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Dschapei

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Textdaten
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Autor: Ludwig Ganghofer
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Titel: Dschapei
Eine Hochlandsgeschichte
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 3-13, S. 46-50, 63-67, 84-87, 98-100, 118-120, 134-136, 151-154, 167-171, 184-188, 203-206, 218-222
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[46]

Dschapei.

Eine Hochlandsgeschichte von Ludwig Ganghofer.

Mutterle! Mutterle! Da schau her! Was der Almbauer mir g’schenkt hat: a Lamperl [1] – so a lieb’s! Schau nur g’rad, Mutterle! Schau, schau!“

So rief mit einer Stimme, aus welcher helle Freude sprach, ein junges Mädchen, während es mit dem Ellbogen die Klinke der Thür niederdrückte und in die kleine, wohldurchwärmte Stube trat.

Die alte Baslerin – ihr Mann selig hatte sich Johann Nepomuk Basler geschrieben – legte das Strickzeug auf ihr offenes Gebetbuch, rückte aus dem Herrgottswinkel hervor gegen die offene Wandbank und wollte sich erheben.

Schon aber stand das Mädchen vor ihr, ließ sich auf beide Kniee nieder, schob mit dem Kinn die aufgeschlagene Schürze von den belasteten Armen und legte in den Schooß der Mutter ein kleines, schneeweißes Lamm, das mit ängstlich scheuen Augen umherblickte in der Stube und empor zu den beiden ihm noch fremden Gesichtern.

„Ja Nannei – Nannei – so sag’ nur g’rad – na [2], so ’was!“ lächelte die Alte mit vergnüglichen Mienen.

„Gelt, Mutterle – so ’was – gelt – so ’was Liebs hast ja noch gar nie net g’sehen!“ jubelte Nannei, während sie mit behutsamen Händen das niedliche Thierchen liebkoste. „Schau nur, die Haar’, die rühren sich an wie lauter seidene Schneckerln [3], und die feinen, dünnen Füßerln, da glaub’ ich schon, daß sie ’s noch net amal recht dertragen wollen – und das Goscherl, g’rad wie a recht a lichts Röserl, g’rad so a Farb’ hat’s und die sanften Aeugerln! Aber geh,“ sprach Nannei nun das Lamm mit schmollenden Worten an, „geh, du Dschapei, du, was schaust denn jetzt gar so fürchtig drein, als ob dich wer beißen wollt’. O, wir thun dir nix – na – gewiß net! Und zittern thust – ja mein – gelt – draußen is halt so gar viel kalt g’wesen, du arms Hascherl[4] du!“ Schmeichelnd drückte Nannei ihr Gesicht an den Hals des Thieres und ließ ihm den warmen Hauch ihres Mundes unter die lockige Wolle strömen.

„Ja, Nannei, schamst Dich denn jetzt net, bist denn ganz übergeschnappt?“ eiferte die alte Baslerin, während sie den Daumennagel in das Ohrläppchen des Mädchens kniff. „Redst ja g’rad daher wie a Deandl von a fünf Jahr’. Geh weiter, sei doch net gar so narrisch!“

„O mein – Mutterle, schau, ich hab’ halt a so a Freud’ – ich kann Dir’s gar net sagen – mit dem Viecherl!“

„Ja, ja, es is schon recht; aber da braucht man doch net gleich so obenaus sein und so ganz verruckt! Könntst mir doch auch amal verzählen, wie’s denn eigentlich zu’gangen is, daß Dein Almbauer heut’ so a Spendirhosen an’zogen hat.“

„Ja mein – und das is ja noch lang net alles! Ich sag’ Dir – was mir der heute alles g’schenkt hat! Gar net derschleppen hätt’ ich’s können auf amal – und weißt, drum hab’ ich halt zuerst mein Lamperl heim’tragen, weil’s mich gar a so g’freut hat! Ja – daß ich’s nur sag’ – weißt – nach der Kirchen – na, Du, Mutterle, der hochwürdige Herr Kapaziner hat Dir heut’ ’predigt – so schön – vom Lamm Gottes und seiner Gutheit – weißt, und drum hat mir auch nachher das Lamperl gar so a b’sonderne Freud’ gemacht – ja, also – nach der Kirchen, wie ich so ’rausgeh’ mit die Andern, da steht mein Almbauer und lacht und nickt mir zu: ‚Grüß’ Dich Gott, [47] Nannei! Bist auch beim Zeug?‘ ‚Ja,‘ sag’ ich, ‚wär’ net aus, wann ich heut’ daheim bleibet.‘ ‚No,‘ sagt’r, ‚wie geht’s denn Deim Mutterl?‘ ‚Ich dank’ schön,‘ sag’ ich, ‚in die Füß’ hat sie’s halt a bißl. Ja, es is ihr recht arg, daß sie ’s Haus hüten muß – g’rad am heutigen Tag.‘“

„Is schon wahr auch,“ seufzte die alte Baslerin, „der erste Ostersonntag, an dem ich zur Kirchenzeit in der Stuben sitz’! Unser Herrgott verzeih’ mir’s, aber ich kann nix dafür. O – die Füß’, die Füß’!“

„No also,“ plauderte das Mädchen weiter, ab und zu das Gesicht an den Kopf des Lammes drückend, „so haben wir halt noch a Weil’ so fort g’redt, wegen Deiner und von wegen die Küh’ und die Schaf’, bis er auf amal sagt: ‚So, Deandl, und jetzt gehst mit mir, mein Weib hat Dir an Ostersegen herg’richt’, und den tragst Dir nachher schön stad heim.‘ ‚Jesses na,‘ sag’ ich ganz derschrocken und verlegen, ‚Bauer, das hätt’s ja doch gar net ’braucht!‘ ‚No, no,‘ sagt’r, ‚’s is net so g’fährlich.‘ Ja – nachher is er vor mir her’gangen – und ich bin hinterdrein – ’nunter in sein’ Hof. Und wie ich ’nein komm’ in d’Stuben, da – g’wiß wahr, Mutterle, ich hab’ gar nimmer g’wußt, was ich sagen und wo ich hinschauen soll, so g’schamig [5] hat mich die G’schicht’ g’macht – da tragt mir die Bäuerin am Tisch her an Kretzen,[6] bis oben voll mit Aepfel und Nuß’ und Eier und weiße Wecken – ja – und in der Mitt’ drin is Dir an Ends-Trumm Schunken [7] g’legen – schad’ daß ich ihn net vor der Kirchen kriegt hab’, hätt’ ihn nachher noch können weihen lassen! Ja – und wie ich noch allweil so steh’ und schau’, da legt mir der Bauer neben den Kretzen hin a Fünfmarkstückl – sixt es, da hab’ ich’s.“ Nannei zog aus ihrem Rocke ein weißes Taschentuch hervor, löste mit vor Eile zitternden Fingern den dicken Knoten, der darein geschlungen war, und drückte die große Silbermünze, die nun zum Vorschein kam, ihrer Mutter in die hagere, faltige Hand. „So, Mutterle, das gehört Dein – da mußt Du ganz allein für Dich ’was d’rum anschaffen!“

„Jawohl – sonst nix! Was will denn ich ält’s Leut mir noch anschaffen! Das wird g’spart, Nannei – für Dich – zum andern – weißt, Du kannst es amal ganz gut brauchen, wenn –“

„Mutterle! Mutterle! Heut’ därfst mich aber schon g’wiß net verzürnen! Ich hab’s amal g’sagt – und da drum mußt Du Dir an neuen Sommerjanker[8] anschaffen – weißt, der alte schaut schon recht schiech her in der Farb’.“

„Was! Der is ja noch wie neu! Ich hab’ ihn ja noch gar net amal lang – höchstens a zwei-, a dreiundzwanzig Jahrln!“

„Jesses na! Der is ja nachher älter wie ich – und schau’ ich schon nimmer ganz schön her!“ scherzte Nannei und drückte ihrer Mutter an jener Hand, welche das Geldstück hielt, immer wieder die Finger zu. „Du kaufst Dir den Janker – oder ich bring’ Dir selber amal ein’ über Nacht in’s Haus – und der muß nachher noch mehrer kosten. Ich will auch wieder amal Staat machen mit mei’m Mutterle – ja…a…a!“

„O Du Kindsköpferl Du, Du narrisch’!“ schmollte die Alte, während sie mit glückselig lächelnden Augen auf das Gesicht der Tochter niederblickte. „Aber mach’ doch, daß Du wieder amal weiterredst! Bis Du ’was verzählst, derzeit könnt’ dieselbige G’schicht’ schon fünfundvierzigmal passirt sein – is schon wahr auch!“

„A geh! Aber schau – eigentlich is ja gar nimmer viel zum verzählen. Ja weißt – da is halt der Bauer nachher ’naus’gangen aus der Stuben – und wie er wieder ’rein’kommen is, da hat er ’s Lamperl auf die Händ’ ’tragen und hat g’sagt: ‚So, Deandl – weil ich kein zuckerns net hab’, jetzt muß ich Dir dengerst[9] a lebendigs schenken, damits auch an guten Braten habts – Du und Dein’ Mutter – die paar Feiertäg’!‘ Ja, so hat er g’sagt und hat mir’s Lamperl hin g’reicht – aber na – gelt, Mutterle, na – gelt, na – wir essen’s aber net? Wär’ doch g’wiß a Sünd’ und a Schad’ um so a herzliebs Viecherl. Gelt, Mutterle – gelt, wir ziehen’s auf –.“ Und ohne die Zusage ihrer Mutter abzuwarteu, sprang Nannei auf die Füße und eilte zur Stube hinaus mit den Worten: „Wart’ nur – ich will ihm gleich a Liegerstatt richten – hinterm warmen Ofen.“

Bald erschien sie wieder, in den Händen einen großen, an manchen Stellen schon zerrissenen Korb, der bis zur Hälfte mit lockerem Heu gefüllt war. Den stellte sie in der Ofenecke auf die schrundigen, doch blank gescheuerten Dielen und ging dann, das Lamm von ihrer Mutter Schooß zu heben und herbeizutragen.

„Deandl, Deandl,“ mahnte nun die Alte, während sie den grauen Kopf bedenklich zwischen den Schultern wiegte. „Das wird sich hart machen. Weißt es ja; im Haus haben wir nix, kein’ Milli und sonst nix – haben ja selber kaum ’was z’beißen!“

„Ach was!“ lachte Nannei. „Der Almbauer hat mir so viel heut’ g’schenkt, daß ich g’rad ganz keck worden bin. Der muß mir diemal[10] an Krug voll Milli schenken – bei seine zweiunddreißig Küh’ kann er’s leicht machen. Die paar Wochen werden wir’s schon durchbringen – und nachher geht’s ja so wie so mit mir auf d’Alm. Da hat’s g’rad g’nug zum Umeinandergrasen. Ja – und für heut’ – für heut’ weiß ich auch schon an Rath.“

Mit den durch die Schürze vor der Hitze gesicherten Fingern öffnete sie das Bratrohr und entnahm demselben einen dampfenden Hafen.

„Jesses na! Was machst denn?“ kreischte die alte Baslerin, während sie hurtig herbeigehumpelt kam. „Das is ja unser Milli für Mittag – zur Millisuppen!“

„Geh, Mutterle, geh – ich hab’ an einer Wassersuppen auch ’gessen. Und wegen Deiner – ja – da lauf’ ich nachher gleich und hol’ den Kretzen mit mei’m Ostersegen – ja, und da mach’ ich Dir nachher Schunkenknödel – von derer Größ’!“ Und Nannei beschrieb den Umfang eines solchen Riesenknödels „von derer Größ’“ mit beiden Armen in die Luft.

Die Baslerin spitzte unwillkürlich die Lippen. Sie war beruhigt und befriedigt. Solch einem seltenen Genuß zuliebe, wie er ihr nun für heute noch in gewisser Aussicht stand, hätte sie ihre hungrige Seele auch länger denn ein paar kurze Stunden vertröstet.

Nannei war schon ganz vertieft und versunken in die Sorge für ihren Pflegling. Sie kühlte die allzu warme Milch mit frischem Wasser, goß sie in eine große, noch aus Vaters Lebzeiten herstammende Branntweinflasche und verschloß dieselbe in Ermangelung eines Saugschlauches mit einem aufgerollten Leinwandstückchen, sodaß die Milch bei gehobener Flasche in dicken, reichlichen Tropfen aus den Fäden sickerte.

Ihr niedlicher Pflegling, der im Alter wohl kaum die zweite Woche erreicht haben mochte, stellte sich bei den ersten Versuchen solch’ künstlicher Ernährung wohl ein wenig ungeschickt, und ein über das andere Mal rief Nannei in sorgender Ungeduld:

„Du Dschapei – o du Dschapei, du dummes – o du Dschapei du!“

Und dieser Name, mit dem die Leute am Königssee und im Berchtesgadener Lande halb in scheltendem und halb in schmeichelndem Sinne ein sanftes, gutmüthiges, nur etwas ungeschicktes und beschranktes Wesen zu benennen pflegen, wofür die Schwaben das bekannte „Tschapperle“ haben – dieser Name war hier berechtigt, wie nicht leicht ein anderer.

Ja – das war ein richtiges Dschapei! Die Nannei meinte es gewiß so gut mit ihm – doch immer und immer wieder riß dieses kleine Dschapei sein weißes Köpfchen aus dem darum geschlungenen Arme des Mädchens, stieß und strampelte mit den Füßen, wollte aus dem Korbe springen, puffte mit der Schnauze die Milchflasche zur Seite oder ließ, wenn es wirklich einmal die Flasche nahm, die Milch, statt sie zu schlucken, aus den Mundwinkeln niedertriefen auf das Heu.

Und Nannei reichte ihm doch ihr eigenes Mittagsmahl und hungerte ihm zuliebe.

Ob es wohl an seine Mutter dachte, die man am Abend des verwichenen Tages von seiner Seite hinweg aus dem Stalle geführt hatte? Armes Dschapei – die hing jetzt drunten in Unterstein zur Hälfte in des Almbauern Keller an einem blutigen Eisenhaken, zur anderen Hälfte dampfte sie als Ostersonntagsmahl [48] in der mächtigen Schüssel, die nun inmitten des Tisches stand, um den der Bauer, die Bäuerin, die drei Kinder der Beiden, der Knecht und die Mägde saßen, mit spitzen Gabeln und scharfen Zähnen.

Du dummes Dschapei, du solltest froh sein, daß du zu klein warst für den großen Hunger dieser vielen Leute – froh sein, daß dich der Zufall unter die liebevolle Obhut eines gutherzigen Mädchens führte. Und wie bist du so blind für dieses Mitleid, gegen diese Fürsorge so widerspänstig!

„Mein Gott – mein Gott,“ jammerte Nannei, die vor dem Korbe auf den Dielen kauerte, und der schon die Thränen in die Augen kamen; „geh – so sei doch g’scheid – geh, da schau her – geh, so trink doch, g’rad a bisserl, geh – schau, thust mir ja sonst verhungern, du Dschapei du!“

„Es nimmt’s net – es nimmt’s net!“ sagte die alte Baslerin, welche die ganze Zeit über mit aufgestemmten Armen an Nannei’s Seite gestanden war. „Wart’ nur – jetzt will ich die G’schicht’ amal probiren!“

Sie ging auf den Tisch zu und tauchte den mit langer Zunge benetzten Zeigefinger der rechten Hand in das der Schublade entnommene Salzfaß. Als sie zurückkehrte, setzte auch sie sich vor dem Korbe auf den Stubenboden und nahm die Flasche aus Nannei’s Händen. Sie lockerte den Leinenpfropf, wickelte das vorgezogene Ende des milchgetränkten Gewebes um den gesäuerten Finger und steckte diesen mitsammt dem Flaschenkopfe in die von Nannei geöffnete Schnauze des Lammes.

Und siehe – das Dschapei schnappte begierig zu, reckte und dehnte sich in erkennbarer Behaglichkeit, legte die Kehle in den Schooß der alten Baslerin und sog in langen, durstigen Zügen die Milch aus der Flasche. Und während es so lag und trank, da blinzelte es wohl ab und zu nach dem faltigen Gesichte der Alten empor, zumeist aber hingen seine sanften blaugrauen Augen an Nannei’s Antlitz.

Es war auch eine Freude, in dieses jugendfrische, muntere Gesicht zu schauen. Es sah sich an wie ein rothbackiger Apfel, auf dem noch der duftige Thau der kaum erlangten Reife liegt. Diese vollen Lippen wußten nur kindlich keusch zu lächeln, und diese großen braunen Augen blickten so sanft und harmlos, und doch so klar und leuchtend; sie hatten die den Glanz der Augen trübende Thräne noch nicht kennen gelernt, sie kannten nur die Kinderthräne; nie noch hatten sie geweint aus wirklichem, das Herz zerreißendem Leide – denn damals, als die Leute den Vater nach Hause gebracht hatten, zerrissen und zerschunden von den Zacken und Schroffen der Sigerethwand, über die er als Treiber bei einer Gemsjagd herniedergestürzt, da war das Nannei noch ein Kind gewesen, das mit dem Köpfchen kaum an die Tischplatte reichte, das den Tod des Vaters nicht zu fassen wußte, das eben weinte, weil es die Mutter weinen sah.

Und die Enge ihres elterlichen Hauses, die Armuth ihres Lebens, das für Mutter und Tochter mit knapper Mühe nur das sättigende Brod zu bieten wußte – o, diese Dinge störten Nannei’s Laune nicht; sie kannte das nicht anders; sie war das gewöhnt von Jugend auf, war zufriedenen Herzens und wünschte sich kein Besseres. Das kleine Häuschen mit der winzigen Küche und den zwei engen Stübchen schien ihr so traut und heimlich. Was brauchte sie auch mehr als einen Raum, in dem sie an der Seite ihrer Mutter schaffen, essen und schlafen konnte. Und nun – nun waren ja überhaupt die Tage der gröbsten Sorge vorüber. Nun war sie ja groß, nun konnte sie arbeiten, für zwei und drei. Schon im verwichenen Sommer war sie Hüterdirne auf der Regenalm gewesen; da hatte sie keinen Pfennig von ihrem Lohn gebraucht – im Gegentheil, sie hatte von den Trinkgeldern der die Alm besuchenden Sommergäste noch ein Hübsches hinzugespart. Der hungerige Winter hatte freilich von diesem Gelde gezehrt; doch aber mußten ihr – das hatte sie lange schon ausgerechnet – bis sie wieder zu Berge zog, an zwanzig Mark verbleiben. Das war ja schon der Anfang zu einem Vermögen! Und was sollte erst der kommende Sommer bringen! Da sie sich droben am Regen so schicklich angestellt und so tüchtig gehalten, hatte sie jetzt der Bauer trotz ihrer siebzehn Jahre schon als richtige Sennerin eingedingt. Während sie selbst dann droben schaffte, und ihren Lohn sparte, saß die Mutter herunten im Stübchen und strickte und strickte immerzu – das deckte ihre winzigen Bedürfnisse, darüber hinaus fiel sogar ab und zu noch ein Nickelstück in die Sparcasse – viel war es freilich nicht, aber „Regnet’s net, so tröpfelt’s doch!“ pflegte die alte Baslerin zu sagen. Nannei wußte in Gedanken schon gar nicht mehr wohin mit all dem grausam vielen Gelde. Und nun hatte sie auch schon ein Lamm – das sollte ein Schaf werden und gute, schwere Wolle geben, die dann von der Mutter gesponnen und für die Bauern und Burschen zu Wadenstrümpfen verstrickt werden konnte, zwei Mark achtzig Pfennig das Paar – oh – und wer weiß – wenn ihr droben auf der Alm kein Unglück widerfuhr, das heißt, wenn ihr kein Stücklein abstürzte und keines einer Seuche erlag; wenn sie im Herbste heimwärts zog mit ihren Kühen, so jede recht kugelrund und von glänzenden Haaren – wer weiß – das war ja schon öfters dagewesen – vielleicht schenkte ihr dann der Almbauer in seiner ersten Freude, und ihrer Wachsamkeit zum Danke eine Kalbin – eine weiße mit braunen Backen und einem dünnen braunen Striche über den Rücken hin wäre ihr am liebsten gewesen – aus der wurde eine Kuh; und die Milch, welche sie gab, konnte man zur Hälste in der Wirthschaft brauchen, zur Hälfte verkaufen; und die Kühe vermehren sich – dazu sind sie doch eigentlich auf der Welt – da kam also mit der Zeit eine zweite, eine dritte und immer so zu – und – ja, und mit dem Inhalt der Sparbüchse ließ sich dann an das kleine Haus ein kleiner Stall anbauen, und – und – o Gott, o Gott!

Der Nannei ward bei solchen Gedanken ganz wirblig im Kopfe; sie wandte das Gesicht, just als ob es der Blick des so fleißig an der Flasche zullenden Dschapei wäre, der diese hochmüthigen Gedanken in ihr erweckte. Ein Schauer überlief ihren Nacken, und sie hob ihre Hand – es war eine zwar kleine, doch braunrothe, schwielige Hand um von der runden Stirn die blonden Haarbüschel hinwegzustreichen, die sich unter den dicken, das Haupt umschlingenden Zöpfen hervorgestohlen hatten.

„Weißt ’was, Nannei –“ sagte mit einem Male die alte Baslerin, „das Thierl kommt ohne Deiner auch zu sei’m Sach. Geh zu – geh ’nunter zum Almbauer – hol’ Dein’ Ostersegen.“

Von Nannei’s Zügen schwand der nachdenkliche Ausdruck; sie lachte und zeigte dabei ihre weißem regelmäßigen Zähne.

„Gelt, Mutterle, gelt blangt’s Dich [11] halt schon a bißl nach Deine Schunkenknödel? Aber hast Recht –“ einmal noch strich sie dem Dschapei mit der Hand über Kopf und Hals, dann sprang sie auf die Füße und schüttelte die Röcke, „jetzt tummel’ ich mich recht und schau’, daß ich bald wieder daheim bin; und nachher – oh – die sollen Dir aber schmecken, Mutterle!“

Da war sie auch schon draußen zur Thür, und rüstigen Schrittes wanderte sie über die schneebedeckten Wiesen der Fahrstraße zu.

Die Männerleute, die ihr begegneten, grüßten mit freundlichen Worten und blinzelnden Augen; und wenn es ledige Burschen waren, so blieben sie am Wege stehen, wandten die Hälse und blickten der schmucken Erscheinung nach, die so unbekümmert um die ihr folgenden Blicke dahinschritt, im dunkelblauen Röckchen mit der weißen Schürze, im schwarzen Wamse mit dem rothen, grünumränderten Latze, mit dem schmucklosen Hütchen über den blonden Flechten. Was aber half ihnen das Hälsedrehen und Nachgucken? Nannei dachte kaum, daß ihr diese Ehre gelten sollte – und dann – der liebe Herrgott, die Mutter und das kindliche Erinnern an ihren todten Vater füllten ihr junges Herz bis in das letzte Winkelchen aus. Da drinnen hatte bislang nichts anderes Platz – nun höchstens noch ihr kleines Dschapei.

Die Weiberleute, die ihren Weg kreuzten, dankten wohl auf Nannei’s Gruß; hintnach aber zuckten sie die Achseln und verzogen die Mäuler über die Arme da, die kein Ringlein am Finger, nicht das winzigste Kettlein am Halse, nicht einmal Silberknöpfchen in den Ohren, ja nicht einmal ein Stämmchen Adlerflaum am Hute trug. –

Als Nannei so eine Stunde später, das Körbchen mit ihrem Ostersegen am Arme, daheim die Stube betrat, saß die alte Baslerin wieder im Herrgottswinkel vor dem offenen Gebetbuche, das klappernde Strickzeug in Händen – das Dschapei aber lag ruhig in seinem Heu und ließ den Kopf mit geschlossenen Augen über den Rand seines Korbes heraushängen; ab und zu runzelte es die Stirn und zuckte die kärglich behaarten Ohrlappen – zwei deutliche Zeichen von Wohlbefinden.




[49] Der Ostermontag hatte ein richtiges Frühlingswetter gebracht.

Die Bäume und Dächer troffen von dampfendem Thauwasser, die Wege wurden braun und kothig, auf den Wiesen hoben sich schon einzelne fahlgelbe Flecken aus dem rissigen Schnee, und die winterlichen Berge nahmen jene blaugraue Färbung an, die das beste Zeichen des werdenden Lenzes ist.

Und so ging das weiter, Tag um Tag – der kommende noch immer schöner als der verwichene. Wohl füllten die wallenden Nebel das Thal, aber die Sonne kam zu Kräften und trieb sie hinauf bis zu den Kuppen der höchsten Berge. Bald lagen die weiten Fluren ledig ihrer weißen Bürde – und wie eine Schnecke bei jäher Berührung die Fühler schrumpfen läßt und sich zurückzieht in’s Gehäuse, so schrumpfte mählich und mählich der Schnee die steilen Hänge hinan und zog sich zurück in sein kaltes Felsenhaus.

Da stachen die ersten frischen Gräser aus dem feuchten Grunde, aus allen Zweigen sprangen die winzigen, lichtgrünen Knospen, und in der Nähe dichter Hecken und bestrüppter Straßenraine füllte ein leichter Veilchenduft die sonnigen Lüfte.

Inzwischen ging in dem kleinen Baslerhäuschen, das dicht an jenem Wege lag, der von Königssee nach Ilsank führt, so Alles den gewohnten stillen Gang.

Vom frühen Morgen bis zum späten Abend saß die alte Baslerin im Herrgottswinkel und ließ die Nadeln klappern, aus denen die grünen und grauen Strümpfe hervorwuchsen, kurz oder lang, eng oder weit, wie es die Wadenverhältnisse der Besteller eben verlangten. Nannei führte die Wirthschaft. Das machte ihr freilich wenig Mühe, denn die Brennsuppe am Morgen, die „Nudln mit Kraut“, oder die „Kaasnocken“ oder der „Schmarren“ des Mittags, und die Milchsuppe am Abend, diese Dinge kochten sich rasch, und das wenige Geschirr war auch bald wieder gesäubert. Daneben aber gab es noch mancherlei Arbeit, besonders mit der „Nahterei“. Da galt es, die eng gewordenen Spenser und Janker weiter zu machen, da mußten an den verwachsenen Röcken die Querfalten ausgelassen oder wenn solch ein Mittel nicht mehr fruchtete, mußten neue, breitere Säume angenäht werden, um diese Kleidungsstücke wieder zu schicklicher Länge zu bringen. Sogar die Bergschuhe, die der letzte Sommer tüchtig mitgenommen hatte, flickte sich Nannei selbst zurecht – sie schnitzte sich sogar mit eigenen Händen die für die Almarbeit nöthigen „Holzpatschen“. Die Dinger fielen zwar auch darnach aus, es waren die reinen Flöße – aber sie waren billig, und das gab bei Nannei vor der Schönheit und Bequemlichkeit den Ausschlag.

Ein paarmal in der Woche ging sie dahin und dorthin zur Taglohnarbeit. Besonders gern wurde sie vom Oberförster zum Unkrautjäten in die Culturgärten gerufen; denn während die anderen Arbeiterinnen hier mit groben Händen zugriffen und ihre Arbeit nur so „überhops“ thaten, mühte sich Nannei mit immer gleicher Sorgfalt und Achtsamkeit, und nie geschah es, daß sie mit dem Unkraute auch eines der kleinen Baumpflänzchen aus der Erde riß.

Jede freie Stunde aber widmete sie der Erziehung und Pflege ihres Dschapei, nachdem sie die Ernährungsmühe schon am Ostermontage der Mutter abgenommen hatte. Und das Dschapei gedieh und wuchs auch unter dieser steten Fürsorge, daß es für Nannei eine Freude war. Bald lernte es seiner Herrin auf einen Lockruf durch die ganze Breite der Stube entgegen trippeln, bald fing es an, dem Mädchen aus eigenem Antriebe nachzulaufen, hinaus in die Kammer, darin die zwei Betten mit den wurmstichigen Gestellen standen, von der Kammer wieder in die Stube und von da in die Küche. Es begann auch schon Verstand zu bekommen – denn wenn es nicht pünktlich zur gewohnten Stunde seine Nahrung erhielt, dann mahnte es mit lautem, weinerlichem Schmählen seine Pflegerin an ihre Pflicht. Freilich – Verstand, das ist ein wenig viel gesagt – es war das so eine eigene Sache mit diesem Verstande; es war der richtige Dschapei-Verstand.

Nicht einmal nur geschah es, daß sich das ungeschickte Dschapei an den heißen Eisenplatten des geheizten Ofens die Schnauze oder die Ohrlappen verbrannte; einmal sogar zog es mit dem Maule [50] das blaugefärbte Linnen vom Tische und verbrühte sich am siedheißen Inhalte der niederstürzenden Suppenschüssel den halben Rücken; die Stubenschwelle überschritt es zumeist in dem Momente, in dem eine achtlose Hand oder ein Windzug die Thür zuwarf; wenn es versuchte, der Nannei über die Bodenstiege nachzuklettern, fiel es gewiß herunter oder klemmte doch wenigstens einen der Füße in die Bretterklumsen. Und wie es erst hinaus durfte in den Hof, auf die Straße, auf die Wiese – o du lieber Himmel! da stand es lange Stunden auf einem Flecke und starrte mit verwunderten Augen hinein in die schöne Gotteswelt – und in solch einer Stellung wär’ es einmal auf der Straße fast überfahren worden; von allen Hunden der Nachbarschaft ward es zerrauft und gebissen; um ein Gras, ein eben, erst aufgeschossenes Kräutchen zu holen, zwängte es den Kopf in die Lucken der Lattenzäune und würgte sich, da es zumeist nicht wieder zurück konnte, an den unnachgiebigen Stäben halb zu Tode; einmal auch stürzte es in einen Tümpel und wäre jämmerlich ertrunken, wenn es nicht die Hände der gelegen kommenden Nannei noch zur rechten Zeit an’s Trockene gezogen hätten.

„O, du Dschapei – du Dschapei du!“

Das zu rufen hatte Nannei an jeglichem Tage dutzendfachen Grund – und so kam es, daß dem Thiere zum bleibenden Namen wurde, was ihm erst nur als Schelt- und Schmeichelwort gegolten hatte: Dschapei!

[63] Woche um Woche verging in solcher Weise. Da brachten die ersten Junitage einen anhaltend warmen Regen, der die Fluren im Thale tiefgrüner noch und satter färbte, und der auch die hochgelegensten Bäume der Berge zu sichtlichem Leben weckte.

Eines Freitags nun kehrte Nannei, die am frühen Morgen in Tagelohn gegangen war, lange vor Feierabend nach Hause. Im Hofraume kam ihr das Dschapei entgegen gelaufen und schnupperte an ihrer Tasche, in welcher das Mädchen sonst immer ein Rinkelchen Brod, ein Stückchen Zucker oder ein Bröckchen Viehsalz für den weißwolligen Liebling mit heimgebracht hatte.

„Uijegerl,“ rief Nannei, „mein Gott, Dschapei, heut’ hab’ ich ganz vergessen auf dich – vor lauter Freude“ Dabei faßte sie das Thierchen bei den Vorderfüßen und zog es an ihre Brust empor. „Dschapei – ja denk’ dir nur g’rad – morgen – morgen geht’s dahin – ’nauf auf d’ Alm! Du, da paß auf, da wirst aber spannen[12]! Du, da is schön! Da kannst ’nunter schauen in’s Thal, weitmächtig weit – und in d’ Höh’ an die Felsen! Du – und da giebt’s Hirschein und Gamsein – ja, aber da mußt fein Obacht geben, daß dich kein’s derwischt mit seine spitzigen Hackeln –“

„Nannei!“ scholl aus dem Häuschen die Stimme der alten Baslerin.

„Ja, ja – ich komme schon!“ rief das Mädchen entgegen – und als es hurtig der Thür zuschritt, hüpfte das Dschapei in possierlichen Sprüngen hinter ihm her, just als ob es die Freude der Nannei verstände und theilte.

Drinnen in der Stube wiederholte das Mädchen die heimgebrachte Neuigkeit in etwas kürzeren, fast gedrückten Worten:

„Mutterle – morgen wird auf’trieben. Vierzehn Tag’ bleiben wir – sie meinte sich und die Kühe – „im Wimbachthal auf der Griesalm, und nachher geht’s ’nauf am Trischübl. Ja – morgen in der Früh um fünf Uhr muß ich drunten sein beim Almbauer.“

Ein tiefer, schnaubender Seufzer bildete die ganze Antwort der alten Baslerin.

Auf der Tischplatte war ein kleiner Wasserfleck; da mochte wohl ein Trinkglas gestanden sein; und den erweiterte Nannei mit dem Finger zu einer strahlenden Sonne. Nach einer Weile sagte sie:

„Vierzehn Stück kriege ich mit; die andern achzehn kommen in der nächsten Woche mit der Resei und ihrem Bruder ’nauf in’s Gotzenthal.“

„Viel is – viel – das heißt, für eins allein,“ erwiderte die Alte mit sorglicher Miene. „Aber mein – da is jetzt nix mehr z’machen. Jetzt geh halt – geh; und richt’ Deine sieben Zwetschgen z’samm’, damit doch zeitig schlafen kommst. Der zieht sich schon recht, der Weg.“

„Ah na – es is net so arg – fünf Stund’ – da dermacht man’s leicht.“

Langsam kehrte sich Nannei vom Tische und schritt, von ihrem Dschapei gefolgt, der Kammer zu.

