Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band/9. Die großen Jahrzehnte/3. Verfassung
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Wer war Obrigkeit in Basel?
In dem Streite hierüber, der seit Jahrhunderten eine Generation nach der andern erregte, war das städtische Wesen geworden und gewachsen, eine Stadtherrschaft des Rates entstanden. Jetzt, in der einzigartigen Epoche, die so vieles Alte vor modernen Ideen und Formen weichen ließ, galt es in diesem Kampfe, der dem lebenden Geschlechte vererbt worden war, den letzten Schritt. Das Ziel war die endgültige Gestaltung des Staates in der Stadtmauer, die der Zeit entsprechende Festsetzung von Bestand und Recht des Rates, die Sicherung einer geschlossenen Einheitlichkeit der Einwohnerschaft.
Von den verschiedenen Eximierungen und Privilegierungen der Kleriker ist schon die Rede gewesen. Auch davon, daß die städtische Behörde schon frühe gegen diese Sonderexistenz auftrat. Seit dem vierzehnten Jahrhundert folgten sich ihre Beschlüsse über Gerichtsbarkeit Testamente Vergabungen Besteuerung Kriegsdienst, und durch sie alle hindurch ging dieselbe Absicht: Die, „so mit einem Tor und Schlüssel beschlossen werden", sollen gleichen Rechtes sein und gleiche Bürde tragen. Es war der entschiedene Wille, alle Einwohner unter dieselbe Pflicht zu stellen; das Bedürfnis des reifen Gemeinwesens, seine Kräfte ganz zur Verfügung zu haben. Hiezu gehörte hauptsächlich die Beseitigung der libertas ecclesiastica.
Im Streben hienach hatte der Rat als entschlossensten Gegner das Domkapitel. Wir wissen, daß diese Körperschaft sich als Vertreter der gesamten städtischen Geistlichkeit zu geben pflegte. Auch jetzt wieder stand sie so dem Rate gegenüber, in einzelnen Figuren einen Stolz verkörpernd, mit dem verglichen das Wesen der Domherren vor fünfzig Jahren in der Erinnerung betagter Kapläne wie lauter Demut und Milde erschien. Der [82] Geist eines ungebeugten Kirchenregiments war noch gesteigert durch die energische kampfbewegte Zeit. Wie diese Herren des Kapitels dem Bischof gegenüber sich benahmen, so dem Rate der Stadt.
Äußerlich war das Verhältnis dieser beiden Mächte ja geordnet. Die traditionelle Stellung des Domkapitels im Gemeinwesen galt noch immer. Die Etikette großer städtischer Feste verlangte auch jetzt noch die Beteiligung der Herren auf Burg. Gegenseitig versicherte man sich bei Gelegenheit des besten Willens. Man sei von jeher miteinander verwandt gewesen und wolle wie immer in Lieb und Leid auch jetzt, die Zeit möge sein wie sie wolle, für einander einstehen.
Aber die so redeten und schrieben, hatten doch beständig Streit. Es war das notwendige Ergebnis ihrer gegensätzlichen Existenz. Auch in diesen kleinen Kontroversen, die der Inventierung des Nachlasses von Geistlichen durch die städtische Behörde, der Ablösung der Ewigzinse, der Beiziehung von Klerikern zum Kriegsdienste galten, lebte der große Gedanke vom Wesen der Kirche und ihrer Allmacht, und diesem Bewußtsein gegenüber beim Rate das Gefühl der Souveränität, der Begriff ungeschmälerter Stadtherrschaft und Hoheit.
Diese vielen Diskussionen haben wir hier nicht zu schildern. Aber darzulegen ist, wie nach all dem zerzettelten Hader, in einem Momente hoher Steigerung des öffentlichen Wesens, im Jahre 1512, die beiden Mächte wieder aufeinanderstoßen und nun ihre Begehren und Beschwerden gesammelt zur Verhandlung bringen. Eigenartig ist dabei, daß der Streit nicht offen geführt wird und daß nicht Basel der Kampfplatz ist, sondern die Curie in Rom.
