Herzog Friedrich in Kiel
Wenn man von der Stadt Kiel den Weg an der See entlang nach dem anmuthigen Bellevue einschlägt, so gelangt man nach etwa tausend Schritten, während welcher sich zur Rechten fortwährend zwischen den Bäumen und Büschen an der Straße reizende Ausblicke nach der blauen Bucht und dem gegenüber sich hinziehenden Ufer öffnen, an eine Senkung in der Hügelkette zur Linken, in der sich, umgeben von Rasenplätzen und Boskets eine Villa, das schönste der vielen schönen Landhäuser, zeigt, die den langgestreckten Badeort Düsternbrook bilden. Die Villa ist in Kreuzform und in einem Styl gebaut, der ein Gemisch von gothischer Manier und Schweizergeschmack ist – etwas wunderlich, aber nicht unangenehm für das Auge. Das Dach ist ein steiles Schieferdach. Neben dem Souterrain der Vorderseite befinden sich zu beiden Seiten bauchige Glaskasten zur Aufstellung von Zierpflanzen. Darüber schließen sich an den massiven Kern des erhöhten Erdgeschosses rechts und links Glassalons von leichterer Bauart. Auf der linken Seite ist der Eingang, zu welchem eine steinerne Freitreppe hinaufführt. Im Hintergrunde wölben sich theils mit Gras, theils mit Bäumen bedeckte Hügel von anmuthigem Schwung. Die Aussicht nach der Bucht hin zeigt jenseits des Wassers das liebliche Bildchen von Neumühlen am Ausfluß der Schwentine.
In dieser überaus freundlichen idyllischen Wohnung, die zu Anfang dieses Jahres in den Besitz eines Hamburgers übergegangen ist, residirt seit Beginn des vorigen Frühlings der Fürst, auf den jetzt geraume Zeit schon die Augen von ganz Deutschland gerichtet sind und um dessen Recht und endliches Schicksal sich in der jüngsten Vergangenheit so viele Gedanken, Noten, Adressen, Resolutionen und Journalistenfedern bald feindlich, bald freundlich, bis jetzt aber ohne Ergebniß zuverlässiger und endgültiger Art, abmühten – Herzog Friedrich von Schleswig-Holstein, wie sein Volk und der größere Theil der Deutschen im Binnenlande ihn nennen, der Augustenburger, wie sich die preußischen Ministeriellen und Feudalen sammt der Plessenschen Genossenschaft auszudrücken belieben.
Treten wir, bevor wir die Weise, in der Herzog Friedrich hier lebt, zu schildern versuchen, zunächst in die Villa von Düsternbrook ein, so gelangen wir durch die Hausthür zuerst in einen Vorraum, aus welchem eine zweite mit kleinen schleswig-hosteinischen Fahnen geschmückte Thür auf einen großen mit Steinplatten gepflasterten Vorsaal führt. Links geht von hier eine hölzerne Treppe in das obere Stockwerk des Gebäudes, wo sich das Arbeitszimmer und das Schlafgemach des Herzogs befinden, und eine zweite Treppe in das Souterrain. Rechts tritt man durch eine eichenfarbig angestrichene Flügelthür in das Empfangszimmer, an welches sich auf der einen Seite ein kleines Gemach, in dem der Herzog den Abend zu verbringen pflegt, auf der andern ein etwas größeres anschließt, in welchem die abendliche Tafel servirt wird. Die Fenster des Empfangszimmers blicken nach dem Düsternbrooker [184] Wege und der Bucht hinaus. Möblement und Verzierung desselben sind nicht reicher als in einem wohlhabenden Bürgerhause. Rothe Vorhänge an Goldleisten neben der Thür und dem breiten Fenster, ein Sopha mit einem Tisch davor, zwei gepolsterte Lehnstühle, ein Secretär, ein Glasschrank, noch ein kleiner Tisch, ein Blumenstand mit hübschen Blattpflanzen, eine Stutzuhr und etliche gewöhnliche Stühle, endlich drei Oelbilder, von denen zwei die Töchterchen des Herzogs, niedliche Kindergesichter mit blonden Lockenköpfen und den Augen des Vaters, vorstellen, das dritte die hier geschilderte Villa zeigt – das wäre ungefähr die Ausstattung des nur wenig über mittelgroßen und nur mäßig hohen Zimmers, und die erwähnten Nebengemächer sind noch weniger anspruchsvoll eingerichtet.
