Johann Kepler, ein Mann der Freiheit und des Lichts
Johann Kepler, ein Mann der Freiheit und des Lichts.
Die folgenden Zeilen sollen als Todtenopfer am Grabe eines Mannes dargebracht werden, der in seltener Weise den vollen Pulsschlag des deutschen Geistes in sich fühlte und in seinen Werken glänzend ausprägte. Es ist Johann Kepler, der Astronom, der vor nunmehr zweihundertfünfzig Jahren aus diesem Leben schied.
Kepler’s irdische Laufbahn fällt in das Ende des sechszehnten und den Anfang des siebenzehnten Jahrhunderts, jene wüste, trauervolle Zeit, in der unser Vaterland von religiösen und politischen Wirren, von zahllosen blutigen Dramen erschüttert wurde und endlich in den düsteren Flammen des Dreißigjährigen Krieges seinen Wohlstand in rauchenden Schutt sinken sah. Mitten in den rollenden Wogen dieser weh- und haßerfüllten Zeit trieb das Lebensschiff unseres Geisteshelden, ohne jemals den ersehnten sicheren Hafen finden zu können. Schon die Tage seiner Kindheit waren keine goldene Jugendzeit. Sein Vater war ein unstäter, unbändiger Mann, der bald nach der Geburt des Kindes – sie erfolgte am 27. December 1571 in der württembergischen Stadt Weil – mit dem wilden Heere des Herzogs Alba in die Niederlande ging, nach seiner Rückkehr eine Gastwirthschaft betrieb und schließlich in den Türkenkrieg zog, in welchem er verscholl. Seine Mutter war von rauher, unverträglicher Gemüthsart, er selber, zwei Monde zu früh in die Welt gesandt, von schwächlichem Körperbau und oft von Krankheiten heimgesucht. Da er die schweren häuslichen Arbeiten während der Gastwirthschaft seines Vaters nicht auszuführen vermochte, ließ man ihn die Klosterschulen von Maulbronn und Hirsau besuchen und schließlich zur Universität Tübingen gehen, in deren theologischem Stifte er auf öffentliche Kosten und unter sonst dürftigen Verhältnissen die Gottesgelahrtheit studirte. Doch der Theologe verdarb bald in ihm; sein Gewissen gerieth in Widerspruch mit den lutherischen Heißspornen jener Universität, und als er seine Studien vollendet hatte, erhielt er nur das Zeugniß, daß er sich in der Beredsamkeit ausgezeichnet habe.
So wurde er zum lutherischen Geistlichen für untauglich erklärt, und seine Hoffnungen auf eine Anstellung im engeren Heimathlande gingen nicht in Erfüllung. Da erfolgte 1593 der Ruf an den zweiundzwanzigjährigen jungen Mann, eine Professur für Mathematik und Moral an dem Gymnasium zu Graz in Steiermark zu übernehmen. Er verließ Württemberg mit widerstrebenden Gefühlen und trug während seines ganzen übrigen Lebens die Sehnsucht nach einer gesicherten Existenz im Heimathlande unerfüllt in der Brust. Doch war sein neuer Beruf entscheidend für seine weitere wissenschaftliche Thätigkeit; denn er führte ihn mehr und mehr zur Astronomie hin, welche sich seit fünfzig Jahren in Folge der welterschütternden Arbeit des Copernicus in einem Zustande der Gährung befand.
Jetzt schien sich Kepler’s Lebenshimmel zu klären. Seine erste größere Amtsthätigkeit, die Abfassung eines Kalenders für das Jahr 1594, trug ihm die Popularität ein; auch faßte er Neigung zu einer reichbegüterten Dame und heirathete dieselbe nach Beseitigung hartnäckiger und zahlreicher Hindernisse. Da brach, durch den nachmaligen Kaiser Ferdinand und die Jesuiten veranlaßt, über Steiermark der Sturm der Protestantenverfolgung herein; Kepler’s Glaubensgenossen wurden vertrieben und er selber mußte Graz und seine Güter anfangs für kurze Zeit, dann im Jahre 1600 für immer verlassen. Mit Weib und Kindern zog er aus und hatte nicht, wo er sein Haupt hinlegen konnte. In dieser Noth nahm er das Anerbieten des berühmten Astronomen Tycho de Brahe an, welcher auf Anordnung des Kaisers Rudolph in Prag mit der Ausarbeitung astronomischer Tafeln über Planetenbewegung beschäftigt war und für dieses schwierige Werk die Hülfe Kepler’s wünschte.
