kommen die Staatsschriften demnach nur insoweit in Betracht, als sie sich in einen Gegensatz zum Kirchentum stellen. Diese grundsätzliche Auffassung jener Quellenstücke erweist eine Prüfung der Herkunft des Inhalts und der in diesem zum Ausdruck kommenden Staats- und Rechtsauffassung als richtig.
Friedrichs Größe offenbart sich in diesen Konstitutionen nicht zuletzt in der Tatsache, daß er ein klares Bewußtsein davon hatte, daß das Recht etwas geschichtlich Gewordenes ist und fortentwickelt, aber nicht völlig neu geschaffen werden kann. Er knüpft an das Werk seiner normannischen Vorfahren an, die ihrerseits wieder das in Sizilien fortlebende römische Recht, sowie die auf der Insel übernommenen byzantinischen und arabischen Rechtssätze für ihre Gesetzgebung verwerteten. Eine große Zahl der Konstitutionen Friedrichs II. – freilich von diesem mehr dem Römisch-Rechtlichen angepaßt – stammt aus der älteren Sammlung Rogers II. Friedrich hat überhaupt das „gemeine Recht“, und das war das römische, ebenso wie andere Rechte der einzelnen Teile seines Völkergemisches [35] in Geltung gelassen. Diese ganze immer mehr von altrömischem Geiste durchhauchte Gesetzgebung hatte, da sie von Haus aus weltlich war und weltlich sein und bleiben wollte, von vornherein trotz des kirchlichen Pompes, in den sie sich hüllte, eine kirchenfeindliche Spitze.
Die großen Schöpfer des römischen Rechts behandelten die Fragen des Rechtes losgelöst von allen übersinnlichen Voraussetzungen und Erwägungen als Fragen des irdisch tätigen Lebens. Die große Entdeckung der Juristen, daß das Recht sich aus den lebendigen Verhältnissen entwickelt und seinen Ursprung nicht in überirdischen Vorstellungen hat, wird zum Glaubenssatz Friedrichs. Staat, Recht und Wirtschaft im sizilischen Reiche werden in den Konstitutionen als weltliche Größen in ihren gegenseitigen Beziehungen und in ihren Auswirkungen erfaßt. Friedrich wußte also, daß das Recht etwas Lebendiges ist, das sich allen Veränderungen des wirklichen Lebens anschmiegt. Der mittelalterliche Staat wagte nicht, aus Furcht, durch Rechtsänderungen den Frieden zu stören, neues Recht zu gründen. Er suchte das Recht, das sich aus Volksrechten oder gewohnheitsmäßig entwickelt hatte, oder schließlich auch das Recht Roms, das Christus geheiligt hatte, weil er sich ihm unterwarf, zu erhalten und zu schützen. Darüber hinaus scheute er sich zu gehen; denn nach Augustinus und der Kirche Lehre war ja der Quell der Justitia Gott. Friedrich aber sagte: „Nichts entziehen wir dem Ansehen der früheren Herrscher, wenn wir gemäß der Eigenheit der neuen Zeit aus unserem Schoße neues Recht gebären und für neue Mißbräuche neue Arzneien erfinden. Aus einer Notwendigkeit des Dienstes nämlich besitzt die Würde der kaiserlichen Erlauchtheit dieses Vorrecht, daß sie, wenn durch der Dinge und Zeiten Wandel die alten Rechte der Menschen zur Entwurzelung der Laster und zur Pflanzung der Tugenden nicht mehr auszureichen [36] scheinen, täglich neuen Rat erfinde, der die Tüchtigen reich an Lohn und die Lasterhaften unter dem steten Hammerschlag der Strafen mürbe mache.“
Aus der Erkenntnis heraus, daß Sizilien einen Tyrannen gebrauche, aus der folgerichtigen Durchdenkung seines großartigen staatlichen Organisationsplanes mußte sich für Friedrich die Notwendigkeit herausstellen, alle ständischen Fesseln des mittelalterlichen Lehnstaates von sich zu werfen und seinen unbedingten Willen durchzusetzen, der absolute Herrscher zu sein, in dem die Beamtenhierarchie, wie sie nach seinen Bestimmungen sein sollte, allein gipfeln konnte. Die Theorie des Absolutismus lehrte ihn das römische Recht, die Praxis der unumschränkten Herrschaft lernte er auf seiner Kreuzfahrt in den Araberstaaten kennen. Nach diesem Vorbild, fußend im Rechte Roms, schuf er sich seinen aufgeklärten Despotismus.