Wieder seufzte die alte Baslerin, tiefer und lauter noch als zuvor, dann schüttelte sie den grauen Kopf und klapperte weiter mit den Nadeln.

In banger Sorge hatte sie all die Wochen her dem Tage entgegengesehen, an welchem Nannei zu Berge ziehen sollte. Doch war die Ursache dieser Sorge nicht der Umstand, daß sie nun für lange Monate ihr Nannei missen, und verlassen und allein in dem stillen Häuschen verbleiben sollte – das mußte so sein, das ging nun einmal nicht anders. Die alte Baslerin war ein kluges, durch ein hartes Leben verstandsam gemachtes Weiberleut; sie wußte sich rasch und schnell mit der Nothwendigkeit abzufinden. Aber – aber –.

Ja – dieses „aber“!

Damals schon, am Ostersonntage, war es noch an’s Licht gekommen, was hinter jener plötzlichen und ungewöhnlich großen Freigiebigkeit des Almbauern eigentlich steckte. Der pure Geiz!

„Du, Mutterle,“ hatte Nannei gesagt, als sie den Korb mit dem heimgebrachten Ostersegen auf den Tisch niederstellte, „jetzt hat g’rad der Almbauer so mit mir g’redt. Weißt – er hat g’meint, droben im Gries und am Trischübl, da wär’ halt gar so a leichts Hüten, weil doch ’s Vieh net weit auskann, von wegen die Wänd’ – es is ja die ganz’ Almgegend umundum eing’schlossen – ja – und da hat er g’meint, es thät’s am End’ auch, wann er mich allein ’naufschicket – ohne Hüterdirn. Zwanzig Mark thät’ er mir noch auf mein’ Lohn zulegen – hat er g’sagt – und da könnt’ er noch ’was dabei dersparen, und ich käm’ auch besser weg. G’rad a bißl mehr Arbeit hätt’ ich – a bißl halt – aber ich bin ja jung und stark und hab’ an guten Willen!“

Da hatte die Alte gepoltert und gezankt: „Nix da – nix – da wird nix draus! Das wär’ mir ’s Wahre! Du – und allein – und – und – nix da! Gleich packst mir jetzt die ganze Wirthschaft wieder z’samm’ – die lumpigen fünf Mark und die altbackenen Wecken und den schmeckenden Schunken und Dein bockbeinigs Lampl – und Alles tragst mir wieder ’nunter zu dem Siebeng’scheiden – und sagst ihm, er soll seine Pfifferling behalten – und sagst ihm, daß Du ohne Hüterdirn net almen gehst – nie – gar nie net! Das is nix – das taugt nix – Du kannst es net dermachen – Du bist z’jung und z’schwach – viel, viel, viel z’schwach – und – und –“

„Ja – das wird sich aber jetzt hart machen, Mutterle,“ hatte Nannei verlegen erwidert, „ich – ich hab’ halt an den schönen Verdienst denkt – und da – da hab’ ich ihm halt zug’sagt – auf Handschlag und Angeld.“

Bei diesen Worten hatte sie aus der Tasche einen Preußenthaler hervorgeholt und ihn auf zitternder Hand der Mutter entgegengehalten.

„Jesses na – jetzt is schön – jetzt is schön!“ hatte da die Alte laut aufgeschrieen, den Thaler gepackt und auf den Tisch geworfen, daß er klingend hoch aufsprang. „Ja, was hast denn jetzt da g’macht – ja, wie hast Dir denn so ’was unterstehen können! Bin ich denn nimmer Deine Mutter? Bin denn ich gar nix mehr? Net amal fragen thut man mich mehr – bei so ’was – na – na – so ’was, so ’was!“ Und mit beiden Händen war sie sich in die grauen Haare gefahren, ganz verzweifelt.

„Mein Gott, Mutterle, mein Gott,“ hatte Nannei da gejammert, die hellen Thränen im Auge, „schau – wenn ich mir hätt’ denken können, daß – Du – mein Gott – ja, g’wiß hätt’ ich net zug’sagt. Aber geh – sei nur g’rad wieder gut – schau, gleich lauf’ ich ’nunter zum Almbauer und –“

„Es hilft Dir nix – es hilft Dir nix! Der weiß schon, was er thut. Angeld is Angeld.“

„Aber so sag mir nur g’rad, warum ’s Dir denn gar so unrecht is, daß ich allein da ’nauf geh?“

„Weil Du’s net dermachen kannst, die Arbeit – und – und – Du bist z’jung und z’schwach.“

„Ah na, Mutterle! Ich verstehe mich auf’s Halten von die Küh und auf’s Milchen und Kaasen besser schier als eine, die droben alt worden is am Berg.“

„Und nachher so allein da droben – weiß Gott, was Ei’m da passiren und zustoßen kann!“

„Geh, wer wird denn gleich an so ’was denken! Da droben is mir unser Herrgott näher als da herunten, und mein liebs Vaterl selig is mir auch net weit – die Zwei mit einander werden mich schon b’hüten und schützen.“

„Ich will’s hoffen – ja, hoffen!“ hatte die alte Baslerin geseufzt, und hatte damit die Sache beruhen lassen, weil sie nicht mehr zu ändern war.

Aber die Sorge, die in ihr wach geworden, nagte all die Tage her an ihrem Innern, und um so unermüdlicher, als sie von dem, was eigentlich ihre Sorge war, nicht sprechen konnte. Sie durfte davon nicht zu Nannei reden, um ihres Kindes Herz und Gedanken nicht gerade auf das zu leiten, was sie von ihm ferne wissen wollte. Das war so eine eigene Sache! Sie kannte das; sie hatte das an sich selbst erfahren; sie war ja auch da droben gewesen – ganz allein, und –

[64] Freilich im letzten Sommer hatte sie Nannei sorglos zu Berge ziehen sehen; da war Nannei noch „das“ Nannei, noch ein halbes Kind gewesen. Und die Sennerin, zu der sie als Hüterdirne kam, war eine alte, gottesfürchtige Person, zwar herzensgut, aber so häßlich, daß die almfahrenden Burschen in weitem Bogen ihre Hütte umgingen. Seit dem Winter aber war Nannei im Munde der Leute „die“ Nannei geworden – und nun sollte sie da hinauf, so ganz allein! O – in dieser stillen, majestätischen Einsamkeit, die nur von der Natur und ihrem scheuen Gethier belebt ist, da schwillt dem einsamen Menschen das Herz, wie zur lenzenden Zeit die Keime schwellen; da oben, wo die Natur nur herrscht, muß auch der Mensch wider Willen oder Wissen ihrem Zwange und Drange sich unterwerfen; da gährt und treibt es im jungen Busen; da steigt aus der jungen Seele ein Wünschen und Sehnen, von dem doch kein Menschenmund ihr jemals noch gesprochen – es kommt, man weiß nicht woher und weiß nicht, wohin es zielt, bis – ja, bis –!

Die alte Baslerin kannte das; sie war ja auch da droben gewesen und hatte da droben ihren Muckei gefunden – Gott hab’ ihn selig, den Armen – aber ihr war es zum Glücke gerathen, da ihr Muckei ein braver und ehrlicher Bursche gewesen. Freilich, ein kurzes Glück, das ein jähes, entsetzliches Ende nahm – aber doch ein Glück! Noch in jetziger Zeit wurden der alten Baslerin die Augen helle, wenn sie daran dachte. Aber so, wie ihr Muckei war, so sind sie nicht alle; die Burschen von heutzutage schon gar nicht! Und dem, der da gerade des Weges kommt, wenn das Herz offen steht, dem kann man nicht in die Seele schauen, nur in’s Auge – und das ist ein schwindelvoller Guckkasten, das Männerauge! Die alte Baslerin kannte das – aus hundert Geschichten, die sie zeit ihres Lebens rings um sich her geschehen sah.

„Ach ja!“

Unzählige Male im Tage huschten diese zwei Wörtchen, stets begleitet von einem drückenden Seufzer, über ihre welken Lippen. Und als sie in der Nacht vom Freitag auf den Samstag neben Nannei im Bette lag, die sorglos schlummerte, vielleicht in fröhlichen Träumen, da warf sie sich ruhelos in den Kissen hin und her.

Einmal erwachte Nannei und frug mit verschlafener Stimme:

„Mutterle, was hast denn?“

„Kein’ Schlaf hab’ ich.“

Nannei gab keine Antwort, sie schlummerte schon wieder.

Als das erste fahle Zwielicht des werdenden Tages hereinblinkte durch das kleine Fensterchen, hatte die alte Baslerin noch kein Auge geschlossen. Lautlos erhob sie sich, um für heute selbst die Brennsuppe zu kochen, damit der Nannei die Ruhe bis zur letzten Minute gegönnt wäre.

Wie dann die dampfende Schüssel am Tische stand, weckte sie das Mädchen. Schweigend nahmen die Beiden den bescheidenen Imbiß; und als die Schüssel geleert war, als Nannei den Löffel am Tischtuchzipfel säuberte, sagte die alte Baslerin:

„So – jetzt geh halt – in Gottesnamen!“

Nannei machte nun das Dschapei munter und knüpfte ihm an einem dünnen Riemen ein kleines Glöckchen um den Hals. Dann belud sie ihren Rücken mit der Kraxe[13], darauf ein hoher, [65] schmaler Korb gebunden war, der ihr Arbeitsgewand, das nöthigste Kleingeschirr und alle sonstigen Dinge barg, die sie da droben nicht missen konnte und wollte: das Nähzeug, ein paar Heiligenbildchen, den Weihbrunnkessel und die Flasche mit dem Weihwasser, ein Crucifix und ein Büschel geweihter Palmzweige und manches, was sich im Anschluß an das eben Angeführte nicht gut nennen läßt, wie Kamm und Seife.

Als sie so gerüstet stand, faßte die alte Baslerin ihre Tochter am Arme und führte sie der Thür zu. Dort tauchte sie die zitternden Finger in das Weihwasserschüsselchen, und während sie Nannei’s Antlitz besprengte, murmelte sie:

„Unser Herrgott hab’ Dich in seiner Gnad’,
Er soll Dich b’hüten vor Sünd’ und Schad’,
Und wachen soll über Dir und Dei’m Vieh
Der Heiland und sein’ heilige Mutter Marie.
Nachher führt uns der heilige Geist wieder z’sammen,
Glücklich und g’sund. In Ewigkeit – Amen!“

Flüchtig und scheu, als schäme sie sich dieses Ausbruchs ihrer Zärtlichkeit, streifte die alte Baslerin mit der Hand über Nannei’s Wange. „So – und jetzt b’hüt Dich Gott!“ sagte sie – und sie hätte gern noch mehr gesagt, aber sie fand’ die Wörte nicht. „Und gelt – vergißt mir ’s Beten net!“ Das war alles, was sie noch herausbrachte.

Es war wohl nicht allein das blasse Frühlicht, was Nannei’s Antlitz so bleich erscheinen ließ.

„B’hüt Dich halt Gott, Mutterle – und gelt, halt’ Dich recht gut, und plag’ Dich net z’ viel – und – b’hüt Dich Gott – b’hüt Dich Gott – b’hüt Dich Gott!“ Dabei löste sie ihre Finger aus der Mutter Hand und trat durch die Hausthür hinaus in den Hof.

Die alte Baslerin hörte den tiefen Seufzer nicht, der die Brust ihres Kindes schwellte; sie hatte sich auf die Flursteine niedergekniet, hatte mit beiden Armen Dschapei’s Hals umschlungen und flüsterte nun dem Thiere unter stillen Thränen in’s Ohr: „Gelt, Dschapei – gieb mir halt Obacht auf mein’ Nannei!“ Mühsam richtete sie sich wieder empor, gab dem munter ins Freie hüpfenden Lamm einen Klaps auf den Rücken und rief dem Mädchen nach: „Heut’ wirst net so bald zum Essen kommen. Hast a Stückl Brod eing’steckt?“

„Ja, Mutterle.“

„No also – so geh halt.“

Noch einmal schüttelten sie sich die Hände – dann schritt das Mädchen dahin über die graue Wiese, auf der das Morgenlicht den Glanz der Thauperlen noch nicht erweckt hatte.

Als Nannei noch einmal zurücksah, winkte ihr die Mutter mit beiden Händen zu und rief:

„Ich such’ Dich schon amal heim – da droben – wann’s meine Füß’ derleiden.“

Nannei nickte nur stumm entgegen; die Lippen waren ihr wie zusammengewachsen. Als aber im Weiterschreiten bei einer Senkung des Weges das elterliche Häuschen ihren Blicken entschwand, da brach sie jählings in lautes Schluchzen aus.

Sie wußte nur, was sie verließ. Wer ihr doch sagen möchte, welch einem Geschicke sie entgegen ging! Was sollte die kommende Zeit ihr bringen? Gutes? Böses?

Nannei ward sich dieser Gedanken zwar nicht so recht bewußt, [66] aber sie lagen doch in ihrem Innern und waren die Quelle ihrer plötzlichen Thränen.

„Ja, gelt – du kannst lustig sein!“ rief sie dem Dschapei zu, welches gar fröhlich im thauigen Grase hin und wider sprang und immer auf’s Neue den Hals schüttelte, als ob ihm das Klingen und Bimmeln seines Glöckchens eine besondere Freude wäre.

Ein Seufzer noch, dann trocknete sich das Mädchen Augen und Wangen und wanderte rüstig dahin.




3.

Als Nannei den Hof des Almbauern erreichte, fand sie schon alles zur Almfahrt bereit; brüllend und die Flanken mit dem Schweife peitschend standen die Kühe in der Einfriedigung vor dem Stalle, und ihre Glocken klangen mehrtönig ineinander.

Eine Zeitlang wurde noch so hin und her geredet – die Bäuerin gab der jungen Sennerin ein Schock guter Lehren mit auf den Weg – dann setzte sich der Zug in Bewegung und wand sich langsam die Straße dahin, von Unterstein über die Schönauer Wiesen gegen den Schapbacher Forst und Ilsank zu.

Voraus ging der Bauer, den schweren Bergstock mit den überhängenden Armen quer wider den Rücken pressend. Das war so ein richtiger Hochlandsbauer, hochaufgeschossen, eckig und sehnig, mit einem harten und strengen Gesicht. Ihm folgte der weißhaarige Spitz, der ab und zu die kleine Heerde bellend umkreiste und der es durchaus nicht leiden wollte, daß sich die eine oder andere der vierzehn Kühe grasend am Wege verhielt. Nannei, welche ihren Pfleglingen, hinter denen sie gemächlichen Schrittes einherging, die frischgrünen Leckerbissen gern gönnte, drohte dem zänkischen Spitz des Oeftern mit dem langen, dünnen Haselnußstabe, den ihr der Bauer beim Auszuge gereicht hatte. Zu dem Zwecke jedoch, zu dem sie diesen Stab erhalten: die Kühe zu raschem und gleichmäßigem Marsche anzutreiben – dazu nützte sie ihn niemals, da genügte ihr im Nothfalle ein gutmüthig mahnendes Wort oder ein leichter Klaps der freien Hand. Recht viele Sorge machte ihr das Dschapei.

Gleich zu Anfang des Marsches war es von einer Kuh getreten worden, sodaß es dem Mädchen eine Zeitlang nur mühsam nachzuhinken vermochte. An einer Quelle kühlte Nannei dem Thierchen die schmerzende Stelle mit frischem Wasser; da ward es dann besser. Wie aber das Dschapei den blessirten Fuß erst wieder richtig gebrauchen konnte, da sprang es bald rechts, bald links vom Wege – und wie die kleine Karawane den Schapbacher Forst durchzog, da kam es ein um das andere Mal die Lust an, geradaus hinein zu laufen in den weiten, weiten Wald. In jeden Busch mußte es hinein gucken und durch jede Staude hindurch schliefen – dabei blieb es auch einmal mit dem Halsriemen an einem geknickten Aste hängen. Und ewig und ewig verhielt es sich am Wege und schaute mit neugierigen Augen rings um sich her.

Es war für Nannei’s Mühe nur gut, daß hinter ihr noch Einer nachkam, der das Dschapei immer wieder vorwärts trieb, wenn es dem Rufe des Mädchens nicht mehr folgen wollte.

Das war der alte Wofei, der auf einem kleinen Handwägelchen das Almergeräth hinter sich her zog: den kupfernen Käsekessel, das blankgescheuerte Butterfaß, die Milchkübel und Milchgeschirre und was zur Arbeit da droben sonst noch nöthig ist.

Wofei – oder richtig genannt Wolfgang Haberecker, mochte gut seine sechszig Jahre zählen. Es war eine verwitterte, in sich geduckte Gestalt, deren landübliches Gewand fast bis zur äußersten Grenze der Möglichkeit abgetragen erschien. Unter dem schäbigen Hute quollen dicke Büschel weißgrauer Haare hervor; ein gleichartiger, struppiger Bart verhüllte das Gesicht fast bis zu den trüben, halb schon erloschenen Augen; mitten aus diesem Barte hob sich eine graue bucklige Nase. Wofei hatte eine gewisse schnuffelnde Art, den Mund zu verziehen, wobei das dickfleischige Nasenende bald nach der rechten, bald nach der linken Seite wackelte.

Als ein Bursche, nahe den Dreißigern, war er von irgend woher an den Königssee gekommen und hatte hier so an die zwanzig Sommer als Holzknecht in den Bergen gearbeitet. Man sah ihn während dieser Zeit nur am Sonntage, und da nur im Wirthshause, wo er den Lohn der Woche verzechte, vertanzte und verspielte. Während der Wintermonate, in denen die Berge für den menschlichen Fuß verschlossen sind, pflegte er sich in’s flachere Land hinaus zur Mithülfe an Weg- und Bahnbauten zu verdingen. Mit dem Frühling kehrte er zurück und nahm die Holzaxt wieder auf den Rücken. So ging das fort, bis ihm endlich für die rauhe Art solch’ eines Lebens die Kraft zu schwinden begann.

Und das kam so ganz plötzlich – vor fünfzehn Jahren etwa. Da fiel er mit einem Mal so in sich zusammen, wie – eine Bäuerin würde sagen: „wie a Dampfnudl, die als an unfertige aus der Pfannen kommt.“ Er hielt die Berge nicht mehr aus – für ein, zwei Tage schon, aber nicht mehr auf die Dauer – und so miethete er sich zu Unterstein für wenige Mark des Monats in eine baufällige Hütte ein, die von einer Beschaffenheit war, daß sich selbst die Ratten und Mäuse darin nicht mehr behaglich fühlten. Zu allen Arbeiten, für die seine Kraft noch ausreichte, ließ er sich nun verwenden, als Träger, als Karrenzieher, als Botengänger, als Brodlieferant für die Almerinnen und so weiter. Was er hiermit über sein dringlichstes Lebensbedürfniß verdiente, das vertrank er in Schnaps. Dabei verdummte er so allmählich – und wenn er betrunken war – und das war er fast zu allen Stunden – führte er wirre Reden, an denen die Leute viel zu lachen fanden, besonders wenn er so in seiner confusen Art über die Weiberleute loszog. Ja – ein Weiberfeind war er immer gewesen, der Wofei. Auch in seinen früheren Jahren hatte man niemals etwas davon gehört, als ob er sich je mit einem Mädchen eingelassen hätte – nicht einmal am Tanzboden; er tanzte stets allein, wobei er den Estrich stampfte und die Hände auf Sohlen und Schenkel schlug, daß es nur so hallte und klatschte; ab und zu im Tanze warf er auch den einen Fuß empor an die niedere Decke, an der man überall die Spuren seiner Schuhnägel sah; und zu all dem schnackelte und fauchte er wie ein Spielhahn.

Diese Zeit war nun freilich für den Wofei schon lange vorüber. Nun war er froh, wenn er so langsam mit knackenden Knieen den einen Fuß vor den andern brachte.

So mußte auch heute der Bauer ein um das andere Mal zurückrufen, daß sich der Wofei tummeln solle. Der Alte machte dann immer ein paar Dutzend hastigere Schritte, worauf er wieder in seinen trägen, schleppenden Gang verfiel. Der Nannei war es nur lieb, wenn er zurückblieb, einmal wegen des Dschapei und dann – Wofei roch so entsetzlich; auf zehn Schritte in der Runde um ihn war die Luft von Schnapsgeruch erfüllt. Und dazu hatte sie auch sonst noch einen so seltsamen Widerwillen gegen diesen Menschen; er starrte sie immer so eigenartig an, wenn er in Unterstein oder am See drunten ihren Weg kreuzte, und dabei sprach er stets mit Worten auf sie ein, in denen sie keinen Sinn zu finden wußte.

Zwei gute Stunden hatte der Marsch schon gedauert. Ilsank lag den Wandernden lange im Rücken und die Wasser der Wimbachklamm rauschten bereits hinter ihnen. Die Sonne war schon empor gestiegen über die Berge, aber die laubreichen Bäume, unter denen der Zug sich dahin wand, gaben noch genügenden Schatten. Von dem Bergbach einher, der da zur rechten Seite des Weges über weiße Steine dem Thale entgegen hüpft, blies ein leichter, kühlender Luftzug quer über die Straße, strich lispelnd dahin durch das Laub des ansteigenden Waldes und fuhr dann leise pfeifend empor an den schroffen Wänden des Schüttaipls.

„Grüß’ Gott!“ hörte Nannei plötzlich den Bauer da vorn sagen.

„Grüß’ Gott auch!“ klang eine laute, kräftige Stimme entgegen.

Nannei reckte den Kopf, doch sah sie Niemand des Weges kommen; sie gewahrte vor sich außer Bäumen und fernen Bergen nur den Futterstadel, von dessen langgestreckten Raufen das Hochwild im Winter seine Nahrung holt.

„Grüß’ Dich Gott, schön’s Deandl!“ scholl es da mit einem Male seitlich vom Wege her – und im Schatten der vorderen Stadelwand sah Nannei einen feiertäglich gekleideten Burschen im Grase liegen.

Erröthend gab sie den Gruß zurück und schritt vorüber.

Schön? War sie denn schön? Zum ersten Mal hatte ihr das Einer nun so geradeweg ins Gesicht gesagt – und dazu noch Einer, den sie Zeit ihres Lebens nicht gesehen hatte; das war doch eine Keckheit!

[67] Da löste sich eine rothbraune Kuh aus der Heerde und stieg vom Wege hinweg dem Bache zu. Nannei eilte ihr nach – und die Begegnung von soeben war vergessen.

Das Dschapei aber schien an dem Wegelagerer ein größeres Interesse zu nehmen – und dieses Interesse schien ein gegenseitiges zu sein; denn der Bursche richtete sich in sitzende Stellung auf, lockte das Thier, das ihn mit schiefgehaltenem Kopfe und stillen Augen betrachtete, durch leise Zungenschläge zu sich heran, griff in die Joppentasche und hielt ihm dann auf den gestreckten Fingern ein weißes Etwas entgegen. Dschapei kannte das – hurtig kam es näher getrippelt und löffelte mit gieriger Zunge die leckeren Salzkörner von dieser sonnengebräunten, fremden Hand.

„Gelt, du – das schmeckt dir! No, wart’ nur – kriegst schon noch mehrer – wann’s amal an der Zeit is!“ murmelte der Bursche, wischte die feucht gewordene Hand an’s Gras, setzte den Hut mit der weiß gesprenkelten Weihenfeder über das braune Kraushaar und sprang auf die Füße.

[84] Das Dschapei hüpfte zurück auf den Weg, sah noch einmal empor zu dem fremden Gesichte mit dem herausfordernd aufgedrehten Schnurrbart und den verwegen blitzenden Augen – und als der Bursche, die Riemen des leeren Bergsackes mit den Daumen höher auf die Schultern rückend, lang ausgreifenden Schrittes ihm folgte, eilte es in hohen, bockenden Sätzen die schmale, grasdurchwachsene Straße dahin bis an Nannei’s Seite, wo es, rückwärts blickend, mit gespreizten Füßen wieder stehen blieb.

Dieses Gebahren des Thieres veranlaßt auch Nannei, den Kopf zu wenden – und da sah sie jenen Burschen hastenden Ganges dahergeschritten kommen und sah sich von ihm auf eine weite Strecke schon mit lächelndem Kopfnicken begrüßt.

Nun war sie eingeholt, und da er an ihre Seite trat, sagte er:

„Hast ’leicht ’was dagegen, schön’s Deandl Du, wann ich gleichen Schritt halt’ mit Dir?“

„Ah na – der Weg is ja frei für an jeden,“ gab Nannei leichthin zur Antwort.

„Du hast Recht, aber weißt, ich mein’ halt, lieb verplauscht, da wird er ei’m dengerst kürzer.“

„Mein – da wird er Dir schon lang bleiben müssen, der Weg. Lieb plauschen – das is gar a schwere Sach’ für den, der’s net versteht. Ich hab’s halt nie net g’lernt.“

„Mußt halt a bißl Zutrauen haben zu mir,“ lachte der Bursche, während er seinen Ellbogen an den Arm des Mädchens drückte, „da kannst es nachher schon lernen.“

Mit einem scheuen Blicke wich Nannei zur Seite. „Ich dank’ Dir recht schön für Dein’ guten Willen,“ sagte sie, „aber weißt, für a solchene Schul’ hab’ ich halt so an viel schwachen Kopf.“

„Schau, schau – stolz bist aber gar net – und Dir thät’ man’s doch verzeihen, Dir mit Dei’m G’sichtl,“ erwiderte der Bursche lächelnd, indem er sich in Stimme und Art der Rede stellte, als ob er Nannei’s unmuthige Abfertigung in ihrem wörtlichen Sinne genommen hätte. „Ja, ja – B’scheidenheit is schon recht – aber weißt, das is auch nix, wann man so gar g’ring von ei’m selber denkt. Sixt, da hab’ ich schon an bessern Glauben von – – Geh weiter!“ Die beiden letzten Worte galten dem Dschapei, das dem Burschen, an seiner Seite hertrippelnd, immer und immer mit gehobener Nase die Joppentasche beschnupperte. Nun ward es von einer hartknochigen Hand recht unsanft bei Seite geschoben, und das Dschapei, das wohl nach dem vertrauenerweckenden Beginne seiner Freundschaft mit dem Burschen eine solche Störung derselben nicht erwartet hatte, blieb ganz verdutzt am Wege stehen und sah eine Weile mit blinzelnden Augen zu dem launischen Freunde empor; dann schüttelte es den Kopf, machte ein paar Sprünge und schmiegte sich an die Röcke des Mädchens, welches dem Thier im Weiterschreiten mit freundlicher Hand den Backen tätschelte.

„Wohin willst denn?“ frug Nannei den Burschen, und sie wollte durch diese Frage nicht das Ziel seines Weges erfahren, sondern nur, wie lange sein Weg ihn noch an ihrer Seite hielte.

„No, ich hab’ heut’ an ganz an saubern Marsch – ’nauf am Trischübl, von da am Funtensee ’nüber und nachher über’s steinerne Meer ’nunter nach Saalfelden.“

„Du“ – sagte Nannei hastig, „da wirst aber net viel ausrichten, wenn Du noch lang so stad dahergehst neber mir. Ja – da kommst g’wiß in d’ Nacht ’nein. Das is a Weg von gut a zehn a zwölf Stund’.“

„Macht nix! Macht nix! Du bist es schon werth, daß man sich a wengl verhalt’. Und wenn’s auch jetzt a bißl langsam geht, dafür geht’s nachher um so g’schwinder. Und was an Anderer mit Müh’ und Plag’ in zehn a zwölf Stund’ macht, das mach’ ich in achte und neune. Weißt – Schmalz mußt halt haben – in die Füß’.“

Einen flüchtigen Blick warf Nannei über die hohe, geschmeidige Gestalt des Burschen. Dann frug sie, da sie aus Schicklichkeit doch etwas reden mußte:

„Bist a Holzknecht?“

„Na – das G’schäft is mir z’pechig.“

„Bist a Senn?“

„Na – das ist mir z’milchig.“

„Du hast aber an heiklen Gusto. Was bist denn nachher sonst so b’sonders – han?“ [14]

„Ich hab’ mir a G’schäft ’rausg’sucht, bei dem a ganz a gut’s Auskommen is – und gar net amal plagen mußt Dich dabei: ich bin der einzig’ Sohn von ei’m Bauern mit a Stuckera sechszig Küh’.“ Der Bursche schien sich zu wundern, daß seine Mittheilung auf Nannei so wenig Eindruck machte.

„Soso – jaja!“ das war ihre ganze Antwort.

„Ja – ich bin der Suttner Korbini von Saalfelden.“

„Soso – a Tiroler bist! Und wie hast g’sagt, daß d’heißt? Korbini?“ kicherte Nannei. „Das is amal a seltsamer Nam’! Steht denn der im Kalender?“

„No freilich! Aber weißt, a g’spaßiger Heiliger is der schon, auf den ich ’tauft bin, der heilige Korbinian! Das muß schon a recht guter Kerl gewesen sein, der – hat sich bei lebendigem Leibe d’Haut ’runterziehen lassen! Jetzt da bin ich schon anders.“

„Na, hörst – wie kann man denn so reden von ei’m heiligen Martyrer? Du mußt schon a recht christlicher Mensch sein!“

„No weißt – am Sonntag halt auf a paar Stund’.“

„So ’was z’sagen, da thät’ ich mich doch schämen!“ zürnte Nannei mit offener Entrüstung.

Korbini lachte und zog aus der inneren Joppentasche eine kleine Pfeife hervor, die er aus einem in den linken Hosenträger eingeknüpften Katzenbalge mit Tabak zu füllen begann.

„Geh weiter, Scheckin, geh – was bleibst denn allweil stehn!“ rief Nannei, während sie einer braun und weiß gefleckten Kuh die Hand mit leichtem Schlage auf den breiten Rücken klatschte.

„Du, ich meine allweil,“ sagte Korbini, „mit Dir und mit der Scheckin is net ganz richtig. Die thut ja ganz verliebt zu Dir. Allbot schaut’s um, ob denn noch da bist.“

[86] „Ja – die hängt gar arg an mir,“ lachte Nannei. „Schon im letzten Sommer, wo ich als Hüterin droben am Regen war, schon da hab’ ich’s kein’ Schritt von meiner Seiten ’bracht. Is schon wahr – da is mit der Sennerin allweil a ganze Eifersucht gewesen. Und wie ich nachher heuer selber Sennerin worden bin, hab’ ich mei’m Almbauer so lang zug’setzt, bis er mir es mit ’geben hat, d’Scheckin.“

„Und da treibst jetzt nachher auf d’Griesalm – und ’leicht in a Tag’ a vierzehn am Trischübl?“

„Ja.“

„Freilich – wo andershin geht ja der Weg net. Und – was ich fragen will – kriegst nachher später’naus auch Schaf’ auf d’Alm?“

„Ah na – g’rad das einzige Lamperl da hab’ ich mit.“

„Soso!“ brummte Korbini, während er das Dschapei mit einem wägenden Blicke betrachtete. Dann zog er die Augenbrauen hoch und frug: „Is der alte Krackler[15] dahint’ Dein Hüter?“

„Ah na – ich bin ganz allein auf der Alm.“

„So – so – ganz – allein – soso!“ stieß Korbini über die paffenden Lippen, während er seine Pfeife in Brand steckte, und mit schielenden Blicken maß er dabei die Gestalt des Mädchens. „Bist a junge Sennerin und wirst a bißl hart z’rechtkommen da droben – so ganz allein. Was meinst, wann ich Dich diemal b’suchen thät’ und thät’ Dir helfen – weißt – milchen und kaasen?“

„Ich dank’ Dir recht schön; brauchst Dich aber net strapeziren wegen meiner.“

„No – bei Dei’m Alter is der Schnabel schon recht schön ausg’wachsen. Deinen stolzen Reden nach möcht’ man schier glauben, Du wärst dem Bauern da vorn sein Tochter – wenn gleich net amal a Federl am Hut hast.“

„Ah na – ich bin g’rad ’s Basler-Nannei von der Schönau. Weißt, es kann halt net a jeder Mensch so hochgeboren sein wie Du. Es muß arme Leut’ auch geben sonst hätten ja die reichen Bauern kein’, der ihnen d’Stiefel putzt.“

„Jaja! Aber schau – ’neinpassen thätst ganz gut in an Bauernhof. Könntst amal a richtige Bäuerin abgeben – Du mit Dei’m süßen G’sichterl Du! Jaja – ich sag’ Dir’s – schau – halt’ Dich nur an mich! Du – bei mir kriegt’s a Weib amal schön – so a Hof und so a Vieh! Und was erst an mir kriegst, das kannst Dir gar net denken, Du Schneckerl Du, Du liebs!“

Der Unwille über den Inhalt dieser Worte und über die leichtfertige, verletzende Art, in der sie gesprochen waren, machte Nannei bis in den Hals erröthen.

