Jagd- und Lebensbilder aus Amerika. Nr. 7
Jagd- und Lebensbilder aus Amerika.
Wir hatten zwar unter freiem Himmel, aber recht gut geschlafen; der Morgen dämmerte in dem Walde, und wir wollten das Frühstück bereiten, als wir etwa hundert Schritte von uns drei Gestalten erblickten, eine größere mit zwei kleinen. Die erstere streckte zwei starke Arme aus und bewegte sie in eigenthümlicher Weise. Lauerten Indianer auf uns? Wir hatten noch keine Gewißheit erlangt, als es plötzlich um Vieles heller wurde. Jetzt konnten wir nicht mehr im Zweifel sein: die größere Gestalt war eine aufrechtstehende Bärenmutter und zwei Junge befanden sich bei ihr.
Freund M. griff sofort nach seinem Gewehre, und ehe ich ihn abhalten konnte zu schießen, hatte er der Bärenmutter eine Kugel zugesandt. Kaum knallte der Schuß, so ließ sich die Bärin auf alle Viere nieder und sie schnaubte gewaltig. M. hatte in dem noch zweifelhaften Lichte nicht scharf zielen können, und das Thier nur leicht vorn an der Schnauze getroffen. Die Schnauze aber ist bei dem Bär sehr empfindlich, und die leichteste Wunde daran bringt ihn in den heftigsten Zorn. Unsere Bärenmutter schüttelte eine Zeit lang stark brummend den dicken Kopf und kam dann in schnellem Laufe auf uns zu. Die schon ziemlich herangewachsenen beiden Jungen folgten.
Es blieb uns kein Ausweg, als schnell Jeder auf einen Baum zu klettern. Wir befanden uns in einem Walde von Eichen, und das war ein Glück, denn die Eichen strecken hier schon wenig Fuß vom Boden Aeste aus, die also ohne große Mühe zu erreichen sind.
K. kletterte an der dicken Eiche hinauf, unter welcher wir die Nacht verbracht hatten und die auch das Ziel der Bärin war. Bald hatte diese sie erreicht und sie beschnoberte die daliegenden Decken und Felle. Dann ging sie um den Baum herum, während sie an ihm hinaufsah. K. hatte Zeit gehabt, den dritten oder vierten Ast zu erreichen. Er hätte noch höher steigen können, glaubte aber, der Bär sei ein sogenannter grauer, und da er wohl wußte, daß der graue Bär im Klettern ungeschickt ist, hielt er es nicht für nöthig, sich höher zu flüchten, er setzte sich vielmehr bequem auf seinen Ast und sah aufmerksam herunter. Da leider mußte er sich überzeugen, daß er einen braunen Bär vor oder vielmehr unter sich hatte, welcher bekanntlich ein höchst gewandter Kletterer ist.
Das zeigte sich denn auch bald, denn die Bärin richtete sich an dem Baumstamm empor, umfaßte ihn mit den Vordertatzen und fing an, daran hinaufzusteigen.
Es war ein schrecklicher Augenblick.
Wir, M. und ich, kletterten von den Bäumen eilig herunter, auf die wir uns geflüchtet hatten. Ich griff sofort nach meinem Gewehr, und sandte der Bärin zwei Kugeln in das zottige Fell. Leider waren sie von so kleinem Kaliber, daß sie kaum durch die dicke Haarmasse durchgingen, die Bärin aber nur noch mehr reizten, was ihre Brummtöne verriethen, die nichts weniger als freundlich klangen. Einen Augenblick hielt sie sogar im Klettern an, als überlege sie, ob sie wieder herabsteige und den züchtige, der sie [488] neuerdings angegriffen hatte, oder ob sie den ersten Feind weiter verfolge. Sie entschloß sich zu dem Letztern.
K. blieb auf dem Baume, wie sich denken läßt, nicht ruhig sitzen, er kletterte vielmehr unter den Zweigen fast so schnell und geschickt wie ein Eichhörnchen höher und höher hinauf. Als er sich etwa sechzig Fuß vom Boden befand, rutschte er auf einen Ast vor, der sich horizontal von dem Stamm hinausstreckte. Er hatte seinen guten Grund dazu; er bemerkte nämlich, daß sich gerade über diesem Ast ein zweiter befand, und er glaubte diesen erreichen und auf ihn sich hinaufschwingen zu können, sobald die Bärin ihm auf den ersten folge; auf diese Weise hoffte er den Stamm wieder zu erlangen und daran heruntersteigen zu können, so lange die Bärin noch draußen auf dem Aste sei. Der Plan war ganz gut erdacht, leider aber zeigte es sich bald, daß der erste Ast unter der Schwere seines Körpers sich bog, und dabei sich von dem obern so weit entfernte, daß er denselben nicht einmal mit den Fingerspitzen erreichen konnte. Er wollte also umkehren und einen andern Ast suchen, als – Entsetzen! – die Bärin bereits von dem Stamm her auf denselben Ast trat und sich anschickte, unsern Freund K. da zu holen.
