Gottesaue
Tief in des Hardtwalds Nachtgesfild,
Von Schweigen rings umschlossen,
Stand einst ein Muttergottesbild
In jungen Blüthensprossen;
Von der geweihten Stelle,
Der Murmelquelle Rauschen nur
Umflüstert die Kapelle.
Und weit vom frommen Volk verehrt
Es leise waltend sich verklärt
In hoher Wunderfülle.
In seiner Tannen dichter Nacht
Wo jedes Tosen schwindet,
Sich siegender verkündet.
Nur Berthold, nur der stolze Graf
Von Henneberg verschmähte
Den frommen Wahn, und höhnend traf
Er nahen sah dem Heiligthum,
Erhörung dort zu finden;
Verachtung für der Gottheit Ruhm
Sollt’ feinen Ruhm begründen.
Er durch des Waldes Mitte,
Der wilde Schwarm hat kein Gefühl
Für frommer Ehrfurcht Sitte.
Er stürmt dahin, der Mordsucht Gluth
In des ergrimmten Ebers Blut
Die eigne Wuth zu stillen.
Erwünscht ihm einst die Botschaft war,
Daß zu des Volkes Grausen
Im Forste solle hausen;
Schon tönt von feiner Zinnen Rand
Sein Horn mit Sehmetterschalle,
Bald vor der Veste Thoren fand
„Hinaus zum Wald, der Morgen ruft,
Die hellen Hörner klingen,
Es lebt im Haine, Thal und Kluft,
Die jungen Falken schwingen
Dort naht der Felsenquelle
Das scheue Reh’ vom dunklen Wald,
Es naht der Hirsch, der schnelle!“
Und in den tiefsten Forst hinein
Die wilde Schaar der Jäger ein
Und donnert von den Hügeln;
Doch der Vernichtung blut’ge Spur
Ist Alles, was sie finden,
Zu neuer Gier entzünden.
Dort schimmerte, vom Blute roth,
Der moos’ge Stamm der Eiche;
Hier welkten, wie berührt vom Tod
Hier flattert schaurig das Gewand
Von einem zarten Knaben,
Den Wölfe seiner Mutter Hand
Noch jüngst entrissen haben.
Entflammt der Graf die Seinen;
Doch fruchtlos tobt die Jägerlust,
Noch will kein Feind erscheinen.
Am späten Abend wenden sie
Ergrimmt, daß ihnen nicht verlieh’
Der Gott der Jagd ein Glück mehr.
Und langsam zog auf rauher Bahn
Mit schmerzlichem Gefühle
Noch fern vom Heimathziele;
Schon rauscht im Dämmerflor erwacht
Der Eulen Grabgefieder;
Still leuchtete der Stern der Nacht
Sieh, da erglänzt so mild und bleich,
Mit zweifelhafter Helle,
Fernher durchs dichte Waldgesträuch
Das Licht aus der Kapelle.
Des Himmels Friedenshafen;
Doch wilder noch, vom Zorn geschwellt,
Erglüht die Brust des Grafen.
„Ha!“ – rief er – „Schmach dem eitlen Wahn!“
„Ihr betet falsche Mächte an,
Seht jetzt, ob sie euch schützen!
Seht, ob das Bild, das ihr verehrt,
Wohl euer Leiden räche,
Ersetzt des Gottes Schwäche!“
Wild jagt er seiner Schaar voran,
Fliegt mit entflammtem Blicke
Den Hügel seiner Burg hinan,
Da naht Luitgarde todtenbleich
Kaum fähig sich zu regen:
„Bringt ihr das Kind?“ – ruft geisterbleich
Dem Gatten sie entgegen.
Aus ihrem blassen Munde,
Allmälich schrecklicher erklärt,
Die grauenvolle Kunde:
Daß heute früh sein Töchterlein,
Verloren habe sich hinein
Tief in des Forstes Wilde.
„Schon haben Knechte weit und breit“ –
Spricht sie, – „den Wald durchflogen,
Mit dir schon ausgezogen.
O Gott der Gnade, Gott der Huld!
Du Vater voll Erbarmen!
Riß etwa meiner Sünden Schuld
Ist doch zur Jungfrau, heiß und rein,
Stets mein Gebet erklungen.
Hab’ ich doch nie der Gnaden Schrein
Entweiht durch Lästerungen;
Die Unschuld für Verbrechen?
Mein Kind, mein liebes armes Kind!
Was war an dir zu rächen?“ –
Tief traf sie Bertholds Herz; wie Brand
„Ja, ich erkenne deine Hand,
Du Richtender dort oben!
Schmerzvolle Mutter, harre mein!
Beug dich am Throne nieder
Kehr’ ich dir nimmer wieder!“
Und wieder stürmt er alsobald
Mit seinen Jagdgenossen
Den Weg zurück, tief in den Wald,
Ein Jeder sucht auf eigner Bahn
Des Kindes Spur zu finden,
Doch Jeder sieht als eitlen Wahn
Den Strahl der Hoffnung schwinden.
Sich in des Forstes Raume,
Bleich glänzt herein der Sterne Schein
Vom dunklen Wolkensaume;
Nichts hört der Graf, als ahndungsvoll
Horch, und von ferne schaurig schwoll
Der gier’gen Wölfe Heulen!
Bald hier, bald dort, wie Grabgesang
Aus schwarzer Nebel Schleier,
Der Ruf der Ungeheuer.
Und neugestachelt von der Wuth
Und der Verzweiflung Grimme,
Folgt Berthold mit der Rache Gluth
Mit seinem Schwert haut er sich sach
Bahn durch’s Gestrüpp, bis helle
Auf Einmal aus dem Dunkel brach,
Das Lichtlein der Kapelle;
Sein Herz voll Reu’ und Buße,
Und sieh, da schläft sein theures Kind
An des Altares Fuße!
Still lag’s wie in der Liebe Schooß,
Sanfthüllend schlang sich weiches Moos
Um seine Schlummerstelle.
Mit ihm schien des Erlösers Bild
Der Unschuld Ruh zu theilen,
Auf seiner Stirn zu weilen.
Und Berthold faßt die Wonne kaum
Kaum traut er seinen Sinnen,
Ihm bangt, es möchte wie ein Traum
Er drückt das Kind an’s Vaterherz;
Nein, ’s ist kein leeres Wähnen!
Zum erstenmale schmilzt sein Herz
In heißer Andacht Thränen.
Hebt betend er die Kleine,
Und seiner Seele Nebelflor
Weicht vor dem Himmelsscheine:
„O Mutter Gottes, sieh mit Huld
Ist’s möglich noch, so sey die Schuld,
Die schwere, mir verziehen!
„Hier, wo in deinem Gnadenschrein
Mein theures Kind ich schaue,
Ja, hier ist Gottes Aue!
Die späte Nachwelt noch soll hier
Ein Gnadendenkmal schauen,
Drum will ich einen Tempel dir
Hier, wo geschirmt die Unschuld schlief
Von Gottes Friedenhafen,
Hier will ich, wenn er mich berief,
Im stillen Grunde schlafen.
Den neuen Tempel krönen,
Und unerschöpfter Andacht Zoll
Daraus zum Himmel tönen!“
Die Art, wie hier die Gründung des Klosters erzählt wird, entspricht einer mündlichen Ueberlieferung, und zwar in der Weise, daß man den Namen Gottesaue als Gottes Auge, das über dem Kinde wachte, erklärt wird; eine Auslegung, welche den Klang des lateinisirten Namens Godisaugia, Augia dei, nicht aber die richtige Ableitung für sich hat.