Den Anlaß bietet die uns bekannte eidgenössische Gesandtschaft zu Papst Julius II., in der Basel durch seinen Oberstzunftmeister Lienhard Grieb vertreten ist. Während dieser lebensvollen Wochen, da die Boten der Tagsatzung auf dem Wege nach Rom sind, ist auch das Basler Hochstift in Aufregung. Die Domherren haben erfahren, daß Grieb dem Papst allerhand Wünsche des Rates über kirchliche Dinge vortragen werde. Einzelnes wissen sie nicht, aber sie fürchten Alles. Der Heilige Vater muß daher unterrichtet werden. Denn zahllos sind die Verletzungen kirchlicher Freiheit, die der Basler Klerus schon jetzt zu leiden hat. Heißt der Papst gut, was die Stadt begehrt, so wird der kirchliche Stand zu Basel sein, wie einst das sacerdotium unter König Pharao war. Die Freiheit, die der Papst durch die Gnade Gottes und mit der Hilfe der Schweizer seinem Italien gewonnen hat, wird der Kirche die Knechtschaft bringen.
[83] Unruhig schauen Bischof und Kapitel nach Helfern aus. Den Legaten in der Schweiz bitten sie um Verwendung beim Papste; durch das vorderösterreichische Regiment suchen sie den Kaiser für ihre Sache zu gewinnen; sie schreiben dem mächtigen kaiserlichen Rate Matthäus Lang; sie instruieren den Johannes Schütz, Prokurator in Rom; sie rufen vor Allem ihren Mitkanoniker Lux Conrater zu Hilfe, der auf seiner Pfründe in Konstanz sitzt, aber Menschen und Dinge in Rom besser kennt als die Andern. Er gibt guten Rat und vermittelt. Über Chur und Mailand und durch die Filiale der Fugger laufen die Eilbriefe der Basler an den päpstlichen Hof.
So gut wir informiert sind über die Tätigkeit des Domkapitels, so wenig vernehmen wir von den Verhandlungen in Rom selbst. Was die Stadt an Privilegien zu erlangen vermochte, haben wir gesehen. Durch die Mehrzahl wurden die Interessen des Domkapitels nicht berührt. Nahe trat ihm einzig die am 20. Dezember 1512 vom Papst ausgesprochene Kassation des alten Kapitelstatuts, daß ein Basler niemals Aufnahme im Domkapitel finden solle; aber es war dies ein rein formeller Sieg der Stadt. Das Kapitel respektierte diese Verfügung nicht und hielt nach wie vor Kandidaten baselischer Herkunft fern. Im Übrigen kennen wir mehrere Begehren des Rates, mit denen er beim Papst unterlag; sie gingen auf Besteurung aller, auch der geistlichen Einwohner; auf Ablösung der Ewigzinse; auf Übergang des Wahlrechts in den Papstmonaten an den Rat. Jedenfalls hat zu solcher Ablehnung die Einsprache des Domkapitels beigetragen. Um so mehr sah sich der Rat durch diese Erfahrung getrieben, künftig nicht mehr zu fragen und zu bitten, sondern im Bereiche seiner Macht selbständig zu handeln.
Zunächst tat er dies gegenüber den „Hofsverwandten", d. H. den Beamten der geistlichen Gerichte und der Domstiftsverwaltung. Das Verhältnis dieser Curialen zum Gemeinwesen war schon lang ein Gegenstand von Streit und Verhandlung. Aber erst die durch den Bund von 1501 geschaffene Erweiterung des öffentlichen Lebens und die Steigerung städtischen Machtgefühls führten zu durchgreifender Ordnung. Schon im Jahre 1502 war die Frage der Bundesbeschwörung durch die Prokuratoren und Schreiber der Curie bis vor die Tagsatzung gebracht worden; die vielen Heerzüge verlangten wiederum einen Entscheid darüber, wie mit diesen Leuten zu verfahren sei. Mitten im Drange der kriegerischen Rüstungen des Sommers 1515, da eine Aushebung der andern folgte, beschloß der Rat, die Curialen nicht länger von den städtischen Bürden zu dispensieren. Am 25. Juni verfügte er, daß sie von nun an den Bürgern gleichzustellen seien und [84] wachen hüten reisen (in Krieg ziehen) steuern und dem Rate schwören sollten. Den sich Weigernden wurde die Sperrung alles Kaufs und Verkaufs, das Verbot des Mahlens und Backens, der Ausschluß von Markt und Weidgang angedroht. Der Bischof erhob Einwendungen. Aber der Große Rat bestätigte die Verfügung. Und nun geschah, gern oder ungern, die Eidesleistung durch die Curialen und Viele, die ihnen glichen. Nach den Notaren Prokuratoren Pedellen der Curien schworen der Fiskal, die Klosterschaffner, Organist Buchschreiber Glöckner auf Burg, die Siegristen zu St. Peter und St. Theodor, der Münsterwerkmeister. Es war ein weithintreffender Sieg des städtischen Wesens. Aber der Münsterchronist rief Wehe über diese Freveltat, über diesen Tag des Unheils, an dem die ehrwürdigen Privilegien des Domes zertrümmert worden seien.