„Recht viel halten mußt net von Dir,“ sagte sie, die Blicke zu Boden senkend, „sonst thätst net g’rad so am Kuhweg mit Dir hausiren. Hättst Dir übrigens schon auch an Andere ’raussuchen können für Deine dalketen G’spaß’, Du kecker Mensch Du!“

Korbini lachte. „Warum bist so sauber – da muß ja der Mensch keck werden! Aber weißt – im Sonstigen bin ich a ganz a guter handsamer Bursch. No, wirst es ja merken. Ich mein’ allweil, daß mir im heurigen Sommer d’Stein’ am Trischübl mehr als a paar Schuh’ verschleifen.“

„Wär’ schad’ drum! Da mußt Dir schon heut den Weg richtig anschau’n, ob er Dir net dengerst z’grob und z’weit is.“

„Ah na, ah na –“

„Und um Dein’ Zeit wär’ mir auch leid, wo versaumst dabei – für nix und wider nix!“

„Für nix? No – das meintst halt Du jetzt. Wirst aber schon noch anders denken, wann’s Du mich amal von der richtigen Seiten kennst. G’legenheit zum Bekanntschaftmachen will ich Dir schon oft g’nug geben. Weißt, im Sommer, wo’s daheim am Hof net gar so viel Arbeit giebt, da bin ich allweil so auf die Füß’, allweil so am Berg umeinander. Mein Vater, der dickkopfete Geiznickel –“.

„Jetzt so hab’ ich auch noch kein Kind net von sei’m Vatern reden hören,“ zürnte Nannei. „So a Red’, mein’ ich, müßt’ ei’m im Hals stecken bleiben!“

„No ja – er is halt amal so! Er könnt’ mir den Hof schon lang übergeben – alt g’nug bin ich dazu. Aber na – der kann sich nimmer g’nug hausen im Leben. Und nachher weißt – er will halt gar net begreifen, daß a g’wachsener Mensch ’was braucht und auch sein’ G’spaß und sein Vergnügen haben möcht’. Dem wenn’s nachging, könnt’ ich mir am Sonntag ’s Wirthshaus von Weitem anschau’n. Weißt – drum such’ ich mir unter der Woch’ halt selber a bißl ’was z’samm’ für ’n Sonntag. Und schwer wird mir’s gar net – weißt – ich kenn’ mich aus in die Berg’.“

„Gelt? Machst ’leicht[16] an Führer?“

„Ah na! Das passet mir g’rad, daß ich mich mit dene nothigen Stadtleut’ abgeben müßt’ – ah na! Da giebt’s schon noch andere Sachen! So wann ich sag’ – in der Ramsau drin und ’naus gegen Bertlsgaden zu, da rauchen die Bauern und Burschen halt gern an guten Tabak. Wann den bei uns drent in Seefelden kaufst und da herent verhandlst, da machst an ganz an guten Schnitt. Und nachher weißt – wann mir beim Hin- und Hersteigen g’rad a Gamsei über’n Weg springt, da sag’ ich: Wart’ a bißl – bumm! – und nachher nimm ich’s mit. Aber net derwischen mußt Dich lassen – von so ei’m grünen Grenzpatscher oder von so ei’m schnufligen Jager. Schlau mußt halt sein – und Kurasch mußt haben – Kurasch wie der Teufel! Und da kann ich aufwarten – ich!“

Korbini schnalzte mit der Zunge und warf sich in die Brust. Seinem Blicke und seiner Miene konnte man’s ansehen, daß er mit dieser Eröffnung einen großen Eindruck auf das Mädchen gemacht zu haben wähnte.

Nannei aber streifte das Gesicht des Burschen mit einem furchtsamen Blicke, und während sie so weit von seiner Seite trat, als es die Breite des Weges gestattete, sagte sie leise:

„Du bist a Schöner!“

Korbini lachte. „Ja, Deandl – wann amal für Dein Hütl an recht an schönen Gamsbart haben möchst, weißt, so ein’, der nur g’rad so waachlt[17] im Wind – sixt – da därfst blos mir a guts Wörtl geben und a recht a gschmachigs[18] Bussei – Du – Du – Dich könnte man ja g’rad fressen!“ Und an Nannei dicht herantretend, kniff er seine braunen, plumpen Finger in ihre rothblühende Wange.

„Laß mir meine Ruhe – Du –“ stieß Nannei mit zornbebender Stimme hervor, indeß sie mit gehobenem Arme die Hand des Burschen von sich abzuwehren suchte.

„Geh, geh – was bist denn so g’schamig!“ lachte Korbini und haschte mit beiden Händen die Finger des Mädchens.

Schon öffnete Nannei die Lippen, um den Almbauer anzurufen, als der Bursche jählings von ihr abließ, lunschend am Wege stehen blieb und die funkelnden Augen nach einem dichten Gebüsche richtete, an dem sie soeben vorübergewandert waren.

Er näherte sich dem Wegraine um einige Schritte, nahm die Pfeife vom Munde, bückte sich, und den Kopf hin und wider neigend, blickte er durch die Lücken des Laubwerks. Nach einer Weile hob er sich stramm empor, wandte das Gesicht und maß mit halb geschlossenen Augen Nannei’s leicht dahin schreitende Gestalt. Noch einmal kehrte er sich mit zögerndem Blicke dem Gebüsche zu, dann warf er den Kopf auf die Seite, schob die zerbissene Pfeifenspitze wieder zwischen die Zähne und folgte hastigen Ganges dem Mädchen.

„Hab’ g’meint, ich hätt’ ’was g’hört,“ sagte er, als er wieder an Nannei’s Seite trat. „Wird wohl a Reh gewesen sein oder ’leicht blos a Haas. Giebt ihrer ja g’nug da im Wimbachthal.“

Korbini’s Gebahren hatte auch die Aufmerksamkeit des Dschapei auf jenes Gebüsch gelenkt – und während der Bursche und das Mädchen schon hinter einer Biegung des Weges verschwanden, stand es noch immer und musterte die Kräuter des Wegrains. Nun ersah es auch ein Büschel fettglänzenden Grases und begann davon zu äsen, wobei das Glöcklein an seinem Halse leise tönte.

Da plötzlich raschelte das Laub im Dickicht – das Dschapei schrak in sich zusammen und machte einen langen Seitensprung. Vor ihm, die hohen Kräuter kaum überragend, stand ein braun und gelb gefleckter Teckel, der das Dschapei mit wichtigen Augen betrachtete und dabei ein gedämpftes Knurren hören ließ.

„Bella!“ klang mahnend aus dem Gebüsche eine weiche, halblaute Stimme.

Hurtig wandte der Teckel den langen, spitzen Kopf und blickte schweifwedelnd und mit lächelndem Grinsen zu dem jungen [87] Jäger auf, der sich mit beiden Armen durch die dichten Zweige einen Weg in’s Freie bahnte.

Sein Erscheinen mochte dem Dschapei wieder Vertrauen einflößen. Es trippelte neugierig um ein paar kurze Schritte näher und kaute an den Gräsern weiter, die es noch im Maule hielt.

Das war auch eine vertrauenerweckende Erscheinung, die schlanke, nicht übergroße Gestalt dieses jungen Jägers, der kaum das fünfundzwanzigste Jahr überschritten haben konnte. Seine kurze Lederhose war nicht allzu schwarz mehr, und die graue Joppe zeigte sich an vielen Stellen mit geringer Kunst, doch mit großem Aufwande von schwarzem Zwirne geflickt und gestopft. Um die Schultern, daran die gelbliche Färbung der Joppe verrieth, daß dem Jäger so manch eine gewichtige Waidmannslast schon tüchtig warm gemacht hatte, hing ihm die spiegelblanke Büchse und das Fernrohr in einem plumpen, abgegriffenen Lederfutterale. Der schüchterne Flaum eines blonden Bartes verschleierte nur leicht den oberen Hals und das Kinn. Das wenig gebräunte Gesicht war von feinen, fast frauenhaften Zügen und wurde durch die drei lichten Pockennarben auf der rechten Wange durchaus nicht verunziert. Auf der Oberlippe des weichen Mundes deutete nur ein weißer Schimmer den werdenden Schnurrbart an, und unter hellglänzenden Wimpern hervor schauten zwei große, wasserblaue Augen mit sanftem Ernste in die Welt.

Während der Jäger einen langen, forschenden Blick über den Weg dahin gleiten ließ, schob er sich über dem leicht gekräuselten Blondhaare den von den Zweigen verrückten Hut zurecht, über dessen schmalen Rand ein Gemsbart nickte, dem Regen und Sonne schon den schwarzen Glanz in ein fahles Braun verwandelt hatten.

Nun kehrten seine Blicke zurück und blieben an dem Dschapei haften. Wie er sich dann dem Thiere mit lockenden Händen näherte, glaubte auch der Teckel zur Eröffnung einer Freundschaft in seiner Art ermächtigt zu sein und eilte mit fröhlichem Gebell und spielenden Sprüngen auf das Dschapei zu. Dieses aber, das bei seinen früheren Hundebekanntschaften gar schlimme Erfahrungen gemacht hatte, mißverstand die freundliche Absicht und suchte mit ängstlichem Schmählen das Weite. Mit verblüfften Augen schaute ihm der Teckel nach, und da es um die Wegecke verschwand, wandte er langsam, wie zu stummer Frage, den Kopf nach seinem Herrn empor.

Der jedoch achtete des Hundes nicht; er blickte dem tieferen Wege zu, über welchen Wofei stöhnend und ächzend den räderkreischenden Karren einherzog.

„Grüß’ Gott!“

In diesem Gruße fand Wofei hinlängliche Veranlassung, die Karrendeichsel sinken zu lassen und seine Schnapsflasche aus der Joppe zu ziehen.

Plötzlich raschelte das Laub im Dickicht – das Dschapei machte einen langen Seitensprung. (S. 86.)

„Geht’s nach der Griesalm – han?“

Wofei nickte nur und bohrte den Flaschenmund durch eine winzige Lücke des struppigen Bartes. Als er nach langem, glucksendem Zuge die dürre Hand wieder sinken ließ, frug der Jäger:

„Han – Du? Wer is denn das junge Deandl da vorn?“

„D’ Sennerin.“

„Jetzt das hätt’ ich mir selber denken können.“

„No – warum fragst nachher?“ knurrte Wofei, indeß er mit einem Uebermaß von Sorgsamkeit die Flasche verkorkte und wieder verwahrte. „Gelt – g’fallt’s Dir – gelt?“ stieß er dann unter einem blöden, wiehernden Gelächter hervor. „G’fallt mir auch – aber da is gar – aus und gar! Kennst an Stein? – weißt es – keiner bleibt, keiner will bleiben – alle ’nunter – alle ’nunter – alle, alle, alle –“

Wofei reckte den zitternden Kopf auf einem mageren Halse aus den Schultern und lauschte gegen die Erde.

„Jetzt is schön! Du hast ja in aller Früh schon z’viel!“

„Jesus, Mar’ und Josef!“ stöhnte Wofei; dann hob er mit einem jähen Ruck den Kopf und starrte mit rollenden Augen rings um sich her, bis seine wirren Blicke an dem Jäger haften blieben.

„Was hast denn, Alter?“

„Nix hab ich – nix – nix! Jesses, jesses, jesses – jesses na!“

In die wankenden Kniee sinkend, tastete Wofei nach der Karrendeichsel, schob ihre Handhabe hinter den Rücken, zog an und schleppte keuchend das ächzende Gefährte seines Weges dahin.

Kopfschüttelnd blickte ihm der Jäger nach, bis die vorspringenden Büsche den Alten verdeckten.

Nun winkte er den Teckel hinter seine Füße, verließ den Weg über das rechts liegende Gehänge, übersprang mit Hülfe des langen Bergstockes den rauschenden Wimbach und schritt durch das schmale Thal dem lichten Waldgelände zu, das sich in leichter Hebung hinan zieht bis zum Fuße der steil aufragenden Stanglahner-Wände.

Hier angelangt, ließ sich der Jäger im Schatten einer moosbehangenen Fichte nieder. Von hier aus konnte er das Thal übersehen bis zu jener Stelle, an welcher der Almenweg quer hinwegführt über das von den gewaltigen Schneewasserstürzen des Frühjahrs breit angeschwemmte Kiesgeröll.

Achtsam lehnte er die Büchse an den Stamm der Fichte, und während der Teckel an einer alten Wildpretfährte, die hart an der Wand über den Sand führte, hin- und widerwindete, richtete der Jäger sein Fernrohr nach jener offenen Wegstelle, welche die Almfahrenden mit jedem Augenblicke passiren mußten.

Nun kamen sie – zuerst der Bauer mit dem weißen Spitz, dann die Kühe, einzeln und paarweise, dann – ein leiser Ruf des Zornes klang von den Lippen des Jägers – er gewahrte durch das Glas, wie der Bursche da vorne den Arm der jungen Dirne faßte, wie er sein Gesicht ihrer Wange oder ihrem Ohre näherte, und wie das Mädchen mit beiden Fäusten den Frechen von ihrer Seite stieß.

„Wart’ nur – Hallunk’ Du,“ murmelte der Jäger, indeß er das Fernrohr sinken ließ, „wir Zwei kommen dengerst noch z’samm’!“ Und regungslos über das weite sonnige Thal hinweg starrend, sprach er flüsternd vor sich hin: „So a jungs Deandl! Und so bildsauber –“.

Da wurde plötzlich aus den Lüften über ihm ein hastig sausender Flügelschlag vernehmbar, und ein mächtiger Schatten huschte über den Moosgrund. Wohl hatte der junge Jäger mit Blitzesschnelle die Büchse an den Backen gerissen – und doch zu spät. Da sein Auge den königlichen Vogel ersah, war dieser lange schon aus dem Bereiche der Kugel und schwebte dahin durch die Länge des Thales, kleiner und kleiner werdend für die ihm folgenden Blicke, bis er nach einer Weile in weiter Ferne hinter dem wild zerrissenen Grate der Palfenhörner als ein winziger Punkt dem Auge des Jägers entschwand.

[98]
4.

Nun kamen für das Dschapei gute Zeiten – wenigstens hätte man das nach dem stillfriedlichen Verlaufe der zwei ersten Wochen seines Almaufenthaltes glauben mögen.

Rings um die Griesalmhütte lag das herrlichste Weideland – und da hatte das Dschapei vom lieben Morgen bis zum späten Abend keine andere Mühe noch Sorge, als auf den weiten Grasflächen umher zu trippeln, sich die saftigeren Kräutchen zwischen dem zäheren Berggrase heraus zu knappern und, wenn es vom Aesen sich ermüdet meinte, zu schläfriger Rast den Schatten eines dichten Latschenbusches aufzusuchen.

Und auch seine junge Herrin war mit der Art und Weise zufrieden, in der ihr jeder Tag verlief. In der ersten Zeit war es ihr freilich schwer geworden, mit all der vielen, vielen Arbeit zurecht zu kommen, da sie mit der Beaufsichtigung und mit dem Eintreiben ihrer vierzehn Pfleglinge manche Stunde versäumen mußte. Doch lernten die Thiere bald ihre Stimme kennen – und wenn dann immer der Abend kam, trat sie nur vor ihre Hütte, trommelte mit einem Stecken auf die Sohle eines ihrer Holzschuhe und rief dazu mit schallender Stimme in die dunkelnde Luft hinaus:

„Hoi, hoi – Küh’ da – hoi, hoi – Küh’ da – hoi – hoi!“

Schon immer bei ihrem ersten Rufe klang dann die Glocke der Scheckin, das Geläute der anderen Schellen mischte sich dazu, näher und näher tönend, bis alle vierzehn Thiere brüllend und eifersüchtig sich drängend die junge Sennerin umringten.

So hatte Nannei schon in der zweiten Woche ein behaglicheres Arbeiten. Freilich verschlimmerte sich die Sache wieder auf kurze Zeit, als sie in den ersten Tagen des Juli den Umzug nach dem eine Wegstunde höher gelegenen Trischübl vollführte, nach jenem kleinen Almthale, welches eingesenkt liegt zwischen die Hundstodgruppe und das Tabakmandl, einen kahlfelsigen Vorberg des großen Watzmann.

Gleich an dem Morgen, der dem Umzuge folgte, pilgerte Nannei in Begleitung ihres Dschapei über die grobsteinigen, von dichtem Latschengestrüpp überwucherten Rauhenköpfe nach jener Schlucht, aus welcher die Sigerethwand emporsteigt zu steiler und gewaltiger Höhe.

Eine Weile starrte sie hier mit feuchten Augen an den drohenden Felsen empor, dann schritt sie hinweg über die Breite der Schlucht, kniete nieder auf das rauhe Geröll, und den Kopf an die kalte Steinwand lehnend faltete sie die Hände zu langem und brünstigem Gebete für die arme Seele ihres Vaters, der an dieser Stelle sein Leben hatte lassen müssen.

Inzwischen kletterte das Dschapei über die brüchigen Felsen empor, soweit das eben anging, und zupfte von den Grasbüscheln, die über einzelne Wandvorsprünge herniederhingen.

Wer kann es wissen – vielleicht hatte das rauchende Blut des Gestürzten gerade den mageren Wasen gedüngt, dem jene Gräser entsproßten.

Als Nannei sich erhob, fühlte sie sich leichter im Herzen, das ihr auf dem Herwege gar schwer und traurig gewesen war – und wohlgemuther kehrte sie zurück zu ihrer Arbeit.

Die Tage vergingen, einer fast wie der andere.

Kam dann immer die Feierstunde, so setzte sich Nannei auf die kleine Holzbank zur Seite der Hüttenthür und besserte ihr Gewand, eine volksthümliche Weise halblaut vor sich hinsummend; oder sie lehnte, die Hände hinter dem Nacken verschlungen, den Kopf an die verwitterte Hüttenwand und starrte in stillen Gedanken stundenlang empor zum felsumgrenzten Himmel, an dem die lieblichen Sterne sacht erglühten. Da kam der Abendwind vom Thal heraufgezogen, strich summend über die Steine und flatterte geheimnißvoll durch die mageren Zweige der Krüppelföhren; da klang von den ragenden Wänden hernieder ein räthselhaftes Brummen, ein gedämpftes Knattern, wohl auch der schrille Pfiff einer Gemse und der häßlich krächzende Schrei der kreisenden Aasvögel; da tönte ferneher der späte Ruf eines Spechtes, leis in der Ferne auch wieder verschwebend; und da erwachte auch in Nannei’s Busen so ein seltsames Bangen, und in ihrem Herzen erwuchs die Sehnsucht nach menschlichem Verkehre.

Zumeist wohl verschlief das Mädchen in der Nacht solch eine Stimmung wieder, manchmal aber hielt sie dennoch an durch Tage und Tage – und Nannei empfand es dann als eine gewisse Beruhigung, wenigstens einen Menschen in ihrer nächsten Nähe zu wissen, wenngleich sich derselbe kein Bröselchen um sie bekümmerte.

So etwa fünfhundert Gänge von ihrer Hütte stand auf einem höher gelegenen Hügel das aus Brettern und Balken gefügte Jägerhäuschen, in welchem zur Zeit ein älter, mürrischer Jagdgehülfe stationirte, welcher abwechselnd vom Zipperlein und vom Hexenschuß geplagt wurde und mit jedem Tage seine Pensionirung erwartete, um die er längst schon nachgesucht hatte. In den vierzehn Tagen, welche Nannei nun schon am Trischübl zugebracht, hatte sie von dem unfreundlichen Alten kaum einen verständlichen Gruß erhalten, geschweige denn, daß er einmal in ihrer Hütte zugesprochen hätte.

Sie wunderte sich also nicht wenig, als sie eines Mittags schwere Tritte gegen ihre Schwelle poltern hörte. Was mochte der Alte nur wollen? Und das mußte er wohl sein – wer anders hätte auch kommen können?

„Jetzt paß auf, Dschapei,“ rief sie ihrem Liebling zu, der sich an der Kante der Herdbank die eine Schulter scheuerte, „jetzt kriegen wir gar an seltenen B’such.“

„Hat’s Dich ’leicht verdrossen, Deandl, daß ich net schon lang amal ’kommen bin?“ klang von draußen her eine laute, lachende Stimme.

Nannei erschrak und wandte blitzschnell das Gesicht der Thür zu.

Da stand Korbini vor ihr.

„No also – grüß Dich Gott, schöns Deandl Du!“ sagte er, dem Mädchen seine Hand entgegenreichend. „Wie hat sich denn Deine Zeit angelassen, da heroben auf der Alm?“

„Ich danke Dir schön – bis heut bin ich recht z’frieden g’wesen,“ erwiderte Nannei, die dargereichte Hand übersehend, mit gerunzelter Stirn und schaffte emsig weiter an der Säuberung ihrer Milchgeschirre.

„Uijeh, uijeh – Du bist ja ’leicht da heroben noch stolzer ’worden?“ quetschte Korbini durch die spottend verzogenen Lippen. Dabei schritt er auf die Herdbank zu, und um sich Platz zu machen, puffte er mit dem Knie das Dschapei bei Seite.

Dieses machte ein paar erschreckte Sprünge, sah den Burschen an, schüttelte den Kopf und hüpfte mit klunkerndem Schweife zur Thür hinaus.

Wie war’s da draußen so schön, in der warmen, lachenden Sonne! Lauschend blickte das Dschapei in der Runde umher, und als es vom kleinen Rauhenkopf die Glocke der Scheckin herniedertönen hörte, sprang es in munteren Sätzen dem Steige zu, der in vielen Windungen da hinaufführt über die klotzigen Felsen. Aesend aber verließ es bald den Weg, zwängte sich hier durch ein dichtes Gestrüpp, sprang dort über eine schmale Steinkluft und fand sich plötzlich vor dem jähen Absturze des Rothleitengrabens. Wie es nun hier hinabstarrte in das tiefliegende Griesthal, sah es auf dem Pfade, der von da unten zum Trischübl emporleitet, einen Menschen einhergestiegen kommen, dessen Gewand und Mütze von der Farbe der dunkelgrünen Latschenbüsche war. Weiße Metallknöpfe blitzten auf seiner Brust, und über die Schulter hatte er eine Büchse hängen gleich einem Jäger.

Lange jedoch konnte diese Erscheinung Dschapei’s Interesse nicht in Anspruch nehmen, und so trollte es am Rande des Abgrundes dahin, bis sich der Felsgrund vor ihm in eine Mulde von der Gestalt eines riesigen Kessels versenkte. Das war die Hundstodgrube. So weit hatte sich das Thier bei seinen früheren Aesungsgängen noch nie gewagt. Nun stand es und schaute umher in der herrlichen Runde. Hier zu seiner Rechten spannte sich in weitem Bogen das rothsteinige Leitengeschröff um ein Dritttheil des Kessels; zu seiner Linken baute sich, gegen Norden die Sigerethwände bildend, in ernsten, massigen Formen der Gejaidberg empor, [99] auf dessen schwindelnder Höhe in den Freitnächten der wilde Jäger mit seinem johlenden Trosse stundenlange Rast zu halten pflegt. Vor hundert und aberhundert Jahren einmal hatte ein Hochlandsschütze das Wagstück unternommen, in solch einer Nacht den Gejaidberg zu besteigen. Er ist nie wieder zum Vorschein gekommen; nur seinen Schweißhund fanden die suchenden Leute des anderen Tages todt auf dem Gipfel der Felsgruppe liegen, die sich zwischen dem Gejaidberg und der Rothleiten, dicht vor dem steilen Schneiber, erhebt, und die seit jener Zeit auch den Namen Hundstod führt.

Noch immer stand das Thier und starrte staunend umher – da mit einem Male vernahm es hoch über sich seltsames Rauschen. Es warf den Kopf in die Höhe und sah ein dunkles, großes Etwas in den Lüften kreisen.

Was war das?

Das Dschapei wußte es nicht, und dennoch überkam das Thier eine so bange Furcht, daß ihm die Haut zu schaudern und die Füße zu zittern begannen. Doch nur eine kleine Weile dauerte diese Starre, dann sprang das Dschapei mit jähem Satz empor und stürmte in rasender Flucht den Hang hinunter. Drunten ersah es in einiger Ferne ein großes Latschengebüsch, dem es nun in überstürzendem Laufe entgegensteuerte. Schon stieß es mit der Nase fast an die schutzbietenden Zweige – da vernahm es dicht hinter sich ein fauchendes Sausen, fühlte auf seinem Rücken einen heftigen Schlag und einen brennenden Riß – und flog, vom Schusse des überhastigen Laufes vorwärts getrieben, kopfüber in die Latschen, deren wirres Geäst ihm die Wolle in dicken Flocken vom Leibe schürfte. So, wie es nun da drinnen lag, blieb es liegen, regungslos, mit gläsernen Augen, hängender Zunge und vibrirenden Flanken. Und während der Räuber, der sich um seine Beute betrogen sah, mit rauschendem Gefieder durch die Luft entschwebte, sickerte dem wunden Thiere das warme Blut vom Rücken nieder durch das roth sich färbende Fell.

So verharrte das Dschapei eine geraume Zeit, bis es den Muth und die Kraft fand, sich aus dem Busche herauszuwinden. Mit schmerzender Mühe zog es den Rücken auf und suchte mit der Zunge die wunde Stelle zu erreichen. Dann schlich es langsam in heimwärtsführender Richtung der Höhe zu, mit ängstlichen Augen immer emporspähend in die Lüfte, und ab und zu sein Fell beleckend, von welchem in kleinen Zwischenräumen dicke Blutstropfen niederfielen auf Moos und Gestein.

Nun kam es auf einen betretenen Pfad, der am Rande einer tiefen Schlucht dahinführte. Das war der Weg, auf welchem Nannei vor vierzehn Tagen die Sigerethwand besucht hatte – und das Dschapei schien den Steig auch wieder zu erkennen, denn es schlug nun eine raschere Gangart an.

„Hat’s Dich ’leicht verdrossen, Deandl, daß ich net schon lang amal ’kommen bin?“ (S. 98.)

Plötzlich vernahm es hastig sich nähernde Tritte, und an der höher liegenden Biegung des Pfades erschien Korbini, den Bergstock in Händen. Wie er des Thieres ansichtig wurde, stutzte er. Dann näherte er sich langsam, und halblaut klang es von seinen höhnisch verzogenen Lippen:

„So – Du kommst mir g’rad recht! Warte nur, die soll sich amal ärgern heute – die hochnasige Dingin!“

Wie damals am Futterstadel im Wimbachthale, so griff er auch jetzt wieder in die Joppentasche, und mit der Zunge schnalzend, bot er dem Dschapei eine Handvoll Salz entgegen.

Dachte das Thier an den Puff, den es vor einer Stunde von Korbini erhalten? Oder war ihm von dem eben Erlebten ein ängstliches Mißtrauen verblieben? Statt der lockenden Hand des Burschen entgegen zu trippeln, wich es scheu vor derselben zurück, und wich umsomehr zurück, je mehr ihm Korbini mit zuredenden Worten folgte.

Darüber verlor der Bursche schließlich die Geduld. „Wart’, Dich will ich gleich zahm haben!“ stieß er zwischen den schmalgedrückten Lippen hervor, warf das Salz über den Weg hinaus, ergriff den Bergstock mit beiden Händen und hob ihn zu wuchtigem Schlage.

Wohl sprang das Dschapei, die Gefahr erkennend, im rechten Augenblicke auf die Seite, sodaß der niedersausende Stock ihm kaum mehr die Wolle streifte, doch verlor es bei diesem Sprunge mit dem einen Hinterfuße den Boden; nun bröckelte auch noch das Erdreich unter ihm hinweg, und wie Korbini herbeisprang, um das Thier noch zu fassen, glitt es schon hinunter über den moosentblößten Felsrand, stürzte der Tiefe zu, schlug prasselnd in einen Latschenbusch, der in halber Wandhöhe seine knorrigen Aeste aus einer Steinschrunde reckte – da zappelte und rappelte das unvernünftige Thier mit den Füßen, bis es zwischen den nachgebenden Zweigen hindurch rutschte, fühlte sich wieder gehalten und baumelte, mit dem Glockenriemen an einem Storren hängend, am Halse geschnürt und gedrosselt, freien Leibes in der Luft – nun riß der Riemen, und dumpfen Knalles schmetterte das Dschapei auf die scharfkantigen Steine des tiefen Schluchtengrundes.

Eine Weile war Stille – dann klang von oben her eine lachende Stimme:

„Schaf, dumms – da hast es jetzt!“ – und Schritte wurden hörbar, die sich entfernten und ferne verhallten.

Nun wieder Stille – nichts rührte sich in der Runde; nur die Zweige jenes Latschenbusches schwankten noch ein wenig, und seine dicken Nadeln zitterten noch leise.

Drunten im Dämmerscheine des schmalen Schachtes lag das Dschapei, regungslos dahingestreckt auf das blutbeträufte Geröll; seine Augen waren geschlossen, und zwischen den geöffneten Zähnen hing ihm die zerbissene Zunge hervor. Eine lange, lange Zeit verstrich – da schlug es die Lider auf, und ein heftiges Zittern rann über seine Glieder. Es suchte den Kopf zu erheben – und ließ ihn kraftlos wieder auf die Steine sinken – und wieder schlossen sich seine Augen.

Stunde um Stunde ging dahin; schon begannen die Schatten sich zu dehnen, und das Himmelsblau verblaßte mählich und mählich.

Nun erklang von irgendwo in der Nähe das Geläute der Almenglocken, doch kaum, daß es hörhar geworden, klang es schon wieder ferner und verhallte hinter den thalwärts gestuften Felsen.

Auch in die Tiefe des Schachtes waren diese Töne gedrungen, und lauschend hielt das Dschapei den Kopf erhoben. Wie das Geläute jetzt verstummte, warf das gemarterte Thier mit Röcheln und Aechzen den Hals umher, reckte und streckte die schmerzenden Glieder und suchte mit verzweifelter Kraft sich empor zu richten. Wohl gelang es ihm, den Rücken aufzuheben, doch die Vorderfüße versagten den Dienst. Stöhnend sank es auf die Seite und wälzte sich am Gerölle hin und wider. Dann hob es sich von neuem halb empor, stemmte mit aller Gewalt die Hinterfüße in die [100] Steine und schob und stieß sich vom Platze, dabei nur doppelte Qualen sich bereitend, und Brust und Kehle blutig schindend an dem spitzen Kiese, bis es, von Schmerz und Blutverlust entkräftet, regungslos darniedersank auf den rauhen Grund.

Dunkler und dunkler ward es in den Lüften; die Nacht kam einhergezogen und deckte leise ihren thaukühlen Mantel über das arme Thier.

Ein Wiesel durchhuschte im Finstern die Schlucht und sprang vor dem Dschapei erschreckt auf die Seite. Auf irgend einem Felsenloche flatterte ein Nachtvogel hervor und strich mit wimmerndem Rufe dem Thale zu. An den umliegenden Wänden rollten und polterten die manchmal fallenden Steine – und ab und zu bald ferner, bald auch näher, klang das kurze, heisere Bellen eines beutesuchenden Fuchses.

Die Nacht in den Bergen ist so seltsam belebt – und stille wird es erst da droben, wenn der Glanz der Sterne beim werdenden Morgen zu schwinden beginnt, wenn die Nachtthiere schon wieder in ihren Schlupfen liegen und die Thiere des Tages im Schlafe noch die Augen geschlossen halten. –

Grau färbte sich der Himmel, und zwischen den Kuppen der östlichen Berge erwachten schon die ersten fahlen Lichter; sie zogen höher und höher, wurden voller und leuchtender – und bald erglühten alle Spitzen und Felsenhörner im rothen Frühglanze des erstandenen Tages.

Auch in die Schlucht hinunter senkte sich das wachsende Licht – und da lag das Dschapei auf der Seite, regungslos, gestreckten Halses und starrte mit weit offenen Augen über das Geröll hinweg.

Horch! Was war das? Ja – das war Nannei’s Stimme!

„Dschapei! Dschapei!“

So klang es in nicht allzuweiter Ferne von den Felsen – eine Weile herrschte Stille, dann erschallte wieder, jetzt näher schon, der langgezogene Ruf des Mädchens: „Dscha…a…a…apei!“

Das Thier vernahm seinen Namen und erkannte die Stimme der Rufenden. Es wollte den Kopf erheben; doch gelang es ihm nicht; nur den einen Ohrlappen konnte es rühren und zucken, während es mit mattem Schlage den dickwolligen Schweif gegen die Steine klopfte.

„Dscha…a…a…apei!“ klang Nannei’s Stimme jetzt in nächster Nähe.

Droben am Steige hallte nun ein Schritt – das konnte Nannei nicht sein – das war ein fester, kräftiger Männerschritt. Jetzt aber kamen auch Tritte von der anderen Seite her, leichte, flüchtige Tritte.