Dem Kaiser ist die ganze Beamtenschaft unterstellt. Der Jurist und nicht mehr der Kleriker, wie im mittelalterlichen Staat, herrscht in diesem vor. Mit Bewußtsein stellte Friedrich seinen „Orden der Justitia“ oder „Orden der Offizialen“, wie er sich ausdrückte, dem Klerus gegenüber. Er war überzeugt, daß die grundsätzliche, praktisch tatsächlich in die Erscheinung tretende Gegnerschaft dieser beiden ihm ein besserer Helfer sein werde, als es die pergamentenen Streitschriften und Pamphlete dem vierten Heinrich in dessen Kampf mit der Kurie waren. Wie im alten Rom und wie noch in der zeitgenössischen Kirche gliederte sich diese Hierarchie der Beamten von oben nach unten, vom Kaiser, dem Großhofjustitiar und den anderen oberen Würdenträgern angefangen bis hinab zu dem Heer der unteren Beamten. Modern mutet an, daß Friedrich – diesen Begriff überspannend – von den niederen Angestellten unbedingte Unterordnung unter die höheren verlangte, daß er all diesen Helfern seines staatlichen Wollens, die er über die Privatleute stellte, das Gefühl der Standesehre einzupflanzen strebte, daß er endlich – wiederum die Bewegungsfreiheit des einzelnen allzusehr beschränkend – Vorbeugungsmaßnahmen gegen schlechte Amtsführung traf, welch letztere bei der mäßigen Entlohnung und bei Angehörigen eines Volkes, das so lange der Zucht entwöhnt war, nicht ausbleiben konnte. Der für eine einheitliche Staatsverwaltung viel zu unbeholfene und dazu noch durch Sonderbestrebungen gehemmte mittelalterliche Feudalismus als Organ der Staatsverwaltung war damit in Sizilien tatsächlich beseitigt, wenn auch Überbleibsel davon – wie die Hoftage der Vasallen – hier und da noch ein Scheindasein führten.
Der Stufenbau dieser Verwaltung war genial erdacht. Die abendländische Welt stand einer ganz neuen Erscheinung gegenüber. Mit verständnislosem Staunen betrachteten diese die an den Lehnstaat seit Jahrhunderten gewöhnten Geister, mit hellsichtigem Haß aber die der despotischen Zentralgewalt widerstrebenden, sonst freilich grundsätzlich ähnlichen Staatsmaximen huldigenden oberitalienischen Städte. Der Papst endlich sah mit ahnungsvollem Grauen an den Grenzen seines Staates dieses rein weltliche, von einheitlichem Willen, einheitlicher Kraft und einheitlichem Zielstreben erfüllte Gebilde aufsteigen.
Die Lebensäußerungen dieser Beamtenhierarchie waren neu, in die Zukunft weisend. Hier war keine kirchliche Mystik, sondern nur der in das Innerste des staatlichen Seins eindringende Verstand tätig. Der Umfang der kaiserlichen Fürsorge schien alles und jedes in sich einbezogen zu haben. Fragen der Volkswirtschaft und Volksgesundheit werden von Friedrich ebenso berücksichtigt wie Fragen der Volkserziehung. Fragen der Handelspolitik ziehen den Kaiser nicht weniger an als Fragen der Landesmelioration. Im Gerichtswesen besserte er die Prozeßordnung. Namentlich brach er mit dem mittelalterlichen Grundsatz: wo kein Kläger ist, ist kein Richter, indem er für Kapitalverbrechen eine Untersuchung von Staatswegen anordnete. Die Folter wird auf ganz wenige Fälle beschränkt und von den Gottesurteilen, die er abschafft, sagt er: „Diese Gottesurteile, die man Wahrheit enthüllende nennt, sollten besser Wahrheit verhüllende [37] heißen.“ Einen ungeheuren Fortschritt bedeutet es dann auch, daß im ganzen Verwaltungs- und Gerichtswesen die Schriftlichkeit des Verfahrens rasch zunahm.
