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Gneisenau, Radetzky und der Marsch der Hauptarmee durch die Schweiz nach Langres

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Autor: Wilhelm Oncken
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Titel: Gneisenau, Radetzky und der Marsch der Hauptarmee durch die Schweiz nach Langres
Untertitel:
aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 10 (1893), S. 199–268.
Herausgeber: Ludwig Quidde
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. Br.
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[199]
Gneisenau, Radetzky und der Marsch der Hauptarmee durch die Schweiz nach Langres.
Von
Wilhelm Oncken.


In den Tagen vom 7. November bis 7. December 1813 haben in Frankfurt am Main zwischen den verbündeten Monarchen, ihren Ministern und Generalen Verhandlungen und Beschlussfassungen stattgefunden, deren Gegenstand die Fortsetzung des Krieges gegen den Kaiser der Franzosen war. Ueber Gang, Sinn und Geist dieser Verhandlungen hat sich eine öffentliche Meinung gebildet, die im Wesentlichen auf zwei Büchern ruht.

Das eine ist überschrieben: „Aus meinem Leben. Friedrich Karl Ferdinand Freiherr von Müffling sonst Weiss genannt“ – Berlin 1851 in erster, 1855 in zweiter Auflage erschienen.

Das zweite ist das allbekannte Werk von Theodor von Bernhardi: „Denkwürdigkeiten aus dem Leben des Kaiserl. Russischen Generals der Infanterie Friedrich Karl Ferdinand Grafen von Toll“. IV. Band, erste Hälfte. 2. Aufl., Leipzig 1866.

Aus dem erstgenannten Buch kommt die Ausführung in Betracht, welche auf S. 76 mit den Worten beginnt: „In Frankfurt angekommen, glaubten die Souveraine sich mit dem, was mit so vielem Blut erlangt war, begnügen zu können und hielten die Fortsetzung des Krieges weder nothwendig noch rathsam, da man auf eine Eroberung Hollands durch den General von Bülow nicht gerechnet hatte und eine Offensive gegen Paris eine gewagte Operation erschien“.

[200] Aus dem letzteren Werk kommt das umfassende erste Capitel des siebenten Buches S. 1–66 in Betracht.

Gegen die Glaubwürdigkeit der auf die Frankfurter Tage bezüglichen Angaben, welche Müffling an jener Stelle macht, hat Joh. Droysen im 3. Band seines York (Berlin 1852) S. 204/5 in einer Anmerkung wegen „namhafter Irrthümer“ Zweifel erhoben und insbesondere einen dort geschilderten Auftritt, welchen der König Friedrich Wilhelm mit Müffling und Gneisenau gehabt haben soll, „in wesentlichen Punkten fehlerhaft“ genannt. Wider die Darstellung Bernhardi’s dagegen ist ausser einer gelegentlichen Bemerkung, die ich selbst gemacht habe, Widerspruch kaum erhoben worden, sie hat vielmehr ganz allgemeinen Glauben gefunden. Mit welchem Recht, wird unsere Untersuchung lehren[1].

Ausgehen muss sie von der zweifellos überlieferten Thatsache, dass die Verhandlungen über die Fortsetzung des Krieges mit einem grossen Kriegsrath am 7. November ihren Anfang genommen, und beginnen muss sie mit Prüfung der Schriftstücke, welche dieser Berathung vorausgegangen sind und augenscheinlich ihre Grundlage gebildet haben.

Zu den Schriftstücken, welche vor dem Kriegsrath des 7. November entstanden sein müssen, rechne ich eine Denkschrift, deren eigentlicher Sinn desshalb verkannt worden ist, weil Bernhardi ihre Entstehungszeit falsch bestimmt, und ihren Inhalt dadurch in einen ganz verkehrten Zusammenhang bringt. Es ist die bekannte Denkschrift, welche Droysen als Beilage 5 im dritten Bande seines York, S. 484–486, nach einer fehlerhaften Abschrift bekannt gemacht, Bernhardi aber nach der im Archiv des Generalstabs zu Petersburg befindlichen Urschrift fehlerfrei neu gedruckt hat (Toll IV, 2, 390–392). Droysen hat sie als einen Aufsatz von Knesebeck mitgetheilt, Bernhardi dagegen hat in der Urschrift eine Ausfertigung des Oesterreichischen Hauptquartiers erkannt, und sagt von dieser im Anhang (Toll IV, 2, 392), sie trage die Unterschrift des Fürsten Schwarzenberg, im Text aber (Toll IV, 1, 50) sie sei vom Fürsten Schwarzenberg, in französischer Sprache „eigenhändig“ niedergeschrieben [201] worden. Als unzweifelhaft Oesterreichisches Werk haben wir mit Bernhardi in der That den Aufsatz anzusehen, in Bezug auf die Entstehungszeit aber hat sich B. geirrt. Da die Denkschrift kein Datum trägt, so ist die Entstehungszeit nur aus dem Inhalt zu errathen. B. spricht sich darüber nicht mit Bestimmtheit aus, aber der Zusammenhang, in dem er sie auf S. 50 ff. zergliedert und bespricht, zeigt, dass er sie in die Zeit verlegt, da die Frage des Durchmarsches der Hauptarmee durch die Schweiz und des Vormarsches nach Langres die Geister bewegt, und das ist, wie wir sehen werden, erst die Zeit nach dem 8. bezw. 13. November. Nachdem er nämlich die Hauptsätze der Denkschrift mitgetheilt hat, sagt er S. 53: „Gneisenau erhob sich, indem er mit der grössten Verachtung von der strategischen Bedeutung des Plateaus von Langres sprach, mit Nachdruck gegen diesen Plan; hauptsächlich wegen des Zeitverlustes, den die weite Umgehung durch die Schweiz herbeiführte“. Aus diesen Worten muss Jedermann schliessen, dass in der eben mitgetheilten Denkschrift die Umgehung durch die Schweiz und der Marsch nach der Hochebene von Langres warm empfohlen worden sei. Aber in der ganzen Denkschrift steht davon kein Wort, kein Wort von Langres, kein Wort von der Schweiz, und das ist entscheidend für die Frage nach ihrer Entstehungszeit. Da sie weder von der Schweiz noch von Langres ein Wort enthält, so muss sie aus einer Zeit herrühren, da von beiden noch nicht die Rede war, und das war die Zeit vor dem 7. November. Sie muss entstanden sein vor der ersten Berathung und eine der Vorlagen derselben gebildet haben. Sobald wir uns über diese Annahme verständigen, wird alles klar und verständlich, was in der Darstellung Bernhardi’s unklar und unverständlich bleibt, oder durch sie erst unklar geworden ist.

Und nun zur Denkschrift selbst. Wer sie auch nur einmal flüchtig liest, glaubt nicht einen Aufsatz zu lesen, sondern eine Rede zu hören, die von einem schneidigen General in schneidigem Tone vorgetragen wird. Er sieht sofort, für den Sprecher wie seine Hörer gibt es eine Vorfrage gar nicht, wie die, welche hier von der Nachwelt vermuthet wird. Von dem Ob der Fortsetzung des Krieges ist als einer Frage gar nicht die Rede und am allerwenigsten von einer Neigung, die Fortsetzung des Krieges „weder nothwendig noch rathsam“ zu finden. Die ganze Ausführung [202] verräth eine Zuversicht, die weder selber Zweifel hegt, noch bei den Hörern Zweifel fürchtet.

Denn was ist der ganzen Rede kurzer Sinn?

Einfach dieser: das Mittel, den Unbesiegbaren zu besiegen, ist gefunden. Bei Leipzig hat es seine erste Probe bestanden, in Frankreich selber wird es jetzt seine zweite bestehen, wenn nur rasch und mit Wucht auf dem neuen Kriegsschauplatz ebenso gehandelt wird, wie auf dem alten gehandelt worden ist. Demgemäss zerfällt der Aufsatz in zwei Abschnitte. Der erste ist ein Rückblick auf den eben abgeschlossenen, der zweite ist ein Vorblick auf den neu zu beginnenden Feldzug.

Der erste beginnt mit den Worten: „die entscheidenden Erfolge, welche die verbündeten Heere davongetragen haben, legen das beste Zeugniss für die Richtigkeit der Grundsätze ab, welche im Gang der Operationen befolgt worden sind“ und gibt unter Nr. 1–6 als solche Grundsätze im Wesentlichen die zwei an, einmal Festungen nicht zu belagern, sondern nur einzuschliessen, und sodann, die Hauptmacht des Feindes dergestalt immer von zwei Seiten her anzugreifen, dass sie ihre Kräfte theilen muss und mit der getheilten Macht des Feindes die Schlacht angenommen, mit der ungetheilten aber die Schlacht vermieden wird, während das Hauptquartier des Feindes jederzeit das Stelldichein aller Armeen bleibt. Das ist der Kern des ersten Abschnittes.

Zum zweiten wird mit den Worten übergegangen: „Diese Grundsätze sind, bestätigt durch den Kronprinzen von Schweden, in den Conferenzen zu Trachenberg zur Annahme gelangt. Nachdem die Ereignisse bewiesen haben, wie richtig sie waren, ist man übereingekommen (on est convenu), sie ebenso auf die augenblicklichen Verhältnisse anzuwenden.“

Der zweite Abschnitt geht von der Annahme aus, dass der Feind mit höchstens 80 000 Mann organisirter und feldtüchtiger Linientruppen seinen Rückzug nach Frankreich bewerkstelligt habe und bezeichnet als nächste Aufgabe der Verbündeten, dafür zu sorgen, dass der Feind nicht die Zeit gewinne, sich zu erholen und von neuem zum Angriff zu schreiten; zu dem Zweck müssen die verbündeten Heere mit all ihren jetzt noch überlegenen Streitkräften so schleunig und so massenhaft in Frankreich selber einbrechen, dass dem Feind nur die Wahl bleibt, die Trümmer [203] seiner Heere entweder zur Bemannung der Festungen oder für den Feldkrieg zu verwenden; im ersten Fall wird er kein Heer im Feld haben, im zweiten Fall werden seine Festungen unbemannt bleiben und den Angreifern in die Hände fallen.

„Um dieses Ziel zu erreichen, sind folgende Massregeln nöthig befunden worden“ (ont été jugés nécessaires) :

1. Alles was an Kosaken und Parteigängern der verschiedenen Armeen verfügbar ist, wird sofort über den Rhein geworfen, um in fliegenden Colonnen das Land zu durchziehen, die Ansammlung von Rekruten zu verhindern und die Verbindungen des Feindes zu durchbrechen.

2. Die grosse Böhmische Armee marschirt links ab: sie geht über den Rhein und wird versuchen, ins Innere Frankreichs einzudringen, um der Armee des Lord Wellington und der Italienischen Armee die Hand zu reichen.

3. Die Armee des Feldmarschalls Blücher geht gleichfalls über den Rhein, um die Französische Armee so lange zu beschäftigen, bis die Böhmische Armee die Verbindungen des Feindes erreicht haben wird. – –

4. Zu gleicher Zeit geht die Armee des Kronprinzen von Schweden in der Gegend von Düsseldorf und Köln über den Rhein, und wendet sich nach Holland, wie der Kronprinz das selbst durch den Grafen Löwensielen hat vorschlagen lassen“ u. s. w.

Die Denkschrift nimmt nicht Bezug auf ein früheres Schriftstück, folglich ist anzunehmen, dass sie das erste amtliche Schriftstück ist, das in Frankfurt entstanden ist. Dagegen gebraucht sie Ausdrücke, wie: „man ist übereingekommen – es ist nöthig gefunden geworden“; folglich ist sie nicht das Werk einer der verbündeten Mächte allein, sondern der Vertreter von mindestens zweien derselben. Der König von Preussen ist erst am 13. November in Frankfurt angekommen, während der Kaiser Alexander seit dem 2., der Kaiser Franz seit dem 6. November sich daselbst befand. Der Vertrauensmann des Königs von Preussen war der General von dem Knesebeck, der, wie wir sehen werden, ein Gegner dieses ganzen Planes war. Folglich können bei einer Vorberathung, deren Ergebniss dieses Schriftstück war, nur Vertreter Oesterreichs und Russlands zusammengewirkt haben. Als den hier thätigen Vertreter Oesterreichs kennen wir schon den Fürsten Schwarzenberg und als den Vertreter Russlands [204] können wir den Fürsten Wolkonsky annehmen, der der Stabschef des Kaisers Alexander und hier in Frankfurt bei der Neubearbeitung des Planes von Trachenberg ebenso thätig war wie früher bei dem ersten Entwurf und den Vorarbeiten desselben. Kurz, wir haben in diesem Aufsatz augenscheinlich die gemeinsame Vorlage vor uns, welche von Seiten Oesterreichs und Russlands dem grossen Kriegsrath vom 7. November gemacht worden ist.

Als geistigen Urheber des Entwurfes vermuthet nun Bernhardi den ehemals Sächsischen General von Langenau, welcher seit dem 27. Juli 1813 im Generalstab der Oesterreichischen Armee angestellt war, gibt aber von dessen strategischen Ansichten hier wie überall ein Bild, das mit den strategischen Gedanken dieser Denkschrift in unversöhnbarem Widerspruch steht, dergestalt, dass man sagen muss, entweder Langenau ist Verfasser dieser Denkschrift und dann ist alles, was Bernhardi über seine strategischen Ansichten sagt, nicht richtig, oder das letztere ist richtig und dann kann Langenau niemals eine Denkschrift wie diese verfasst haben.

S. 22/23 behauptet Bernhardi, wo er von dem Anfang der Berathungen vom 7. November redet: „Die Oesterreicher aber hatten für den sehr unerwünschten Fall, dass der Kampf fortgesetzt werden müsste, ihrerseits schon Entwürfe in Bereitschaft, die von Langenau herrührten, und dem Kaiser Alexander, wie sich ergibt, zunächst insbesondere mitgetheilt wurden“. Von diesen Plänen wird gesagt, sie seien ganz und gar von jener Schulstrategie der alten Zeit erfüllt gewesen, der der Besitz „strategischer Punkte“ über alles ging und hätten sich schliesslich in dem Antrag ausgedrückt, durch Blücher bloss Mainz beobachten zu lassen, mit der Hauptarmee aber die Schweiz in Besitz zu nehmen und von dort aus das „beherrschende Plateau von Langres“ zu erreichen. Auf S. 50 sagt Bernhardi: „Langenau’s Plan lag schliesslich in einem Aufsatz vor, den Fürst Schwarzenberg in französischer Sprache eigenhändig niedergeschrieben hat“, und nun folgt die Wiedergabe der Denkschrift, die uns eben beschäftigt, in der aber, wie gesagt, weder von der Schweiz noch von Langres, noch von irgend einem „strategischen Punkt“ auch nur mit einem Wort die Rede ist. Vielmehr athmet die ganze Ausführung in jedem Satz den Geist der neuen [205] Kriegsweise, welche durch den Trachenberger Plan Gemeingut der Verbündeten geworden war und deren Grundgesetz sich in den Worten zusammenfasste: Kampfziel ist die Vernichtung der feindlichen Hauptmacht, Marschziel ist das Feldherrnzelt des Kaisers, Festungen aber werden nicht mehr belagert, sondern bloss eingeschlossen.

Man sieht, hier liegen Widersprüche bloss, zwischen denen es keinen Ausgleich gibt. Unsere Denkschrift ist die allerentschiedenste Leugnung alles dessen, was nach Bernhardi den Kern der Feldherrnweisheit Langenau’s gebildet haben soll. Hat Langenau diesen Plan wirklich gemacht, dann ist er als Stratege ein Gesinnungsgenosse nicht der Massenbach und Mack, der Phull und Weyrother gewesen, über welche Bernhardi mit Recht seinen Spott ausgiesst, sondern ein Gesinnungsgenosse Radetzky’s und Gneisenau’s, der beiden ausgezeichneten Stabsoffiziere, zwischen denen wir die unmittelbarste Uebereinstimmung der Ansichten und Absichten gerade in diesen Frankfurter Tagen nachweisen können und dafür hat Langenau auch in der Oesterreichischen Armee jederzeit gegolten, dafür gilt er darin noch heute.

Zu den Berathungen in Frankfurt war mit Blücher selbst sein Stabschef Generallieutenant v. Gneisenau aus Giessen, dem damaligen Hauptquartier der Schlesischen Armee, herbeibeschieden worden. Des Letzteren Beitrag zu dem grossen Kriegsrath vom 7. November haben wir in der Denkschrift vor uns, „über die grosse Frage des Augenblickes“, welche Pertz III, S. 527 ff. mittheilt und die mit den Worten beginnt: „Wird man über den Rhein gehen, um alle Früchte unserer Siege zu pflücken und den über seine Unfälle betroffenen Feind niederzustossen, oder wird man diesseits bleiben und sich begnügen, für den nächsten Feldzug die Vertheidigung vorzubereiten? Das ist die grosse Frage des jetzigen Augenblickes.“ Schon aus der Fragestellung selbst ergibt sich Gneisenau’s Antwort. Sie lautet: Schleuniger Rheinübergang ist das dringende Gebot des Augenblickes, um in Feindesland selbst den Neubau des kaiserlichen Heeres zu verhindern und die eigene Armee aus Feindesmitteln zu ernähren.

Das Hauptheer überschreitet den Rhein zwischen Mainz und Strassburg und bedroht zu gleicher Zeit diese beiden Plätze nebst Landau und Hüningen. Das Schlesische Heer überschreitet [206] den Rhein so nahe als möglich bei Holland und schlägt die Richtung nach Mastricht ein, um gleichzeitig die Festungen Hollands, Brabants, Flanderns und vor allem Frankreichs zu bedrohen, und damit die Eroberung Hollands einzuleiten.

„Würde dieser Feldzugsplan angenommen, und hätte man noch mehr Truppen zur Verfügung und die Schweiz erklärte sich für uns, so würde es in einigen Rücksichten vortheilhaft sein, ein Heer in die Freigrafschaft zu senden. Dieses Land ist umgeben von Gebirgen, leicht zu vertheidigen, sobald man sich dessen einmal bemächtigt hat. Von dort aus bedroht man die inneren Landschaften Frankreichs und man nimmt alle Stellungen der Vogesen im Süden.“

Das ist also der Vorschlag, ein Heer durch die Schweiz in die Freigrafschaft au senden. Zu welchem Zweck aber sollte das geschehen? Um in die inneren Landschaften Frankreichs einzudringen, unter südlicher Umgehung aller Stellungen in den Vogesen. Auf welchem Wege kommt und kam man aber aus der Freigrafschaft ins Innere Frankreichs? Auf dem Wege über die berühmte Hochebene von Langres, die wie ein Querriegel nordwestlich vor die Freigrafschaft hingelagert ist. Genannt ist sie nicht, aber genannt ist die Landschaft, aus der man über diese Hochebene in das Innere Frankreichs gelangt. Folglich ist Gneisenau derjenige, der zuerst auf die Richtung hingewiesen hat, in welcher später der Einmarsch wirklich erfolgt ist und die Anschauung, die sich seit Bernhardi eingebürgert hat, dass der Gedanke über die Schweiz nach Langres zu marschiren, rein an sich, ein Beweis schlechter Gesinnung oder strategischer Unvernunft gewesen sein müsse, erscheint in einem ganz seltsamen Licht.

Ist nun aber auch erwiesen, dass Gneisenau wirklich im Ernst einen solchen Vorschlag in dem Kriegsrath des 7. November gemacht hat? Kann das für erwiesen gelten durch eine Denkschrift, die kein Datum hat und deren Entstehungszeit also nur vermuthungsweise angegeben werden kann? Unsere Denkschrift allein reicht zum Erweise dessen allerdings nicht aus. Aber es kommt ein Brief Gneisenau’s in Betracht, den Bernhardi noch nicht kannte, denn er ist von Pertz erst im Jahre 1869 veröffentlicht worden. (Leben Gneisenau’s III, S. 557–560.)

[207] In einem Brief an Clausewitz sagt Gneisenau am 16. November über den Kriegsrath vom 7. November:

„Mein Feldzugsplan ging darauf hinaus, dass eine grosse Armee am Mittelrhein operire, die Schlesische Armee über den Niederrhein gehen and ihre Richtung gegen Mastricht und Antwerpen nehmen, die disponiblen Truppen der Nordarmee der Yssel sich bemächtigen und eine Armee aus der Schweiz durch die Franche-Comté dringen solle.“ Man sieht, das ist wörtlich, was wir oben in der Denkschrift über die grosse Frage des Augenblicks gelesen haben. Der Brief fährt fort: „Als ich hierherkam, fand ich die Oesterreichischen Generale meinem Entwurfe sehr geneigt, nur wollten sie die Schweizer Armee grösser als die am Mittelrhein machen, was bei meinem Plan der umgekehrte Fall war.“

Diese Worte bestätigen noch einmal, dass der Gedanke, „aus der Schweiz durch die Franche-Comté zu dringen“, als Antrag Gneisenau’s in den Kriegsrath gekommen ist, nicht als ein Antrag der Oesterreicher, wie er ja auch in der Denkschrift Schwarzenberg’s nicht steht. Diesem Antrag Gneisenau’s zeigten sich nun die Oesterreicher „sehr geneigt“, nur dass sie die Hauptarmee selber auf diesen Weg schicken wollten, während Gneisenau diese für den Mittelrhein festhielt und den Marsch nach der Schweiz für einen kleineren Heertheil in Aussicht nahm.

Wie stand nun zu diesem Vorschlag Gneisenau’s der Feldmarschall-Lieutenant Graf Radetzky?

In der schon 1858 erschienenen Sammlung seiner „Denkschriften militärisch-politischen Inhalts“, die Bernhardi auch in der zweiten Auflage seines Werkes nirgends einer Erwähnung würdigt, findet sich ein vom 7. November datirter Aufsatz: „Vorschläge zur Aufstellung der verbündeten Armeen auf dem rechten Rheinufer zur neuen Offensive“ (S. 231–239).