Seit dem Ende des fünfzehnten Jahrhunderts saß kein Edelmann mehr im Rate, war die Hohe Stube nur noch durch Achtburger vertreten. Wie diese Vertretung aber immer schwächer wurde, haben wir gesehen; je lauter und mächtiger solcher Abnahme gegenüber die Zunft auftrat, um so fester gründete sich die Auffassung der Stube als eines fremden, zum gemeinen Nutzen nichts beitragenden Körpers. Sie selbst gab sich in Vielem preis; im Rate konnte laut davon geredet werden, daß Die von der Hohen Stube nicht täten, was ihre Pflicht sei.
Den ersten Schlag empfing die Stube bei der Revision des Handfesterechts 1503/06, da auch Zünftige als wählbar zu Kiefern erklärt wurden. In den folgenden Jahren beschäftigte man sich weiter mit den Vorrechten der Stube. Aber vor entscheidendem Zugreifen scheuten sich die Zünfte noch, jedenfalls einzelner verdienter Männer wegen, die von der Stube her im Rate saßen. Aber im Dezember 1514 starb der bedeutendste dieser Herren, der hochangesehene Bürgermeister Peter Offenburg; die feierliche Teilnahme von Rat und Sechsern an seiner Bestattung war die letzte Huldigung des Gemeinwesens an die der Hohen Stube eigenen Kräfte und Fähigkeiten. Jetzt hemmten keine Rücksichten mehr, und die Zünfte gingen vorwärts.
Sie gefielen sich in der Meinung, daß sie allein Arbeit und Verantwortung des Regimentes tragen müßten. Die Vorrechte der Hohen Stube, die vor Zeiten vielleicht begründet gewesen, erschienen heut als unverdient. Sie widerstritten auch den dieser Zeit eigenen Forderungen bürgerlicher Gleichheit. Dies war „das Gemurmel des gemeinen Mannes“, mit dem dann der Rat seinen Beschluß motivierte. Bei den Heerzügen der letzten [85] Jahre war dieser Unwille besonders laut geworden; und die Listen dieser Züge zeigen uns in der Tat die Berechtigung des Vorwurfes, daß die Stubenherren den Kriegsdienst vernachlässigt hätten, anders als ihre Vorfahren, „die in allen Kriegs- und andern Nöten dem gemeinen Gute tröstlich erschienen seien“.
Wir erinnern uns an die Vorgänge der 1440er Jahre. Wie damals war auch jetzt kriegerisch erregte Zeit. Auch damals war der Sturm der Gemeinen wider die Geschlechter gegangen. Wie damals geschah auch jetzt die Verhandlung im Rat unter Ausschluß der Mitglieder von der Stube. Als Diese vernahmen, worum es gehe, begehrten sie gleichfalls zur Sache zu reden. Man antwortete mit dem Verlangen, sie sollten die Dokumente vorweisen, auf denen ihr Recht ruhe. Aber sie vermochten nichts Schriftliches zu produzieren, bezogen sich auf die alte Übung.
Da berief der Rat die Sechser, den Großen Rat, und in dessen Sitzung am 8. März 1515 erging der Beschluß: Das bis dahin ausschließlich aus der Hohen Stube besetzte Unzüchtergericht wurde zu der Stadt Handen genommen; es sollte fortan aus dem ganzen Rate besetzt werden. Gleicherweise wurde das bisherige Übergewicht der Stubenherren in Siebneramt und Dreizehnerrat aufgehoben; diese Kollegien, sowie alle übrigen und das Gericht, sollten frei aus dem Rate besetzt werden, ohne Unterschied zwischen Stube und Zünften. Bei Gesandtschaften sollten Die von der Hohen Stube nicht mehr drei Pferde auf gemeine Kosten haben, sondern gleich den Zünftigen zwei. Wichtig dann aber, wie in diesem Beschlüsse noch über das Politische hinausgegriffen wurde. Er rührte an den Bestand der Stube selbst. Stadtwirtschaftliche und soziale Interessen drängten sich heran und setzten durch, daß der Eintritt eines Zünftigen in die Stube künftig nur möglich sein sollte unter Abgabe eines Zehntels seines Vermögens an die Stadt, sowie daß ein Stubenherr nicht mehr wie bisher ohne weiteres sein Geld in ein Gewerbe leihen und Gewinn und Verlust davon haben könne, sondern diejenige Zunft anzunehmen habe, der das Gewerbe angehöre.
