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Guillotin und die Guillotine

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Textdaten
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Autor: Friedrich Hofmann
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Titel: Guillotin und die Guillotine
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 61–62
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Guillotin und die Guillotine.

Grelle Gegensätze sind keine Seltenheit in unserem Menschenleben, scheinen sich aber doch an manchen Orten häufiger zu zeigen, oder treten da auffälliger hervor, als anderswo. Eine solche Stadt schärfster Kontraste ist ohne Zweifel Paris für Jeden, dem beim Durchwandeln derselben neben dem Bilde der Gegenwart das der Vergangenheit im Geiste vor Augen steht. Wie heiter grüßt uns die Landschaft, in welche die Häusermasse sich hingelagert hat, und wie heiter grüßen uns diese mit feinster Decorationsmeisterschaft für den Blick oft endlos dahingezogenen Straßenreihen, die immer im Festschmuck prangenden Plätze und die Prachtbauten, in welchen der schaffende Menschengeist seine Schätze in Fülle der Bewunderung aller Welt vorlegt! Und dennoch verlassen uns die dunklen Schatten nicht, mit welchen die Geschichte an so vielen Stellen diese Herrlichkeit bedeckt, wo die Erinnerungen an die Unthaten des Wahns und der Gewalt uns die Großthaten des Genius nicht rein und voll genießen lassen.

Guillotin zeigt dem Convent das Modell der Guillotine.
Nach dem Oelgemälde von J. C. Herterich.

Am schärfsten trat mir dieser Zwiespalt der Empfindungen vor zwei Plätzen entgegen: vor dem ehemaligen Grève- und vor dem Concordienplatz. Der Raum, der vor der Façade des Pariser Rathhauses sich ausdehnt, würde eine herzerfreuende Augenweide sein, und noch mehr der von Kunst und Natur gleich eifrig und reich ausgestattete Concordienplatz, wenn uns nicht ein Grausen vor deren Vergangenheit überrieselte. Beide waren Hinrichtungsorte, und an beiden hat die Tyrannei der Fürsten und des Volks ihre Opfer in furchtbarer Zahl hingeschlachtet. An beiden war es möglich geworden, eine humanere Hinrichtungsweise sogar mit dem Fluch der Welt zu belasten. Die Guillotine ist es, an deren Schreckensherrschaft wir auf beiden Plätzen gemahnt werden, ehe wir zum Genuß der Anschauung und der heiteren Pracht beider gelangen können.

Wer nur einen flüchtigen Blick auf die entsetzliche Reihe der verschiedenen Hinrichtungsweisen zu den verschiedenen Zeiten und bei den verschiedenen Nationen wirft – von einem näheren Eingehen auf das widerwärtigste Zeugniß für die Gestaltungskraft der menschlichen Phantasie im Unmenschlichen kann hier gar nicht die Rede sein! – der wird finden, daß die mildeste Form der Hinrichtung die Enthauptung war. Aber ihr haftete noch eine große Härte an, und das war die Unsicherheit in der Führung des Scharfrichterschwertes.

Der Gedanke an eine Sicherung und Abkürzung dieser Hinrichtungsart konnte deshalb wohl zu einer Zeit aufsteigen, in welcher politischer Parteihaß sich des Richterstuhls bemächtigte und Fällung und Ausführung von Todesurtheilen bald eine tägliche Arbeit wurde. In einer solchen Zeit war es, wo ein Pariser Arzt, der wegen des Freimuths, den er im Kampfe für die Säuberung des ärztlichen Berufs von allerlei geduldetem Unwesen erwiesen, zum Mitgliede der Nationalversammlung gewählt worden war, Joseph Ignaz Guillotin, in einer Sitzung (am 10. October 1789) die Ansicht aussprach, daß man die bis dahin üblichen, für die Verbrecher jedes Standes und Geschlechts und sogar für das Maß [62] des Verbrechens verschiedenen Todesstrafen in eine einzige, für Alle gleiche umwandeln und diese mittelst einer Maschine (un simple mécanisme) zu möglichst schneller und sicherer Ausführung bringen sollte. Ueber die Art dieser Maschine war man noch nicht im Klaren, auch noch am 21. December nicht, wo doch Guillotin’s Antrag in der Nationalversammlung angenommen wurde. Daß die Todesstrafe in der Enthauptung bestehen solle, wurde erst um die Mitte des Jahres 1791, und zwar auf Antrag des Deputirten Felix Lepelletier, zum Beschluß erhoben, und da der Secretär der Wundärzte in Paris, Ant. Louis, der Nationalversammlung über eine in England gebräuchliche Köpfmaschine Bericht erstattete, so entschied man sich für einen Versuch mit einer solchen.