Der Aufenthalt unseres jungen, aufstrebenden Astronomen in Prag war kein angenehmer. Tycho und Kepler geriethen bald in Streit. Der Erstere war stolz und hochfahrend, der Letztere feurig und freimüthig, und die astronomischen Ansichten Beider gingen weit auseinander. Dazu kam noch, daß Kepler sein Gehalt nicht ausgezahlt erhielt und er dasselbe in kleinen Raten von Tycho geradezu erbetteln mußte. Nun wurde dieses unleidliche Verhältniß allerdings 1601 durch den Tod Tycho’s gelöst und Kepler erhielt dessen Stelle als kaiserlicher Mathematiker. Doch ward ihm in den folgenden Jahren, die ihm noch außerdem durch Streitigkeiten mit den Erben Tycho’s verbittert wurden, bei der Leere der kaiserlichen Cassen sein Gehalt nur zum geringen Theile ausgezahlt, sodaß er durch Kalenderschreiben dem häuslichen Mangel abhelfen mußte.
Unter dem folgenden Kaiser Matthias, der ihn im Amte bestätigte, harrte er ebenso fruchtlos auf die Auszahlung seines Gehaltes und seiner Gehaltsrückstände, die schließlich auf die Höhe von 12,000 Gulden anwuchsen. Dergestalt hatte er stets seine häuslichen Sorgen, und das Schicksal häufte dieselben immer mehr. Auch über Prag kamen politische und religiöse Wirren und blutige Katastrophen. Bei dem Anblicke der Plünderungsgräuel wurde Kepler’s Gattin wahnsinnig, und der Tod raffte sie sammt dreien seiner Kinder hinweg. Da wurde es Kepler öde in der Stadt, in welcher er des Leides so viel erfahren hatte, und sein Auge suchte nach einem ruhigen Aufenthaltsorte in dem weiten Vaterlande, das mehr und mehr in den furchtbaren Krieg hinein trieb. Er richtete seine Blicke auf Linz, die Hauptstadt von Oberösterreich. Die Stände dieses Landes nahmen auch den berühmten Mann freundlich auf, bewilligten ihm ein Jahrgehalt, auf daß er die astronomischen Tafeln vollende, sowie die Landeskarte zeichne, und so siedelte Kepler 1611 nach Linz über.
In den ersten Jahren seines neuen Aufenthaltes war ihm das Glück hold. Er heirathete zum zweiten Male und konnte, von etlichen Reisen abgesehen, ruhig seiner Wissenschaft leben. Bald aber sollte, um Kepler’s eigene Worte zu gebrauchen, „ein plötzlich ausgebrochenes Gewitter sein Schifflein gegen die gefahrvollsten Klippen treiben“. Seine greise Mutter war in Folge verschiedener Umstände und Verleumdungen der Hexerei verdächtigt worden und hatte sich durch ein unkluges Betragen dabei mehr und mehr also verwickelt, daß der Hexenproceß gegen sie eröffnet wurde. Kepler machte unendliche Anstrengungen, die Mutter zu retten und die öffentliche Schande von seiner Familie zu nehmen; er schrieb Briefe und Vertheidigungsschriften nach Württemberg; er reiste schließlich selber dorthin und verlor unter dem Opfer bedeutender Geldmittel dabei ein ganzes Jahr seines Lebens. Gleichwohl vermochte er doch 1621 im letzten Stadium die Niederschlagung des Hexenprocesses zu bewirken.
