Jüdische Altertümer/Buch IV
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Dieses Buch umfasst einen Zeitraum von 38 Jahren.
Inhalt.1. Die Hebräer greifen wider Moyses’ Willen die Chananäer an und werden geschlagen.
2. Die Empörung Kores’ und seines Anhanges gegen Moyses und dessen Bruder wegen des Priestertums.
3. Wie die Urheber der Empörung nach dem Willen Gottes vertilgt wurden, und wie Aaron und seine Söhne des Priestertum behielten.
4. Schicksale der Hebräer in der Wüste während 38 Jahren.
5. Wie Moyses die Könige der Amorrhäer Secho und Og besiegte, ihr Heer vernichtete und ihr Land unter zwei und einen halben Stamm der Hebräer verteilte.
6. Von dem Seher Balam.
7. Wie die Hebräer mit den Madianitern kämpfen und sie besiegen.
8. Weitere Gesetze des Moyses und sein Tod.
(1.) 1 Für die Hebräer war das Leben in der Wüste so hart und mühselig, dass sie es trotz des Verbotes Gottes wagen wollten, mit den Chananäern zu kämpfen. Denn den Ermahnungen des Moyses, sich ruhig zu verhalten, wollten sie nicht gehorchen, sondern sie glaubten auch ohne seine Zustimmung ihre Feinde überwinden zu können. Daher fingen sie an ihn zu beschuldigen und zu verdächtigen, er wolle sie um jeden Preis in ihrer Not hinhalten, damit sie immer auf seine Hilfe angewiesen [193] seien. 2 Und sie schickten sich zum Kriege mit den Chananäern an, indem sie sich einredeten, Gott gewähre ihnen nicht so sehr um Moyses’ willen seine Hilfe, als vielmehr mit Rücksicht auf ihre Vorfahren, die er seiner besonderen Fürsorge gewürdigt habe, und er werde, wie er ihnen um deren Tugend willen früher zur Freiheit verholfen habe, so auch jetzt ihnen beistehen, wenn sie sich wacker hielten. 3 Ja, sie meinten sogar, sie seien allein mächtig genug, um jene Völkerschaften niederzuwerfen, auch wenn Moyses Gott von ihnen abwendig machen wolle. Überhaupt könne es ihnen nur dienlich sein, wenn sie sich auf sich selbst verliessen. Und wenn sie sich auch Glück dazu wünschen müssten, dass sie der aegyptischen Sklaverei entronnen seien, so brauchten sie deshalb doch nicht die Herrschsucht des Moyses zu ertragen oder nur nach seinem Willen zu leben, 4 als wenn Gott aus besonderem Wohlwollen ihm allein seine Absichten in betreff unseres Schicksals kundgethan hätte, und als ob wir nicht alle vom Stamme Abrams wären, Gott vielmehr ihn allein gelehrt hätte, alles Zukünftige im voraus zu erkennen. 5 Darum handelten sie nur verständig, wenn sie die Überhebung des Moyses verachteten und im Vertrauen auf Gott das Land, das er ihnen verheissen, in Besitz zu nehmen trachteten, und wenn sie nicht weiter sich um Moyses kümmerten, der unter dem Vorwande des Befehles Gottes sie daran hindern wolle. 6 Daher rüsteten sie sich, um ihrer gegenwärtigen Not, die ihnen wegen der Wüste nur noch drückender vorkam, ein Ende zu machen, zum Angriff auf die Chananäer, indem sie sich unter Gottes Führung und Schutz stellten, ohne auf die Zustimmung und den Beistand ihres Gesetzgebers zu warten.
(2.) 7 Nachdem sie diesen Beschluss, wie sie meinten, zu ihrem Besten gefasst hatten, zogen sie gegen die Feinde. Diese aber gerieten weder über den ungestümen Angriff, noch über die grosse Zahl der Hebräer in Schrecken, sondern empfingen sie tapfer, sodass viele von den Hebräern fielen, die übrigen aber in wilder Unordnung, [194] vom Feinde verfolgt, sich schimpflich zur Flucht wandten und ins Lager zurückeilten. 8 Da nun die Sache gegen ihre Erwartung so schlimm verlaufen war, sank ihnen der Mut, und sie hofften nichts Gutes mehr; denn sie glaubten, das Unglück sei ihnen von Gott geschickt, weil sie ohne seine Zustimmung in den Kampf gezogen seien.
(3.) 9 Moyses aber sah ihre grosse Niedergeschlagenheit infolge des unglücklichen Treffens, und da er fürchtete, der Feind möchte durch seinen Sieg übermütig werden und, nach weiteren Erfolgen gierig, zum Angriff übergeben, hielt er es für das Beste, weiter von Chananaea weg mit dem Heere in die Wüste zu rücken. Das Volk aber vertraute sich wieder willig seiner Führung an, denn es sah ein, dass es ohne ihn kein Glück habe. 10 Und sie brachen auf und zogen weiter in die Wüste hinein, denn Moyses glaubte, dass sie hier eher ruhig bleiben und nur dann sich mit den Chananäern in einen Kampf einlassen würden, wenn Gott ihnen eine günstige Gelegenheit dazu zeigen sollte.
(1.) 11 Wie es aber bei einem grossen Heere besonders nach Niederlagen vorzukommen pflegt, dass die einzelnen eigensinnig und widerspenstig werden, so geschah es jetzt bei den Juden. Denn sie zählten sechshunderttausend Streiter, eine Menge, die kaum bei glücklichem Lauf der Dinge in den Grenzen der Pflicht gehalten werden konnte, um wie viel weniger also in ihrer damaligen Notlage. Daher waren sie zornig auf sich selbst wie auf ihren Führer, 12 und es brach eine solche Empörung unter ihnen aus, wie uns keine ähnliche weder bei den Griechen noch bei den Barbaren bekannt geworden ist. Hierbei gerieten sie alle in die äusserste Lebensgefahr, und sie wären alle umgekommen, wenn [195] Moyses sie nicht, uneingedenk des Unrechtes, das sie an ihm mit der Steinigung verüben wollten, gerettet hätte. 13 Auch Gott verliess sie nicht so gänzlich, dass sie das Unglück nicht hätten überstehen können, sondern obgleich sie sich gegen ihren Gesetzgeber und gegen die Gebote, welche er ihnen durch denselben gegeben, frech vergangen hatten, entriss er sie dennoch dem Verderben, welches die Empörung sicher über sie gebracht hätte, wenn er nicht um ihre Errettung besorgt gewesen wäre. Diese Empörung nun und was Moyses nach ihrer Unterdrückung anordnete, will ich jetzt erzählen, nachdem ich vorher die Ursache, aus der sie entstand, dargelegt habe.
(2.) 14 Kores, ein durch Abkunft und Reichtum hervorragender Hebräer, gewandt im Reden und erfahren in der Behandlung des niederen Volkes, sah neidisch auf die hohe Würde des Moyses (er war mit ihm aus demselben Stamme und ihm verwandt) und ärgerte sich darüber. Denn er hielt sich selbst dieser hohen Stellung für würdiger, da er reicher sei als Moyses und von Herkunft nicht geringer. 15 Deshalb beklagte er sich bei den Leviten (das waren seine Stammesgenossen) und namentlich bei seinen Verwandten über Moyses. Es sei unrecht, meinte er, dass Moyses immer mehr Ruhm zu erlangen suche und zwar durch verwerfliche Mittel, und dass er stets sich stelle, als ob Gott ihm besonders gnädig sei. Seinem Bruder Aaron habe er in gesetzwidriger Weise das Priestertum übertragen, nicht nach gemeinsamem Volksbeschluss, sondern nach seinem eigenen Gutdünken. 16 Ganz nach Art der Tyrannen vergebe er die Ehrenstellen nach seinem Belieben. Schlimmer noch als offene Gewalt sei aber die heimliche Verübung des Unrechtes, denn sie treffe den Menschen nicht nur gegen seinen Willen, sondern auch ahnungslos. 17 Wer sich nämlich bewusst sei, würdig der Erlangung von Ehrenstellen zu sein, suche sie durch Überredung zu erhalten, nicht aber durch Anwendung von Gewalt zu erzwingen. Wer aber auf geradem Wege nicht dazu kommen könne, [196] enthalte sich zwar, um den Schein des Guten zu wahren, der Gewalt, wende aber Hinterlist an, um zu seinem Zweck zu gelangen. 18 Im Interesse des Volkes liege es, solche Menschen zur Verantwortung zu ziehen, weil sie im Verborgenen ihr Unwesen trieben, und nicht zuzulassen, dass ihre Macht sich mehre, da sie dann später als offene Feinde sich entpuppen würden. „Denn welchen Grund‚“ fuhr er fort, „kann Moyses dafür beibringen, dass er dem Aaron und dessen Söhnen das Priestertum übertragen hat? 19 Wenn Gott diese Ehre einem aus dem Stamme Levis zugedacht hat, so musste er mich von Rechts wegen vorziehen, da ich an Abkunft dem Moyses gleich, an Reichtum und Alter ihm dagegen überlegen bin. Wenn sie aber dem ältesten Stamme gebührt, so muss sie nach Recht und Gerechtigkeit dem Stamme Rubel zufallen und zwar dem Datham, Abiram und Phalaus. Denn diese sind aus dem Stamme die ältesten und die reichsten.“
(3.) 20 Indem Kores so sprach, wollte er den Schein erwecken, als habe er nur das allgemeine Wohl im Auge. In Wahrheit aber wollte er das Volk dahin bringen, ihm selbst die Ehrenstelle des Hohepriesters zu übertragen. Seine boshafte, aber wohldurchdachte Rede hielt er zunächst an seine Stammesgenossen. 21 Allmählich aber verbreitete sich das Gesagte weiter, und da jeder, der es vernahm‚ irgend eine Schmähung gegen Aaron hinzufügte, so waren die Beschuldigungen bald dem ganzen Heere bekannt. Der Mitverschworenen des Kores aber waren zweihundertfünfzig, alles vornehme Männer, die dahin arbeiteten, den Aaron aus der Priesterwürde zu verdrängen und den Moyses mit Schande zu bedecken. 22 Die Empörung ergriff nun das ganze Volk. Man wollte den Moyses steinigen und rottete sich mit grossem Aufruhr und Lärm zusammen. Und vor der Hütte Gottes schrien sie insgesamt, man müsse den Tyrannen, der unter dem Vorwande göttlichen Auftrages einen so grausamen Druck ausübe, umbringen und das Volk von seinem Joche befreien. 23 Wenn Gott sich einen Priester hätte erwählen [197] wollen, hätte er einem würdigen Manne diese Ehrenstelle übertragen, und nicht einem, der von vielen übertroffen würde. Und wenn er sie dem Aaron hätte verleihen wollen, würde er dies durch Volksbeschluss gethan und nicht seinem Bruder allein die Entscheidung überlassen haben.
(4.) 24 Obwohl nun Moyses die Schmähungen des Kores schon lange gemerkt und die Erregung des Volkes wahrgenommen hatte, fürchtete er sich nicht, sondern begab sich im Vertrauen auf seine bisherige gute Verwaltung und im Bewusstsein, dass sein Bruder durch Gottes Ratschluss und nicht durch Gunst zur Priesterwürde gelangt sei, mitten unter die Menge. 25 Doch redete er nicht zum Volke, obwohl er in hohem Masse die natürliche Gabe besass, auf dasselbe einzuwirken, sondern er wandte sich nur an Kores, erhob seine Stimme, so laut er konnte, und sprach: „Kores, sowohl du als auch jeder von diesen hier (dabei zeigte er auf die zweihundertfünfzig) scheint mir der Ehre des Priestertums würdig zu sein, und ich möchte auch niemand aus dem Volke von dieser Würde fernhalten, wenn er euch auch an Reichtum und anderen Vorzügen nachstände. 26 Dem Aaron aber habe ich die Priesterwürde nicht wegen seines Reichtums übertragen, denn du besitzest grösseren Reichtum als wir beide; auch nicht wegen seiner vornehmen Abkunft, denn hierin hat Gott uns gleichgestellt, da wir denselben Stammvater haben. Auch hat mich nicht brüderliche Liebe dazu verleitet, dem Aaron das zu geben, was auch ein anderer für sich beanspruchen könnte. 27 Denn hätte ich die Ehrenstelle vergeben, ohne auf Gott und das Gesetz Rücksicht zu nehmen, so hätte ich mich selbst doch nicht übergangen und einem anderen die Gunst erwiesen, da ich mir selbst näher stehe als meinem Bruder. Zudem wäre es nicht schlau von mir gewesen, mich durch eine ungerechte Handlungsweise in Gefahr zu stürzen, um einem anderen dadurch Glück zu verschaffen. 28 Aber ich bin nicht der, der euch unrecht thun könnte, und Gott würde es auch nicht zugelassen haben, dass ich ihn so [198] verachtet hätte, und dass ihr über seinen Willen im unklaren geblieben wäret. Er hat sich vielmehr seinen Priester selbst auserwählt und dadurch jeder Verantwortung in der Sache mich entbunden. 29 Obgleich nun Aaron nicht durch meine Gunst, sondern nach Gottes Ratschluss die Priesterwürde erhalten hat, so will er derselben doch entsagen, um sie denen zu überlassen, die darüber zu entscheiden haben, und er will sie nur dann weiter behalten, wenn die Schiedsrichter sich für ihn erklären. 30 Übrigens behält er sich aber sein gutes Recht vor, dass er ebenso gut wie andere sich darum bewerben darf. Denn es ist ihm weit lieber, euch nicht in diesem Aufruhr zu sehen, als jene Würde zu besitzen, obwohl er mit eurer Zustimmung zu dem Amte gelangt ist. 31 Es ist ja billig von uns, anzuerkennen, dass wir das, was Gott uns verliehen, auch eurer Zustimmung zu verdanken haben. Auch wäre es ein Zeichen von Gottlosigkeit, eine Ehrenstelle zurückzuweisen, die Gott selbst uns übertragen will; ja, es wäre unvernünftig, sie nicht anzunehmen, wenn Gott sie uns für alle Zeiten verleihen und uns in ihrem Besitz sicherstellen will. Darum mag er jetzt von neuem darüber entscheiden, wer für euch ihm Opfer darbringen und den Gottesdienst versehen soll. 32 Denn es wäre doch unbegreiflich, wenn Kores in seinem ehrgeizigen Streben nach dieser Würde Gott das Recht absprechen wollte, zu dem Amte zu berufen, wen er will. Darum lasset jetzt davon ab, wegen dieser Sache Empörung und Unruhe zu erregen. Morgen aber seid ihr alle, die ihr euch um die Priesterwürde bewerben wollt, zur Stelle, 33 und jeder bringe von Hause eine Rauchpfanne, Räucherwerk und Feuer mit. Und auch du, Kores, überlasse die Entscheidung Gott allein und warte sein Urteil in dieser Sache ab; halte dich nicht für mächtiger als Gott, tritt vielmehr demütig heran, damit es sich ausweise, ob dir die Ehrenstelle zuzuerkennen sei. Doch auch Aaron, so halte ich es für billig, muss zu dieser Wahl zugelassen werden, da er von derselben Herkunft ist, und man ihm aus seiner bisherigen Verwaltung der [199] Hohepriesterstelle nicht den mindesten Vorwurf machen kann. 34 Wenn ihr euch dann versammelt habt, so bringet ein Rauchopfer dar, indem ihr Weihrauch verbrennt, und zwar im Angesichte des Volkes. Wessen Opfer alsdann Gott am meisten gefällt, der soll von euch zum Priesteramte bestimmt werden. Man kann ihm so wenigstens nicht mehr vorwerfen, er habe von seinem Bruder aus Gunst die Würde erhalten.“
(1.) 35 Als Moyses so geredet hatte, hörte die Menge auf zu lärmen und den Moyses zu verdächtigen. Ja, sie lobten sogar seine Worte und pflichteten ihnen bei, denn sie schienen das Beste des Volkes zu wollen. Darauf ging die Versammlung auseinander. Sobald aber der nächste Tag graute, kam man in grosser Anzahl zusammen, um dem Opfer beizuwohnen und die Entscheidung in betreff der Priesterwürde zu erwarten. 36 Die Versammlung war sehr unruhig, denn das Volk war auf den Ausgang gespannt. Einige hätten ihr Vergnügen daran gehabt, wenn Moyses auf schlechten Handlungen ertappt worden wäre; die Vernünftigeren jedoch wünschten endlich von der Unruhe und dem Verdruss befreit zu werden. Denn sie fürchteten, dass bei ständigem Zunehmen des Aufruhrs schliesslich alle Bande der Ordnung gelöst werden könnten. 37 Das gemeine Volk ist ja von Natur aus dazu geneigt, der Obrigkeit zu widersprechen, sich von jedem unbedeutenden Redner umstimmen zu lassen und dann Unruhe und Lärm anzustiften. Moyses schickte nun Boten zu Abiram und Datham mit dem Befehl, sie sollten der Verabredung gemäss kommen und den Ausgang der Entscheidung durch das Opfer abwarten. 38 Diese aber antworteten, sie würden nicht erscheinen und [200] es auch nicht länger dulden, dass Moyses’ Einfluss, den er doch nur durch Hinterlist erlangt habe, noch mehr zunehme. Als Moyses diese Antwort vernommen, hiess er die Vertreter des Volkes ihm folgen und begab sich zu Datham und seinem Anhang, ohne die geringste Furcht vor den übermütigen und halsstarrigen Menschen zu haben. Diese folgten ihm auch sogleich nach. 39 Als nun Datham und sein Anhang hörten, Moyses komme mit den Vornehmsten des Volkes zu ihnen, gingen sie samt Weibern und Kindern aus ihren Wohnungen und stellten sich bei der Hütte auf, gespannt darauf, was Moyses beginnen würde. Dicht umgeben waren sie von ihren Knechten, die ihnen Hilfe leisten sollten, falls Moyses Gewaltthaten beabsichtige.