Auf solche Weise wurde die Hohe Stube aus ihrer seit Jahrhunderten behaupteten Stellung verdrängt. Sie hörte auf, eine besondere politische Institution Basels zu sein. Wenn außerdem der Übergang von der Zunft in die Stube sehr erschwert und die Commanditierung zünftiger Gewerbe durch Stubenherren verhindert wurde, so trieb hiezu der Wille, das Abhandenkommen zünftischen Geldes in der Stube durch Heirat oder sonst unmöglich zu machen, sowie der Neid der niedern Zünfte, die den obern die Stärkung durch das Geld patrizischer Gemeinder nicht gönnten. Die Wirkung war [86] jedenfalls die Lösung der Stube von der Zunftmasse. Der Zufluß, den sie immer aus dieser gehabt, wurde ihr abgeschnitten und sie auf sich allein zurückgewiesen. Es war dies mehr als Isolierung, es war tödliche Entwurzelung.
Die gesamte Reform war eine Gewalttat. Aber als Werk des demokratisch-revolutionären Geistes entsprach sie der Entwickelung der Stadt. Daß sie der bisherigen Auszeichnung des einen Standes, der Optimatenherrschaft überhaupt und nicht einzelnen Vorrechten galt, zeigt die ihr folgende Bürgermeisterwahl von 1516; da wurde der stubengenössige Offenburg durch den Meister zu Hausgenossen, Jacob Meyer zum Hasen, den ersten Bürgermeister von Zünften, ersetzt.
Neben der Vernichtung alter Grundsätze war überhaupt das Lebendigere und Aufreizendere die persönliche Schädigung, das einzelne Wehetun, die Beleidigung glänzender und angesehener Familien.
Es war nur Gerechtigkeit, daß auch die Stadt ihren Schaden davon hatte, indem die bisher in den Traditionen öffentlicher erlesener Wirksamkeit gebildeten und in der Höhe gehaltenen Geschlechter zu einem politisch indifferenten und geistig verkommenden Stadtjunkertum degradiert wurden; eine große Summe von Talent Kraft und Wille eigener Art ging dem Gemeinwesen für immer verloren.
Das älteste und größte Ratsgeschäft, seit Jahrhunderten ein auf dem städtischen Wesen lastendes Problem, jetzt aber Entscheidung und Endigung begehrend, war das Verhältnis zum Bischof.
Es handelt sich um den Episkopat Christophs von Utenheim; er ist dadurch gekennzeichnet, daß in seinem Verlaufe das Letzte, was noch öffentliches weltliches Recht des Bischofs in Basel war, unterging.
Das Regiment Christophs begann unter dem Drucke der Erinnerung an Bischof Caspar und dessen Kampf mit der Stadt. Wie sehr dies auf die Haltung des Domkapitels wirkte, zeigt z. B. die unhöfliche Verzögerung der Anzeige von Caspars Tod an den Rat, dann die Ablehnung von dessen Anerbieten, die bischöflichen Lande und Schlösser übungsgemäß während der Sedisvacanz zu besorgen.