Nach dieser Zeit lichtete sich der Himmel unseres großen Astronomen nicht mehr, und sein Leben wurde durch das ungeheure Leid des Vaterlandes von Jahr zu Jahr düsterer gefärbt. Wohl vollendete er nun sein großes Werk, die astronomischen Tafeln, und begann deren Druck, was ihn zu vorübergehendem Aufenthalte in Regensburg und Ulm veranlaßte, aber er erwartete vergebens von dem Kaiser die Erfüllung seiner rückständigen [759] Gehaltsforderungen. Auch in Oberösterreich schlug die Kriegslohe auf; Bauern und Protestanten belagerten Linz, und nach dem Entsatze wurden die Protestanten auch aus diesem Lande verjagt. 1628 ertheilten die Stände Oberösterreichs Keplern den erbetenen Abschied in freundlicher Weise mit materieller Unterstützung, von Kaiser Ferdinand aber wurde er hinsichtlich seiner Forderungen an das Land Mecklenburg und den Herzog Wallenstein verwiesen. Da er aber den bekannten astrologischen Träumereien des Letzteren nicht willfährig war, ließ dieser ihn unbefriedigt, und um ihn los zu werden, verlieh er ihm eine Professur an der Universität zu Rostock; nachdem er auch hier in größtem Mangel ein Jahr verlebt, machte Kepler sich auf den Weg nach Regensburg, um vor dem versammelten Reichstage abermals die Auszahlung des Rückstandes zu betreiben. Es war seine letzte Reise, sein letzter Appell an das Reich. Am 15. November 1630 fand er in dieser Stadt die ewige Ruhe.
In einem so sturmbewegten Leben, umtobt von der Wuth des Fanatismus und den Flammen des Krieges, spielte sich die unglaublich reiche wissenschaftliche Thätigkeit unseres Kepler ab. Neben einer ausgedehnten Correspondenz mit den damaligen Koryphäen der Wissenschaft, neben der Abfassung vieler geistreicher Kalendarien, neben Untersuchungen über Lichtzerstreuung, den Bau des Auges, das astronomische Fernrohr, Mond- und Sonnenfinsternisse, Kometen, einen neuen Stern etc., neben der Aufstellung der vorerwähnten astronomischen Tafeln welche für sich allein schon die Arbeit eines Menschenlebens bilden – neben alledem schuf Kepler im Anschluß an die Lehre des Copernicus durch die Entdeckung dreier nach ihm benannter Gesetze der Planetenbewegung die Grundlage der neueren Astronomie.[1] Seine Werke hierüber werden für alle Zeiten ein Muster von Fleiß, Ausdauer und wunderbarem Scharfsinn bleiben; sie können sich dem Besten, was die Wissenschaft geleistet hat, würdig an die Seite stellen. Viele Jahre lang hat Kepler unermüdet astronomische Rechnungen durchgeführt, um zu seinen Gesetzen zu gelangen; es erscheint als eine wahre Riesenarbeit, wenn man bedenkt, daß er ohne die Hülfsmittel der neueren Mathematik arbeiten mußte. Aber ihm standen auch mächtige Geisteskräfte zu Gebote: eine ewige Frische der Speculation und eine heilige Begeisterung für die Wahrheit. In dem Haupte dieses Mannes flammte ein Geist zur Weltleuchte empor, denn keine Noth der Erde zu ersticken vermochte. Nie hat Urania einen begeisterteren Jünger gehabt, und nie wurden die an sich nüchternen Resultate der Wissenschaft mit größerem Feuer verkündet. Durch die Schriften unseres Geisteshelden weht der warme Hauch des tiefen, wir können sagen deutschen Gemüthes. Da ist er unerschöpflich in dichterischen Gleichnissen, Bildern und rhetorischen Wendungen; da ist er bald ein feuriger Lobredner seiner Wissenschaft; bald klingt es wie ein Jubelgesang, und dann wieder verströmt er seine Andacht in einem Gebete. Ein großes Ideal war es, das die Seele dieses Mannes erfüllte und ihm die Kraft und den Ausgangspunkt für seine Werke gab. Dieses Ideal war der Glaube an die Harmonie der Welt, eine von Pythagoras und Platon aus dem Wohlklang der Töne abgeleitete Idee, welche Kepler im christlichen Sinne auffaßte. Dieser von ihm mit Begeisterung aufgenommene Gedanke gab ihm die Kraft, immer und immer wieder mit dem Wuste der überlieferten Meinungen und den Beobachtungsresultaten zu ringen, bis endlich sein klarer Geist dieselben nach den schwierigsten mathematischen Ueberlegungen erleuchtete. Ohne dieses hätte er nichts erreicht, und durch diese Kraft idealer Begeisterung zeichnete er sich vor seinem großen italienischem Freunde Galilei, dem Begründer der neueren Mechanik, und seinem Nachfolger in der Astronomie Isaak Newton, dem Stolze Englands, aus. Aber gerade wegen dieses idealen Aufschwunges seines Geistes wurde er auch lange Zeit nicht verstanden. Der eben erwähnte Galilei sagt von ihm: „Ich habe Kepler wegen seines vorurtheilsfreien und feinen Verstandes geschätzt; seine Art zu philosophiren war aber von der meinigen verschieden.“ Viele Andere mußten sich zwar dem Erfolge von Kepler’s Arbeiten beugen, konnten aber nicht begreifen, wie man bei solchen, nach ihrer Ansicht leeren Träumereien und absurden Phantasien zu so glänzenden Entdeckungen gelangen konnte. Erst in der neueren Zeit haben ihn sowohl Deutschland wie auch Frankreich und England mehr zu würdigen gelernt, insbesondere da sich herausgestellt hat, daß manche jener sogenannten Träumereien die Geistesblitze des Genies waren, die weit über Jahrhunderte in der Entwickelung der Wissenschaft voraus griffen und nun als Wahrheiten anerkannt werden.