Schon die Rücksicht darauf, daß er mit den finanzkräftigsten Mächten des Abendlandes: mit den lombardischen Städten und der Kurie fortwährend zu kämpfen hatte, zwang ihn, seine ganz besondere Fürsorge den staatlichen Finanzen zuzuwenden. Hier geht Friedrich über seine normannischen Vorfahren weit hinaus, ist aber vielfach nur der verständnisvolle Schüler seiner arabischen [38] Lehrmeister. Seine finanzielle Neuordnung war nur möglich durch den Bruch mit dem Lehnssystem des Mittelalters mit dessen unendlich vielen Nebengewalten, mit dessen vielen Privilegien und Sonderrechten. Möglich war sie nur dadurch, daß der Staatsbürger aus einem Vasallen eines Großen oder irgend einer Korporation, denen er persönlich Dienste leisten mußte, denen er zu Natural- und gelegentlich auch zu Geldabgaben verpflichtet war, zu einem Untertan mit bestimmten, nach den Bedürfnissen wechselnden Verpflichtungen regelmäßig zu entrichtender Steuern wurde.
Das Steuersystem Friedrichs sah direkte und indirekte Abgaben vor. Den größten Ertrag warf die allgemeine Grundsteuer oder Kollekte ab. Das Vorbild boten auch hier die Araber. Die Abassiden sowie die Chalifate in den Teilstaaten am Mittelmeer kannten namentlich eine Grundsteuer nach dem Ertrag. Möglich freilich ist es, daß der Kaiser zugleich auch unmittelbar an die im Abendlande üblichen Vasallenbeiträge anknüpfte, an die Beihilfen, welche der Lehnsherr und natürlich auch der König als solcher von seinen Vasallen in bestimmten Fällen erhob. Die Höhe dieser sizilischen Grundsteuer regelte der Kaiser. Er setzte auch die Verteilung auf die einzelnen Provinzen fest. Darüber hinaus aber bestimmten die Justitiare die Umlagen, die sie mit Steuereinnehmern eintrieben. Ganz modern mutet es uns an, daß wir auch schon Einschätzungskommissionen in Sizilien finden, zu denen reiche Grundbesitzer zugezogen wurden. Auch hier war Vorsorge gegen Untreue, Bestechlichkeit und Ungerechtigkeit namentlich dadurch getroffen, daß Steuerrollen angelegt wurden, die auch bei Neuveranlagungen benutzt werden sollten. Sarazenen und Juden, die als Fremdbürtige galten, aber volle Bewegungsfreiheit, Rechtsfähigkeit und Freiheit des Kultus hatten, mußten eine Kopfsteuer zahlen, auf gleiche Weise wie die Ungläubigen im Reiche Omars. Unter den indirekten Steuern kamen besonders die Monopole in Betracht. Schon im elften Jahrhundert lehrten Staatsrechtskundige des Islam, daß der Ertrag der Minen eines Landes, wie Erze, Pech und Salz, dem Staatsoberhaupt zukäme. Nach seiner Kreuzfahrt erschloß sich Friedrich auch diese Einnahmequelle. Färberei und Seidenhandel, die Verwertung von Salz, Eisen, Kupfer, Pech erschienen dann als Monopole, die vorwiegend von Juden verwaltet wurden. Daß die Araber die eigentlichen Anreger der friderizianischen und damit der modernen Finanzwirtschaft sind, tun auch die vom Kaiser bestimmten Grenz- und inneren Verbrauchssteuern dar. Die in den abendländischen Sprachschatz übergegangenen, in Sizilien verwandten Worte: Duane, Tarif, Fondaco, Gabelle sind orientalischen Ursprungs. In der Tat kannten die Abassiden Handelssteuern und Warenzölle, aber auch Einnahmen aus dem Bergwerksregal, der Straßenbenutzung, der Fischerei- und Mühlengerechtigkeit sowie Luxus- und Konsumsteuern. Schon vor Friedrich haben die Normannen das meiste davon einfach übernommen; der Staufer hat dann dieses System verständnisvoll weiter ausgebaut und Grenzzölle, Lager- und Hafengelder eingeführt. Dieser Finanzpolitik dienten auch die Handelsverträge, die Friedrich mit erstaunlich weitem Blick mit Tunis, dem Chalifen von Granada und mit seinem Freunde, dem Sultan von Ägypten Al Kamil, abschloß. Gewaltige Schiffe, wie das mit dem stolzen Namen: „Halbe Welt“, das mit dreihundert Mann Besatzung nach Alexandrien fuhr, kündeten die Macht und den Reichtum des sizilischen Herrschers.