[118] „Grüß’ Gott, Sennerin!“ ertönte eine weiche, freundliche Stimme.

„Grüß’ Gott auch!“

Ja – das – das war Nannei!

„Han, Sennerin – suchst ’was?“

„O mein Gott – ja! Mein Dschapei geht mir ab – mein Lamperl, so a liebs Viecherl. Mein’ ganze Freud’ hab’ ich dran g’habt – und jetzt kann ich’s nimmer derfinden.“

„Aber Deandl! Was weinst denn jetzt gar a so! Schau – das hat sich halt verlaufen – oder is wo ’neing’stiegen und traut sich nimmer ’raus – das wird sich doch wieder finden lassen! Und weißt – wann nix dagegen hättst – nachher thät’ ich Dir ganz gern suchen helfen.“

„Ja – ja! Bist a recht a guter Mensch – Du! Wer bist denn? Han? A Jaager – gelt?“

„Ja – Jagdg’hilf in der Ramsau – und seit gestern auf d’ Nacht bin ich da ’rauf ’kommen am Trischübl. Weißt – – No, no, Bella! Was hast denn? Sei doch z’frieden! – – Ja, weißt, der alte G’hilf’, der is jetzt pansaniert worden, der zieht nach Bertlsgaden ’nein – und drum habe ich vom Schüttaipl, wo ich bis jetzt mein’ Bezirk g’habt hab’, weg müssen und daher. Aber wie heißt denn, Deandl – han?“

„Nannei.“

„Nannei? So hat mein Mutterl auch g’heißen.“

„Hat’s g’heißen? Lebt’s ’leicht nimmer?“

„Na! Im letzten Fruhjahr is g’storben – unser Herrgott hab’s selig.“

„Ah geh –“

„Ja –“

„Und wie heißt denn nachher Du?“

„Hindammer Festei[19].“

„Festei? Das is aber a seltner Nam’ – aber – a schöner Nam’ – ja – Festei – Festei –“

„Jetzt schau nur g’rad, was mein’ Bella hat! Die zieht an wie auf der Schweißfährten! No – so lauf’ halt a bißl zu, Du Dapperl[20] Du! Wirst es gleich sehen, daß nix da is. – Also jetzt sag’, Nannei – wo hast denn schon überall g’sucht?“

„Gestern am Abend hab’ ich ’naufzu am Tabakmandl g’sucht, wo ’s allweil gar viel gern droben g’wesen is, und –“

„He, Bella – he – was hast denn? – was schaust denn jetzt da? – da drunten is nix –“

Und das Dschapei, welches nur unter schmerzender Mühe das eine Auge nach der Höhe richten konnte, sah am Rande der Schlucht ein Gesicht erscheinen und jählings wieder verschwinden.

„Jesses! Nannei! Da drunten liegt Dein Lampl!“

„Heilige Muttergottes!“ klang Nannei’s lautschluchzende Stimme entgegen, und ihr Antlitz neigte sich hernieder über den Felsrand. „Dschapei! Mein arm’s Viecherl! Dschapei! Dschapei!“ Und Nannei’s Kopf verschwand – „ich hab’s gesehen – es lebt noch – g’rührt hat sich’s – g’rührt!“

„So komm’, Deandl, komm’ – von da aus können wir net ’nunter – wir müssen unten ’rum.“

„O mein Gott – o mein Gott – arm’s Dschapei!“

Die Stimmen der Beiden verklangen unter ihren enteilenden Schritten und wurden nach einer kurzen Weile wieder vernehmbar von einer tiefer gelegenen Stelle her, an welcher ein Abstieg leichter zu bewirken war.

Mit ungeduldigem Winseln hüpfte auch schon der Teckel über die Steinabsätze hernieder, eilte in langen Sprüngen auf das Dschapei zu, stutzte, beäugte das Thier mit witternd vorgestreckter Nase und ließ dann ein lautes Geheul vernehmen. Nun umkreiste er ein paarmal das Lamm, näherte sich langsam dem Kopfe desselben und beleckte ihm schüchtern den Backen und die Kehle.

Indessen war Festei dem Mädchen beim Niedersteigen behülflich gewesen; er hatte, um sich selbst diese Mühe zu erleichtern, Büchse und Bergstock am Rande der Schlucht zurückgelassen.

„O mein Gott – o mein Gott – arm’s Dschapei! Ja was hast denn g’macht – was hast mir denn ang’stellt!“ rief Nannei unter Schluchzen, indem sie sich niederließ auf das Geröll, und achtsam hob sie mit beiden Händen den Kopf des Lammes in ihren Schooß.

Festei kniete an ihrer Seite auf den steinigen Grund, und während der Mund des Mädchens überfloß von jammernden, mitleidsvollen und schmeichelnden Worten, untersuchte er die Glieder des gestürzten Thieres. Die Wunde am Rücken erkannte er sofort für den Fangriß eines Adlers, und darauf gründete er die Vermuthung, als wäre das Dschapei entweder von dem gefiederten Räuber da herunter gestoßen worden, oder selbst in die Tiefe gestürzt, sei es in unbedachter Flucht, sei es in einem Taumel, welcher das Thier bei dem starken Blutverluste überkam.

Als Festei die Füße des Lammes einer genaueren Besichtigung unterzog, nahm sein Antlitz eine recht bedauernde Miene an.

„O mein, Deandl,“ sagte er zögernd, „da schaut’s schlecht aus! Das bißl da am Buckel, das machet noch lang nix – aber – die Füß’, die Füß’ – mein Gott, wie schau’n die aus! Da – der eine is völlig ’brochen, g’rad ober’m Knie – den ganzen Huf hat’s versprengt – und am andern Fuß is d’Schulter aus’prellt – und wie is Alles verschwollen! O mein, Deandl – da wird nimmer viel z’helfen sein – da wird wohl nix Bessers bleiben, als – als –“ Er brachte das Wort, das er sagen wollte, gar nicht hervor, da er in Nannei’s bekümmertes Antlitz sah, auf dem die dicken Thränen unablässig über die gerötheten Wangen rannen.

„Mein Gott, mein Gott – mein’ ganze Freud’ is das Thierl g’wesen – mein’ ganze Freud’ –“

„Ja – weißt ’was – probiren wir’s!“ sagte Festei nach einer Weile. „Ich hab’ meiner Bella amal an Fuß eing’richt’, und is wieder ganz gut worden! Mein – probiren kost’ ja nix! Probiren wir’s halt!“

„Ja – ja!“

„So komm’, Deandl, komm’, steh auf! Ich nimm jetzt nachher ’s Lampl und trag’s ’nunter in d’Hütten.“

Nannei erhob sich, mit den Händen die Augen wischend, und schaute zu, wie Festei das Lamm, welches Alles willig mit sich geschehen ließ, auf seine beiden Arme hob. Und als der Jäger den ersten Schritt dem Aufstieg entgegenthat, ging das Mädchen voraus, während der Teckel freudig bellend an die Kniee seines Herrn emporsprang.

„Steig’ nur zu, Nannei – steige nur zu!“ sagte Festei, als das Mädchen vor den aufwärts führenden Steinen Halt machte.

[119] Nannei blickte erröthend zu Boden. „Steige Du voraus!“ bat sie mit schüchterner Stimme.

Da huschte auch über Festei’s Wangen ein leichtes Roth, und abgewandten Gesichtes schritt er an dem Mädchen vorüber, um den steilen, unbequemen Pfad emporzusteigen, achtsam seine Last vor jedem Stoße bewahrend.

Nannei folgte ihm auf dem Fuße – und als sie Beide droben am Rande der Schlucht wieder Seite an Seite standen, sagte der Jäger:

„Geh, Deandl, sei so gut und hebe mir mein Gewehr auf und häng’ mir’s um d’Achsel ’rum!“

„Na, na, Festei, das trage ich Dir schon – und Dein’ Bergstock auch. Geh nur, geh nur zu, Festei!“

So schritt er voran, das Mädchen hinter ihm her, die Büchse des Jägers auf dem Rücken, seinen Bergstock über die Schulter geschlagen.




5.

Das war in den nächsten Stunden ein Hasten und Sorgen in Nannei’s Hütte!

Festei war nach dem Jägerhäuschen hinauf geeilt und hatte ein Schächtelchen mit Harzsalbe herbei gebracht, sowie ein Päckchen altes, mürbes Linnenzeug, das er sich zum Gewehrputzen mit auf den Berg genommen. Indessen hatte Nanner ihrem Liebling zur Seite des Herdes aus weichem Heu ein Lager aufgeschüttet und noch dazu ihre eigene Wollendecke darüber gebreitet. Auch hatte sie ein Feuer angeschürt und ein Geschirr mit Milch hinzugesetzt.

Nun begann die Cur.

Festei rieb dem Dschapei für’s Erste die Nüstern mit Enzian und flößte ihm einen Trunk frischen Wassers ein, der das Thier sichtlich erquickte. Dann kauerten sie sich alle beide, der Jäger und das Mädchen, vor das Lager des Patienten – und während Festei dem Dschapei an den verletzten Stellen das Fell schor und die mit lauer Milch gereinigten Wunden theils vernähte, theils nur verpflasterte, mußte Nannei den gebrochenen Fuß, den zersprengten Huf und die geprellte Schulter mit kaltem Wasser behandeln, damit sich die Geschwulst um ein weniges legen möchte. Als Festei mit seiner ersten Aufgabe zu Ende war, hieß er Nannei eifrig in ihren Bemühungen fortfahren. Er schnitt nun aus einem kliebigen Spaltholzscheite dünne, biegsame Schindeln, die er mit einem scharfkantigen Glasscherben glättete. Dann stach er aus dem geschlagenen Lehmboden der Hütte mit seinem Waidmesser zwei große Brocken heraus, zerbröselte sie und verrührte den so gewonnenen Lehmsand mit Wasser zu einem dicken Brei, in den er zerriebene Heusplitter und kurzgefaserte Linnenfäden mischte.

„Was ich fragen will, Nannei – hast denn an Spagat, oder sonst ’was zum Binden?“

„Ja, Festei – geh nur ’nein in mein Schlafkammerl; unterm Kreister steht a Schachtel, da is a Wuckerl[21] Strickgarn drin und a paar Böpperln[22] ganz a dicker Zwirn.“

Festei suchte das gewünschte Bindematerial hervor und trug dann alles Zubereitete vor das Lager des Patienten.

„So, jetzt laß’ nur gut sein, Nannei,“ sagte er, auf die Kniee sich niedersenkend, „jetzt mußt Du’s halten, ’s Lamperl, derweil ich den Fuß einrichte. Und wann siehst, daß ihm die G’schicht weh thut, nachher mußt net gleich auseinander sein – weißt – es geht halt net anders – ich muß ihm a bißl weh thun, wann ich ihm helfen will.“

„Ich will mich schon z’samm’ nehmen, Festei – ja – g’wiß,“ betheuerte Nannei und folgte den Anordnungen, die ihr der Jäger nun gab.

„Hast es fest?“

„Ja, Festei, ja!“

„No also –“ murmelte der Jäger zu einem schweren Seufzer, faßte mit der einen Hand die Schulter, mit der anderen das Kniegelenk des gebrochenen Fußes und fing gemach, doch kräftig zu ziehen an.

„Soooodala!“ sagte er, als der Knochen mit hörbarem Knack in die Bruchstelle klappte, und mit fröhlichen Blicken nickte er dem Mädchen zu, dem die Thränen in den Augen standen.

Das Dschapei hatte sich bei dieser Procedur unerwartet tapfer gehalten, kaum daß es den Hals ein wenig gereckt und ein bischen mit den unverletzten Füßen gerappelt hatte. Ob es wohl begriff, daß alles, was um sein Lager her vorging, zu seiner Rettung und Heilung geschah?

Nun wurde der eingerichtete Fuß geschindelt, mit dem Lehmbrei dick verstrichen, mit Linnenstreifen vielfach umwunden und schließlich fest mit doppeltgenommenem Garn verknüpft. Dann kam die Reihe an den zersprengten Huf. Die Splitter wurden ausgelöst, die Wunde wurde gewaschen, verpflastert und mit weichem Verbande umgeben. Auch mit der ausgerenkten Schulter des anderen Fußes kam Festei bald zurecht. Er drückte und schob und zog und rückte, bis das Gelenk sich wieder richtig bewegen ließ. Ein Verband war hier nicht nöthig, nur eine Fortsetzung der Kaltwasser-Behandlung. Nach alledem wurden dem Dschapei noch die Hinterfüße gefesselt, um es zu ruhigem Liegenbleiben zu zwingen.

„So – weiter können wir zwei nix mehr helfen – jetzt muß sich alles andere von selber machen,“ sagte Festei, sich erhebend. Er warf einen raschen Blick auf die plumpe, silberne Uhr, die er aus einem kleinen Täschchen des Hosengurtes hervorzog. „Sapperlot – halb zehne schon! No also – jetzt paß auf, Nannei! Jetzt laßt Du ’s Lamperl a halbe Stund’ so liegen, damit ’s a bißl verschnaufen kann – nachher giebst ihm a laaflete[23] Milli und ’leicht a g’weicht’s Brod – aber ja net z’viel – und wenn’s das nimmt, nachher giebst ihm am Nachmittag a recht a schöns Gras – gelt?“

„Ja – schon – aber –“ sagte Nannei, mit traulichen Augen zu dem Gesichte des Jägers aufblickend, „gehst denn jetzt fort?“

„Ja freilich, Deandl, ich muß ja mein’ Grenzgang machen. Weißt – im Dienst – da därf ich nix versaumen.“

„Na, na – um Gotteswillen net! Das möcht’ ich selber net haben,“ eiferte Nannei. „Aber – ich hab’ nur g’rad g’meint, ob net ’was essen möchst. Hast Dich doch so viel ’plagt!“

„Es is net so arg, Nannei – und was g’schehen is, das is gern g’schehn. Aber jetzt kann ich nimmer bleiben – am Abend ’leicht, da wann mich einladst, da – ja! Und somit b’hüt’ Dich Gott, Deandl – und – wann dem armen Viecherl da wieder besser wird, g’wiß, das sollt’ mich freuen, weil gar so dran hängst. B’hüt’ Dich Gott also, b’hüt’ Gott!“

Nannei fand kein Wort der Erwiderung; stumm nur reichte sie dem Jäger die Hand entgegen.

Mit kräftigem Drucke umspannte Festei diese Finger, tauchte zu einem langen Blicke sein Auge in das ihre, und mit einem nochmaligen, leisen „Gott b’hüt’ Dich, Deandl!“ wandte er sich ab und verließ mit hastigen Schritten die Hütte.

Ihm langsam folgend, trat Nannei unter die Thür und schaute ihm nach, bis eine Senkung des Weges seine schlanke Gestalt verdeckte.

Eine Weile blieb sie noch sinnend stehen, dann strich sie die kleinen Zaushärchen aus der Stirn und ging an ihre Arbeit – und merkwürdig! Sie hatte doch bis zum Abend über Hals und Kopf zu thun, nachdem sie den Morgen und den halben Vormittag versäumt, und dazu nahm ihr noch die Speisung und Pflege des Dschapei viele, viele Minuten weg – es hätte ihr also wohl die Zeit wie im Fluge vergehen sollen! Und dennoch ward ihr der Tag so unerträglich lang, so lang, wie kein Tag noch auf den Bergen ihr geworden war.

Wie dann der Abend näher und näher rückte, überkam sie ein seltsames Gefühl von Unruhe und Bangigkeit, und es wollte ihr keine Mühe mehr schicklich und recht von der Hand gehen. Ein und das andere Mal mußte sie in der Arbeit inne halten, mußte sich die Stirn und die glühenden Wangen streichen und die beiden Hände auf den jungen, schwellenden Busen pressen.

Nannei meinte, das wäre Angst – Angst, daß Festei sie schelten möchte, da sie ja so leicht wohl irgend etwas in der Pflege des Dschapei versäumt oder versehen haben könnte.

Während sie noch darüber nachsann, in wieweit ihre Verrichtungen mit Festei’s Rathschlägen übereinstimmten, ließ sie plötzlich das glücklicher Weise schon geleerte blecherne Milchgefäß, das sie just in die Kammer tragen wollte, mit leisem Schrei zu Boden fallen und eilte fliegenden Schrittes der Hüttenthür zu.

Das war ein Juhschrei gewesen – und nun klang es von Neuem über die Höhe des Berges hernieder, erst in einem langgezogenen, [120] hohen Discanttone, dann in gewissen Intervallen sinkend und verschwebend:

„Juuuuh – huhu – huh!“

Da stemmte Nannei die Arme in die Hüften, hob sich auf die Fußspitzen und schmetterte einen jauchzenden Jodler hinaus in die dämmernde Luft.

Mit langen Sätzen kam der Teckel einhergesprungen, hüpfte freudig bellend an Nannei’s Schürze empor und gab nicht eher Ruhe, bis sich das Mädchen zu ihm niederbückte und ihm liebkosend den Rücken streichelte.

„Du wirst meine Bella noch schön verhätscheln,“ sagte Festei, als er näher kam.

„Na, na!“ lachte Nannei und schlug in die dargereichte Hand des Jägers ein. „Aber sag’, wie hat’s Dir denn ’gangen den ganzen Tag?“

„Gut, gut! Dank’ Dir schön! Und schau – da hab’ ich Dir ’was mit’bracht – ’s erste, das ich heuer gefunden hab’ –“ Er nahm den Hut vom Kopfe, löste aus der grünen Schnur ein kleines Edelweiß und bot es dem Mädchen hin, „’s erste, Nannei – ’s erste – und das bringt Glück – so sagen d’Leut’.“

„Ja – und das muß wahr sein – ich g’spür’s völlig in mir – so a Freud’ hab’ ich!“ sagte Nannei, während sie die Blume in Empfang nahm und sorgsam in ihr Mieder steckte. „Han? Wo hast es denn ’brockt?“

„Droben über der Sigerethwand.“

„Jesses na!“ fuhr das Mädchen erblassend auf. „Is Dir doch nix passirt dabei?“

„Ah na – wie soll mir denn da ’was passiren?“

„Gott sei Dank! Aber weißt – d’Sigerethwand – den Nam’ wann ich hör’ – weißt – da giebt’s mir allweil an Stich. Ja – denk’ Dir, Festei – da is mein arms Vaterl abg’fallen, wie er bei ei’m Gamsjagen an Treiber g’macht hat – ja!“

Mit theilnahmsvollen Augen schaute Festei in das bekümmerte Gesicht des Mädchens. Dann frug er leise: „Gelt – Dein Vater is der Basler-Muckei g’wesen?“

Nannei nickte, und nach einer kurzen Pause fuhr der Jäger fort: „Ja, ja – ich habe schon öfters reden hören davon. Aber komm’, Nannei, komm’ – jetzt müssen wir nach Dei’m Dschapei schauen. Was macht’s denn – han? Hat’s genommen, was ihm ’geben hast? Hat sich’s brav g’halten – schön stad, mein’ ich?“

„Aaah – der is gut – der is amal gut! So ein’ hab’ ich freilich noch nie net ’gessen!“

Wie der Jäger bei diesen Worten dem Innern der Hütte zuschritt, ging Nannei an seiner Seite her und erstattete mit übereifrigem Wortschwalle den gewünschten Bericht. Ein um das andere Mal nickte Festei befriedigt mit dem Kopfe – und wie er vor dem Dschapei kniete und dessen Pflaster und Verbände einer genauen Besichtigung unterzogen hatte, schaute er freundlich lächelnd zu Nannei empor.

„Gar net schlecht steht’s, Deandl – gar net schlecht! Ich mein’ allweil, Dein Lampl wird wieder – ja, ja! ’s wär’ aber auch kein Wunder – bei so einer Pfleg’, da müßt’ ja a Maustodter wieder kreuzg’sund werden!“

Nannei’s Antlitz strahlte förmlich, als sie diese Worte vernahm. Erstens einmal schon wegen ihres Dschapei – und dann – so meinte sie jetzt – dann hatte sie ja doch wohl Recht gehabt, wenn sie das seltsame Gefühl, von dem sie tagsüber verfolgt worden war, als die Angst erklärte, von Festei gescholten zu werden. Der Beweis war ja da: er hatte sie belobt – und alle Unruhe und Bangigkeit war nun dahin, und der helle Frohmuth lachte in ihrem Herzen.

„Aber jetzt setz’ Dich nur g’rad amal nieder, Festei,“ hastete sie von den Lippen, indeß sie dem Jäger eine Bank am Herde zurecht rückte, „da – komm’ – da setz’ Dich her! So – und jetzt koche ich Dir an Schmarren – Du, da pass’ auf – so an guten hast noch gar niemals net ’gessen!“ Und sie stand schon am Herde, Pfanne und Löffel in Händen.

„Ja, Deandl – ja – der wird mir schmecken, wie noch nie keiner net!“ betheuerte Festei, indem er Nannei bei ihren Hantirungen mit leuchtenden Augen verfolgte.

„Hast denn gar so an fürchtigen Hunger – han?“ frug das Mädchen mit lachenden Worten.

„No – das heißt – weißt – ja, schon!“

So plauderten die Beiden fröhlichen Tones weiter, während Nannei rührte, schürte und kochte, daß nur das Schmalz so prasselte und die Dampfwolken dickwallend sich emporkräuselten vom offenen Herde zur berußten Stubendecke.

Festei erzählte von seinem Dienste, der ihm über Alles ging – „ja,“ sagte er, „wann ich kein Jaager net sein könnt’, möcht’ ich gleich lieber gar net auf der Welt sein! So ’was Schöns giebt’s ja gar nimmer! Aber weißt – es is net g’rad weg’m Schießen und Jaagern – ah na – aber wann so draußen bist, in die Berg’, und Du schaust so umeinander, und Du hörst so Alles – da a Thierl und da a Vögerl – und nachher der Himmel und die Felsen – und drunten nachher die Bäum’ und ’s Thal, wo d’Sonn’ drein scheint, daß nur die Bacherln g’rad so blitzen – ja – weißt – da geht Dir g’rad ’s Herz aus einander, und Du mußt Juh schreien, ob D’willst oder net!“

Dann kam er wieder auf die Jagd zu sprechen und erzählte schnurrige Geschichten, in denen zumeist die Klugheit seines Hundes eine große Rolle spielte. „Ja, schau nur her, Du Kalfackter!“ rief er bei solch einem Berichte dem Teckel zu, der mit dem Dschapei friedlich das Lager theilte. – Nannei hinwieder erzählte von ihrer Mutter, von ihrem elterlichen Häuschen, von ihrem Dschapei und wie sie in dessen Besitz gekommen, von ihren Kühen, und hier besonders von der Scheckin, „die so viel g’scheidt is, ja g’scheiter schier als wie a Mensch.“

Nun war der Schmarren gar. Nannei legte neben dem Jäger ein berußtes Brettchen über die Bank und stellte die rauchende Pfanne darauf. Dann setzte sie sich auf die andere Seite, und zwei Löffel kreuzweis in den Schmarren steckend sagte sie:

„So – jetzt iß, Festei – jetzt iß nur zu solang, bis nimmer kannst!“

Mit sorglicher Miene hing sie an dem Gesichte des Jägers, als dieser den ersten Löffel voll zum Munde führte.

Bedächtig legte Festei den Kopf auf die Seite, kaute, schluckte und schnalzte mit der Zunge.

„Aaah – der is gut – der is amal gut! So ein’ hab’ ich freilich noch nie net ’gessen!“

„Nachher iß nur recht, Festei! Und – lang’[24] nur fest zu!“ lachte Nannei und faßte nun auch selbst den Löffel.

[134] Solange die Beiden aßen, sprachen sie kein Wort mehr. Wenn immer Nannei mit dem Löffel in die Pfanne fuhr, stocherte sie eine Weile darin umher, als suche sie sich einen recht schönen Bissen aus; doch that sie das nur, um bei diesem Manöver unvermerkt die besseren, röschen Bröckchen auf Festei’s Seite hinüber zu schieben. Dieser aber rührte fast vor jedem neuen Bissen den Schmarren durch einander, um dieselben guten Bröckchen wieder in Nannei’s Pfannenhälfte zu bringen.

So kam es, daß schließlich alle Beide satt waren, während das Beste noch in der Pfanne lag. Nun – da konnte jetzt der Teckel seine Freude daran haben; der schlapperte und schmatzte die ihm gereichten Schmarrenreste in sich hinein – das war nur so ein Hui!

Festei zog jetzt sein Pfeifchen hervor, und Nannei reichte ihm einen Spahn, den sie an den glühenden Herdkohlen entzündet hatte; dann steckte sie, um die Stube dürftig zu erleuchten, eine an der Wand befestigte Kienfackel in Brand und machte sich über die Säuberung des Geschirres.

Dazu plauderte sie, allermeist von den mannigfachen Sorgen ihres Almhaushaltes, und kam hiebei natürlicher Weise wieder auf die Angst zu sprechen, die sie am verwichenen Abende um ihr Dschapei ausgestanden hatte.

„Ja – weißt –“ sagte sie, „ganz g’wiß hab’ ich schon g’meint, es is mir g’stohlen worden. Da is gestern z’ Mittag einer da g’wesen, so a saubrer Herr, aus Saalfelden is er her – aber kaum daß er da war, is a Grenzer[25] ’kommen, der meine Küh’ hat aufschreiben wollen – und da hat er sich nachher ’druckt, der ander’, g’rad als ob er kein guts G’wissen net g’habt hätt’. Und weißt, wie er ’kommen is, da hat er sein’ Joppen so umg’hängt g’habt über d’ Achseln, und die hat er da über’s Bankl g’legt, solang’ er g’sessen is. Ja – und wie er nachher fort war, hab’ ich amal so zufällig hin g’schaut am Boden – ich sag’ Dir’s – da is alles verstreut g’wesen mit Salz, das blos aus demselbigen seiner Joppen hat g’fallen sein können. Und weßwegen hätt’ der a Salz bei ihm, wann er net d’ Schaf’ damit locken möcht’ – weißt – zum Stehlen, der schlechte Kerl!“

„Kann schon sein! Kennst ihn Du ’leicht?“

„Kennen? Ja – und na! Weißt, ich hab’ ihn halt zweimal g’sehen jetzt! ’s erste Mal, da hat er mich ang’sprochen, wie wir auf’trieben haben –“

„Gelt – drunten im Wimbachthal beim Futterstadl?“ unterbrach Festei das Mädchen mit hastigem Worte. „So, so – der is! Der!“

„Ja Festei – woher weißt denn Du das?“ frug Nannei verwundert.

„No – weil ich’s halt g’sehen hab’. Ich bin drin in die Buschen g’standen, und da bist nachher mit ihm vorbei’gangen an mir. Und weißt, wie ich Dich da so g’sehen hab’ – und den Andern – weißt – da hab’ ich mich fein recht g’ärgert.“

„Ja was D’ sagst! G’ärgert hast Dich! Ja weßwegen denn? Han? Warum denn?“

„No – weißt – ich hab’ – mir is – no, der Mensch halt –“

„Gelt, Festei – hast es ’leicht g’sehen oder g’hört, was das für a kecker, unverschämter Mensch g’wesen is!“

„Ja, ja! Wie schon weiter weg g’wesen bist – da – da hab’ ich schon g’merkt, daß er Dir z’wider is. Aber im Anfang, wie ich ihn so reden hab’ hören – da – weißt, so viel gern wär’ ich ’naus’gangen am Weg – aber – aber ich hab’ g’meint, ich könnt’ Dir selber ung’legen kommen – weißt – weil er gar so scharmierlich g’wesen is zu Dir, hat’s halt g’rad ausg’schaut, als – als ob er Dein Schatz wär’.“

„Aber Festei!“ fuhr Nannei auf, und die Thränen schossen ihr in die Augen. „Wie kannst denn so ’was sagen! Geh – das is net schön von Dir!“

[135] „Jesses na – Deandl –“ stammelte Festei, „schau – es war net so g’meint – na – g’wiß net –“

„Um Gotteswillen – so einer mein Schatz – na, na – da hätt’ ich mir –“ Nannei unterbrach sich und strich die beiden Hände seufzend über ihre Wangen, während sie mit leiser Stimme weiter sprach: „Und – und – ich hab’ überhaupt kein’ Schatz net – weißt! Was thät’ denn ich schon mit ei’m Schatz – ich – ich bin ja noch viel z’ jung – viel z’ jung –“

Mit einem scheu verlegenen Blicke schaute sie bei diesem letzten Worte in Festei’s Antlitz, sah zwei blaue Augen den ihren entgegenleuchten – und die Blicke der Beiden hielten sich gefesselt, lange, lange, sowie zwei Hände sich verschlungen halten zu herzinnigem Gruße.

Da ward es der Nannei so heiß im Gesichte, und unter ihrem Mieder begann ein gar seltsames Pochen sich zu rühren.

„Ich weiß net –“ sagte sie endlich unter einem tiefen, stockenden Athemzuge, den Aermel langsam über die Stirn wischend, „daherin hat’s schon a fürchtige Hitz’.“

„Ja, Deandl – mir is selber so – so –“ gab Festei kleinlaut entgegen. „Aber wart’ – ich mach’ a bißl auf!“

Damit erhob er sich und öffnete die Hüttenthür, sodaß die frische Nachtluft mit kräftigem Hauche in die Stube strich und die Flamme der Kienfackel hell auflodern machte.

„Ah – das is a Lüfterl – a guts!“ betheuerte Nannei und sog die erquickende Luft mit hörbarem Zuge zwischen die weißen Zähne. Dann lud sie die gesäuberten Geschirre auf ihren Arm, trug sie nach der Rahme und stellte sie an den gehörigen Platz.

Festei saß wieder auf der Herdbank und kaute an seiner Pfeifenspitze.

„Han, Nannei, sag’,“ fuhr er nach einer Weile plötzlich auf, „is er heut’ wieder so keck g’wesen – der? Han?“

„Ah na, ah na –“ eiferte das Mädchen. „Weißt, heut’ hat er gar keine Zeit net g’habt dazu. Kaum, daß er a bißl g’sess’n is, hat er durch’s Fensterl schon den Grenzer daher kommen sehen – und da hat er sich nachher g’schwind verzogen. Aber er käm’ schon bald wieder – hat er g’sagt – bald wieder – ja!“

„So – hat er g’sagt – so!“ stieß Festei über die Lippen, die geballte Faust erhebend. „Dem will ich’s Wiederkommen schon verlegen – dem schon!“

„Jesses na – Festei – ich bitte Dich –“ rief Nannei erblassend. „Wirst doch net mit Dem anbinden – weißt – das is gar a wilder Kerl – der!“

„Mir is er net z’wild – mir net – na!“

„Mein – mein,“ stammelte das Mädchen, „schau – ganz d’Red’ hat’s mir jetzt verschlagen. Heilige Mutter Gottes – ich mag gar net denken – schau – wenn’s da ’was absetzen thät’ –“

„So, Deandl, so? So meinst es?“ sprudelte es in herben Worten von dem Munde des Jägers. „Hast am End’ Angst für ihn – han?“

„Für Den? Angst? Ah na – aber weißt, es könnte ja – es – es – wann Du –“ dem Mädchen versagten die Worte, und erröthend dem Herde sich zuwendend, gewahrte Nannei nicht mehr, wie auf Festei’s Antlitz die Miene des Groll’s in ein glückliches Lächeln sich wandelte. „Geh – schau –“ sagte sie, indem sie vor dem Schmerzenslager des Dschapei auf einen kleinen Schemel sich niederließ und dem geduldsamen Thiere die Ohren kraute, was der Teckel gar eifersüchtig vermerkte, „schau – was reden wir denn jetzt allweil von solchene Sachen und von so ei’m Menschen da! Geh – verzähl’ mir lieber von Dei’m Mutterl! An was is’ denn g’storben – han?“

„Mein – a richtige Krankheit kann ich Dir gar net angeben – weißt – sie is halt g’storben – so nach und nach! Sie war halt schon a recht an alts Leut’ – und mein – viel Prast und Kümmerniß hat’s auch derleiden müssen im Leben. Da is ihr ’s Sterben g’rad a Wohlthat g’wesen – aber mir, weißt, mir is schon recht hart an’kommen. In der ersten Zeit hab’ ich schier net g’meint, daß ich’s verwinden könnt’. ’s einzige Kind bin ich gewesen – und no, da weißt es schon, wie’s is – hast ja selber a Mutterl, wo Dich gern hat, und wo dran hängst mit der ganzen Seel’. So hat’s halt auch für mich nix anders ’geben, als wie mein Mütterl und mein Mutterl und wieder mein Mutterl – und g’rad, so war’s bei ihr – weißt – ich bin halt ihr Alles g’wesen!“

„Ja, ja, ich kann mir’s denken,“ flüsterte Nannei feuchten Auges vor sich hin.