(2.) 40 Als Moyses nun in ihre Nähe gelangt war, erhob er seine Hände gen Himmel und rief mit lauter Stimme, sodass alle ihn hören konnten: „Herr des Himmels und der Erde und des Meeres, du bist der glaubwürdigste Zeuge meiner Thaten, und dass ich nichts ohne deinen Willen vollbracht habe. Du, der du mir in allen meinen Unternehmungen beigestanden und dich der Hebräer in ihren Nöten immer erbarmt hast, hilf mir auch jetzt und erhöre mein Gebet. 41 Vor dir sind weder unsere Werke noch unsere Gedanken verborgen. Würdige dich also, die Wahrheit zu offenbaren und die Undankbarkeit dieser Menschen gegen mich zu erweisen. Alles, was sich vor meiner Geburt ereignet hat, weisst du am besten, nicht vom Hörensagen, sondern weil du allgegenwärtig bist, und nichts vor deinem Auge verborgen bleibt. Sei auch mein Zeuge in der jetzigen Angelegenheit, deren wahren Sachverhalt jene Menschen wohl kennen, den sie aber trotzdem zu verdächtigen suchen. 42 Ich führte ein ruhiges Leben, das ich deinem Willen, meiner eigenen Tugend und dem Wohlwollen meines Schwiegervaters Raguel verdankte; aber ich entsagte diesem Glück und unterzog mich für das Volk allen Mühseligkeiten. Und wie früher für ihre Befreiung, so habe ich jetzt für ihr Wohlergehen die grössten Plackereien ertragen und jeder [201] Gefahr mich gern ausgesetzt. 43 Weil ich nun jetzt in den Verdacht der Bösartigkeit gekommen bin gerade bei den Menschen, die meiner Mühe und Sorge ihr Leben und ihre Sicherheit verdanken, so hilf du mir, der du dich mir im Feuer auf dem Berge Sinai gezeigt und mich gewürdigt hast, dort deine Stimme zu vernehmen und deine Wunderzeichen zu schauen. Der du mich nach Aegypten gesandt hast, um dem Volke deinen Ratschluss zu verkündigen; 44 der du der Aegyptier Glück gebeugt‚ uns aus ihrer harten Knechtschaft befreit und des Pharao Macht mir unterworfen hast; der du uns, da wir unkundig des Weges waren, das Meer in Land verwandeltest und das zurückgedrängte Meer zum Verderben der Aegyptier wieder anschwellen liessest; der du den Wehrlosen Waffen verschafftest, 45 schlechtes Wasser in trinkbares verwandeltest und in unserer äussersten Not uns Quellen aus dem Felsen sprudeln liessest; der du uns Nahrung übers Meer zuführtest, da wir auf dem Lande der Speise entbehrten; der du uns eine Speise vom Himmel sandtest, von der man bis dahin nichts gesehen noch gehört; der du uns den Gedanken an Gesetzgebung einflösstest und uns den Weg zur richtigen Verwaltung des Gemeinwesens zeigtest: 46 komm, o Herr aller Dinge, und sei mein Richter und unparteiischer Zeuge, dass ich von keinem der Hebräer Geschenke angenommen, um Recht und Gerechtigkeit zu verdrehen, und dass ich nie den Armen, wenn er im Rechte war, dem reichen Gegner habe unterliegen lassen, noch meine Macht zum Schaden des Gemeinwesens missbraucht habe. Und doch hat man mich jetzt verdächtigt, ohne dass ich mir der geringsten Schuld bewusst wäre, ich hätte nicht auf deinen Befehl, sondern nach meiner Gunst dem Aaron die Priesterwürde übertragen. 47 Deshalb zeige jetzt, dass du alles durch deine Vorsehung lenkst und regierst‚ und dass nichts grundlos und von selbst, sondern nach deinem Willen zu seinem Endzweck gelangt. Beweise, dass du für diejenigen sorgst, die den Hebräern beistehen, und strafe den Abiram und Datham, die dir Sinnlosigkeit [202] vorwerfen, als willfahrtest du meinen Ränken. 48 Mache an ihnen kund dein Strafgericht, die in ihrem Unverstand deinen Ruhm beeinträchtigen, und lasse sie auf ungewöhnliche Weise untergehen, damit sie Schrecklicheres erfahren, als gemeinhin den Menschen bei ihrem Tode zuzustossen pflegt. Darum lass die Erde sich öffnen, auf der sie stehen, und sie mit ihren Angehörigen und ihrem Besitztum verschlingen. 49 Denn das wird allen ein Beweis deiner Macht, denen aber, die übel von dir denken, ein warnendes Beispiel sein; ich dagegen werde als treuer Diener und Vollzieher deiner Befehle erwiesen werden. 50 Habe ich aber wirklich die Schandthat vollbracht, deren jene mich zeihen, so bewahre sie ungestraft vor allem Übel und lass das Verderben, das ich ihnen gönne, auf mich zurückfallen. Und hast du den bestraft, der an deinem Volke unrecht thun wollte, so festige Frieden und Eintracht unter ihnen für alle Zeit, erhalte das Volk in der Befolgung deiner Gebote, verleihe ihm ein gesichertes Leben und lass es an der Strafe, die die Frevler trifft, nicht teil haben. Denn du weisst, dass es ungerecht wäre, wenn alle Israëliten die Strafe jener Nichtswürdigen miterleiden müssten.“
(3.) 51 Als Moyses dies unter Thränen gesprochen hatte, erbebte plötzlich die Erde, und es entstand ein Wogen wie das des Meeres, wenn seine Fluten von der Stürme Gewalt erregt werden, und alle entsetzten sich. Und unter gewaltigem Geräusch und Krachen senkte sich bei den Zelten der Aufrührer der Boden und verschlang sie samt allem, was ihnen teuer war. 52 Ihre Vertilgung aber ging so schnell vor sich, dass niemand es wahrnehmen konnte, und da die Erde sich sogleich wieder schloss und ebnete, konnte man von dem, was sich zugetragen, auch nicht die leiseste Spur mehr bemerken. So wurden die Empörer dahingerafft, ein warnendes Beispiel der Allmacht Gottes. 53 Doch möchte man sie nicht allein wegen des Unglückes beklagen, das sie traf und das gewiss an sich schon Mitleid verdient, sondern auch deshalb, weil ihre Verwandten sich noch über ihr Schicksal [203] freuten. Sie vergassen gleichsam, dass Bande der Verwandtschaft sie mit den Empörern vereinigt hatten, und billigten erfreut das Strafgericht Gottes; und in dem Glauben, mit Datham und seinem Anhange sei eine Pestbeule des Gemeinwesens zu Grunde gegangen, empfanden sie über deren Tod keinen Schmerz.
(4.) 54 Moyses rief alsdann diejenigen zusammen, die sich um die Priesterwürde bewarben, damit festgestellt werde, wer, nachdem sein Opfer Gott am meisten wohlgefällig gewesen sei, zum Priestertum berufen würde. Und als nun 250 Männer hervortraten, die sowohl wegen der Tugenden ihrer Väter als auch wegen ihrer eigenen beim Volke in hohen Ehren standen, erschienen auch Aaron und Kores, und alle verbrannten vor der Hütte das Räucherwerk, das sie mitgebracht hatten. 55 Da entstand plötzlich ein mächtiges Feuer, wie es von Menschenhänden entzündet noch niemand gesehen hatte, und wie es weder aus unterirdischen Gluten hervorbricht noch von selbst in Wäldern entsteht, die von der Stürme Gewalt ergriffen werden, sondern wie es nur Gottes Geheiss entzünden kann, gewaltig und hellleuchtend. 56 Davon wurden alle zweihundertfünfzig Männer samt dem Kores dahingerafft, sodass nicht die Spur von ihren Leibern übrig blieb. Aaron allein blieb vom Feuer verschont, weil Gott dasselbe erzeugt hatte, um die zu vertilgen, die es verdient hatten. 57 Nachdem sie so zu Grunde gegangen, wollte Moyses dieses Strafgericht ewigem Andenken überliefern und späteren Nachkommen ein Zeichen davon hinterlassen. Er befahl daher dem Eleazar, dem Sohne Aarons, die Rauchpfannen der Gerichteten am ehernen Altare niederzulegen, 58 damit kommende Geschlechter erkennen möchten, was mit denen geschehen sei, die Gottes Allmacht hintergehen zu können gewähnt hatten. Aaron aber verwaltete das Ehrenamt mit seinen Söhnen weiter, nachdem es allen kund geworden, dass er nicht durch die Gunst des Moyses, sondern nach dem Urteil Gottes dasselbe zu Recht besitze.
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(1.) 59 Dennoch legte sich die Empörung nicht völlig, wuchs vielmehr bald wieder und ward heftiger als zuvor. Und die Ursache, die das Übel von Tag zu Tag verschlimmerte, machte es wahrscheinlich, dass es so bald nicht aufhören, sondern noch lange Zeit andauern werde. 60 Obgleich man sich nämlich überzeugt haben musste, dass nichts ohne den Willen Gottes geschehe, glaubte man doch, Gott thue das alles nur dem Moyses zu Gefallen. Ihm allein legten sie die Schuld dafür bei, dass Gottes Zorn an jenen so schrecklich gewaltet habe. Gott sei auch nicht so sehr durch ihre Vergehen beleidigt, als vielmehr von Moyses aufgereizt worden. 61 Und jene seien wegen keiner anderen Sünde vertilgt worden, als weil sie Gottes Verehrung und Dienst sich eifrig hätten angelegen sein lassen. Moyses habe durch den Tod so vieler vornehmen Männer das Volk strafen wollen, damit er niemals mehr zur Verantwortung gezogen werden könne, und damit sein Bruder im Besitze der Priesterwürde gesichert sei. 62 Denn von jetzt ab werde niemand mehr so grosses Verlangen danach tragen, da andere dadurch in ihr Verderben gestürzt seien. Obendrein wühlten auch die Verwandten der Gerichteten eifrig im Volke, um die Anmassung des Moyses in die gebührenden Grenzen zurückzuweisen; denn das schien ihre eigene Wohlfahrt und Sicherheit zu fordern.
(2.) 63 Moyses aber, der schon lange die steigende Erregung des Volkes bemerkt hatte, befürchtete, es möchte von neuem ein Aufruhr ausbrechen, und grosses Unheil entstehen. Daher berief er das Volk zur Versammlung und hörte ihre Vorwürfe ruhig an, ohne etwas zu seiner Entschuldigung vorzubringen, um sie nicht noch mehr zu reizen. Alsdann befahl er den Stammesoberhäuptern, Stäbe herbeizubringen, auf denen die Namen der einzelnen Stämme verzeichnet seien. 64 Denn der solle die Priesterwürde erhalten, auf dessen Stab Gott ein Zeichen [205] erscheinen lassen würde. Dieser Vorschlag fand Zustimmung, und man brachte die Stäbe herbei; Aaron aber hatte auf seinem Stabe den Stamm Levis verzeichnet. Moyses nahm nun die Stäbe und legte sie in der Hütte Gottes nieder. Am folgenden Tage aber holte er sie wieder hervor, und sie konnten leicht wiedererkannt werden, da sie sowohl von den Oberhäuptern als auch vom Volke gekennzeichnet worden waren. 65 Die anderen Stäbe hatten nun genau das Aussehen beibehalten, welches sie gehabt, als Moyses sie empfing; an Aarons Stab hingegen sah man Zweige, Sprossen und reife Früchte, nämlich Mandeln, denn aus diesem Holze war der Stab verfertigt. 66 Erstaunt ob der Neuheit der Erscheinung, liessen sie nun von dem Hasse ab, den sie vielleicht ebensosehr gegen Aaron als gegen Moyses gehegt hatten, bewunderten Gottes Urteil und stimmten seinem Beschlusse bei. Und so erkannte man gern an, dass Aaron mit Recht die Priesterwürde zustehe. Aaron wurde nun, nachdem Gott ihn dreimal erwählt und durch Zeichen beglaubigt hatte, dauernd in seine Würde eingesetzt, und der Aufruhr auf diese Weise beendigt, nachdem er lange gewährt hatte.
(3.) 67 Da der Stamm Levis, weil er zum Dienste Gottes bestimmt war, vom Kriegsdienste befreit war, so befahl Moyses, damit derselbe nicht aus Not oder wegen der Sorge für den Lebensunterhalt den heiligen Dienst vernachlässige, die Hebräer sollten, sobald sie nach Gottes Willen das Land Chananaea in Besitz genommen, den Leviten achtundvierzig schöne und grosse Städte nebst dem Ackerlande bis zweitausend Ellen von der Stadtmauer im Umkreise zuteilen. 68 Ausserdem schrieb er dem Volke vor, den Leviten und Priestern den Zehnten des jährlichen Ernteertrages zu entrichten. Dies war das Einkommen, welches dieser Stamm vom Volke erhielt. Was davon den Priestern allein zukam, glaube ich besonders aufführen zu müssen.
(4.) 69 Von den achtundvierzig Städten mussten ihnen die Leviten dreizehn einräumen, und ausserdem von [206] dem Zehnten, den sie jährlich vom Volke erhielten, wieder den Zehnten an sie abtreten. 70 Weiterhin bestimmte Moyses, das Volk solle die Erstlinge aller Früchte, die die Erde hervorbringt‚ Gott darbringen; und von den vierfüssigen Tieren, die zum Opfer bestimmt waren, sollten sie die männliche Erstgeburt den Priestern zum Opfer bringen, damit sie dieselbe mit ihren Familien in der heiligen Stadt verzehrten. 71 Für die Tiere aber, deren Verspeisung das Gesetz verbot, mussten deren Besitzer einen und einen halben Sekel entrichten. Für die menschlichen Erstlinge waren fünf Sekel zu zahlen. Auch gebührten den Priestern die Erstlinge der Schafschur, und wenn Weizen gemahlen oder Brot gebacken wurde, so erhielten sie davon einen Kuchen. 72 Diejenigen, welche sich einem Gelöbnis gemäss Gott weihen (die Naziräer, welche ihr Haar wachsen lassen und sich des Weingenusses enthalten), geben, wenn sie ihr Haar scheren, dieses den Priestern zum Opfer. 73 Ferner müssen diejenigen, die sich Korban nennen (das heisst im Hebraeischen „Geschenk an Gott“), wenn sie von dem Dienst, zu dem sie sich verpflichtet haben, entbunden sein wollen, den Priestern Geld geben, und zwar ein Weib dreissig und ein Mann fünfzig Sekel. Wer aber dazu zu arm ist, dem können die Priester nach Gutdünken die Abgabe erlassen. 74 Wenn jemand zu Hause zu einem Gastmahl, nicht zum Gottesdienste, einen Ochsen oder ein Schaf schlachtet, muss er den Priestern die Kaldaunen, ein Stück von der Brust und die rechte Schulter darbringen. So verschaffte Moyses den Priestern ein reichliches Einkommen, wozu noch das hinzukam, was ihnen von den für das Volk dargebrachten Sühnopfern gebührte, wie ich es im vorigen Buche beschrieben habe. 75 Von allen diesen Abgaben mussten die Priester aber auch ihren Hausgenossen, Töchtern und Weibern etwas zuteilen mit Ausnahme der Opfertiere von den Sühnopfern, die nur die männlichen Mitglieder der Priesterfamilie an demselben Tage im Tempel verzehren durften.
