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Gottesaue

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Textdaten
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Autor: Friedrich von Maltitz
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Titel: Gottesaue
Untertitel:
aus: Badisches Sagen-Buch II, S. 349–355
Herausgeber: August Schnezler
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1846
Verlag: Creuzbauer und Kasper
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Erscheinungsort: Karlsruhe
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Quelle: Commons und Google
Kurzbeschreibung:
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[349]
Gottesaue.

Tief in des Hardtwalds Nachtgesfild,
Von Schweigen rings umschlossen,
Stand einst ein Muttergottesbild
In jungen Blüthensprossen;

5
Weit floh des scheuen Wildes Spur

Von der geweihten Stelle,
Der Murmelquelle Rauschen nur
Umflüstert die Kapelle.

Und weit vom frommen Volk verehrt

10
In seines Haines Stille,

Es leise waltend sich verklärt
In hoher Wunderfülle.
In seiner Tannen dichter Nacht
Wo jedes Tosen schwindet,

[350]
15
Verborgner Mächte heil’ge Macht

Sich siegender verkündet.

Nur Berthold, nur der stolze Graf
Von Henneberg verschmähte
Den frommen Wahn, und höhnend traf

20
Sein Spott, wen im Gebete

Er nahen sah dem Heiligthum,
Erhörung dort zu finden;
Verachtung für der Gottheit Ruhm
Sollt’ feinen Ruhm begründen.

25
Oft donnert mit dem Jagdgewühl

Er durch des Waldes Mitte,
Der wilde Schwarm hat kein Gefühl
Für frommer Ehrfurcht Sitte.
Er stürmt dahin, der Mordsucht Gluth

30
Im Morde zu erfüllen,

In des ergrimmten Ebers Blut
Die eigne Wuth zu stillen.

Erwünscht ihm einst die Botschaft war,
Daß zu des Volkes Grausen

35
Auf’s Neu’ der rauhen Wölfe Schaar

Im Forste solle hausen;
Schon tönt von feiner Zinnen Rand
Sein Horn mit Sehmetterschalle,
Bald vor der Veste Thoren fand

40
Er seine Mannen alle.


„Hinaus zum Wald, der Morgen ruft,
Die hellen Hörner klingen,
Es lebt im Haine, Thal und Kluft,
Die jungen Falken schwingen

45
Der Flügel prüfende Gewalt,

Dort naht der Felsenquelle
Das scheue Reh’ vom dunklen Wald,
Es naht der Hirsch, der schnelle!“

[351]

Und in den tiefsten Forst hinein

50
Drang mit des Sturmes Flügeln

Die wilde Schaar der Jäger ein
Und donnert von den Hügeln;
Doch der Vernichtung blut’ge Spur
Ist Alles, was sie finden,

55
Der grause Anblick kann sie nur

Zu neuer Gier entzünden.

Dort schimmerte, vom Blute roth,
Der moos’ge Stamm der Eiche;
Hier welkten, wie berührt vom Tod

60
Die trauernden Gesträuche;

Hier flattert schaurig das Gewand
Von einem zarten Knaben,
Den Wölfe seiner Mutter Hand
Noch jüngst entrissen haben.

65
Und mit dem Durst der eignen Brust

Entflammt der Graf die Seinen;
Doch fruchtlos tobt die Jägerlust,
Noch will kein Feind erscheinen.
Am späten Abend wenden sie

70
Sich endlich zu der Rückkehr,

Ergrimmt, daß ihnen nicht verlieh’
Der Gott der Jagd ein Glück mehr.

Und langsam zog auf rauher Bahn
Mit schmerzlichem Gefühle

75
Der Graf den Reisigen voran,

Noch fern vom Heimathziele;
Schon rauscht im Dämmerflor erwacht
Der Eulen Grabgefieder;
Still leuchtete der Stern der Nacht

80
Vom hohen Schwarzwald nieder.


Sieh, da erglänzt so mild und bleich,
Mit zweifelhafter Helle,
Fernher durchs dichte Waldgesträuch
Das Licht aus der Kapelle.

[352]
85
So winkt im Sturm der Erdenwelt

Des Himmels Friedenshafen;
Doch wilder noch, vom Zorn geschwellt,
Erglüht die Brust des Grafen.

„Ha!“ – rief er – „Schmach dem eitlen Wahn!“

90
Und feine Augen blitzen –

„Ihr betet falsche Mächte an,
Seht jetzt, ob sie euch schützen!
Seht, ob das Bild, das ihr verehrt,
Wohl euer Leiden räche,

95
Wenn nicht mein gutes Heldenschwert

Ersetzt des Gottes Schwäche!“

Wild jagt er seiner Schaar voran,
Fliegt mit entflammtem Blicke
Den Hügel seiner Burg hinan,

100
Dumpf donnerte die Brücke.

Da naht Luitgarde todtenbleich
Kaum fähig sich zu regen:
„Bringt ihr das Kind?“ – ruft geisterbleich
Dem Gatten sie entgegen.