Am 25. April 1792 war der Tag, wo die Erprobung der ersten Köpfmaschine stattfand. Sie war an der alten Hinrichtungsstätte, auf dem Grèveplatze, errichtet, und soll von einem deutschen Mechaniker, Namens Schmitt, hergestellt und erst an Leichen im Bicêtre erprobt worden sein. Ein Straßenräuber, dessen Name sogar der Nachwelt erhalten ist (er hieß Nic. Pelletier), wurde der erste – Guillotinirte. Denn wunderlicher Weise war es die Volksstimme, welche dieser, doch eigentlich von Ant. Louis empfohlenen, und anfangs auch Louisette oder „petite Louison“ genannten Maschine den Namen „Guillotine“ gab, offenbar zu Ehren des hochgeachteten Arztes, der zuerst den humanen Gedanken einer solchen Hinrichtungsweise ausgesprochen hatte. – Und hier stehen wir abermals vor einem fast grausamen Contrast: der Lohn des Volks ist durch den Mißbrauch, den die furchtbarste Wahnzeit der Revolution mit dieser Köpfmaschine getrieben, zum lebenslangen Unglücke für den unschuldigen Mann geworden. Was Abbé Maury schon bei der ersten Erwähnung einer solchen Hinrichtungsweise als Befürchtung äußerte, war zur Wahrheit geworden: die Masse des Volks wurde durch die Gewohnheit des Anblicks so vielen Blutes entsinnlicht, sie sank auf dieselbe Stufe thierischer Rohheit hinab, auf welche der religiöse Wahnwitz einst die Könige und Priester Spaniens hinabgedrückt hatte, als sie Hinrichtungen als Feste feierten. Scheiterhaufen und Guillotine haben Tausende unschuldiger und oft edelster Menschen einem und demselben Moloch geopfert.

Wenn uns aber auf dem Grèveplatze aus geschichtlichen Erinnerungen ein Blutgeruch entgegenweht, so trägt die Guillotine daran die wenigste Schuld. Hier haben drei Jahrhunderte lang vor ihr die französischen Regenten die Saat zur großen, dann auch erbarmungslosen Revolution ausgestreut. Ch. Nodier sagt: „Wenn alle Schreie, welche die Verzweiflung hier ausgestoßen hat, sich in Einen sammeln könnten, so würde er in ganz Frankreich bis zu seinem äußersten Ende gehört werden.“

Die Guillotine wurde kurze Zeit nach ihrer Erprobung nach dem Concordienplatz übergeführt. Damals hieß er der Revolutionsplatz. In der Mitte desselben hatte die Erzstatue Ludwig’s XV. gestanden; man hatte aus derselben Zweisousstücke münzen lassen, auf das Piedestal eine Freiheitsgöttin von Gyps gestellt und ihr zu Füßen die Guillotine in Permanenz errichtet.

Wie viel Blut ist in diesen Boden gesickert! Und wenn man nur die bekanntesten Namen nennt, so ergiebt sich eine erschreckend lange Reihe von Blutopfern des Revolutionstribunals. Ludwig XVI. endete hier am 21. Januar 1793, am 17. Juli Charlotte Corday, am 2. October Brissot mit den Häuptern der Girondisten, am 16. October die Königin Marie Antoinette, am 16. November Philipp Egalité, der Herzog von Orleans; im folgenden Jahre begann dann die gegenseitige Vernichtung der Parteien, ein Blutrichter schleppte in rascher Folge den andern auf’s Gerüst: am 5. April 1794 verendeten hier Danton, Desmoulins, Fabre d’Eglantine, Hérault de Séchelles, Philippeaux und viele Andere, am 13. April folgten ihnen die Frauen von Camille Desmoulins, Hébert und Andere, aber auch die Revolutionsfanatiker Anacharsis Klotz von Cleve und Chaumette. Ludwig’s XVI. Schwester, die Madame Elisabeth, starb am 12. Mai. In dieser Zeit beschleunigte das Revolutionstribunal seine Arbeiten in einer Weise, daß täglich in Paris allein 60 bis 70 Hinrichtungen stattfinden konnten. Endlich wurden auch, am 28. Juli, Robespierre, Henriot, Couthon und Saint-Just auf das bluttriefende Brett gestreckt, und viele Mitglieder der Commune schlossen am 29. und 30. Juli ihre Reihen. Bis zum 3. Mai 1795 betrug, seit dem Tode des Königs, die Zahl der auf dem Concordienplatz Hingerichteten etwa 3000. Heute erhebt sich am alten Guillotinenplatz der Obelisk von Luxor.