Umkehren und der schrecklichen Bärin entgegentreten, konnte er unmöglich; weder unter noch über sich vermochte er andere Zweige zu erreichen und weiter vor auf dem Aste durfte er sich auch nicht wagen, denn da trug er ihn nicht mehr, und – man vergesse es nicht – er befand sich in einer Höhe von mindestens sechzig Fuß. Er konnte also dem wüthenden Thiere in keiner andern Weise entkommen, als wenn er aus dieser Höhe hinunter sprang, aber dies war gewisser Tod.
Die Bärin kletterte unterdeß auf dem Aste weiter und weiter vor. Wir standen athemlos unten, luden unsere Gewehre von Neuem, fürchteten aber nicht schnell genug damit zu Stande zu kommen.
Es war eine grauenhafte Minute, die ich in meinem Leben nicht vergessen werde, in welcher K. aber bewundernswürdige Geistesgegenwart und Charakterstärke zeigte. Statt sich der Angst und Verzweiflung zu überlassen, behielt er seine Kaltblütigkeit vollständig, um über seine Rettung nachdenken zu können.
Da plötzlich kam ihm ein Gedanke und er rief uns zu:
„Einen Strick! Einen Lasso! Werft ihn mir zu, aber um Gottes willen rasch, sonst bin ich verloren!“
Zum Glück lag ein Lasso, ein langer schmaler Lederriemen mit einer Bleikugel an dem einen Ende, unter dem Baume bereit. Ich warf sogleich mein halbgeladenes Gewehr hin, stürzte nach dem Lasso und faßte ihn kunstgerecht. Ich darf wohl sagen, daß ich eine ziemliche Geschicklichkeit im Lassowerfen erlangt hatte, und in dieser Kunst es mit jedem Südamerikaner aufnehmen kann.
Ich stellte mich dann gerade unter den Ast, auf dem der Freund oben nicht weit mehr von der Bärin schwankte, ließ ihn erst mir um den Kopf sausen, zielte gut und schleuderte ihn in die Höhe. K. war, um Zeit zu gewinnen, auf dem Aste so weit vorgegangen als es nur möglich war. Die Bärin folgte ihm weiter und weiter. Unter der doppelten Last aber bog sich der Ast wie ein Bogen, und es war ein Wunder, daß er nicht brach.
K. saß rücklings auf dem Aste mit dem Gesichte nach dem Stamme und folglich nach der Bärin zu. Diese war kaum noch zwei Schritte von ihm entfernt, so daß er gewiß ihren heißen Athem bereits in dem Gesichte fühlte. Es war die höchste Zeit. Zum Glück sauste da das Ende des Lasso herauf, gerade zwischen K. und die Bärin, und schlang sich um den Ast. Blitzschnell faßte ihn K. und eben als die Bärin die große Tatze ausstreckte, um ihren Feind zu packen, ließ dieser den Ast los und glitt an dem Lasso hinunter.
Leider aber war der Lasso zu kurz, denn es fehlten mindestens zwanzig Fuß zwischen seinem Ende und dem Boden unten. Wir selbst hatten mit Entsetzen dies bemerkt, doch gab es ein Mittel, den herabspringenden Freund aufzufangen. Wir hatten ja die Haut eines erlegten Büffels bei uns; diese nahmen wir und hielten sie unter dem Lasso ausgebreitet. K. sprang herunter darauf, und im nächsten Augenblicke stand er wohlbehalten neben uns.
Es war ein Augenblick des Triumphs. Der Ast, welchen die Last unseres Freundes tief niedergezogen hatte, schnellte, als er den Lasso losließ, mit Macht empor; die Gewalt dieser Bewegung kam so unerwartet und war so stark, daß die Bärin losließ, mehrere Fuß hoch emporgeschleudert wurde und dann aus der Höhe herunter dumpf aufschlagend an den Boden fiel. Eine Zeit lang blieb sie bewegungslos liegen; aber sie war nicht todt, nur betäubt, und sie würde sich bald genug wieder aufgerichtet und den Kampf von Neuem begonnen haben, wenn wir die Zeit nicht gut benutzt hätten. Wir jagten ihr jeder eine Kugel in den Leib, ich schoß sie namentlich in das Auge, und so streckten wir sie bald leblos nieder.
Die Jungen hatten sich aus dem Staube gemacht, und wir suchten auch nicht lange nach ihnen; von der Alten aber schnitten wir einige fette Rippen ab, und wer in seinem Leben jemals Bär-Coteletten gegessen hat, wird sich vorstellen können, wie vortrefflich sie uns diesen Morgen nach bestandenem Abenteuer schmeckten.