Bischof Caspar war am 8. November 1502 gestorben; auf den 1. Dezember wurde die Wahl seines Nachfolgers angesetzt. Unruhe kam dabei zunächst durch das Streben des Domkapitels, sich unter dem neuen Bischof eine bestimmte Mitregierung vorzubehalten; zu diesem Zwecke wurde eine Wahlkapitulation entworfen und im Schoße des Kapitels, offensichtlich [87] unter heftigen Kämpfen, beraten. Sodann aber drang auch in dieses Bistumsgeschäft die Erregung, die vom Schwabenkrieg und von Basels Schweizerbund her den Oberrhein bewegte. Österreich wollte wenigstens in diesem Bereiche des Bistums seinen Einfluß sichern; als Vasall des Hochstiftes wohnte es der Wahlhandlung bei und portierte als Kandidaten den Basler Kapitular Johann Werner von Mörsberg, Sohn des österreichischen Landvogtes Freiherrn Caspar. Vielleicht kamen Einwirkungen solcher Art auch noch von andrer Seite. Doch konnten nicht politische Aspirationen allein Gehör finden. Auch Kirchlichkeit Gelehrsamkeit Würde waren von Bedeutung. Und die besten Aussichten hatte jedenfalls, wer schon auf dem Posten stand und gewissermaßen designiert war. Als solcher kam der Bistumsverweser und Coadjutor Christoph von Utenheim in Betracht. Er wurde gewählt, am 1. Dezember 1502, in Anwesenheit von Deputierten des Rates. Die Provision durch Papst Alexander VI. folgte am 8. März 1503.
Christoph von Utenheim, Sohn des bischöflich straßburgischen Hofmeisters Hans, kannte Basel schon von seinen Studentenjahren her. Der Kirche diente er als Chorherr, dann als Propst des Thomasstifts zu Straßburg, seit 1475 als Domherr zu Basel. Sein Wesen wird uns schon in dieser Frühzeit dadurch bezeichnet, daß er wiederholt mit Inspektion und Visitation der Straßburger Diözese betraut wurde sowie vom Abt von Cluny, dessen Generalvikar er war, die Leitung der verwahrlosten Priorate Basel, St. Ulrich und Cerdona zugewiesen erhielt. Beim Basler Dom zum Custos erhoben, übernahm er noch bei Caspars Lebzeiten, 1499, das Amt eines Bistumsverwesers, 1502 dasjenige eines Coadjutors. All das deutet auf Brauchbarkeit und Hingebung. Aber es ist für Christoph bezeichnend, daß inmitten solcher Tätigkeit er das wachsende Verlangen hatte, stille zu werden und abseits zu sein. Er wollte im Schwarzwald in die Einöde gehen; schon war er bereit, diese Absicht auszuführen, da traf ihn die Nachricht, daß er zum Bischof von Basel ausersehen sei.
Lebensvolle Äußerungen der Freunde Utenheims sind uns aus diesem Moment erhalten. Geiler riet, die Bischofswürde abzulehnen, da eine Reform der kirchlichen Zustände ja doch nicht durchführbar sei. Anders Wimpfeling. Ihm schien, daß in dieser Berufung Gott selbst zu Utenheim rede. Er solle das Amt annehmen zur Ehre des Höchsten und zum Heile vieler Seelen. Und dann folgt auf diesen Zuspruch die Schilderung eines guten Bischofs und seiner Regierung, gemengt aus kühnen Träumen und bittern Bemerkungen über die Besetzung der Ämter, über die Beaufsichtigung [88] der Plebane und der Bettelmönche, über die Abhaltung häufiger Synoden usw. Es ist das Idealbild des weisen gläubigen ernsten Bischofs. Geiler hatte die Annahme der Wahl widerraten, weil er Christophs Art kannte und ihn vor schweren Erfahrungen bewahren wollte. Aber Christoph folgte Wimpfeling.
Sofort ging er an das größte Geschäft, den Erlaß neuer Diözesanstatuten. Er berief den Wimpfeling nach Basel und redigierte hier mit Diesem zusammen den Gesetzestext, unter Verwendung der ältern Basler Statuten sowie von Bestimmungen der neuesten Konstanzer Erlasse. Am 24. Oktober 1503 trat im Münster der durch Christoph gerufene Klerus des Bistums zusammen, um als Synode diese neuen Statuten zu vernehmen und sich zu ihrer Beobachtung zu verpflichten. Von allen Formen hoher Weihe umfaßt, gab diese Versammlung dem Bischof Gelegenheit, seine Absichten und Alles, was an seiner eignen Persönlichkeit rein und edel war, aufs feierlichste bekannt zu machen. Er verlieh damit seinem Episkopat von vornherein einen bestimmten Charakter.
Statuten und Synode waren die erste bedeutende Leistung des utenheimischen Regiments. Aber auch schon seine letzte. Und die letzte Veranstaltung dieser Art im katholischen Basel überhaupt.