Gleich bescheiden ist der Haushalt des Herzogs und sein ganzes Auftreten in gesellschaftlicher Beziehung.
Mehr als einer der großen adeligen Grundbesitzer Holsteins macht ein glänzenderes Haus als er. Nie sah ich ihn mit Vieren fahren. Seinen Wagen ziert weder ein Wappen noch anderer Schmuck. Seine Dienerschaft besteht aus einem Lakai in Livree, einem Jäger mit Federhut und Hirschfänger, einem Kutscher und einem Bedienten in gewöhnlicher Kleidung. Als Hofchef dient ihm der Major Schmidt, ein früherer preußischer, dann schleswig-holsteinischer Officier von Vermögen, den treue Neigung dem Herzog nach Kiel folgen hieß. Die Geschäfte eines Privatsecretärs, hauptsächlich wohl in Erledigung der Zusendungen von Büchern, Bildern, Gedichten u. dgl. bestehend, mit denen Herzog Friedrich, wie üblich, von allen Seiten heimgesucht wird, versieht ein Herr von Rumohr.
Von strenger Etiquette und Ceremonienmeisterei ist nicht die Rede. Schwarzer Frack und helle Handschuhe sind alles, was man zu einem Besuch bedarf. Die Unterhaltung bei Tafel ist völlig ungezwungen. Man speist nicht besser als in einem der wohlhabenden Kieler Privathäuser: eine Suppe, drei Gerichte, Dessert, dazu vor jedem Gast eine Karaffe mit dem landesüblichen Rothwein, zur Suppe ein Glas Portwein, blos bei besondern Gelegenheiten ein anderes Getränk, selten Champagner. Nur bisweilen sitzt man länger als eine halbe Stunde bei Tische. In der Regel sind nicht mehr als fünf bis sechs Personen geladen. Nach aufgehobener Tafel wird das Gespräch bei einer Tasse Kaffee und einer Cigarre im Empfangszimmer fortgesetzt. In Kiel wird spät, zwischen drei und vier Uhr, zu Mittag gegessen, in der herzoglichen Villa nach englischer Sitte erst um sechs Uhr Abends, und die Gesellschaft, unter der man häufig Leute von Namen, Professoren der Universität, Notabeln aus den entfernteren Theilen der Herzogthümer, Fremde von Distinction trifft, bleibt dann gewöhnlich bis gegen acht Uhr beisammen.
Der Herzog betheiligt sich bei der Unterhaltung lebhaft, er verräth dabei eine recht gute Kenntniß des Landes, Vertrautheit mit den Sitten, Rechten und Bedürfnissen desselben und reges Interesse, sich weiter zu unterrichten, auch eine respectable allgemeine Bildung – eine bessere, behauptete ein zu Vergleichen Befähigter, als mancher andere unsrer erlauchten Herren in Deutschland. Ueber politische Dinge hört man ihn stets sich im Sinne eines gemäßigten Liberalismus äußern. Im Uebrigen versteht er seine Gedanken geschickt und fließend auszudrücken und mit Gewandtheit Einwürfe zu widerlegen, die gegen seine Meinung gemacht werden. Nie hört man ihn schroff, immer mild urtheilen. Daß er sehr liebenswürdig sein kann, wissen Alle zu rühmen, welche mit ihm in Berührung kamen. Nur soweit nothwendig läßt er die Würde des Fürsten empfinden; obwohl preußischer Major, erscheint er nie in Uniform, und niemals sieht man ihn mit Ordensband und Stern. Kriegerische Neigungen scheinen ihm zu mangeln, sein Hauptcharakterzug ist ein friedlich bürgerliches Wesen, wie es der Mehrzahl der Schleswig-Holsteiner eigen ist. Ich meine, mit diesen Eigenschaften würde er einst (vorausgesetzt, daß er gut berathen wäre) ein Regent sein, unter welchem sich ein Volk ziemlich wohl befinden könnte.
