Hyperion an Bellarmin XXXIII
[8-9] HYPERION AN BELLARMIN.
Diotimas Erblassen, da sie Alabandas Brief las, gieng mir durch die Seele. Drauf fieng sie an, gelassen und ernst, den Schritt mir abzurathen und wir sprachen manches hin und wieder. O ihr Gewaltsamen! rief sie endlich, die ihr so schnell zum Äussersten seyd, denkt an die Nemesis! Wer Äusserstes leidet, sagt’ ich, dem ist das Äusserste recht. Wenns auch recht ist, sagte sie, du bist dazu nicht geboren. So scheint es, sagt’ ich; ich hab’ auch lange genug gesäumt. O ich möchte einen Atlas auf mich laden, um die Schulden meiner Jugend abzutragen. Hab’ ich ein Bewustseyn? hab’ ich ein Bleiben in mir? O lass mich, Diotima! Hier, gerad in solcher Arbeit muss ich es erbeuten. Das ist eitel Übermuth! rief Diotima; neulich warst du bescheidner, neulich, da du sagtest, ich muss noch ausgehn, zu lernen. Liebe Sophistin! rief ich, damals war ja auch von ganz was anderem die Rede. In den Olymp des Göttlichschönen, wo aus ewigjungen Quellen das Wahre mit allem Guten entspringt, dahin mein Volk zu führen, bin ich noch jezt nicht geschikt. Aber ein Schwerd zu brauchen, hab’ ich gelernt und mehr bedarf es für jezt nicht. Der neue Geisterbund kann in der Luft nicht leben, die heilige Theokratie des Schönen muss in einem Freistaat wohnen, und der will Plaz auf Erden haben und diesen Plaz erobern wir gewiss. Du wirst erobern, rief Diotima, und vergessen, wofür? wirst, wenn es hoch kommt, einen Freistaat dir erzwingen und dann sagen, wofür hab’ ich gebaut? ach! es wird verzehrt seyn, all’ das schöne Leben, das daselbst sich regen sollte, wird verbraucht seyn selbst in dir! Der wilde Kampf wird dich zerreissen, schöne Seele, du wirst altern, seeliger Geist! und lebensmüd am Ende fragen, wo seyd ihr nun, ihr Ideale der Jugend? Das ist grausam, Diotima, rief ich, so ins Herz zu greifen, so an meiner eignen Todesfurcht, an meiner höchsten Lebenslust mich vestzuhalten, aber nein! nein! nein! Der Knechtsdienst tödtet, aber gerechter Krieg macht jede Seele lebendig. Das giebt dem Golde die Farbe der Sonne, dass man ins Feuer es wirft! Das, das giebt erst dem Menschen seine ganze Jugend, dass er Fesseln zerreisst! [10] Das rettet ihn allein, dass er sich aufmacht und die Natter zertritt, das kriechende Jahrhundert, das alle schöne Natur im Keime vergiftet! - Altern sollt ich, Diotima! wenn ich Griechenland befreie? altern, ärmlich werden, ein gemeiner Mensch? O so war er wohl recht schaal und leer und gottverlassen, der Athenerjüngling, da er als Siegesbothe von Marathon über den Gipfel des Pentele kam und hinabsah in die Thäler von Attika! Lieber! Lieber! rief Diotima, sei doch still! ich sage dir kein Wort mehr. Du sollst gehn, sollst gehen, stolzer Mensch! Ach! wenn du so bist, hab’ ich keine Macht, kein Recht auf dich. Sie weinte bitter und ich stand, wie ein Verbrecher, vor ihr. Vergieb mir, göttliches Mädchen! rief ich, vor ihr niedergesunken, o vergieb mir, wo ich muss! Ich wähle nicht, ich sinne nicht. Eine Macht ist in mir und ich weiss nicht, ob ich es selbst bin, was zu dem Schritte mich treibt. Deine volle Seele gebietet dirs, antwortete sie. Ihr nicht zu folgen, führt oft zum Untergange, doch, ihr zu folgen, wohl auch. Das beste ist, du gehst, denn es ist grösser. Handle du; ich will es tragen. |