Viele erwarteten nach solchen Anfängen Christophs jedenfalls Großes. Der Rat der Stadt bestritt die Kosten einer prachtvollen Publikation der Statuten. Auch die Geistlichkeit hatte an der Synode nichts Andres merken lassen als die besten Gesinnungen. Als aber Christoph[WS 1] unternahm, die Statuten anzuwenden, als er den „alten Glanz des Bistums Basel wieder aufzurichten“ und ein ausgewähltes Priestertum zu schaffen hoffte, stieß er allenthalben auf Widerstand. Im österreichischen Gebiete hatte der renitente Klerus einen Rückhalt am Adel, und im schweizerischen verdarb ihn die „allgemein dort herrschende Unbotmäßigkeit“. Weil die Domherren, auf ihre Privilegien weisend, jede Mahnung und jeden Befehl ablehnten, war auch die städtische Geistlichkeit rebellisch, und den eximierten Orden gegenüber versagte vollends die Gewalt. Neben den Ungehorsam trat noch der Spott: ein Basler Theologe machte die bischöflichen Verordnungen durch Umformung in eine nach Noten zu singende Sequenz lächerlich.
Diese ganze Opposition floß aus der Unlust Vieler, sich reformieren zu lassen; sie war auch persönlicher Widerwille gegen den Bischof und vor Allem gegen seinen Helfer Wimpfeling. Hier verbanden sich nationale Interessen mit kirchlichen. Wimpfeling verspottete die Schwaben und lästerte [89] die Schweizer; in seiner schulmeisterlichen Art erhob er sich gegen die Mönche und die sittenlosen Kleriker. Wer sich hiebei irgendwie getroffen fühlte, wurde sein Gegner. An seinen derben Streitschriften und an den Entgegnungen des Sambucellus, des apokryphen Franz Schätzer, des Predigerpriors Werner von Selden u. A. entzündete sich ein Hader, der über literarische Befehdung hinaus bis zur Handgreiflichkeit gehen konnte. Alles um die friedliche Gestalt Utenheims her, bei dem Wimpfeling immer wieder zu Besuche war, dem Dieser 1503 seine Schrift de concordia curatorum et medicantium widmete, in dessen Palaste zu Basel er das Büchlein über das schlechte Deutsch der Schwaben und die Vorrede zur großen Amerbachischen Bibelausgabe 1504 schrieb.
Aber uns beschäftigen andere Kämpfe. Wenn Christoph Statuten verfaßte und seinen Geistlichen aufs Gewissen band, so wirkte neben dem Streben nach Reform der Kirche ohne weiteres auch der Wille, die Privilegien des geistlichen Standes zur Geltung zu bringen und zugleich die alte bischöfliche Gewalt neu zu beleben. Stärkung dieser Gewalt erschien als das beste Mittel zur Besserung des kirchlichen Lebens überhaupt.
Auf dem Wege zu diesem Ziele stieß der Bischof notwendigerweise mit den weltlichen Herren zusammen.
Der Rat der Stadt hatte sich bei der Wahl Christophs, dann im Mai 1503 bei seinem Posseß durch Deputierte vertreten lassen. Er ehrte und beschenkte ihn bei seinem Einritt in Basel, bei seiner Consecration, dann Jahr um Jahr wenn er zu Ostern Pfingsten usw. im Münster celebrierte. Er ließ die Diözesanstatuten drucken, er lud den Bischof zur Fröhlichkeit des Fritschifestes. Aber abseits von Zeremonien und Höflichkeiten gab es harte Tatsachen, gab es formulierte Rechte, kraft deren jede der Parteien Ansprüche hatte, jeden Augenblick bereit, den alten Streit von Hochstift und Stadt wieder aufzunehmen.
Nach den kräftigen lauten herrischen Gestalten Venningens und Caspars erschien in Christoph eine Figur, die durch Manches an Arnold von Rotberg erinnerte. Aber wenn Milde Sittenreinheit Gelehrsamkeit Schönheit den Christoph auszeichneten und wenn er das gute Beispiel persönlichen Celebrierens am Altare bis ins hohe Alter gab, so waren das Tugenden des Mannes und des Priesters, nicht des Fürsten. Was eine solche Stellung forderte, zumal in dieser Zeit und zumal den energischen Herren des Capitels und dem Rate des eidgenössisch gewordenen Basel gegenüber, war bei Christoph kaum vorhanden. Er mochte in Einzelnem Geschäftsgewandtheit zeigen, zum Herrscher fehlte ihm die ruhige Festigkeit in sich selbst. Statt eines bestimmten [90] Entscheides gab er gute Worte. Hinhaltend und rasche Erledigung scheuend brachte er nichts zu Ende. Er mußte sich sagen lassen, daß in seiner Verwaltung keine Ordnung herrsche, keine straffe Aufsicht walte. Der Stiftschronist rühmte zwar seine Leutseligkeit, fand aber an dem kleingearteten Menschen, der Christoph war, auch die Mängel dieser Menschenart: Habsucht und Knickrigkeit. Andre urteilten, daß er sich zuviel mit den Wälschen seiner Cluniacenservisitation befasse und darüber den eigenen Clerus versäume.
