Hyperion an Diotima XLVI
[40-41] HYPERION AN DIOTIMA.
Und nun möcht’ ich dich sehen, o Mädchen! sehen möcht’ ich dich und deine Hände nehmen und an mein Herz sie drüken, dem die Freude nun bald vielleicht zu groß ist! bald! in einer Woche vielleicht ist er befreit, der alte, edle, heilige Pelopones. O dann, du Theure! lehre mich fromm seyn! dann lehre mein überwallend Herz ein Gebet! Ich sollte schweigen, denn was hab’ ich gethan? und hätt’ ich etwas gethan, wovon ich sprechen möchte, wieviel ist dennoch übrig? Aber was kann ich dafür, dass mein Gedanke schneller ist, wie die Zeit? Ich wollte so gern, es wäre umgekehrt und die Zeit und die That überflöge den Gedanken und der geflügelte Sieg übereilte die Hoffnung selbst. Mein Alabanda blüht, wie ein Bräutigam. Aus jedem seiner Blike lacht die kommende Welt mich an, und daran still’ ich noch die Ungedult so ziemlich. Diotima! ich möchte dieses werdende Glük nicht um die schönste Lebenszeit des alten Griechenlands vertauschen, und der kleinste unsrer Siege ist mir lieber, als Marathon und Thermopylä und Platea. Ists nicht wahr? Ist nicht dem Herzen das genesende Leben mehr werth, als das reine, das die Krankheit noch nicht kennt? Erst wenn die Jugend [42] hin ist, lieben wir sie, und dann erst, wenn die verlorne wiederkehrt, beglükt sie alle Tiefen der Seele. Am Eurotas stehet mein Zelt, und wenn ich nach Mitternacht erwache, rauscht der alte Flussgott mahnend mir vorüber, und lächelnd nehm’ ich die Blumen des Ufers, und streue sie in seine glänzende Welle und sag’ ihm: Nimm es zum Zeichen, du Einsamer! Bald umblüht das alte Leben dich wieder. |