In diesem Aufsatz wird ausgegangen von dem Satze, dass Napoleon nach dem Russischen Feldzug „fünf Monate der höchsten Anstrengung“ gebraucht habe, um eine neue Armee zu schaffen, dass man daher ohne Uebertreibung mit Gewissheit annehmen könne, er werde unter drei Monaten nicht im Stande sein, eine neue Offensive zu ergreifen. Auf die richtige Benützung dieser drei Monate komme nun für die Verbündeten alles an. Um sich zu sammeln und zu neuen Operationen vorzubereiten, [208] brauchten die Heere der Verbündeten nicht mehr als vierzehn Tage, spätestens am 20. November könnten und müssten die neuen Operationen von allen Seiten begonnen werden.

Für diese entlehnt nun Radetzky ganz wie Schwarzenberg aus dem Trachenberger Plan den leitenden Grundsatz, den Kaiser Napoleon auf mehreren Seiten so anzugreifen, dass er seine Kräfte theilen und alle übrigen Punkte ihrem Schicksal überlassen müsse, wenn er gegen einen derselben mit Ernst vorrücken wolle. Zu diesem Zwecke müsse jede Armee ihre Operationen so einrichten, dass es Napoleon nicht gelinge, die verschiedenen Angriffspunkte rasch zu unterstützen; jede dieser Armeen müsse so stark gemacht werden, dass sie gleichermassen zu Angriff und Vertheidigung befähigt sei; ihre Verstärkung auf diesen Fuss müsse unbedingt vollzogen sein in dem Augenblick, da die Französischen Armeen hergestellt sein würden; bis dahin aber dürfe mit dem Beginn der Operationen nicht gewartet werden, weil den Streitkräften des Feindes die eigenen weit überlegen seien.

Für den Aufmarsch der Armeen selbst entwirft Radetzky folgenden Plan:

1. Die Armee des Generals Wrede, die er bis 1. Februar auf 115 000 Mann verstärken will, bleibt am Mittelrhein so lange in der Defensive, bis die Hauptarmee links und die Blücher’sche Armee rechts zum Angriff schreitet.

2. Die Hauptarmee, welche bis Ende Januar 120 000 Oesterreicher und 60 000 Russen (= 180 000 Mann) zählen soll, marschirt spätestens den 20. November links ab, und über Offenburg und Basel nach Bern, wo sie den 13. December eintrifft. Von Bern richtet sie sich über Lausanne nach Genf, wo sie den 25. December ankommen kann.

3. Die Armee Blücher’s wird durch die Corps Tauentzien, Bülow und Kleist bis Ende Januar auf 120 000 Mann verstärkt, geht rechts bei Bonn oder Köln über den Rhein und marschirt auf Brüssel und Mecheln.

4. Der Kronprinz von Schweden wird hoffentlich bis Ende November mit Davoust fertig und wird wenigstens am 16. December die Offensive in der Front gegen Holland ergreifen können.

5. Die Armee von Italien muss alles anwenden, um Terrain zu gewinnen und gegen Turin vordringend ihre Verbindung [209] mit der Hauptarmee zu suchen. Sie muss bis Ende Januar 50 000 Mann stark sein.

Nachdem am 1. Januar von Genf und Brüssel aus die Offensive bestimmt ergriffen werden kann, muss es sich zeigen, ob es für die Hauptarmee besser ist, gegen die mittäglichen Provinzen von Frankreich vorzurücken und dem Lord Wellington die Hände zu bieten, ob man seine Direction auf Paris nehmen soll, oder ob man noch Zeit hat, stark im Rücken des Vicekönigs zu detachiren. Eine ähnliche Bewandtniss hat es mit der Blücher’schen Armee, sie kann, wenn die Hauptarmee dieselbe Direction nimmt, auf Paris zu marschiren, sie kann die Verbindung mit England zu eröffnen suchen und Holland im Rücken nehmend, die Operationen des Kronprinzen erleichtern.“

Erst in dieser Denkschrift Radetzky’s tritt der Plan auf, nach Paris zu marschiren, und zwar mit zwei Armeen von zwei Seiten her, mit der Schlesischen von Brüssel, mit der Hauptarmee von Genf aus. Das ist bemerkenswerth desshalb, weil wir uns gewöhnt haben an das Vorurtheil, der Marsch durch die Schweiz habe von vorne herein den Verzicht auf den Marsch nach Paris bedeutet und sei von all denen geplant und ins Herz geschlossen worden, welche gar nicht nach Paris, sondern höchstens bis Langres wollten. Umgekehrt, erst in Verbindung mit dem Marsch durch die Schweiz ist der Plan, auf Paris zu marschiren, zuerst aufgetreten und zwar in dem Entwurf Radetzky’s, während in dem ersten Entwurfe Gneisenau’s davon mit keinem Wort die Rede ist.

In dem Marsch durch die Schweiz aber stimmten Radetzky und Gneisenau zusammen, nur mit dem Unterschiede, dass der erstere mit der Hauptarmee bis nach Genf, der letztere nur mit einem Nebenheer in die Freigrafschaft wollte, während die Hauptarmee „am Mittelrhein operirte“.

Die Denkschrift Radetzky’s zeigt also, dass die Oesterreicher alle Ursache hatten, in dem Kriegsrath vom 7. November dem Vorschlage Gneisenau’s „sehr geneigt“ zu sein, wie wir in des letzteren Briefe an Clausewitz gelesen haben. Waren Preussen und Russland mit dem Marsch durch die Schweiz an sich einverstanden, so war die weitere Frage, mit wie viel Mannschaften er angetreten und wohin er von der Schweiz aus gerichtet werden [210] solle, im Sinne der Oesterreicher nur eine Frage zweiten Ranges. Im Sinne Gneisenau’s freilich war sie das nicht.

In seinem Brief an Clausewitz vom 16. November fährt er fort: „So ward der Plan dem Kaiser Alexander vorgelegt und angenommen. Des andern Tages kam Herr von Knesebeck und sagte, er habe sich eines besseren besonnen. Von der Schweiz aus müsse die grösste Hauptmacht vordringen (250 000 Mann); die Schlesische Armee müsse dicht an ihr bleiben und ihr die Flanke und Rücken, als Observationsarmee am Oberrhein decken; die Eroberung von Holland müsse dem Kronprinzen von Schweden übertragen werden und wenn er auch nicht kommen wolle, so müsse man auf die Eroberung von Holland kein Gewicht legen, denn dieses Land müsse in Paris erobert werden; dahin müsse man seinen Marsch richten; die Armee aus Italien müsse ebenfalls nach dem südlichen Frankreich kommen und dort müsse man sich mit Lord Wellington die Hand bieten.“

Aus diesen Worten geht zunächst hervor, dass die allgemeine Annahme, der Kriegsrath vom 7. November sei „ergebnisslos“, d. h. ohne Einigung, verlaufen, falsch ist. Gneisenau bezeugt, dass der von ihm gemachte Plan, den wir kennen, dem Kaiser Alexander „vorgelegt und angenommen“, d. h. dass der Marsch aus der Schweiz in die Freigrafschaft im Sinne Gneisenau’s beschlossen worden ist und das war, wie Jedermann sieht, ein sehr wichtiger und folgenreicher Beschluss.

Es ergibt sich ferner, dass am 8. November durch Eingreifen des Generals Knesebeck eine Wiederaufnahme der Berathung veranlasst worden ist, von welcher früher gar nichts bekannt war.

Ueber Knesebeck’s Antheil an diesen ersten Berathungen war bisher nur bekannt, was ein Brief von ihm an Gneisenau vom 22. Januar 1814 errathen liess. Aus diesem Brief hat Droysen in seinem Leben York’s III, S. 197/98 Mittheilung gemacht. Danach hat Knesebeck ursprünglich vorgeschlagen: „man müsse Napoleon bei Mainz festhalten, Bülow Holland erobern lassen, sich scheinbar auf Winterquartiere einrichten, um dann unerwartet vorzubrechen“, d. h. man müsse zunächst jeden Rheinübergang unterlassen und mit der Hauptmacht stehen bleiben, während Bülow Holland eroberte. Jetzt am 8. November hatte sich Knesebeck eines „bessern besonnen“; er hatte sich [211] zum Marsch durch die Schweiz bekehrt und zwar nicht in dem beschränkten Umfang nach dem Plane Gneisenau’s, sondern nach dem Vorschlag Radetzky’s und mit dem Marschziel Paris.

Was war nun das Ergebniss dieses zweiten Kriegsrathes am 8. November?

Gneisenau erzählt in seinem Brief an Clausewitz: „Vergebens mache ich auf die Schwierigkeit und die Länge des Weges (über Genf und Lyon) aufmerksam, auf die moralische Kraft, die man dadurch der französischen Regierung gibt; auf die Freiheit, die dem Feinde dann bleibt, seine festen Plätze im alten Frankreich, in Brabant und Holland nicht zu besetzen und Armeen aus diesen Besatzungen zu bilden; auf den Reichthum an Hilfsmitteln der belgischen und batavischen Länder, die dem Feinde dann zu Gebot steht; auf den sehr hochwichtigen Umstand, dass dieser Feldzug in sechs Wochen erst am Genfer See seinen Anfang nehmen kann u. s. w., alles ist umsonst. Der Kaiser und die Oesterreichischen Generale fallen Knesebeck’s Meinung bei und mein Plan ward verworfen.“ Auf den Inhalt dieses seines Planes, den wir schon kennen, geht Gneisenau noch einmal ein und fügt schliesslich hinzu: „Die Rheinarmee (d. h. die Hauptarmee nach Gneisenau’s Plan) sollte soweit vordringen, dass sie Mainz, Strassburg, Landau, Luxemburg, Metz, Thionville zugleich bedroht; der Angriff von der Schweiz aus sollte nur ein zweiter Moment sein, den man von den neu zu bildenden Massen verstärken konnte. Dieser mein Plan indess, als der weniger glänzende, musste dem Schimmer des von Knesebeck’schen nachstehen, obgleich es gleichfalls in meiner Berechnung lag, bei günstigen Umständen bis nach Paris zu dringen.“

Der Kriegsrath vom 8. November änderte also den Beschluss vom 7. dahin ab, dass der Marsch durch die Schweiz statt nach dem Antrag Gneisenau’s durch ein Nebenheer, vielmehr nach dem Plane Radetzky’s auf Knesebeck’s Vorschlag mit dem Hauptheer angetreten werden, und nun auch sich bis Genf erstrecken, Paris aber zum endgültigen Marschziel haben sollte.

Radetzky und Knesebeck also sind die ersten, welche den Marsch nach Paris ins Auge fassen. Gneisenau aber kommt erst im Kampf mit dem letzteren in die Lage, auszusprechen, dass [212] auch in seiner Berechnung liege, „bei günstigen Umständen bis nach Paris zu dringen“. Das ist wiederum eine Ueberraschung für alle die, welche in dem Vorstellungskreise Bernhardi’s befangen sind.

Nach all dem ist am 8. November unter Abänderung eines am Tag vorher gefassten Beschlusses der Aufmarschplan festgestellt worden, dessen Grundgedanken nachher auch wirklich zur Ausführung gekommen sind, nur dass das Schicksal Hollands von General Bülow durch die That entschieden ward, ehe man mit dem Kronprinzen von Schweden in’s reine kam, und dass die Armee Schwarzenberg’s nach ihrem Uebertritt in die Schweiz eine Theilung vornahm, vermöge deren die Vorhut nach Genf, die Hauptmacht aber durch die Freigrafschaft nach Langres ging, also gerade die Richtung einschlug, welche Gneisenau zuerst angegeben hatte.

Eine Urkunde über den am 8. November festgestellten Plan liegt uns vor in einem Schriftstück von der eigenen Hand des Kaisers Alexander. Bernhardi hat es bekannt gemacht und zwar sowohl im französischen Urtext (Toll IV, 2, 389/90), als in deutscher Uebersetzung (IV, 1, 28/29).

Ueber der Abschrift, welche das Kriegsarchiv zu Wien aufbewahrt, steht zu lesen: „Operationsentwurf vom Russischen Kaiser eigenhändig niedergeschrieben und am 8. November dem Generallieutenant v. Gneisenau zugestellt.“

In diesem Entwurf war von der bisherigen Nordarmee, die auf 105 000 Mann angeschlagen ward, gesagt: „Geht in der Gegend von Köln über den Rhein und sucht Holland von Frankreich abzuschneiden.“

Von der bisherigen Schlesischen Armee des Feldmarschalls Blücher – deren eigentlicher Stand auf 52 000 Mann berechnet, die aber durch Hessen, Westfalen, Württemberger, Badener, Darmstädter und das Corps Kleist auf 132 000 Mann verstärkt werden sollte – war gesagt: „Geht über den Rhein, besetzt Koblenz, wird den rechten Flügel und die Verbindung der grossen Armee decken und nach Umständen angriffsweise verfahren.“

Von der grossen Armee, die auf 205 000 Mann angeschlagen ward, hiess es: „Beobachtet Breisach und Kehl und operirt durch die Schweiz.“

[213] Und von der Armee in Italien (68 000 Mann) hiess es: „Wird den Var zu erreichen suchen, um die Verbindungen mit der grossen Armee und der des Lord Wellington zu bewirken.“

Diesen Plan hat der Kaiser dem Kronprinzen von Schweden mitgetheilt und dabei hinzugesetzt: Voici le plan que j’ai proposé et sur lequel les autorités militaires autrichiennes et prussiennes sont tombées complètement d’accord. (Bernhardi, Toll IV, 1, 30.)

Ueber die am 8. November gefassten Beschlüsse liegt noch eine zweite Urkunde vor, ein noch nicht gedruckter Bericht des Lord Aberdeen, der entweder an der Verhandlung selber Theil genommen oder durch Fürst Schwarzenberg sofort die unmittelbarste Kenntniss des Geschehenen erhalten hat. Sein aus Frankfurt, den 8. November 1813 datirter Bericht lautet folgendermassen:

„Da man entschlossen ist (it being determined), den Krieg mit der äussersten Thatkraft (with the utmost possible vigour) fortzusetzen, so sind verschiedene Sitzungen gehalten worden, um zu einer rascheren Entscheidung über die Frage zu kommen, auf welchem Wege dieser Beschluss am besten zur Ausführung zu bringen sein würde. Den Plan, welcher mit dem Vorbehalt fernerer Erwägung angenommen worden ist (adopted, subject however to further consideration), habe ich die Ehre Ew. Lordschaft zu unterbreiten. Es wird beabsichtigt, dass die grosse Armee unter Fürst Schwarzenberg zunächst nach Basel marschirt und in die Schweiz eintritt. Von da, ist vorgeschlagen, soll sie durch Dauphiné und Freigrafschaft in Frankreich eindringen, da diese Grenze auf ihrer ganzen Strecke ohne feste Plätze ist. Diese Bewegung wird den Operationen des Lord Wellington im Südwesten Frankreichs wesentlich zu Statten kommen, sie wird die Eroberung Italiens sicher stellen und verspricht im allgemeinen den glücklichsten Erfolg. Fürst Metternich hat den Ritter von Lebzeltern zum Landammann geschickt mit Anträgen an die Regierung der Schweiz, auf deren Gelingen zu hoffen man alle Ursache hat.

„Eine starke Streitkraft wird zurückbleiben, um Mainz, Koblenz und nach Bedarf auch andere Rheinplätze zu bewachen, um häufige Einfälle zu machen, den Feind beständig in Athem zu erhalten und einen grossen Theil seiner Truppen zu beschäftigen. Vorgeschlagen [214] ist auch, dass der Kronprinz von Schweden über Antwerpen herfallen und die Eroberung von Holland bewirken soll, indem er die ganze Französische Grenze in jener Richtung bedroht.

„Das ist der Abriss des Planes, wie er jetzt besteht, und so stolz und riesenhaft, wie er Ew. Lordschaft erscheinen mag, es wird, wie ich vertraue, an den Mitteln nicht fehlen, um ihn auszuführen. Es wird berechnet, dass wenigstens 400 000 Mann erforderlich sein werden, um ihm sichere Aussicht auf Erfolg zu geben, und ich bin glücklich zu hören, dass trotz der grossen Verluste, die wir im Lauf des letzten Feldzuges erlitten haben, diese Streitermassen in kurzer Zeit beisammen sein werden.

„Ich werde bald von der endgiltigen Beschlussfassung unterrichtet werden, welche über diese wichtige Frage getroffen werden muss, und dann nicht anstehen, sie Ew. Lordschaft mitzutheilen. Bis dahin mögen Sie versichert sein, dass der Nachtheil jedes Zeitverlustes voll gewürdigt und jeder Plan, der schliesslich Annahme findet, mit Raschheit und Nachdruck zur Ausführung gebracht werden wird.“

Der Marsch der Hauptarmee durch die Schweiz war somit seit dem 8. November beschlossene Sache, da er aber in der jetzt angenommenen Ausdehnung mit grossem Zeitverlust verbunden und ausserdem die in der That dringend nothwendige Eroberung Hollands und Belgiens darüber zu kurz zu kommen schien, so schrieb Gneisenau für den Kaiser Alexander eine neue Denkschrift nieder, die zwar auch, wie seine meisten Papiere aus den Frankfurter Tagen, ohne Datum ist, die aber, wie die Eingangsworte lehren, nur vom 9. November herrühren kann, denn diese lauten: „Der gestern in Gegenwart des Kaisers von Russland besprochene und angenommene Feldzugsplan erscheint darin mangelhaft, dass darin zu wenig Gewicht auf den Einfall in Holland und Brabant gesetzt ist.“ (Pertz, Gneisenau III, 543.) Unter den Gründen, mit welchen das schleunige Eindringen in Holland und Brabant empfohlen wird, befindet sich auch einer, der uns überrascht, weil Gneisenau doch derjenige ist, der zu allererst von einem Einmarsch in die Schweiz gesprochen hat. Er sagt am Schlusse dieses Aufsatzes: „Der Einfall in Frankreich, von der Seite der Schweiz auszuführen, ist ein glänzendes, aber gefährliches Unternehmen. Man darf sich nicht verhehlen, [215] dass es der französischen Regierung eine sittliche Kraft zu geben beitragen wird und ihm einen Vorwand liefern, das ganze Volk unter die Waffen zu rufen. Die Nationaleitelkeit wird dadurch verletzt werden, statt dass durch den Angriff auf die von Frankreich unterjochten Landschaften und die ausgesprochene Erklärung, dass dieses das einzige Ziel der verbündeten Mächte ist, das französische Volk ruhig und geduldig bleiben und an dem Kampfe nicht weiter Theil nehmen wird, als es durch seine Regierung dazu gezwungen ist. – Die lange Verbindungslinie des grossen Heeres aus dem Innern Deutschlands mit einem grossen Umwege über die Schweiz nach Paris, mit Festungen und guten Stellungen auf ihrer Rechten, muss uns Besorgniss erregen – dieses Unternehmen gleicht etwas dem Napoleon’s auf Moskau.“ (Pertz III, 545/46.) Entnehmen wir dieser Ausführung die sehr merkwürdige Thatsache, dass selbst Gneisenau, der kühnste aller Deutschen Strategen jener Zeit, einmal daran gedacht hat, zur Vermeidung eines vulkanischen Ausbruches Französischer Nationaleitelkeit auf ein Eindringen ins eigentliche Frankreich überhaupt zu verzichten, ja, diesen Verzicht im Voraus öffentlich auszusprechen und zu erklären, nur „von Frankreich unterjochte Landschaften“ sollten von den Verbündeten angegriffen werden und das sei auch ihr einziges Ziel! Bemerken wir aber auch die Thatsache, dass trotz dieser sehr ernsten Sorge vor dem Nationalgeist Frankreichs, die von Generalen und Staatsmännern ganz allgemein gehegt ward, in all’ diesen Verhandlungen nicht mit einem Hauch an die Einstellung des Krieges und nicht mit einem Wort der „Friedensgespräche“ gedacht wird, welche am 8. November mit dem Baron St. Aignan gepflogen wurden. Die Diplomaten suchten dabei ja nur einen Beitrag für ihr Kriegsmanifest und die Soldaten hatten die ausdrückliche Gewähr dafür, dass die militärischen Operationen dadurch irgend welche Hemmung nicht erfahren sollten, wie denn das auch in keiner Weise geschehen ist. Und so konnte Lord Cathcart am 10. November seinen Bericht über diese Novembertage in der kurzen Zifferndepesche zusammenfassen: „Militärische Operationen werden nicht eingestellt, bevor ein Friedensvertrag unterzeichnet ist. Folgendes ist der Operationsplan und die Vertheilung der Streitkräfte. Der Prinz von [216] Schweden soll gegen Holland wirken. Marschall Blücher wird verstärkt, beobachtet den Rhein und überschreitet ihn, wenn nöthig, bei Mannheim. Die Hauptmacht der Verbündeten marschirt nach dem Oberrhein und dringt in Frankreich ein, wo nur wenige und meist veraltete Festungen sind. Diese Bewegung wird die Unabhängigkeit der Schweiz begünstigen und ein Zusammenwirken herbeiführen mit Feldmarschall Bellegarde, welcher eine grosse Armee in Norditalien befehligen soll, und auch mit Lord Wellington.“

Als Gneisenau in seiner ersten Frankfurter Denkschrift von einem Einmarsch in die Freigrafschaft sprach, nahm er an, dass die Schweiz sich ebenso wie die ehemaligen Rheinbundsfürsten den Verbündeten anschliessen würde, aber diese Annahme ging nicht in Erfüllung.

Schon am 8. November konnte Lord Aberdeen über aufgefangene Briefschaften berichten, unter welchen ein Bericht des Herzogs von Rovigo an Napoleon war, der unter dem 23. October sagte: „Ein Agent, der mir in den letzten Feldzügen Ew. Majestät in Deutschland mit Erfolg gedient hat, meldet mir aus Strassburg, dass die Rüstung bei den Schweizern mit Nachdruck betrieben wird (l’armement chez les Suisses s’effectue avec activité). Diese Meldung stimmt überein mit dem, was mir gestern der Fürst von Benevent sagte, der nicht aus derselben Quelle geschöpft haben kann“. Die Schweiz hiess neutral, war aber in Wirklichkeit Französische Provinz und Napoleon gebot über ihre Waffenmacht unter dem Namen „Mittler“ gerade so, wie er über die des Rheinbundes unter dem Namen „Protector“ geboten hat. Der damalige Landammann der Schweiz, Hans von Reinhard, Bürgermeister des eidgenössischen Staates Zürich, berief auf den 15. November 1813 eine ausserordentliche eidgenössische Tagsatzung nach Zürich, und diese beschloss noch am selben Tage, die bewaffnete Neutralität der Schweiz zu erklären und diesen Beschluss, sowie die dabei beabsichtigten Zwecke durch zwei persönliche Abordnungen dem Kaiser der Franzosen einer- und den verbündeten Monarchen andererseits kund zu geben, um von beiden eine Anerkennung derselben zu erlangen[2]. Dieser Beschluss bedeutete thatsächlich die Fortdauer [217] des Abhängigkeitsverhältnisses, in dem seit 1803 die Schweiz zu Frankreich stand.