Überhaupt sehen wir diesen von Natur friedsamen Herrn ringsum verstrickt in Übelwollen und Hader. Er hatte Streit mit dem Domkapitel, Streit mit seinem Kanzler, Streit mit dem Coadjutor. Nie und nirgends finden wir etwas Imponierendes an ihm. Nicht einmal am Tage seiner berühmten Synode; die Schüchternheit hielt ihn ab, selbst die große Allocution an den Klerus zu tun. In diesem Zusammenhang erscheint auch die Schlichtheit, die ihn niemals Seide am Gewände tragen ließ, wie ein Verstoß gegen die Würde seines Amtes.
In der Tat ruhte das, was Utenheim auszeichnete, auf Anderem. Seine Neigung zur Beschaulichkeit, sein gemütlicher Verkehr mit Pellican und mit den Klosterfrauen an den Steinen, sein Umgang mit Wimpfeling Erasmus Rhenan u. A., seine Freude an Kunstwerken sind Zeugnisse eines geistigen Lebens in ihm, das mit den Dingen kirchlichen und weltlichen Regierens wenig gemein hatte.
Der nunmehr diesem Christoph gegenübertretende städtische Rat ist ein anderer als der, welcher mit den Bischöfen Johann und Caspar gestritten hat. In seinem Bestand ist nicht mehr viel Vornehmheit; seiner Haltung, ja auch seiner Sprache im Kampfe mit dem Bischof fehlen die Würde, das Ergriffensein. Es fehlt auch jenes leise Vibrieren einer Kraft, die in ihrer stärksten Erhebung sich doch noch zwischen den beiden Möglichkeiten des Sieges und der Niederlage fühlt. Dieser wider Christoph fechtende Rat weiß deutlich, daß er gewonnenes Spiel hat. Seiner Macht bewußt, ohne große Worte, nüchtern und ruhig, entkleidet er den Bischof der letzten Rechte.
Wir sahen schon, wie seit der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts die Vertretung der Stände im Rate sich verschob. Der Edeln und Achtburger wurden immer weniger. Es war stets dasselbe: ein Wegbleiben und nicht wieder Ersetztwerden. Lauter stille Vorgänge. Aber ihre Wirkung auf das Ganze war erheblich, und hinter ihnen tobte der heftigste Kampf der Parteien. Dem Bischof, den Geschlechtern, der Vornehmheit überhaupt gegenüber erhoben sich die Gegner. Man stritt um die Macht im Staate, aber auch um die Formen ihrer Ausübung; man stritt und mühte sich Jahrzehnte hindurch [91] um Änderung der alten, hinter der Gewalt des Lebens weit zurückgebliebenen Statuten.
Solange die letzten Ritter ächter Art, Hartung von Andlau und Hans Imer von Gilgenberg, dem Rat angehörten, war eine der Handfeste gemäße Besetzung der Bürgermeisterstelle zur Not noch möglich. Aber nach dem Weggange der Beiden im Herbste 1499 entstanden Schwierigkeiten. Bischof und Rat halfen sich in den Jahren 1500 und 1501 durch Wahl der Achtburger Ludwig Kilchman und Peter Offenburg zu Statthaltern des Bürgermeistertums. Aber als 1502 Peter Offenburg, der inzwischen Ritter geworden war, vom Rat als wirklicher Bürgermeister „dargetan“ wurde, erhob Bischof Caspar Einsprache. Er versagte der Ritterschaft Offenburgs seine Anerkennung und verlangte, daß der Rat „seinen vermeinten burgermeister“ ruhen lasse.