Dahin gehört unter Anderen sein vielberühmter, von der neueren Forschung durchaus bestätigter Ausspruch über die Kometen, daß nämlich der letzteren so viele im Weltraume seien, wie Fische im Meere. Ein Aehnliches vielleicht auch könnte von den Ansichten Kepler’s über die Astrologie gelten, wegen deren man noch immer einen Fleck auf seiner wissenschaftlichen Bildung sehen will. Er hat zu wiederholten Malen erklärt, daß er die Sterndeuterei und das Horoskopstellen seiner Zeit für Thorheit erachte, war aber von einem Einfluß der Planeten auf die schaffenden Kräfte der Erde überzeugt. Aber zu denselben Schlüssen gelangten auch Viele nach Kepler, und in der neuesten Zeit suchte man z. B. mit statistischen Mitteln den Einfluß der auftauchenden und wieder verschwindenden Sonnenflecken auf nasse und trockene Jahre, auf gute und schlechte Ernten nachzuweisen. So hat auch hierin vielleicht der tiefschauende Geist des großen Astronomen richtig geahnt, des deutschen Astronomen, welcher so gut zu träumen verstand.
Wir können hierbei eine Bemerkung nicht unterdrücken: Man sagte und sagt uns hin und wieder noch heute, daß wir ein Volk von Träumern seien. Nun wohlan! Kepler, vor dessen Geist sich die Welt endlich beugen mußte, ist der Typus eines deutschen Träumers. Und doch lebte er nicht nur tief im Reiche des Gedankens, sein feuriger Geist bethätigte sich vielmehr auch im öffentlichen Leben. Mit der ihm eigenen Offenheit verfocht er die den Katholiken und Protestanten gleich verhaßte copernicanische Lehre; er verwarf frei die Autorität der Bibel in wissenschaftlichen Dingen, indem er sagte, daß sie kein Lehrbuch der Optik oder der Astronomie sei, und trat gegenüber seinen widerstrebenden Glaubensgenossen für den gregorianischen Kalender ein. Diese öffentlichen Kämpfe gegen mächtige religiöse Vorurtheile seiner Zeit führen uns auf das Verhältniß Kepler’s zur Religion. Wir hätten im Eingange dieser Studie nicht sagen können, daß er den vollen Pulsschlag des deutschen Geistes in sich gefühlt habe, wenn er in Sachen der Religion indifferent gewesen wäre. Bei all seiner erhabenen Begeisterung für die Astronomie war unser Kepler auch ein nicht minder eifriger Glaubensstreiter. Er war mit Leib und Seele ein Mann des sechszehnten Jahrhunderts, jenes Jahrhunderts, in dessen Verlauf aus der Tiefe des deutschen Gemüthes der freie Geist des Protestantismus, die freie Selbstbestimmung in Glaubenssachen so mächtig heraufquoll. Gerade in Kepler’s Zeit fallen die ersten der furchtbaren Kämpfe, in welchen dieses protestantische, dieses germanische Princip um seine Existenz rang. Aus romanischen Geiste war um die Mitte des sechszehnten Jahrhunderts eine Geistesregel aufgetaucht, die ihren schärfsten Ausdruck im Jesuitismus gefunden hatte; sie kannte statt der freien Selbstbestimmung nur den unbedingten Gehorsam und die willenlose Hingabe des Einzelnen an die Kirche. Die fluchbeladene Gesellschaft Jesu führte damals den Kampf gegen die deutsche Reformation. Es ist bekannt, mit welchen Mitteln und mit welchem verderblichen Erfolge sie dies that; denn mit Gewalt führte sie ganze vorher protestantische Länder dem Katholicismus wieder zu, Alles niedertretend, was sich hier nicht fügen wollte. Da hatte der Protestantismus viele Tausende von Märtyrern. Auch Kepler war ein solcher. Während seines Aufenthaltes in Graz wurden die Protestanten in Steiermark anfangs hart bedrückt. Kepler stand zu ihnen und ließ eine selbstverfaßte Trostschrift unter ihnen circuliren, und als dann weiter, wie oben bereits erwähnt, die Anhänger seines Glaubens vertrieben wurden und man ihm ausnahmsweise noch den Verbleib gestattete, weil wahrscheinlich einflußreiche, ihm befreundete Jesuiten ihn zu sich herüberzuziehen gedachten, da verließ Kepler seine Stellung und die Güter seiner Frau und wanderte lieber in eine ungewisse nothreiche Zukunft, als daß er der Fahne des freien Geistes abgeschworen hätte. In Linz wiederholte sich später derselbe Vorgang.