Werfen wir einen Blick auf unsere Illustration! Der Künstler führt uns in die Versammlung offenbar zu einer Zeit, wo die fanatische Verfolgung aller Verdächtigen durch das Revolutionstribunal bereits begonnen. Die Feindschaft zwischen der „Gironde“ und der Partei des „Bergs“ (so genannt, weil die Mitglieder derselben ihre Plätze in den höchsten Sitzreihen einnahmen) war schon offenbar, und darum von so vielen Seiten der anwesenden Volksvertreter die helle Freude über das neue Mordinstrument, dessen Gebrauch soeben Guillotin der Versammlung erklärt. Die zur Höhe hinauf gerichteten Blicke, Winke und Rufe der Zustimmung gelten wohl den oben weilenden Männern des Bergs, auch wohl den Insassen der Gallerien. Das Modell selbst bedarf wohl keiner Erklärung. Nur das dürfte zu bemerken sein, daß es nicht nur feststehende und von Ort zu Ort wandernde Guillotinen gab, man stellte auch dergleichen aus Eisen und aus Stahl her, welche dazu dienten, Verurtheilte, die den Karren nicht besteigen konnten, im Hause zu guillotiniren. Unsere Abbildung bietet noch das besondere Interesse, daß wir die Mehrzahl der Anwesenden, welche die neue Köpfmaschine bejubeln, weil sie für die rasche Beseitigung der Feinde so vielverheißend ist, als Futter dieses Ungeheuers betrachten können. Nur von Einem, von Guillotin selbst, wissen wir das Gegentheil.

Es ist lange Zeit behauptet worden, daß Guillotin seiner eigenen Erfindung zum Opfer gefallen sei. Dies ist falsch. Der Freimuth, welchem er seinen Platz in der Nationalversammlung verdankte, hatte ihn während der Schreckenszeit in’s Gefängniß geführt, und er würde den Weg aller Insassen dieser Räume gewandelt sein, wenn nicht der 9. Thermidor ihm die Freiheit wieder gegeben hätte. Die Ruhe seiner Seele konnte ihm aber nichts wieder geben. Der Fluch, welcher durch das Wüthen der Guillotine auf seinen Namen gefallen war, drückte ihn nieder. Als ein zurückgezogener unglücklicher Mann starb er, zwei Tage vor seinem 66. Geburtstag, am 26. Mai 1814. Sein Sohn erbat und erhielt vom König Karl X. die Erlaubniß, den vervehmten Namen mit einem andern zu vertauschen.

Und doch war der arme Vervehmte doppelt unschuldig, denn, abgesehen von seinem humanen Zweck, war er ja nicht einmal der Erfinder der Maschine, so wenig wie Louis oder Schmitt. Die Erfindung von Hinrichtungsmaschinen, bei welchen durch ein in bestimmter Richtung niederfallendes Beil der Kopf vom Rumpfe eines Menschen getrennt wurde, ist schon sehr alt und wird den Persern zugeschrieben. Wir finden sie zuerst in Italien wieder, wo sie Mannaia hieß und den Vorzug genoß, daß nur Adelige mittels derselben hingerichtet wurden. Es ist wohl dieselbe Einrichtung, welche von den Deutschen die „Welsche Falle“ genannt wurde, und durch welche auch der letzte Hohenstaufe Conradin in Neapel den Tod fand.

Im 13. Jahrhundert taucht in Böhmen und im folgenden auch in Deutschland ein solches Instrument auf, das Diele, Dolabra und Hobel genannt wurde. Im 17. Jahrhundert stellte ein böhmischer Maler, L. Häring, die Hinrichtung der Apostel Jacobus und Matthäus dar, die er ebenfalls mit Hülfe einer Art Guillotine geschehen läßt. Das englische Vorbild derselben, Gibbet, schottisch Maid, die Jungfer, benannt, kennt man ebenfalls schon im 17. Jahrhundert; damals muß man ein ähnliches auch in Frankreich gekannt haben, wie aus der Erzählung der Hinrichtung des Herzogs von Montmorency 1632 in Toulouse hervorgeht. Guillotin’s Märtyrerthum war demnach in keiner Weise gerechtfertigt. In vielen Staaten, wo die Todesstrafe noch zu Recht besteht, waltet auch heute die Guillotine ihres blutigen Amtes, aber ihr Beil erreicht nur die gemeinen Verbrecher. Politische Massenhinrichtungen möchte man bei der allgemeinen Aufklärung in unserer Zeit für unmöglich erklären, wenn uns nicht der Kampf der Commune in Paris doch die Möglichkeit einer Wiederkehr so entsetzlicher Anwendung der Guillotine hätte befürchten lassen müssen. Darum kann es nur das Streben der Vaterlands- und Menschenfreunde aller Völker sein, daß in der hohen Entwickelung des Rechtsbewußtseins in allen Schichten der Bevölkerung und in den freiheitlichen Verfassungen der civilisirten Staaten die beste Garantie dafür gegeben werde, daß selbst die tiefsten Umwälzungen auf politischem und socialem Gebiete sich künftig in friedlicher Weise vollziehen können. Fr. Hfm.