Erst nachdem dieser ganz unbesonnene Beschluss gefasst war, erschienen in Zürich die beiden Abgesandten der Kaiser von Russland und Oesterreich, Graf Capo d’Istria und Ritter von Lebzeltern[3], die den Auftrag hatten, die Eidgenossenschaft zum gütlichen Anschluss an die Verbündeten zu bewegen. Im Hauptquartier zu Frankfurt erschienen am 3. December[4] als Abgesandte der Schweiz der Landammann Aloys von Reding und der Alt-Seckelmeister von Escher aus Zürich, die als Legationsrath der Rathsherr Hirzel aus Zürich begleitete. Ueber die Aufnahme, die sie fanden, bekam Lord Aberdeen ihren eigenen, sehr ausführlichen Bericht zu lesen, aus dem er am 5. December seinerseits berichtete: Der Kaiser von Oesterreich und Fürst Metternich sprachen in demselben Sinne, sie machten ihnen keine Aussicht darauf, dass die Neutralität der Schweiz unter den gegenwärtigen Umständen geachtet werden würde. Graf Nesselrode äusserte sich ziemlich in derselben Weise wie Fürst Metternich. Der Kaiser von Russland aber gab ihnen die zuversichtliche Zusage, dass die Neutralität geachtet werden würde. Der König von Preussen dagegen sagte ihnen, er selbst habe sich ja lange Zeit bemüht, neutral zu bleiben, aber das sei der Grund all’ seines Unglückes geworden, und als guter Freund rathe er ihnen, sie möchten solchen Gedanken aufgeben.

Kaiser Alexander, von seinem einstigen Lehrer, dem Waadtländer Cäsar Laharpe, auch hier berathen, hat durch seinen unbesonnenen Schritt den Schweizern nicht geholfen, den Verbündeten aber ernsten Schaden gethan, denn durch den Widerstand, den er dem Einmarsch in die Schweiz beinahe vier Wochen lang entgegensetzte, ward den Vorbereitungen des Masseneinbruchs in Frankreich empfindlicher Zeitverlust bereitet, alle Fragen, die mühselig in’s Klare gebracht waren, in’s Unklare zurückgeworfen, allen Stimmen des Zweifels und des Kleinmuthes von neuem Raum [218] gegeben. Eine „Friedenspartei“ in dem Sinne, wie die Nachwelt so lange geglaubt, hat es in Frankfurt nicht gegeben. Denn es ist nicht wahr, was Müffling nachträglich behauptet, dass die Monarchen eine Fortsetzung des Krieges „weder nothwendig“ noch „rathsam“ erachteten. Daran, dass Napoleon einen Frieden schliessen werde, wie ihn die Eröffnungen an St. Aignan enthielten, hat nachweislich kein Mensch geglaubt, nur die Ablehnung jedes, auch des massvollsten Friedensprogramms wollte man sich durch diese Verhandlung verschaffen als Waffe gegen den Kaiser selbst, einen faulen Frieden aber hat Niemand vorgeschlagen. Nicht über das Ob?, nur über das Wie? der Fortsetzung des Krieges ist gestritten worden. Wenn aber auch das Ob? selber nachträglich in Frage gekommen wäre, dann hätte das lediglich das Veto des Kaisers Alexander gegen den ganz unumgänglichen Einmarsch in die Schweiz verschuldet. Man braucht, um sich davon zu überzeugen, nur die wahrhaft verzweiflungsvolle Denkschrift zu lesen, die Radetzky hierüber am 13. December in Freiburg geschrieben hat und in der er nachweist, dass man nur noch eine Wahl habe, entweder schleunigen Einmarsch in die Schweiz oder „die Schande eines Rückzuges ohne Noth und ohne Ursache“[5].

In den Anfang dieser Zeit des Hangens und Bangens, die mit dem 18. oder 19. November begonnen und mit dem 21. December geendet hat, fallen die letzten Frankfurter Denkschriften von Radetzky und Gneisenau. Eine Denkschrift Radetzky’s vom 19. November beginnt mit den Worten: „Es scheint unbedingt nothwendig, dass man über die Grundsätze einig werde, welche uns bei den ferneren Operationen leiten sollen“. Sie begründet die unumgängliche Nothwendigkeit des sofortigen Einmarsches in die Schweiz: „denn jetzt oder niemals können wir Frankreich angreifen. Wer jetzt Schwierigkeiten und Scheingründe auffindet, der wird in drei Monaten mit vollkommenem Recht die Unmöglichkeit beweisen können, das Französische Gebiet zu betreten“; und sie kommt zu folgenden Bestimmungen:

Die Hauptarmee überschreitet den Rhein und dringt gegen das Plateau von Langres vor. General Wrede blokirt [219] Hüningen, Kronprinz von Württemberg blokirt Kehl. Durch diese beiden Corps im Rücken gedeckt, kann die Hauptarmee unausgesetzt so weit vordringen, als der Widerstand des Feindes und das Glück es gestatten.

„Blücher’s Hauptbestimmung bleibt die Deckung von Deutschland, da aber Mainz nur sehr schwach besetzt ist, könnte er am 16. December über den Rhein gehen und jenseits so weit als möglich vordringen, um die Kräfte zu vermindern, welche der Feind der Hauptarmee entgegen stellen wird“[6].

In dieser Denkschrift vom 19. November wird das „Plateau von Langres“ zum ersten Mal ausdrücklich als nächstes Marschziel der Hauptarmee genannt, während sie bisher auch nach der Meinung Radetzky’s und Schwarzenberg’s bis Genf marschiren sollte. Der weite Bogen, vor welchem Gneisenau so lebhaft gewarnt, ward vermieden und der von diesem als Nebenoperation zuerst vorgeschlagene Marsch durch die Freigrafschaft als Hauptoperation in den Gesammtplan aufgenommen.

In einer weiteren Denkschrift vom 21. kam Radetzky auf den Satz zurück, dass der Verzicht auf den Einmarsch in die Schweiz gleichbedeutend sei mit dem Verzicht auf den Winterfeldzug überhaupt; auf diesen Winterfeldzug aber komme alles an, weil durch ihn allein der Neubau des feindlichen Heeres verhindert und das eigene auf Feindeskosten ernährt werden könne: „Wenn wir den Winter benutzen wollen, ohne den grösseren Theil unserer Armeen während desselben – bei Belagerung der Rheinfestungen – aufzureiben, bleiben uns keine anderen Operationen übrig, als Holland und die Schweiz zu erobern und von der Schweiz aus gegen Frankreich vorzudringen. Dies ist der Schlüssel zum Reich unserer Feinde und nur von hier aus dürfen wir das Beste erwarten“[7].

Inzwischen war auch Gneisenau nicht müssig gewesen. Unter seinen von Pertz veröffentlichten Frankfurter Papieren befindet sich ein Schreiben an Kaiser Alexander, welches mit den Worten anfängt: „In der Berathung über den Feldzugsplan, welche vor E. K. M. stattgefunden hat, haben Sie und mit Recht grosses Gewicht auf die Vereinigung der Kräfte und den [220] Einfall in Frankreich von der Seite der Schweiz gelegt. Da dieser Einfall politische und physische Hindernisse zu finden scheint, so habe ich einen Feldzugsplan überlegt, welcher die von E. K. M. auferlegten Bedingungen erfüllt, und ich wage ihn E. K. M. zu Füssen zu legen. Dieser Feldzugsplan hat den Vortheil, auf der Stelle ausgeführt werden zu können.“ (Pertz III, 536.)

Der Brief ist ohne Datum. Pertz hat ganz richtig gesehen, dass die Eingangsworte auf den Widerwillen des Kaisers gegen jede Vergewaltigung der Schweiz hindeuten, aber er hat übersehen, dass dieser Widerwille erst erwachte, als die Schweiz wider alles Erwarten bewaffnete Neutralität erklärte und dadurch erst dem Einmarsch der Verbündeten „politische und physische Schwierigkeiten“ entgegen setzte. Das ist aber erst durch den Beschluss vom 15. November geschehen und da die amtliche Nachricht darüber vermuthlich nicht vor dem 18. November in Frankfurt angekommen ist, so kann auch der Brief Gneisenau’s nicht vor dieser Zeit und keinesfalls, wie Pertz annimmt, am 8. November geschrieben sein.

Der neue Feldzugsplan aber, der den grossen Vorzug sofortiger Ausführbarkeit hat, ist nach den im Briefe folgenden Andeutungen ganz derselbe, den Gneisenau seinem König am 20. November unterbreitet und zwar auch mit der besonderen Empfehlung, dass er „augenblicklich in Ausführung gebracht werden könne“. Und dieser wieder ist wörtlich derselbe, den Gneisenau am 24. November dem Kaiser Alexander eingereicht hat. Offenbar gehört jener Brief an den Kaiser diesem selben 24. November an und bildet das Begleitschreiben des unter diesem Datum eingereichten Feldzugsplans.

Diesen letzten Frankfurter Feldzugsplan Gneisenau’s hat zuerst Bernhardi, Toll IV, 1, S. 43–46, veröffentlicht, nach ihm Pertz, Gneisenau III, 551–554, abgedruckt. Eine im wesentlichen gleichlautende Abschrift findet sich auf dem Kriegsarchiv zu Wien. Der neue Plan Gneisenau’s unterscheidet sich von allen gleichzeitigen Plänen Radetzky’s und des Kaisers Alexander dadurch, dass er nicht mit chimärischen Stärkeziffern rechnet, sondern zunächst einmal die sofort verfügbaren Streitkräfte unterscheidet von denen, die erst später verfügbar werden. So kommt er auf ein Feldheer, das insgesammt nur 242 000 Mann beträgt und folgendermassen zusammengesetzt ist:

[221]

1. Russische Garden und Reserven
30 000 Mann 
2. Wittgenstein’sches Corps
10 000     „ 
3. Oesterreichische Armee
120 000     „ 
4. Schlesische Armee
52 000     „ 
5. Baierische Armee
30 000     „ 
 
242 000 Mann. 

Er unterscheidet sich von dem am 8. November angenommenen Aufmarschplan dadurch, dass er auf einen Marsch durch die Schweiz fürs erste verzichtet und für die Hauptarmee einen sofortigen Rheinübergang in Aussicht nimmt.

Sein Plan war dieser: Von den 242 000 Mann sollten 30 000 Baiern oder eben so viel Oesterreicher vor Mainz bleiben, die übrigen 212 000 Mann aber sollten an verschiedenen Punkten[8] über den Rhein gehen, zur Beobachtung von Landau und Strassburg Heertheile zurücklassen und die Richtung auf Metz und Nancy[9] nehmen. „Vorausgesetzt, dass die Hauptarmee auf ihrem Zug nach Metz und Nancy[9] 35 000 Mann zur Beobachtung der Festungen im Elsass zurücklässt und dass noch 7000 Mann für Kranke u. s. w. abzurechnen sind, blieben ihr noch an der Mosel in Lothringen 175 000 Streitbare in Reih und Glied. Mit den Verstärkungen, die ihr nachrücken, bildet sie dort eine Heeresmacht von 217 000 Mann, die in den Truppen vor Mainz und im Elsass einen ersten Rückhalt von 100 000 Mann und in den nach Eroberung der Elbefestungen und Vollendung der Rüstungen der ehemaligen Rheinbundsfürsten verfügbaren Truppen einen zweiten Rückhalt von 121 000 Mann hinter sich hat. Nichts kann die Verbündeten hindern, die vorgeschlagenen Operationen sofort zu beginnen. Sie sind ganz unabhängig von den Armeen in Italien oder den Unternehmungen Lord Wellington’s. Fortschritte, welche diese entfernten Heere in den Ebenen der Lombardei oder am Fuss der Pyrenäen machen, können wohl den Heeren am Rhein mittelbar zum Vortheil gereichen und ihre Erfolge steigern, aber sie sind nicht die nothwendigen Bedingungen derselben. Der Feind ist durch solche Unternehmungen gezwungen, Besatzungen in alle seine Festungen zu werfen. Es werden [222] ihm also nur wenige Truppen zur Verwendung im freien Felde bleiben und er hat schwerlich die Mittel, auch nur dieses verhältnissmässig wenig zahlreiche Heer gehörig mit Artillerie und Schiessbedarf auszurüsten. Haben wir zur Zeit, wo die Rüstungen der Deutschen Fürsten vollständig beendigt sind, Frankreich den Frieden noch nicht diktirt, so gewähren uns alsdann ungeheure Streitkräfte die Mittel, seine Hauptstadt zu bedrohen und sie zu erobern, indem wir ihr alle Zufuhr abschneiden.“

In diesem Zusammenhang ist von Gneisenau der Vorschlag eines directen Vormarsches über den Mittelrhein nach Metz-Nancy-Paris gemacht worden, als die Ausführung des am 8. November beschlossenen Marsches durch die Schweiz nach Genf auf die uns bekannte Schwierigkeit stiess und der Seitenmarsch nach Langres, den jetzt Radetzky vorschlug, noch nicht beschlossen war. In Gneisenau’s neuem Plan war, wie schon gesagt, von jedem Marsch durch die Schweiz für den Anfang ganz abgesehen. Es hiess darin, nach Uebergabe von Erfurt oder Dresden könne das Corps Kleist (15 000 Mann) sammt den dann verfügbaren Truppen der ehemaligen Rheinbundsfürsten nach dem Oberrhein ziehen und von dort aus je nach Umständen entweder die im Elsass zurückgelassenen Heertheile ablösen oder durch die Schweiz in die Freigrafschaft eindringen. Damit war dieser Marsch aus der Reihe der nothwendigen Massregeln ausgeschieden, in die der allenfalls möglichen verwiesen und zugleich auf eine Zeit vertagt, in welcher die Frage der Neutralität der Schweiz ganz von selber durch den Gang des Krieges erledigt war.

War der Plan Gneisenau’s wirklich so rasch ausführbar, wie er unstreitig genial gedacht war?

Man sollte es glauben. Bernhardi erzählt, nach dem Friedensschluss sei der Marschall Ney gefragt worden, was erfolgt wäre, wenn dieser Plan im November zur Ausführung kam. Er habe mit den Achseln gezuckt und gesagt: „Die Heere der Verbündeten hätten ihre Märsche bis Paris zählen und ihre Marschquartiere bis dahin im voraus bestimmen können.“ (Toll IV, 1, 46.) Und in einem Brief Napoleon’s an Marmont vom 19. November lesen wir die Worte: „Nous ne sommes dans ce moment-ci en mesure pour rien.“ Von Seiten des Feindes also war im November 1813 noch kein nennenswerther Widerstand zu besorgen. [223] So sagt denn auch Müffling in seinen „Betrachtungen über die grossen Operationen und Schlachten der Feldzüge von 1813 und 1814“ (Berlin u. Posen 1825, S. 103): „Wenn die verbündete Armee (die mit 200 000 Mann am Rhein angekommen war) am 9. und 10. November den Rhein von Mannheim bis Koblenz überschritt und gerade gegen Nancy vorrückte, wo sie am 27. November eintraf, sie hätte alles in der grössten Verwirrung vorgefunden. Napoleon hatte seine treuen Unterthanen noch nicht darauf vorbereitet, dass sie im schönen Frankreich langbärtige Kosaken sehen, ja, dass sie mit ihm zugleich eintreffen würden. Toul und Vitry waren noch offene Städte, Paris war noch unbefestig. Kurz, es ist wahrscheinlich, dass am 1. Januar der Einzug in Paris stattfinden konnte. An diesem Tage konnte aber eine neue Armee von 100 000 Mann den Rhein überschreiten, welcher dann sechs Wochen später abermals eine Armee von 150 000 Mann folgte.“

Dies war möglich, wenn am 9. und 10. November mit dem Feind zusammen die Verbündeten in Frankreich einrückten. Das war aber nicht geschehen und wesshalb nicht?

Radetzky sagt in seiner schon erwähnten Denkschrift vom 19. November: „Hätten es die physischen Kräfte einer Armee zugelassen – welche nach einer viertägigen Schlacht dem Feind in vierzehn Tagen bis an den Rhein folgte –, gleich damals den Rheinübergang zu forciren, so hätte man vielleicht den ersten Schrecken benutzen, sich Meister der einen oder anderen Festung machen und sich so jenseits des Rheins festsetzen können.“

Also die physischen Kräfte erlaubten das der Armee nicht. Ist das eine blosse Ausrede oder bittere Wahrheit gewesen ?

Von der Schlesischen Armee schrieb Gneisenau am 11. November: „Unsere Armee ist sehr geschmolzen und leidet den bittersten Mangel an Kleidungsstücken. Barfuss und in leinenen Hosen müssen viele der wackeren Soldaten durch die grundlosen Wege waten. Bei Eisenach trat auf einmal solche Kälte ein, dass uns viele Leute erfroren.“ (Pertz III, 548.) Dazu kamen, sowie man an den Rhein in die von den Franzosen verlassenen Quartiere kam, der Typhus und die Ruhr und andere Erkrankungen, die bloss Folge der übermässigen Anstrengungen waren. Als das Corps York Ende December wieder aufbrach, musste [224] es 5000 Kranke zurücklassen[10]. Unter solchen Umständen musste der Armee Erholung gegönnt werden, es musste eine gewisse Frist verstreichen, bis Schuhe, Hosen und Wintermäntel beschafft und der Ersatz heran war, durch den das Corps Ende December wieder 22 000 Mann unter Waffen hatte. Hier also bei der Armee des Marschalls Vorwärts und seines genialen Stabschefs Gneisenau stand eine physische Unmöglichkeit dem sofortigen Rheinübergang mit dem flüchtigen Feinde zugleich entgegen.

Und wie stand es mit der Hauptarmee? Lord Aberdeen sagt in seinem Freiburger Bericht vom 25. December, auf den wir zurückkommen: „Ich will nicht leugnen, dass wenn es der Armee bei ihrer Ankunft am Rhein möglich gewesen wäre, auf Mainz vorzustossen, den Fluss zu überschreiten und die Wehrlosigkeit der Festungen und die Bestürzung der geschlagenen Truppen Bonaparte’s zu benutzen, dies den grossen Zweck des Krieges bedeutend gefördert haben würde. Aber das stand ganz ausser Frage. Ew. Lordschaft wolle sich nur der vier Tage unaufhörlicher Schlachten bei Leipzig, sodann der vierzehn Tage Eilmärsche erinnern, die bei schlechtestem Wetter gemacht werden mussten, um den Grund einzusehen, wesshalb einige Ruhe unbedingt nothwendig war. Die grosse Masse der Oesterreichischen Armee besteht aus jungen Truppen und hatte unter den Mühsalen des Feldzugs sehr zu leiden. Diese Leiden möge Ew. Lordschaft an der Thatsache ermessen, dass der durch verschiedene Ursachen veranlasste Gesammtverlust der Oesterreicher allein seit dem 10. August bis zu unserer Ankunft in Frankfurt mehr als achtzig Tausend Mann betragen hat.“

Das waren die Gründe, aus denen es ganz unmöglich war, mit den flüchtenden Franzosen selber den Rhein zu überschreiten.

Die beste Zeit für den Plan Gneisenau’s war also in dem Augenblick, da er ihn vorlegte, schon vorüber. Ueber das aber, was nun noch möglich war, sagt Müffling im Verfolg der oben angebrochenen Ausführung: „Wenn die Verbündeten die Besorgniss hatten, wie sie über den Rhein kommen würden, so zeigten die Rheinbrücken der Schweiz“ – gemeint sind die von Basel, Laufenburg und Schaffhausen – „ein sehr gutes Auskunftsmittel. [225] Auch ist nicht zu leugnen, dass wenn einmal der Augenblick versäumt war, in welchem man gewissermassen mit der Französischen Armee zugleich über den Rhein kommen konnte, keine Operationslinie besser war, als aus der Schweiz und dem Elsass, und zwar aus zwei verschiedenen Gründen. Der erste, dass, wenn man den Rhein hinter sich hat, zwischen Metz und Belfort, also in einer Entfernung von 24 Meilen, keine Festung liegt, und wenn man von Metz nach Paris und von Belfort nach Orleans an die Loire Linien zieht, innerhalb dieses Raumes keine Festungen liegen. Von Metz nach Lille dagegen, in einer Entfernung von 33 Meilen, liegt der berühmte dreifache Gürtel von 22 Festungen, welche alle Chausseen mehrfach sperren. In der Anlage der Französischen Festungen liegt es daher, dass Paris am leichtesten aus der Schweiz und dem Elsass zu erobern ist. Von den drei Objecten, welche die einzig möglichen für die Verbündeten sein konnten: Eroberung der Festungen, Eroberung der Hauptstadt Paris, Vernichtung der feindlichen Armee, fiel das erste, die Eroberung der Festungen, als unmöglich gänzlich weg. Es blieben daher nur die zwei letzten Objecte, und welches von beiden oder ob alle beide zugleich verfolgt werden mussten, liess sich vom rechten Ufer des Rheins durchaus nicht übersehen. Daher entstand der zweite Grund, um die Operation vom Oberrhein gegen Paris allen anderen vorzuziehen. Wenn nämlich die Höhen von Langres erreicht waren, so standen die Verbündeten gerade in derselben Entfernung von Paris als von Lyon. Hier musste sich zeigen, ob Napoleon seine Hauptkräfte bei Paris oder bei Lyon versammelt hatte, und erst hier, aber auch hier mit Sicherheit konnte der Beschluss gefasst werden, ob der Marsch auf Paris oder auf Lyon gehen müsse.“

Den Marsch nach Langres denkt man sich gewöhnlich als ein Manöver jener Kriegskunst, welche nur nach ‚strategischen Punkten‘, ‚Abschnitten‘, ‚beherrschenden Höhen‘ und nicht nach der Aufstellung der feindlichen Hauptmacht fragt, deren Vernichtung beabsichtigt sein muss. Hier umgekehrt erscheint er als das beste Mittel, um sichere Antwort zu erhalten auf die erste aller Fragen, nämlich wo steht der Feind, bei Paris oder bei Lyon? Und diese Frage war eine sehr ernste, denn Napoleon war noch immer Napoleon und seine Streitkräfte noch immer [226] sehr bedeutend. Müffling veranschlagt sie im December 1813 noch immer auf 250 000 Mann in Frankreich selbst verfügbarer Truppen, ganz abgesehen von der Elbarmee Davoust’s und den Festungsbesatzungen an Weichsel, Oder und Elbe[11].