Von Person ist Herzog Friedrich eine stattliche Erscheinung. Ueber Mittelgröße, wohl gewachsen, zeigt er in seinen Gesichtszügen unverkennbar den Typus des oldenburgischen Geschlechts. Die Augen sind lichtblau, das Kinn ist stark entwickelt, die Nase wohlgeformt, die Stirn hoch, der Fuß von vornehmer Kleinheit. Das braune Haar beginnt dem mittleren Dreißiger bereits zu ergrauen – wohl die Folge der Sorge des letztvergangenen Jahres und der Aufregungen, die der stete Wechsel hoffnungsreicher und herabstimmender Tage in demselben brachte.
Nicht allgemein bekannt ist nach meiner Erfahrung, daß die Herzogin nicht bei ihrem Gemahl, sondern mit dem Prinzen und den Prinzessinnen in Primkenau bei ihrem Schwiegervater, dem Herzog von Augustenburg, lebt. Die Lage eignete sich eben bis jetzt noch nicht zur Uebersiedelung nach den Herzogthümern, und so entbehrt der Herzog schon seit Monaten die Freude, im Schooß seiner Familie zu verweilen. Nicht einmal das Weihnachtsfest durfte er im Kreise der Seinen feiern. Kinder und Gemahlin sind bei ihm nur in Bildern.
Das Leben des Herzogs ist gegenwärtig ein ziemlich einförmiges. Des Morgens ein Spaziergang, selten ein Ritt, in die Umgebung, dann einsame Arbeit; nach dem zweiten Frühstück, gegen die Mittagsstunde, fährt er nach dem Hause, welches er in der Stadt inne hat, um sich hier mit seinen Räthen zu besprechen und zur Aufwartung sich meldenden Fremden, Bittstellern oder mit Vorschlägen oder Mittheilungen kommenden Freunden Audienz zu geben. Gegen fünf Uhr kehrt er nach Düsternbrook zurück. Selten besucht er das in der That mittelmäßige Theater, häufiger erscheint er in Concerten, die hier mitunter recht gut sind und wo man den Gebrauch eingeführt hat, seine loyale Gesinnung bei Eintritt der Hoheit durch allgemeines Aufstehen von den Sitzen kundzugeben. Zuweilen unterbricht noch eine Deputation mit einer Adresse diese äußerlich stille und eintönige Existenz. Hin und wieder besucht der Herzog einen befreundeten Gutsbesitzer in der nähern oder entfernteren Nachbarschaft von Kiel. Mitunter folgt er einer Einladung zur Jagd in der Gegend von Hamburg, wo der Kaufmann Godefroy, ein alter Freund des Augustenburgischen Hauses, einen stattlichen Besitz mit Wildstand hat. Manchmal fällt auch ein Erinnerungsfest oder sonst ein feierlicher Tag ein, bei welchem der Herzog in die Oeffentlichkeit zu treten hat. Sonst verläuft ein Tag ungefähr wie der andere, und noch immer will der rechte, von der Mehrzahl im Lande ersehnte, der Tag der Anerkennung und Einsetzung, nicht erscheinen. Das Provisorium scheint sich verewigen zu wollen, und die Frage ist, wer es von den beiden Hauptbetheiligten am längsten ohne Schaden zu ertragen vermag.
Ein Theil der Schleswig-Holsteiner wird noch eine Weile fest bleiben, wenigstens in seinem Widerwillen gegen die offne und volle Annexion; ob viele, wird die Zukunft lehren. Der enge Anschluß des neuen Staates an Preußen ist, was man auch dagegen eingewendet hat und wie sehr sich auch der starre Particularismus dagegen aufbäumt, im Interesse nicht blos Preußens, sondern ebenso sehr zum Wohle Schleswig-Holsteins zu wünschen und wird in der That von Vielen gewünscht. Er ist eine unvermeidliche Nothwendigkeit und wird darum ganz unzweifelhaft erfolgen, wofern Preußen nicht mehr verlangt und – vermag.