„Wie ich noch a kleiner Bub war und hab’s oft so sitzen und weinen sehen – weißt, der Vater is halt net g’wesen, wie er hätt’ sein sollen – d’Mutter, ja, die hat ihn gar arg gern g’habt – er is zwar in der ersten Zeit auch ganz gut zu ihr g’wesen, aber eigentlich hat er’s doch blos g’nommen, weil’s a bißl a Sach’[26] g’habt hat. Aber was hat’s ihm g’holfen? ’s Wirthschaften hat er net verstanden – und wie ’s allweil abwärts und abwärts ’gangen is mit seiner Hauserei, da hat er’s Trinken ang’fangt, hat Streit und Hader heim’bracht vom Wirthshaus, bis er amal – no, g’rad vor vier Wochen sind’s sieben Jahr’ her g’wesen – da is er wieder amal heim, in der Nacht – so – so mit a bißl z’viel – und wie er da am Steg über d’Achen is, da is er halt ’neben ’naus ’treten – no – und da war’s halt gar nachher – unser Herrgott hab’ ihn selig – ich hab’ ihn halt doch gern g’habt –“

„O mein, o mein!“ glitt es leise von Nannei’s Lippen; die lichten Thränen rannen ihr über die Wangen und tropften nieder auf ihre Schürze.

„Aber wann ich hundert Jahr’ alt’ werd’ – denselbigen Morgen vergiß ich nimmer! D’Mutter – weißt – das is gar net zum sagen – g’rad mit alle zwei Händ’ hab’ ich’s halten müssen, damit’s net selber a Sünd’ an ihr ’than hat – und ganze Wochen darnach hab’ ich ihr net von der Seiten dürfen. Da is nachher noch dazukommen, daß unser Anwesen nimmer zum Halten war – vielleicht kennst es: drunten in Taubensee steht’s, man heißt’s ‚beim Bannholzer‘ – der Flodermüller von Schwarzeck hat’s selbigsmal eing’steigert. No – es is uns über’m Vater seine Schulden ’naus noch ganz a nett’s Geldl ’blieben – aber was heißt das – wann kein Glück net hast und kein’ Fried’ und kein’ Heimath! Da bin ich nachher a Jaager ’worden – ’s einzige Gute bei der ganzen traurigen G’schicht’ – und bin mit mei’m Mutterl nach Ramsau in d’Loschie ’zogen. Und von dem Tage an hat mein Mutterl ’s Sterben ang’fangt – no – und im letzten Fruhjahr hab’ ich’s eingraben müssen.“

Festei schwieg und starrte mit trüben Augen in die verglimmenden Kohlen.

„Und so bist jetzt ganz allein in der Welt?“

„Ja – ganz allein – und kannst mir’s glauben, Nannei, das is gar a bitters Wörtl – allein! Weißt – wann ich so draußen bin in meine Berg’, da merk’ ich’s wohl net so – aber in der Nacht, in der Jagdhütten, wann ich da so lieg’ – da – da – ich kann Dir’s gar net sagen! Kein’ Heimath hab’ ich, wo ich sagen könnt’, da g’hör’ ich her – und hab’ kein’ Menschen net, der zu mir denkt und der sich sorget um mein Glück und mein Leben und der mir gut is, so recht von Herzen gut, so wie ich’s brauchet! – Ja – mein Hund – mein Hund habe ich – der is mir noch gut! Gelt, Bella, gelt – komm’ – da komm’ her zu mir!“

Grinsend und schweifwedelnd kam der Teckel herbeigeeilt und sprang auf Festei’s Kniee, der ihm die Arme um den Hals schlang und unter langen, lauten Athemzügen das Gesicht an die Schnauze des treuen Thieres drückte.

Nannei saß auf ihrem Schemel, so bleich, daß selbst der rothe Lichtschein der dem Erlöschen nahen Kienfackel diese Blässe nicht zu verschleiern vermochte. Die Hände, die in ihrem Schooße lagen, zitterten. Mehrmals rührten sich ihre Lippen, als wollte sie sprechen.

„Fe –“

So klang es auch einmal hauchend von ihrem Munde.

Hastig hatte Festei bei diesem Laute den Kopf erhoben.

„Hast Du ’was gesagt, Nannei?“ frug er, und seine Stimme bebte.

Das Mädchen schüttelte stumm den Kopf, und vor sich niederblickend, schürfte sie mit der Sohlenkante des einen Schuhes den Lehmboden auf.

Da ließ der Jäger seinen Hund zur Erde springen und erhob sich.

„Es is Zeit, Nannei, zum Schlafengehen,“ sagte er, „mußt ja morgen bei der ersten Tagslichten wieder ’raus. Ich hab’ Dich so wie so schon viel z’lang aufg’halten. No – ich komm’ [136] nachher schon in der Fruh und schau nach Dei’m Kranken da – wie’s d’Nacht überdauert hat – hoffentlich gut.“

„Ja, hoffentlich gut.“

„Und – und – ja – somit gut’ Nacht!“

„Gut’ Nacht!“ sagte Nannei und legte ihre Rechte in die dargebotene Hand des Jägers.

Winselnd bohrte der Teckel seine Schnauze zwischen die angelehnte Thür und den Pfosten, und als diese dem Drucke nachgab und leise knarrend sich öffnete, sprang er mit lautem Bellen über die Schwelle.

„Schau – der macht mir gar die Thür auf!“ sagte Festei und versuchte zu lächeln. „Somit b’hüt Dich Gott – und gelt – schlaf’ recht gut!“

Noch einmal schüttelte er die Hand des Mädchens und verließ dann raschen Ganges die Hütte.

Nannei folgte dem Jäger bis auf die Schwelle – nachschauen konnte sie ihm nicht, die Nacht war zu dunkel – aber sie lauschte seinen Schritten, die nun verklangen, da Festei eine Mulde durchschreiten mußte – nun wurden sie wieder hörbar, und mit hallender Stimme rief das Mädchen durch die Finsterniß:

„Gut’ Nacht, Festei! Gut’ Nacht!“

Und von der Höhe rief es entgegen: „Gut Nacht! Und – wann – und – gut’ Nacht!“

Noch eine Weile waren die Schritte da oben zu hören, dann polterte am Jägerhäuschen die Thür – und Alles war still.




6.

Tage und Tage vergingen.

An jedem Morgen, ehe Festei seinen Rundgang in den Bergen antrat, kam er in Nannei’s Hütte, um zu erkunden, wie das Dschapei die Nacht verbracht hätte; und an jeglichem Abende, wenn er heimkehrte von seinen mühsamen Wegen, kam er, um nachzusehen, wieweit die Besserung tagsüber vorgeschritten wäre.

Und in all diesen Stunden vom Erwachen bis zum Scheiden der Sonne empfand das Mädchen immer und immer wieder jene „g’spassige Angst“, welche jählings verschwand, wenn Festei den Fuß auf die Schwelle setzte. Zu ihrem eigenen Verwundern verblieb ihr auch dieses seltsame Gefühl, als das Dschapei nach Tagen und Tagen schon so weit in der Besserung war, daß Nannei um den Zustand ihres Lieblings auch ganz gewiß keine Angst mehr zu haben brauchte.

Wie am Abende nach Dschapei’s Rettung, so hatte die junge Sennerin auch am nächsten Abende ihren Imbiß mit dem Jäger getheilt. Für die Folge aber hatte Festei das nicht mehr zugegeben.

„Weißt, Nannei,“ hatte er gesagt. „Das geht halt doch net, daß ich Abend für Abend von Dei’m Mehl iß. Und Dein Almbauer, der machet a schön’s G’sicht, wann er erfahret, daß ich mitzehr’ an sei’m Butter und Schmalz. Aber weißt – wann Dir’s schon recht is, daß ich so am Abend da bin und a bißl plausch’ mit Dir – und wann schon so gut sein willst und diemal kochen für mich –“

„Diemal g’rad? Ah na – jeden Abend – so oft Du magst!“ hatte ihn Nannei mit raschem Worte unterbrochen.

„No also – schau –“ hatte Festei mit freudigem Lächeln erwidert, „schau – da stell’ ich Dir mein Mehlsackl ’runter und mein Salz und d’ Schachtel mit mei’m Schmalz – und da kochst nachher davon – und ich kann mit gutem G’wissen bei Dir essen.“

So war es auch geschehen – und wenn dann immer Nannei des Abends am Herd stand und zum Schmarren oder zu den Nocken den Teig anrührte, gab Festei sorglich Acht, daß sie auch wirklich ganz zu gleichen Theilen von seinem wie von ihrem Vorrath nahm und nicht etwa sich selbst zu Schaden brächte.

War die Pfanne geleert, so saßen sie plauderud Seite an Seite, oder wenn Nannei noch zu schaffen hatte, schaute ihr Festei zu, sein Pfeifchen rauchend, meist schweigend – den Beiden war’s ja schon genug, wenn Eines das Andere in seiner Nähe wußte – und mehr als ihre Lippen sprachen in solchen Stunden ihre Augen, die dann auch bei weitem mehr zu sagen wagten, als der Mund zu sprechen sich getraute.

Eines Tages – es war der fünfundzwanzigste Juli – hörte Nannei lange vor der Zeit der Dämmerung ihrer Hütte Festei’s wohlbekannten Schritt entgegeneilen – und als sie hurtig auf die Schwelle spraug, da stand der Jäger schon vor ihr, mit hochgerötheten Wangen, mit zitternden Lippen, mit naß in die Stirn hängenden Haaren und mit Augen, die vor Erregung blitzten.

[151]Ja Festei – um Gotteswillen –“ stammelte das Mädchen, als sie den Freund so erregt daher kommen sah, „was is denn?“

„Nannei – Nannei,“ hastete es in stockenden Worten von dem Munde des Jägers, „zwei – zwei Adler hab’ ich ausg’macht! Mein Gott – da wenn ich ein’ derwischet – wär’ das a Glück!“

„Wär’ das a Glück!“ seufzte Nannei erleichtert auf und schlug die Hände zusammen.

„Ja, ja – weißt – wie ich vor a zwei Stund’ über’n Grat vom Schneiber ’nüberg’stiegen bin; da hab’ ich’s auf amal dersehen – alle zwei – drunten unter die Wänd’ – da sind’s allweil um einander gestrichen über’m Sand. Mit ei’m Rucker hab’ ich mein Spectif auf’zogen – ja – und da hab’ ich’s nachher ganz genau vermerkt, daß da drunten am Sand an abg’fall’ne Gamsgais liegt, halbert schon von die Adler verhackt und derrissen. Da hab’ ich aber nachher gleich auf- und z’samm’packt und bin davon – hint’ ’nunter am Schneiber und durch’n Sigerethgraben daher – ich sag’ Dir’s – so bin ich meiner Lebtag noch nie net g’rennt.“

„Mein Gott – geh – komm’ nur g’rad a bißl ’rein in d’Hütten,“ jammerte Nannei, „bist ja ganz verlechznet, und kaum an Schnaufer hast!“

„Na, Deandl, na, jetzt kann ich mich net verhalten!“ eiferte der Jäger. „Weißt – jetzt muß ich nur g’schwind ’nunter in d’Ramsau und muß mir von mei’m Oberförster a Legeisen vertlehnen[27] – und weißt – in der Nacht muß ich wieder ’rauf, weil es Eisen vor der Tagslichten schon liegen muß.“ Tief Athem schöpfend, faßte er die Hand des Mädchens. „Nannei – um Eins is mir’s recht unlieb, daß ich morgen in der Fruh net da bin. Weißt – ich hätt’ Dir halt so gar viel gern Glück g’wunschen – zu Dei’m Namenstag.“

Nannei erröthete bis unter die Haare. „Schau – das freut mich schon recht. Aber – woher weißt es denn, daß morgen –“

„No – ich hab’ halt nachg’schlagen in mei’m Jagdkalender, bis ich ihn gefunden habe, den heiligen Annentag. Mußt halt nachher heut’ schon anhören, was ich Dir Alles wünsch’ – natürlich – alles Gute – und – und – natürlich G’sundheit vor Allem, und daß auch Dein Mutterl gesund bleibt, und daß Dei’m Vieh nix g’schieht – und – und nachher – ja – alles Gute halt, alles Gute, weißt!“

„Ich dank’ Dir schön, Festei, ich dank’ Dir schön!“ betheuerte Nannei herzinnigen Tones, indem sie mit beiden Händen die braune Rechte des Jägers schüttelte. „Was Ei’m so gut g’wunschen is, das muß ja unser Herrgott derfüllen! G’wiß wahr! Und schau – weil’s in der Stund’, wo ei’m aus gutem Herzen ’was g’wunschen wird, gar a starke Kraft hat, wann Du ei’m ’was dagegen wünschen thust – sixt – so wünsch’ ich Dir jetzt gleich, daß Du morgen alle zwei Adler mit einander fangst!“

„Na, Nannei – na, na – z’viel därf man net verlangen, sonst b’scheert ei’m unser Herrgott gar nix! Ich wär’ ja schon z’frieden mit ei’m Einzigen!“

„Ja, wann ihn nur kriegen thätst! Schau – so a Freud’ hätt’ ich!“

„No – und ich erst! Aber weißt, da heißt’s jetzt blos zur richtigen Zeit bei’m Zeug sein! B’hüt Dich Gott also, Nannei, b’hüt Dich Gott!“

„B’hüt Dich Gott, Festei! Und Waidmanns Heil für morgen! Waidmanns Heil!“

„Ich dank’ Dir schön!“

Ein Händedruck – und hastigen Schrittes eilte der Jäger dahin, an der Senkung des Weges noch einmal zurückwinkend mit der Hand und mit lächelndem Nicken.

„Mein Gott, mein Gott, wann er ihn nur kriegen thät’!“ seufzte Nannei, als sie in die Hüttenstube zurückkehrte und sich wieder an die Arbeit machte.

Vielleicht konnte sie diese Freude vom lieben Herrgott erbeten – so dachte sie, während sie emsig schaffte und werkte – und mit raunenden Lippen sprach sie ein Vaterunser um das andere vor sich hin. Dann fiel ihr bei, daß wohl auch die Mithülfe eines Heiligen der Sache förderlich sein möchte. Da sie aber von Sankt Hubertus keine Kunde hatte, kam ihr lange kein Heiliger in den Sinn, „der bei so ’was gut sein könnt’.“ Schließlich dachte sie an den heiligen Antonius. Der ist zwar gewöhnlich nur für’s Finden gut – wer da beim emsigen Suchen eines verlorenen Gegenstandes recht andächtig vor sich hinbetet:

„O heiliger Antoni, Du kreuzbraver Mann,
Ich bitt’ Dich herzinniglich, führ’ mich daran!“

der sucht gewiß nicht vergebens!

Aber der Verdienst von so einem Adler wäre am Ende doch auch nur gefundenes Geld, dachte Nannei, änderte deshalb mit vielem Scharfsinn das bekannte Sprüchlein für den vorliegenden Fall, und da klang es denn mit leisen Worten immerzu von ihren Lippen:

„O heiliger Antoni, Du kreuzbraver Mann,
Schau doch, daß der Festei den Adler kriegen kann!“

Mit diesem Sprüchlein ging sie zur Ruhe, dieses Sprüchlein nahm sie mit hinein in Schlaf und Traum – und es huschte wieder von ihren Lippen, da sie des Morgens erwachte. – Durch das kleine Fenster ihrer Schlafkammer guckte schon die helle Sonne.

Rasch ermunterte sich Nannei und sprang vom Lager. Ihr Erstes war, daß sie ihr krankes Dschapei begrüßte. Dann ging sie, frische Luft zu schöpfen – und erblaßte förmlich vor freudigem Schreck, als sie an die Holzklinke der Hüttenthür einen großen Strauß frischblühender Alpenrosen angebunden fand. Mit zitternden Händen löste sie die Schnur und drückte das Gesicht in die Blumen. Es war ihr ein Bedürfniß, die Freude, die in ihrem Herzen lachte, einem lebenden Wesen mitzutheilen, und wenn das auch nur ihr Dschapei wäre. So eilte sie zurück in die Stube und rief dem Thiere jubelnd entgegen:

„Ja schau nur g’rad – Dschapei – schau nur – schau, was ich ’kriegt hab’! Jetzt hat er halt doch noch an mich ’denkt – und in der Nacht! Ich sag’s halt – der Festei! Das is halt Einer!“

Sie holte ein blechernes Trinkgeschirr herbei, füllte dasselbe mit Wasser, gab die Blumen darein und stellte sie an das Fensterchen.

Und hundertmal bei der Arbeit, der sie nun oblag, wandte sie ihre Blicke den Blumen zu.

Sie hatte viel zu schaffen; denn neben der alltäglichen Mühe mußte sie heute die Butterballen und Käslaibe, den Almgewinn der letzten Woche, zurecht legen, da sie gegen Mittag den Knecht des Almbauern erwartete, der die ganze Zeit her an jedem Sonnabend gekommen war, um „abzutragen“.

[152] So verging ihr der Vormittag auch rascher als gewöhnlich, und später als sonst kam sie heute an den Herd, um ihr einfaches Mittagsmahl zu kochen. Recht sehr verwunderte sie sich über das lange Ausbleiben des Knechtes.

Als sie einmal vor die Hütte trat, um auf den thalwärtsführenden Steig hinunter zu spähen, schlug der Hall eines fernen Schusses an ihr Ohr.

Am Ende hat der heilige Antonius geholfen! dachte Nannei klopfenden Herzens; denn der Richtung des Halles nach zu schließen, mußte der Schuß in der Gegend des Schneibers gefallen sein.

Wie sie dann wieder bei ihrer Arbeit stand, so eine Stunde später, hörte sie plötzlich vor der Hütte das Klirren eines Bergstockes und das Klappern schwerer Schuhe. Sie eilte über die Schwelle und sah vor sich am Steige den alten Wofei stehen, mit der Kraxe über dem Rücken; murmelnd und mit den Händen fuchtelnd, spähte er hinüber nach der Höhe des Gejaidberges.

„Ja Wofei – wie kommst denn Du daher?“ rief Nannei den Alten an, der beim Klange ihrer Stimme mit wackelndem Kopfe emporfuhr und ein stotterndes Gelächter hören ließ.

Müden und langsamen Ganges schlurfte Wofei über die Steine einher und starrte dem Mädchen mit gläsernen Augen entgegen:

„Abtragen – weißt – abtragen – abtragen.“

„Du? Und abtragen? Ja warum kommt denn der Knecht net?“

„Arbeit – weißt – Arbeit – hat er g’sagt – der Bauer – jetzt gehst! Ich? Na – nie net – kann’s net dermachen d’Steiner – weißt – d’Steiner! So? Gar is – gar is nachher – aus und gar – kein Verdienst mehr – gar nix – kein Geld – no also – da mußt halt – weißt –“

„So – setz’ Dich nur daher auf’s Bankl und thue Dich ausrasten. Ich bringe Dir gleich ’was z’essen,“ sagte Nannei und nahm die Kraxe mit hinein in die Hüttenstube. Wie sie da am Herde stand, um die Pfanne mit den reichlichen Schmarrenresten, die sie für den Knecht warm gehalten hatte, von den Kohlen zu nehmen, ging hinter ihr die Thür.

„Was is denn? Warum bleibst denn net draußen?“ sprach sie mit leisem Unwillen den Alten an, der in scheuer, gedrückter Haltung vor ihr stand. „Draußen in der Sonne is ja viel schöner, als daherinn in der dumpfigen Stuben.“

„Na – na – draußen net – da net –“ stotterte Wofei und schlich der Herdbank zu, „was siehst denn draußen – g’rad allweil den Berg da! Herinn bei Dir – da g’fallt’s mir besser – schöne Sennerin –“. Und mit einem blöden Kichern duckte Wofei bei diesen Worten den Kopf zwischen die Schultern. „So schön bist – ja g’rad wie die ander’ – mein’ schier – weißt – mein’ schier, Du bist’s – ja – stolz halt – gelt – stolz – weißt, jeder is halt net wie der ander’ – hihihihi!“

„Jetzt wann noch lang so dalket daher redst, nachher därfst mir net herinn bleiben!“ zürnte Nannei und schob dem Alten die Pfanne auf die Herdbank. „Da – iß lieber und sei stad!“

„Recht hast – nix reden – gar’ nix – na – gar nix – hihihihi!“ Kichernd krümmte Wofei den Rücken, zog die Pfanne näher zu sich heran, griff mit allen Fingern in die Speise und schob davon ganze Hände voll unter den borstigen Schnurrbart.

In aller Sorgfalt, und doch in möglichster Eile, begann Nannei die Kraxe mit den bereitgelegten Vorräthen zu beladen. Wie sie damit zu Ende war, schnürte sie die Last mit einer starken Leine an das Holzgestell und prüfte dann die Festigkeit ihres Werkes durch heftiges Rütteln.

Da plötzlich fuhr sie lauschend auf – was war das aber auch ein fröhlicher Juhschrei, der von der Höhe des Rauhenkopfes hernieder in die Hütte hallte!

„Jesses – da kommt er!“ jubelte Nannei und eilte der Thür zu.

Hinter ihr aber klang ein klirrendes Poltern – Wofei hatte die Pfanne zu Boden geworfen – und da stand er schon vor ihr, die Augen aufgetrieben wie von verzehrender Angst, umklammerte mit beiden Händen ihren Arm und wimmerte, am ganzen Leibe schlotternd:

„Na, na – net – ich bitte Dich – sag’s ihm net, daß ich wieder dag’wesen bin – gewiß wahr – ich komm’ nimmer – g’wiß – g’rad sag’s ihm net –“

„Laß mich aus – laß mich aus – Du wilder Kerl Du!“ rief Nannei, welcher ganz unheimlich zu Muthe ward, und mit Gewalt versuchte sie ihren Arm aus Wofei’s krallenden Händen zu winden.

„Sag’s ihm net – sag’s ihm net –“

„Was hast denn, Du Narr – der thut Dir ja nix!“

„Ja, ja – g’schlagen hat er mich, weil Du’s g’sagt hast – g’schlagen – ich bitt’ Dich, sag’s ihm net –“

Mit Ringen und Zerren war es Nannei gelungen, sich aus Wofei’s Händen zu befreien, und da der Alte unter angstvollem Gewimmer des Neuen nach ihrem Arme haschte, stieß ihn das Mädchen mit beiden Fäusten von sich und sprang über die Schwelle.

Hastigen Fußes um die Hütte biegend, eilte Nannei dem Steige zu, über welchen der Jäger einhergestiegen kommen mußte – und da bannte nun ihren Schritt ein Anblick, dessen Freude das unheimliche Gedenken an den eben erlebten Auftritt in ihrem Herzen gänzlich erlöschen machte. Sie hätte jubeln mögen – und brachte kein Wort über die Lippen; sie stand nur, mit zitternd gefalteten Händen, und blickte den Steig empor, über welchen Festei gemachen und achtsamen Schrittes herniederstieg, entblößten Hauptes, die Büchse vor der Brust, mit gehobenen Händen quer über dem Nacken den Bergstock tragend, an dessen jeglichem Ende ein mächtiger Adler hing. Dem Jäger voran am Pfade sprang mit fröhlichem Bellen der Teckel, und ab und zu im Sprunge sich wendend, knurrte er mit wichtigthuendem Gebahren zu den zwei riesigen Vögeln auf, deren kraftlos niederwankende Schwingen die moosigen Steine streiften. Nun stand er vor ihr – auf seinen Lippen lag ein glückliches Lächeln, die Wangen strahlten, und aus seinen Augen leuchtete ein freudiger Waidmannsstolz.

In beiden Händen den Bergstock mit seiner gefiederten Last hoch emporhebend über das Haupt, lachte Festei:

„Nannei, Nannei, was sagst jetzt! Han – da schaust!“

„No also – no also,“ stammelte das Mädchen, „schau – jetzt hat er halt doch geholfen, der liebe Herrgott – und der heilige Antonius – weißt – gestern hab’ ich ’bet’ dafür den ganzen Nachmittag und bis in d’Nacht ’nein.“

„Is wahr! Und schau, da kann’s auch blos Dein Beten g’wesen sein, das geholfen hat,“ rief der Jäger, und der feste Glauben an diese Worte sprach aus seinen Blicken, „weißt – sonst wär’s ja gar net zum denken, daß ich a so a fürchtig’s Glück g’habt hätt’!“

„Ja geh – so verzähl’ doch!“

„Ja, Nannei, Alles – Alles! Aber komm’, jetzt geh’n wir z’erst in d’Hütten ’nein!“ Bei diesen Worten senkte er den Bergstock und ließ von ihm die beiden Adler auf die Erde gleiten.

„Geh, Festei, geh – laß mich ein’ tragen!“

„Ja, Deandl, ja, nimm Dir ein’!“ Lachend zog Festei seinen Hut aus der Joppentasche und stülpte ihn keck über’s Haar. Dann hob er den zweiten Adler von der Erde und so gingen sie Seite an Seite der Hütte zu, darin der Teckel rastend schon bei dem Dschapei auf der Decke lag.

Als Nannei durch das Fenster in die Stube guckte, war kein Wofei und keine Kraxe mehr zu sehen.

[153] „Ahan – es scheint, er hat sich aus’m Staub gemacht!“ lachte sie.

„Was!“ brauste der Jäger auf. „Is er ’leicht bei Dir dag’wesen?“ Festei dachte bei diesen heftigen Worten an die frischen Spuren eines Männertrittes, die er auf einem Sandgefälle am Hundstod wahrgenommen.

„Ja, wen meinst denn Du?“ frug Nannei, verwundert ob dieses Tones.

„No – den von Saalfelden!“

„Ah na – Gott sei Dank – den hab’ ich mit kei’m Auge net g’sehen! Aber weißt – der Wofei, der is dagewesen – der Alte, weißt, der beiem Auftreiben den Karren ’zogen hat. Und aufg’führt hat er sich wieder – ganz verrückt! Ja – weißt, was er gesagt hat: Du hättst ihn so geschlagen, weil ich Dir ’was verrathen hätt’ von ihm!“

„Ich? Den g’schlagen? Hab’ ihn ja g’rad erst an einzigsmal g’sehen.“

„Ja, ja – weißt – bei dem is’ halt nimmer ganz richtig.“ Und Nannei rieb zu diesen Worten mit den Fingern ihre Stirn.

„Das habe ich selbigsmal schon g’merkt!“ lachte Festei.

Da betraten sie die Stube. Nannei ließ den Adler zu Boden fallen; Festei legte den seinen daneben, kniete vor den beiden Vögeln auf die Erde und zog aus der Brust eines jeden die längste, schönste und wolligste Flaumfeder.

Nun sprang er wieder auf die Füße, legte die beiden weißen Federbäumchen sorgsam an einander und reichte sie lächelnd dem Mädchen hin.

„Da Nannei – nimm! Die g’hören Dein – die zwei! Schöner kann ich Dir ’s net geben, weil ich’s schöner net g’funden hab’.“

Nannei erschrak förmlich; mit beiden Händen schob sie das Geschenk zurück, während es von ihren Lippen sprudelte:

„Na Festei, na, na, na – gewiß net! Schau – freuen thut’s mich schon, wann mir a Federl schenkst – aber gewiß net wegeln Hochmuth, daß ich auch ein’s auf’m Hütl hab’ – na, blos weil’s von Dir is und von Deine Adler. Aber schau, ich bin ja lang schon z’frieden, wann mir ’s kleinste schenkst und ’s schlechteste, das an gar kein’ Menschen net verkaufen kannst. Aber die zwei net – für so zwei Stammerln kriegst ja g’wiß a zwanzig Mark!“

„Und wann ich tausend krieget, und hunderttausend und noch viel mehr – die zwei sollst Du haben und sonst kein Mensch!“

„Na, Festei – na – na!“

„Nannei – schau – wann Du’s net nimmst – g’wiß wahr – nachher kannst mich schon verzürnen – und sixt – kein’ Wörtl red’ ich mehr mit Dir!“

„Jesses na! Da – da muß ich’s freilich nehmen!“ stammelte Nannei und griff mit hastigen Fingern nach dem rührsamen Flaume – und da sie die selten schöne Hutzier nun in Händen hielt, brach ihr doch die helle Freude aus den Blicken.

Im Uebermaß dieser Freude vergaß sie völlig, Festei ein Wort des Dankes zu sagen. Der aber dachte gar nicht an Dank; mit glücklichen Augen sah er zu, wie Nannei eilends ihr Hütchen holte, wie sie mit zitternden Händen den Flaum hinter die grünen Schnüre schob, wie sie den geschmückten Hut auf die vollen Zöpfe drückte und schmunzelnd in einem winzigen Spiegel sich besah.

„No – no – da wann ich ’nunterkomm’ in’s Thal,“ so plauderte das Mädchen überfröhlichen Tones vor sich hin, „da muß ja jetzt die reichste Bauerntochter an völligen Neid auf mich kriegen! Und d’ Leut’ – mein – die werden reden – und ’leicht sagen’s gar, ich hätt’ schon an Schatz, der mir’s g’schenkt hat, und – –“ Da plötzlich verstummte sie mitten im Worte, und dunkel schoß ihr das Blut in die Wangen. „Ich bin aber doch schon a recht hoffärtige Dingin!“ sagte sie leise und schritt mit gesenkten Blicken in die Kammer, um den jetzt so kostbaren Hut zu verwahren.

Als sie nach langer Weile wieder in die Stube znrückkehrte, schritt sie dem Herde zu, mit den hastigen Worten: „Gelt, Festei – jetzt wirst an rechten Hunger haben! Aber wart’ nur, jetzt kriegst nachher gleich ’was, und ganz ’was gut’s!“

Festei war so eigen schweigsam geworden – und Nannei hätte die Geschichte des Adlerfanges wohl kaum sobald erfahren, würde sie den Jäger nicht mit bittenden Worten an sein Versprechen gemahnt haben.

„Weißt – das war fein a tüchtiger Marsch, heut’ in der Nacht, da ’nunter und wieder ’rauf,“ begann er. „Aber ich hab’ mir denkt, was am Spiel is, und so hab’ ich’s z’wegen ’bracht, daß ich um a zwei in der Fruh schon droben war am Sand unter’m Schneiber. No – dasselbige Gams, das hab’ ich bald g’funden g’habt, und wie am Himmel d’ erste Lichten auf’zogen is, hab’ ich’s Eisen g’legt. Nachher bin ich fort – ’nüber in’s G’jaid – da hab’ ich mir a schöns Platzl ausg’sucht und hab’ mich niederg’legt, damit ich mich tüchtig ausschlafen könnt’. Wie ich derwach’ und schau auf d’ Uhr, da is’ schon auf a zwei z’ Mittag zu’gangen. Jetzt hat’s mich gleich ’nüber ’trieben – ja – und wie ich in d’ Näh’ vom Eisen komm’, da hab’ ich schon a fürchtig’s Reißen und Fludern[28] g’hört – und wie ich so ’nausschau durch d’ Latschen am Sand – weißt, ich hab’ g’meint, d’ Freud’ bringt mich um – da is der Adler schon dring’hängt im Eisen mit alle zwei Fäng’! Den hab’ ich Dir aber so geschwind beim Krawattl g’habt! Und weißt – wie ich g’rad so damit umhantir’, da schau ich im Zufall gegen d’ Höh’ – ja, ich hab’ g’rad g’meint, ’s ganze Blut steht mir ab – da streicht der ander’ schon daher über d’ Rothleitenschneid’. Mit ei’m Satz war ich drin in die Latschen, hab’ stad mein’ Büchsen herg’richt – und nach einer Weil’ – da war der Adler schon da, hat sich a bißl verhalten in der Höh’ – und nachher is er aber schon ’reing’fallen auf’s Gams, ich hab’ g’meint, er derhaut sich selber. Da kracht’s aber schon bei mir – g’rad hing’rissen hat’s ihn am Sand – a paar Rackler[29] noch hat er ’than – nachher is er dag’legen, maustodt.“

„Das war freilich a Glück!“ lachte Nannei. „Ich sag’s ja – der heilige Antonius – über den geht halt nix!“

Nun aßen sie mit einander; dann steckte Festei sein Pfeifchen an, Nannei that den Rest ihrer Arbeit, und dazu plauderten und lachten sie, bis es Nacht geworden war.

Da mit einem Male hob der Jäger lauschend den Kopf – und auch der Teckel mußte ein verdächtiges Geräusch vernommen haben, denn knurrend fuhr er vom Lager auf und sprang mit lautem Bellen der geschlossenen Thür zu.

„Was is denn da draußen?“ murmelte Festei, öffnete die Thür, den Hund zurückdrängend, umschritt die Hütte und horchte hinaus in die Nacht.

Da war alles stille; ab und zu nur tönte die Glocke einer der Kühe, die um die Hütte her im Grase lagen.

Festei aber dachte an die frischen Trittspuren, die er droben am Hundstod im Sande wahrgenommen hatte.

Er kehrte in die Stube zurück, und da frug ihn Nannei:

„Was war’s denn? Han?“

„Mein – wird ’leicht a Hirsch g’wesen sein, der vorbeig’wechselt is. Aber es is g’rad gut, daß ich aufg’standen bin – [154] weißt, es is schon spät in der Zeit – und ’s Schlafen thut uns all’ zwei recht noth!“

Er hängte die Büchse um die Schulter und schob die gekreuzten Fänge der beiden Adler wieder über den Bergstock.