[207] (5.) 76 Als Moyses nach der Unterdrückung des Aufruhrs diese Vorschriften gegeben hatte, brach er mit dem ganzen Heere auf und kam an die Grenze von Idumaea. Er schickte darauf Gesandte zum König der Idumäer und liess um freien Durchzug durch sein Land bitten, indem er jede Verantwortung dafür übernahm, dass ihm kein Unrecht noch Schaden zugefügt werden würde. Auch liess er um die Erlaubnis zum Einkauf von Lebensmitteln ersuchen; er wolle sogar das Wasser bezahlen, wenn der König es verlange. 77 Dieser aber schlug das Ersuchen der Gesandten rundweg ab und verweigerte ihnen nicht nur den Durchmarsch, sondern zog sogar mit einem Heere dem Moyses entgegen, um ihn, wenn er den Einmarsch mit Gewalt erzwingen wollte, daran zu hindern. Deshalb führte Moyses, dem auf seine Anfrage Gott den Rat gegeben hatte, sich nicht auf einen Kampf einzulassen, das Heer zurück und nahm auf Umwegen den Marsch durch die Wüste.
(6.) 78 Um diese Zeit starb auch Mariamme, die Schwester des Moyses, im vierzigsten Jahre nach dem Auszug aus Aegypten, im Neumond des Monats Xanthikos. Sie wurde mit grosser Pracht auf öffentliche Kosten auf einem Berge, der Sin genannt wird, begraben, und als das Volk dreissig Tage um sie getrauert hatte, reinigte Moyses es auf folgende Weise. 79 Der Hohepriester führte ein tadelloses rotes Rind, das noch nicht zum Pflügen und Ackerbau ins Joch gespannt worden war, etwas vom Lager entfernt an einen ganz reinen Ort, schlachtete es und besprengte mit seinem Blute siebenmal die Hütte Gottes. 80 Dann verbrannte er das ganze Rind, wie es dalag, mit Haut und Eingeweiden, und warf Cedernholz sowie Hyssop und scharlachrote Wolle ins Feuer. Die ganze Asche sammelte ein reiner Mann und legte sie an einen ganz reinen Ort. 81 Diejenigen, welche durch einen Toten verunreinigt waren, streuten etwas von dieser Asche mittels eines Hyssopzweiges in eine Quelle, gaben dann eine Kleinigkeit von derselben Asche in Wasser und besprengten sich damit am dritten und am [208] siebenten Tage, worauf sie für rein galten. Diesen Gebrauch schrieb Moyses ihnen auch für die Zukunft vor, wenn sie in das verheissene Land gelangt seien.
(7.) 82 Nachdem das Heer so von der Leichentrauer um seine Schwester gereinigt war, führte Moyses es nebst dem ganzen Tross durch die Wüste und Arabien weiter. Als man nun zu einem Orte gelangt war, den die Araber für ihre Hauptstadt ansehen, einstmals Arke, jetzt aber Petra genannt, 83 bestieg Aaron einen Höhenzug, der die Stadt umgab, da Moyses ihm verkündet hatte, dass er bald sterben werde. Und im Angesichte des ganzen Heeres (denn der Berg war abschüssig) zog er sein hohepriesterliches Gewand aus und übergab es seinem Sohne Eleazar, dem wegen seines Alters zunächst die Priesterwürde zukam. 84 Alsdann verschied er im Angesichte des Volkes, in demselben Jahre, da auch seine Schwester gestorben war, und im Alter von hundertdreiundzwanzig Jahren. Sein Todestag fiel auf den Anfang des Monats in den Neumond; der Monat aber heisst bei den Athenern Hekatombaion, bei den Macedoniern Loos und bei den Hebräern Abba.
(1.) 85 Als die Trauerzeit von dreissig Tagen verstrichen war, zog Moyses mit dem Heere weiter und schlug das Lager am Flusse Arnon auf, welcher von den Bergen Arabiens entspringt, die ganze Wüste durchströmt und in den See Asphaltis[1] mündet. Er trennt das Land Moabitis vom Lande Amoritis. Die Gegend dort war sehr fruchtbar und konnte eine grosse Menge Menschen ernähren. 86 Von hier schickte Moyses Gesandte an [209] Sichon, den Beherrscher dieses Landes, und liess um freien Durchzug durch das Land bitten unter der Versicherung, dass weder ihm, noch dem Ackerlande, noch seinen Unterthanen ein Schaden entstehen solle. Auch beabsichtigten sie Lebensmittel zu kaufen, sodass sie noch Vorteil von ihnen haben würden, zumal sie sogar das Wasser bezahlen wollten. Sichon aber verweigerte den Durchzug, bewaffnete in Eile alle seine Truppen und rüstete sich, die Hebräer am Übergang über den Arnon zu hindern.
(2.) 87 Als Moyses die feindliche Gesinnung des Amorrhäers merkte, glaubte er diese verächtliche Behandlung nicht leiden zu dürfen, und um die Hebräer aus ihrer Unthätigkeit aufzurütteln und sie vor dem Mangel zu bewahren, der sie früher zu dem Aufruhr verleitet hatte, fragte er Gott um Rat, ob er ihn angreifen dürfe. 88 Und da Gott nicht nur den Krieg gestattete, sondern auch einen siegreichen Ausgang versprach, so rüstete er sich vertrauensvoll zum Kampfe und feuerte die Streiter an, indem er sie beschwor, jetzt ihre Kampfbegier zu stillen, da Gott ihnen die Erlaubnis dazu erteilt habe. Diese ergriffen auch sogleich die Waffen und eilten zum Kampf. 89 Als sie nun heftig einherstürmten, war der Amorrhäer seiner selbst nicht mehr mächtig, sondern erschrak beim Anblick der Hebräer, und auch sein Heer, welches vorher Tapferkeit zur Schau getragen, ergriff mächtige Furcht. Daher hielten sie dem ersten Ansturm nicht stand, sondern wandten sich zur Flucht, wodurch sie sich eher als durch Kampf retten zu können glaubten. 90 Sie vertrauten nämlich ihren festen Städten, die ihnen indes nichts nutzten. Denn als die Hebräer sie weichen sahen, drängten sie unverweilt nach, verwirrten ihre Reihen und verbreiteten Schrecken unter ihnen. 91 Jene zogen sich darauf in die Städte zurück. Die Hebräer aber liessen in der Verfolgung nicht nach und legten statt der früheren Schwäche eine bedeutende Ausdauer an den Tag. Und da sie vortreffliche Schleuderer und im Kampfe mit Wurfgeschossen sehr [210] erfahren waren, auch wegen ihrer leichten Rüstung eine besondere Beweglichkeit besassen, so holten sie die Feinde bald ein und töteten die, welche sie wegen weiterer Entfernung nicht gefangen nehmen konnten, mit Schleudern und Wurfspeeren. 92 So richteten sie ein grosses Blutbad an. Die Fliehenden aber litten sehr an ihren Wunden, und es peinigte sie der Durst noch mehr als der Feind, da es gerade im Sommer war. Und als sie nun nach einem Trunk lechzend dem Flusse zueilten, wurden sie haufenweise von den Hebräern umzingelt und mit Wurfspeeren und Pfeilen sämtlich niedergemacht. 93 Der König Sichon fiel ebenfalls. Die Hebräer plünderten die Gefallenen und machten reiche Beute; dazu gewährte ihnen auch das Land Überfluss an Lebensmitteln, weil noch eine Menge Getreide auf den Äckern stand. 94 Die Soldaten streiften ohne alle Furcht umher, nahmen die, welche sich feindlich verhielten, gefangen, und sammelten Lebensmittel ein. Niemand trat ihnen dabei in den Weg, zumal da alle Tapferen gefallen waren. Diese Niederlage erlitten die Amorrhäer, weil sie weder klug überlegten noch tapfer kämpften. Die Hebräer aber nahmen ihr Land in Besitz. 95 Dieses liegt zwischen drei Flüssen und gleicht einer Insel: denn der Arnon begrenzt es gegen Süden, und gegen Norden der Jabach, der sich in den Jordan ergiesst und damit seinen Namen verliert. Die dritte Seite des Landes, gegen Westen, grenzt an den Jordan.
(3.) 96 Während sich dies ereignete, rüstete Og, der König von Galad und Gaulanitis, sich zum Kriege gegen die Israëliten und rückte in Eile an der Spitze eines Heeres heran, um seinem Freunde und Verbündeten Siohon zu Hilfe zu kommen. Und obgleich er erfuhr, dass dieser schon gefallen sei, beschloss er nichtsdestoweniger mit den Hebräern zu kämpfen; denn er zweifelte nicht an seinem Siege und wollte auch ihre Tapferkeit erproben. 97 In dieser Erwartung ward er jedoch sehr getäuscht: er selbst fiel, und sein ganzes Heer wurde aufgerieben. Moyses überschritt darauf den Jabach, durchzog das [211] Königreich des Og‚ zerstörte die Städte und tötete die Einwohner, welche alle übrigen Völker jener Gegend wegen der Fruchtbarkeit ihres Bodens und ihrer grossen Besitzungen an Reichtum übertrafen. 98 Der König Og war ein grosser und schöner Mann, wie es wenige giebt; auch war er so tapfer, dass seine herrlichen Thaten dem hohen Wuchse seiner Gestalt und seinem schönen Äusseren entsprachen. Von seiner Kraft und Grösse konnte man sich eine Vorstellung machen nach dem Bette, welches in der ammanitischen Königsstadt Rabath erbeutet wurde. Dasselbe war von Eisen und mass in der Breite vier und in der Länge neun Ellen. 99 Durch seinen Fall standen die Sachen für die Hebräer nicht nur augenblicklich günstig, sondern sein Tod gab auch die besten Hoffnungen für die Zukunft. Denn sie nahmen sechzig vortrefflich befestigte Städte, welche unter seiner Herrschaft gestanden hatten, ein und machten sowohl im allgemeinen als auch jeder einzelne für sich grosse Beute.
(1.) 100 Moyses führte nun das Heer nach dem Jordan zu und schlug das Lager in der grossen Ebene bei Jericho auf. Diese Stadt ist sehr reich, und es wachsen dort besonders viele Palmen und Balsamstauden. Die Israëliten aber waren so übermütig geworden, dass sie vor Kampfbegier brannten. 101 Daher schickte Moyses, nachdem er einige Tage lang Gott Dankopfer dargebracht und das Volk mit Gastmahlen bewirtet hatte, einen Teil seiner Truppen, um des Land der Madianiter zu plündern und zu verwüsten und ihre Städte zu erobern. Die Ursache dieses Krieges war folgende.
(2.) 102 Als Balak, der König der Moabiter, der zu den Madianitern in einem alten Freundschafts- und Bundesgenossenverhältnis stand, die Macht der Israëliten so [212] sehr anwachsen sah, geriet er auch in Sorge um sein eigenes Königreich, da es ihm unbekannt war, dass die Israëliten einem Gebote Gottes zufolge verpflichtet waren, nach der Besitzergreifung Chananaeas kein anderes Land mehr zu erobern. Er beschloss also mit mehr Eile als Überlegung, sie mit List anzugreifen. 103 Denn offen mit ihnen zu kämpfen, hielt er, da sie durch ihre Erfolge noch mehr als durch ihr Unglück gewitzigt waren, nicht für ratsam. Er wollte nur, so viel er dies vermochte, verhüten, dass sie noch mächtiger würden, und in dieser Absicht schickte er Gesandte an die Madianiter. 104 Und da am Euphrat ein gewisser Balam lebte, der ein berühmter Seher war und mit ihnen in Freundschaft verkehrte, so sandten die Madianiter ausser den Boten Balaks auch einige ihrer angesehensten Männer zu dem Seher, um ihn zu ersuchen, er möge die Israëliten verfluchen. 105 Dieser empfing die Gesandten sehr höflich, und nachdem er sie bewirtet hatte, fragte er Gott um Rat, ob er dem Verlangen der Madianiter nachgehen solle. Als aber Gott ihm davon abriet, begab er sich wieder zu den Gesandten und erklärte ihnen, er bedaure, ihrem Wunsche nicht entsprechen zu können, denn Gott, dem er seine Berühmtheit im Wahrsagen und Prophezeien verdanke, gestatte dies nicht. 106 Das Heer nämlich, das sie verflucht wissen wollten, sei Gott besonders teuer. Er riet ihnen daher, sie möchten sich zu den Israëliten begeben und von der Feindschaft gegen dieselben abstehen. Mit diesen Worten entliess er die Gesandten.
(3.) 107 Die Madianiter aber schickten bald, da Balak sie darum bestürmte und ihnen glänzende Versprechungen machte, aufs neue eine Gesandtschaft zu Balam, der, um ihrer Bitte willfahren zu können, Gott nochmals um Rat anging. Über diese abermalige Versuchung erzürnt, befahl Gott ihm, den Gesandten ihre Bitte nicht abzuschlagen. Und da er nicht ahnte, dass Gott ihm dies nicht im Ernste befohlen hatte, reiste er sogleich mit den Boten ab. 108 Unterwegs aber begegnete ihm an einer [213] engen, von beiden Seiten durch Einfriedigungen begrenzten Stelle ein Engel Gottes, und die Eselin, auf welcher Balam ritt, wich, als ob sie den Geist Gottes gemerkt hätte, gegen die eine Einfriedigung aus, ungeachtet der Schläge, die ihr Balam versetzte, der sich an der Wand durch Anstossen den Fuss verletzt hatte. 109 Als aber der Engel nicht wich, und Balam die Eselin wiederum heftig schlug, fiel diese zu Boden, fing auf Geheiss Gottes mit menschlicher Stimme an zu reden und schalt den Balam ob seiner Ungerechtigkeit: Obgleich er über ihre bisherigen Dienste sich doch nicht zu beklagen habe, misshandle er sie jetzt mit Schlägen und sehe nicht ein, dass Gott ihn daran hindern wolle, denen zu Willen zu sein, zu denen er sich begebe. 110 Balam stand erstaunt und verwirrt da über die menschliche Stimme der Eselin; noch mehr aber erschrak er, als er auf einmal den Engel erblickte, der auch seinerseits ihm Vorwürfe darüber machte, dass er die Eselin geschlagen habe. Denn das Tier trage keine Schuld, er selbst vielmehr wolle ihn daran hindern, gegen den Willen Gottes diese Reise zu machen. 111 Balam wollte nun umkehren; Gott aber hiess ihn seinen Weg fortsetzen, nur müsse er dem Balak das verkünden, was er (Gott) ihm eingeben werde.