Gar Manche, die an diese Unvermeidlichkeit nicht glauben wollen, werden über kurz oder lang daran glauben lernen, und soviel Hinterthüren Klügere sich zu öffnen bemüht sind, um den verhaßten Zugeständnissen mindestens theilweise auszuweichen, dem, was Preußen in seinem und Deutschlands Interesse fordert, werden sie nicht entgehen. Der Widerwille wird sich bei der Mehrzahl noch während des Provisoriums allmählich legen. Unschädliches Murren und Grollen wird man nicht beachten, das Uebrige wird das lebhafte Bedürfniß des Landes nach Ruhe in einem Definitivum thun. Von Widerstand mit den Waffen können nur Träumer schwärmen – kein Mann im ganzen Lande wird eine Hand, geschweige das Schwert erheben, selbst gegen die volle Einverleibung nicht, soviel auch von gewissen Leuten damit gedroht wird. Darüber wolle man sich im innern Deutschland keinen Täuschungen hingeben.
Vieles sieht von ferne betrachtet anders aus als von nahe in Augenschein genommen – auch die Adressenstürme, die sich hier zu Lande von Zeit zu Zeit gegen Preußen und die Vertreter des engen und bedingslosen Anschlusses, die einzigen wahren und ehrlichen Freunde Herzog Friedrich’s, so gewaltig vernehmen lassen. Man kennt aber hier den Aeolus, der sie in seinem Windsacke hat, und man weiß nachgerade zur Genüge, daß sie mehr lärmen als bedeuten. Lasse man dieses Windmachen endlich, und es wird klarer werden, klarer in vielen Köpfen, klarer und heiterer auch in der Situation des Herzogs in der Düsternbrooker Villa.
[185] Die eifrigsten und regsamsten, aber, wie angedeutet, nicht die besten Freunde hat der Herzog und das specifische Schleswig-Holsteinerthum, d. h. der offne und ungeschminkte Particularismus (zu dem sich der erlauchte Herr selbst wohl kaum bekennt) in Ditmarschen, wo ein Besuch, den Serenissimus im vorigen Frühjahr den holsteinischen Marschleuten abstattete, viel gewirkt hat, die Gemüther zu gewinnen.
Anderswo, vorzüglich in den Städten, blüht die echte dickhäutige Schleswig-Holsteinerei nur sporadisch. Am wenigsten will sie im Herzogthum Schleswig gedeihen. Am breitesten macht sich das Kraut in einigen, aber nicht den gewähltesten Kreisen Kiels und Altonas, unter dem Pfahlbürgerthum und gewissen ehrlichen alten Herren, welche der Meinung sind, daß in Schleswig-Holstein der Mustermensch wohnt, eine Meinung, die, von der deutschen Presse großgezogen, selbst manchen klügern Kopf verblendet. Doch ist auch hier die Majorität des unverständigen und nutzlosen Lärmens gegen die gerechten Ansprüche Preußens müde, und besonders unter der Kaufmannschaft sind Viele, die dem Himmel von Herzen danken würden, wenn es endlich zu einem Ausgleich zwischen dem von den Wünschen eines großen Theils der Bevölkerung getragnen Rechte des Herzogs und dem Interesse der norddeutschen Großmacht kommen wollte. Nur die Damenwelt demonstrirt hyperloyal und macht sich dabei – mit Erlaubniß sei es gesagt – bisweilen recht unbequem. Im Uebrigen wird der Hauptspectakel von einigen rührigen und durch ihre Lautheit über ihre Zahl täuschenden Pseudopolitikern besorgt, die sich Demokraten nennen lassen, aber allerseltsamster Weise von einer Unterthanentreue überfließen, wie man sie unter französischen Legitimisten nicht schwärmerischer antrifft. Sie haben dabei einen Theil der Bauern auch außer Ditmarschen zur Seite, die sich theils haben einreden lassen, ihre dem Herzog geleislete Huldigung vertrüge sich nicht mit Nachgiebigkeit gegen die preußischen Ansprüche, theils sich vor dem Anschluß fürchten, weil er ihre Söhne unter preußischer Fahne nach Orten im innern Deutschland bringen könnte, wo sie nicht mehr so leicht wie in Rendsburg, Schleswig oder Kiel die Sendungen vorsorglicher Mutterliebe an Mettwurst und Schinken erreichen würden.