Müffling schliesst seine Betrachtung mit den Worten: „Die Wichtigkeit des Besitzes von Langres beschränkt sich eigentlich auf diesen, im damaligen Kriegsverhältniss beruhenden Umstand und darauf, dass Langres ein Punkt ist, in welchem sich viele aus Norden und Süden kommende Strassen kreuzen. Das grosse Publicum gefiel sich in dem Gedanken, dass Langres einer der höchsten Punkte Frankreichs, eine Art Belvedere für die Verbündeten sei, von welchem sie das schöne Reich überschauend und bis Paris fortdauernd herabsteigend alle taktischen Vortheile in Händen hätten.“

Die letztere Auffassung ist Gegenstand häufigen Spottes gewesen und das mit Recht, dass es aber auch eine ernsthafte Betrachtung dieses berühmten Plateaus gab, zeigt vorstehende Ausführung. Die eigentlichen Gegner des Marsches auf Langres waren übrigens nicht die, welche einen Marsch auf Paris ohne Umweg forderten, sondern vielmehr diejenigen, die gar nicht nach Paris und jedenfalls keinen Winterfeldzug mit Rheinübergang haben wollten.

[227] Als einen Mann solcher Gesinnung kennen wir den Feldzeugmeister Duka, welcher zu Kaiser Franz in einer ähnlichen Vertrauensstellung stand, wie General Knesebeck zu König Friedrich Wilhelm III., mit dem er auch die militärische Grundansicht gemein hatte.

Mit ihm hatte Fürst Schwarzenberg in Frankfurt ein Gespräch, welches der Biograph des letzteren A. Prokesch (Denkwürdigkeiten aus dem Leben des F. M. F. Karl zu Schwarzenberg, Wien 1823, S. 225/26) folgendermassen erzählt:

Auf die vertrauliche Frage, warum er gegen den Marsch auf Langres stimme, antwortete Duka – denn er ist nach Schönhals (Radetzky S. 249) der von Prokesch nicht näher bezeichnete „General“ – „weil jeder General dagegen stimmen muss, eine dreifache Festungsreihe hinter sich liegen zu lassen, um in einem feindlichen Lande vorzudringen. – Richtig, erwiderte der Fürst, wenn diese Festungen besetzt sind, da dies aber nicht der Fall ist, so sind sie gerade viel mehr à charge als zum Nutzen der Franzosen; ich bürge dafür, dass wir nichts zu fürchten haben bis Langres. Haben wir aber diesen Punkt erreicht, so sind wir an den Quellen der Marne und Seine, haben die Gebirge im Rücken und die Ebene für den Krieg statt des erschöpfenden Gebirgskriegs. Dagegen was soll ich thun diesseits des Rheines mit solchen Massen? In einem Lande Winterquartiere beziehen, welches durch feindlichen Durchzug und frühere Anstrengungen ganz erschöpft ist? Wie soll ich mich aufstellen? Mich zerstreuen bis Oesterreich zurück, um leben zu können und diesen fürchterlichen Druck auf Deutschland ruhen zu lassen? – Ja, was wollen Sie denn thun, fiel ihm Duka ins Wort, wenn Sie in Langres sind? Etwa nach Paris gehen?

„Allerdings, sagte der Fürst, ebenso wie ich nach Frankreich gehen will und wäre es bloss darum, um in Frankreich zu sein (denn ich halte dies der Art des Krieges und dem Geiste, der ihn belebt, für angemessen), ebenso nehme ich keinen Anstand zu sagen: ich will nach Paris. Meine Basis ist Europa vom Eismeer bis zum Hellespont. Für diese wird doch Paris das Operationsobject sein dürfen?

„– Wenigstens würde weder Eugen noch Marlborough so gehandelt haben, die auch vor den Thoren Frankreichs standen und grosse Männer waren, äusserte Duka. – Schwarzenberg gab [228] ihm das zu, aber setzte bei, in ihrer Lage hätten sie auch unrecht daran gethan. Nur ein Thor kann aus den Niederlanden nach Paris vordringen wollen, wenn die dreifache Festungsreihe besetzt ist, wie sie es sein muss. Zudem stand Eugen mit 50 000 Mann, Marlborough mit etwa 30 000 Mann, während ich 400 000 gegen einen vernichteten Gegner führe. Dass Eugen, wo die Verhältnisse mit den meinigen ähnlicher waren, auch auf sein Object losgegangen ist, ohne sich durch Festungen paralysiren zu lassen, beweist sein Marsch auf Turin“ u. s. w.

Ueber den Gang, welchen die Verhandlungen genommen haben, seit über die Behandlung der Neutralität der Schweiz Meinungsverschiedenheit entstand, liegen nur Andeutungen vor.

Auf der im Kriegsarchiv zu Wien befindlichen Abschrift des oben besprochenen Gneisenau’schen Planes vom 24. November stehen die Worte: „Operationsplan, welchen General von Gneisenau, vom 24. November datirt, der Frankfurter Conferenz zur Berathung vorlegte“.

Aus dieser Ueberschrift kann man schliessen, dass am 24. November, dem Tag, an welchem aus Paris Antwort auf die Eröffnungen St. Aignan’s eingetroffen war, ein neuer Kriegsrath stattgefunden hat, in welchem erstens der Widerspruch des Kaisers Alexander gegen die Ausführung seines eigenen Planes vom 8. November, zweitens die Denkschriften Radetzky’s vom 19. und 21. November, drittens der neue Plan Gneisenau’s vom 20. bezw. 24. November zur Verhandlung werden gekommen sein. Ist dem so, so kann aus dem Erfolg geschlossen werden, dass Gneisenau’s neuer Plan abgelehnt, der Kaiser mit seinem Protest allein geblieben, mit Rücksicht aber auf ihn nach dem nunmehrigen Antrage Radetzky’s beschlossen worden ist, die Hauptarmee nicht durch die Schweiz nach Genf, sondern durch die Freigrafschaft nach Langres zu senden.

Eine Bestätigung dieser Annahme kann man in einem Berichte finden, welchen General Charles Stewart am 24. November aus Frankfurt erstattet hat und in welchem wir folgende sehr bemerkenswerthe Ausführungen lesen: „Seit meiner Ankunft in Frankfurt habe ich nicht erfahren, ob irgend eine endgiltige Beschlussfassung (über den Feldzugsplan) stattgefunden hat und ich möchte glauben, dass, obwohl die Armee im Marsche ist, noch manche Veränderung eintreten kann, bevor der Plan selber sich entwickelt.

[229] „Eine nicht unwesentliche Abweichung von den ursprünglichen Absichten ist schon beliebt worden und man sagt jetzt, dass die Grosse Armee, statt in die Schweiz und nach Italien zu gehen, bei Basel und Hüningen den Rhein überschreiten und geraden Wegs nach Belfort marschiren wird, unter Besetzung der Gegend in der Nachbarschaft. Gleichzeitig zieht ein starkes Corps durch die Schweiz und kommt über Mailand mit der Armee des Feldmarschalls Bellegarde, welche von Vicenza heranmarschirt. Wenn die Italienische Armee mit der vom Rhein kommenden sich berührt, werden die Operationen mit einander verknüpft werden und eine kann die andere unterstützen. Andererseits ist mit Bezug auf den Feldmarschall Blücher vorgeschlagen, dass er hier bleiben soll, im Mittelpunkt der sehr ausgedehnten Linie gegenüber all’ den 13 Festungen, die uns in’s Gesicht starren. Wenn wir bei Mainz den Rhein überschreiten, wird die Schlesische Armee wahrscheinlich bestimmt sein, dieselbe Rolle zu spielen wie bisher, nämlich auszuweichen, wenn der Feind wider sie anrückt, andererseits über den Rhein zu gehen und dort Scheinbewegungen zu machen, wenn der Feind mit all’ seinen Streitkräften gegen die Hauptarmee vorrückt.

„Die Nordarmee dringt, wie schon beabsichtigt, in Holland ein und verfolgt ihre Operationen unabhängig.

„Diesem Plan liegt derselbe Gedanke zu Grunde, wie der, der uns bisher geleitet hat. Die Schweiz wird ein zweites Böhmen werden: Biücher wirkt in der Mitte und der Kronprinz im Norden. Der Unterschied der Ausführung liegt in der ungeheuren Ausdehnung des Gebietes, auf dem wir uns bewegen und in dem Mangel an Verbindung zwischen unseren Heeren.

„Es ist gewiss, dass die Schweiz besetzt werden muss, sie ist eine wesentliche Stütze für unsere Flanke bei jeder Operation und man kann nachweisen, dass, wenn wir die Donaulinie hinter der Hauptarmee haben, die grossen Hilfsmittel, welche Baiern bietet und all’ unsere Anstalten für Ersatz, Munition u. s. w. von dieser Stromlinie sehr erleichterte Beförderung haben werden. Viele erklären auch, dass bei allen früheren Kriegen Napoleon beständig, wie jeder hervorragende General, diese Linie mit besonderer Vorliebe zur Operationslinie gemacht hat.“

In dieser ganzen Ausführung ist von Kaiser Alexander’s Veto [230] gegen den Einmarsch in die Schweiz keine Rede, aber der Nachdruck, mit welchem hier auf Besetzung der Schweiz gedrungen wird, die ja am 8. November einstimmig beschlossen worden war, zeigt doch, dass diese Massregel neuerdings sehr beredter Empfehlung bedurfte und man kann vermuthen, dass wir hier den Nachklang dessen vor uns haben, was in dem Kriegsrath vom 24. November gesagt worden ist, um dem Widerspruch des Kaisers Alexander gegen den früher von ihm selbst gewünschten Durchmarsch durch die Schweiz zu entwaffnen. Dieser Widerspruch hatte ja, wie wir wissen und nachträglich von Neuem bestätigt finden werden, nicht militärische, sondern politische Beweggründe. Der Kaiser wollte nicht die Waffen der Verbündeten den Umsturzplänen der Partei der alten Schweiz dienstbar machen, wie das allerdings zu fürchten war, wenn die Regierung der neuen Schweiz, die am 15. November bewaffnete Neutralität ausgerufen hatte, durch Uebermacht vergewaltigt wurde. Dem gegenüber konnte Oesterreich geltend machen unter Hinweis auf die Aufträge des Ritters von Lebzeltern vom 11. November, dass es keinerlei politische, sondern lediglich militärische Zwecke verfolge, dass der Durchmarsch durch die Schweiz militärisch unvermeidlich sei, um erstens auf dem kürzesten und gefahrlosesten Wege nach Frankreich und zweitens mit der Armee in Italien in Verbindung zu kommen. Lediglich dies sei mit dem Marsch der Hauptarmee nach der Schweiz beabsichtigt, wenn aber vor dem Erscheinen grosser Heeresmassen ein politischer Umsturz, ein Bürgerkrieg zwischen der alten und der neuen Schweiz befürchtet werde, so könne dem vielleicht dadurch abgeholfen werden, dass die Hauptarmee die Schweiz nur bei Basel berühre, um sofort nach dem Rheinübergang durch das Loch von Belfort nach Frankreich zu gehen und nur ein kleinerer Heertheil auf Genf marschiren, auf dem kürzesten Wege und ohne unnöthigen Aufenthalt. Wenn durch solche Vorstellungen der Kaiser Alexander beschwichtigt worden ist, so würde sich erklären, wesshalb einerseits Stewart von seinem Widerspruch gar nichts gehört hat und wesshalb andererseits die Märsche der einzelnen Corps der Hauptarmee, welche seit dem 18. November nach dem Oberrhein im Gange waren, keine Abänderung erfahren haben.

Stewart fährt in seinem Bericht fort: „All’ diese Gründe [231] scheinen für die grosse Bewegung in dieser Gegend den Ausschlag gegeben zu haben (seem to have determined the great movement in this quarter), obgleich noch immer zweifelhaft ist, wann und in welcher Ausdehnung sie wirklich stattfinden wird. Die Spitze der Hauptarmee wird am 25. in Freiburg eintreffen. Um den 5. December nimmt man an werde ein Corps Belfort erreichen – inzwischen höre ich nicht, dass hier Befehle für den Aufbruch des Hauptquartiers ausgegeben sind und ich vermuthe, dass die Berathungen eben noch fortdauern. Der leitende Gedanke des obigen Planes rührt, wie ich weiss, von General Knesebeck her[12] und ist vom Kaiser und vom Fürsten Schwarzenberg angenommen worden gegen die Ansicht des Generals Radetzky[13]. General Gneisenau mit seiner gewöhnlichen Rastlosigkeit (activity) ist sehr ärgerlich über den gegenwärtigen Stillstand (delay). Da er sah, wie die Sache von einem Tag zum anderen verschleppt ward, reichte er dem Kaiser einen neu entworfenen Plan ein, von welchem ich Ew. Lordschaft eine Abschrift beilege[14]. Er ist interessant, wegen seiner sehr genauen, von Uebertreibung freien Angaben über die Streitkräfte der Verbündeten. Ich begleite dieses Schriftstück mit einer Abschrift der Einwendungen Gneisenau’s gegen den angenommenen Plan[15]. Diese Ausführungen laufen darauf hinaus, dass die Armee des Feldmarschalls Blücher nach Holland vorgesandt werden soll an Stelle derjenigen des Kronprinzen von Schweden. Ew. Lordschaft wird im Besitz all’ der Nachrichten, die Ihnen zugehen, in der Lage sein, diese Papiere nach dem ihnen zukommenden Werth zu würdigen und es wäre überflüssig für mich, dem noch irgend welche Bemerkungen hinzuzufügen. In der That bin ich nicht anspruchsvoll genug, um mehr darüber zu sagen, als dass ich den ersten Plan (der seitdem abgeändert worden ist) für sehr anfechtbar (very objectionable) halte. Schliesslich sind hier so viel erfahrene Offiziere, die diese Gegend auf’s gründlichste geprüft haben und jede Stellung, jede Festung [232] nach Stärke und Wichtigkeit, die wahren Streitkräfte der Verbündeten, ihre Schatten- und ihre Lichtseiten kennen, dass ich im Vergleich mit ihnen weder unterrichtet noch urtheilsfähig genug bin, um eine Meinung darüber abzugeben und dass ich es für das klügste halte, Ew. Lordschaft mit all’ dem, was ich ermittelt habe, bekannt zu machen, indem ich geschickteren Händen und reiferer Einsicht überlasse, den Werth der verschiedenen Pläne zu zergliedern. Ich bin der Meinung, dass in der Aufstellung der Streitkräfte Deutschlands kein grosser Fortschritt gemacht werden wird, bis die verbündeten Heere den Rhein überschreiten. So lange sie hier nahe bei einander liegen, werden durch die Reibung der verschiedenen Interessen und der mancherlei Autoritäten, durch die Verwirrung, die herrscht und durch die Masse der Lebensmittel, die hier verschlungen werden, all’ die Massregeln gehemmt, die zur Sammlung, Befestigung und Waffnung der Deutschen Staaten nöthig sind. Es ist darum sehr zu wünschen, dass über die grossen Armeen so verfügt werde, wie es nöthig ist, um die Neuaufstellung derjenigen nicht zu hindern, die so überaus nützlich werden würden und die auch schon in der Förderung begriffen sind. Es wird gemeldet, die Ankunft des Feldmarschalls Bellegarde[16] werde hier mit Sehnsucht erwartet, um ihn über das Zusammenwirken der Italienischen Armee mit der Rheinarmee zu Rathe zu ziehen. Mit diesem Grund wird der Aufschub entschuldigt.“

Den nächsten militärischen Bericht erstattete Stewart am 5. December. Er war so glücklich melden zu können, dass die Uebergabe von Stettin und Zamosc erfolgt war, die von Danzig unmittelbar bevorstand, General Bülow aber die Ysselfestungen Doesborg, Zutphen und Arnheim mit Sturm genommen und damit die Eroberung Hollands auf’s Glücklichste eingeleitet hatte. Mit Bezug auf den allgemeinen Feldzugsplan hatte er nur zu melden, dass er glaube, es werde bei dem, was er am 24. November geschrieben, sein Bewenden behalten, wenn auch noch mancherlei Erörterungen und Veränderungen angekündigt seien. „Nachdem einmal die Gelegenheit verloren war, den Feind im Augenblick der Panik zu verfolgen, haben die Verbündeten ihre [233] beiden Flügel weit ausgedehnt und beabsichtigen auf beiden Seiten gegen Schweiz und Holland zu operiren, während Blücher bei Mainz über den Rhein geht und die Aufmerksamkeit des Feindes auf sich zieht, was den Flügelarmeen mehr Freiheit des Handelns verschafft. Die Armee in Holland wird auf Utrecht, Rotterdam und Haag vordringen.

„Fürst Schwarzenberg wird mit der Hauptarmee, 160- oder 180 000 Mann stark, bei Basel und Breisach über den Rhein gehen und sich in der Nachbarschaft von Belfort und Besançon aufhalten, indem er ein starkes Corps in die Schweiz sendet über Neuenburg nach Genf. Die Festungen Hüningen, Belfort und Besançon werden zur Beobachtung nicht mehr Streitkräfte fordern als Mainz. Die Hauptarmee wird versuchen, nach Lyon und Dijon vorzudringen, um die Verbindung des Feindes mit Italien zu durchbrechen[17].

„General Klenau marschirt durch das Thal von Trient, um die Italienische Armee zu verstärken, die auf 100 000 Mann vermehrt werden soll und Feldmarschall Bellegarde, welcher vor einigen Tagen hier angekommen ist, ist im Begriff abzureisen, um ihr Commando zu übernehmen. Ueber die geplanten Bewegungen der Armee in Italien bin ich schlecht unterrichtet, aber das Wenige, was ich über ein Zusammenwirken mit Lord Wellington höre, scheint mir ziemlich chimärisch zu sein. Was die Schweiz angeht, so sind Abgesandte hier eingetroffen[18], um ihre Neutralität zu erklären und auszurufen, und einen Marsch nach Frankreich anzugeben, bei dem ihr Gebiet nicht verletzt werden würde, aber obwohl, wie ich höre, der Kaiser von Russland Zweifel geäussert hat über das Verfahren ihnen gegenüber, so glaube ich, wäre es ein zu grosser militärischer Fehler für die Sicherheit Deutschlands und Italiens, wenn man versäumte, sie von hier aus gegen jeden Anfall Frankreichs zu sichern. Ich glaube aber, es wird nur ein Corps in das Land eintreten, während das Gros der Armee bei Basel nur durchzieht.“

Diese letzten Worte sprechen für die oben geäusserte Vermuthung über den Zusammenhang des Seitenmarsches der Hauptarmee über Basel nach Belfort-Langres mit der Rücksicht auf [234] Alexander’s Widerwillen gegen offene Vergewaltigung der Schweiz. Stewart hat übrigens den Ernst des Widerspruchs, den der Kaiser erhob, unterschätzt. Nicht „Zweifel“ galt es hier zu besiegen, sondern ein förmliches Veto hatte der Kaiser in diesen Tagen gegen jeden Einmarsch in die Schweiz eingelegt, vermuthlich weil seine am 24. November beschwichtigten politischen Befürchtungen im Gespräch mit den Schweizern inzwischen von neuem erwacht und stärker geworden waren als je.

Gleichwohl erliess der Kaiser Franz an demselben 5. December ein Handbillet, welches lautete:

 „Lieber Feldmarschall Fürst Schwarzenberg!

In Folge des gestern getroffenen Uebereinkommens haben Sie nunmehr gemeinschaftlich mit dem Feldmarschall Grafen Bellegarde und mit Beiziehung des Feldzeugmeisters Duka und des F. M. L. Grafen Radetzky einen allgemeinen Operationsplan mit Einschluss der Armee in Italien zu verfassen und mir so schleunig als irgend möglich vorzulegen.“

Ein „gestern“, d. h. am 4. December getroffenes „Uebereinkommen“ kann nur ein solches mit Kaiser Alexander sein, und wenn so, nur die Frage der Schweiz und ihrer Neutralität zum Gegenstande gehabt haben. Der Inhalt dieses Uebereinkommens muss sich aus den Thatsachen und Urkunden errathen lassen, die ihm gefolgt sind.

Da steht an erster Stelle ein längst bekannter französischer Aufsatz, den General Knesebeck im Namen des Königs von Preussen am 7. December dem Kaiser Alexander eingereicht hat und den wir bei Bernhardi (Toll IV, 2, S. 392–394) gedruckt finden.