Das vorerwähnte Princip des Protestantismus verfocht Kepler aber auch gegen seine eigenen Glaubensgenossen. Freimüthig trat er schon als Jüngling für die Gewissensfreiheit gegenüber dem tyrannischen Kirchendogma auf; er widersetzte sich an der orthodox-lutherischen Universität Tübingen, wo damals der Abendmahlsstreit zwischen Calvinisten und Lutheranern viel Staub aufwirbelte, [760] manchen Auffassungen der württembergischen Geistlichkeit und neigte in mehreren Punkten dem Calvinismus zu. Dafür mußte er sein engeres Vaterland verlassen, und zeitlebens versperrten ihm die lutherischen Orthodoxen in demselben den Weg zu einer festen Anstellung. Ihr Haß und ihre Unduldsamkeit trafen den gefeierten Mann, dessen Schriften von wahrhaft christlichem Geiste durchhaucht sind und der sich in Graz die Märtyrerkrone erwarb. Ja, als unserm Kepler während seines Aufenthaltes in Linz von dem dortigen lutherischen Geistlichen das Abendmahl verweigert wurde, weil er die sogenannte Concordienformel mit der Verfluchung der Reformirten nicht unterschreiben wollte, und er sich deshalb beschwerend an das Consistorium zu Stuttgart wandte, nannte ihn unter Anderem dieses in seiner Antwort einen Wolf im Schafspelz, der mit ungereimten Speculationen sich selber verwirre, an Gottes Wort, Christus und Kirche sündige und besser daran thäte, seinen mathematischen Studien mehr obzuliegen.
Daß bei solchen Erfahrungen unseres humanen Astronomen Meinung von den Vertretern der Kirche keine besonders hohe sein konnte, ist natürlich. An Markgrafen Ernst Friedrich von Baden schrieb er:
„Das Uebel, welches Deutschland drückt, rührt größtentheils von dem Uebermuth einiger Geistlichen her, welche lieber regieren als lehren. Gewisse, zum Lehramt berufene Doctoren wollen Bischöfe sein, suchen in ihrem unzeitigen Eifer alles umzukehren und verleiten ihre Fürsten zu übereilten Schritten. Der Geist der Einigkeit und wechselseitiger Liebe wird vermißt.“
In ähnlichem Sinne schrieb er an den katholischen Prälaten Johann Pistorius:
„Sie werden mir an jenem großen Tage das Zeugniß geben, daß ich nie einen persönlichen Haß gegen den Papst und gegen die Priester hatte, sondern allein Eifer für Gott und seine Anstalten, indem ich in derjenigen Freiheit bleibe, in der mich Gott geboren werden ließ. Zu den Thorheiten dieser Welt zähle ich den Verfolgungsgeist, welcher alle Religionsparteien beherrscht, die Einbildung, welche jede hat, ihre Sache sei auch die Sache Gottes, sie allein besitze das Privilegium zur Seligkeit, die Anmaßung der Theologen, ihnen stehe das Recht, die Schrift auszulegen, allein zu, ihnen müsse blindlings geglaubt werden, selbst wenn ihre Auslegungen der Vernunft entgegen laufen, endlich die Vermessenheit, mit der sie Diejenigen verdammen, welche von der evangelischen Freiheit Gebrauch machen.“
Hiermit denken wir genugsam das Verhältniß Kepler’s zu Religion und Kirche charakterisirt zu haben und wollen nur noch einige Zeilen über sein Verhältniß zum Vaterlande hinzufügen.