Nach dieser nothwendigen Abschweifung kehren wir nach Kiel zurück, um noch ein paar Worte über die Umgebung des Herzogs Friedrich und einige hier wohnende hervorragende Parteiführer, die zu derselben in mehr oder minder naher Beziehung stehen, zu sagen.
Nicht weit von dem kleinen hübschen Hause mit dem steinernen schleswig-holsteinischen Wappen an der Front, welches der Herzog früher in der Stadt bewohnte und wo er jetzt täglich auf einige Stunden sein Absteigequartier nimmt, an der Ecke der Friedrichsstraße und des Sophienblatts, steht ein zweistöckiges, fünf Fenster in der Breite zählendes Gebäude mit einem rothen Thorweg – „das auswärtige Amt“ – wie man bisweilen sagen hört, die Wohnung und das Bureau Geheimrath Samwer’s, des ersten Rathgebers und Geschäftsführers Herzog Friedrich’s, wie wir uns ausdrücken wollen. Einige Häuser weiter das Sophienblatt hinaus wohnt der Obergerichsrath Otto Jensen, unter den Bundescommissären Mitglied der holsteinischen Landesregierung und nebenbei von dem Herzog mit den Geschäften des Departements des Innern für beide Herzogthümer betraut. In der Mitte der Friedrichsstraße, dem herzoglichen Hause schräg gegenüber, befindet sich das Bureau des Kriegsministeriums, dessen Vorstand Oberst Duplat ist, welches indeß jetzt eben nicht mehr viel zu bedeuten haben möchte. Der Chef des Finanzdepartements, Staatsrath Francke, endlich hat sein Comptoir etwas weiter hinauf auf der andern Seite derselben Straße.
Samwer ist die Seele der ganzen bisherigen Politik des Herzogs. Was erreicht worden, ist sein Verdienst, was gefehlt worden, fällt ihm zur Last. Ob die Last das Verdienst überwiegt, bedarf einer längeren Untersuchung, die wir hier nicht anstellen können. Es genüge zu sagen, daß es Viele im Lande giebt, welche diese Frage bejahen. Er soll vor dem 15. November entschieden kleindeutsch gewesen sein. Jetzt ist seine politische Farbe so schwer zu bestimmen, daß wir es vorziehen, ihn als vor Allem augustenburgisch zu bezeichnen. Sonst ist Samwer ein höchst talentvoller, nur zu sehr mit kleinen Mitteln rechnender Kopf und ein Charakter, der trotz mancher liebenswürdigen Eigenschaft durch eine stets hervortretende Neigung, auszuweichen und um die Ecke zu biegen, wenig Behagen und in Berlin sowie unter der entschieden nationalen Partei im Lande selbst noch weniger Vertrauen erweckt.
Seiner Herkunft nach ist Geheimrath Samwer ein Schleswiger; er wurde 1818 in Eckernförde geboren, wo sein Vater Advocat war. In der Stadt Schleswig unter den Augen seiner früh verwittweten Mutter erzogen, studirte er auf mehreren deutschen Hochschulen Jurisprudenz, war dann eine Zeit lang Sachwalter in Neumünster, zeichnete sich vor der Erhebung 1848 durch verschiedene mit Sachkunde und Scharfsinn verfaßte staatsrechtliche Schriften in Betreff der Erbfolge in Schleswig-Holstein aus, betheiligte sich als hervorragendstes Talent unter den Agenten des Herzogs von Augustenburg an den Vorbereitungen und dem Gang dieser Erhebung und trat, nachdem dieselbe gescheitert, in die Dienste des Herzogs Ernst von Coburg-Gotha, in denen er sich vorzüglich diplomatischen Geschäften widmete.