(4.) 112 Nachdem Gott ihm dies befohlen, kam er zu Balak. Dieser empfing ihn ehrenvoll, und Balam verlangte alsdann, auf einen Berg geführt zu werden, von wo er das Lager der Hebräer überschauen könne. Der König war sogleich dazu bereit und führte den Seher mit königlichem Geleit auf einen hochragenden Berg, der vom Lager der Hebräer sechzig Stadien[2] entfernt war. 113 Als Balam dieses erblickt hatte, trug er dem König auf, sieben Altäre errichten und ebenso viele Stiere und Widder herbeibringen zu lassen. Der König that das sogleich, und nun brachte Balam ein Brandopfer dar, um zu erforschen, ob die Israëliten die Flucht ergreifen [214] würden. Darauf begann er also zu sprechen: 114 „O glückliches Volk, dem Gott unermesslichen Reichtum verliehen und dem er in allem seine Leitung und Hilfe versprochen hat! Sicher giebt es auf Erden kein Volk, das euch an Tugend und Eifer für alles Gute und Ehrbare gleichsteht oder auch nur nahekommt, und alles das werdet ihr euren Kindern hinterlassen, die noch glücklicher sein werden als ihre Väter. Denn Gott ist euch allein von allen Menschen gnädig und spendet euch mit vollen Händen; deshalb seid ihr die Glücklichsten von allen, die die Sonne bescheint. 115 Ihr werdet das Land besitzen, das er euch verheissen, es wird euren Nachkommen für alle Zeiten verbleiben, und ihr Name wird mit seinem Ruhm den Erdkreis und das Meer erfüllen; ja, jeder Teil der Erde wird euren Nachkommen zum Wohnsitz dienen. 116 Wundere dich nicht hierüber, o glückliches Heer, da du von einem Stammvater entsprossen und zu einem so mächtigen Volke herangewachsen bist. Zwar ist eure Zahl jetzt noch nicht so gross, da das Land Chananaea euch aufnehmen wird; doch wisset, dass in Zukunft der Erdkreis euch gerade genug sein wird, dass ihr zahlreicher sein werdet als die Sterne des Himmels, und dass Inseln wie Festland euch zu Wohnstätten dienen werden. Aber mögt ihr auch noch so zahlreich werden, Gott wird doch nicht aufhören, euch im Frieden jeglichen Überfluss, im Kriege aber Sieg und Herrlichkeit zu verleihen. 117 Die Feinde werden vor Verlangen brennen, mit euch zu kämpfen, und in ihrem Übermut euch zum Kriege reizen. Doch nicht mehr werden sie siegreich heimkehren, wie sie gewöhnt sind, noch Weib und Kinder damit erfreuen. Mit solcher Tapferkeit hat Gott euch beglückt, der die Hohen erniedrigt und die Armseligen erhöht.“
(5.) 118 So prophezeite der Seher, sich selbst entrückt und erfüllt vom Geiste Gottes. Balak aber ärgerte sich und warf ihm vor, er verletze den Vertrag, da er doch so reiche Geschenke von den Verbündeten erhalten habe. Er sei gekommen, um die Feinde zu verfluchen, und [215] jetzt lobe er sie sogar und preise sie als die Glücklichsten der Sterblichen. 119 Balam aber entgegnete: „O Balak, erwäge doch wohl, ob es bei uns steht, was wir sagen oder verschweigen wollen, wenn der Geist Gottes uns ergreift! Denn dann redet Er durch uns, was Er will, ohne dass wir etwas davon wissen. 120 Ich weiss wohl sehr gut, um welcher Ursache willen ihr und die Madianiter mich habt rufen lassen, und ich hatte auch im Sinn, in allem deinem Wunsche zu entsprechen. 121 Aber ich musste Gott mehr gehorchen als euch, denen ich einen Gefallen erweisen wollte. Denn ohnmächtig sind die, die etwa aus sich selbst den Menschen die Zukunft vorhersagen wollen; sie verkünden nicht das, was Gott ihnen eingegeben, sondern widersetzen sich seinem Willen. Sobald aber unser Herz vom göttlichen Hauche bewegt wird, verkünden wir nicht mehr unsere eigenen Gedanken. 122 Ich beabsichtigte nicht, dieses Heer zu loben oder das Gute aufzuzählen, das Gott ihren Nachkommen zugedacht hat; Gott selbst indes, der ihnen gnädig ist, ihr Leben beglückt und ihren Ruhm unsterblich macht, hat mir diese Worte eingegeben, die ich nach seinem Willen verkündete. 123 Da es mir aber sehr am Herzen liegt, dir und den Madianitern mich gefällig erzeigen zu können und euer Begehren nicht abzuschlagen, so lass andere Altäre errichten, und dann wollen wir wieder opfern und versuchen, ob wir Gott dazu bewegen können, dass er mir erlaubt, dieses Volk zu verfluchen.“ 124 Balak ging hierauf ein; als Gott aber auch jetzt nicht gestattete, dass Balam den Israëliten fluche,[WS 1] 125 fiel dieser auf sein Angesicht nieder und verkündete die Schicksale, die den Königen und den berühmtesten Städten, wovon ein Teil noch gar nicht bewohnt war, bevorstanden, sowie auch das, was in den vergangenen Jahrhunderten bis auf unsere Tage den Menschen zu Lande und zu Wasser zugestossen ist. Und weil alles nach seinen Prophezeiungen eingetroffen ist, so lässt sich auch schliessen, dass künftig seine Weissagungen sich erfüllen werden.
[216] (6.) 126 Balak aber zürnte, dass die Israëliten nicht verflucht worden waren, und entliess den Balam ohne Ehrenbezeugungen. Als dieser nun im Begriff war, abzureisen und den Euphrat zu überschreiten, rief er den Balak und die Obersten der Madianiter zu sich 127 und sprach zu ihnen: „O Balak und ihr anwesenden Madianiter, ich muss mich selbst gegen Gottes Willen euch gefällig erzeigen. Das Volk der Hebräer wird zwar niemals gänzlich vernichtet werden, weder durch Krieg und Krankheit, noch durch Mangel an Lebensmitteln oder andere unvorhergesehene Unfälle. 128 Denn Gottes Fürsorge bewahrt sie vor allem Übel und lässt ihnen kein Unheil zustossen, das sie vernichten würde. Für kurze Zeit allerdings werden sie Leid und Ungemach erdulden, das sie schwer drücken und beugen wird; dann jedoch werden sie wieder erstarken und diejenigen in Schrecken jagen, die ihnen Schaden zugefügt haben. 129 Wollt ihr sie aber für einige Zeit überwältigen, so werdet ihr dies erreichen, wenn ihr folgenden Rat beherzigt. Nehmt die schönsten eurer Töchter, die geeignet sind, durch ihren Liebreiz die Leidenschaft heftig zu entflammen, lasst sie ihren herrlichsten Schmuck anlegen, schickt sie in die Nähe des Lagers der Hebräer und traget ihnen auf, sie sollten sich den Jünglingen, die sie begehren, ohne Sprödigkeit hingeben. 130 Sobald sie dieselben aber im Netze der Sinnlichkeit gefangen sähen, sollten sie sich stellen, als wollten sie fliehen. Wenn die Jünglinge sie dann bäten, zu bleiben, so sollten sie nicht eher nachgeben, bis sie dieselben überredet hätten, mit Hintansetzung ihrer väterlichen Gesetze und der Verehrung Gottes, der ihnen diese Gebote gegeben, die Götter der Madianiter und Moabiter zu verehren. So würden sie sich den Zorn Gottes zuziehen. Nach diesem Vorschlage reiste er ab.
(7.) 131 Die Madianiter befolgten seinen Rat und schickten ihre Töchter zu den Hebräern. Die hebraeischen Jünglinge liessen sich auch wirklich von deren Schönheit fesseln, knüpften ein Gespräch mit ihnen an und baten [217] sie eindringlich, ihnen den Genuss ihrer Schönheit und das Vergnügen vertraulichen Umganges zu gestatten. Die Mädchen hörten das gern und willfahrten ihnen. 132 Als sie nun die Jünglinge in Liebe verstrickt hatten und sie in heftiger Leidenschaft entbrannt sahen, schickten sie sich an, wegzugehen. Diese aber gerieten darob in grosse Trauer und beschworen sie mit flehentlichen Bitten, sie nicht zu verlassen, sondern bei ihnen zu bleiben, ihre Gattinnen zu werden und Hab und Gut mit ihnen zu teilen. 133 Diese Anerbietungen bekräftigten sie mit einem Eidschwur‚ riefen Gott zum Zeugen ihres Versprechens an und suchten durch Thränen und alle möglichen Mittel die Mädchen zum Mitleid zu bewegen. Als diese nun merkten, dass die Jünglinge von Leidenschaft überwältigt und gefesselt seien, fingen sie an, also zu ihnen zu reden:
(8.) 134 „Wir haben, ihr werten Jünglinge, Haus und Heimat, besitzen grossen Reichtum und entbehren nicht der Liebe und Zuneigung unserer Eltern und Verwandten. Wir sind also nicht zu euch gekommen, weil wir an irgend etwas Mangel leiden, oder weil wir aus unserem Umgang mit euch Gewinn ziehen wollen – sondern weil wir euch für gute und rechtschaffene Männer halten, haben wir eure Gastfreundschaft gesucht und eurem Verlangen nachgegeben. 135 Und da ihr nun sagt, dass ihr uns sehr lieb habt, und euch von Trauer ergriffen zeigt, weil wir weggehen wollen, so wollen wir eure Bitten erfüllen und gern eure rechtmässigen Gattinnen werden, wenn ihr uns den Beweis eurer Liebe gegeben habt, der allein uns zufriedenstellen kann. 136 Denn wir befürchten sonst, ihr möchtet uns, nachdem ihr unseres Umganges überdrüssig geworden, mit Schimpf und Schande wieder zu unseren Eltern zurückschicken. Verzeiht uns daher, wenn wir uns vor dieser Möglichkeit schützen wollen.“ Als nun die Jünglinge versprechen, ihnen jede gewünschte Bürgschaft zu bieten, da sie ihnen bei der Grösse ihrer Liebe nichts abschlagen konnten, fuhren die Mädchen also fort: 137 „Weil ihr uns nun willfährig [218] seid, eure Sitten und Lebensweise aber von den unseren so sehr verschieden sind, dass ihr sogar besondere Speisen und Getränke geniesst, so ist es notwendig, dass ihr, wenn ihr mit uns zusammenleben wollt, auch unsere Götter verehrt. Denn nichts kann uns ein so zuverlässiges Zeichen eurer Liebe für jetzt und für die Zukunft sein, als wenn ihr mit uns dieselben Götter anbetet. 138 Niemand kann euch auch daraus einen Vorwurf machen, dass ihr die Götter des Landes verehret, in welches ihr zu kommen gesonnen seid, zumal da unsere Götter bei allen Völkern in Ehren stehen, euer Gott dagegen bei keinem anderen Volke als bei euch. Ihr müsst also dieselbe Art der Gottesverehrung annehmen, die alle haben, oder euch ein anderes Land suchen, wo ihr nach euren eigenen Gesetzen leben könnt.“
(9.) 139 Den sterblich verliebten Jünglingen gefiel diese Rede, sodass sie den Mädchen in allem nachgaben und ihre heimischen Gesetze übertraten. Und da sie nun an viele Götter glaubten, opferten sie ihnen auch nach der Sitte jener Völker, genossen fremdartige Speisen und thaten den Weibern alles zu Gefallen, was den Vorschriften des Gesetzes zuwiderlief. 140 Bereits hatte sich die Frechheit der Jünglinge weiter im Heere verbreitet, sodass eine Empörung drohte, schlimmer als die frühere, und Gefahr vorlag, dass die väterlichen Einrichtungen völlig in Vergessenheit gerieten. Denn nachdem die Jugend einmal Geschmack an den fremden Sitten gefunden, hing sie daran mit heissem Verlangen, und selbst die Besseren des Volkes, die sich tugendhafter Vorfahren rühmen konnten, wurden von dem Übel ergriffen und dazu verleitet.
(10.) 141 Auch Zambrias, das Oberhaupt des Stammes Simeon, lebte mit einer Madianiterin Chosbia, einer Tochter des Sur, die aus dem Königsgeschlechte jenes Volkes stammte, und verachtete ihr zuliebe die Gebote des Moyses, opferte nicht mehr nach seiner heimischen Sitte und nahm schliesslich sogar die Fremde zur Ehe. 142 Bei dieser schlimmen Sachlage besorgte Moyses, es [219] möchte noch viel Ärgeres daraus folgen, und berief deshalb das Volk zur Versammlung. Doch klagte er niemand mit Namen an, weil er diejenigen nicht zur Verzweiflung treiben wollte, die erst noch im geheimen fehlten und der Besserung zugänglich waren. 143 Er warf ihnen vor, ihre Thaten seien für sie selbst wie für ihre Vorfahren höchst schimpflich, da sie der Wollust nachhingen, anstatt Gott zu dienen und nach seinen Geboten zu leben. Sie sollten, wenn sie ihr Bestes im Auge hätten, ihren Frevel bereuen und ihre Stärke nicht in der Verachtung der Gesetze, sondern in der Bezähmung ihrer schlechten Begierden suchen. 144 Zudem sei es ja widersinnig, dass sie, die in der Wüste so enthaltsam gewesen, jetzt, da sie im Überfluss lebten, durch Ausschweifung und Verschwendung zu Grunde gehen sollten. Durch solche Reden suchte er die Jugend zu bessern und ihnen Reue über ihre Fehler einzuflössen.
(11.) 145 Da aber erhob sich Zambrias und sprach: „Lebe du selbst, Moyses, nach deinen Gesetzen, für die du so sehr eiferst und die du durch die Macht der Gewohnheit befestigt hast. Wäre dem nicht so, so hättest du selbst schon oft dafür gebüsst und gelernt, dass du nicht ungestraft die Hebräer betrügen kannst. 146 Ich wenigstens werde mich deinen tyrannischen Vorschriften nicht fügen. Bis jetzt hast du nichts anderes erstrebt, als unter dem Vorwande göttlicher Gesetzgebung uns zu knechten, dir aber durch allerlei Ränke die Herrschaft zu sichern. Du hast uns dasjenige geraubt, was einem freien und freiheitsliebenden Volke eigen ist, das keinen Herrn über sich erkennt. 147 Wahrlich, mehr als die Aegyptier bedrängt uns der Mann, der das, was wir aus freien Stücken thun würden, unter den Zwang von Gesetzen stellen und danach bestrafen will. Viel eher verdienst du selbst Strafe dafür, dass du das verwirfst, was alle anderen gutheissen, und dass du im Gegensatz zur Meinung aller übrigen auf deiner eigenen Meinung hartnäckig bestehst. 148 Was ich gethan, halte ich nicht für unrecht, und ich scheue mich auch nicht, es öffentlich [220] zu bekennen. Ich habe, wie du sagst, ein fremdes Weib zur Ehe genommen; nimm dies Geständnis von mir an als von einem freien Manne, der nicht nötig hat, etwas zu verheimlichen. 149 Ich opfere auch, was du für Frevel hältst, den Göttern: denn ich meine, es sei billig, da so viele Wege zur Wahrheit führen, nicht tyrannischerweise auf einen allein seine ganze Hoffnung zu setzen. Es giebt niemand, der sich rühmen könnte, mehr Urteilskraft bezüglich dessen zu haben, was mich allein angeht, als ich selber.“
(12.) 150 Als Zambrias so über seine und der anderen Vergehungen geredet hatte, verhielt sich das Volk ruhig und erwartete in ängstlicher Spannung, was kommen sollte. Der Gesetzgeber aber schien sich in keinen weiteren Streit einlassen zu wollen, um den frechen Menschen nicht noch mehr zu reizen. 151 Moyses fürchtete nämlich, es möchten noch viele seinen verwegenen Worten folgen und das Volk zum Aufruhr drängen. Und so ging denn die Versammlung auseinander. Vielleicht würde aber doch das Übel noch gewachsen sein, wenn Zambrias nicht bald darauf gestorben wäre. Das ging so zu. 152 Phineës, der unter der Jugend sowohl durch andere Vorzüge als besonders auch durch die Würde seines Vaters hervorragte (er war nämlich ein Sohn des Hohepriesters Eleazar und ein Enkel von Moyses’ Bruder), empfand heftigen Unwillen über das Treiben des Zambrias und suchte durch sein Eingreifen zu verhüten, dass dessen Frechheit und Zügellosigkeit noch weiter sich vermehre, was sicher der Fall sein musste, wenn niemand ihn zur Verantwortung zog. 153 Dieser Phineës besass eine solche Beharrlichkeit und hervorragende Körperkraft, dass er von einem gefährlichen Unternehmen, welches er sich vorgenommen hatte, nicht eher Abstand nahm, als bis er es vollständig und mit Erfolg durchgeführt hatte. Er drang also in das Zelt des Zambrias ein, durchstach ihn und die Chosbia mit der Lanze und tötete sie so. 154 Und alle Jünglinge, die etwas auf Tugend und Ehre hielten, folgten dem [221] wackeren Beispiele des Phineës und räumten die, die desselben Vergehens wie Zambrias schuldig waren, aus dem Wege. 155 So kamen viele um, welche die Gesetze übertreten hatten; die übrigen dagegen wurden von einer pestartigen Krankheit dahingerafft, die Gott ihnen schickte. In gleicher Weise starben auch ihre Verwandten, die, anstatt sie von ihrem frevelhaften Beginnen abzuhalten, sie sogar noch dazu angereizt und so dieselbe Schuld auf sich geladen hatten. Im ganzen erlitten den Tod nicht weniger als vierundzwanzigtausend Menschen.
(13.) 156 Das war auch die Ursache, die den erzürnten Moyses veranlasste, ein Heer zur gänzlichen Vernichtung der Madianiter auszusenden. Ehe ich jedoch von diesem Zuge spreche, will ich zunächst da, wo ich abgebrochen habe, in der Erzählung fortfahren. Denn ich halte es für angebracht, die Uneigennützigkeit unseres Gesetzgebers in dieser Angelegenheit nicht ungerühmt zu lassen. 157 Balam nämlich, den die Madianiter herbeigerufen hatten, um die Hebräer zu verfluchen, war zwar durch Gottes Fügung daran gehindert worden. Immerhin aber hatte er doch den Feinden einen Rat gegeben, durch dessen Befolgung diese erreicht hatten, dass beinahe das ganze hebraeische Volk dem Glauben seiner Väter entfremdet und zu falschen religiösen Vorstellungen verleitet worden wäre. Trotzdem hat Moyses Balams Weissagungen seinen eigenen Schriften einverleibt und ihn so einer grossen Ehre gewürdigt, 158 obwohl es ihm leicht gewesen wäre, allen Ruhm davon sich selbst anzueignen, zumal da kein Zeuge vorhanden war, der ihn der Fälschung hätte überweisen können. So hat er für Balam Zeugnis gegeben und durch seine Schriften das Andenken an ihn erhalten. Doch mag jeder diese Sache betrachten, wie er will.
