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Internationale Vorsichtsmaßregeln zur See

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Titel: Internationale Vorsichtsmaßregeln zur See
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 115–116
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[115] Internationale Vorsichtsmaßregeln zur See. Unter dem furchtbaren Eindruck des jähen Untergangs der „Elbe“, der so viele Menschen einem grauenvollen Tod überliefert hat, möchten wir die allgemeine Aufmerksamkeit auf die folgenden Ausführungen des bekannten Konteradmiral a. D. R. Werner lenken, die wir einem seiner jüngsten Bücher, „Auf fernen Meeren und Daheim“ (Berlin, Allgemeiner Verein für deutsche Litteratur), entnehmen und welche die Mangelhaftigkeit der internationalen Vorsichtsmaßregeln zur See zum Ausgangspunkt haben. Der ausgezeichnete Fachmann schreibt: Alle international festgestellten Vorsichtsmaßregeln gegen Zusammenstöße von Schiffen haben sich ziemlich ohnmächtig erwiesen. Sie scheitern hauptsächlich an drei Punkten, an unabwendbaren Verhältnissen, gegen welche kein Gesetz Abhilfe zu schaffen vermag, an sträflicher Nachlässigkeit und am Konkurrenzneid der Menschen, gegen welch letzteres Uebel aber sehr wohl mit Erfolg vorgegangen werden kann.

Bei Nebel z. B., diesem gefährlichen Feinde des Seemanns, während dessen Dauer die meisten Unglücksfälle eintreten und der oft so dicht ist, daß man kaum über die Bordwände hinaus etwas sehen kann, wird der Seemann seines vorzüglichsten Hilfsmittels zur Vermeidung von Gefahren beraubt, des Gesichts. Er ist dann nur auf sein Ohr angewiesen, aber welchen Irrtümern und Täuschungen ist er ausgesetzt, welche auch die sorgsamste Aufmerksamkeit nicht verhindern kann, wenn er sich in Engen befindet, wo sich Hunderte von Schiffen nach allen Richtungen hin kreuzen! Was nützen alle Signale mit Schiffsglocke, Nebelhorn, Sirene oder Dampfpfeife, die außerdem ihrer Natur nach immer unvollkommen bleiben müssen, [116] wenn sie bald näher, bald ferner aus allen Kompaßstrichen ertönen? Man wird wirr im Kopf, fühlt seine Ohnmacht, das Richtige zu treffen und es ist Gott anheim gestellt, ob man glücklich durchkommt.

Dies ist eins von den unabwendbaren Verhältnissen des Seelebens, das sich durch kein Gesetz ganz aus der Welt schaffen läßt, wohl aber kann man die aus ihm erwachsenden Gefahren durch zweckmäßige Maßregeln bedeutend einschränken, wenn man gegen die Pflichtvergessenheit der Menschen strenger vorgeht.

Es ist gesetzlich vorgeschrieben, daß die Dampfschiffe im Nebel mit halber Kraft fahren sollen. Was heißt das? Ein Schnelldampfer läuft 20 Knoten (10 m in der Sekunde) mit voller Kraft; mit sogenannter halber Kraft, die man sich an Bord beliebig auslegen kann, 10 bis 15. Ein Frachtdampfer, der mit voller Kraft nur 10 Knoten läuft, macht mit halber 4 bis 6. Schon wenn diese Verminderung innegehalten würde, müßten sich die Gefahren wenigstens etwas verringern, aber wer kehrt sich daran? Die Handelsdampfer fast nie. Um sich nicht von Konkurrenzlinien überholen zu lassen, gehen sie auch beim dichtesten Nebel mit ihrer schnellsten Fahrt vorwärts. Die transatlantischen Schnelldampfer durchlaufen in einer Minute eine Strecke von etwa 500 bis 600 Metern, und man kann sich denken, wie schwierig es sein muß, einem Gegensegler, der nahezu ebensoviel Fahrt macht, im Nebel oder auch nur bei dunkler Nacht auszuweichen.

Die farbigen Laternen, welche jedes Schiff führen muß, eine rote an Backbord, eine grüne an Steuerbord, und Dampfer außerdem noch ein weißes Licht am Fockmast vorn, sollen gesetzlich eine Seemeile (1852 m) sichtbar sein. Selbst aber, wenn dies der Fall ist, sie gut brennend erhalten werden, was auch vielfach versäumt wird, und wenn die Leute auf Ausguck ihre volle Schuldigkeit thun, wird jene Meile von beiden Gegenseglern zusammen in 1½ Minuten zurückgelegt, und was für eine kurze Zeit ist das, um den richtigen Entschluß zu fassen und auszuführen, namentlich wenn noch andere Schiffe in der Nähe sind, auf die man gleizeitig zu achten hat. Wie sehr oft ist der Nebel aber so dicht, daß man die Lichter nicht auf eine viertel Seemeile sieht, und dann handelt es sich nur um Sekunden, bei denen selbst das schnellste Stoppen der Maschine nichts mehr hilft.