„Machst aber a rechtes Gesicht auf amal!“ schmollte das Mädchen. „Was hast denn? Han, Festei! Ich hab’ Dir doch ’leicht nix ’than?“

„Na, Deandl, na! Gewiß net! Aber schau – weißt – ich bin halt recht müd’.“

„Geh! No schau – da will ich Dich nachher freilich nimmer verhalten, so lieb mir’s gewesen wär’, wann noch a bißl ’plauscht hättst mit mir!“

So nahmen sie mit festem Händedruck und einem herzlichen „Gute Nacht“ von einander Abschied – und wieder blieb Nannei auf der Schwelle stehen, bis sie droben im Jägerhäuschen die Thür poltern hörte.

Eine geraume Weile verging – dann öffnete sich diese Thür wieder, vorsichtig und leise – und lautlosen Schrittes stieg Festei durch die Nacht hernieder.

[167] Durch das Fensterchen der Almstube schimmerte noch ein mattes Licht, das aber bald erlosch.

Unfern der Hütte ließ sich Festei in gedeckter Stellung zwischen zwei Steinklötzen nieder.

In tiefer Stille verrannen dem Jäger die Stunden.

Mit einem Male – es mochte Mitternacht wohl schon vorüber sein – begannen ihm die Hände zu zittern, und ein kalter Schauer lief ihm über den erhobenen Nacken. Es war ihm, als hätte er ein Geräusch vernommen, wie das Knirschen eines Schuhes auf lockerem Kiese.

Er bohrte die Augen durch die Finsterniß – und gewahrte, im Dunkel eben noch erkenntlich, eine hohe, männliche Gestalt, die sich lautlos an der Hüttenwand entlang tastete, in der Richtung nach der Thür.

[168] Fester spannte der Jäger die Finger um seine Büchse, sprang auf und rief:

„Wer is da?“

Keine Antwort kam. Aber der da drunten stand regungslos eingedrückt in den schwarzen Schatten des vorspringenden Daches.

Einige Schritte that Festei der Hütte zu – und wieder rief er:

„Reden! Oder –“

Da löste die Gestalt sich aus dem Schatten, huschte in langen Sprüngen an der Hüttenwand dahin, verschwand um die Ecke – und nach einer Weile hörte Festei die flüchtigen Tritte des Enteilenden auf dem thalwärts führenden Pfade verklingen.

Eine Verfolgung wäre zwecklos gewesen. So schritt der Jäger seinem Posten wieder zu und hier verharrte er, bis auf den Spitzen der Berge das erste matte Roth erschien.




7.

Das war der erste Morgen. an welchem Festei nicht in die Sennhütte kam. Immer und immer wieder trat Nannei über die Schwelle und blickte hinauf nach dem Jägerhäuschen; da droben aber blieb die Thür geschlossen.

Am Ende dachte sich das Mädchen, daß Festei wohl schon vor Tageslicht mit seiner gestrigen Jagdbeute hinuntergestiegen wäre in’s Thal. Damit traf sie auch das Richtige. Freilich – so meinte sie – mit einem Wörtchen wenigstens hätte er von dieser seiner Absicht zu ihr sprechen sollen. Sie nahm sieh ernstlich vor, mit Festei zu schmollen, und dachte sich schon die zürnenden Worte aus, womit sie ihn empfangen wollte – als aber bei Anbruch der Dämmerung der Jäger raschen Ganges über den Steig einhergewandert kam, da entflog ihr dieser Vorsatz in alle Winde.

„Grüß’ Dich Gott, Nannei! Is wer dag’wesen heut’ – bei Dir – han?“ Das waren Festei’s erste Worte.

„Na, kein Mensch net!“ sagte Nannei und schaute mit sorglichen Blicken in des Jägers Antlitz, dessen Wangen so blaß, dessen Augen so dunkel umrändert waren. „Schaust net gut aus, Festei! Han – fehlt Dir ’leicht ’was?“

„Ah na! Müd’ bin ich halt!“ erwiderte raschen Wortes der Jäger, den Nannei’s Rede bereits in bessere Laune zu bringen schien.

Während sie nun zusammen in die Hütte schritten, berichtete Festei, welch’ ein Glück er mit den beiden Adlern gemacht habe.

„Weißt – wie ich’s drunten in der Ramsau so vorbeitrag’ am Wirthshaus,“ erzählte er, „da hat mich so a Stadtherr ang’redt und hat mich gar nimmer aus’lassen, bis der Handel fertig war. Drei hundert baare Mark hat er mir hin’zählt am Tisch. Da drum hab’ ich’s schon geben können – meinst net?“

Indessen Nannei dieses Glück in freudigen Worten pries, nahm Festei seinen Rucksack ab und legte ihn auf die Herdbank. Dabei wurde ein wirres Tönen und Klingen vernehmlich.

„Ja was hast denn da drin?“ frug das Mädchen verwundert.

„Mein’ Zither hab’ ich mit’bracht. Weißt – weit her is mein Spielerei net – aber so diemal a Stund’ am Abend kann’s ei’m doch vertreiben.“

Diese Bescheidenheit war durchaus keine grundlose. Wie Festei zum ersten Male spielte, erwies er sich wirklich als kein allzugroßer Meister auf diesem Instrumente – und doch kürzte die Cither den Beiden in den nun folgenden Wochen nicht nur manche Stunde, sondern ganze Abende. Nannei konnte sich an den einfach lieblichen Tönen nicht satt hören – und auch Festei schien lieber zu spielen als zu plaudern. Er war nicht mehr so unbefangen fröhlich wie in früheren Tagen. Besonders in den Morgenstunden, wenn er vor seinem Gang in die Berge einige Minuten in der Hütte vorsprach, da schaute sein Auge so ernst, so übernächtig und müde.

Nannei rechnete dem Jäger diese Besuche gar hoch an, da sie sich sagen mußte, daß ihr Dschapei solch’ einer unausgesetzten Fürsorge in Wahrheit gar nicht mehr bedurfte. Die Risse auf seinem Rücken und die Schürfwunden an Brust und Kehle waren lange schon vernarbt; auch der verletzte Huf war bereits seit Tagen des Verbandes ledig. Die Heilung des gebrochenen Fußes [169] brauchte freilich ihre Weile; es ging schon die zweite Augustwoche ihrem Ende zu, als Festei den Lehmverband zu lösen sich getraute – und als wieder eine Woche verflossen war, trippelte das Dschapei schon wohlgemuth in den Grasplätzen vor der Hütte umher.

Das war nun ein Samstag. Oben am Trischübl war bei der andauernden Sommerhitze die Trinkwasserquelle versiegt, und so stieg die Sennerin kurz vor der Essensstunde, wie schon seit einigen Tagen immer, um einen Ganter voll frischen Wassers zu holen, in das tiefere Thal hinunter, durch welches der Bartholomäer-Steig emporleitet, gerade in entgegengesetzter Richtung des Griesthales.

Als Nannei, die Füllung des Eimers erwartend, vor der Quelle stand, die auch nur mehr in einem dünnen Faden Wasser gab, hörte sie näherkommende Tritte. Sie blickte den Steig entlang – und sah den alten Wofei schwankenden Ganges einherkeuchen.

Wie der Alte das Mädchen gewahrte, blieb er eine Weile mit wackelndem Kopfe stehen, dann kam er näher geschlurft, in kaum verständlichen Worten vor sich hinmurmelnd: „Ueberall – bist überall – da kann ich nix dafür!“

„Wo willst denn hin heut’? ’Leicht zu mir?“

„Na – net zu Dir – na - gewiß net! Weißt – suchen muß ich – suchen – ja – ich bringe Dir ihn nachher schon!“

„Wofei! Wofei! Ich mein’ allweil, Du hast heut’ schon wieder a bißl z’viel g’laden. Kannst ja kaum stehen! Geh – scham’ Dich doch!“

„Ja – ja – ich weiß schon – es is a Sünd’ – a fürchtige Sünd’ – drum laßt’s mir auch kein’ Ruh net – aber macht nix – ich find’ ihn schon – kenn’s ja ganz g’nau – ’s Platzl! Mußt Dich net sorgen – na – gar net – sei nur stad –“ Und mit zitternden Händen tastete Wofei nach dem Arme des Mädchens.

Scheu wich Nannei vor ihm zurück, hob den kaum zur Hälfte gefüllten Ganter auf die Schulter und stieg nach flüchtigem Gruße der Höhe des Trischübls zu.

Wohl fürchtete sie, daß der Alte ihr folgen möchte. Da sie aber einmal das Gesicht wandte, gewahrte sie, daß Wofei schon den Steig verlassen hatte und auf Händen und Füßen den steinigen Graben hinankletterte, der unter die Wände des Gejaidberges emporführt.

Was mochte er da oben nur zu suchen haben?

Nannei war allzuwenig neugierig, um sich lange mit dieser Frage zu beschäftigen.

Als sie die Hütte erreichte und auf die Stubenschwelle trat, hätte sie vor freudigem Schreck schier gar den Ganter zu Boden fallen lassen.

Auf der Herdbank saß die alte Baslerin und rief mit lächelndem Munde ihrem Kinde einen herzlichen Gruß entgegen.

„Ja Mutterle, Mutterle! Ja grüß’ Dich Gott!“ jubelte Nannei, die dürren Finger der Alten mit beiden Händen umschlingend. „Na – so a Freud’! Geh, so sag’ nur g’rad, wie geht’s Dir denn – han? Und bist denn net recht müd’?“

„A bißl schon – weißt – aber ich hab’s heut’ recht gut ’troffen. Der Untersteiner Wirth, der hat im Wimbachschloß mit sei’m Wagerl an Gawalier abholen müssen, und da hab’ ich bis mit’reinfahren können. Von drunten da’rauf, das hab’ ich leicht in a dritthalb Stund’ dermacht.“

„O mein, o mein! Aber gelt, Mutterle, jetzt bleibst schon a paar Tag’ bei mir heroben?“

„Aber Nannei! Was denkst denn? Ich kann doch unser Häusl über Nacht net allein stehen lassen – und nachher – wann ich schon so gut auf die Füß’ bin, da müßt’ ich mir an argen Vorwurf machen, wann ich morgen am Sonntag die heilige Meß’ versaumet. Na, na – das därf net sein! Weißt – am ’Nunterweg, da geh’ ich über Bartlmä – ja – und wann ich mich da um a drei auf d’ Füß’ mach’, find’ ich drunten leicht noch a Schiffgelegenheit nach Königssee.“

Die Aussicht auf ein nur so kurzes Zusammensein trübte wohl Nannei’s Freude. Da aber all’ ihre Bitten und Einwendungen fruchtlos blieben, beschied sie sich endlich.

Nun ging es an ein Schwatzen und Plaudern!

[170] Die alte Baslerin hatte freilich wenig zu erzählen. Ihr war ein Tag vergangen wie der andere, beim Klappern der Stricknadeln, in der Sehnsucht nach ihrem Kinde und in der immer regen Sorge um sein Wohl.

Desto mehr wußte Nannei zu berichten – vor allem die ganze, lange Leidensgeschichte ihres Dschapei. So oft sie dabei auf Festei zu sprechen kam, dessen Namen sie, wie häufig er auch von ihren Lippen klang, immer wieder mit einem neuen lobenden Eigenschaftsworte zu schmücken wußte, nahm das Gesicht der alten Baslerin einen gar gespannten und forschenden Ausdruck an. Wurde Nannei in der Erzählung von ihrer Mutter mit einer Frage unterbrochen, so betraf diese Frage gewiß nicht das Dschapei, sondern stets nur seinen Retter – und so kam es ganz von selbst, daß sich alle Hin- und Widerrede schließlich nur um Festei drehte, daß Nannei alles bis in’s Kleinste berichtete, was sie von ihm und seinem Leben wußte.

„Ja, Mutterle – ich sag’ Dir’s – schau – das war halt doch a Glück, daß ich selbigsmal den Festei ’troffen hab’,“ betheuerte Nannei, während sie das inzwischen zubereitete Mittagsmahl zur Seite ihrer Mutter auf das Bänkchen setzte.

„A Glück?“ that die Baslerin ganz erstaunt. „Ja warum denn a Glück?“

„No – wann der Festei net g’wesen är’, hätt’ ja mein Dschapei, mein arms, ganz elend z’Grund geh’n müssen! G’wiß wahr. Mutterle – das is a so a guter, lieber Mensch – der Festei –“

„Soso – soso –“ murmelte die Mutter kopfnickend vor sich hin.

„Ja – schau – am Abend kommt er wieder. Und g’rad schad’ is, daß Du net bleiben kannst, damit ihn triffst. G’wiß wahr – der thät’ Dir selber g’fallen – der Festei – ja!“

„So? Meinst? Ja, ja – kann sein! Ja – hm –“ Mit gefurchter Stirn und unruhig blinzelnden Augen schaute die alte Baslerin eine Weile auf ihre im Schooß gefalteten Hände nieder, dann fuhr sie plötzlich auf, so polternd und zornig, daß Nannei ordentlich erschrak: „Jetzt red’ net allweil! Da – da setz’ Dich her – und iß!“ Als sie aber gewahrte, wie verblüfft das Mädchen ob dieser heftigen Worte dareinschaute, fügte sie in milderem Tone bei: „Wird ja alles ganz kalt!“

Da setzte sich Nannei lächelnd auf die Bank und leistete dieser Aufforderung wacker Folge.

Bald aber ließ sie den Löffel wieder ruhen, begann des Neuen von Festei zu plaudern, erzählte von dem glücklichen Adlerfange, von dem noch glücklicheren Verkaufe der beiden Vögel und sprang vom Essen hinweg in die Kammer, um der Mutter die kostbare Hutzier zu zeigen, mit der ihr Festei eine so „fürchtige Freud’“ gemacht hatte.

Die alte Baslerin hörte das Alles schweigend an – und immer sorglicher und sorglicher gestaltete sich ihre Miene, welcher Umstand sie aber durchaus nicht hinderte, die Pfanne bis auf das letzte Bröselchen zu leeren.

„Komm’, Nannei – setzen wir uns ’naus auf’s Bankl! Ich muß a bißl Luft schnappen!“ sagte sie, mit dem Rücken der Hand die Lippen wischend und der Thür schon entgegenschreitend.

Es war so schön da draußen. Rings um die Hütte lag der warme Sonnenschein, während das vorspringende Dach auf die Bank seinen behaglich kühlen Schatten warf. Da saßen nun die Beiden. Nannei wies der Mutter die beliebtesten Weideplätze ihrer Pfleglinge und pries die Schönheit ihres Almgebietes.

„Und schau, Mutterle,“ sagte sie schließlich, „da droben, da steht ’s Jaagerhäusl. Da haust jetzt der Festei – ja.“

„Soso – der Festei – soso!“ raunte die Alte und lockte mit schnippenden Fingern das Dschapei zu sich heran, das sich soeben aus dem Schatten eines mächtigen Steinblocks erhob. Mit schläfrigen Augen kam das Thier einhergetrippelt und legte den Köpf in den Schooß der alten Frau. „Und – ja – was ich fragen will –“ sagte diese, dem Dschapei mit rührigen Fingern die beiden Ohren krauend, „gelt – er is die Zeit her wohl recht oft zu Dir in d’Hütten ’kommen – der Festei?“

„No freilich! Weißt – er hat ja an jedem Morgen und Abend nachschauen müssen, wie’s mei’m Dschapei geht!“

„Soso! Ja, ja! Aber jetzt – jetzt is ja Dein Lamperl g’sund?“

„Mein – das macht nix! Er kommt deswegen doch! Und g’wiß – ich bin recht froh drum. Weißt – man hat doch an Ansprach’. Und mit’m Festei is gar a guts Reden.“

„No – Du mußt’s ja wissen. Aber – sag’ – von ’was redts denn nachher allweil, wann er so da is am Abend?“

„Du mein Gott – da geht’s uns gar net aus! Er verzählt von sei’m Dienst und von seiner Jagd – und ich von meiner Almerei – und von Dir, Mutterle, mein, von Dir reden wir so viel! Ja – und jetzt hat er sein’ Cithern heroben, da spielt er fast an jedem Abend. Weißt – gar arg gut spielen thut er net, aber man hört’s doch gern – weißt – so viel G’müth hat er halt in sei’m G’spiel.“

„No ja – Cithern – mein – das is ja recht a schöns Instrament – aber –“ und mit einem ängstlich forschenden Blicke hing die alte Baslerin am Gesichte ihres Kindes, „sag’ – wie redt er denn so von Dir – han? Gelt, er sagt Dir ’leicht recht oft, daß Du a gar a liebs und a saubers Deandl bist – und - und – daß D’ihm recht g’fallen thust – han?“

„Ah na!“ betheuerte Nannei allen Ernstes. „So ’was hat er noch nie net g’sagt. An so ’was denkt er gar net – der Festei! Ah na – der net! Aber weißt – da hat mich Einer ang’sprochen – selbigsmal, wie ich auf’trieben hab’. Das is Dir so a kecker Mensch g’wesen! Ja – der!“ Und in wortreichem Geplauder erzählte Nannei ihrer Mutter von den beiden Begegnungen mit Korbini.

„So an unverschämter Kerl – so an unverschämter!“ brauste die alte Baslerin auf. „No also – schau – und da soll ich mich net sorgen, daß Du so allein daheroben bist – ohne Schutz und Hülf’ –“

„Aber Mutterle – is ja der Festei da!“

Dieser Einwurf brachte die alte Frau ganz aus der Fassung. Heftige Worte schienen ihr auf der Zunge zu liegen – und ein paar Mal auch öffnete sie die Lippen wie zu ungestümer Rede – dann aber schüttelte sie seufzend den grauen Kopf und rückte näher zu dem Mädchen heran.

„Schau, Nannei – Du hast Deine achtzehn Jahr’, bist also doch schon im Alter, daß man von so ’was zu Dir reden kann –“ sagte sie mit einer zwar milden, doch eindringlichen Stimme. „Da hast es jetzt schon g’sehen – an dem von Saalfelden – wie so a Bursch diemal is zu ei’m Deandl. Und so wie der is, so sind die Meisten heutigen Tags. Aber ich weiß – Du bist a bravs, a richtigs Deandl – so ’was verschlagt net bei Dir! Und das sind auch noch lang net die G’fahrlichsten, die gleich so grob dreingreifen. Aber schau – so Einer – weißt – der allweil so gut und heilig daherredt, als ob er keiner Fliegen an der Wand ’was anhaben könnt’, und der –“

„Du, Mutterle,“ warf Nannei mit stockenden Worten ein, „Du – Du meinst doch net den Festei?“

„Ah na –“ hastete die alte Baslerin, während ein dunkles Roth ihre faltigen Wangen überzog. „An den denk’ ich ja gar net! Der – mein – der! Der will Dir nix! Aber weißt – ich mein’ halt – wenn so Einer – so Einer, wie ich g’rad g’sagt hab’ – wenn der halt z’samm’trifft mit so ei’m jungen [171] Deandl, und er is allweil der Gute und Brave und redt so schön und schmalzig daher – ja – da hat’s es gleich, und ’s Deandl is verschossen bis über’n Hals! Und wenn er nachher net an ehrlicher Mensch is - nachher - - Aber ich will von so ’was noch gar net reden! G’setzt den Fall, er is a braver Bursch – o mein! Weißt, Nannei – ’s Lieben, das geht g’schwind, aber ’s Leben, das is härter! Da wird gar net denkt und gar net überlegt, da rennt man g’rad ’nein mit’m Kopf und mit’m Herzen – ja! Schau, mein liebs, liebs Deandl, ich hab’s ja selber derlebt! Ich bin auch so droben g’wesen am Berg’ – so ganz allein – und hab’ mein’ Muckei kennen g’lernt – und auch zu mir is Einer ’kommen und hat so g’redt, wie der saubere Saalfeldner zu Dir – kennst ihn ja, den alten Wofei, den versoffnen – selbigsmal is er noch a Holzknecht g’wesen – ja – und kein’ Ruh’ net hat er mir g’lassen, bis ihm net mein Muckei den Buckl amal so recht verdroschen hat –“

„Der Wofei! Der Wofei!“ sprach Nannei leise vor sich, und sie meinte nun so manche von den wirren Reden des Alten zu verstehen. Sie wollte von dem seltsamen Gebahren Wofei’s erzählen – da aber sprach die Mutter schon wieder weiter.

„Schau, Nannei, Dein Vater is a Mensch g’wesen; so a seelenguter, wie’s auf der ganzen Welt kein’ Zweiten nimmer giebt – und drum haben wir uns auch so g’schwind verstanden, und Kein’s hat ’denkt, daß er nix hat und ich nix hab’. G’wiß wahr – ich müßt’ lügen, wann ich sagen wollt’, daß ich’s um meinetwillen an einzige Stund’ bereut hab’. Mein ganz’ Herz hat ihm g’hört – und wie ihn d’Leut’ selbigsmal ’bracht haben – so – so – schau – da hab’ ich g’meint, es reißt mir Alles aus einander in mir drin – und hing’worfen hab’ ich mich über ihn und hab’ g’rad allweil g’schrieen: Muckei! Mein Muckei! Mein armer Muckei –“

Ein krampfhaftes Schluchzen unterbrach die Worte der alten Baslerin, und während sie mit der einen Hand die Augen bedeckte, schlang sie den andern Arm um den Nacken ihres Kindes, welches mit leisem Weinen das Gesicht an der Mutter Schulter lehnte.

Mit schiefem Kopfe und großen Augen schaute das Dschapei eine Weile zu den Beiden auf, dann schüttelte es die Ohren und trippelte aus dem Schatten hinaus in den warmen Sonnenschein.

„Und wenn ich jetzt so ’nüberschau an dieselbige Wand,“ sprach die Baslerin unter Thränen und Schluchzen weiter, „da steigt’s mir wieder ’rauf, – mein’ Lieb’ und mein Leid! Aber schau – Alles, Alles wäre anders g’wesen, wann ich und Dein Vater – unser lieber Herrgott hab’ ihn selig – net so blind ’neing’heirath’ hätten in Tag. G’rad rennen und schaffen hat er müssen von der Früh bis in d’späte Nacht, der arme Kerl, daß er ihm und mir und nachher auch Dir das bißl Leben verhalt’ – und wer bei uns heraußen in die Berg’ nix hat, der muß sich zu jeder Arbeit schicken, wann’s gleich an Arbeit is, wo’s Sterben mit ei’m Hand in Hand geht bei jedem Schritt und Tritt. Und ’s Weib daheim, das hat keine ruhige Stunde vor lauter Angst und Sorge – und legt der liebe Herrgott nachher noch sein’ schwere Hand auf Ein’, so wie bei mir – nachher sitzt man drin in Noth und Kümmerniß und Elend. Und schau, mein liebs, liebs Deandl – schau – ich bin ja net so, wie andere Mütter oft, die ganz obenaus wollen mit ihre Kinder – aber schau – wann ich auch von ganzem Herzen wünsch’, daß amal Ein’ findst, der Dich so gern hat, wie Dein Vater Dein’ Mutter g’habt hat, und an dem auch Du g’rad so hängen kannst mit der ganzen Seel’ – schau – so möcht’ ich doch Dir verspart wissen, was ich im Leben derfahren hab’ an Sorg’ und Elend. Drum nimm Dein Denken halt in Acht – und häng’ net gleich Dein Herz an Ein’, der Dir schon g’fallt am ersten Blick und am ersten Wort – und wann sich amal ’was rührt in Dir, nachher schau halt auch a bißl zu, ob die Sach’ a Ziel und an Absehn hat – und denk’ an so ’was net erst, wann’s lang schon z’spät is!“

Regungslos hielt Nannei den Kopf an die Hüttenwand gelehnt, und unter ihren gesenkten Lidern rannen langsame Thränen hervor.

„No schau – da mußt jetzt net weinen!“ mahnte die Mutter, indem sie sich selbst die noch feuchten Augen trocknete. „G’rad a bißl z’Herzem nehmen mußt Dir, was ich jetzt g’sagt hab’. Allweil is mir das auf der Seel’ g’legen, daß ich’s amal ’rausbring’. Und drum hat’s mich auch ’rauf’trieben zu Dir.“ Und leise fügte sie bei: „Zu unserm Herrgott will ich hoffen, daß ich net selber schon z’spät ’kommen bin.“ Dann erhob sie sich und schüttelte die Röcke. „Und komm’, Nannei, komm’ – jetzt geh’n wir a bißl umeinander und schauen Deine Küh’ an!“

Seite an Seite schritten sie über das Weideland dem Hange zu, von welchem die Almenglocken einhertönten.

Als eine Stunde später die Mutter sich zum Heimgange rüstete, wollte ihr Nannei durchaus ein Stück Weges das Geleite geben. Das aber litt die Mutter nicht; sie meinte, Nannei hätte in den vergangenen Stunden ohnehin schon zu viel von ihrer Arbeit versäumt.

Herzlich und thränenreich war der Abschied.

Während dann die alte Baslerin achtsamen Fußes dem Steige folgte, schaute sie immer wieder feuchten Auges zu den Sigerethwänden empor.

Bei der Quelle, an welcher Nannei den alten Wofei getroffen hatte, verweilte sie eine Zeitlang und schöpfte sich mit der hohlen Hand einen Trunk des eiskalten Wassers. Dann pilgerte sie wieder sinnend ihres Weges dahin, bis sie lauschend einmal den Schritt verhielt. Schwere Tritte klangen – und nun sah sie an einer Biegung des Steiges einen jungen Jäger erscheinen, dessen Gestalt und Gesicht ihr gar wohl gefielen.

[184] Grüß’ Gott!“ so grüßte der Jäger mit freundlichem Blicke.

Die alte Baslerin vergaß völlig, den Gruß zu erwidern. Sie schaute dem Jäger nur immer in die Augen; schließlich frug sie gedehnten Tones:

„Han – Du – bist ’leicht Du derselbig’ Jaager vom Trischübl?“

„Ja.“

„Der Festei?“

„Ja. Und – wer bist denn Du?“

„Ich? Ich bin der Nannei ihr Mutter.“

Ein dunkles Roth flog über Festei’s Wangen. Er streckte der alten Baslerin die Hand entgegen und sagte:

„Schau – das freut mich schon recht – g’wiß wahr! Weißt – d’Nannei hat mir schon gar oft von Dir verzählt – ja – und so viel gleichschauen thust ihr! Wo kommst denn her – han?“

„No – auf B’such bin ich halt g’wesen bei mei’m Deandl.“

„Mein – die wird aber a Freud’ g’habt haben! Und wo willst denn jetzt hin?“

„Heim will ich, heim, ’nunter nach Bartlmä!“

„Ja mein, Mutterle,“ that Festei ganz erschreckt, „da bist ja weit vom Weg. Der Steig, der führt ja am Funtensee. Weißt – drunten, wo ’s Wasserl lauft, da hättst links ausbiegen sollen.“

Die alte Baslerin war völlig trostlos.

„No – geh – schau – so viel macht’s ja net aus,“ begütigte Festei. „Weißt – a bißl weiter vorn, da führt a Jagdsteig ’nunter am richtigen Weg. Und wann’s Dir recht is, nachher geh’ ich ganz gern so weit mit Dir, bis D’nimmer fehlen kannst.“

„Bist a recht a guter Mensch!“ nickte die Alte mit dankbarem Lächeln dem Jäger zu. „Geh nur – geh nur voraus – ich komm’ Dir schon nach.“

So schritten sie auf dem schmalen Pfade dahin und Festei mußte Nannei’s Mutter wohl für ein recht neugieriges „Weiberleut“ halten, da sie nimmer müde wurde mit Fragen und Fragen über seine Person, über seinen Dienst und sein Gehalt, über seine Herkunft und über den Stand seines Vermögens. Sie interessirte sich sogar für die Fristen, nach denen Festei’s Gehalt eine Aufbesserung erfahren sollte, wie für die Summe, zu welcher derselbe im besten Falle anwachsen könnte.

„Siebenhundertachtzig Mark im Jahr?“ plauderte sie mit wägendem Kopfnicken vor sich hin. „Ah ja – da kann Eins schon davon leben.“

„Und Zwei auch – leicht – wann man ’s Hausen a bißl versteht,“ entgegnete Festei mit hastigem Worte. „Es is doch ’was Sichers! Und nachher – die vielen Schußgelder – – und – für alle Fäll’ – weißt – d’Pansion is auch net schlecht.“

Die alte Baslerin machte ein recht bedenkliches Gesicht zu diesen Worten. Wie aber Festei jetzt von dem Reste seines mütterlichen Vermögens sprach, von den elfhundert Mark, die als erste Hypothek auf einem großen Bauerngute lagen, und zu denen sich jetzt noch die dreihundert Mark von den beiden Adlern gesellten, [186] da hellte sich ihr Antlitz auf, und ein vergnügliches Lächeln lagerte sich auf ihren Lippen.

Als die Beiden die Unterlahner Alm erreichten, von welcher aus auch ein Blinder den Weg nach Bartolomä gefunden hätte, da mahnte die alte Baslerin selbst den Jäger zur Umkehr.

Mit allen Fingern umspannte sie Festei’s rechte Hand und sah ihm mit einem guten Blick in die Augen:

„No also – jetzt grüß’ mir halt mein Nannei recht schön von mir,“ sagte sie. „Und – kannst ihr ausrichten, daß’s mich recht g’freut hat, weil ich Dich hab’ kennen lernen. Ja – bist a recht a guter Mensch! G’fallst mir!“ Und mit schmunzelnden Lippen frug sie: „Han – mein Nannei? Was sagst denn zu mei’m Nannei?“

„Mein – was is da zum sagen!“ stammelte Festei, während ein tiefes Roth sein Antlitz überzog.

„Gefallt’s Dir? Han?“

„Schau, Mutterle – das hab’ ich mich selber noch net g’fragt. Aber Eins weiß ich – daß ich versterben müßt’, wann ich d’Nannei net zum Weib sollt’ kriegen!“

Der herzinnige Ton dieser Worte trieb der alten Baslerin das helle Wasser in die Augen.

„Ja, ja – und schau – ich hab’ im Grund gar nix dagegen – weißt – seit ich Dich kenn’. Und – ich mein’ allweil, mein Nannei is Dir auch recht gut – aber weißt – wissen thut sie’s halt noch net. Sie wird’s aber schon noch merken – mein, da hab’ ich gar kein Angst net – mußt es aber net drängen, weißt, sie is halt noch arg jung. Und wenn sie’s nachher amal weiß – gelt, Festei – gelt – nachher – nachher –“ Eine Zähre um die andere kugelte der Alten über die Backen, während sie mit stockenden Worten zu den Augen des Jägers emporsprach. „Schau – haben thut’s net viel, mein Deandl – das bißl Häusl – das is ja kaum davon zum reden – aber weißt, brav is mein Nannei, brav – und gelt, Festei – da mußt halt schauen, daß ihr das bleibt! Weißt – d’Lieb’ – die verruckt ei’m halt diemal den Verstand – die macht ein’ ganz dumm – und drum – gelt, Festei – gelt – sei halt g’scheid – weißt – sei halt g’scheid!“

Die alte Baslerin zog ihr Tüchlein aus dem Rocksacke, wischte sich die Augen und schnäuzte sich mit großem Geräusche.

„Und jetzt b’hüt Dich Gott, Festei! Und ich dank’ Dir recht schön für Deine Führung.“

„Geh, Mutterle – es is ja so gern g’schehen. Und ’s Danken, das is ja ehnder an mir! Hast mir ja mein Glück gesagt! Und – sorgen brauchst Dich fein net – weißt – ich hab’s ja Alles z’gern, d’Nannei. Und – ja – somit b’hüt Dich halt Gott, Mutterle. Komm’ gut heim!“

„B’hüt Dich Gott, nochmal! B’hüt Dich Gott, Festei!“

So schieden die Beiden.

Die innerliche Erregung ließ die alte Baslerin schnellere Schritte machen, als es gut war für ihre Füße. Da empfand sie auch bald die Nothwendigkeit, eine kleine Weile zu rasten, und sie wählte dazu ein moosbewachsenes Plätzchen im Schatten einer herrlichen Fichte. Hier saß sie nun, mit dem Rücken wider den breiten Stamm gelehnt – und sann und rechnete, und rechnete und sann – ein leichtes Rieseln lief ihr durch die Glieder, am ganzen Leibe fühlte sie eine so wohlige Wärme – nach und nach begannen ihr die Gedanken zu stocken – und so lauschte sie dem Murmeln und Raunen des Schreinbaches, der zu ihren Füßen floß, und dem Summen der Schnacken, die ihr um die Ohren flogen – und da fielen ihr schließlich die schwer gewordenen Lider zu.

Als sie wieder erwachte, erschrak sie ordentlich vor den dunklen Schatten und dem dämmerigen Himmel.

Nun galt es Eile, wenn sie drunten am See noch eine Schiffgelegenheit erreichen wollte.