[222]
(1.) 159 Aus dem vorerwähnten Grunde sandte also Moyses ein Heer von zwölftausend Mann nach dem Gebiete der Madianiter. Zusammengesetzt war das Heer aus Angehörigen aller Stämme, und es stand unter dem Oberbefehl des Phineës, von dem ich oben erwähnte, dass er die Gesetze der Hebräer in Schutz genommen und den Zambrias, der sie übertreten, zur Strafe getötet habe. 160 Sobald die Madianiter Kunde erhielten, dass ein Heer gegen sie im Anmarsch sei und sich bereits in der Nähe befinde, sammelten sie ihre Truppen und besetzten die Zugänge zu ihrem Gebiet, wo sie den Einmarsch der Feinde erwarteten. 161 Alsbald entbrannte der Kampf, und es fiel eine fast unzählbare Menge der Madianiter nebst allen ihren fünf Königen: Oë, Sur, Robe, Ur und Rekem, von welch letzterem die Hauptstadt Arabiens ihren Namen hat. Sie heisst nämlich nach dem arabischen König, der sie gegründet, Arekema, während die Griechen sie Petra nennen. 162 Nachdem die Feinde in die Flucht geschlagen und zerstreut waren, plünderten die Hebräer ihr Land, machten reiche Beute und töteten die Bewohner, Männer wie Frauen. Nur die Jungfrauen verschonten sie, wie Moyses dem Phineës befohlen hatte. 163 Dieser kehrte mit dem Heere, das keinen Verlust erlitten hatte, zurück und brachte als Beute mit zweiundfünfzigtausend Rinder, sechshundertfünfundsiebzigtausend Schafe und sechzigtausend Esel, ferner eine ungeheure Menge goldener und silberner Gefässe, die man zum häuslichen Gebrauch benutzte; denn die Madianiter lebten wegen ihren grossen Reichtums sehr luxuriös. Die Zahl der mitgeführten Jungfrauen betrug ungefähr zweiunddreissigtausend. 164 Moyses verteilte nun die Beute und gab den fünfzigsten Teil davon dem Eleazar und den Priestern, ein zweites Fünfzigstel den Leviten, und den Rest verteilte er unter das Volk. Darauf lebten [223] sie in grossem Glück, da sie durch ihre Tapferkeit sich Reichtum gesammelt hatten, und keine Trauer noch irgend ein Missgeschick trübte ihnen den Genuss desselben.
(2.) 165 Da nun Moyses bereits in vorgerücktem Alter stand, bestimmte er den Jesus zum Nachfolger in seinem Propheten- und Führeramte. Gott selbst nämlich hatte ihm befohlen, diesem die Leitung des Ganzen zu übertragen. Jesus aber war in allem, was sich auf die Religion und die Verwaltung bezog, sehr bewandert, da Moyses ihn selbst darin unterrichtet hatte.
(3.) 166 Um diese Zeit stellten die beiden Stämme Gad und Rubel sowie der halbe Stamm Manasses, da sie reich an Vieh und anderem Besitz waren, gemeinsam an Moyses das Ersuchen, ihnen das eroberte Land Amoritis ungelost zu überlassen, weil es ausgezeichnete Weideplätze aufwies. 167 Moyses aber hatte sie im Verdacht, sie fürchteten sich vor dem Kampfe mit den Chananäern und wollten deshalb die Sorge für ihre Herden vorschützen. Und er nannte sie Feiglinge, die für ihre Zaghaftigkeit nur einen gelegenen Vorwand erfunden hätten. Sie wollten ein faules und weichliches Leben führen, während die übrigen alles Ungemach ertragen müssten‚ um in das ersehnte Land zu kommen; 168 auch wollten sie nicht an den weiteren Kämpfen teilnehmen, um das Land, das Gott ihnen nach dem Übergang über den Jordan verheissen habe, erobern und die Feinde daraus verdrängen zu helfen. 169 Als sie nun sahen, dass ihr Führer so erregt und mit gutem Grunde über ihr Begehren aufgebracht sei, entschuldigten sie sich: Nicht aus Furcht vor Gefahren, noch aus Weichlichkeit hätten sie die Bitte an ihn gerichtet, 170 sondern nur, damit sie ihre Beute an einem sicheren und bequemen Ort bergen und dann um so unbesorgter in den Krieg ziehen könnten. Sie seien bereit, nachdem er ihnen Städte zur Unterbringung ihrer Weiber und Kinder sowie ihrer beweglichen Habe eingeräumt hätte, mit dem übrigen Heere weiterzuziehen. 171 Moyses, dem diese Sprache gefiel, berief [224] den Hohepriester Eleazar nebst dem Jesus und den übrigen Behörden zu sich und überliess in ihrer Gegenwart den Bittstellern das Land Amoritis unter der Bedingung, dass sie den verwandten Stämmen Hilfe leisten müssten, bis die Chananäer besiegt seien. Nachdem sie unter dieser Bedingung den Besitz des Landes angetreten und die Städte mit starken Werken befestigt hatten, brachten sie in dieselben ihre Weiber, Kinder und alles übrige, was ihnen auf dem Marsch lästig sein konnte.
(4.) 172 Zehn Städte des Landes bestimmte Moyses als einen Teil der achtundvierzig Priesterstädte, und drei hiervon machte er zu Asylen, wohin diejenigen Mörder sich flüchten konnten, die die That ohne Absicht vollbracht hatten. Die Zeit des Asylrechtes sollte mit dem Tode des Hohepriesters zu Ende gehen, unter dessen Pontifikat der des Mordes Schuldige sich davongemacht hatte. Nach diesem Zeitpunkt durfte er nach Hause zurückkehren. Bis dahin sollten die Verwandten des Getöteten das Recht haben, den Mörder umzubringen, wenn sie ihn ausserhalb der Stadtgrenzen anträfen; ausserdem aber war dies niemand erlaubt. 173 Die Asylstädte waren: Bosora an der Grenze Arabiens, Ariman im Lande Galad und Gaulana in Batanaea. Nach der Eroberung von Chananaea sollten noch weitere drei Levitenstädte zu den Asylstädten hinzukommen.
(5.) 174 Als einst die Vornehmsten des Stammes Manasses zu Moyses kamen, ihm anzeigten, dass ein hervorragender Familienvater aus ihrem Stamme, Holophantes mit Namen, gestorben sei, ohne männliche Erben zu hinterlassen, und ihn fragten, ob den Töchtern der Nachlass gehöre, 175 entgegnete er: „Wenn sie jemand von den Stammesgenossen heiraten, so sollen sie ihr Erbteil in diese Ehe mitbringen; wählen sie aber einen Gatten aus einem anderen Stamme, so soll das Erbteil beim väterlichen Stamme verbleiben.“ Durch diese Bestimmung setzte er fest, dass eines jeden Erbteil stets bei seinem Stamme zu verbleiben habe.
[225]
(1.) 176 Da nun seit dem Auszuge aus Aegypten vierzig Jahre weniger dreissig Tagen verflossen waren, berief Moyses das gesamte Volk am Jordan zusammen und zwar an einer Stelle, wo jetzt die Stadt Abila liegt und wo damals viele Palmenwälder sich befanden, und hielt folgende Ansprache:
(2.) 177 „Mitkämpfer und langjährige Leidensgefährten! Da ich ein Alter von einhundertzwanzig Jahren erreicht habe, und es Gott gefällt, mich aus diesem Leben abzurufen, und da also Gottes Wille selbst mich hindert, bei euren Unternehmungen jenseits des Jordan euer Führer und Helfer zu sein, 178 so halte ich es für recht, noch einmal all meinen Eifer für euer Glück zusammenzunehmen und euch zu zeigen, wie ihr beständig dieses Glück geniessen könnt, auf dass mein Andenken bei euch, wenn ihn in den Besitz desselben gelangt seid, ein dauerndes sein möge. 179 Gern will ich aus dem Leben scheiden, wenn ich euch den Weg gewiesen habe, wie ihr selbst glücklich sein und euren Nachkommen den ewigen Besitz dieses Glückes hinterlassen könnt. Ich verdiene jetzt euer besonderes Vertrauen, einmal weil ich früher stets für euer Wohl gesorgt habe, sodann auch, weil die Seele, die im Begriffe steht, vom Körper sich zu lösen, mit allen Tugenden in engere Verbindung tritt. 180 O Söhne Israëls, die Ursache alles Glückes ist der huldreiche Gott; er allein kann es den Würdigen geben und den Unwürdigen nehmen. Und wenn ihr euch so betraget, wie er selbst will und wie ich, der ich seinen Sinn erkenne, euch rate, so werdet ihr niemals unglücklich sein, und der Besitz eurer gegenwärtigen Güter wird euch gesichert bleiben, die künftigen aber werdet ihr schneller erlangen. 181 Nur ist es erforderlich, dass ihr stets den Willen Gottes befolget. Haltet eure jetzigen Gesetze hoch und fallt niemals von eurer jetzigen Frömmigkeit zu anderen Gebräuchen ab. Wenn ihr das thut, werdet ihr die tapfersten [226] Streiter sein und unbesiegbar euren Feinden gegenüber. 182 Denn wenn Gott euch hilft, könnt ihr alle anderen verachten. Grosse Belohnungen harren eurer Tugend, wenn ihr sie durch euer ganzes Leben hindurch übt. 183 Denn sie ist das erhabenste und erste aller Güter und verschafft euch den reichlichen Besitz aller übrigen. Und wenn ihr sie untereinander übt, so wird sie euer Leben sehr glücklich machen, und ihr werdet mehr Lob als andere Völker davontragen, bei euren Nachkommen aber wird euer Ruhm ein dauerhafter sein. Alles dies könnt ihr erlangen, wenn ihr gehorsam seid, die Gesetze, die Gott euch durch mich gegeben, bewahrt und deren Verständnis bei euch fördert. 184 Ich scheide von euch, erfreut über euer Glück, und ich empfehle euch einen ehrbaren Lebenswandel und eine gesunde Staatsverfassung, und wünsche euch tugendhafte Führer, die euer Wohl im Auge haben. 185 Gott, der euch bisher geleitet, und nach dessen Willen ich euch nützlich gewesen bin, wird euch seine Fürsorge nicht entziehen, sondern für euch besorgt sein, so lange ihr in eurem Tugendeifer verharrt und ihn als Schutzherrn anerkennt. 186 Die besten Ratschläge, durch deren Befolgung ihr euer Glück begründen könnt, werden euch erteilen der Hohepriester Eleazar, Jesus, die Obersten und Vorsteher der Stämme. Folget ihnen willigen Herzens und bedenkt, dass alle, welche wohl zu gehorchen verstehen, auch dereinst befehlen können, wenn sie zur Herrschaft gelangt sind. 187 Erwäget auch, dass der Gehorsam die beste Freiheit ist. Bis jetzt habt ihr eure Freiheit darin erblickt, dass ihr eure Wohlthäter schmähtet; wenn ihr künftig euch davor hütet, werden eure Sachen besser stehen. 188 Gefallt euch also künftig nicht mehr im Unwillen über eure Führer, wie ihr ihn gegen mich so oft gezeigt habt, denn ihr mögt es wissen, dass mein Leben öfter von euch als von Feinden gefährdet war. 189 Ich erinnere euch daran nicht, um euch Vorwürfe zu machen; denn da ich früher nicht darüber aufgebracht war, ziemt mir dies noch weniger jetzt im Angesichte des Todes. Vielmehr [227] will ich euch nur für die Zukunft warnen, dass ihr euren Vorgesetzten kein Unrecht mehr thut, wenn ihr nach Überschreitung des Jordan und nach der Einnahme von Chananaea zu Macht und Reichtum gelangt seid. 190 Denn lasst ihr euch vom Reichtum zum Übermut und zur Verachtung der Tugend verleiten, so werdet ihr auch das Wohlwollen Gottes verlieren. Habt ihr aber Gott zum Feind, so werdet ihr euren Feinden unterliegen und das Land, das ihr in Besitz genommen, schmachvoll wieder verlieren; ihr werdet dann über den Erdkreis zerstreut werden und zu Lande wie zu Wasser dienstbar sein. 191 Ist aber dieses Leid erst über euch gekommen, so wird eure Reue wegen der Übertretung der Gebote Gottes unnütz sein. Wollt ihr nun all euren Besitz behalten, so lasset von euren Feinden, wenn ihr sie besiegt habt, keinen am Leben, sondern haltet es für nützlich, sie sämtlich umzubringen, damit ihr nicht, wenn ihr sie leben lasset, Geschmack an ihren Sitten und Gebräuchen findet und eure väterlichen Einrichtungen verachtet. 192 Ausserdem rate ich euch, auch ihre Altäre, Haine und Tempel, so viele sie deren besitzen mögen, zu zerstören und das Andenken daran mit Feuer auszulöschen. Denn nur so werdet ihr euren eigenen Besitz gesichert erhalten. 193 Damit aber eure Natur nicht aus Unkenntnis des Guten ins Schlechte ausarte‚ habe ich euch die Gesetze und die Verfassung eures Staates unter Gottes Beistand aufgezeichnet. Wenn ihr sie treu bewahret, werdet ihr die glücklichsten Menschen sein.“
(3.) 194 Nachdem er so gesprochen, übergab er ihnen ein Buch, in welchem die Gesetze und die Staatsverfassung aufgeschrieben waren. Sie aber jammerten und konnten sich nicht darein schicken, ihren Führer verlieren zu müssen. Denn sie gedachten der Gefahren und Mühsale, denen er für ihr Wohlergehen sich unterzogen, und befürchteten, dass sie nie wieder einen ähnlichen Führer bekommen würden; auch glaubten sie, dass Gott nun weniger für sie sorgen werde, da er nur des Moyses Bitten für sie so gnädig erhört habe. 195 Deshalb empfanden [228] sie bittere Reue über das, was sie in der Wüste durch Zorneseifer gesündigt hatten, und das ganze Volk brach in Thränen aus und war so in Schmerz aufgelöst, dass es mit Worten sich nicht trösten liess. Moyses aber versuchte sie zu beruhigen, und indem er sie von dem Gedanken abzulenken trachtete, als sei er beklagenswert, ermahnte er sie nochmals, treu an ihrer Staatsverfassung festzuhalten. Darauf ging das Volk auseinander.
(4.) 196 Bevor ich aber zur Erzählung der weiteren Ereignisse übergehe, will ich noch einiges über unsere Staatsverfassung erwähnen, die Moyses mit seiner Tüchtigkeit und Weisheit eingerichtet hat, damit der Leser hieraus entnehmen könne, wie unsere Zustände früher gewesen sind. Alles habe ich so aufgeschrieben, wie Moyses es hinterlassen hat, und alle unnötigen Ausschmückungen weggelassen, auch nichts hinzugefügt, was Moyses nicht eingerichtet hätte. 197 Das einzige, was an meiner Darstellung neu ist, ist eine bessere Anordnung der einzelnen Bestimmungen; denn Moyses hat dieselben zerstreut aufgezeichnet, so wie sie Gott ihm gerade mitgeteilt hatte. Ich halte es aber für wichtig, dies besonders vorauszuschicken, damit meine Volksgenossen‚ die diese Schrift lesen, nicht etwa auf den Verdacht kommen, als sei ich von Moyses abgewichen. 198 Bei der nun folgenden Aufzählung der einzelnen Gesetze will ich jedoch nur diejenigen erwähnen, die sich auf die Verfassung unseres Staates beziehen. Die übrigen Gesetze dagegen, die Moyses uns hinterlassen hat, will ich mir für ein anderes Werk aufsparen, das ich über unsere Gebräuche und deren Ursachen zu schreiben gedenke und das ich, so Gott will, nach Vollendung des vorliegenden Werkes verfassen werde.
(5.) 199 Sobald ihr das Land der Chananäer erobert habt, in Musse seinen Reichtum geniesst und an den Bau von Städten denkt, so befolget diese Vorschriften, damit ihr Gott wohlgefällig seid und euer Glück zu einem dauerhaften macht. 200 Eine Stadt soll die heilige sein und an der schönsten und vortrefflichsten Stelle Chananaeas erbaut [229] werden, die Gott sich selbst durch eine Prophezeiung auswählen wird. In dieser Stadt soll sich ein Tempel befinden und ein Altar, der nicht aus behauenen, sondern aus einzeln zusammengelesenen Steinen errichtet werden soll, die schön übertüncht und von glänzendem Anblick sind. 201 Zu dem Altar sollen keine Stufen, sondern bergansteigende Erde führen. In keiner anderen Stadt soll ein Altar oder ein Tempel sein, denn Gott ist einzig, und einzig das Geschlecht der Hebräer.