Hier hat also das Gesetz eine große Lücke, die notwendig ausgefüllt werden muß. Bis jetzt fehlt jede Kontrolle, und wenn sie nicht geschaffen wird, dann werden sich die Zusammenstöße und damit der Verlust an Menschenleben und Nationalvermögen immer weiter vermehren, da sich der Uebergang der Segel- zur Dampfschiffahrt wenigstens in engen Gewässern immer mehr vollzieht.

Früher gab es noch verhältnismäßig wenig Dampfer und bisweilen konnte man tagelang im Kanal segeln, ohne einen von ihnen zu Gesicht zu bekommen; jetzt dagegen begegnet man ihnen in so engen Gewässern täglich viel dutzendweise und sie sind am meisten zu fürchten.

Der Wind bindet Segelschiffe an gewisse Kurse, so daß man selbst bei stockfinsterer Nacht und im Nebel immer ungefähr wissen kann, wie der Gegensegler steuert, aber die vom Winde gänzlich unabhängigen Dampfer sind in ihren Kursen unberechenbar. Wenn die elastischen hölzernen Segelschiffe dann auch einmal gegeneinander rannten, so gab es wohl mehr oder minder „klein Holz“, wie die Seeleute sagen, es gingen wohl auch einige Raaen und Stengen, bisweilen sogar ein Mast „auf den Lauf“, aber in den Grund gebohrt wurden sie in den seltensten Fällen.

Die eisernen Dampfer dagegen mit ihrem messerscharfen Bug und ihrer schnellen Fahrt schneiden ein Schiff mitten auseinander, und die Zahl solcher Zusammenstöße, bei denen die Fahrzeuge in wenigen Minuten mit Mann und Maus in die Tiefe sinken, ist in den letzten Jahren in erschreckendem Maße gewachsen.

Je mehr Dampfer gebaut werden, desto größer wird die Gefahr der Zusammenstöße und das Gesetz muß dagegen einschreiten. Es muß für Nebel und unsichtige Nacht nicht „halbe Kraft“, sondern eine gewisse nicht zu hohe Geschwindigkeit, 5 bis 6 Knoten, wie sie unter solchen Verhältnissen die Kriegsschiffe inne halten, für alle Dampfschiffe festgesetzt und ein Ueberschreiten derselben mit schweren Strafen geahndet werden.

Eine Kontrolle wird in den meisten Fällen trotzdem nicht geübt werden können, aber in dem einen des Zusammenstoßes dennoch, und dann müssen nicht allein die betreffenden Kapitäne, sondern vor allem die Reeder dafür verantwortlich gemacht werden, denn nicht jene, sondern diese tragen in den meisten Fällen die Hauptschuld. Erstere würden gern den Gesetzen gehorchen, weil sie unter den gegenwärtigen Verhältnissen viel mehr das eigene Leben auf das Spiel setzen als bei geringerer Fahrt; aber wenn sie durch Gehorsam gegen das Gesetz ihre Reise verlängern und andere gewissenlosere Kapitäne ihnen den Rang ablaufen, dann setzen sie sich dem aus, daß sie ihre Stellung verlieren und die Reeder einen anderen, „schneidigeren“ Kapitän nehmen.

Würden aber die Reeder des schuldigen Schiffes nicht allein gesetzlich bestraft, sobald ihnen nachgewiesen wird, daß sie den Kapitän nicht zur genauen Nachachtung der einschlägigen Bestimmungen verpflichtet haben, sondern sie auch in vollem Umfange zur Haftpflicht für alle Beschädigten herangezogen, so würde sich sehr bald eine Aenderung zum Besseren zeigen und man nicht so viel von Zusammenstößen hören.

Natürlich kann ein solches Gesetz nur international sein, aber da das Ausweichen auf See, die Führung der Lichter, das Signalisieren etc. ohne Schwierigkeit bereits international geregelt sind, so würde sich auch dies regeln lassen, da alle seefahrenden Völker gleichmäßig dabei interessiert sind. Es bedürfte unter Hinweis auf die sich immer mehr häufenden Unglücksfälle wohl nur der Anregung durch eine Regierung, um die Frage in Fluß und zu einem günstigen Abschluß zu bringen. –

Es würde Deutschland zu höchsten Ehre gereichen, auch in dieser Beziehung die Initiative zu ergreifen, nachdem es in humanitärer Beziehung bahnbrechend vorgegangen. Es ist um so mehr hierzu berufen, als gerade die deutschen Schiffsführer den Ruhm in Anspruch nehmen dürfen, die strengste Disciplin auf ihren Schiffen zu halten und in Fällen drohenden Zusammenstoßes die Pflichten der Menschlichkeit mit den von ihnen vertretenen Interessen nach Kräften in Einklang zu bringen.