In Schweiß gebadet, langte sie nach einer Stunde im Bartolomäer Schloßhof an und sah gerade den letzten Nachen von der Lände stoßen. Doch ließen sich die Schiffer durch Rufen und Winken zu nochmaligem Anfahren bewegen.

Wie die alte Baslerin im dahingleitenden Kahne saß, da wischte und wischte sie immer mit ihrem Tuche, bald über das Gesicht, bald rings um den Hals.

Kalt und schneidend blies der abendliche Seewind über die hüpfenden Wellen.

Die alte Frau fing an zu frieren – und als der Nachen nach dreiviertelstündiger Fahrt um die Ecke des Falkensteines bog, wo der Wind noch schärfer einherzog, da rüttelte ein jäher Schauer den Rücken der Baslerin, und sie begann zu husten.




8.

Wohlgemuthen Schrittes und still vor sich hinlächelnd war Festei den mäßig steilen Weg zurückgewandert. Es zog ihn zu Nannei; er meinte die Stunde nicht mehr erwarten zu können, in welcher er wieder vor dem geliebten Mädchen stehen durfte, Hand in Hand und Aug’ in Auge, nun mit dem Bewußtsein, daß seinem Glücke nur die Zeit noch hindernd im Wege stünde.

Und doch – als er die Sigerethquelle erreichte und sinnend seinen Schritt verhielt, da ward seine Sehnsucht überwogen von dem Gefühle seiner Pflicht, die ihm für heute noch eine Begehung der Grenze vorschrieb.

So schritt er linkerseits vom Pfade und begann über das grobe Geröll des steilanziehenden Grabens emporzusteigen.

Wie er nun mehr und mehr den Sigerethwänden sich näherte, war es ihm ein um das andere Mal, als ob er von den Felsen des gegenüberliegenden Rauhenkopfes den Widerhall einer menschlichen Stimme vernähme. Jetzt bog er um eine schroffe, scharfkantige Wandecke und ward eines seltsamen Anblickes gewahr. Hart an der Felswand zeigte sich über dem Gerolle ein kreisförmiger Wall von Steinen aufgeworfen, und aus der Vertiefung, die er umschließen mußte, flogen immer neue Steine hervor, wozu auch ab und zu der graue Kopf eines alten Mannes auf und nieder tauchte. Aus der Grube klangen abgerissene Worte untermischt mit dumpfem Stöhnen und lauten Weherufen.

Hastigen Schrittes näherte sich Festei und erkannte jenen Alten, der bei Nannei’s Almfahrt den Karren gezogen hatte – den verrückten Wofei.

„Ja was is denn? Was treibst denn da?“ rief der Jäger dem Alten zu.

Für einen flüchtigen Blick nur hob Wofei das Gesicht, welches blutige Flecke zeigte, dann schüttelte er, wie aus Unwillen über diese Störung, die wirren Haare, beugte sich nieder in die Grube, darin er auf den Knieen lag, und warf mit beiden Händen wieder Stein um Stein empor.

„So viel – so viel Steiner – und noch net -“ hörte der Jäger ihn stöhnen und murmeln, „so viel – hätt’s net denkt – aber macht nix – ich kenn’ ja ’s Platzl – ich find’ ihn schon – oh – ich kenne ja ’s Platzl – allweil tiefer – drunten muß er ja sein – Jesus Maria! ’s Blut! ’s Blut!“ so klang es plötzlich in heiseren Schreien von Wofei’s Lippen, und schaudernd schleuderte er einen Stein beiseite, den er mit dem Blute seiner eigenen, jammervoll zerschundenen Hände befleckt hatte. Nun aber warf er sich mit dem ganzen Leibe über den Grund – und wie ein Hund in einem Maulwurfhaufen scharrt – so begann er mit beiden Händen im Geröll zu graben und zu scharren, die Steine bespritzend mit dem Blute, welches ihm aus allen Fingern quoll – wimmernd und wieder lautauf heulend:

[187] „Jetzt kommt er – es is ja ’s Blut schon da – ’s Blut – gelt – ich hab’s ja g’sagt – ich find’ ihn schon – ich kenn’ ja ’s Platzl – ja, ja – wo bist denn? han? – Bist denn gar so weit drunten – so viel Steiner – so viel – und so viel Blut –“

Länger konnte Festei den grausen Anblick nicht ertragen. Er beugte sich über den Steinwall, riß den Alten am Arme in die Höhe und rief ihm in’s Ohr:

„Geh – hör’ doch auf! Was machst denn da? Zerreißt Dir ja Deine ganzen Händ’!“

„Laß mich aus – Jesus Maria – laß mich aus,“ kreischte Wofei, „jetzt muß er ja kommen –“

Rasch legte Festei Büchse und Bergstock bei Seite, nahm auch die zweite Hand zu Hülfe, und so zog er den Alten mit einem kräftigen Ruck aus der Grube.

Wofei zeigte wohl den Willen, sich zu wehren, doch fehlte ihm die Kraft – und wie er nun, von Festei’s Arm gestützt, an der Felswand lehnte, mit starren Augen, mit lautlos sich bewegenden Lippen, mit zerrissenem Gewande und blutüberströmten Knieen, bebend am ganzen Leibe, da überkam den Jäger ein tiefes Erbarmen mit diesem Menschen, in dessen schaudervollem Gebahren er nichts anderes zu sehen glaubte, als den aberwitzigen Ausfluß eines gestörten Geistes.

Er hob den Hut des Alten von der Erde und drückte ihn über Wofei’s Stirne.

„Komm’ – geh weiter, Alter,“ sagte er mit gutherzig mahnenden Worten, „komm’ – jetzt führ’ ich Dich –“

„Führen?“ unterbrach ihn Wofei mit ängstlichem Gestammel, „Führen willst mich – soso – so einer bist Du – weißt, Dich kenn’ ich schon – ich weiß schon, wohin – ah na - nur net so g’schwind – drum sag’ ich Dir’s – laß mich aus – laß mich aus!“

Von Wort zu Wort hatte sich Wofei’s Stimme zu wildem, drohendem Geschrei gesteigert und mit dem Aufgebot all seiner Kraft versuchte er den Arm aus Festei’s Händen los zu winden.

„Du dummer Kerl – was hast denn?“ rief der Jäger und faßte den Alten nur so fester, um ihn vor einem Sturz in die Grube zu bewahren.

„Laß mich aus – ich sag’ Dir’s im Guten –“ heulte der Irre. „Weißt – Dich kenn’ ich schon – gelt – einführen[30] willst mich – aber weißt – da bin ich auch noch da – lieber stirb ich – als so a Schand’ – im Guten sag’ ich’s – laß mich aus – oder – oder –“

Da fühlte Festei an seiner rechten Schulter den brennenden Schmerz eines Bisses – und unter einem leisen Wehruf ließ er die Arme des Alten fahren, der mit johlendem Gelächter über das rasselnde Geröll dem Thal entgegenstürmte.

Mit der Hand die schmerzende Schulter reibend, schaute der Jäger kopfschüttelnd dem Flüchtigen nach, welcher, den Hut in den Nacken pressend, immer wieder im Laufe unter kreischenden Worten das Antlitz wandte:

„Hast es jetzt g’sehen – Du – ich bin net der – der sich fangen laßt – weißt – mit mir is net zum spaßen – ja – frag’ nur den Andern – er liegt ja droben bei Dir – hahaha! – da hat er g’schaut – wie ’s ihn ’nunter g’rissen hat – über d’ Wand – haha! – der schlagt mich nimmer – der net – so geh – so fang’ mich doch – was macht’s denn – kann’s ja keiner sagen – d’ Steiner sind’s ja gewesen – d’ Steiner.“

Wohl war der Alte den Augen des Jägers schon entschwunden, doch immer noch klang der Hall seiner schrillenden Worte vom Thal einher, und unheimlich widertönte sein wildes Gelächter zwischen den ragenden Felsen, bis es endlich in der tieferen Ferne verstummte.

„Der is verruckt! Der is ganz verruckt! Der arme Kerl!“ murmelte Festei mit bedauerlicher Miene vor sich hin; dann griff er nach Bergstock und Büchse und stieg, dem Fuße der Felswand folgend, langsam der Höhe zu.

Das war ein mühsamer Weg, den er gehen mußte, bis er den Hundstodgipfel erreichte – und doch, als er da oben sich niedersetzte auf den gar säuberlich behauenen Landesgrenzstein, da fühlte er kaum die Stirn ein wenig warm. Festei war gewohnt, solche Wege zu gehen; er ging sie ja täglich – und der eben zurückgelegte war ihm dazu noch recht kurz geworden unter den steten Gedanken an den alten Wofei.

Nach kurzer Rast erhob er sich wieder und wanderte sicheren, furchtlosen Fußes über den schmalen, zu beiden Seiten steil abfallenden Grat dahin.

Als er den Sattel erreichte, der die Rothleitenschneid von dem Hundstod scheidet, wandte er sich niederwärts und umkreiste, auf dem brüchigen Felsenhange tiefer und tiefer steigend, die Hundstodgrube in der Richtung des Rothleitengrabens.

Plötzlich verhielt er den Schritt – aus dem Griesthal herauf war der Hall und Widerhall eines Schusses an sein Ohr gedrungen.

Das wird der Jagdgehülfe vom Wimbachschloß gewesen sein, der wird wohl einen Rehbock geschossen haben! dachte sich Festei – und wie er es dachte, hörte er zu seinen Häupten in der Wand die Steine rappeln. Er schaute zur Höhe und sah auf einer vorspringenden Platte eine Gemsgaise stehen, die trotz der Sommerhaare ordentlich grau war vor lauter Alter.

Festei riß die Büchse zur Wange, im Auffahren den Hahn des Kugellaufes spannend, und zielte lange – es galt ja nun, einen tödtlichen Schuß zu thun, da ihm bei einem nur verwundenden Schusse der Hund gemangelt hätte, den er heute im Jägerhäuschen zurückgelassen hatte, um dem übermüdeten Thiere einmal einen ordentlichen Rasttag zu gönnen.

Nun krachte die Büchse – grollend rollte das Echo in dem weiten Felsenkessel hin und wider – das Thier da oben schlug die Vorderläufe in die Luft, stürzte und kollerte leblos vor die Füße des Jägers.

Obgleich nun Festei an dem glücklichen Schusse seine rechte Freude hatte, so wär’ es ihm doch wieder lieber gewesen, wenn ihm der Zufall „die alte Großmutter da“ zu anderer Zeit in den Weg geführt hätte. Da er seine Jagdbeute wegen der heißen Jahreszeit noch heute hinunterliefern mußte in das Wimbachschloß, so sah er sich durch diesen Umstand der Freude beraubt, den Abend in Nannei’s Gesellschaft zu verbringen. Und er hätte sich gerade heute so sehr darnach gesehnt, die Stunden der Dämmerzeit an der Seite des geliebten Mädchens zu verplaudern!

Jetzt war die Sache freilich nicht mehr zu ändern – und so lud er das Thier, nachdem er es aufgebrochen, seufzend hinter die Schultern.

Den Umweg jedoch über Nannei’s Hütte wollte sich Festei nicht gereuen lassen.

[188] Als er den holperigen Pfad über den Rauhenkopf herniederstieg und die Almhütte zu Gesicht bekam, meldete er, wie allabendlich, sein Kommen mit einem hallenden Juhschrei. Doch keine Antwort klang ihm entgegen.

Er beschleunigte seinen Gang – und rief, da er noch weite Schritte bis zur Thür hatte, mit heller Stimme Nannei’s Namen. Kein Laut gab ihm Antwort. Nur das Dschapei hüpfte ihm in kurzen Sprüngen entgegen und wollte gestreichelt sein.

Die Hütte fand er offen – und als er die Almstube betrat, da mochte er sich wohl aus dem Fehlen des Wasserganters die Abwesenheit des Mädchens erklären.

Es war ein weiter Weg bis znr Quelle hinunter – und es konnte eine Stunde, unter Umständen länger noch dauern, bis Nannei wiederkehrte. Da durfte er nicht warten.

Freilich dachte er, daß sich Nannei um ihn sorgen möchte, wenn sie von seiner Heimkehr keine Kunde hätte. Er löste deshalb ein Blatt aus seinem Jagdkalender und schrieb darauf die Worte:

„Lübe Nannei Ich hab ein Gams geschosen und mus es hinuntertragen ins Wimbachschlos. Bhüt dich also Gott biß morgen. In der Fruh bin ich schohn widder heroben. Mit achtungsvohlen Grusse
dein auffrichtiger Freind 
Sylvester Hindammer.“ 

Mit einem gespitzten Hölzchen spießte Festei diese Botschaft an die Hüttenthür.

Dann ging er hinauf nach dem Jägerhäuschen und befreite seine Bella, deren winselnde Freude über das Wiedersehn mit ihrem Herrn gar kein Ende nehmen wollte.

Wie Festei wenige Minuten spater unfern der Hütte auf dem thalwärtsführenden Steige dahinschritt, kam das Dschapei wieder auf ihn zugetrippelt und zeigte alle Lust, ihm das Geleit zu geben, sodaß er das anhängliche Thier zuletzt mit scheltenden Worten zurückscheuchen mußte.

Nun stieg er rüstig dem Thale zu und je mehr die Strecke sich dehnte, die den Jäger vom Trischübl trennte, desto schwerer ward ihm die Last auf seinem Rücken – desto schwerer ward ihm auch das Herz.

Da war die Griesalm erreicht, und Festei ließ sich zur Rast auf den Schwellenblock nieder; doch mahnte ihn die sinkende Dämmerung bald wieder zum Aufbruch.

Wie er nun so dem vielgewundenen, buschbegrenzten Pfade folgte, meinte er plötzlich in einiger Entfernung vor sich am Wege rasche Tritte zu vernehmen.

Wer anders konnte da gehen, als der Jagdgehülfe vom Wimbachschloß? Der trug wohl jetzt seinen Rehbck nach Hause – so dachte Festei und rief den Namen seines Dienstgenossen mit halblaut fragender Stimme über den Weg dahin.

Sein Ruf aber wurde nicht erwidert – und als er lauschend nun stehen blieb, Vernahm er auch nicht mehr das mindeste Geräusch.

Da hatte er sich wohl im Hören getäuscht – so meinte er jetzt – und was er gehört, war am Ende nur ein Stück Wildpret gewesen, das, von dem Herannahen des Jägers aufgescheucht, eine Strecke den Weg entlang gewechselt war. Eine frische Fährte war auf dem feinen, vielzerstapften Kiese freilich nicht auszunehmen. Festei neigte aber doch um so eher dieser letzten Ansicht zu, als nun sein Hund die Nase mit fieberndem Winden gegen die dichten, bei der tiefen Dämmerung für die Blicke schon undurchdringlichen Büsche hob.

„Komm’, Bella, komm’“ mahnte Festei im raschen Weiterschreiten das zögernde Thier.

Als er eine Stunde spater den Flur des Wimbachschlosses betrat, kam unter der Thür der Jägerstube der hier stationirende Jagdgehülfe, eine stämmige Gestalt mit rothblondem Vollbarte, ihm entgegen, ein brennendes Kerzenlicht hoch in der Hand emporhaltend.

„Grüß’ Dich Gott, Festei. Was bringst denn?“

„A galte Gamsgais, an uralte!“ erwiderte Festei, setzte seine Waidmannslast auf die Dielen und reckte und wand dann mit einem erleichternden „Ah!“ die Schultern; „No – und was hast denn Du g’schossen? Han?“

„Ich? G’schossen?“

„No ja – Du hast doch g’schossen!“ hastete Festei, „So zwischen fünfe und sechse – droben – im obern Gries.“

„Na! Net amal an Schuß g’hört hab’ ich! Um die Zeit war ich drunten bei’m Futterstadl!“

Festei fühlte, wie alles Blut aus seinen Wangen wich und wie ein eiskalter Schauer seinen Nacken umrieselte.

„Heilige Muttergottes,“ klang es stammelnd und stöhnend von seinen Lippen, „der Schuß – und dieselbigen Tritt’ – das is kein anderer g’wesen, als – und jetzt weiß er, daß ich – heilige Maria – b’hüt’ Dich Gott, b’hüt’ Dich Gott – ich muß fort – fort.“

Taumelnd wankte er der Flurthür zu.

„Aber so sag’ nur g’rad – so sag’ doch –“

Festei hörte die Worte des Andern nicht mehr – keuchenden Athems stürmte er schon hinaus in die finstere Nacht.

[203] Lange, lange war das Dschapei droben am Steige stehen geblieben und hatte verdutzten Blickes dem dahinschreitenden Jäger nachgeschaut. Scheltende Worte aus diesem Munde – das war ihm freilich eine ganz neue, verblüffende Erfahrung.

So trollte es schließlich mit nachdenklichem Hängekopf der Hütte zu, kroch unter die Holzbank, drückte den Kopf in die Ecke zwischen Hüttenwand und Boden und schloß die Augen.

Ob es dann die näherkommenden Tritte seiner Herrin überhörte, oder ob es nur zu träge war, sich zu erheben – gleichviel – es rührte kein Glied, nicht einmal die Lider, als Nannei, mit dem Wasserganter auf der linken Schulter, der Thüre zugeschritten kam.

„Ja – ja was is denn da?“ murmelte das Mädchen, als es den weißen Zettel gewahrte.

Die Nachricht, welche Nannei nun mit langsam sich bewegenden Lippen entzifferte, schien ihr keine willkommene zu sein. Nachdem sie gelesen, betrachtete sie das kleine Blatt ein paarmal von beiden Seiten und schob es dann unter einem lauten, stockenden Seufzer hinter das Mieder.

Still ging sie an ihre Arbeit – die ihr keine Freude machte; sie kochte ihr Abendmahl – das ihr nicht schmeckte.

„Na – so an Abend im Sommer – net zum derleben!“ grollte sie einmal vor sich hin.

Als sie schließlich alle Arbeit von den Händen hatte, war sie herzlich froh. Ohne Zögern wollte sie sich zur Ruhe legen.

Erst lockte sie das Dschapei in die Stube, dann schob sie an der Hüttenthür den hölzernen Riegel vor und untersuchte den Verschluß des Fensters, wie sie das bisher allabendlich gethan, bevor sie schlafen ging.

Das Dschapei war dem Herde zugetrippelt und hatte sich auf sein gewohntes Lager niedergestreckt.

Nannei kauerte sich eine Weile zu dem Thiere nieder – doch plauderte sie heute nicht zu ihm, wie sie das sonst so gerne that – sie fuhr ihm nur langsam mit den Fingern immer und immer wieder durch das lockige Vlies.

Endlich erhob sie sich, und seufzend schritt sie der Kammer zu. Hier stand sie eine Zeit lang an den Kreister gelehnt und schaute sinnend in das dämmerige Fensterlicht.

Nun löste sie das Brusttuch und legte das Mieder ab. Dabei fiel Festei’s Zettelchen zu Boden. Hastig bückte sie sich darnach und schob es an dem in der Wandecke befestigten Crucifixe fürsorglich hinter die Füße der hölzernen Christusfigur.

Noch streifte sie die Schuhe und Strümpfe von den Füßen, dann kniete sie nieder auf die rauhen Dielen, stützte die Ellbogen auf ihre Truhe, und die eine Wange gegen die verschlungenen Hände neigend, begann sie zu beten.

Das währte lange – Nannei mußte ja um so vieles und für so Viele beten.

Stirne, Mund und Brust bekreuzend, erhob sie sich, bestieg den Kreister und suchte sich bequem zu legen. Darauf drückte sie die Augen zu und erharrte den Schlaf.

Der aber wollte nicht kommen.

Sie war sonst nicht von furchtsamer Art – aber heute – heute war so etwas Eigenes in ihr – Angst war es gewiß nicht, nein – so etwas Eigenes eben.

Eine Stunde mochte ihr schlaflos vergangen sein, da ließ sie sich vom Lager gleiten, holte das Dschapei von draußen in die Kammer herein und verriegelte die Thür. Vor ihrem Kreister breitete sie eine alte Regenkotze über die Dielen und drückte das Thier darauf nieder.

„So – Dschapei – so – und jetzt sei stad – und schlaf’!“ sagte sie und legte sich wieder zur Ruhe.

Die Nähe eines lebenden Wesens schien ihre Beklemmung zu lösen, denn bald verspürte sie in ihren Gliedern eine sanfte Wärme und jene wohlthuende Erschlaffung, die den kommenden Schlaf verkündet.

Da wurde sie durch ein pochendes Geräusch des Neuen aufgestört.

Mit unruhigem Getrippel stand das Dschapei an der Thür und ließ sich auch durch Nannei’s Zurufe nicht mehr besänftigen. Das Thier hatte sich eben in seiner Schmerzenszeit an das Lager da draußen gewöhnt.

So gab es für Nannei, wenn sie überhaupt zu Schlaf und Ruhe kommen wollte, keinen anderen Ausweg, als ihrem Dschapei den Willen zu thun. Sie öffnete die Thür und rief dem Liebling, der hurtig über die Schwelle hüpfte, schmollend nach: „Geh weiter – ich mag Dich nimmer!“

Wie nun das Thier seinem Lager zuschreiten wollte, stutzte es plötzlich vor dem weißschimmernden Streifen, den das Mondlicht durch eine Klumse der Hüttenthür über den Lehmboden warf. Schließlich tappte es aber doch darüber hinweg und streckte sich am Herde auf das Heu.

Nun herrschte Stille – und bald auch klangen die tiefen und langen Athemzüge des schlafenden Mädchens durch die angelehnte Kammerthür heraus in die Stube.

Wohl hielt sich das Dschapei ruhig; jedoch es schlief nicht; der flimmernde Lichtschein fesselte sein Auge.

Plötzlich hob es lauschend den Kopf.

Das waren leise Tritte gewesen – und nun folgte ein Geräusch, als würde eine schwere Last vorsichtig zur Erde gesetzt.

Jetzt erlosch am Boden jener helle Schimmer, und sacht erknirschte die Thür wie unter einem von außen kommenden Drucke. In der Klumse erschien ein blinkendes Etwas – und Ruck um Ruck verschob sich der hölzerne Riegel.

Da fiel die Thüre langsam in die Stube – und auf der Schwelle stand, umrahmt vom hellen Mondenschein, eine dunkle Gestalt mit geschwärztem Gesichte.

Kannte das Dschapei die Gespensterfurcht? So schien es fast – denn wie von grauenvollem Entsetzen gejagt, fuhr es von seinem Lager, durchrannte die Stube, warf die Holzgeschirre durch einander, schleuderte die Bank zur Seite und prallte, das Freie suchend, wider die Beine des nächtlichen Gastes, der unter einem zornige Fluche das lautauf schmählende Thier mit einem Fußtritt über die Schwelle warf.

Da klang aus der Kammer ein gellender Schrei – wohl stürzte nun der Bursche mit langem Satz in die Stube – schon aber flog die Thür ins Schloß, und klirrend fuhr innen der Riegel vor.

Bebend am ganzen Leibe, stand Nannei in dem engen, finsteren Gelasse – und wußte noch kaum, ob das Alles wirklich war, oder nur ein häßlicher Traum.

[204] Jetzt hörte sie die dünnen Bretter ächzen vor wuchtigem Drucke und hörte das Eisenwerk des Schlosses klappern und rasseln – und die nackten Sohlen gegen den Fuß des Kreisters stemmend, preßte sie die Arme, unter Schluchzen und Beten, mit der ganzen Kraft ihres jungen Körpers wider die wankenden Bretter.

Was half ihr Beten? Was half ihre Kraft?

Knirschend bog sich der Riegel – klirrend sprang er entzwei – in die Spalte der weichenden Thüre schob sich ein Fuß – ein Knie – ein tastender Arm – und nun – nun –

Nun klang an das Ohr des verzweifelnden Mädchens das laute Gebell eines Hundes – so nahe schon – nun schon in der Hütte – und „Festei! Festei!“ schrie es in herzzereißenden Lauten von Nannei’s Lippen.

Da wich an der Thüre die einwärtsdrückende Kraft, polternd fuhren die Bretter zurück in ihre Fugen – und unter dem jähen Ruck in die Kniee brechend, schlug Nannei mit voller Stirne gegen das dröhnende Holz.

Noch war sie nicht wieder auf den Füßen, da hallte von draußenher ein röchelnder Schmerzensruf – aufkreischend flog das Mädchen hinaus in die Stube – und während das heulende Bellen des Hundes, einem enteilenden Schritte folgend, von der Hütte sich entfernte, sah Nannei jenseits der Schwelle im Mondlicht Einen stehen – der hielt in hocherhobenen Händen die Büchse, die ihr krachendes Feuer gradauf in die Luft entlud – nun sank ihm das Haupt in den Nacken – es sanken ihm die Arme – die Büchse fiel klappernd auf die Steine – und der sie gehalten, brach zusammen mit dumpfem Schlage.

Es war nur ein Augenblick, während dessen Jammer und Entsetzen Nannei’s Glieder lähmten – dann klang es von ihrem Munde mit gellendem Wehschrei in die Lüfte: „Festei! Mein Festei! Mein armer Festei!“ – und noch war das schwebende Echo dieser Laute zwischen den mondbeglänzten Felsen nicht verhallt, da lag sie vor dem Hingestreckten schon auf beiden Knieen, hob mit zitternden Händen sein Haupt von den Steinen, und unter Schluchzen und Stammeln überströmte sie das bleiche, blutbegossene Antlitz mit Küssen und Küssen.

Nun kam auch der Hund zurück und umkreiste winselnd die jammervolle Gruppe.

Unter klagenden Worten des Schmerzes und der Liebe, unter schluchzenden Hülferufen hielt Nannei das Haupt des Geliebten an ihren Busen gepreßt, nicht achtend, daß sein warmes, rinnendes Blut ihr dünnes Linnen netzte und durchdrang.

„Festei! Festei!“ glitt es plötzlich in zitternder Freude von ihren Lippen.

Sie sah seine Augen offen, sah an seinem Blicke, daß er sie erkannte, und sah ein glückliches Lächeln seinen blassen Mund umspielen.




9.

Dichte Wolken umhüllten alle Bergspitzen, und vor einem kalten Winde flatterten unfreundliche Nebel quer über das Griesthal. Dicke Wassertropfen hingen an allen Büschen, aus denen sich ab und zu auch leichte weiße Dünste emporkräuselten.

Da war nun auf dem Wege, welcher in steilem Zickzack zum Trischübl emporführt, ein schlechtes, glitschiges Gehen.

Dem Wimbacher Jagdgehülfen machte das keine Sorgen, wohl aber der bunt aufgeputzten Weibsperson, die an seiner Seite ging und ein um das andere Mal mit einem ängstlichen Kreischen, das eigentlich mehr dem Blöken eines alten Schafes glich, den Arm des Jägers haschte. Man hätte auch ihre Züge und den Ausdruck ihres Blickes in den Bereich dieses Vergleiches ziehen können.

Nun that sie gerade einen langen, tiefen, wie ein recht gedehntes J…a lautenden Athemzug, aus dessen Art man schließen konnte, daß sie damit eine lange Rede geschlossen hatte.

Mit bedauerlicher Miene nickte der Jäger vor sich hin: „Mein Gott, mein Gott – jetzt kommt so ’was auch noch über das arme Deandl! Als ob ’s net an der letzten G’schicht’ schon g’nug g’habt hätt’!“

„J…a – da war halt jetzt nachher der Almbauer bei mir und hat mir die G’schicht auseinanderg’setzt. Das hab’ ich aber gleich g’sagt, daß ich am Trischübl net bleib’. J…a – morgen in aller Früh schon treib’ ich ’nunter auf d’ Griesalm. An der Zeit wär’s lang’ dazu – is ja heut’ schon der zwanzigste September.“

Der Jäger schien diese letzten Worte ganz überhört zu haben; plötzlich hob er den Kopf und legte seine Hand auf den Arm des Weibes. „Gelt, Wabei – sag’s ihr fein net g’rad so ’raus – weißt – sie könnt’ alles z’viel derschrecken.“

„J…a – ich will ’s ihr schon recht schon verblümeln,“ betheuerte Wabei. „Weißt – so schön – die soll schier gar nix merken.“

„No – da is’ nachher g’rad recht, daß wenigstens ich ihr a bißl a bessere Botschaft bringen kann. Weißt, mit’m Festei macht sich die Sach’ wieder – ja – macht sich schon!“

„Gelt – das is der Jäger, der droben gestochen ’worden is.“

„Ja.“

„Wohin denn?“

„No – von oben ’rein muß ihn der Lump an’ linken Schlaf hing’stochen haben. Da hat’s ihm den Knochen angesplittert, hat ihm ’runterwärts den ganzen Backen g’schlitzt und d’ Schulter hat’s ihm auch noch so a bißl derwischt.“

„J…a – mein – das is ja gar nix – da hab’ ich schon viel schönere Stich’ g’sehen,“ versicherte Wabei.

„Weißt – so ’was wär’ auch leicht in a vierzehn Tag’ wieder verheilt g’wesen, wenn man’s gleich richtig hätt’ verbinden können – aber nachher die Nacht da droben – und der Weg – Du! Da hättst Du auch g’nug! Mein – was hat das arme Deandl allein machen können – a bißl a Pflaster halt und an kalten Umschlag. No – und jetzt hat er halt so – so a Ding ’kriegt – a Knochenverentzündigung – sagt der Dokter – und – a Wochen a drei a vier kann’s dengerst noch dauern. Aber Gott sei Dank – er is schon aus der G’fahr.“

„J…a – wie is denn?“ frug Wabei, für die Dauer ihrer Frage am Wege sich verhaltend. „Hat man den Kerl noch net derwischt?“

„Na – gar nix is ’rauskommen!“ brummte der Jäger. „Von dem fremden Gewehr und von dem Rucksack mit demselbigen Hirschkalb, wo der Lump neben der Hüttenthür hat liegen lassen, da hat man kein Eigenthümer net derfunden. Derkennt – so, daß er drauf schwören möcht’ – hat ihn der Festei net, weil dem sein G’sicht ganz schwarz verstrichen war – und a bißl g’schwind is die G’schicht halt dengerst ’gangen – das heißt – weißt – an Verdacht hat er schon g’habt – ja – auf Ein’ von Dings enten – von – ah – von Saalfelden – Suttner Korbini heißt er. Wie aber d’Schandari[31] bei dem nachg’fragt haben, da hat er zwei Senner als Zeugen ’bracht, daß er in derselbigen Nacht am steinernen Meer in einer von sei’m Vatern seine Almhütten g’wesen is. Mein – so Kerl’ da – die schwören ja um a Maas Bier! Aber was kannst machen!“

„J…a – da kannst gar nix machen!“ wiederholte Wabei mit nachdenklich gesenktem Kopfe.

[205] Sie hatten die Höhe erreicht und schritten der Hütte zu, unter deren Thür Nannei stand, als hätte sie die Beiden erwartet.

Ja, den Iäger hatte sie erwartet – seit Stunden schon – und mit Schmerzen. Er brachte ja Nachricht von Festei.

Stillen, harrenden Blickes schritt sie dem Kommenden langsam entgegen.

„Gut geht’s, Deandl – gut,“ rief ihr derselbe von Weitem schon entgegen. „Er laßt Dich recht schön grüßen – ja – a ganze Menge Sachen hat er mir auftragen – aber – weißt – das is net so g’schwind g’sagt. Jetzt muß ich z’erst ’nauf in’s Jaagerhäusl. Ich sieh’ Dich nachher schon noch, eh’ daß gehst.“

Er nickte einen Gruß und folgte weiter dem Steige. Verwundert sah ihm das Mädchen nach; sie begriff seine letzten Worte nicht. Gehen? Wer ging?

„Jetzt weiß ich net – “ sagte Wabei nun, nachdem sie eine Weile kopfschüttelnd Nannei’s Gesicht betrachtet hatte, „jetzt weiß ich net – bist Du’s – oder bist Du’s net – d’Nannei?“

„Ja, ich bin’s schon.“

„Schau – wann mir g’rad so am Weg begegnet wärst, g’wiß wahr, ich hätt’ Dich nimmer derkennt. Hast allweil so a frisch G’sichtl g’habt – und jetzt bist so blaß und schmal im G’sicht – und so a traurig’s G’schau machst daher – j…a!“

„Wär’ auch kein Wunder!“ seufzte Nannei und blickte mit feuchten Augen dem Thale zu. Dann wieder hob sie den Kopf. „Und Du – gelt – Du bist d’Nadler–Wabei von Unterstein? Han? Was willst denn bei mir heroben?“

„No – jetzt weißt – j…a – da setzen wir uns zuerst schon a bißl nieder – geh – komm’!“ Sie schritt der Holzbank zu und machte sich’s darauf bequem.

Nannei lehnte sich unter die Thür.