(6.) 202 Wer Gott lästert, soll gesteinigt, einen Tag lang aufgehängt und dann ehrlos und schimpflich begraben werden.
(7.) 203 Dreimal im Jahre sollen die Hebräer von allen Gegenden des Landes in der Tempelstadt zusammenkommen, um Gott für die empfangenen Wohlthaten zu danken und ihn um künftige zu bitten, sodann auch um durch engeren Verkehr und gemeinschaftliche Mahlzeiten die gegenseitige Freundschaft zu pflegen. 204 Denn es sei schicklich, dass diejenigen, die ein und demselben Volksstamm angehörten und nach denselben Gesetzen lebten, einander persönlich bekannt seien. Das werde aber durch solche Zusammenkünfte sehr erleichtert, da man, wenn man sich gesehen und gesprochen, einander eingedenk bleibe, während man, wenn man nicht in Verkehr und Verbindung trete, sich einander völlig fremd bleibe.
(8.) 205 Ausser dem Zehnten, den ihr den Priestern und Leviten abgeben müsst, sollt ihr noch einen besonderen Zehnten im Heimatlande verkaufen und den Erlös davon zu Gastmahlen und Opfern in der heiligen Stadt verwenden. Denn es ist billig, dass man den Ertrag des Landes, welches man durch Gottes Güte erhalten hat, zu seiner Ehre gebrauche.
(9.) 206 Von Unzuchtslohn sollen keine Opfer dargebracht werden, denn Gott hat an dem durch Sünden Erworbenen keine Freude; auch kann es nichts Verwerflicheres geben als die Schändung des Leibes. In gleicher Weise soll man auch von dem Lohne, den man für Belegen durch einen Jagd- oder Schäferhund verdient hat, Gott nicht opfern.
(10.) 207 Niemand soll die Götter schmähen, an die fremde [230] Völker glauben; auch ist die Beraubung fremder Heiligtümer und die Wegnahme von Weihgeschenken irgend eines Götzenbildes verboten.
(11.) 208 Niemand von euch soll ein aus Wolle und Leinen gewebtes Kleid tragen, denn das ist den Priestern allein vorbehalten.
(12.) 209 Wenn das Volk zu dem alle sieben Jahre stattfindenden Opfer am Feste der Lauben in der heiligen Stadt versammelt ist, soll der Hohepriester von einer hohen Tribüne aus, wo er deutlich gehört werden kann, dem ganzen Volke die Gesetze vorlesen, und weder Weiber noch Kinder noch selbst Sklaven sollen davon ausgeschlossen werden. 210 Es ziemt sich nämlich, dass die Gesetze in aller Herz und Gedächtnis fest eingeprägt seien. Denn dann werden die Menschen nicht sündigen, wenn sie keine Unkenntnis des Gesetzes vorschützen können, und auch werden die Gesetze nachhaltigeren Eindruck auf die Sünder machen, da sie ihnen ihre Strafen verkündigen, 211 zumal durch wiederholtes Anhören der Vorschriften diese sich so fest einprägen, dass sie immer ihnen gegenwärtig sind und sie vor Übertretung und dem daraus ihnen erwachsenden Schaden warnen. Die hauptsächlichen Gesetze aber sollen auch die Knaben lernen, denn das ist der schönste Lehrgegenstand und die Grundlage ihres Lebensglückes.
(13.) 212 Zweimal am Tage, beim Morgengrauen und beim Schlafengehen, sollen alle dankbaren Herzens der Wohlthaten gedenken, die Gott den aus der Knechtschaft der Aegyptier Befreiten erwiesen hat. Denn natürliche Überlegung fordert von uns, dass wir Gott für vergangene Wohlthaten danken und ihn zu zukünftigen geneigt machen. 213 An seine Thür soll man die vornehmsten Wohlthaten Gottes schreiben, und an seinen Armen soll jeder offenkundig zeigen, was Gottes Macht und Güte verkündet: an Stirn und Armen soll jeder sie eingeschrieben tragen, damit allerwärts Gottes Fürsorge für die Menschen zu Tage trete.
(14.) 214 In jeder Stadt sollen sieben an Tugend und Eifer [231] für die Gerechtigkeit hervorragende Männer die Vorsteher sein, und jedem Vorstande sollen zwei Diener aus dem Stamme Levis zugeteilt werden. 215 Diejenigen, denen in den einzelnen Städten die Rechtsprechung obliegt, sollen in höchster Ehre gehalten werden, und man soll in ihrer Gegenwart weder schimpfen noch sich sonst ungebührlich benehmen. Denn ehrfurchtsvolle Scheu vor denen, die in hohen Würden stehen, hält auch von der Verachtung Gottes ab. 216 Die Richter aber sollen die Macht haben, unanfechtbare Urteile zu erlassen, es sei denn, dass man ihnen beweisen könnte, sie hätten sich durch Geld bestechen lassen, das Recht zu fälschen, oder dass man aus irgend einer anderen Ursache ihr Urteil als unzutreffend zu beweisen imstande wäre. Denn sie sollen ihr Urteil nicht mit Rücksicht auf Gewinn oder nach dem Ansehen der Person fällen, sondern Gerechtigkeit allein soll ihr Wahrspruch sein. 217 Ist das nicht der Fall, so wird Gott selbst verachtet und denen untergeordnet, zu deren Gunsten aus Furcht vor ihrer Machtstellung das Urteil gefällt wird. Gerechtigkeit nämlich ist die Macht Gottes; wer daher denen, die in Würden stehen, willfährig ist, der hält sie für mächtiger als Gott selbst. 218 Wissen aber die Richter über eine ihnen vorgelegte Sache nicht zu entscheiden (was im menschlichen Leben nicht so selten vorkommt), so sollen sie die ganze Angelegenheit vor den Hohepriester, den Propheten und die Ältesten in der heiligen Stadt bringen, die dann darüber zu befinden haben.
(15.) 219 Ein einziger Zeuge soll nicht gelten, sondern es sollen deren drei oder wenigstens zwei sein, deren Wahrheitsliebe durch ihren Lebenswandel verbürgt wird. Auch soll das Zeugnis der Weiber nicht zulässig sein wegen der ihrem Geschlechte eigenen Leichtfertigkeit und Dreistigkeit. Ferner sollen Sklaven kein Zeugnis ablegen wegen ihrer unedlen Gesinnung; denn es ist wahrscheinlich, dass sie aus Gewinnsucht oder aus Furcht falsch schwören. Wenn jemand des falschen Zeugnisses überwiesen ist, so soll er dieselbe Strafe erleiden, die den getroffen hätte, gegen welchen er zu zeugen hatte.
[232] (16.) 220 Wenn irgendwo ein Totschlag verübt worden ist, man den Thäter aber nicht ermitteln kann, und auch keiner im Verdacht steht, den Totschlag aus Hass begangen zu haben, so soll der Thäter mit allem Fleiss gesucht und auf die Anzeige desselben eine Belohnung gesetzt werden. Macht aber niemand eine Anzeige, so sollen die Vorsteher der der Mordstelle zunächst gelegenen Städte nebst den Ältesten zusammenkommen und die Entfernung von dem Orte, wo der Erschlagene liegt, bis an die einzelnen Städte messen. 221 Die Vorsteher der zunächst gelegenen Stadt sollen dann eine junge Kuh kaufen, sie in ein Thal und an einen weder gepflügten noch gesäeten Ort bringen und sie schlachten. 222 Alsdann sollen die Priester, Leviten und Ältesten der Stadt Wasser nehmen, ihre Hände über dem Kopf der Kuh waschen und verkünden, dass ihre Hände rein von dem Morde seien, und dass sie ihn weder selbst verübt hätten noch jemand dazu behilflich gewesen seien. Auch sollen sie Gott anflehen, dass er ihnen gnädig sein und künftig keine so schreckliche That in ihrem Lande mehr geschehen lassen wolle.
(17.) 223 Die beste Herrschaft und Regierungsweise ist die, welche die Edelsten des Volkes ausüben. Ihr sollt also keine andere Staatsverfassung begehren, sondern mit derjenigen zufrieden sein, in der ihr nur die Gesetze über euch habt und nach Vorschrift derselben all euer Thun einrichtet. Als alleiniger Herrscher soll euch Gott genügen. Sollte euch aber das Verlangen nach einem Könige ankommen, so soll derselbe mit euch stammverwandt sein und sich stets die Gerechtigkeit und alle anderen Tugenden angelegen sein lassen. 224 Er soll den Gesetzen und Gott den Vorrang in der Weisheit einräumen und nichts ohne des Hohepriesters und der Ältesten Rat unternehmen. Er soll auch nicht viele Weiber haben, noch sich an Geldreichtum und grossem Pferdebesitz ergötzen‚ wodurch er leicht die Gesetze als überflüssig zu betrachten und zu verachten verleitet werden könnte. Wenn er aber etwas derartiges beabsichtigt, [233] so sollt ihr ihn hindern, mächtiger zu werden, als es euren Interessen frommt.
(18.) 225 Ihr sollt weder in eurem eigenen Lande, noch in den Ländern derjenigen Fremden, mit denen ihr in Frieden lebt, die Grenzsteine verschieben, dieselben vielmehr als von Gott selbst gesetzte Marken unverändert bestehen lassen, weil aus der Sucht, die Grenzen zu erweitern, nur Krieg und Aufruhr entsteht. Und wer Grenzsteine verrückt, der ist auch nicht weit mehr davon entfernt, die Gesetze zu übertreten.
(19.) 226 Wer das Land bepflanzt, der soll, falls die Pflanzungen vor vier Jahren Früchte tragen, davon weder die Erstlinge zum Opfer bringen noch sie zu seinem eigenen Lebensunterhalt verwenden. Denn die Früchte sind zur Unzeit gewachsen, und unzeitig Erzeugtes eignet sich weder für Gott noch für den Gebrauch des Besitzers. 227 Im vierten Jahre aber soll er den gesamten Ertrag einernten (denn dann sind die Früchte zeitig), ihn in die heilige Stadt bringen und nebst dem Zehnten der anderen Früchte mit seinen Freunden, den Waisen und Witwen verzehren. Im fünften Jahre steht ihm dann das Recht zu, die Früchte in Besitz zu nehmen.
(20.) 228 Ein Grundstück, das mit Weinstöcken bepflanzt ist, soll nicht anderweitig besäet werden; denn es ist genug, dass es den Weinstock ernährt, und es soll daher vom Pfluge verschont bleiben. Das Land soll mit Ochsen gepflügt werden, und es soll kein anderes Tier mit ihnen an dasselbe Joch gespannt werden, sondern das Pflügen soll durch einerlei Tiere geschehen. Der Same soll rein und ungemischt sein, und es sollen nicht zwei oder drei Arten Samen zusammengesäet werden; denn die Natur hasst Ungleichartiges. 229 Man soll auch nicht zwei Tiere sich begatten lassen, die nicht von derselben Art sind; denn es ist zu befürchten, dass diese Entehrung der Art ein schlechtes Beispiel für die Menschen werden könnte. Gewöhnlich nimmt ja Grosses von Unscheinbarem und Kleinem seinen Ursprung. 230 Es [234] soll daher auch nichts gestattet sein, durch dessen Nachahmung eine Änderung in der Staatsverfassung bewirkt werden könnte. Das ist der Grund, weshalb das Gesetz auch die gewöhnlichsten Dinge berücksichtigt; denn es wollte verhüten, dass etwas an ihm getadelt werden möchte.
(21.) 231 Diejenigen, die die Frucht mähen und sammeln, sollen nicht alles einheimsen, sondern auch einige Garben für die Armen liegen lassen, damit diesen die unverhoffte Gabe zur Nahrung diene. Ebenso soll man auch bei der Weinlese einige Trauben den Armen überlassen, desgleichen an den Ölbäumen etwas hängen lassen, damit sie es sich einsammeln, da sie eigene Ernte nicht haben. 232 Denn von dem sorgfältigsten Einernten der Früchte haben die Eigentümer nicht so viel Nutzen, als ihnen der Dank der Armen einbringt. Auch wird Gott das Land fruchtbarer machen, wenn die Besitzer desselben nicht nur auf ihren eigenen Vorteil bedacht sind, sondern auch für die Ernährung anderer Menschen sorgen. – 233 Den Ochsen, die auf der Tenne dreschen, soll man das Maul nicht verbinden. Denn es ist nicht billig, diejenigen, die sich bei der Erzeugung der Früchte mit abmühen, vom Mitgenuss derselben abzuhalten. 234 Auch den Wanderern soll man nicht verbieten, von den reifen Früchten zu geniessen, sondern man soll ihnen erlauben, sich davon zu sättigen, als wäre es ihr Eigentum, seien es nun Einheimische oder Fremde. Ja, die Besitzer sollen sich freuen, dass sie ihnen den Mitgenuss zu gestatten in der Lage sind. Doch dürfen die Wanderer nichts mitnehmen. 235 Bei der Weinlese soll man denen, die des Weges kommen, nicht verwehren, von den Trauben zu essen, wenn man sie zur Kelter bringt. Denn es ist unbillig, das Gute, das uns nach dem Willen Gottes zum Lebensunterhalt beschert ist, denjenigen zu missgönnen, die davon mitgeniessen wollen, 236 zumal da die Zeit der Reife nach Gottes Fügung schnell vorübergeht. Sollten sich nun einige scheuen, die Früchte anzurühren, so sollt ihr sie, falls sie Israëliten, also eure Mitbürger [235] und wie ihr gewissermassen auch Herren des Landes sind, zum Zugreifen aufmuntern. Sind es aber Leute, die anderswoher gekommen sind, so sollt ihr sie bitten, die Früchte als ein Gastgeschenk zu betrachten, das Gott ihnen zu rechter Zeit gewähre. 237 Denn was man aus Güte einem anderen zu nehmen erlaubt, darf man nicht für verloren ansehen, da Gott uns die Fülle der Güter beschert nicht nur, damit wir sie selbst geniessen, sondern auch, damit wir anderen davon reichlich mitgeben. Gott will nämlich dadurch, dass die Israëliten von ihrem Überfluss anderen mitteilen, seine Güte und Freigebigkeit gegen das israëlitische Volk anderen ganz besonders kundmachen. 238 Wer gegen diese Gebote handelt, soll öffentlich neununddreissig Stockprügel erhalten und selbst als freier Mann diese schimpfliche Strafe erleiden, weil er aus Gewinnsucht sich in seiner Würde vergeben hat. 239 Es geziemt euch, da ihr in Aegypten und in der Wüste so grosse Not gelitten habt, dass ihr nun auch für diejenigen sorgt, die sich in ähnlicher Lage befinden, und dass ihr vom Überfluss, den ihr der Barmherzigkeit und Güte Gottes verdankt, in gleicher Gesinnung den Armen mitspendet.
(22.) 240 Ausser den beiden Zehnten, welche ihr jährlich abgeben sollt, und zwar einen für die Leviten, den anderen zu Gastmahlen, soll in jedem dritten Jahre noch ein dritter entrichtet werden, und zwar für die Verteilung an Witwen und Waisen. 241 Die Erstlinge aller reifen Früchte soll man zum Tempel bringen, dort Gott für deren Wachstum in dem Lande, das er geschenkt hat, danken, die vorgeschriebenen Opfer darbringen und die Erstlinge dann den Priestern schenken. 242 Hat nun jemand das gethan und den Zehnten von allem sowohl für die Leviten als auch für die Gastmahle nebst den Erstlingen entrichtet, und will er dann wieder nach Hause gehen, so soll er sich gegenüber dem Tempel hinstellen und Gott Dank sagen dafür, dass er die Hebräer von der Bedrückung durch die Aegyptier erlöst und ihnen ein reiches und fruchtbares Land geschenkt hat. 243 Dann [236] aber soll er versichern, dass er nach dem Gesetze des Moyses den Zehnten entrichtet habe, und Gott bitten, dass er ihm immer gütig und gnädig und allen Hebräern stets hilfreich sich erweisen, und dass er ihnen das Gute, welches er ihnen beschert, erhalten sowie auch nach seinem Wohlgefallen vermehren möge.