Kepler trug die schönste der deutschen Tugenden in der Brust: die Treue. Dies zeigte er nicht blos gegen seine Glaubensgenossen, er harrte auch treu bei dem entthronten Kaiser Rudolf aus, dem er noch nach dessen Tode die astronomischen Tafeln widmete – und vor Allem blieb er seinem Vaterlande treu. Er versäumte es niemals, in seinen vielgelesenen Kalendern unter astrologischen Andeutungen versteckt seinem Volke geistreiche Winke über sein politisches Heil zu geben. Zweimal sollte Kepler sein Vaterland verlassen und einem Rufe in’s Ausland folgen – zweimal widerstand er solcher Versuchung. Als er, hart bedrängt, von Linz aus nach einem andern Aufenthaltsorte ausschaute, lud ihn König Jacob der Erste von England zu sich; er aber schrieb damals an seinen Freund Berneke in Straßburg unter Anderem:
„Ich bin meinem Vorsatze treu geblieben, meine Dankbarkeit zu beweisen und den Ständen auch in ihrer Gefahr zu dienen, wenn ich kann und sie mich nicht zurückweisen. – Du siehst, die Flamme des Bürgerkrieges wüthet in Deutschland; es siegen Diejenigen, von welchen das Wohl des Reiches abhängt; das Benachbarte wird ergriffen; das Feuer verbreitet sich immer weiter. Soll ich also über das Meer hinüber gehen, wohin man mich einladet? Ich ein Deutscher?“
Ein anderes Mal, als er eine Professur zu Bologna ausschlug, schrieb er: „Ich bin nach Geburt und Gesinnung ein Deutscher und von Jugend auf gewohnt, mich im Reden und Handeln der deutschen Freiheit zu bedienen.“
So blieb er Deutschland treu und sparte uns denn Vorwurf, daß das Ausland ihn vielleicht besser behandelt hätte, als sein Vaterland.
Zwar macht man diesem unserem Vaterlande so wie so den Vorwurf, es sei zu Lebzeiten des großen Mannes sehr undankbar gegen ihn gewesen, und eine Zeitlang hat man sich bei uns darin gefallen, höhnisch zu sagen, daß wir unsern Kepler geradezu hätten verhungern lassen. Diese Behauptung ist eine historische Unwahrheit; denn das Inventar, welches in Regensburg über den Nachlaß des verstorbenen Kepler aufgenommen wurde, zeugt, wenn auch nicht von bedeutender Wohlhabenheit, so doch auch nicht von Dürftigkeit. Wohl steht es ja fest, daß Kepler einen harten Kampf mit dem Leben zu bestehen hatte, aber abgesehen von der oben berührten tadelnswerthen Haltung der württembergischen Theologen, kann man doch in einer Zeit, in welcher der Wohlstand und zwei Drittel der Einwohnerzahl eines Landes unter blutigen Gräueln vernichtet wurden, füglich nicht erwarten, daß dem Manne der Wissenschaft reichlich mit Gold gelohnet werde. Und trotz aller Entbehrungen, die er zu erleiden, trotz alles Leides, das er zu erfahren hatte, können wir von Kepler sagen: er war ein glücklicher Mann; denn hoch wie der Vogel in die freie Himmelsluft schwang sich sein Geist über die Sorgen und Genüsse der Alltagswelt hinauf zu den freien und lichtvollen Höhen des Geistes, wo das Leid der Erde nur von fern herauf klingt. Er sah dort oben die ersten Strahlen einer aufgehenden Sonne und schaute weit über Jahrhunderte hinaus. Er war ein glücklicher Mann des deutschen Ideals, auf den wir wohl die Worte des berühmten Alexandriners Claudius Ptolemäus anwenden dürfen:
„Der ist nicht todt, der die Wissenschaft belebt hat,
Und der war nicht arm, der das Geistige besaß.“
- ↑ Durch diese Gesetze bewies Kepler, daß sich die Planeten nicht in Kreisen, wie Copernicus lehrte, sondern in Ellipsen, in deren einem Brennpunkte die Sonne steht, bewegen, und vervollkommnete hierdurch das Copernicanische System.D. Red.