Der Aufsatz beginnt mit den Worten:

„Die Schweiz erklärt sich neutral, aber die Mediationsacte besteht und die Truppen dieser Republik streiten in den Reihen der Französischen Armee, folglich ist diese Neutralität nur Täuschung: sie kann, wäre sie von Napoleon anerkannt, den Verbündeten keinerlei Sicherheit gewähren, denn ohne Zweifel wird er sie unter irgend einem leicht zu findenden Vorwand verletzen, sobald er seinen Vortheil dabei finden wird. Täuschen wir uns nicht, sein Marsch durch das neutrale Ansbach im Jahre 1805 hat uns gezeigt, wessen man sich von ihm zu versehen hat. [235] Man nimmt sich vor (on se propose), den Rhein bei Basel oder etwas unterhalb, ausser dem Schweizer Gebiet (hors du territoire suisse) zu überschreiten und die Operationen in’s Innere Frankreichs zu tragen. Bietet dieser Plan nicht die allergrösste Gefahr dar, so lange wir nicht Herren der Schweiz sind oder sie sich nicht für uns erklärt hat? Wenn unsere Armeen ihr Gebiet durchziehen, aber im Uebrigen ihre Neutralität anerkennen, so können sich die Franzosen dieselbe Freiheit nehmen und selbst wenn unsere Armeen sie achteten, müssten wir nicht fürchten, dass der Feind in die Schweiz eindränge auf den ihm offen bleibenden Wegen, z. B. über Genf und uns dann in den Rücken fiele? Welche Schwierigkeiten würde nicht ein Rückzug unter solchen Umständen haben, zumal wenn er die Folge eines Fehlschlags wäre und der Rhein von Eis starrte, was doch in dieser Jahreszeit von einem Tag auf den anderen eintreten könnte? Auch eine gesunde Politik könnte uns für den Augenblick die Weiterverfolgung dieses Planes untersagen, denn wenn wir in’s Innere des alten Frankreich eindringen, während Napoleon sich zu Friedensverhandlungen erbietet, erleichtern wir ihm die Vereinigung aller Kräfte des Widerstandes. Wäre es also nicht besser, den fraglichen Plan zu vertagen, bis das Ergebniss der jetzigen Verhandlungen bekannt würde und uns Beweismittel an die Hand gäbe, um dem Französischen Volke darzuthun, dass es sich lediglich an seinen Souverain zu halten hat, wenn es den Kriegsschauplatz in sein Land verlegt sieht, trotz des Wunsches der Verbündeten, ihm den Frieden zu geben?

„Sollte man nicht warten, bis die Schweiz für unser Interesse gewonnen wäre, bis der Frühling die Operationen begünstigte, bis die Armeen durch Rekruten ergänzt, durch die Aushebungen in Deutschland vermehrt, mit Schiessbedarf versehen und für ein so grosses Unternehmen mit allem Erforderlichen ausgerüstet wären? Nehmen wir an, es gelänge uns, in das Herz Frankreichs einzudringen, könnten wir hoffen, unsere Fahnen in Paris aufzupflanzen, irgend etwas Entscheidendes auszurichten, wenn wir uns nicht vorher mit diesen Mitteln versorgt hätten? Und was hätten wir geleistet, wenn wir etwa auf halbem Wege umkehren müssten! Ein Scheitern in Frankreich würde uns weit hinter das zurückwerfen, was wir erreicht haben, würde die öffentliche [236] Meinung zu Gunsten Napoleon’s aufrichten, ihn bestimmen, seinen Ton zu verstärken und würde das allergrösste Unglück sein. Nicht dass in den Kriegsoperationen an sich auch nur im Mindesten nachgelassen werden dürfte, die Art, wie Napoleon die Friedensgrundlagen angenommen hat, gebietet im Gegentheil, sie mit der allergrössten Wucht zu fördern, aber es scheint, dass wir die Operationen zunächst auf unserem rechten Flügel mit der allergrössten Kraft zu betreiben haben, weil dies durch den Wunsch der Deutschen links vom Rhein, der Völker von Belgien und Holland und durch nach dieser Seite schon ergriffene Massregeln gefordert wird. Dort wird die Jahreszeit uns nicht hemmen, sondern fördern sogar; dort wird Napoleon keine zwingenden Gründe finden, um die Franzosen zu ihrer eigenen Vertheidigung aufzurufen; denn in das alte Frankreich treten wir ja nicht ein. Dort nähern wir uns der Hilfeleistung Englands und unseren Verbindungen mit ihm, seinen Vorräthen an Schiessbedarf und Lebensmitteln; dort können wir auf rasche Erfolge hoffen und haben im Fall eines Unglücks eine gesicherte Rückzugslinie. Wäre nach all’ diesem nicht das beste: Eine starke Defensive auf unserer Linken und in der Mitte; eine rasche und kraftvolle, gut berechnete Offensive auf unserer Rechten?“

Wir haben diese Ausführung ganz hierhergesetzt, weil sie, obwohl längst bekannt, noch bei keinem Historiker die Würdigung gefunden hat, die ihr zukommt. Zunächst ist sie eine wichtige Urkunde über den Grund, der den König Friedrich Wilhelm bestimmt hat, sich am 7. December gegen den sofortigen Rheinübergang auszusprechen. Dieser Grund lag nicht, wie man seit Müffling (Aus meinem Leben, S. 78/79) annahm und annehmen musste, in dem heissen Verlangen nach einem faulen Frieden und dem Wahn, dass ein solcher in Frankfurt erreichbar gewesen wäre. – In Holland forderte er ja die unmittelbare Fortsetzung des Krieges ganz ausdrücklich und von den Verhandlungen mit Napoleon erwartete auch er, ganz wie alle Uebrigen, lediglich eine Abweisung, die sich bei dem Friedensverlangen Frankreichs selbst als eine Waffe gegen ihn verwenden liess. Aber ein Rheinübergang, während die Schweiz unter dem Namen Neutralität in den Händen Napoleon’s blieb, das war, was er mit vollem Recht durchaus nicht haben wollte, und dass dieses ganz ernstlich der Plan Alexander’s war, [237] das ersehen wir eben aus diesem Protest, den der König von Preussen durch Ueberreichung dieser Denkschrift Knesebeck’s einlegen liess.

Es ergibt sich aus dem oben mitgetheilten Bericht Stewart’s, dass die Abgesandten der Tagsatzung von Zürich, welche am 3. December in Frankfurt angekommen waren, nicht bloss die Anerkennung der Neutralität der Schweiz verlangt, sondern auch einen Vorschlag gemacht haben, um den Verbündeten einen Weg nach Frankreich zu zeigen, der gangbar war, ohne Verletzung ihrer Neutralität. Worin dieser Vorschlag bestand, wird hier nicht gesagt, aber vermuthen können wir aus den Worten Knesebeck’s (on se propose de passer le Rhin à Bâle ou un peu plus bas, hors du territoire suisse et de pousser les opérations dans l’interieur de la France), dass es sich um die Frage gehandelt haben wird, wie die Verbündeten die stehende Rheinbrücke bei Basel benützen konnten, ohne dass die Neutralität der Schweiz selber aufgehoben ward. Auf diese wie auf die beiden anderen Rheinbrücken bei Laufenburg und Schaffhausen kam für ihren Rheinübergang den Verbündeten alles an, weil im Winter, der Gefahr des Eisgangs halber, an Brückenschlag nur im Nothfall zu denken war; für einen Uebergang ausserhalb der Schweiz aber, also auf Elsässischem Gebiet, bedurfte es weder eines Rathes noch einer Mitwirkung der Schweiz. Vielleicht ist man auf den Gedanken verfallen, es ebenso zu machen, wie es in den Jahren 1795–1804 mit Bezug auf die Fränkischen Lande Preussens, Ansbach und Baireuth, gehalten ward; wo Heere aller kriegführenden Mächte, unbeschadet der Neutralität Preussens durchziehen konnten (passer), wenn sie nur keinen Aufenthalt nahmen (séjourner) und keine Beitreibungen machten, sondern alles baar bezahlten[19]. Ein solches Durchmarschrecht, unbeschadet der Neutralität der Schweiz, hätten die Verbündeten beanspruchen können unter Berufung darauf, dass Napoleon in dem Krieg von 1809 es seinerseits erst bei Basel und dann bei Schaffhausen sich ohne Weiteres herausgenommen hatte, obwohl die Schweiz ausdrücklich neutral erklärt war[20]. Wenn der Schweiz gelang, mittelst eines Uebereinkommens dieser Art die ganze Hauptarmee [238] der Verbündeten auf dem kürzesten Wege nach Frankreich abzuschieben, jeden weiteren Durchzug und vollends jede politische Einwirkung der Oesterreicher hintanzuhalten, während zu gleicher Zeit eine grundsätzliche Anerkennung ihrer Neutralität durchgesetzt ward, dann hatte die Tagsatzung in Zürich ein überaus glänzendes politisches Geschäft gemacht. Und wenn es auf Kaiser Alexander allein ankam, dann gelang es ihr auch.

Aus der Denkschrift Knesebeck’s ergibt sich, dass der Kaiser Alexander bereit war, die ganze sogenannte Neutralität, die bisher nur dazu da gewesen war, von Frankreich mit Füssen getreten zu werden, für sich und die Verbündeten als bindend anzuerkennen, womit von selbst gegeben war, dass der längst beschlossene Durchmarsch durch die Schweiz nach Genf aufgegeben und höchstens ein Durchzug durch Basel oder gar nur ein Rheinübergang unter den Kanonen von Hüningen übrig blieb. So war der Kaiser Alexander unter dem Einfluss des Waadtländers Laharpe gesonnen, aber wer von den Verbündeten ausser ihm? Der König von Preussen nicht, denn dieser hatte ja den eben mitgetheilten höchst entschiedenen Protest dagegen eingelegt, der auf den kurzen Satz zurückgeführt werden konnte: lieber gar keinen Rheinübergang als einen unter solchen Umständen. Der Kaiser Franz aber wollte von dergleichen noch viel weniger wissen, wie wir sogleich aus dem von ihm eingeforderten Feldzugsplan sehen werden. Folglich ist der Kaiser in der Berathung vom 4. December mit seinem Vorschlag allein geblieben, in den Inhalt des „Uebereinkommens“ von diesem Tage ist er nicht übergegangen; aber der Kaiser hat ihn auch nicht fallen lassen, er hat ihn, dem Widerspruch der beiden verbündeten Monarchen zum Trotz, aufrecht erhalten. Sonst würde sich die Einreichung der Denkschrift Knesebeck’s am 7. December nicht erklären lassen. Hiernach war gerade die Hauptfrage der schwebenden Verhandlung offen geblieben. Worüber war man nun aber einig geworden? Das lesen wir heraus aus dem Feldzugsplan, welchen an demselben 7. December Graf Radetzky im Entwurf vollendete und den alsbald der Fürst Schwarzenberg dem Kaiser übergab. Der Text dieses Planes befindet sich auf dem K. K. Kriegsarchiv zu Wien und lautet folgendermassen:

„Bei dem jetzigen Stand der verbündeten und feindlichen Heere können und müssen die weiteren Operationen gegen Frankreich [239] nur nach den südöstlichen Provinzen dieses Reiches gerichtet sein, weil diese Gegend von Festungen entblösst ist. Hierzu ist der Besitz der Schweiz unerlässlich, denn nur durch die angemessene Besetzung derselben wird die Basis der Operationen gegen Frankreich gesichert und die Verbindung der vorgerückten Hauptarmee mit ihren Hilfsquellen unterhalten. In wie fern hierbei die offenbare Gewalt der Waffen anzuwenden sei, dieses muss noch vor dem Beginne der Operationen entschieden werden, worüber für das erste S. Majestät Allerhöchster Wille decidirt hat.

„Als Hauptgrundsatz wird angenommen, dass ohne den Besitz der Schweiz keine Offensive nach Frankreich am Oberrhein in dieser Jahreszeit denkbar ist.

„Die Hauptarmee hat mit letztem December, die Oesterreichischen und Russischen Ergänzungsmannschaften, dann die Frankfurter, Würzburger und Hessischen Contingente ungerechnet:

 
100 000
Oesterreicher
 
39 000
Russen
 
15 000
Badener
 
30 000
Baiern
 
15 000
Württemberger
zusammen
199 000
Mann disponibel.

„Der General Blücher ist bis letzten December bestimmt zwischen 70-80 000 Mann stark. General Bülow macht bereits die glücklichsten Fortschritte in Holland und sollte augenblicklich durch die Sachsen und durch das Corps des Generals Winzingerode verstärkt werden, was nicht früh genug geschehen kann, wenn man sich nicht der Gefahr aussetzen will, durch Zögern die traurigsten Folgen herbeizuführen.

„Die Bewegungen der Armee des Kronprinzen werden gegen den Marschall Davoust einen bestimmten Charakter annehmen. Die Armee des Generals Bennigsen und des Generals Tauentzien sind mehr als hinreichend zur Eroberung der Deutschen Festungen, die der Feind in Händen hat.

„Allen diesen Kräften wird der Kaiser Napoleon vor Anfang März, wenn er seine bedrohten Festungen einigermassen besetzen, wenn er seine Armee für den nächsten Feldzug einigermassen organisiren will, in der allerstärksten Voraussetzung auf keinem [240] dieser Punkte mehr als eine Widerstandsmasse von 100 000 Mann darbieten können. Sieht er sich im Winter angegriffen, so muss er diesen Rest seiner Kerntruppen zur Vertheidigung verwenden und sieht sich dadurch auf jede Weise mit seinen neuen Organisationen gehindert oder er muss im eigenen Land von allen Seiten Terrain überlassen.

„Die grösste und schönste Armee, welche der Kaiser von Frankreich jemals aufstellte, war jene von 1812 – 400 000 Mann stark. Es befanden sich darunter 60 000 Polen, 40 000 Italiener und 100 000 Rheinconföderirte.

„Die Kriegsmittel aller dieser Länder standen ihm zu Gebote. Jetzt, nachdem er von allen diesen Mitteln beraubt und auf Frankreich und Italien allein beschränkt ist, nachdem er sich von den Pyrenäen, von Holland, vom Rhein und von den Alpen zugleich angegriffen sieht, nachdem er ein durch zwanzigjährigen unverhältnissmässigen Menschenverlust und durch die ausserordentlichsten Anstrengungen von 1813 ganz erschöpftes Land zu neuen unerhörten Anstrengungen auffordern muss, jetzt wird seine Lage, wenn wir ihn angreifen, in hohem Grade bedenklich.

„Je früher er den Rest seiner Armee verliert, je weniger bleibt seinen alten Soldaten Zeit übrig, neue zu bilden. Nur durch eigene verspätete Operationen kann ihm Heil erwachsen, und auf die ihm günstigen Massregeln könnte er hoffen, wenn wir solche eintreten liessen, mit 250 000 Mann Winterquartiere zu beziehen, um eine Verstärkung von 200 000 Mann Rekruten abzuwarten und dem Feind die Zeit gönnten, aus 100 000 muthlosen Streitern 300 000 Soldaten zu machen, deren moralischer Zustand sich durch unser Zaudern mit jedem Tage heben muss.

„Jetzt ist, in Bezug auf die Französische Macht, der günstigste Augenblick Frankreich anzugreifen. Die Schwierigkeiten eines Winterfeldzugs werden gross sein und es würde nicht rathsam bleiben, denselben zu unternehmen, wenn der Kaiser Napoleon formirte Armeen hätte, die uns gleich den Eintritt nach Frankreich streitig machen könnten; selbst der Verlust, den wir dabei erleiden könnten, muss beim Feinde gleich, ihm doppelt empfindlich sein. In jedem Fall sind daher unsere Armeen im Frühjahr immer noch stärker als jetzt, die seinigen aber gewiss schwächer. Hiezu tritt noch folgende Betrachtung.

„Wenn wir jetzt, drei Wochen nach der Ernte, mit der Verpflegung [241] in Verlegenheit sind, so können wir acht Monate darnach nicht darauf rechnen, stärkere Armeen als die jetzige zu ernähren.

„Man hofft durch diese Bemerkungen die Ansichten aufgestellt zu haben, welche zu dem gegenwärtigen Vorschlag der Operationen leiten. Sie gründen sich im allgemeinen auf die Ueberzeugung:

„1. Dass wir keinen Augenblick zu verlieren haben, wenn wir den Feind in der Organisation seiner Armee hindern und Terrain gewinnen wollen.

„2. Dass wir Holland und die Schweiz noch in diesem Winter besetzen müssen.

„3. Dass wir bis letzten Februar zu jeder kühnen Bewegung stark genug sind.

„4. Dass mit Anfang Februar alle verbündeten Armeen vollzählig, alle Mittel zur Vertheidigung unserer Grenzen in vollkommener Ausübung sein müssen.

„5. Dass endlich die Schwierigkeiten und Nachtheile eines Winterfeldzuges auf keine Weise gegen die ungeheuren Vortheile in Anschlag zu bringen sind, welche aus der schleunigen Fortsetzung des Feldzugs entstehen.

Es besetzt daher die Hauptarmee die Schweiz und versammelt sich bis Ende Januar zwischen Yverdun, Bern, Solothurn und Basel, um in der Richtung von Langres, oder nach Umständen operiren zu können.

„Die Armee des Generals Wrede bildet hierbei die rechte Flügelcolonne, sucht sich in den Besitz von Hüningen zu setzen und deckt in dem Masse unsere rechte Flanke, als wir vorrücken. Sie ist zugleich das Bindemittel zwischen der Armee des Kronprinzen von Württemberg, welcher Kehl blokirt. Sie vereinigt sich mit der Hauptarmee, wenn es die Umstände erfordern oder unterstützt den Kronprinzen von Württemberg, wenn von Kehl aus ein ernstlicher feindlicher Angriff unternommen würde. Wenn sie es bedürfen sollte, wird sie von der Hauptarmee unterstützt.

„Das Armeecorps des Kronprinzen von Württemberg blokirt Kehl und demonstrirt über den Rhein.

„Die Hauptbestimmung der Armee des Generals Blücher bleibt die Deckung Deutschlands.

[242] „Diesem erfahrenen Feldherrn muss es überlassen bleiben, ob er, ohne seinen so wichtigen Hauptzweck zu vernachlässigen, irgend eine Diversion zu Gunsten der Hauptarmee, auf dem linken Rheinufer zu unternehmen für möglich hält.

„Es ist wohl ausser Zweifel, dass General Bülow den so glücklich angefangenen Angriff auf Holland fortsetzen wird, wobei er aus allen Kräften unterstützt werden muss.

Winzingerode und die Sachsen sollten ihm ungesäumt nachgesandt werden.

„Von den Bewegungen des Kronprinzen von Schweden sollte die Vernichtung des Davoust’schen Corps, sowie die Bezwingung der Dänen erwartet werden.

„Das Armeecorps des Generals Kleist dürfte baldigst zur Armee des Generals Blücher nachrücken, da ihm desfalls bereits die nöthigen Weisungen ertheilt sind.

„Zur Belagerung der Elbfestungen ist die Armee des Generals Bennigsen und des Generals Tauentzien vollkommen hinreichend. Es sollten diese Belagerungen schlechterdings unter eine Oberleitung gesetzt werden.

„Ueber die Bewegungen der Armee von Italien kann man nur im Allgemeinen sagen, dass sie nach Erhalt ihrer Verstärkungen, die Verdrängung des Feindes von der Vertheidigungslinie der Etsch und des Mincio, insofern die Vorrückung in die Ebenen Italiens nach dem Masse zum Zweck nehmen wird, als die nach den zurückzulassenden Blokadecorps für die Operationen annoch erübrigende Truppenzahl im Verhältniss mit jener des Feindes hierzu die Möglichkeit gewähren wird.“

So der Grundplan, welcher vom Kaiser angenommen und alsbald auch in Vollzug gesetzt worden ist. Was lehrt sein Inhalt in Bezug auf das „Uebereinkommen“ vom 4. December, auf welches der Kaiser Franz sich bezog, als er den Entwurf dieses Planes verlangte? Dass der Kaiser von Oesterreich an seiner Absicht einer Besetzung der Schweiz, nicht eines blossen Durchzugs durch Basel, ebenso festhielt, wie der Kaiser Alexander an seinem Widerspruch gegen dieselbe. Was kann nun aber vereinbart worden sein, wenn von den streitenden Theilen jeder auf seinem Willen bestehen blieb?

Nichts anderes als eine Vertagung des Austrags, wobei erstens über die Neutralität der Schweiz jede öffentliche Kundgebung [243] unterlassen wurde und zweitens alle Marschbefehle, die an die Truppen einmal ertheilt waren, in Geltung blieben, bezw. der Aufmarsch der Hauptarmee am Oberrhein längs der Französischen und Schweizerischen Grenze Thatsache war und blieb.

Dass nur dies der Inhalt jenes „Uebereinkommens“ gewesen sein kann, zeigt der Hergang der Thatsachen, wie wir ihn theils schon kennen, theils genauer kennen lernen werden, zeigen auch die Eingangsworte in dem eben mitgetheilten Plan Radetzky’s, wo die Frage, ob gegen die Neutralität der Schweiz offenbar Gewalt zu brauchen sei, als eine noch nicht entschiedene bezeichnet wird, zeigt endlich ein sehr bezeichnendes Schreiben Metternich’s an Schwarzenberg, mit dem wir uns jetzt beschäftigen müssen.

Der Brief ist im Jahr 1887 veröffentlicht worden[21] und lautet folgendermassen: „Ich empfange so eben einen Bericht von Lebzeltern der mir beweist, dass alles gut geht, d. h., dass die grosse Mehrheit für uns ist. Wenn es Zusammenstösse gibt, so werden sie nicht gefährlich sein, wenn nur die Armee die vollständigste und strengste Manneszucht hält.

Ich habe wüthende Zänkereien mit Kaiser Alexander. Mehr als jemals ist er gegen jede Operation in der Schweiz. Das Uebrige sagt Ihnen Latour. Wir sind da und marschiren: – das ist das beste.

Aus dem Bericht Lebzeltern’s sehe ich, dass die Truppen des Neutralitätsgürtels zum grössten Theil nach Hause zurückgekehrt sind. Ich bitte Sie, Watteville [Wattenwyl] nichts als Artigkeiten sagen zu lassen. Lassen Sie ihn fühlen, dass die hohen verbündeten Mächte äusserst zufrieden sind mit seinem vortrefflichen Benehmen; dass man ihm viel Dank schulde: dass er der zweite Wilhelm Tell werden kann, dass er zu diesem Zweck nur alles gehen lassen und uns seine Absichten mittheilen solle. Schmeicheln Sie ihm damit und bestimmen ihn, die Schweizer Truppen zu entlassen. Weiter verlangen Sie nichts von ihm.

Hier ist ein Brief, den ich Sie bitte, an Herrn v. Talleyrand[22] zu übermitteln. Er ist im Einverständniss mit Kaiser Alexander [244] geschrieben, mit dem ich gestern mehr als drei Stunden gestritten habe. Schliesslich haben wir uns umarmt und die Erörterung der Frage der ehemaligen Schweizer Neutralität und über die Schweizer Rechte vertagt bis zu der über die Frage des Seerechts der Neutralen u. s. w. u. s. w.

Ich werde von hier verschwinden, sobald ich kann, um mich zu Ihnen zu begeben. Sobald die Frage nur ein klein wenig geklärt ist, werde ich mich auch in Bern niederlassen: entweder ich oder Stadion, was dasselbe ist.

