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In der Todesstunde

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Textdaten
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Autor:
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Titel: In der Todesstunde
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aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 787–788
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1887
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[787] In der Todesstunde. Es ist wiederholt die Meinung ausgesprochen worden, daß die letzten Aeußerungen der Menschen vor ihrem Verscheiden, als Summe der ganzen Lebensgeschichte, als das werthvollste Bekenntniß zu betrachten sind, denn der Hauch des Todes streift auch der Heuchelei die Maske vom Gesicht; aber es spricht doch auch Manches gegen diese Annahme, und der „Treppenwitz“, der in der Weltgeschichte sein frivoles Wesen treibt, [788] hat manches als authentisch betrachtete „letzte Wort“ auf dem Gewissen. So klingt es nicht sehr wahrscheinlich, daß Danton’s letzte Worte in dem einem Freunde gemachten Bekenntniß bestanden: „Freund, sollte es auch jenseits Revolutionen geben, so mische ich mich nicht hinein.“

Goethe’s letzter Seufzer: „Licht, mehr Licht!“ wird von Ottilie von Goethe sogar bestritten, und Hegel’s geistreiche, angeblich letzte Aeußerung: „Es hat mich nur Einer verstanden, und der hat mich mißverstanden!“ scheint eben so eine nachträgliche Erfindung zu sein; denn Hegel’s Wittwe, die des Philosophen Tod schilderte, erwähnt keine Silbe davon. Sehr schön klingt auch das dramatische Schlußwort Cäsar’s: „Et tu, Brute?“ (Auch Du, Brutus?), von dem sich aber bei den römischen Geschichtsschreibern keine Spur vorfindet; nach Sueton’s Zeugniß ist der große Cäsar lautlos zu Boden gestürzt. Notorisch sind Heinrich Heine’s letzte Lebenszeichen: „Schreiben – Papier – Bleistift …“ Er rief dies mit ersterbender Stimme; dann schloß er die Augen und war todt. Schiller verlangte in den letzten Minuten, „einen Blick in die Sonne“ zu thun. Nach einer andern Version flüsterten die Lippen des sterbenden Dichterfürsten die Worte: „Immer besser – immer ruhiger!“ Mit dem frommen Gebet: „In Deine Hände, o Herr!“ starb Torquato Tasso, und Klopstock rief: „Ja, wir sind Alle in Gottes Hand gezeichnet!“ Des frommen Herder’s letzter Wunsch galt den „Ideen“, und Wieland soll mit der Hamlet’schen Frage „Sein oder Nichtsein“ aus der Welt geschieden sein. Ein echtes Philosophenwort wird dem englischen Gelehrten Locke in den Mund gelegt; er hauchte „Genug!“ und starb. Mozart sprach sterbend den Wunsch aus: „Laßt mich nur noch zum letzten Male Musik hören!“ ähnlich den Worten Mirabeau’s: „Laßt mich bei den Tönen der Musik sterben!“ „Sieh, der Zeitpunkt zum Schlafen!“ sagte Byron, ehe sein Geist entfloh; und dasselbe klare Bewußtsein des Ernstes der Situation bekundete Alfieri in den an einen Zeugen seines Todes gerichteten Worten: „Drücke mir die Hand, theurer Freund, jetzt sterbe ich!“

Der kürzlich verstorbene Th. Vischer hinterließ seinem an sein Todtenbett geeilten Sohn ein letztes, bedeutungsvolles Wort. „Arbeit!“ wiederholte er zweimal mit schwacher Stimme. Das Gefühl der Befreiuug muß Cromwell’s letzte Augenblicke verklärt haben, denn er seufzte: „Ich bin erlöst“, während Washington „Alles geht gut!“ leise vor sich hinsprach; eben so lauteten Wellington’s letzte Worte. Die stolze Majestät eines römischen Imperators drückt sich in Vespasian’s „Ein Kaiser muß stehend sterben!“ aus, und Kaiser Augustus rief: „Die Komödie ist zu Ende!“ Eben so gefaßt erwartete Georg IV. von England den Tod, indem er sich zu der Frage ermannte: „Ist der Tod nichts als dies?“ während Königin Elisabeth von England in ihren letzten Augenblicken flehte: „Mein ganzes Königreich für noch eine einzige Minute zu leben!“ Ein Bekenntniß in dem oben erwähnten Sinn ist Friedrich’s V. bekanntes Abschiedswort vom Leben: „Meine Hände sind rein von Blut!“ Und während der große Napoleon verscheidend in sich selbst zusammensank, müssen Bilder aus seiner Vergangenheit vor seiner erlöschenden Phantasie vorübergezogen sein. „Eine Heeressäule!“ sagte er kurz vor seinem Sterben. Börne’s allerletztes Wort dürfte nicht darin bestanden haben, daß er – wie man erzählt – dem Arzt auf die Frage: „Was für einen Geschmack haben Sie?“ geantwortet hat: „Gar keinen, wie die deutsche Litteratur!“ Von dem berühmten Direktor der Universitätsklinik in Wien J. P. Frank († 1821) erzählt man Folgendes. Acht Größen der Heilkunde umstanden sein Sterbelager. Da lachte der Kranke laut auf; befragt, was er habe, erklärte er: „Mir ist die Geschichte von dem Grenadier eingefallen, der auf dem Schlachtfeld von Wagram lag und seine Wunden zählte. ‚Parbleu,‘ rief er, ‚acht Kugeln sind nöthig, um einem französischen Grenadier das Leben zu nehmen.‘ Sie sind auch Ihrer acht!“ Mit diesen Worten soll er lachend das Zeitliche gesegnet haben. Mit einem Calembour ging der französische Schauspieler Dudos aus der Welt. Er verabschiedete seinen Beichtvater Namens Chapeau mit den Worten: „Ohne Schuhe und Strümpfe kam ich zur Welt, ich kann sie auch ohne Hut (chapeau) verlassen.“