(23.) 244 Sobald die Jünglinge das heiratsfähige Alter erreicht haben, mögen sie freie Jungfrauen, die von ehrbaren Eltern abstammen, zur Ehe nehmen. Wer aber keine Jungfrau heiraten will, der soll sich auch mit keinem Weibe verbinden, die mit einem anderen lebt und von ihm entehrt worden ist, damit er ihrem früheren Gatten nicht zunahe trete. Freie sollen auch keine Sklavinnen heiraten, wenngleich sie dieselben lieben; denn das Schickliche muss die Begierde zurückdrängen, und sie vergeben sich auch so weniger an ihrer Würde. 245 Ferner soll man keine öffentliche Dirne heiraten, deren eheliche Opfer Gott wegen der Schändung ihres Leibes nicht annehmen würde. Denn nur dann wird der Geist der Kinder frei, edel und tugendhaft, wenn sie nicht einer so schimpflichen Verbindung oder der Ehe mit einem unfreien Weibe entstammen. 246 Wenn aber jemand ein Mädchen, das ihm als Jungfrau verlobt worden ist, später nicht als solche erkennt, so soll er Klage gegen sie führen und für seine Behauptung den Beweis erbringen. Des Mädchens Sache soll ihr Vater, Bruder oder sonst nächster Verwandter führen. 247 Wenn nun für Recht erkannt wird, dass sie nicht gefehlt habe, soll das Mädchen bei ihrem Ankläger wohnen, und er nicht das Recht haben, sie zu entlassen, wenn er nicht wichtige und unwiderlegliche Gründe hierfür beibringen kann. 248 Dafür aber, dass er sie frevelhaft und unbesonnen verleumdet hat, soll er zur Strafe neununddreissig Hiebe erhalten und dem Vater des Mädchens fünfzig Sekel zahlen. Wird jedoch das Mädchen als geschändet erkannt, so soll sie, wenn sie aus dem gemeinen Volke stammt, durch Steinwürfe getötet werden, weil sie ihre Jungfräulichkeit nicht bis zur rechtmässigen Ehe bewahrt [237] hat; ist sie aber aus priesterlichem Geschlecht, so soll sie lebendig verbrannt werden. – 249 Wenn jemand zwei Weiber hat und der einen wegen ihrer Liebe, ihrer Schönheit oder aus einer anderen Ursache mehr Ehre und Güte erzeigt als der anderen, und wenn der Sohn, den er mit dem geliebten Weib erzeugt hat, obgleich er jünger ist als der Sohn der anderen, doch wegen der grösseren Zuneigung des Vaters zu seiner Mutter das Recht der Erstgeburt erstrebt, um einen doppelten Anteil vom väterlichen Vermögen zu erhalten (denn das ist im Gesetz bestimmt), so soll ihm das nicht erlaubt sein. 250 Denn es ist unbillig, dass der ältere, weil seine Mutter weniger gilt, um das betrogen werde, was ihm nach seines Vaters Versicherung zusteht. – 251 Hat jemand eine einem anderen verlobte Jungfrau geschändet, so soll er, falls er sie zur Einwilligung in die Verführung beschwätzt hat, mit ihr sterben. Denn beide sind schlecht, er, weil er die Jungfrau verführt hat, sich freiwillig einer solchen Schändlichkeit hinzugeben und diese dem anständigen ehelichen Verkehr vorzuziehen, sie aber, weil sie sich hat verleiten lassen, aus böser Lust oder Gewinnsucht Unzucht zu treiben. 252 Hat er ihr aber Gewalt angethan, ohne dass jemand ihr hatte zu Hilfe kommen können, so soll er allein sterben. – Wer eine noch, nicht verlobte Jungfrau schändet, soll sie heiraten. Will aber ihr Vater sie ihm nicht zur Ehe geben, so soll er als Strafe für sein Unrecht fünfzig Sekel zahlen. – 253 Wer sich aber von seiner Gattin aus irgend einem Grunde (solcher Gründe hat man viele) scheiden lassen will, soll ihr schriftlich versichern, dass er weiterhin mit ihr keine Gemeinschaft mehr haben wolle. So erlangt sie das Recht, mit einem anderen Manne zu leben; bevor aber die Versicherung erfolgt ist, ist es ihr nicht erlaubt. Wenn sie sich aber auch bei diesem Mann schlecht steht, oder es stirbt dieser und der frühere Gatte will sie wieder ehelichen, so soll es ihr nicht gestattet sein, zu ihm zurückzukehren. – 254 Wenn ein Mann stirbt, ohne Kinder zu hinterlassen, so soll sein Bruder die Witwe [238] heiraten und dem Sohn, den er mit ihr erzeugt, den Namen des Verstorbenen beilegen und ihn erziehen; dieser tritt dann später das Erbe des ersten Mannes an. So wird es gehalten zum Nutzen des Staates, da so die Familien nicht aussterben, das Vermögen in der Verwandtschaft bleibt, und die Lage der Frau durch Heirat mit dem nächsten Verwandten des verstorbenen Gatten erleichtert wird. 255 Will der Bruder sie aber nicht heiraten, so soll die Frau vor den versammelten Ältesten versichern, sie wolle gern in der Familie bleiben und Kinder mit ihm erzeugen; er aber wolle sie nicht ehelichen und so das Andenken seines verstorbenen Bruders schmähen. Wenn dann die Ältesten ihn fragen, warum er die Ehe nicht eingehen wolle, und er dann irgend einen Grund, sei er nun gewichtig oder nicht, vorbringt, so soll folgendermassen verfahren werden. 256 Das Weib soll dem Bruder ihres Mannes die Schuhe ausziehen und ihm ins Angesicht speien und dabei ausrufen, er sei dieser Schmach würdig, weil er das Andenken an den Verstorbenen verunehrt habe. Dann soll er aus der Versammlung der Ältesten sich entfernen und für alle Zeit mit Schimpf bedeckt sein; sie aber kann dann heiraten, wen sie will. – 257 Wenn jemand eine Jungfrau oder auch eine verheiratete Frau, die kriegsgefangen ist, zur Ehe nehmen will, so soll ihm nicht eher gestattet sein ihr beizuwohnen, als bis sie ihr Haar geschoren, ein Trauergewand angelegt und ihre Verwandten und Freunde, die im Kampfe gefallen sind, beweint hat. 258 Und erst wenn so der Trauer um jene Genüge geleistet ist, soll sie sich zum Hochzeitsmahle rüsten. Denn es ist anständig und gerecht, dass derjenige, der ein Weib heiraten und Kinder mit ihr zeugen will, Rücksicht auf sie nimmt und ihre Wünsche erfüllt, anstatt nur seiner Lust zu fröhnen. 259 Wenn nun dreissig Trauertage um sind (denn so viele Tage genügen einem verständigen Menschen zur Beweinung seiner Lieben), darf die Hochzeit stattfinden. Wenn aber der Mann nach Stillung seiner Begierde sich weigert, sie zum Weibe zu haben, so soll ihm nicht [239] gestattet sein, sie zu seiner Sklavin zu machen, sondern sie soll nach freiem Willen gehen können, wohin sie will.
(24.) 260 Einen Jüngling, der seine Eltern verachtet, ihnen die schuldige Ehrenbezeugung verweigert oder sie mit Absicht schmäht und lästert, sollen die Eltern zunächst mit Worten strafen (denn sie sind die geeignetsten Richter) etwa so: 261 Sie hätten sich nicht geheiratet des Vergnügens wegen oder um durch Vereinigung ihres beiderseitigen Vermögens ihren Besitz zu vergrössern, sondern um Kinder zu bekommen, die sie im Alter ernähren und mit dem Notwendigen versehen sollten. „Wir haben dich‚“ so werden sie etwa sagen, „mit Freude erwartet, dich unter grösstem Dank gegen Gott sorgfältig erzogen und nichts verabsäumt, was zu deiner Wohlfahrt und zu deiner Bildung nützlich war. 262 Wenn nun auch jungen Leuten leicht schon etwas nachgesehen werden kann, so ist es doch genug damit, dass du uns die gebührende Ehre versagt hast. Sei also vernünftig und bedenke, dass auch Gott an den Vergehen gegen die Eltern kein Wohlgefallen hat, da er selbst der Vater des ganzen Menschengeschlechtes ist und in denen, mit welchen er den Namen teilt, beleidigt wird, wenn die Kinder ihnen nicht die schuldige Ehrenbezeugung erweisen. Dazu straft auch das Gesetz unerbittlich solche Vergehen, und wir hoffen nicht, dass du dich dieser Gefahr aussetzen willst.“ 263 Wenn nun hierdurch der Jüngling von seinem schlechten Treiben abgehalten wird, so sollen sie ihm weitere Vorwürfe ersparen, da er nur aus Unverstand so handelte. Denn so erweist sich die Milde des Gesetzgebers, und es wird den Eltern Freude bereitet, wenn sie ihren Sohn oder ihre Tochter nicht weiter zu strafen brauchen. 264 Wenn aber ihre Ermahnungen und ihre Besserungsversuche nichts fruchten, die Kinder vielmehr durch fortgesetzten Widerstand gegen ihre Eltern die Gesetze sich zu unversöhnlichen Feinden machen, so sollen die Eltern das missratene Kind aus der Stadt führen und es dort vom Volke steinigen lassen. Einen [240] ganzen Tag soll dann der Frevler zum warnenden Beispiel für alle liegen bleiben und in der folgenden Nacht begraben werden. 265 So sollen auch die bestraft werden, die nach dem Gesetz um irgend welcher Ursache willen zum Tode verurteilt worden sind. Begraben aber soll man auch die Feinde, und niemand soll nach erlittener Strafe unbegraben liegen bleiben.
(25.) 266 Keinem Hebräer ist es gestattet, Speise oder Trank gegen Zinsen zu geben; denn es ist nicht gerecht, den Besitz seines Stammesgenossen als Gewinn an sich zu ziehen. Vielmehr soll man seiner Not aufhelfen und seinen Dank sowie die Vergeltung, die Gott der Barmherzigkeit gewährt, als hinreichenden Gewinn ansehen.
(26.) 267 Wer aber Geld oder Früchte, seien es trockene oder feuchte, entliehen hat, der soll, wenn seine Verhältnisse sich durch Gottes Güte bessern, das Entliehene den Gläubigern bereitwillig zurückerstatten, um es bei ihnen gleichsam in Gewahrsam zu geben und es von ihnen wieder zu bekommen, wenn er dessen bedarf. 268 Wenn aber die Schuldner hinsichtlich der Rückgabe lässig sind, so soll es nicht gestattet sein, ohne vorhergehendes Urteil in ihre Wohnung einzudringen und Pfandgegenstände wegzunehmen. Der Gläubiger soll vielmehr vor der Thür stehen bleiben, und der Schuldner ihm das Pfand herausbringen, ohne sich ihm zu widersetzen, da er unter dem Schutze des Gesetzes zu ihm kommt. 269 Ist der Pfandgeber bemittelt, so darf der Gläubiger das Pfand behalten, bis das Entliehene erstattet ist; ist er aber arm, so soll der Gläubiger ihm das Pfand vor Sonnenuntergang zurückgeben, besonders wenn es ein Kleid ist, das er während des Schlafes braucht. Denn auch Gott ist seiner Natur nach barmherzig gegen die Armen. 270 Die Mühle aber und was dazu gehört, soll man nicht als Pfand nehmen, damit der Arme nicht verhindert wird, sich seine Nahrung zuzubereiten, und so in noch grössere Not gerät.
(27.) 271 Auf Diebstahl steht die Todesstrafe. Wer Gold [241] oder Silber gestohlen hat, soll das Doppelte davon zurückerstatten. Wenn jemand einen Dieb tötet, so soll er frei von Strafe sein, auch wenn er ihn nur beim Einbrechen ertappt hat. 272 Wer Vieh gestohlen hat, soll das Vierfache davon ersetzen, hat er aber einen Ochsen gestohlen, das Fünffache. Wer die Strafe nicht bezahlen kann, soll der Sklave dessen sein, dem er dieselbe schuldet.
(28.) 273 Wer seinem Stammesgenossen verkauft wird, soll ihm sechs Jahre dienen, im siebenten aber freigelassen werden. Hat er jedoch mit der Sklavin des Käufers einen Sohn gezeugt und will er ihm wegen seiner Güte und Menschenfreundlichkeit freiwillig noch länger dienen, so soll er im Jahre Jobel (das ist im fünfzigsten Jahre) mit Weib und Kind in Freiheit gesetzt werden.
(29.) 274 Wenn jemand Gold oder Silber auf der Strasse findet, so soll er den Ort, wo er es gefunden, durch den Ausrufer verkünden lassen, den Eigentümer ausfindig machen und ihm das Gefundene wieder zustellen; denn er soll es nicht für recht halten, Nutzen aus dem Verlust eines anderen zu ziehen. Ebenso soll man auch das Vieh, das man in der Wüste umherirrend antrifft und dessen Besitzer man nicht gleich ermitteln kann, in Verwahr nehmen und Gott zum Zeugen dafür anrufen, dass man fremdes Gut nicht unterschlagen wolle.
(30.) 275 Wenn man Vieh antrifft, das vor Ermattung zusammengebrochen oder im Unwetter in den Strassenkot gefallen ist, so soll man an ihm nicht vorübergehen, sondern ihm zu Hilfe kommen und so handeln, als ob man sein eigenes Vieh rettete.
(31.) 276 Die des Weges Unkundigen soll man zurechtweisen und sie weder verspotten noch zulassen, dass ihnen aus ihrem Irrtum ein Schaden erwächst.
(32.) Einen Stummen oder einen Tauben soll man nicht schmähen.
(33.) 277 Wer einen anderen im Streit ohne Waffen zu Tode verwundet, soll sogleich die Todesstrafe erleiden. Wenn aber der Verwundete nach Hause geschafft wird [242] und erst nach mehrtägigem Krankenlager stirbt, soll der Thäter ohne Strafe davonkommen. Wird er wieder heil und hat er vielen Aufwand durch seine Krankheit gehabt, so soll der Thäter ihm alles bezahlen, was er für sein Krankenlager und für die Ärzte ausgegeben hat. – 278 Wer eine schwangere Frau mit dem Fusse tritt, sodass eine Fehlgeburt erfolgt, soll vom Richter mit Geldstrafe belegt werden, weil die Fehlgeburt verschuldet, dass ein Mensch weniger zur Welt kommt; auch dem Gatten der Frau soll er eine Geldbusse entrichten. Stirbt die Frau aber von dem Fusstritt, so soll der Thäter mit dem Tode bestraft werden, denn das Gesetz gebietet: Leben um Leben.
(34.) 279 Kein Israëlit soll Gift besitzen, sei es todbringend oder sonst schädlich. Wird er im Besitze desselben ertappt, so soll er die Todesstrafe erleiden, also dasselbe, das die erlitten hätten, denen das Gift zugedacht war.
(35.) 280 Wer einen anderen verstümmelt hat, soll dasselbe Glied verlieren, dessen er den anderen beraubte, es sei denn, dass der Verstümmelte sich mit Geldentschädigung zufrieden giebt. Denn das Gesetz giebt dem Geschädigten das Recht, seinen Schaden selbst abzuschätzen und sich hiermit zufrieden zu geben, wenn er kein strengeres Einschreiten wünscht.
(36.) 281 Wer einen stössigen Ochsen besitzt, soll ihn schlachten. Hat der Ochs jemand auf der Tenne zu Tode gestossen, so soll er zu Tode gesteinigt, und sein Fleisch nicht verzehrt werden. Wird nachgewiesen, dass sein Herr um seine Unart gewusst, ihn aber dennoch nicht besser in Obacht genommen hat, so soll dieser selbst des Todes sterben, weil er Schuld trägt, dass sein Ochs einen Menschen getötet hat. 282 Hat der Ochs einen Sklaven oder eine Magd getötet, so soll er gesteinigt werden; der Besitzer aber muss an den Herrn des Getöteten dreissig Sekel zahlen. Hat ein Ochs einen anderen Ochsen zu Tode gestossen, so sollen beide verkauft werden, den Erlös aber sollen die Besitzer unter sich teilen.
[243] (37.) 283 Wer einen Brunnen oder sonst einen Wasserbehälter gräbt, soll ihn sorgfältig mit Brettern zudecken, nicht um jemand zu verhindern, Wasser daraus zu entnehmen, sondern damit niemand hineinfalle. 284 Wenn aber in eine solche Grube Vieh hineinfällt und zu Grunde geht, so soll der Besitzer der Grube dem Herrn des Viehes den Wert desselben ersetzen. Auch sollen die Brunnen mit einer wandartigen Einfriedigung versehen sein, dass niemand hineinfällt.