In wenig Stunden erhalten Sie eine zweite Sendung. Sie wird Ihnen die Befehle überbringen, die ich an Lebzeltern und Senfft ertheile.

Die Frage des Letztern ist ganz klar. Er ist in der Schweiz ohne öffentlichen Charakter; wenn er in den Berner Angelegenheiten den Vortritt nimmt, so hat er Unrecht; wenn er ihnen folgt, so hat er Recht. Man muss seine Berichte abwarten. Nach den Berichten von Lebzeltern ist es nicht möglich, dass die Sache schief geht.“

Dieser Brief führt uns mitten hinein in die Schweizer Politik des Fürsten Metternich; aus dem Gange dieser muss die Entstehungszeit des Briefes errathen werden, der leider wie so viele gerade der wichtigsten Schriftstücke aus dieser Zeit ohne jedes Datum auf uns gekommen ist.

Da Fürst Metternich über Gespräche mit Kaiser Alexander berichtet, so müssen beide noch in Frankfurt gewesen sein, als der Brief geschrieben ward. Nun möchte man ohne weiteres vermuthen, was hier erzählt wird sei eben die Verhandlung, aus welcher das „Uebereinkommen“ des 4. December hervorgegangen ist. Aber das ist desshalb unmöglich, weil zu dieser Zeit Fürst Schwarzenberg gleichfalls noch in Frankfurt war, während er in dem Briefe Metternichs angeredet wird als Einer, der sich in einer Stelle befindet, wo er dem Befehlshaber des Schweizer Heeres, General v. Wattenwyl, so nahe ist, dass Fürst Metternich ihn zur Vermittlung seiner Eröffnungen an diesen benützt. Daraus geht hervor, dass Fürst Schwarzenberg bereits sein Hauptquartier in Freiburg gehabt haben muss, in dem er am 12. December schrieb: „Hier wird nun die grosse Frage entschieden werden, ob wir die Neutralität der Schweiz anerkennen oder nicht“ und in dem sein Stabschef Graf Radetzky am 13. December die schon [245] erwähnte Denkschrift schrieb über das Thema: Der Aufmarsch, den die Hauptarmee genommen hat in der vor einer Woche auch von Kaiser Alexander gebilligten Absicht, die Schweiz zu besetzen – dieser Aufmarsch ist vollendet, ein Rückwärts gibt es nicht mehr[23].

Nach den Tagesnachrichten der „Allgemeinen Zeitung“ war das grosse Hauptquartier der Oesterreichischen Armee unter Fürst Schwarzenberg am 7. December von Frankfurt nach dem Neckar aufgebrochen und Fürst Metternich am 12. December von dort abgereist. Folglich muss sein Brief an Fürst Schwarzenberg nach dem 7. und vor dem 12. December geschrieben sein. Kaiser Franz und Fürst Metternich kamen am 15. December in Freiburg an.

Eben die Lage, die durch Radetzky’s Denkschrift vom 13. December gezeichnet wird, bildet auch den Hintergrund unseres Briefes. Die Armee war an der Grenze der Schweiz aufmarschirt, während Kaiser Alexander vom Fürsten Metternich mit Worten hingehalten ward, bis sein Widerspruch durch vollendete Thatsachen überwunden war. So war Oesterreichischerseits das „Uebereinkommen“ vom 4. December ausgelegt worden: In Worten blieb die Entscheidung der Schweizer Frage ausgesetzt, aber in Ereignissen ward sie vorbereitet, durch die in einem gegebenen Augenblick der ganze Wortstreit in Wegfall kam.

Für die militärischen unter diesen Ereignissen sorgte die Armee, für die politischen sorgte die Diplomatie. Die unterirdische Bearbeitung der Behörden in Zürich war Sache des Ritters von Lebzeltern, der mit Graf Capo d’Istria unter falschem Namen schon Mitte November an seinem Bestimmungsort eingetroffen war. Die Bearbeitung der Behörden in Bern ward im December dem ehemals Sächsischen Minister Grafen Senftt-Pilsach aufgetragen und da auch die Absendung dieses letzteren als bereits erfolgt in unserem Briefe erwähnt wird, so hätten wir für die nähere Bestimmung der Abfassungszeit desselben einen neuen Anhaltspunkt. In seinen Mémoires (Leipzig 1863, S. 244) erzählt Senfft, seine Sendung nach Bern sei in Frankfurt ganz anders geplant gewesen, als sie sich nachher [246] auf seiner Durchreise durch Freiburg gestaltet habe. An einen politischen Umsturz in der Schweiz sei zu Frankfurt noch gar nicht gedacht worden. Er habe nur in Bern an Stelle des alten kränklichen Herrn von Schraut die Vertretung Oesterreichs übernehmen und für die Erleichterung des Durchmarsches der Hauptarmee durch die Schweiz, die mit auf sein Andrängen beschlossen worden sei, thätig sein sollen. Der Gedanke an einen politischen Umsturz sei erst in Freiburg angeregt worden durch einen Ausschuss von Schweizer Aristokraten, die, den Grafen Salis-Soglio an der Spitze, in Waldshut zusammengetreten und von da nach Freiburg gekommen waren, um dem Fürsten Metternich aufzuwarten. 24 Stunden vor dem Letzteren kam Senfft, wie er erzählt, in Freiburg an und ward hier in die Pläne dieser Aristokraten eingeweiht. Dem Grafen Salis-Soglio gelang es, den Fürsten Metternich für den Gedanken zu gewinnen, dass die Wiederherstellung der alten Schweiz, an Stelle der neuen, die das Werk Frankreichs sei, für die Sicherheit der Operation der Verbündeten nicht entbehrt werden könne, und mit dem – bloss mündlichen – Auftrag, die Pläne dieser Aristokraten zu fördern, ward Graf Senfft, seiner Angabe zur Folge, am 17. December aus Freiburg abgesandt, zunächst nach Aarau, und dann nach Bern. In Aarau hatte der Landammann Wattenwyl sein Hauptquartier und diesem hatte er zu sagen, am 20. December würden die Oesterreicher einmarschiren, er möge dafür sorgen, dass die Schweizer Truppen von der Grenze zurückgezogen und die Befehlshaber der Posten vor Basel und Schaffhausen ermächtigt würden, eine Militärconvention mit den Oesterreichern abzuschliessen.

Graf Senfft hat also zweierlei Weisungen erhalten: die ursprünglichen sind ihm zu Frankfurt schriftlich ausgestellt worden, und das sind die, welche Metternich in seinem Brief an Schwarzenberg erwähnt. Die nachträglichen hat er zu Freiburg und zwar, wie er sagt, nur mündlich erhalten, und mit diesen ist er am 17. December abgereist, nachdem am 16. ein Courier abgegangen war, welcher in Bern seine bevorstehende Ankunft anzeigte. Nach der „Allgemeinen Zeitung“ vom 20. December 1813 war Graf Senfft am 12. December in Heidelberg auf der Durchreise von Frankfurt nach dem Oberrhein gesehen worden; er wird vermuthlich am Vormittag dieses Tages in Frankfurt abgereist sein, am 11. December seine Weisungen empfangen haben und an [247] demselben Tage wird dann auch der Brief Metternich’s an Schwarzenberg entstanden sein, der dieser Weisungen Erwähnung thut.

Senfft erzählt: „Fürst Metternich schien sehr befriedigt darüber, dass er diese Sache in Gang hatte bringen können, während der Abwesenheit des Kaisers Alexander, der in Karlsruhe Heerschau über seine Truppen hielt. ‚Nach dem Erfolg‘, sagte er, ‚wird dieser Fürst sagen, ich sei der erste Minister von Europa‘. Meine Unterredung mit Herrn von Wattenwyl hatte vollständigen Erfolg und aus Aarau sandte ich am 18. December einen Courier an Fürst Schwarzenberg, um ihm anzuzeigen, dass der Schweizer General mit dem Durchmarsch des verbündeten Heeres einverstanden sei.“

In Karlsruhe also befand sich der Kaiser Alexander, als der Schlussact des politisch-militärischen Feldzugs sich vollzog, dessen Ergebniss der Abzug der Schweizer vom Rhein, der Durchmarsch der Oesterreicher durch die Schweiz und der Einmarsch der Hauptarmee in Frankreich in der Richtung auf Langres war.

In Karlsruhe befand sich auch der Preussische Staatskanzler von Hardenberg, und dieser schrieb am 21. December an General Stewart: „Heute setzt sich die Armee in Marsch, überschreitet den Rhein und dringt in die Schweiz. Der Canton Bern hat seine Neutralität nicht ausgerufen und stellt sich auf unsere Seite. Der General von Wattenwyl, der die Truppen befehligt, muss ganz und gar für uns sein. Metternich ist in Lörrach bei Basel, er schreibt mir, dass die Angelegenheiten der Schweiz sich sehr gut schlichten und dass eine Operation in diesem Lande um so wichtiger wird, als der König von Neapel mit seiner ganzen Armee im vollen Marsch nach Oberitalien ist und man in jedem Augenblick den Grafen Mier, der Oesterreichischer Minister bei ihm ist, erwartet, um endgiltig abzuschliessen. Der Kaiser Alexander hätte gewünscht, dass man die Neutralität der Schweiz geachtet hätte, und missbilligt, dass die Oesterreichischen Truppen dort eingerückt sind: er fürchtet die Spaltung unter den Cantonen und hätte gewünscht, dass man sich von Anfang an gütlich mit ihnen verständigt hätte (il craint la désunion entre les cantons et aurait voulu qu’on fût convenu d’avant toute chose de gré à gré). Doch sind die Meinungen hierüber sehr getheilt und so viel ist gewiss, dass es sehr gefährlich [248] wäre, in Frankreich einzudringen, ohne sich Helvetiens versichert zu haben.“

Wir kennen schon die Grenzen, innerhalb deren ein gütliches Abkommen mit der Schweiz sich hätte bewegen müssen, wenn es den Beifall des Kaisers Alexander haben sollte: hier verzeichnen wir die Bestätigung der Annahme, dass der Kaiser eben eine Vereinbarung mit der Schweiz gewollt hat, bevor die Armee an der Grenze stand und (wie es nun geschah) durch die Erklärung, sie werde einrücken, allem Widerstreben der Schweizer Behörden ein Ende machte.

Am 20. December hatte zu Lörrach zwischen F. M. L. Graf Bubna und dem Schweizer Obersten von Herrenschwand die Unterzeichnung des Abkommens stattgefunden, auf dessen Grund die Schweizer Truppen vom Rhein sofort abrückten und am 21. December die Oesterreicher über die festen Brücken von Basel, Laufenburg und Schaffhausen ihren Rheinübergang vollzogen.

Mit der bisherigen falschen Neutralität der Schweiz hatte es nun allerdings ein Ende; aber eine andere gediegenere Neutralität ward in demselben Augenblick der Eidgenossenschaft verheissen. In der Note, welche am 20. December von den beiden Abgesandten der Verbündeten, Ritter von Lebzeltern und Graf Capo d’Istria, in Zürich übergeben ward, hiess es:

„Indem die Armeen der verbündeten Mächte an den Grenzen der Schweiz erscheinen, hoffen sie daselbst nur Freunde zu finden. Ihre Kaiserlichen und Königlichen Majestäten übernehmen die feierliche Verpflichtung, die Waffen nicht niederzulegen, bevor sie der Schweiz die Gebietstheile gesichert haben, die ihr Frankreich entrissen hat. Ohne irgend welche Absicht, sich in ihre inneren Angelegenheiten zu mischen, werden sie nicht dulden, dass dieser Staat einem fremden Einfluss unterworfen bleibt. Sie werden seine Neutralität in dem Augenblicke anerkennen, wo er frei und unabhängig sein wird, und sie erwarten von der Vaterlandsliebe einer braven Nation, dass sie, getreu den Grundsätzen, die sie im vergangenen Jahrhundert geziert haben, die edlen und hochherzigen Bemühungen unterstützen wird, in denen sich alle Souveraine und alle Völker Europas für eine und dieselbe Sache zusammenfinden.“

Diese Sprache verfehlte auch ihres Eindrucks nicht.

[249] Am 25. December konnte Aberdeen melden: „Ich freue mich, von dem Stand der Dinge in der Schweiz das allergünstigste berichten zu können. General Graf Bubna ist vorgestern mit einem starken Reitercorps in Bern eingerückt und das Hauptquartier des Fürsten Schwarzenberg sollte heute oder morgen eben dorthin verlegt werden. Die Truppen, lauter Oesterreicher, haben die strengste Manneszucht gehalten und sind seitens der Bevölkerung mit der grössten Begeisterung aufgenommen worden. In der Regierung des Cantons Bern hat vorgestern eine Umwälzung stattgefunden. Das Geschäft ist im Grossen Rath herbeigeführt worden durch den jetzigen Landammann Freudenreich und den General Wattenwyl mit anderen der angesehensten Einwohner, welche zur grossen Freude der Einwohner die alte Verfassung wiederhergestellt haben. Die kleinen Cantone werden der Anregung Berns unverzüglich folgen, ebenso wie Freiburg und Solothurn. Man sagt sogar, dass Neuenburg an dem allgemeinen Enthusiasmus Theil nimmt.“

Ueber den Stand der Kriegsangelegenheiten, sowie über die Vorgeschichte des nunmehr in Vollzug gesetzten Feldzugsplanes entnehmen wir dem Bericht Aberdeen’s noch nachstehende Angaben und Ausführungen:

„Morgen oder übermorgen wird das Hauptquartier Seiner Kaiserlichen Majestät (von Oesterreich) auf das linke Rheinufer, entweder nach Basel oder nach Rheinfelden, verlegt werden. Die Belagerung von Hüningen hat begonnen und, obwohl es nur ein Platz dritter Klasse ist, erwartet man, dass es sich einige Zeit halten wird, weil es an schweren Geschützen und anderen zum raschen und nachdrücklichen Festungskrieg erforderlichen Geräthen fehlt. Der Besitz dieses Platzes ist nothwendig, um unsere Verbindung über Basel zu sichern und die ferneren Zwecke des Feldzugs zu fördern.

„Da der Feldzugsplan nicht nur beschlossen, sondern in voller Ausführung begriffen ist, so wird es jetzt nothwendiger als je, dass Ew. Lordschaft ein klares Bild erhalte von dem Ziel, das erreicht werden soll, wie von den Grundsätzen, die zur Aufstellung desselben geführt haben. Unwandelbar habe ich stets behauptet, die Bewegung durch die Schweiz sei die militärisch und politisch einsichtigste Unternehmung, die in unserer [250] Lage nur irgend ergriffen werden könnte. Das ist’s, was ich jetzt in Kürze zu entwickeln versuchen will.

„Bei der Ankunft am Rhein zögerte Fürst Schwarzenberg nicht, den Grundsatz nachdrücklicher Fortsetzung der angriffsweisen Kriegführung anzunehmen, obwohl das entgegengesetzte System durch militärische Autoritäten vom höchsten Rang und Ansehen[24] mit Entschiedenheit empfohlen ward. Aber wenn auch im Grundsatz die angreifende Kriegsweise angenommen ward, die grosse Schwierigkeit war, zu bestimmen, in welcher Weise dieser Grundgedanke am besten zur Ausführung zu bringen sei. Mir scheint gerade, wenn der Fürst Feldmarschall entschlossen war, den Krieg mit Nachdruck weiterzuführen, den Feind aufzusuchen und ihn anzugreifen, wo er ihn finden würde und Etwas zu wagen für die Erreichung eines entscheidenden Erfolgs, gerade dann handelte er einsichtsvoll, indem er die Operation durch die Schweiz unternahm. Mit einem Wort, mit der Bewegung durch die Schweiz ist der Weg nach Paris gebahnt worden.“

Nunmehr kommt die oben[25] mitgetheilte Stelle über die Vortheile, die zu haben gewesen wären, wenn man mit dem über den Rhein flüchtenden Feinde zugleich den Strom hätte überschreiten können – worauf der Bericht fortfährt:

„Nachdem die für Sammlung und Erholung der Truppen nöthige Zeit verflossen war, lag es auf der Hand, dass wir mit einiger Sicherheit nur dann vorwärts marschieren konnten, wenn wir nach der alten Regel verfuhren, einige Festungen zu belagern und andere zu bewachen. In Folge unseres raschen Vordringens nach dem Rhein, nach dem Aufbruch in Teplitz und nach den glorreichen Schlachten bei Leipzig, waren wir gänzlich ohne schwere Artillerie, der nächste Geschützzug war über die Grenze Böhmens noch nicht hinaus. Aber aus einem kurzen Ueberblick der verfügbaren Streitkraft wird Ew. Lordschaft ersehen, welch ein grosser Theil derselben nothwendig in Anspruch genommen und welch ein kleiner Theil derselben übrig geblieben wäre für den Feldkrieg gegen den Feind. Aus der Skizze, die ich die Ehre habe beizuschliessen, in welcher die Lage aller [251] Festungen zwischen Paris und dem Rhein verzeichnet ist, wird Ew. Lordschaft mit einem Blick erkennen, dass zur Sicherung unseres Marsches die Sperre und Beobachtung gewisser Festungen im Departement Donnersberg nöthig gewesen wäre.

Für die Einschliessung von Mainz
20 000 Mann. 
Für Beobachtung von Luxemburg
5 000     „ 
    Saarlouis
5 000     „ 
Für die Einschliessung von Landau
20 000     „ 
Für Beobachtung von Strassburg,
     Bitsch, Weissenburg
10 000     „ 
Für Beobachtung von Luneville
12 000     „ 
Für Einschliessung von Metz
20 000     „ 
Für Beobachtung von Nancy
5 000     „ 

„Ausserdem würde für die Erhaltung der Verbindungen und den dazu gehörigen Dienst die Aufstellung von nicht unter 50 000 Mann bei Lauterburg nöthig gewesen sein.

„So wäre eine Streitmacht von 147 000 Mann zu einer Verwendung gekommen, welche zu dem grossen Hauptzweck des Kriegs gar nichts Wesentliches beigetragen hätte und da diese Truppen während des Winters nothwendig einem seiner Natur nach äusserst beschwerlichen Dienst ausgesetzt worden wären, so hätte man im Frühjahr grosse Verstärkungen nothwendig gehabt. Diese Aussicht war so wenig ermuthigend, dass es nicht Wunder nehmen darf, wenn Fürst Schwarzenberg sich einer ganz anderen Richtung zuwandte, zumal nach der Erfahrung des Feldzugs von 1793, 1794 und 1795[26].

„Die Lage Frankreichs gegenüber der verbündeten Armee ähnelt einer ungeheuren Festung, von welcher die Schweiz und Holland die Bastionen bilden, und es erscheint einleuchtend, dass von diesen Seiten her der wirksamste Angriff auf Frankreich möglich ist. Durch Besetzung der Juralinie werden die Rheinfestungen umgangen und von der Schweiz bis zur Hauptstadt ist keine starke Festung mehr zu finden. Gelegenheit, ihre Zuneigung zu zeigen, wird den Bewohnern der Freigrafschaft und des Elsass gegeben, von denen man annimmt, dass sie der Sache der Verbündeten [252] nicht abhold sind; und eine Streitmacht von nicht weniger als 180 000 Mann wird an der verwundbarsten Stelle der Grenze Frankreichs aufmarschiren.

„Da die Armee nur durch befreundetes Land kam, ward beim Marsch den Rhein hinauf keine Zeit verloren, denn die Truppen rückten in kleinen Märschen vor und hatten Musse zur Rast, ohne dass man in völliger Unthätigkeit verblieb.

„Unnöthig scheint, noch auf die Frage der Neutralität der Schweiz einzugehen. Ew. Lordschaft muss Genugthuung darüber empfinden, dass eine Neutralität, die ganz und gar zum Vortheil des Feindes, eine Verfassung, die seinen Ansichten entsprach, eine Regierung, die von seiner Laune abhing und ganz und gar das Geschöpf seiner Hände war, niemals aufrecht bleiben durfte, entgegen den Interessen Europas und den laut ausgesprochenen Gesinnungen der grossen Masse der Bevölkerung des Landes. Ich betrachte die Wiederaufrichtung des alten Standes der Dinge in der Schweiz als einen wichtigen Gewinn, von dem zweifelhaft ist, ob er ohne die Anwesenheit der Grossen Armee erzielt worden wäre.

„Abgesehen von der imponirenden Haltung, welche eine Aufstellung an der Schweizer Grenze Frankreich gegenüber gewährt, wird Ew. Lordschaft der grosse Vortheil nicht entgehen, welcher in der leichteren Verbindung mit der Italienischen Armee unter Feldmarschall Bellegarde, sowie in der grösseren Wahrscheinlichkeit eines Zusammenwirkens mit dem Marquis of Wellington besteht.

„General Wrede sichert unsere Verbindungen und mit einer Armee von 80 000 Mann leitet er zugleich die Belagerung von Hüningen und die Bewachung von Strassburg. Feldmarschall Blücher wird mit einer nicht geringeren Streitmacht bei Mannheim den Rhein überschreiten und dann nach den Umständen handeln. Wenn der Kronprinz von Schweden mit der Nordarmee die jüngst in Holland erfochtenen grossen Vortheile weiter verfolgen und gleichzeitig durch die Niederlande einbrechen sollte, so würde die Berennung Frankreichs vollständig sein.