„Weißt – gestern is Dein Almbauer zu mir ’kommen,“ erzählte Wabei, „und da hab’ ich ihm zugesagt, daß ich an Deiner Statt daheroben aushelfen will, solange halt d’Almzeit noch dauert. Kannst nachher gleich gehen, wann D’magst, und –“

„Ja – warum denn?“ frug Nannei verwundert. „Is ’leicht der Almbauer nimmer z’frieden mit mir? Und ich mein’ doch –“

„Ah na! Davon is gar kein Rede net. Aber weißt, Dein’ Mutter hat gestern zu ihm g’schickt – es geht halt nimmer allein – weil’s gar kein’ Menschen net hat – j…a – weißt – sie hat’s allweil g’schoben, weil’s dengerst noch gemeint hat, die Sach’ könnt’ sich von selber wieder machen – j…a – und ängstigen hat’s Dich auch net mögen – weißt –“

„Aber Wabei – ich bitt’ Dich nur g’rad,“ so stammelte Nannei in Furcht und Sorge mit zitternden Lippen, „schau – so sag’ doch – was is denn – was is denn? Es wird doch um Gotteswillen mein Mutterl net verkrankt sein?“

„Verkrankt? Ah na! Weißt – a bißl verkühlt hat sie sich halt, selbigsmal, wie’s bei Dir heroben war – drunten am See bei’m Heimfahren – j…a – und da liegt’s halt jetzt! Aber – da brauchst jetzt gar net zu derschrecken. Weißt – die Sach’ is ja net so g’fahrlich. D’Leut’ sagen freilich, daß – daß – und der Dokter weiß auch nix Bessers – aber schau – weißt – mußt halt denken, daß jeder Mensch amal sterben muß – Du, und ich, und a jeds – amal – j…a!“

Eiue Weile noch schaute Nannei mit starren Augen auf den Mund der Sprechenden, als könnte sie den Sinn dieser Worte nicht fassen, dann aber brach es aus ihr hervor, nicht wie Weinen und Schluchzen – es war wie das stockende Röcheln eines Erstickenden.

„Geh, Deandl, geh – thu jetzt doch net gar a so!“ tröstete Wabei, während sie mit beiden Händen Nannei vor sich her in die Hütte schob. „Schau – mußt Dich dengerst a bißl fassen! So ’was kommt über an Jeden! Da schau mich an – mir sind zwei Mütter g’storben, a richtige und a Stiefmutter – und ich hab’s doch verwunden. Drum sei g’scheid! Geh – rühr’ Dich a bißl! Pack Deine Sachen z’samm. Gegen Abend kommt Einer ’rauf, der mein Zeugl[32] bringt, und der kann nachher morgen ’s Deinige mit ’nunter nehmen. Jetzt is drei vorbei – bis um viere kannst am Weg sein, da bist nachher bis siebne drunt’ in Bartlmä und um neune bist daheim – ’leicht – j…a!“

Nannei hatte keine Thräne mehr; ihre Augen waren heiß und trocken. Lautlos ging sie in Kammer und Stube hin und wieder, um in den Korb zu legen, was ihr eigen war.

Wabei kramte inzwischen alle Neuigkeiten des ganzen Berchtesgadnerthales aus, wobei sie allen verfänglicheren Nachrichten den klugen Beisatz gab: „so sagen d’Leut’,“ oder „so heißt’s, aber ich glaub’s net!“

Nannei achtete dieses Geschwätzes nicht; nur einmal horchte sie auf, als Wabei vom alten Wofei erzählte:

„J…a, ah – Du – das is an andere G’schicht’ mit dem! Den haben vor a Wochen a drei die Funtenseer Schafhüter am kleinen Hirsch droben g’funden; ’s ganze G’wand hat er abg’rissen g’habt – und g’rad verschunden war er und umundum blutig – und halb derhungert! No – da is er halt nachher ’nuntergeschafft worden – j…a – mein – und jetzt is er ganz verruckt und überg’schnappt – was sich der für Sachen einbildt, g’rad grausen möcht’s Ei’m dran! Und die ganzen Nächt’ schreit er, als ob er am Spieß stecken thät. J…a – morgen, da wird er jetzt nachher forttranspadiert – weißt – in a Narrenhaus!“ –

Nannei war wegbereit. Sie ging dem Rauhenkopfe zu und suchte ihr Dschapei, das sie mit hinunternehmen wollte.

Als sie in Begleitung desselben wieder in die Hütte zurückkehrte, fand sie den Jäger in der Stube. Der erzählte ihr nun, was Festei ihm aufgetragen habe: es waren Grüße – Grüße – und wieder Grüße, vermischt mit Bedenken und Sorgen um Nannei’s Wohl.

„Gelt – wann wieder zu ihm kommst –“ sagte das Mädchen, kaum eines klaren Wortes mächtig, „so richt’ ihm halt aus – daß ich schon zu unserem Herrgott beten will – damit – weißt – und gelt – sagst es ihm – von mei’m Mutterl – gelt!“ –

Nun sie dahin schritt, kamen ihr doch die Thränen in die Augen. Zwischen niederen Büschen sah sie die Scheckin stehen, die ihr mit gestrecktem Kopfe entgegenbrüllte. Sie trat auf das Thier zu und schlang ihre Arme um seinen Hals:

„O mein – Scheckin, Du gute Du – gelt – b’hüt Dich Gott und – und sag’s auch zu die andern – ja – ja – b’hüt Dich Gott! – Komm, Dschapei – komm – jetzt müssen wir uns tummeln – weißt – ’s Mutterl – o du mein lieber Herrgott, lieber Herrgott, lieber Herrgott – schau –“

Sie fing zu laufen an – und lief, bis ihr der Athem ausging. Da mußte sie eine Weile stehen bleiben – es war auch das Dschapei um eine gute Strecke zurückgeblieben.

Wieder folgte sie, bald laufend, bald erhitzt und müde dahinschreitend, dem Steige. Manchmal wandte sie das Gesicht und schaute der Almhütte zu – da schoß ihr dann Alles durch den Kopf, was sie da oben erlebt hatte – all das Liebe – all das Entsetzliche! Und nun kam das über sie, das!

„Lieb’s Herrgottle, was hab’ ich Dir denn ’than, daß Du –“

Nun fing sie laut zu weinen an – und lief – und lief –

Als sie die Unterlahneralm erreichte, vermißte sie plötzlich ihr Dschapei.

Sie rief und rief – doch erfolglos.

Eine Strecke rannte sie zurück am Steige und rief und weinte, und weinte und rief – doch erfolglos.

Die quälende Sorge um die kranke Mutter verbot ihr ein weiteres Zurückgehen und weiteres Suchen – Nannei hoffte, daß ihr Dschapei wohl den Weg nach der Alm wieder finden würde – und da war es ja dann auch gut aufgehoben.

Sie selbst kam jetzt nur um so rascher vom Flecke.

Und dennoch langte sie drunten am See viel später an, als sie gehofft hatte.

Da war vor Stunden schon der letzte Nachen abgefahren. Doch stellte ihr der Förster, da sie ihm unter Thränen von der traurigen Ursache ihrer Heimkehr sprach, einen seiner eigenen Kähne zur Verfügung und gab ihr auch seinen Fischer mit.

[206] Die Beiden ruderten selbander, daß die Fluth vom Kiele laut und plätschernd emporrauschte. – Als Nannei vor dem Schiffmeisterhause zu Königssee an das Ufer sprang, war das Gelände schon in tiefe Dämmerung gehüllt.

Fliegenden Fußes eilte sie die Straße dahin.

Da plötzlich bannte ein jäher Schreck für Secunden ihre Schritte: im tieferen Lande sah sie eine lohende Flamme emporschlagen in die Luft und sah den nebligen Himmel zu trüber Röthe sich färben.

Im ersten Entsetzen täuschte sie sich in der Richtung des Brandes – und sie fürchtete schon – aber nein! Das Feuer war zu nahe – und mehr zur Rechten!

Sie lief und lief! Als sie die ersten Häuser von Unterstein erreichte, sah sie die Leute rennen und hasten. Die Einen, die aus ihren Thüren stürzten, riefen: „Wo brennt’s denn? Wo brennt’s?“ – und Andere, die des Weges einherkamen, schrieen entgegen: „Beim Wofei! Beim verruckten Wofei!“

Da war die Brandstätte.

Mit Mühe nur konnte sich Nannei einen Weg durch die dichtgedrängten Menschen bahnen, welche schreiend und jammernd die Hütte umringten.

Das war ein einziger Gluthhaufen, und aus seinem Innern hallte wildes Geheul und schauerliches Gelächter.

Prasselnd neigten sich jetzt die glühenden Balken des ausgebrannten Daches – krachend stürzten sie zu einem wüsten, lohenden, qualmenden Haufen in einander – und ein hundertstimmiger Schrei des Entsetzens tönte in die Lüfte.

Von Grausen gepackt, flog Nannei dahin – da war der schmale Fußpfad, der heimwärts führte über die thaunassen Wiesen – dort hob sich schon der dunkle First des elterlichen Hauses empor über einen heckenbesetzten Hügel – und nun – nun stand sie vor der niedrigen Thür.

Das Schloß widerstand ihrem Drucke – Nannei pochte – sie hörte schlurfende Tritte sich nähern – und als die Thür geöffnet wurde, stand eine alte Frau vor ihr – eine der Nachbarinnen.

Die Stube, welche sie wankenden Schrittes nun betrat, war unerleuchtet – doch dämmerte ein matter Lichtschein aus der offenen Kammerthür.

„Mutterle?“

„Nannei!“ klang von da drinnen her eine dünne, zitternde Stimme entgegen.

Aufschluchzend eilte das Mädchen diesem Rufe nach – brach vor dem Bette stöhnend in die Kniee und schlug die beiden Arme um den Hals der Mutter, auf deren eingefallenen Wangen schon das bleiche Zeichen des nahen Todes stand.

[218] Eine Almrosenstaude war es gewesen, deren lichtes Grün das Dschapei von der Seite seiner Herrin gelockt hatte.

Freilich machte das getäuschte Thier beim Näherkommen die Erfahrung, daß nicht Alles zum Aesen taugt, was grün ist. Doch fand es sich rasch getröstet, als es mehr in der Höhe zwischen den Steinen einen mit dichtem Grase bewachsenen Rasen erblickte. Da war dann in der Nähe ein zweites lockendes Plätzchen – ein drittes – und wie das Dschapei am Ende das Aesen und all das Hin- und Widerziehen satt bekam und zurückhüpfte auf den Weg, sah es nur Felsen und Bäume in der stillen unbelebten Runde.

Eine Weile sprang es mit hurtigen Füßen in thalwärts führender Richtung am Steige dahin, blieb lauschend wieder stehen, wandte sich und rannte eine Strecke über den Pfad zurück.

Ja – wenn es nur jetzt sein Glöcklein gehabt hätte! Das aber hing noch immer an dem Latschenbusche jener Schluchtwand, deren Höhe bei dem Dschapei wohl in böser Erinnerung stehen mochte.

Mit ängstlichem Schmählen irrte das verlassene Thier zwischen den Steinen hin und her, bis die Nacht über die Berge sank. Lange suchte es nach einer trockenen Lagerstelle, und da eine solche nicht zu finden war, ließ es sich schließlich auf dem Platze nieder, auf dem es gerade stand.

Die Nacht war rauh und kalt – und als beim ersten Tageslichte das Dschapei sich erhob, fiel ihm zu Anfang ordentlich das Gehen schwer, so steif waren ihm die Glieder geworden.

Wieder verging ein Tag – und wieder eine Nacht.

An dem nun folgenden Abende gelangte das Thier mit Aesen und Suchen auf die Höhe des Rauhenkopfes – und sah zu seinen Füßen die wohlbekannte Hütte liegen. In freudigen Sprüngen hüpfte es hinunter von Stein zu Stein; doch als es den Almenplatz erreichte, starrte es mit wundernden Augen die geschlossene Thür an und blinzelte empor. Nach dem steinbelegten Dache, aus dessen Lucken nicht, wie sonst allabendlich, der graue Rauch sich in die Lüfte kräuselte. Da klang keine menschliche Stimme mehr, und keine Almenglocke war zu hören. Nur die Holzbank stand noch da – und unter ihrem Sitze verbrachte das Thier die kommende Nacht.

Am nächsten Morgen, während es müde den weiten Weideplatz durchzog und von den mageren, schon gelblich sich färbenden Grasresten zupfte, vernahm es plötzlich das Läuten der Glocken – fernher aus dem Griesthale.

Es folgte dem Tone und fand auch wirklich den Pfad, der dahinunter führt. Doch als es an die Stelle kam, an welcher linker Hand die Felsen schroff zur Tiefe sich senken und rechts die Wände steil und glatt zur Höhe steigen, da sah das Dschapei den schmalen Weg versperrt durch ein festgeschlossenes Gatter.

Hier stand es den ganzen Tag und fuhr mit der Schnauze schmählend über die Stäbe. Beim Einbruche der Nacht aber wanderte es zurück nach der Hütte und streckte sich wieder unter die Holzbank.

So verging nun dem Thiere Tag um Tag.

Da es auf der ebenen Weide gar wenig mehr für seinen Hunger fand, nahm es seinen Aufenthalt zumeist am Rauhenkopfe, wo es zwischen den zerklüfteten, von dichtem Latschengestrüpp überwucherten Felsen in den nun immer kälter und kälter werdenden Nächten manch einen geschützten, windstillen Schlupf zu finden wußte.

Wie es nun hier eines Morgens erwachte und herauskroch aus seinem engen, dunklen Verstecke, sah es mit gar verdutzten Augen um sich her – da war Alles weiß in der Runde – wohin seine Blicke reichten – Alles weiß – und weiße lustige Flocken flatterten noch immer in drängender Menge hernieder durch die windige Luft.

Neugierig neigte das Dschapei den Kopf und stieß die Schnauze in den Schnee; doch fuhr es hastig wieder zurück und schüttelte das kalte, nasse Ding von der Nase. Wie es aber jetzt hinaustrat auf den weißen Teppich und mit jedem Schritte darein sank bis an den Leib – wie die fallenden Flocken ihm in die Augen stäubten und sein Vlies umwirbelten, da fing es an, diese Sache gar lustig zu finden, sprang in muntereu Sätzen hierhin und dorthin, wälzte sich mit schlagenden Füßen im Schnee und trieb alle Possen, welche so ein Dschapei nur immer zu treiben weiß. –

Bald jedoch verging ihm all die Freude. Da ward es zuerst müde und fühlte sich so unbehaglich naß am ganzen Leibe; dann verspürte es einen tüchtigen Hunger – doch fand es, um ihn zu stillen, weder Gras noch Kraut – nur Schnee. Am Ende fing es wohl zu scharren und zu kratzen an und kam auch auf den Grund; aber das Ergebniß seiner Mühe war ein recht geringes.

Gegen Mittag wurden die fallenden Flocken kleiner und seltener, bis sie schließlich ganz verschwanden. Da schaute nun die Sonne zeitweilig durch die zerklüfteten Wolken hernieder, und ihre Strahlen machten den Schnee so weich, geschmeidig und glitschig, daß er sich in dicken Klumpen an die Füße des watenden Thieres hängte oder an schiefen Stellen unter ihm hinwegrutschte, im Falle das Dschapei eine Strecke mit sich führend.

Als sich die Sonne schon hinüber zu neigen begann über den Grat der Palfenhörner, kam das müde Thier bei seiner Suche nach Aesung in die Gegend der Hundstodgrube.

Da sah es in der Tiefe des Kessels einen Menschen wandeln, der über den Schnee hinwegglitt, als wäre sein Körper ohne Schwere. Quer in den Händen hielt er den Bergstock, über die [219] Schulter hing ihm die Büchse, und unter jedem Fuße trug er einen dünnen, mit Schnüren übernetzten Holzreif.

Mit starren Augen sah das Thier diesen Menschen näher und näher kommen – und das Zittern, welches ihm die mageren Glieder rüttelte, war nicht ein Zittern im Froste, es war das sichtliche Zeichen von Angst und Entsetzen vor diesem Menschen, den es ja kannte, den es dreimal schon gesehen: einmal am sonnigen Morgen drunten im Wimbachthale, einmal zur Mittagsstunde am Rande jener Schlucht, in deren Tiefe das Thier um dieses Einen willen so qualvolle Stunden hatte durchleben müssen – und ein drittes Mal zu nächtlicher Zeit in seiner Herrin Hütte.

Ueber dem bebenden Thiere lag’s wie ein Bann, der seinen Gliedern jede Bewegung wehrte – und erst, als jener Kommende in einer Mulde verschwand, da sprang es auf mit jähem Satze und arbeitete sich mit dem Aufgebote seiner ganzen müden Kraft dahin durch all den tiefen Schnee.

So kam es auf seiner Flucht in den Sigerethgraben. Hier hielt es lauschend inne. Nichts war zu hören – nur das dumpfe Klatschen der Schneeklumpen, die ab und zu von den dickbeschneiten Felsen über die Wand hernieder fielen. Das Dschapei glaubte sich geborgen. Doch trieb es der fallende Schnee bald wieder aus dem Graben; es kletterte, unter immerwährendem Rutschen und Stürzen, den der Sigerethwand gegenüberliegenden Hang des Rauhenkopfes empor. Hier zwang die Müdigkeit das arme Thier zur Rast.

Noch lag es nicht lange, da sah es den Gefürchteten am Eingange der Schlucht erscheinen und sah ihn herniedersteigen, immer dem Fuße der Felswand folgend.

Zitternd sprang es auf die Füße und begann des Neuen zu flüchten. Da raschelte unter ihm ein Stein – und dieses Geräusch machte jenen Menschen dort unten aufblicken zur Höhe.

„Schau – Du bist noch da? No – Schaffleisch war mir allweil lieber als an alter Gamsbock!“

Mit diesen lachenden Worten hob er die Büchse zum Gesicht.

Es krachte der Schuß – und der von der Kugel getroffene Steinblock sprühte dem verschonten Thiere seine Splitter in das Vlies.

Das Echo rollte – und als wäre die Natur selbst in Zorn gerathen über diese Störung ihres Friedens, so begann in der Höhe der stummen Felsen ein seltsam unheimliches Leben sich zu rühren.

Wohl suchte jener Störenfried in verzweifelten Sätzen dem Graben zu entrinnen – schon aber prasselte, sauste, knatterte, dröhnte und donnerte die Vernichtung hernieder über die Wände – Schnee, Staub, Rasen, Steine und wieder Schnee und Schnee –

Jetzt noch ein leises Grollen und Summen in den Lüften – dann tiefe, regungslose Stille.

Und wo nun war er, der Gefürchtete?

Die Augen des entsetzten Thieres fanden ihn nicht wieder. Lange, lange stand es und schaute hinab in den mit trübem Wust erfüllten Graben. Da rührte sich kein Steinchen mehr, und schwer wie Blei lag der gehäufte Schnee.

Langsamen und unsicheren Ganges mühte das Dschapei sich vollends empor zur Höhe.

Die Nacht kam heute früher, als sie sonst zu kommen pflegte, denn finstere, dicht geballte Wolken zogen von Westen über die Berge einher und verschlossen den abendlichen Himmel.

Wieder begannen die Flocken zu fallen, dichter und dichter – und ein schneidender Wind umfuhr mit gellenden Lauten die Felsen und Schroffen.

Die Nacht war da – solch eine Nacht – und noch hatte das verlassene Thier kein Lager gefunden. Es tappte nur immer so zu, ohne zu sehen, wohin seine Schritte führten. Hier brach es mit den Füßen in eine Steinschrunde – dort stürzte es über einen niederen Hang – und wo es stehen blieb zu kurzer Rast, da blies ihm der Wind den starrenden Frost in alle Glieder.

Müder und müder wurde sein Gang, schlaffer und schlaffer seine Kraft, so daß es kaum mehr im Stande war, den Kopf erhoben zu tragen.

Ein Zufall führte seinen Weg zur Almenhütte. Hier meinte es eine Ruhestatt zu finden – und eben hier war seines Bleibens weniger als sonst an einer Stelle; johlend umkreiste der Sturmwind die nachtschwarzen Holzwände, den Schnee aufpeitschend zu wirbelnden Wolken.

Wieder schlich das Thier von dannen – und dieses Vorwärtskommen war kein Gehen – es war ein Fallen und Fallen, und dabei blieb es auch manchmal eine Weile liegen und ließ sich vom Schnee verwehen.

Als es einmal langsam unter sich den Boden weichen fühlte, that es kaum eine Bewegung, um sich zu halten. Gehüllt in eine stäubende Masse, stürzte das Thier in kollerndem Falle dem Thale zu – hier aufschlagend – und hier – nun lag es, gepreßt und gequetscht – und bei jedem Athemzuge fuhr ihm der scharfe kalte Schnee in die Nasenlöcher.

So verblieb es eine lange, lange Weile; dann fing es an, den Hals zu rühren und mit den Füßen zu stoßen. Leichter und leichter ward die weiße Decke über ihm – endlich theilte sie sich – und das Dschapei sah empor an einer schiefen Felswand, sah über sich den morgendämmerigen Himmel und sah vor seinen Füßen flach und weitgestreckt das überschneite Griesthal.

Den ganzen Rest seiner Kraft verbrauchte nun das Thier, um den halb erstarrten Leib aus seiner kalten, drückenden Umhüllung los zu winden – vergebens.

Als ihm die Kräfte dann versiegten, als seine Glieder, zerschunden und erstarrt, keiner Bewegung mehr fähig waren, da ließ das arme Dschapei seinen Kopf zur Seite sinken, sodaß es kaum noch mit dem einen Auge hinweg schauen konnte über den Schnee und über das von schütteren, nun weiß bedeckten Büschen bewachsene Thal.

Lichter und lichter hob sich der Morgen – und aus dem schneeverhüllten Grunde kam ein Glitzern und Funkeln, das dem Dschapei fast den Blick erblendete.

Und dennoch sah es fern in den Büschen jenes sachte Regen und Leben, welches langsam näher und näher kam – sich nun herauswand aus den überschneiten Zweigen auf den freien Grund – ein röthliches Thier – schlankleibig und mit spitzem Kopfe – halb wie ein Hund und halb wie eine Katze – mit dichtbehaartem Schweife die Spuren seiner Tritte hinter sich verwischend –

Nun hob der Schleicher witternd seine Nase – nun zog es ihn näher und näher – nun stand er vor dem Dschapei, mit geiferig klaffenden Zähnen, mit mordlust-funkelnden Augen – schon duckte er sich zum Sprunge –

Da schob sich zwischen den Büschen lautlos die Gestalt des Wimbachjägers hervor, der lächelnd seine Büchse hob.

Nur blitzen sah das Dschapei noch den Schuß – den Hall und Widerhall vernahm es nicht mehr – da lag ihm mit gebrochenen Augen schon der blutende Kopf am Schnee – – in langen Sätzen aber sprang der Räuber, dem das tödtliche Blei gegolten, zwischen die schützenden Felsen.




10.

„Allezeit ist sie eine in der Furcht Gottes lebende Frau gewesen! Denn wie auch sonst wäre es zu erklären, daß sie alle die harten Prüfungen, mit welchen die liebevolle Hand des Allerhöchsten sie bedachte, so geduldigen und standhaften Herzens hätte [220] ertragen können? Wie? – meine christlichen Zuhörer, saget mir das! Und was sie auf Erden als Mutter gewesen ist, das könnet Ihr hier an ihrem Kinde sehen, das seine bitteren Thränen hineinweint in der geliebten Mutter offenes Grab. Mein geliebtes Kind! Zu Deinem Troste will ich Dir die Worte sagen, welche der Herr in seiner Güte und Weisheit verkündiget hat: ‚Es giebt Eines – und das ist schlimmer denn der Tod!‘“

So und so weiter sprach im Untersteiner Friedhofe der hochwürdige Herr Cooperator vor dem Grabe der alten Baslerin und dabei fuhr er bald mit dem rechten, bald mit dem linken, bald auch mit beiden Armen zierlichen Schwunges durch die neblige Schneeluft.

Was er sagte – die Nachbarn und Nachbarinnen der Verblichenen, die das Grab mit Frösteln und Frieren umstanden, glaubten ihm alles auf das Wort, und sie hätten’s ihm noch lieber geglaubt, wenn er’s ein wenig kürzer gemacht hätte.

Eine Einzige aber war da, die hörte ihn gar nicht. Die hielt ihre hängenden Hände verschlungen und schaute mit nickendem Kopfe, mit nassen rothverschwollenen Augen nur immer hinunter auf den schwarzen Fichtensarg mit dem langgestreckten gelben Kreuze. Und wie dann die schneedurchfrorene Erde zu fallen und im Grabe zu häufen sich begann, da war ihr jedes Poltern und jeder Schaufelwurf wie ein Stich und ein Riß im Herzen.

So konnte sie auch nicht gewahren, wie den Friedhof noch ein verspäteter Trauergast betrat. Die Leute, die ihn kommen sahen, betrachteten sein dickverbundenes Gesicht und dachten bei sich, daß heute kein Wetter wäre für Einen, den das Zahnweh plagte. Weiteres zu denken, dazu hatten sie keine Zeit mehr – denn eben sagte der Herr Cooperator sein seufzendes „Amen!“, bekreuzigte sich und verließ, mit hurtigen Fingern die blaue Nase reibend, langen Schrittes die Begräbnißstätte.

Nun traten die Leute zu dem Mädchen und brachten ihre Tröstungen vor, dieselben mit längeren und kürzerem Händedrücken geleitend. Sie schienen alle recht betrübt – in dem Augenblick jedoch, in welchem jeder Einzelne von der weinenden Waise sich abwandte, verflog diese Miene der Trauer, und die Gesichter wurden um so freundlicher, je näher sie dem Kirchhofthore kamen. Jetzt war der Letzte gegangen – nein – seitlich hinter einem dicken Holzkreuz stand noch jener verspätete Trauergast mit dem verbundenen Backen.

Zu Häupten des frischen Grabes ließ sich die Trauernde auf beide Kniee nieder und faltete leise weinend die Hände. Da hörte sie hinter sich einen knisternden Tritt – sie schaute nicht auf, aber in all dem Schmerz und all der Kälte ward es ihr so seltsam leicht und warm um’s bange Herz – nun kniete Einer an ihrer Seite nieder – sie schaute nicht auf, rückte nur ein wenig, damit seine Kniee noch Platz finden möchten auf dem kurzen Brettchen.

Eine Weile beteten sie mit einander – dann suchten sich ihre Hände.

„Ich – ich –“ schluchzte das Mädchen – „ich soll Dich recht schön grüßen noch – von ihr – hat’s g’sagt.“

Er nickte nur – und während er sich mit den Fingern durch die Augen fuhr, hörte sie ihn laut schlucken.

Sie erhoben sich und verließen den Friedhof. Solange die Häuser dauerten, schritten sie wohl auch neben einander her, aber getrennt durch einen schicklichen Zwischenraum – doch schon beim ersten Tritte in die schneebedeckte Wiese faßten sich ihre Hände.

Langsam wanderten sie dahin.

„Wie geht’s Dir denn? Han?“ sagte sie einmal.

„Ich danke Dir schön! Es thut’s – ja, ja – es thut’s schon – – Da!“ Dabei zog er die breite Binde vom Gesichte und hielt dem Mädchen den linken Backen hin, welcher der ganzen Länge nach von einer rothen, noch schlecht vernarbten Schramme durchzogen war.

„Mein – – mein –“ jammerte das Mädchen und strich mit der zitternden Hand über die wunde Stelle. „Geh – thu’ nur g’rad ’s Tüchl wieder drüber – es is gar feindlich kalt.“

„Ja – der Doctor hat’s auch noch net verlaubt, daß ich an d’ Luft geh’ – aber weißt – wie – wie ich gestern g’hört hab’ – daß – da hat’s mich nimmer g’litten – wärst ja sonst allein g’wesen jetzt!“

Sie nickte nur vor sich hin.

„Gelt – der Wimbacher G’hülf wird Dir’s schon g’sagt haben – von wegen –“ begann sie nach einer Weile wieder, „gestern is er da g’wesen bei mir.“

„Ja – schon so verzürnt hab’ ich mich über den – g’rad als ob er gar keine Augen g’habt hätt’!“

„Das arme, arme Viecherl – das! Mein – was muß das ausg’standen haben!“

Jetzt nickte Er statt aller Antwort.

Als sie dann in dem kleinen Häuschen die Wohnstube betraten, die von starkem Weihrauchduft erfüllt war, begann das Mädchen wieder leise zu weinen.

„Sixt –“ sagte sie, nach der offenen Kammer deutend, unter schwerem, langaussetzendem Schluchzen, „– sixt – da – da drin hat’s – g’legen.“

Er nahm den Hut ab und schaute ehrfurchtsvollen Blickes auf das stille Lager.

„G’wiß wahr – es is mir recht hart, daß ich’s nimmer hab’ sehen können. Da bin ich g’rad froh, daß ich’s selbigsmal ’troffen hab’.“

„Ja – und so feindlich gern hat’s Dich ’kriegt. Weißt, wann ich oft so g’jammert hab’ in die letzten Tag’, da hat’s allweil g’sagt: Geh, Nannei, geh – hat’s g’sagt – da brauchst Dich net zum sorgen – der – bald er g’sund is – der kommt schon – der schon!“

Auch ihm wurden nun die Augen feucht.

„Weißt – die hat mich halt gleich derkennt – ja – das war halt Eine! Um die is schad’! Mein – da laufen viel andre – no – ich will kei’m ’was ansagen, aber – geh, Nannei, setz’ Dich doch nieder! Es muß Dir ja jetzt in alle Glieder liegen. Und nachher – nachher habe ich so wie so ’was z’reden mit Dir – weißt –“

Sie gingen auf die Bank zu, rückten dicht an einander – und saßen so eine Zeitlang schweigend.

„Ja – mit meiner Frau Oberförsterin habe ich halt gestern g’redt – weißt – da könntst nachher den Winter über im Dienst sein – bei ihre Kinder - weißt – da hättst es recht gut – [222] a Deandl is da mit so a fünf Jahr’ und a kleiner Bua – so a lieber Kerl – ja – der thät’ Dir selber g’fallen. Was meinst?“

„Ganz wie D’ willst! Du wirst schon ’s Rechte finden!“

„Und nachher im Fruhjahr – so gegen Pfingsten – da hätt’ ich g’meint, daß wir mit einander – oder – oder meinst net? Meinst ’leicht – erst später ’naus? Weißt – Dispenz wär’ schon zum kriegen – weil halt so allein stehst. Geh, Schatzerl, mein lieb’s – geh – red’ – weißt, bei so ’was muß man schon selbander reden!“

„Geh, Festei – na – heut’ net, schau – an andersmal!“ stammelte Nannei, das unter Thränen erglühende Antlitz an der Brust des Jägers bergend, der seine Arme fest um ihren Nacken schlang. „Mein – wie könnt’ ich mich jetzt freuen, wann mein Mutterl, mein gut’s, halt noch dabei wär’!“ schluchzte sie nach einer Weile – dann hob sie den Kopf und fuhr sich mit beiden Handballen gleichzeitig über Augen und Wangen. „Und – und mein Dschapei, mein arms – wann uns das jetzt so sehen könnt’, so z’sammg’hörig – meinst net? – das hätt’ g’wiß auch a rechte Freud’ dran!“

„Ja – g’wiß – g’wiß!“ betheuerte Festei. „Aber weißt – mich selber – mich freut’s halt schon am meisten!“

Er hätte sie gerne geküßt – da aber streifte sein Blick die offene Kammerthür und das verwaiste Lager – und er fand nicht mehr den Muth dazu.

„Heut’ net – an andersmal!“ so wiederholte er im Stillen Nannei’s Worte.



Anmerkungen (Wikisource)

  1. Ein junges Lamm.
  2. Nein. („na“ wird im Dialekte mit dem gleichen Nasenlaute gesprochen, wie die französische Präposition dans.)
  3. Löckchen; auch Schmeichelname im Sinne von: Schätzchen, Herzchen.
  4. Ein kleines, furchtsames, bemitleidenswerthes Wesen.
  5. Verlegen, schüchtern.
  6. Ein aus Weiden geflochtener Korb.
  7. Ein ungeheurer Schinken.
  8. Ein aus schwarzer Wolle gewirktes Wams.
  9. Doch wohl, dennoch, trotzdem.
  10. Manchmal.
  11. Sehnst Du Dich.
  12. Verwundert, verblüfft sein.
  13. Ein hölzernes Traggestell.
  14. Ein Fragelaut, welcher mit dem gleichen Nasentone gesprochen wird, wie die französische Präposition dans.
  15. Gebrechlicher Mensch.
  16. Vielleicht.
  17. Wehr, flattert.
  18. Sanft, süß schmeckendes
  19. Sylvester.
  20. Ungeschicktes, thörichtes Ding.
  21. Kreuzweis gewundenes Knäul.
  22. Kleine, rundgewundene Knäulchen.
  23. Lauwarme.
  24. Greife.
  25. Zollaufseher.
  26. Vermögen.
  27. Zu leihen nehmen.
  28. Flattern.
  29. Zuckungen.
  30. In das Gefängniß bringen.
  31. Die Gensd’armen.
  32. Eigenthum, Kleider und Geschirr.