(38.) 285 Wer etwas zum Aufbewahren annimmt, soll es wie eine heilige und göttliche Sache in Obacht nehmen, und niemand, sei es Mann oder Weib, soll denjenigen, der ihm etwas anvertraut hat, darum betrügen, wenn er auch eine Menge Geld dadurch gewinnen und sicher sein kann, dass niemand ihn zu überführen imstande ist. 286 Denn jeder soll rechtlich handeln, sein Gewissen und besonders Gott scheuen, vor dem kein Böser verborgen bleibt, damit er sich das Zeugnis geben kann, nur Thaten vollbracht zu haben, die das Lob seiner Mitmenschen verdienen. 287 Wenn jemand, der etwas zum Aufbewahren angenommen hat, dieses ohne seine Schuld verliert, so soll er vor sieben Richter hintreten und bei Gott schwören, dass er es nicht absichtlich und durch seine Schuld verloren, auch nichts davon für sich selbst verwendet habe. Alsdann soll er freigesprochen werden. Hat er aber das mindeste von dem Anvertrauten zu seinem Nutzen veruntreut und verloren, so soll er verurteilt werden, auch alles übrige zurückzuerstatten. 288 In gleicher Weise soll es auch mit dem Arbeitslohn gehalten werden. Dem armen Manne soll man seinen Lohn nicht vorenthalten, sondern bedenken, dass Gott ihm keinerlei eigenen Besitz beschert hat. Auch soll man die Auszahlung des Arbeitslohnes nicht verschieben, sondern sie noch am selben Tage bewirken; denn Gott will nicht, dass der Arbeiter den Ertrag seiner Arbeit entbehre.
(39.) 289 Kinder sollen für die Schuld ihrer Eltern nicht büssen, vielmehr verdienen sie, wenn sie selbst brav [244] sind, mehr Mitleid als Hass dafür, dass sie von so gottlosen Eltern abstammen. Aber auch soll die Sünde der Kinder nicht den Eltern zur Last gelegt werden, da junge Leute aus Überdruss am Lernen sich vieles erlauben, was gegen die Vorschriften verstösst.
(40.) 290 Man scheue und fliehe den Umgang der Verschnittenen, denen die Manneskraft und Zeugungsfähigkeit fehlt, die Gott den Menschen zur Mehrung ihres Geschlechtes verliehen hat. Sie sollen verstossen werden, als ob sie die Kinder gemordet hätten, noch ehe diese geboren sind, und weil sie sich der Zeugungsfähigkeit beraubt haben. 291 Weibisch wie ihr Körper ist auch ihre Seele. Verworfen soll auch sein, was das Aussehen einer Missgeburt hat. Überhaupt soll man weder Menschen noch Tiere verschneiden.
(41.) 292 Das soll nun im Frieden die Verfassung eures Staates sein, und der gnädige Gott wird ihn in Ehren halten und vor Aufruhr bewahren. Möge nie die Zeit kommen, da eines dieser Gesetze verändert oder ins Gegenteil verkehrt wird. 293 Da es aber natürlich ist, dass das Menschengeschlecht, sei es ohne oder mit seinem Willen, in Verwirrung und Gefahren geraten kann, so will ich auch für diesen Fall einiges anordnen, damit ihr wisst, was ihr Zweckmässiges thun müsst, wenn es nötig ist, und euch nicht erst danach umzusehen braucht, wenn ihr unvermutet in Gefahr geratet. 294 Gebe Gott, dass ihr das Land, das er euch als Lohn für eure Mühen und Tugenden schenkt, in Ruhe und Frieden bebauen möget, und dass sein Besitz euch weder durch feindliche Einfälle, noch durch innere Unruhen verkümmert werde. 295 Möget ihr auch nichts thun, was dem Sinne eurer Väter widerspricht, damit ihr deren Gesetze nicht einbüsst, sondern stets nach den Vorschriften lebt, die Gott euch als gut und bewährt übergeben hat. Wenn aber euch oder eure späteren Nachkommen das Los trifft, Krieg führen zu müssen, so möge derselbe ausserhalb eures Landes sich abspielen. 296 Auch sollt ihr, ehe ihr in den Krieg eintretet, Gesandte und Herolde an eure Feinde [245] schicken. Denn es geziemt sich, dass ihr, ehe ihr zu den Waffen greift, euren Feinden zuvor erklärt, ihr möchtet, obgleich ihr ein grosses Heer, Reiterei und Waffen und vor allem den gnädigen Gott als Beschützer hättet, dennoch nicht gern zu einem Kriege euch gezwungen sehen, noch ihnen wider ihren Willen ihr Hab und Gut rauben. 297 Geben sie dann nach, so ziemt es sich, dass ihr mit ihnen Frieden haltet. Wollen sie aber im Vertrauen auf ihre Stärke mit euch kämpfen, so führt euer Heer gegen sie und wählt Gott zu eurem obersten und einen tüchtigen Mann zu eurem zweiten Feldherrn. Denn viele Befehlshaber schaden gar oft, zumal wenn rasches Handeln erforderlich ist. 298 Das Heer soll rein und aus den stärksten und mutigsten Männern ausgewählt sein. Furchtsame dagegen sollen zurückgewiesen werden, damit sie nicht, wenn es zur Entscheidung kommt, durch ihre Flucht den Feinden Vorteil bereiten. Diejenigen, welche ein Haus gebaut haben, das sie noch kein Jahr bewohnen, sowie die, die gesäet und noch nicht geerntet haben, ferner die Verlobten oder jung Verheirateten sollen zu Hause bleiben, damit sie nicht vor Sehnsucht nach dem, was sie zurückgelassen, ihr Leben schonen und sich feige benehmen.
(42.) 299 Ist das Lager errichtet, so hütet euch vor grausamen und gottlosen Handlungen. Bei der Belagerung einer Stadt sollt ihr, wenn ihr Mangel an Holz zu Bollwerken habt, keine fruchtbaren Bäume abhauen, sondern sie verschonen und bedenken, dass sie zum Nutzen der Menschen geschaffen sind und dass sie, wenn sie reden könnten, sich beschweren würden, dass sie unverdient misshandelt würden, da sie keine Veranlassung zu dem Kriege gegeben hätten, und dass sie, wenn es ihnen möglich wäre, fortwandern und in ein anderes Land ziehen würden. 300 Habt ihr eine Schlacht gewonnen, so tötet die, die gegen euch gekämpft haben, die übrigen aber machet euch tributpflichtig mit Ausnahme der Chananäer, die ihr gänzlich vertilgen sollt.
(43.) 301 Seht euch besonders im Kriege vor, dass nicht [246] ein Weib Manneskleider oder ein Mann Weiberkleider trage.
(44.) 302 Das ist die Verfassung, die Moyses hinterliess. Die Gesetze dagegen hat er vierzig Jahre früher gegeben; von ihnen will ich in einem anderen Werke sprechen. An den folgenden Tagen (er redete unermüdlich) übergab er dem Volke die glückbringenden Gebetsformeln und die Verwünschungen gegen diejenigen, welche den Gesetzen zuwiderhandeln würden. 303 Hierauf las er ihnen ein Lied in sechsfüssigen Versen vor, das er in einem heiligen Buche aufgezeichnet hinterlassen hat. Dasselbe enthält eine Weissagung der Zukunft, nach welcher alles eingetroffen ist und noch eintrifft. 304 Diese heiligen Bücher übergab er den Priestern, desgleichen auch die Lade, in welcher er die auf zwei Tafeln geschriebenen zehn Gebote niederlegte, und die heilige Hütte. Das Volk ermahnte er, nach der Eroberung und Besitzergreifung Chananaeas das ihm von den Amalekitern zugefügte Unrecht nicht zu vergessen, sondern gegen sie zu Felde zu ziehen und das Leid, das sie ihnen in der Wüste angethan, zu rächen. 305 Sobald sie das Land Chananaea in Besitz genommen und die ganze Einwohnerschaft, wie es sich gebühre, vernichtet hätten, sollten sie einen Altar errichten gegen Sonnenaufgang, nicht weit von der Stadt der Sikimiter zwischen zwei Bergen, von denen der zur Rechten Garizin, der zur Linken Gibal heisse. Das Volk solle sich zu je sechs Stämmen auf den beiden Bergen samt den Priestern und Leviten aufstellen. 306 Dann sollten zunächst die, die auf dem Berge Garizin stünden, denjenigen Glück und Segen wünschen, die Gott eifrig dienten, die Gesetze beobachteten und den Vorschriften des Moyses nicht zuwiderhandelten. Die Sechs anderen Stämme sollten ihnen beipflichten und ebenso, wenn sie die Segenswünsche aussprächen, die ersteren ihnen zustimmen. 307 Darauf sollten sie die Gesetzesübertreter verwünschen, und was die einen aussprächen, sollten die anderen jedesmal billigen. Diese Segenswünsche und Fluchworte schrieb Moyses auf, damit [247] sie stets im Gedächtnis blieben. 308 Auch liess er sie im Angesichte seines Todes auf beide Seiten des Altares schreiben. Dann gebot er dem Volke, vor diesem Altar stehend Brandopfer darzubringen, nach diesem Tage aber kein anderes Opfer mehr auf ihn zu legen; denn das sei nicht gestattet. Diese Vorschriften gab Moyses, und das Hebräervolk hat sie später getreulich befolgt.
(45.) 309 Am folgenden Tage berief Moyses das Volk mit Weibern, Kindern und Sklaven zusammen und liess sie schwören, die Gesetze zu beobachten und in eifriger Erfüllung des göttlichen Willen sie nicht zu übertreten, weder aus Rücksicht auf Verwandtschaften, noch aus Furcht, noch weil sie irgend einen anderen Grund für wichtiger hielten als die treue Beobachtung der Gebote. 310 Und sollte irgend ein Verwandter oder irgend eine Stadt die Verfassung ihres Staates zu verwirren und zu lösen wagen, so sollten sie samt und sonders sich dagegen wehren. Hätten sie dann die Feinde überwunden, so sollten sie dieselben gänzlich ausrotten und keine Spur von den übermütigen Frevlern übrig lassen. Seien sie aber nicht mächtig genug, um die Strafe zu vollstrecken, so sollten sie wenigstens zeigen, dass die Übelthat gegen ihren Willen geschehen sei. Und das Volk leistete den Schwur.
(46.) 311 Moyses lehrte sie auch, wie sie Gott wohlgefällige Opfer darbringen, wie sie zum Kriege ausziehen und wie sie aus den Edelsteinen ein Zeichen entnehmen sollten, wovon ich oben Erwähnung gethan habe. Auch Jesus prophezeite noch in Gegenwart des Moyses, 312 erwog alles, was er für die Wohlfahrt des Volkes im Frieden wie im Kriege, für die Gesetzgebung und die Staatsverfassung thun müsse, und verkündete ihnen nach Gottes Eingebung, sie würden, wenn sie die Gottesverehrung vernachlässigten, allerlei Ungemach erleiden. 313 Ihr Land würde sich mit Feinden füllen, ihre Städte zerstört, ihr Tempel verbrannt werden, und sie selbst in die Sklaverei von Menschen geraten, die kein Mitleid mit ihrem Unglück empfinden. Zu spät würden sie dann Reue fühlen. [248] 314 Doch werde Gott, der sie erschaffen, ihren Nachkommen Städte und den Tempel wiedergeben. Dieser Verlust werde sich aber nicht nur einmal, sondern oft ereignen.
(47.) 315 Darauf ermahnte Moyses den Jesus, Krieg gegen die Chananäer zu führen, da Gott ihm in allen seinen Unternehmungen beistehen werde. Dann segnete er das ganze Volk und sprach: „Da ich nun zu unseren Vätern gehe, und Gott mir diesen Tag als Sterbetag bestimmt hat, 316 so sage ich ihm, weil ich noch lebe und bei euch bin, Dank dafür, dass er euch nicht nur von Leiden befreit, sondern auch manches Gute euch geschenkt hat, ferner dafür, dass er mich in allen meinen Mühen und Sorgen, die ich um die Verbesserung eurer Lage gehabt habe, unterstützt und sich uns in allem gnädig erwiesen hat. 317 Er war es, der uns in allen Unternehmungen vorangegangen ist und ihnen einen glücklichen Ausgang gegeben hat, denn ich war nur sein Stellvertreter und Diener bei Zuteilung der Wohlthaten, die er euch erzeigte. 318 Darum halte ich es für billig, die Allmacht Gottes, der auch in Zukunft sich euer annehmen wird, vor meinem Scheiden gebührend zu loben. Denn ich fühle mich verpflichtet, ihm auch meinerseits den schuldigen Dank abzustatten, dann aber euch ans Herz zu legen, wie sehr ihr ihn ehren und lieben und die Gesetze als das herrlichste Geschenk von allem, was er euch verliehen und in seiner Huld auch weiterhin bescheren wird, in Obacht halten müsst. 319 Bedenket auch, wie unwillig schon ein menschlicher Gesetzgeber ist, wenn seine Gesetze übertreten und verachtet werden; um wie viel weniger werdet ihr da den Zorn Gottes auf euch ziehen wollen, mit dem er die Missachtung seiner eigenen Gebote ahndet.“
(48.) 320 Als Moyses am Ende seines Lebens so gesprochen und jedem Stamme unter Segenswünschen sein künftiges Schicksal geweissagt hatte, brach das Volk in Thränen aus. Die Weiber schlugen an ihre Brust im Schmerze über seinen bevorstehenden Tod, und sogar die Kinder, welche um so mehr jammerten, je schwächer sie in der [249] Unterdrückung ihres Kummers waren, zeigten, dass sie seine Tugenden und die Grösse seiner Thaten besser erkannten, als ihr Alter hätte erwarten lassen sollen. 321 Alt und Jung schien sich in Schmerzensausbrüchen einander überbieten zu wollen. Die einen beklagten die Zukunft, da sie wohl wussten, welchen Führer und Vorsteher sie an Moyses verloren; die anderen trauerten um ihn, weil er scheiden müsse, noch ehe sie seine Tüchtigkeit recht erkannt hätten. 322 Die Grösse der Trauer und des Jammers des Volkes lässt sich am besten daraus entnehmen, was dem Gesetzgeber selbst begegnete. Obgleich er nämlich in seinem ganzen Leben überzeugt gewesen war, man dürfe sich wegen seines bevorstehenden Todes nicht abhärmen, da man ihn nach dem Willen Gottes und den Gesetzen der Natur erleiden müsse, so presste ihm doch das Wehklagen des Volkes Thränen aus. 323 Als er sich nun wegbegab nach dem Orte, wo er dem Anblick entrückt werden sollte, folgten ihm alle weinend nach. Moyses aber winkte den weiter Entfernten mit der Hand, dass sie ruhig stehen bleiben sollten. Die ihm näher Stehenden hingegen ermahnte er, sie sollten ihm nicht dadurch, dass sie ihm folgten, den Abschied noch mehr erschweren. 324 Hierin glaubten sie ihm willfahren zu müssen und hielten sich deshalb weinend zurück, damit er nach seinem Willen aus dem Leben scheiden könne, und nur die Ältesten, der Hohepriester Eleazar und der Heerführer Jesus begleiteten ihn. 325 Als er nun auf dem Berge Abar angekommen war (dieser Berg ragt in der Gegend von Jericho empor, und man hat von ihm einen herrlichen und weiten Ausblick auf das Land Chananaea), entliess er die Ältesten. 326 Darauf umarmte er den Eleazar und den Jesus, und während er noch mit ihnen sprach, liess sich plötzlich eine Wolke auf ihn herab, und er entschwand in ein Thal. In den heiligen Büchern aber hat er geschrieben, er sei gestorben, aus Furcht, man möchte sagen, er sei wegen seiner hervorragenden Tugenden zu Gott hinüber gegangen.
[250] (49.) 327 Er lebte im ganzen einhundertzwanzig Jahre, wovon er den dritten Teil weniger einen Monat Führer des Volkes gewesen ist. Er starb im letzten Monate des Jahres, der bei den Macedoniern Dystros, bei uns Adar heisst, zur Zeit des Neumondes. 328 An Geistesschärfe übertraf er alle Menschen, die je gelebt haben, und geschickt im Erdenken von Plänen, besass er auch eine wunderbare volkstümliche Beredsamkeit. Seine Stimmungen beherrschte er in solchem Grade, 329 dass sie in ihm gar nicht vorhanden zu sein schienen, und dass er ihre Namen mehr deshalb, weil er sie bei anderen Menschen sah, als von sich selbst her zu kennen schien. Er war ein vorzüglicher Feldherr und ein Seher, wie kaum ein zweiter, sodass, wenn er redete, man Gott selbst sprechen zu hören vermeinte. 330 Das Volk beweinte ihn dreissig Tage lang, und eine so ungeheure Trauer hat die Hebräer nie wieder ergriffen, als damals, da Moyses starb. 331 Und es vermissten ihn nicht nur diejenigen, die persönlich mit ihm verkehrt hatten, sondern auch alle, die seine Gesetze kennen lernten, weil sie aus ihnen auf die hervorragende Grösse seiner Tugend schliessen konnten. So viel sei über den Tod des Moyses gesagt.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Der Paragraph wurde in der Übersetzung stark gekürzt.
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