„Ew. Lordschaft mag diese Ansichten zu kühn und vielleicht vermessen finden; aber sie sind gegründet auf eine Berechnung des augenblicklichen Standes unserer Kräfte und die wahrscheinlichen Aussichten auf Verstärkung derselben. Die moralische [253] Ueberlegenheit, welche die verbündeten Waffen in Folge der Ereignisse des letzten Feldzuges besitzen, kann gar nicht zu hoch angeschlagen werden. Kühnlich darf ich hinzufügen, dass die unerschütterliche Besonnenheit, welche Fürst Schwarzenberg bisher entfaltet hat, uns gegen jede Möglichkeit eines grossen Unfalles schützt und uns zu Hoffnungen auf Erfolg berechtigt, die man unter anderen Umständen schlechterdings nicht hegen dürfte.“

Fünf Tage später, am 30. December, gab Aberdeen noch weitere Beiträge zur Geschichte der Entstehung und Entwicklung des Feldzugsplanes, insbesondere mit Bezug auf den Kronprinzen von Schweden. Unmittelbar nach den Schlachten bei Leipzig habe man gehofft, der Kronprinz von Schweden würde seine Hauptmacht gegen die Grenze von Holland richten, während die Armeen Schwarzenberg’s und Blücher’s den geschlagenen Feind verfolgten. Als statt dessen der Kronprinz sich nordwärts nach der Niederelbe schlug, hätte Fürst Schwarzenberg vorgehabt, mit der Hauptarmee nach dem Niederrhein vorzubrechen, das aber habe Kaiser Alexander nicht gewollt und so sei davon abgestanden worden. Alsdann ward ein Marsch nach dem Oberrhein vorgeschlagen und angenommen, aber Kaiser Alexander bestand darauf, dass dabei das Gebiet der Schweiz nicht berührt würde[27]. Fürst Schwarzenberg und die Oesterreichischen Autoritäten waren der Meinung, dass in Anbetracht des Zustandes der Rheinfestungen und der militärischen Interessen überhaupt jede Operation dieser Art durchaus auf die Besetzung der Schweiz und die Juralinie gegründet werden müsse: sonst fehle es dem linken Flügel an jeder Deckung und jeder kriegerischen Unternehmung an der nöthigen Basis. Die bloss scheinbare Neutralität der Schweiz und der einmüthige Wille des Volkes gab der Massregel auch noch politische Wichtigkeit. Als das beste Mittel, der Macht Bonaparte’s den Stoss ins Herz zu geben, ward der Marsch nach der Schweiz unternommen und bei seiner Ausführung keine Zeit verloren. Bevor in Frankfurt die Nachricht eintraf, dass in Holland eine Revolution ausgebrochen sei, welche die gänzliche Befreiung dieses Landes vom Französischen Joch aussprach, [254] marschirte die ganze Oesterreichische Armee den Rhein hinauf und machte sich fertig, in die Schweiz und in Frankreich einzudringen. Unmittelbar in Holland einzurücken war man also von hier aus nicht in der Lage. Fürst Schwarzenberg rechnete für sein Unternehmen in der Schweiz allerdings auf eine machtvolle Diversion, welche die Armee des Kronprinzen in Holland herbeiführen würde. War dies immer seine Hoffnung, so konnte sie nur verstärkt werden, als der innere Zustand Hollands so laut nach dem Einrücken der verbündeten Waffen rief. Mit einer so starken Streitmacht in der Nachbarschaft, die geeignet war, dieses wichtige Glied des Europäischen Bundes zu schützen, ohne dabei andere Ziele aus dem Gesicht zu verlieren, glaubte Fürst Schwarzenberg, würde der Kronprinz nicht nöthig finden, sich so lange Zeit mit Operationen an der Elbe aufzuhalten. Der Augenblick scheint jetzt gekommen, wo die Armee des Kronprinzen frei gemacht werden müsste für den Schutz von Holland, wenn nicht für weitere Eroberungen, und Feldmarschall Blücher, der den Rhein viel weiter unten, als anfangs beabsichtigt war, überschreiten soll, wird nicht verfehlen, zu Gunsten dieses Landes eine wirksame Diversion zu machen. Die allgemeinen Nachrichten aus der Schweiz lauten gut. Selbst im Waadtland herrscht ein besserer Geist, als irgend erwartet werden konnte, und in Genf hat sich die öffentliche Stimmung entschieden für die Verbündeten ausgesprochen. Die Truppen sind durchweg gut aufgenommen worden. Doch darf ich nicht verhehlen, dass die Verpflegung der Armee die allergrössten Schwierigkeiten macht. Die Mittel, welche die Truppen gewöhnlich ergreifen, um zu leben, und namentlich die Kosakenregimenter, die erst neuerdings zur Armee gestossen sind, sind nicht geeignet, den guten Willen der Einwohner zu gewinnen. Wenn nicht rasch Mittel gefunden werden, um dies Uebel zu heilen, so werden wir einige der Vortheile verlieren, die wir jetzt haben. Die Beschiessung von Hüningen hat gestern Nacht begonnen und ist mit grossem Nachdruck fortgesetzt worden. Dieser Platz wird sich wahrscheinlich viel länger halten, als erwartet ward, obgleich bei dem Mangel an schweren Geschützen und an eigentlichen Angriffsmitteln, ein lang dauernder Widerstand nicht wunder nehmen kann. Die Belagerung wird geleitet durch General Wrede und die Baiern, die, obgleich ausgezeichnet [255] in ihrer Art, offenbar nicht sehr gewöhnt sind an solche Kriegführung.“

Wir fassen unsere Ergebnisse zusammen. Eine „Friedenspartei“ hat es unter den Monarchen und ihren Generalen in Frankfurt nicht gegeben, d. h. kein Mensch war so thöricht zu wähnen, durch unthätiges Stehenbleiben am Rhein oder gar durch Heimsendung der Armeen werde man den Soldatenkaiser, der eben wieder 300 000 Mann zu den Waffen gerufen, zum Frieden stimmen. Nicht über das Ob?, sondern nur um das Wie? der Fortsetzung des Krieges ist gestritten worden, und bei diesem Streit standen sich ursprünglich nur rein militärische Erwägungen gegenüber, in denen wir auf der einen Seite eine alte, auf der anderen eine neue Kriegsschule unterscheiden. Die erstere hatte im Grunde nur einen unbedingten Vertreter, das war der Feldzeugmeister Duka, während Knesebeck, den man auch zu ihr rechnet, ihr nur bedingungsweise angehörte. Zur letzteren aber – man könnte sie die Kriegsschule von Trachenberg nennen – gehörten mit Blücher und Gneisenau auch die Oesterreicher Schwarzenberg, Radetzky, Langenau, und ihr gemeinsames Werk war der Plan, welcher in dem Kriegsrath vom 7. November vorbereitet, in dem vom 8. November beschlossen ward und dessen Hauptbestimmung die war: Marsch der Hauptarmee durch die Schweiz nach Genf[28].

Wie dieser Gedanke durch ein Zusammenwirken von Gneisenau und Radetzky, von Knesebeck und Kaiser Alexander zur Gestaltung gekommen ist, haben wir gesehen; zur Vervollständigung des Bildes, das wir von der damaligen Denkweise des Kaisers Alexanders haben, füge ich nur noch hinzu, dass in derjenigen Abschrift seines Aufsatzes vom 8. November, welche sich in den Papieren des Generals Stewart gefunden hat, mit Bezug auf die Hauptarmee am Rande die Worte stehen: doit agir par la Suisse pour pénétrer en France par le Jura.

Grundlage dieses Planes war die Voraussetzung, dass die Schweiz sich freiwillig den Verbündeten anschliessen und freiwillig ihre Grenzen dem Einmarsch ihrer Armeen öffnen würde. Statt dessen erklärte die Tagsatzung zu Zürich bewaffnete Neutralität und Kaiser Alexander forderte im Widerspruch mit seinen [256] Verbündeten, dass diese Neutralität geachtet werde. Erst diese Wendung führte neue militärischen Pläne und ernste politische Meinungsverschiedenheiten herbei. Radetzky nahm den Gneisenau’schen Gedanken eines Rechtsabmarsches durch die Freigrafschaft nach Langres auf, Gneisenau entwarf einen Einmarschplan, bei welchem ein Durchzug durch die Schweiz zunächst ganz in Wegfall kam, Knesebeck erklärte sich gegen jeden Rheinübergang überhaupt, so lange die Neutralität der Schweiz von Seiten der Verbündeten geachtet würde, Fürst Metternich aber begann im Einverständniss mit Kaiser Franz und Fürst Schwarzenberg den glänzenden militärisch-politischen Feldzug, durch welchen die Neutralität der Schweiz mit Einwilligung der Schweizer selbst ganz geräuschlos aufgehoben und das Veto des Kaisers Alexander’s thatsächlich ausser Kraft gesetzt ward. Wenn damit unstreitig ein gewisser Zeitverlust verbunden war, so hatte ihn einzig und allein Kaiser Alexander, nicht aber irgend Jemand von der sogenannten „Friedenspartei“ verschuldet.

Für Napoleon aber war dieser Zeitverlust noch lange nicht gross genug. Bignon bezeugt den Verbündeten, dass sie für Napoleon, wie er selbst sagt, immer noch um zwei Monate zu früh nach Frankreich gekommen sind. „Im Augenblick, da der Festungsausschuss Pläne entwarf für die Vertheidigung des Jura und der Vogesen, waren diese Uebergänge schon theils gewonnen, theils umgangen“[29]. Den Plan aber, durch die Schweiz in Frankreich einzubrechen, der in Deutschland so viel Spott und Tadel gefunden hat, kann man gar nicht wirksamer rechtfertigen, als mit den Worten, in welchen Bignon die Bestürzung seines Herrn und Meisters über die Ausführung desselben geschildert hat. „Der Einbruchsplan, sagt er[30], den die Verbündeten befolgt haben, wäre der Gipfel der Vermessenheit und Tollheit gewesen (le comble de la témérité et de la folie), wenn sie nicht genau gewusst hätten, wie wenig Streitkräfte wir ihnen entgegen setzen konnten. Indem sie zur Blokade der festen Plätze neu ausgehobene Landwehren verwendeten, schoben sie in Eile ihre besten Truppen vorwärts auf Paris. Sie hatten anfangs vor, ein beträchtliches Corps durch die Schweiz zu schicken, um sich der Militärstrasse des Simplon [257] zu bemächtigen und einer Diversion der Französischen Truppen aus Italien vorzubeugen; bald aber durch die Gewissheit des Anschlusses von Murat hierüber beruhigt, hatten sie das Corps Giulay, das am 23. December bereits Solothurn erreicht hatte, zurückgerufen, um es bei dem Marsch nach Paris mitzuverwenden. Graf Bubna, der zu demselben Zweck nach Genf gelenkt worden war, überraschte diese Stadt und gewann Vortheile, die ganz ausserhalb der ursprünglichen Erwartung der Verbündeten lagen.

„Der Kaiser Napoleon hatte von Hause aus auf einen Einbruch von der Schweiz her um so weniger rechnen können, als die Verbündeten, einmal Herren von Holland, über Wesel und Maastricht eine kürzere Marschlinie auf Paris hatten. Während des ganzen Monats November und eines Theils des Monats December hatte er erwartet, hauptsächlich vom Unterelsass und Belgien her angegriffen zu werden. Daher die Eile, mit welcher er den General Maison an der Schelde verstärken und die Kaisergarde nach Namur abgehen liess, um nach Bedarf das Corps Macdonald am Niederrhein zu unterstützen, während der Herzog von Belluno mit so wenig Leuten im Oberelsass stand. Statt dessen wurde Macdonald viel weniger bedrängt als Marmont und Victor: das Corps Winzingerode’s überschritt erst am 13. Januar bei Düsseldorf den Rhein. Als die Verbündeten die Linie über Basel und Vesoul zu ihrer Hauptmarschlinie wählten, nahmen sie allerdings eine längere Linie, aber sie wussten, dass sie auf derselben keinen Hindernissen begegneten und hofften selbst auf dem Umweg fast ohne Schwertstreich bis nach Paris zu gelangen.“

Aus diesen Worten Bignon’s geht hervor, dass der Umweg durch die Schweiz nach Langres auch in Frankreich nicht als ein Verzicht auf den Marsch nach Paris, sondern umgekehrt als das entschiedenste Bekenntniss der Absicht aufgefasst worden ist, in Paris und nirgends sonst den Krieg zu entscheiden.

So nahm sich die Kriegführung der „Friedenspartei“ von Frankfurt in Französischer Beleuchtung aus. Wie aber ist die Friedensverhandlung sammt dem Manifest von Frankfurt aufzufassen?

Davon ein ander Mal.



[258]
Archivalische Nachträge.


Einer auf den Feldacten des k. k. Kriegsarchivs zu Wien beruhenden handschriftlichen Darstellung dieser Dinge, über welche ich mir ausführlichere Mittheilungen vorbehalte, entnehme ich nachträglich eine Auswahl von Einzelheiten, welche dem vorstehenden Text theils zur Ergänzung, theils zur Bestätigung dienen.

Ueber die Anstalten, welche die Schweiz zur Vertheidigung ihrer Neutralität getroffen, berichtet Lebzeltern unter dem 28. November in einem Schreiben, das dem Anschein nach erst am 7. December nach Frankfurt gelangt ist: Ausser den bereits mobilisirten 11 000 bis 12 000 Mann gab es noch etwa 8000 Mann auf der Linie von Basel bis Schaffhausen, welche mit 18 Kanonen die Stellungen von Stein, Rheinfelden und Basel nebst den Brücken von Rheinfelden, Säckingen, Laufenburg und Schaffhausen, nebst der fliegenden Brücke bei Rheinheim (Zurzach gegenüber) bewachten; diese konnten innerhalb zehn Tagen durch weitere 9000 Mann verstärkt werden und waren angewiesen, auf alle Truppen Feuer zu geben, welche das neutrale Schweizergebiet etwa zu bedrohen versuchen sollten, sodann aber die genannten Rheinbrücken abzubrennen.

Die Tagsatzung hatte zwar vorerst nur 15 000 Mann des ersten Aufgebotes und 5000 des zweiten zur Verfügung des Landammanns gestellt; man rechnete aber, dass selbe bis auf 40 000 Mann gebracht werden könnten und hoffte auf entschiedenen Widerstand. Allein die politischen Ansichten in der Schweiz und somit auch unter den Offizieren gingen weit aus einander. Lebzeltern hatte bereits ein Verzeichniss derjenigen angefertigt, welche der Sache der Verbündeten zugethan waren, und bemerkte hierzu: „Die Meinungen sind im Lande getheilt, jene, so für die alte Ordnung geneigt sind, meinen, es wäre das Beste rasch in die Schweiz einzurücken und das Waadtland zu besetzen, wodurch man 18 000 Milizen nebst 100 Kanonen wehrlos mache und könnte man der Schweiz ihre alte Verfassung wiedergeben. Wenn England Geld und Waffen liefern wollte, so würden die Patrizier und der Kanton Bern wohl 25 000 Mann und über 100 Kanonen zur Unterstützung der guten Sache aufstellen können.“ Aus einzelnen Andeutungen Lebzeltern’s könnte man schliessen, dass der oben S. 217 genannte Landammann von Reding der Sache der Allianz ganz ergeben war, denn Lebzeltern bemerkt: Letzterer könne und wolle alle jene Punkte angeben, wo man den Rhein bei Hüningen vortheilhafter überschreiten könne, als bei Neuburg, auch würden 30 Pontons dazu genügen. Jenseits finde die Hauptarmee ein gutes Land und die Chaussee durch den Jura, [259] welche fast in gerader Linie auf Genf ziehe. Zu dieser Stelle bemerkt unser Text sehr treffend: „Vielleicht schlug Reding diese Richtung nur deshalb vor, um die Schweiz vor einem Durchzug zu bewahren[31].“

In einem Bericht, welchen der Generalmajor Baron Zechmeister am 9. December aus Lörrach erstattet hatte, hiess es, die Stimmung der Schweizer sei im Allgemeinen eine gute und sie schienen zu wünschen, dass ihr Land von einer bedeutenden verbündeten Macht betreten werde. Bei Genf sollen die Franzosen mit Schanzarbeiten stark beschäftigt sein. Von den Bewohnern des linken Rheinufers geschehen zu Basel häufig Nachfragen um das Manifest, welches der Kaiser von Oesterreich in diesen Tagen erlassen hatte und wovon bereits eine gute Anzahl Exemplare über die Französische Grenze gewandert war (gemeint ist das bekannte Frankfurter Manifest vom 1. December 1813).

Noch an demselben 9. December in später Abendstunde berichtete Zechmeister weiterhin:

Die unvermuthete Grenzsperre der Schweiz habe bei der dortigen Bevölkerung einiges Aufsehen erregt, noch mehr aber bei den Bewohnern der dortigen Badischen Landestheile. Diese letzteren seien darüber ganz bestürzt, weil sehr viele ihre Bedürfnisse aus Basel beziehen. Die Stimmung der Schweizer sei getheilt. Verschiedene örtliche Lagen erzeugen auch verschiedenes Interesse. So seien jene gegen Frankreich liegenden Kantone mehr für die Sache Napoleons. Am besten für die Verbündeten scheinen die Berner gesinnt. Uebrigens geht die allgemeine Meinung dahin, dass, falls man beabsichtige, das Schweizer Gebiet zu betreten, solches mit einer überwiegenden verbündeten Macht geschehen möchte und dem Einrücken ein Manifest der verbündeten Monarchen vorangehe, worin der Schweiz ihre ursprüngliche Verfassung zugesichert werde. Nur dadurch liessen sich die getheilten Interessen vereinigen und das Schweizer Volk doch für die gute Sache gewinnen. [260] Nach den Aeusserungen des eidgenössischen Militärs muss man erwarten, solches werde der Waffenehre ein Genüge leisten, sobald ihm keine bedeutende Uebermacht entgegengestellt werde. Der Feldmarschalllieutenant Graf Bubna, der eben aus Frankfurt nach Lörrach zurückgekehrt war, beeilte sich am 13. December mit Bezug auf die beiden Meldungen des General Zechmeister vom 9. dem Armeecommando zu erläutern, inwieweit die Grenzsperre gegen die Schweiz einzelnen Schwierigkeiten unterliege. Die Schweiz sei überdies der Weg, um die besten Nachrichten aus Frankreich zu erhalten[32]. Man solle bis zur endgültigen Entscheidung den vertraulichen Verkehr mit den Eidgenossen unterhalten, wie er das in Frankfurt schon vorgeschlagen habe. Die Verbündeten gaben nun durch Bubna die Erklärung ab, durch die Absendung so vieler Französischer Spione sei zwar die Grenzsperre augenblicklich zur Nothwendigkeit geworden, aber bekannten Leuten beider Nationen solle der Ein- und Austritt nicht untersagt sein. Diese gütliche Beilegung nahm Bubna ganz auf sich, indem er sich von Schwarzenberg die Gutheissung seines Vorgehens erbat. Als eine seiner Hauptaufgaben betrachtete er die Verbreitung des Frankfurter Manifestes. Von diesem war ihm unter dem 14. December wieder eine grössere Anzahl Exemplare zugegangen. Er versandte sie nicht bloss in die Schweiz, sondern auch nach Paris und in andere grosse Städte Frankreichs, an Handlungshäuser und sonst bekannte Namen und theilweise kamen sie auch an den Ort ihrer Bestimmung. Bemerkenswerth ist, dass es ihm nicht gelang, einen Drucker aufzutreiben, der gewagt hätte, dies Manifest an Ort und Stelle neuzudrucken. „Alle, an die er sich wendete, hielten ihm das Schicksal Palm’s in Nürnberg vor Augen. Auch war in obiger Erklärung von der Sicherheit des Privateigenthums nichts gesagt.“

Einem sehr wichtigen Bericht, welchen am 14. December der Oberst Mensdorff aus Wurmbach am Rhein dem Fürsten Schwarzenberg erstattete, entnehmen wir noch ein Stimmungsbild aus dem Kreise der Eidgenössischen Armee. Ein Adjutant des Generals Wattenwyl nämlich hatte dem Obersten Mensdorff gesagt: „Wenn Sie nach der Schweiz kommen wollen, so thun Sie es, aber auf eine Art, dass unsere Nationalehre nicht blossgestellt wird, d. h. mit einer solchen Macht, dass man sich vernünftiger Weise nicht dagegen wehren kann [261] und gewiss werden viele mitgehen. Kommen aber wenige Truppen, so wird man sich vertheidigen müssen. Die vielen Gutgesinnten haben sich sehr betrübt, als sie hörten, dass die Verbündeten angewiesen seien, die Neutralität auf’s genaueste zu achten.“ – Dies hatte der Oberst Mensdorff dem General Wattenwyl vertraulich eröffnet im Auftrag des Fürsten Schwarzenberg, offenbar in Folge des Einschreitens des Kaisers Alexander, von dem wir im Text gehört haben. Ueber dieses sagt die mir vorliegende Darstellung:

„Kaiser Alexander, welcher im Princip den Operationsplan Schwarzenberg’s gebilligt, wo nicht gar zu dem seinigen gemacht hatte, ging von der Annahme aus, die Schweiz werde sieh leicht bewegen lassen, der grossen Allianz beizutreten. Sein ehemaliger Erzieher Laharpe öffnete ihm die Augen und bewies ihm, dass es auf einen Umsturz der Helvetischen Verfassung und Wiederherstellung der alten oligarchischen Zustände abgesehen sei, die, man muss es wohl bekennen, der Fürst Metternich, wenn nicht offen verfocht, doch insgeheim bekannte und begünstigte, weil auf ihm das ganze Princip seiner Staatsweisheit beruht, weil Oesterreich selbst ein aristokratischer Staat ist. Um jene Zeit aber huldigte der Kaiser noch dem Liberalismus: die Ueberspannungen der bekannten Sibylle, genannt Frau v. Krüdener, hatten ihn noch nicht angesteckt, und der Zar war entschlossen, im Sinne seiner Proclamation von Kalisch zu handeln. Er drang somit auf Achtung vor der Schweizer Neutralität, verlangte, dass die Hauptarmee unterhalb Basel auf Badischem Gebiet den Rhein überschreite und von dort aus das omineuse Plateau von Langres zu erreichen suche, ohne Schweizer Boden zu betreten. Die Schweizer Abgeordneten, Landammann Aloys Reding von Biberegg und Säckelmeister von Escher, welche die Neutralitätserklärung ihres Vaterlandes nach Frankfurt überbrachten, wurden von Kaiser Alexander gut aufgenommen und mit den bündigsten Versicherungen entlassen. Allein eine andere Partei, an deren Spitze der Generalcommissar Wyss, Karl von Haller und der Graf Johann von Salis-Soglio standen, arbeitete im entgegengesetzten Sinne, nämlich für die Restauration der alten Verfassung und stand in besonderer Beziehung zu den Oesterreichischen Staatsmännern. Diese starke Partei forderte sogar höchst dringend zum Zug der Verbündeten nach der Schweiz auf, weil sie hoffte, unter ihrem Schutz ans Ziel zu gelangen. Der Entschluss, den Krieg fortzusetzen, stand fest, die Friedenspartei war aus dem Feld geschlagen, und in dem Sinn, welchen der Kronprinz von Schweden angedeutet, wurde eine Erklärung der verbündeten [262] Souveräne an das Französische Volk erlassen; dieselbe, von der schon oben die Rede war, dass Bubna solche mit Glück und Umsicht zu verbreiten gewusst hatte. Der Kaiser Napoleon war darin als das Haupthinderniss aller Wohlfahrt Europas und auch Frankreichs bezeichnet.