Friedrich sagte einmal, daß „die sichere und wohlhabende Lage der Untertanen den Ruhm der Könige begründe“. Die Not der Zeit aber hat ihn gezwungen, die Steuerschraube in Sizilien bis zur Unerträglichkeit anzuziehen. Nur durch Raubbau konnte er der reichste Fürst des damaligen Abendlandes werden. Das mußte er sein, wollte er den Kampf mit seinen italienischen Gegnern mit Aussicht auf Erfolg führen. Der maßlose Druck aber hatte bedenkliche Unruhen im Lande zur Folge. Zölle und Abgaben ließen die Preise für Lebensmittel [39] hinaufschnellen. Der bevorrechtigte Getreidehandel des Königs und des Staates schnürte den Privathandel ein. Die Monopole lähmten den Unternehmungsgeist.
Trotz aller Mängel ist diese Finanzpolitik für ihre Zeit aber doch eine gewaltige Leistung. Durch sie ist die Einheit des Staates gewiß zeitweilig fester geschmiedet worden. Der Bildung eines einheitlichen Volkstums, die hier an sich schwerer war, wie sonst in irgend einem abendländischen Reiche, stand diese notgedrungen so harte Staatsverwaltung freilich eher hindernd entgegen. Der Wille zur Nation war nur durch den Despotismus und nur durch die Größe dieses einzigen Herrschers aufgezwungen. Immerhin! Friedrichs staatsmännische Tätigkeit in Sizilien weist in die Zukunft. Seine ärgsten Feinde, die lombardischen Städte, waren seine ersten Nachahmer. Noch mehr aber bahnte der Kaiser kommenden Zeiten den Weg durch die Rechts- und Staatsauffassung, welche ihn beseelte.
Das Ziel der Herrschaft ist auch für Friedrich: Friede und Gerechtigkeit, jene beiden Begriffe, die schon zuvor dem mittelalterlichen Kaiserideal die Weihe gaben, die aber bereits viel früher die Kaiserherrschaft der Augusti Roms kennzeichneten. Der erste römische Imperator erscheint in Inschriften als der große Ordner, der nicht nur das Menschengeschlecht, sondern auch die Natur befriedet. Er ordnet bei Philo das Chaos zum Kosmos, dessen Bürger alle Menschen sind, gleichmäßig von einem göttlichen Gesetze beherrscht. Die Jungfrau Gerechtigkeit, singt Vergil in seinem großen Ahnen des kommenden Imperium Roms, kehrt zurück; es beginnt wieder das goldene Zeitalter. Das will besagen: die Weltordnung, welche die paradiesische Harmonie des All allein herbeiführen kann, waltet wieder. Natur und Menschen gehorchen ihr. Der Weltfriede, den Vergils berühmte [40] vierte Ekloge verklärt, ist die Harmonie des durch Rom geeinten und durch Rom beherrschten Kosmos:
Die Form des Wortsinnes „Gerechtigkeit“ wurde schon von der Philosophenschule der Stoa in einer solchen Weise geweitet, daß sie später unschwer den Inhalt, den das Mittelalter ihm gab, aufnehmen konnte. Diese Gerechtigkeit ist für Cicero die „spezifisch soziale Verwirklichung des metaphysischen Sittengesetzes.“ Friedrich hat die beiden von ihm so oft gebrauchten Worte im antiken Sinn gefaßt. Die Gerechtigkeit ist das Gesetz schlechthin, ist der Nomos, die Weltordnung der griechischen Philosophenschule der Stoa. Unser Staufer nennt sich, dem Beispiel des byzantinischen Kaisers Justinian folgend: „das beseelte Gesetz auf Erden.“ Und dieses „beseelte Gesetz“ ist im Sinne der griechischen Philosophie unbedingt die Weltordnung. Von hier aus erklärt sich das Wort des Kaisers: „Es muß der Cäsar sein der Justitia Vater und Sohn, Herr und Knecht.“ Vater und Herr der Justitia ist der Kaiser, weil die Gesetze, „die sein Schoß gebiert“, die natürliche Ordnung der Welt herstellen; Sohn und Diener der Gerechtigkeit ist er, weil die Weltordnung, die in ihm Fleisch und Blut angenommen hat, doch über ihm steht. Weltordnung und Weltvernunft später häufiger einander gleichsetzend sagt er ja – wiederum an Justinian anknüpfend, aber ihm gleichzeitig entgegentretend –: „Ob auch unsere Erhabenheit von jenen Gesetzen gelöst ist, so ist sie dennoch nicht erhaben über den Spruch der Vernunft, der Mutter des Rechts.“ Nicht nur die Weltordnung, sondern auch deren Träger, der Kaiser, ist nach einer solchen Auffassung eine Weltnotwendigkeit. „Mehr denn je,“ ruft Friedrich einmal aus, „lebt der ganze Erdkreis durch den Geist des Kaisertums, so daß er erschlafft, wenn dieses schlaff wird, und Freude hat, wenn es gedeiht!“ Von der Gerechtigkeit als der in den Dingen ruhenden Notwendigkeit redet Friedrich wiederholt. Nun heißt es in der Einleitung zu seiner Gesetzessammlung, daß die Fürsten „durch den Zwang der Notwendigkeit“ und, wie schamhaft hinzugefügt wird, „nicht minder durch die göttliche Voraussicht“ eingesetzt seien. Daß wir hier unter der Notwendigkeit die Weltordnung zu verstehen haben, das beweist das Wort des in den Gedankengängen des Vaters lebenden Manfred, daß nach „des Weltalls allgebietender Notwendigkeit“ die Herrschaft über Rom „dem Sohne des größten Cäsar“ zustehe.