Staatsrath Francke, 1805 in Schleswig geboren, bis zur Kopenhagener Märzrevolution Director der schleswig-holsteinischen Angelegenheiten im Generalzollkammer- und Commerzcollegium der dänischen Monarchie, dann Bevollmächtigter der provisorischen Regierung der Herzogthümer bei der deutschen Centralgewalt, später Chef des Departements der Finanzen, nach 1851 Regierungspräsident in Coburg, gilt für einen tüchtigen Finanzmann und Verwaltungsbeamten, hat indeß unseres Wissens in Kiel nur wenig Kenntniß von dem, was vorgeht, und, wie allgemein behauptet wird, so gut wie gar keinen Einfluß auf die Entschlüsse des Herzogs Friedrich. Seine politische Gesinnung tritt nicht stark hervor und würde sich, wie man meint, jeder Lösung der jetzt der Entscheidung entgegengehenden Frage, wenn sie nicht gerade den Herzog ausschlösse, gleich bereitwillig anbequemen.
Otto Jensen, ein Altersgenosse Samwer’s und diesem eng befreundet, ist ein eifriger Particularist und Gegner jedes Anschlusses an Preußen. Im Uebrigen ohne Bedeutung, dürfte er seine Stelle am Kieler Hofe wohl nur als alter Anhänger des Hauses Augustenburg eingenommen haben.
Oberst Duplat, ein ältlicher Herr von liebenswürdigen Manieren, war ursprünglich dänischer, dann schleswig-holsteinischer Officier, später in Hamburg Inhaber eines Knabenpensionats. Wohl die angenehmste Erscheinung in der Umgebung des Herzogs, soll er zugleich ein respectables Organisationstalent im Militärfach sein.
In Samwer’s Bureau arbeiten Professor Hänel und Dr. Carl Lorentzen, jener großdeutsch, dieser, wie man sagt, gemäßigt preußisch gesinnt, jener von Geburt ein Sachse, dieser ein Holsteiner und früher Redacteur eines preußischen Regierungsblattes der neuen Aera, dann Mitarbeiter an der „Nationalzeitung“. In anderer Weise, namentlich als Vermittler Samwer’scher Absichten an die schleswig-holsteinischen Vereine, sind Dr. Steindorf, Bankier Ahlemann, Professor Forchhammer und Kaufmann Lange in Kiel, gemäßigte Particularisten, und die strengen Particularisten demokratischer Färbung von Neergaard, Maack und Dr. Weber thätig. Die entschiedene Anschlußpartei, die in August Römer und Louis Reventlow ihre Führer sieht, zählt in Kiel mehr Anhänger, als man nach ihrem stillen Verhalten meinen sollte. In der Umgebung des Herzogs ist sie nicht vertreten, wohl aber in den Kreisen der Universität und der höheren Bürgerschaft, und sie wird sicher mit jedem Monat des Provisoriums wachsen – hoffentlich nicht zu spät wird man sich auch auf dem Sophienblatt offen und einmal ohne Hinterthür für sie erklären. Es mag weh thun, gewissen Hoffnungen zu entsagen; es mag schwer sein, die Geister, die man durch seine Agitation gerufen, zu bannen; aber nur auf diesem Wege gelangt man von Düsternbrook nach Schloß Gottorf.
- ↑ Der mit den schleswig-holsteinischen Verhältnissen vertraute Verfasser dieses Artikels referirt über die dortigen Persönlichkeiten und Zustände nach längerer eigener Anschauung und übernimmt deshalb auch die Verantwortlichkeit der in dieser Schilderung ausgesprochenen politischen Ansichten. D. Red.