Der Feldmarschall Fürst Schwarzenberg hatte dem Russischen Kaiser vorgestellt und bewiesen, dass es in der damaligen Jahreszeit unerlässlich bleibe, sich der stehenden Rheinbrücke bei Basel zu versichern und dabei zugleich geltend gemacht, dass ja die Schweiz diesen wichtigen Uebergang den Franzosen nicht wehren könnte, wie solches das Jahr 1800 lehre. Alexander willigte hierauf in einen Rheinübergang bei Basel ohne weitere Verletzung der Schweizerischen Neutralität, deren Linie etwa eine Meile hinter Basel dergestalt gezogen werden könnte, dass Stadt und Rheinbrücke ausserhalb derselben bliebe.“

Zur Geschichte des im Text besprochenen „Uebereinkommens“ vom 4. December habe ich in den Wiener Archivalien nichts gefunden; dagegen kann ich aus der hier benützten Darstellung den Geheimplan mittheilen, welchen Schwarzenberg ursprünglich für den Einmarsch in die Schweiz entwarf, wegen des Kaisers Alexander aber erst vertagt und wegen der freiwilligen Unterwerfung der Schweiz schliesslich ganz aufgegeben hat.

Er ist enthalten in einem Befehlschreiben Schwarzenberg’s an den Befehlshaber der Vorhut der Hauptarmee, F. M. L. Bubna, welcher in rastlosem Vormarsch am 1. December bereits Rastatt erreicht hatte.

Unter dem 2. December 1813 ging an Bubna ein weitläufiges Schreiben ab, welches im Eingang lautet: „Ew. Hochwohlgeboren sind bestimmt, nebst der unterhabenden Avantgarde, das Commando über die zweite Armeeabtheilung zu übernehmen. Sämmtliche an ihre Befehle gewiesenen Truppen sind am 9. d. M. zwischen Basel und Schliengen versammelt. Sie werden selbe vom 9. bis zum 12. ruhen lassen, am 12. aber in grösster Stille und unter Vorwänden, die ich Ihnen selbst überlassen muss, Ihr ganzes Corps unweit Basel dergestalt concentriren, dass Sie am 13. vor Anbruch des Tages sich dieser Stadt und des Rheinübergangs daselbst bemächtigen können. Die Zeit vom 9. bis zum 13. werden Sie dazu benützen, sich von der Stärke der Truppen zu überzeugen, welche von Seiten der Schweiz als Neutralitätscordon aufgestellt worden sind. Sie können sich, jedoch mit der höchsten Vorsicht, mit ihnen in Unterhandlung jeder Art einlassen, welche zu dem Zweck führen können, Ihren Einmarsch in die Schweiz zu erleichtern. [263] Sie müssen diese Unterhandlungen dergestalt einleiten, dass man nicht auf den Gedanken kommen kann, dass unser Wunsch, in die Schweiz zu rücken, unter mehreren Monaten ausgeführt werden dürfte. Nur höchstens den Personen können Sie sich auf Ihre eigene Verantwortung anvertrauen, von welchen Sie gewiss sind, dass sie am Tage des Uebergangs selbst Ihnen reelle nützliche Dienste leisten können.“ Im Entwurf des Schreibens folgt hier noch folgende, später mit Rothstift durchstrichene Stelle: „In allen diesen Angelegenheiten hat man hier ganz vorzüglich auf den Grafen von Salis ein besonderes Vertrauen gerichtet. Es wird derselbe Ew. Hochwohlgeboren von allem desfalls Nöthigen in die Kenntniss setzen, nebstdem aber in Rücksicht der Truppen und ihrer Verpflegung die Stelle eines General-Landescommissars vertreten. Er wird Sie entweder in Freiburg oder auf dem Marsch von da nach Basel einholen. Ew. Hochwohlgeboren werden endlich von allen Einleitungen, welche von hier aus unmittelbar getroffen worden sind, um die Schweizer zu gewinnen, durch S. Durchl. den Fürsten Metternich selbst unterrichtet werden.“

In dem ausgefertigten Text des Schreibens heisst es weiter: „Nachdem Sie sich vollkommen überzeugt haben, dass der Uebergang über den Rhein und der Einmarsch in die Schweiz bei Basel sich nur erzwingen lässt, werden Sie davon die Feldzeugmeister Gyulay und Colloredo sofort in Kenntniss setzen, Ihr Corps aber in der Nacht vom 12./13. bei Basel concentriren, den Commandanten der Stadt früh um 4 Uhr auffordern und nach einer Bedenkzeit von einer halben Stunde in die Stadt rücken und den Uebergang forciren. Sie müssen bei dieser Gelegenheit so viel als möglich schonend verfahren, es durchaus vermeiden, dass unsererseits der erste Schuss geschehe, und sich, wenn Ernst gebraucht werden muss, wenigstens für die ersten Momente des Bajonets bedienen. Die Schweizerischen Truppen, die sich Ihnen widersetzen, müssen Sie entwaffnen und mit der möglichsten Schonung bis auf weitern Befehl als Kriegsgefangene behandeln, das Eigenthum der Einwohner muss auf jede Weise geschont und bei Lebensstrafe jede Plünderung untersagt, die Strafe aber an dem Uebertreter sofort öffentlich vollzogen werden. Ich ertheile Ihnen zu diesem Zweck das jus gladii et aggratiandi.

Gleich nach der Einrückung in die Schweiz werden Sie auf jede Weise beifolgende Proclamation[33] auszubreiten suchen. Zu Ihrer Unterstützung marschirt der Feldzeugmeister Gyulay mit dem 3. Armeecorps in der Nacht vom 12./13. von Schliengen ab, um sich bei [264] Basel gegen Hüningen aufzustellen. Feldzeugmeister Colloredo wird ebenfalls am 13. zur Erleichterung Ihrer Operation zwischen Basel und Schaffhausen über den Rhein gehen und daselbst Cantonirungsquartiere beziehen. – Sollten die Schweizer den Einmarsch in ihr Land gestatten, so versteht sich von selbst, dass die vorgeschriebenen militärischen Massregeln zum grössten Theil wegfallen, und dass Sie Ihre Truppen von Basel aus mit mehr Bequemlichkeit marschiren lassen können.“

Um den Rheinübergang Colloredo’s bei Laufenburg vorzubereiten, wurde am 3. December der Hauptmann des Generalquartiermeisterstabes v. Spinetti mit Extrapost nach Lörrach und Rheinfelden abgesandt. In dem ihm übergebenen Befehlschreiben finden wir die Worte: „Als strengstes Dienstgeheimniss wird Ihnen eröffnet, dass das 1. Armeecorps, von Freiburg über Lenzkirch und Thiengen marschirend, den Auftrag erhielt, am 12. bei Laufenburg den Rhein, es möge Widerstand finden oder nicht, zu passiren.“

Also am 13. gleichzeitiger Rheinübergang bei Laufenburg und Basel, vorbereitet im tiefsten Geheimniss und dann vollzogen im Nothfall mit Gewalt – das war der Plan, über den Metternich und Schwarzenberg, offenbar im Einvernehmen mit Graf Salis-Soglio am 3. December einig waren. Am Abend dieses Tages kamen, wie die Allgemeine Zeitung unter dem 10. December bezeugt, die Schweizerischen Neutralitätsabgeordneten in Frankfurt an. Am 4. wurden sie von Kaiser Alexander empfangen und den Erfolg ihrer Vorstellungen haben wir offenbar in dem Umschwung zu erblicken, der mit dem Uebereinkommen vom 4. December eintrat, und den wir oben im Einzelnen behandelt haben.

Ueber die Endentscheidung selbst, die dann in Freiburg erfolgte, werden nachstehende Urkunden aus dem k. k. Haus-, Hof- und Staatsarchiv willkommen sein.


1.

Abschrift eines Vortrages des Hrn. Ministers der auswärtigen Angelegenheiten an seine k. k. Majestät.

Freiburg, den 15. December 1813. 

In der Anlage habe ich die Ehre, Allerhöchstdenselben die letzten Berichte des Herrn v. Lebzeltern gehorsamst zu unterlegen.

Sie beweisen vielen guten Willen des Berichtstellers sich über die Schweizerfragen aufzuklären, eine nicht gemeine Gewandtheit, die dem sicherlich zu Theil wurde, welcher in so wenig Tagen die Gegenstände auf so vielen Seiten zu beleuchten verstand. Sie sind jedoch weit entfernt, ganz ohne Vorurtheil geschrieben zu sein; und wie [265] wäre das Gegentheil möglich, da ein 14tägiger Aufenthalt sicher nicht hinreichend ist, um das Wahre in so feinen Nüancen, wie es die vorliegenden sind, stets richtig aufzufassen, und das Gute von Trug-Ansichten zu trennen? Von den letzteren wimmeln die Lebzelterischen Berichte; den grössten Beweis hiefür liefern die Widersprüche, welche in den verschiedenen Berichten selbst liegen, und nirgend genug gelöst erscheinen.

Die unverkennbarste Wahrheit liegt jedoch in dem Bericht Nr. 10. – Die Schweiz erwartet eine Operation von unserer Seite; diese Operation wird die grosse Mehrzahl als Theilnehmer finden; – Und in dieser Ansicht liegt die Nothwendigkeit eines grossen Entschlusses von unserer Seite; – dieser Entschluss kann, meines unmassgeblichen Erachtens, nur der folgende sein.

Die Schweiz ist nicht neutral, weil sie nicht independent ist.

Sie wird ihre Neutralität nie wieder behaupten können, bevor sie nicht wieder frei von direktem fremdem Einfluss da steht; hiezu gehört alles, was sie verloren hat: ihre alten Gränzen und ihre politische Unabhängigkeit von der Französischen konstitutionellen Unterwürfigkeit. Welche Pflichten Napoleon unter seinem Protektorat und Mediation versteht, ist kein Geheimniss.

Es widerstrebt den Grundsätzen Eurer Majestät, sich in die innern Angelegenheiten fremder Staaten zu mischen. Im vorliegenden Falle ist die Frage jedoch in einem ihrer wesentlichsten Grundbegriffe verschieden.

Nicht wir wollen uns in die Schweitzer Angelegenheiten mischen – wir müssen aber den Französischen Einfluss vertilgen, welcher sich mit allen inneren Verhältnissen der Schweitz verwebt hat. Wir müssen das Französische Gebäude stürzen, nicht um ein Oesterreichisches an seiner Stelle aufzuführen; – wir wollen die Freiheit der Schweitz neuerdings begründen.

Die Schweizer selbst müssen uns jedoch hiezu die Mittel bieten.

Die Tagsatzung der Schweiz hat ihre Neutralität den Mächten bekannt gemacht. Diese Neutralitätsacte hat Bern, der erste und wichtigste Kanton, nicht publizirt, also eben so gut als gesetzlich verworfen. Die Neutralitätsacte ist also bereits nun, wenn die ganze Idee der Schweizerischen Neutralität nicht an sich selbst illusorisch wäre, nicht einmal mehr eine Garantie für die Mächte.

Ich habe Anträge an den Landammann der Schweiz durch den Herrn v. Reding gelangen lassen, auf welche wir mit jeder Stunde Antwort erhalten müssen. Entweder ist sie auf den Vorschlag zum Allianzbeitritt beifällig oder nicht. Im ersten Falle sind alle Anstände gehoben. Im anderen Falle tritt die Berner Frage in die [266] erste Linie. Das Bernsche Gebiet ist bereit aufzustehen, und die Hilfe der Mächte anzurufen. Sollen die Mächte diesem Wunsche willfahren? Alles stimmet dieser Frage bejahend zu; unser politischer, unser militärischer Vortheil.

Politisch ist die Schweiz von einer unabsehbaren Wichtigkeit. Sie hat aber auch durch die Aufstellung unserer Armeen in hiesiger Gegend einen neuen Werth dadurch erhalten, dass sogar das Nichts-Thun ein rückgängiger Schritt wird; dass mit diesem Schritte der Einfluss Frankreichs auf die Schweiz aufs Höchste gesteigert – fast unwiederbringlich gesichert wird. Der Festigkeit und Beharrlichkeit der Französischen Parthey in der Schweiz würden die Resultate unserer Handlungsweise zum Siege gereichen. Alle independent gesinnten Schweizer würden unsere Niederlage theilen. Wir würden mit der augenblicklichen Hilfe den Anspruch auf künftige Unterstützung verlieren; die Schweitz würde ganz Französisch durch unsere Schuld.

In militärischer Hinsicht tritt neben den zahllosen Vortheilen einer Occupation der Schweiz noch die Betrachtung ein, dass unsere Armeen hier nur wenig Tage mehr stehen bleiben können, und dass jede Operation vorwärts ohne die Besetzung der Schweiz unmöglich ist – jede rückgängige Bewegung der Armee aber die Resultate einer verlorenen Schlacht haben müsste, da sie das grösste Uebel – Unentschlossenheit in unseren Planen, verrathen würde.

Sie würde uns in Frankreich eben so sehr als in Deutschland schaden; wir würden mit einem Streiche das Zutrauen in unsere Handlungsweise, die besten Hoffnungen der Völker für die Zukunft vernichten.

Der Kanton Bern ist zum Aufstande bereit. Er will uns zu Hilfe rufen: wir müssen ihm diese Hilfe biethen. Dem Kanton Bern folgen sicher die kleinen Kantone und Graubündten; Zürch scheint eben so bereit, einer ergriffenen Parthei zu folgen; – wir erreichen den ersten Zweck des Augenblicks, die Besetzung der Schweitz.

Sobald Eure Majestät dieser Ansicht Allerhöchst Ihre Sanktion zu geben geruhen, so werde ich sie in allen Details zu unterlegen mir die Freiheit nehmen.

Ich muss mir jedoch die Allerhöchste Genehmigung über die Grundfrage: Soll dem Kanton Bern zu Hilfe gekommen werden, oder nicht? Wollen die Mächte diesen Kanton verlassen, oder, welches Eines und dasselbe ist, ihn zwingen sich der Neutralitäts-Akte anzuschliessen? in der möglichst kürzesten Frist gehorsamst erbitten, da selbst militärisch [267] jeder Aufschub tödlich wirken müsste. In Frankreich ist keine Massregel bereit; noch herrscht der grösste Schreck; noch haben die Französischen Bearbeitungen in der Schweiz den Gemeinsinn nicht ganz erstickt; Eurer Majestät Ankunft bei Ihrer Armee in der Nähe der Schweitz, – Alles deutet auf Unternehmungen, welche noch keinen Schwierigkeiten unterliegen, aber durch den natürlichen Gang des Geistes aller Völker und der Armeen endlich die bestimmtesten Anstände begegnen dürften.


2.
Allerhöchste Resolution.

Erklärt sich die Schweitz für uns oder rufft uns der Kanton Bern zu Hilfe, so müssen wir in jedem Fall Hilfe leisten; – diese Hilfeleistung ist mit einer uns vortheilhaften Operation gegen Frankreich zu verbinden.

Ich erwarte daher von ihnen, ohne die militärischen Verfügungen dieser wegen aufzuhalten, die weiteren Details über die Ausführung dieser meiner Willensmeinung; und ist dabei immer von dem Gesichtspunkte auszugehen, der Schweitz ihre wahre Freiheit und Unabhängikeit zu verschaffen, ohne sich in die Beurtheilung desjenigen einzumischen was ihre innere Glückseligkeit ausmacht; in Ansehung ihrer Regierungsverfassung, nur ist dafür zu sorgen, dass durch das Privatinteresse einiger Klassen, wie der Patrizier, unser grosser Zweck nicht vereitelt, und durch Partheyen die innere Ruhe in der Schweiz, während dem sie gegen Frankreich thätig mitwirken solle, nicht gestört werden.


3.

 Euer Majestät!

Das Volk ist so freudig gestimmt, dass es nicht möglich sein dürfte ihm zu verwehren dass es die Pferde von Ew. Majestät losspanne. Ich habe demnach geglaubt Ew. Majestät Reitpferde auf eine gewisse Distanz entgegen schicken zu müssen, im Falle AllerhöchstDieselben diesen Ausweg wählen zu wollen geruhen dürften.

Freiburg den 15. Dec. 1813.

 G. Metternich m/p.

Ist recht geschehen.

 Franz m/p.


4.

 Euere Majestät.

Der General von Langenau ist soeben von Lörrach zurückgekommen. Alles ist in Ordnung. Der Oberst Herrenschwand hat den Einmarsch [268] auf den 21. festgesetzt. Die Truppen werden sich auf allen Punkten zurückziehen und Herrenschwand hat gestanden, dass er hierzu Befehl von Seiten des Gl. Watteville habe. Der letztere hatte damals den Grafen Senfft noch nicht gesprochen, ein neuer Beweiss der Gesinnung dieses Generals.

Da nun alles in der gehörigen Ordnung gehen wird und meine Gegenwart in Lörrach ganz unnütz geworden ist, so werde ich hier bleiben um die Expedition, welche ich morgen von hier aus zu machen habe, zu besorgen.

Soeben sind die Couriere nach Zürich und nach Arau mit den Deklarationen abgegangen.

Freiburg den 20. Dec. 1813.
 3 Uhr frühe.

 G. Metternich m/p.

Dient zur Nachricht.

 Franz m/p.



Anmerkungen

  1. Die ungedruckten Schriftstücke, welche in diesem Aufsatz benutzt sind, finden sich theils auf dem Public Record Office zu London theils auf d. k. k. Kriegsarchiv zu Wien.
  2. Muralt, Hans von Reinhard. Zürich 1839 S. 233.
  3. Die am 11. November für den letzteren ausgestellten Weisungen des Fürsten Metternich habe ich veröffentlicht im Hist. Taschenbuch. 6. Folge. II. Jahrgang, S. 31 ff.
  4. Allg. Zeitung 1813, Nr. 344.
  5. Veröffentlicht in meinem „Zeitalter der Revolution, des Kaiserreichs und der Befreiungskriege“ II, S. 721/22. Der ganze Abschnitt ist nachzulesen.
  6. Denkschriften S. 253–281.
  7. Denkschriften S. 276–78.
  8. So im Wiener Text und bei Bernhardi. Bei Pertz steht „schickliche Punkte“.
  9. a b Bei Pertz fehlt „und Nancy“.
  10. Droysen, York III, 224.
  11. Nämlich [Betrachtungen S. 94/95]:
    1. Die Armee, welche aus Deutschland zurückgekehrt war, zählte nach Vereinigung mit den Truppen am Rhein
    103 000 Mann 
     Sie war längs dem Rhein zur Besetzung der Ufer vertheilt. Die Garde war ins Innere zurückgegangen.  
    2. Die Pyrenäenarmee unter Marschall Soult zählte
    60 000     „ 
     Hauptquartier Bayonne.  
    3. Die Armee von Catalonien unter Marschall Suchet
    37 000     „ 
     Hauptquartier Girona.  
    4. Die Armee unter dem Vicekönig von Italien zählte ausser den Festungsbesatzungen
    49 000     „ 
     Davon standen 35 000 Mann an der Etsch. Hauptquartier Verona.  
    5. Die Armee des Königs von Neapel, im Kirchenstaat bis zum Po
    34 000     „ 
     
    283 000 Mann 
    Da Murat aber schon mit den Verbündeten unterhandelte, so muss sein Heer abgezogen werden und es bleiben dann
    249 000 Mann 
  12. S. oben S. 210.
  13. Zu berichtigen nach S. 208 ff.
  14. Es ist der vom 20. bezw. 24. November S. 220–222.
  15. Es ist der Aufsatz, den Pertz III S. 543–546 veröffentlicht hat, und dessen Entstehung wir oben S. 214 auf den 9. November zurückgeführt haben.
  16. Präsident des Hofkriegsraths in Wien, d. h. Kriegsminister von Oesterreich.
  17. Hierüber wurde in Langres am 29. Januar 1814 anders entschieden.
  18. Nämlich am 3. December s. oben S. 217.
  19. Zeitalter der Revolution II, 182.
  20. Muralt, Hans von Reinhard S. 241.
  21. Metternich-Klinkowström, Oesterreichs Theilnahme an den Befreiungskriegen. Wien 1887. S. 775–76.
  22. Französischer Gesandter in Zürich.
  23. Vgl. mein Zeitalter der Revolution II, 720–21.
  24. Duka (S. 227) und Knesebeck (S. 234) sind gemeint.
  25. Siehe S. 224.
  26. Im Vorstehenden lesen wir offenbar die Bedenken, mit welchen Schwarzenberg den oben S. 220–224 besprochenen Vormarschplan Gneisenau’s bekämpft und besiegt hat. Vgl. auch die Denkschrift in Radetzky’s Denkschriften S. 240 ff.
  27. Dieser Vorbehalt wurde erst gemacht, als die Schweiz sich „neutral“ erklärte; s. S. 217. 237. 247.
  28. Siehe S. 211.
  29. Histoire de France sous Napoléon I. XII. 17.
  30. Ebda. S. 224 ff.
  31. Der am Preussischen Hof beglaubigte Englische Gesandte, Sir Georges Jackson, schrieb in Frankfurt am 5. December 1813: „The Swiss Deputies have arrived here to declare the neutrality of their country and to show the route into France without infringing their territory. Great difficulties exist on this point and as to the mode to be pursued. The Emperor Alexander is inclined to respect their Declaration, but in any case it is thought that only a corps will enter their country, the gros de l’armée passing at Basle.“ (The Bath Archives. A further selection from the diaries and letters of Sir George Jackson K. C. H. from 1809 to 1816 ed. by Lady Jackson. London 1873 vol. II, 381.)
  32. So scheint man in Frankfurt die erste Nachricht über die Einnahme von Bayonne durch Wellington aus einem Schweizer Bericht Lebzeltern’s erhalten zu haben.
  33. In den Feldacten nicht vorhanden.