Diese Lehre ist der Staatslehre des Aristoteles oder vielleicht besser den Ausführungen der arabischen Aristoteliker entnommen. Aristoteles verlegte das wahre Wesen der Dinge in diese selbst und nicht in eine überirdische Welt. Von dieser Grundauffassung aus wird der Staat ein natürliches und notwendiges Produkt der menschlichen Natur. Sein Ziel und sein Zweck dienen nur diesseitigen Bedürfnissen: dem glückseligen Leben der Bürger, das in dem tätigen Schaffen und – [41] auf der höchsten Stufe – in der denkenden wissenschaftlichen und philosophischen Betrachtung besteht. In dieser Weltnotwendigkeit als „einer selbständigen, in den Dingen wirkenden Macht, als lebendiger Gesetzlichkeit der Natur“ prägt Friedrich ein Axiom, das die mittelalterliche Staatsphilosophie stürzen sollte. Mit seiner Auffassung von der Notwendigkeit des Dienstes steht der Staufer am Anfang einer modernen Entwicklung, die ein anderer zweiter Friedrich abschließen sollte.
Das Naturrecht hat sich des Staates bemächtigt und hat begonnen, den mittelalterlichen Lehnsstaat mit seiner kirchlichen Gebundenheit und Mystik über den Haufen zu werfen. Der Staat ist nicht mehr eine Schöpfung der Weisheit Gottes oder der Bosheit des Teufels; er lebt durch die ihm innewohnende, die natürliche Welt beherrschende Notwendigkeit. Selbst dort, wo das Gesetzbuch auf die Mystik vergangener Zeiten zurückgreift, münden die staatsphilosophischen Erörterungen ein in die gleiche naturrechtliche Forderung an den einen Weltmonarchen, Herr und Knecht der Weltordnung zu sein.
Die Einleitung zu den Konstitutionen versucht, aus dem mystischen Weltkönigtum des ersten Menschen einen Rechtstitel des Kaisertums herzuleiten. Adam, den Gott „mit dem Diadem der Ehre und des Ruhmes“ krönte, der erste Kosmokrator, war frei, solange er unter dem Gesetze lebte. Mit der Schuld kam der Unfriede über die Menschen. Aber im Gegensatz zur Kirche zog Friedrich daraus nicht die Folgerung, daß die Fürsten als Strafe für die Sünde gesetzt seien, sondern „aus Notwendigkeit“, zur Erhaltung des Menschengeschlechts sind nach ihm „die Herrscherthrone errichtet von der Justitia“, damit sie das Chaos, das dem Sündenfall folgte, wieder in einen Kosmos verwandelten, damit sie als Träger der Weltordnung die Herrschaft des Gesetzes, der Gerechtigkeit, den Frieden, die Harmonie des All wiederherstellten. So hatte noch niemand im Mittelalter den irdischen Staat bejaht, so hatte noch keiner das Recht des Staates behauptet. Durch seine Lehre von der Notwendigkeit des Staates, von den natürlichen Gesetzen, die dessen Werden und Sein bestimmen, ist Friedrich der Herold der modernen Staatsauffassung geworden.