105
Und schaudernd jetzt der Vater hört

Aus ihrem blassen Munde,
Allmälich schrecklicher erklärt,
Die grauenvolle Kunde:
Daß heute früh sein Töchterlein,

110
Die liebliche Mechtilde,

Verloren habe sich hinein
Tief in des Forstes Wilde.

„Schon haben Knechte weit und breit“ –
Spricht sie, – „den Wald durchflogen,

115
Doch war das meiste Jagdgeleit

Mit dir schon ausgezogen.
O Gott der Gnade, Gott der Huld!
Du Vater voll Erbarmen!
Riß etwa meiner Sünden Schuld

120
Das Kind aus meinen Armen?
[353]

Ist doch zur Jungfrau, heiß und rein,
Stets mein Gebet erklungen.
Hab’ ich doch nie der Gnaden Schrein
Entweiht durch Lästerungen;

125
Und wenn auch – straft der Höchste blind

Die Unschuld für Verbrechen?
Mein Kind, mein liebes armes Kind!
Was war an dir zu rächen?“ –

Tief traf sie Bertholds Herz; wie Brand

130
Fühlt Reue drin er toben:

„Ja, ich erkenne deine Hand,
Du Richtender dort oben!
Schmerzvolle Mutter, harre mein!
Beug dich am Throne nieder

135
Der ew’gen Gnade, denn allein

Kehr’ ich dir nimmer wieder!“

Und wieder stürmt er alsobald
Mit seinen Jagdgenossen
Den Weg zurück, tief in den Wald,

140
Auf futterfrischen Rossen;

Ein Jeder sucht auf eigner Bahn
Des Kindes Spur zu finden,
Doch Jeder sieht als eitlen Wahn
Den Strahl der Hoffnung schwinden.

145
Und plötzlich sieht der Graf allein

Sich in des Forstes Raume,
Bleich glänzt herein der Sterne Schein
Vom dunklen Wolkensaume;
Nichts hört der Graf, als ahndungsvoll

150
Der Nachtgesang der Eulen,

Horch, und von ferne schaurig schwoll
Der gier’gen Wölfe Heulen!

Bald hier, bald dort, wie Grabgesang
Aus schwarzer Nebel Schleier,

155
Und näher, immer näher drang

Der Ruf der Ungeheuer.

[354]

Und neugestachelt von der Wuth
Und der Verzweiflung Grimme,
Folgt Berthold mit der Rache Gluth

160
Der grausen Würgerstimme.


Mit seinem Schwert haut er sich sach
Bahn durch’s Gestrüpp, bis helle
Auf Einmal aus dem Dunkel brach,
Das Lichtlein der Kapelle;

165
Er eilt dahin, geschwind, geschwind,

Sein Herz voll Reu’ und Buße,
Und sieh, da schläft sein theures Kind
An des Altares Fuße!

Still lag’s wie in der Liebe Schooß,

170
In goldner Strahlenhelle,

Sanfthüllend schlang sich weiches Moos
Um seine Schlummerstelle.
Mit ihm schien des Erlösers Bild
Der Unschuld Ruh zu theilen,

175
Der Gnadenmutter Blick so mild

Auf seiner Stirn zu weilen.

Und Berthold faßt die Wonne kaum
Kaum traut er seinen Sinnen,
Ihm bangt, es möchte wie ein Traum

180
Das Bild vor ihm zerrinnen;

Er drückt das Kind an’s Vaterherz;
Nein, ’s ist kein leeres Wähnen!
Zum erstenmale schmilzt sein Herz
In heißer Andacht Thränen.

185
Zu dem Madonnabild empor

Hebt betend er die Kleine,
Und seiner Seele Nebelflor
Weicht vor dem Himmelsscheine:
„O Mutter Gottes, sieh mit Huld

190
Den Sünder vor dir knieen,

Ist’s möglich noch, so sey die Schuld,
Die schwere, mir verziehen!

[355]

„Hier, wo in deinem Gnadenschrein
Mein theures Kind ich schaue,

195
Hier weht der Unschuld Friedenshain,

Ja, hier ist Gottes Aue!
Die späte Nachwelt noch soll hier
Ein Gnadendenkmal schauen,
Drum will ich einen Tempel dir

200
Auf dieser Stelle bauen.


Hier, wo geschirmt die Unschuld schlief
Von Gottes Friedenhafen,
Hier will ich, wenn er mich berief,
Im stillen Grunde schlafen.

205
Der Namen Gottesaue soll

Den neuen Tempel krönen,
Und unerschöpfter Andacht Zoll
Daraus zum Himmel tönen!“

Friedrich von Maltitz.

Die Art, wie hier die Gründung des Klosters erzählt wird, entspricht einer mündlichen Ueberlieferung, und zwar in der Weise, daß man den Namen Gottesaue als Gottes Auge, das über dem Kinde wachte, erklärt wird; eine Auslegung, welche den Klang des lateinisirten Namens Godisaugia, Augia dei, nicht aber die richtige Ableitung für sich hat.

(Vergl. Ed. Brauer’s „Sagen von Baden.“ S. 183.)