Wenige Monate nach diesem letzten Proteste, am 8. November 1502, starb Caspar, und sofort ergriff der Rat die Gelegenheit, um dem bisherigen Verfahren Halt zu gebieten. Noch ehe der neue Bischof gewählt war, beschloß er, die jetzt übliche Handfeste nicht mehr zu beschwören, da ihre Worte und deren Anwendung einander nicht entsprächen und auch sonst allerlei Mängel bestünden. Die Meinung dabei war, es seien in einer revidierten Handfeste die Namen der alten Bischöfe wegzulassen; statt der Kieser der Rat selbst als Wähler des Bürgermeisters zu nennen und dem Rate das Recht zu geben, daß er bei Mangel an Rittern und Achtburgern auch Zünftige zu Kiesern machen könne; die Steuern und das Gewerfe an den Bischof nicht mehr zu erwähnen; von Seite der Stadt die Eidgenossen vorzubehalten. Mit diesen Forderungen traf der Rat nicht nur den Bischof sondern noch mehr die Hohe Stube. Die Verhandlungen, die sogleich nach der Wahl Christophs begannen, waren daher nach diesen beiden Seiten hin zu führen. In zahllosen Konferenzen Mitteilungen Erklärungen zogen sie sich über Jahre hin, und dreimal — 1503 1504 1505 — mußte jeweilen bei der Ratserneuerung der Verlauf dieses Aktes, ja der öffentliche Rechtszustand überhaupt, durch notarialische Protestationen mit Vorbehalten gesichert werden. Zuletzt einigten sich die Parteien auf das Gutfinden des Großen Rates, und vor diesem kam die Sache am 26. Mai 1505 zur Behandlung. Auch der Bischof erschien mit allen seinen Räten im Sale und ließ durch den Dompropst eine lange Rede halten. Die Sechser entschieden natürlich im Sinne des Rates; das Einzige, was der Bischof erlangte, war ein Aufschub. Den Herbst und Winter hindurch wurde noch über Einzelnes verhandelt; endlich am 8. Mai 1506 gab Bischof Christoph die Handfeste.
[92] Es ist eine neu redigierte Urkunde; aber sie enthält zahlreiche Bestimmungen des bisherigen Handfesterechtes, meist in den alten Ausdrücken. Sachlich neu in ihr sind die Bestimmungen, daß Kieser aus den Zünften genommen werden können, wenn Ritter und Burger dafür nicht ausreichen, und daß die Stadt die Eidgenossen vorbehält. Die formell neue Bestimmung, die dem Bischof, nicht den Kiesern, die Wahl des Bürgermeisters auf Grund der durch den Rat geschehenen Vorwahl gibt, entspricht der bisherigen Übung. Vom Oberstzunftmeister und seiner Wahl durch den Bischof sagt auch diese neue Handfeste kein Wort. Das Ganze war ein Kompromiß, bei welchem der städtische Gewinn dem Rate groß genug schien, um die erste gemäß dieser Handfeste geschehende Ratserneuerung im Juni 1506 durch eine besondre Feier auszuzeichnen; er veranstaltete an diesem Tag ein kriegerisches Jugendfest.
Aber dieser Streit um die Handfeste war nichts Isoliertes. Seit den Anfängen des neuen Basel, seit dem Siege der Oppositionspartei in den 1490er Jahren, gab der große Gedanke einer Revision der ganzen Gesetzgebung den Behörden zu tun. Für diese Revisionsarbeit bestand die Spezialkommission der Neuner; seit 1497, durch allen Wechsel der Ratsbesatzung und durch die Jahrzehnte hindurch, ließ sie dieses Tractandum nicht aus der Hand. Es war die Zeit notwendiger Auseinandersetzung des modernen Denkens mit dem überkommenen auch im Bereiche der öffentlichen Zustände, die Zeit der Ablösung alter Formen durch neue.
Einzelne Wirkungen des umfassenden Vorganges sind uns schon bekannt geworden in den Debatten über die Besetzung der Domkanonikate, die Privilegien des Klerus, die Regierungsvorrechte der Patrizier, die Stellung der Hofsverwandten in der Einwohnerschaft. Ein einzelner Vorfall ist z. B. der Streit der Weinleutenzunft mit dem Bischof über die von ihm prätendierte Ungeldfreiheit seines Weinausschankes 1510. Im gleichen Jahre muß der Bischof dem Rate das Lehen der Sisgauer Landgrafschaft geben; kurz darauf hat er sich in Rom gegen Prätensionen des Rates zu wehren; er versucht ihm durch Verweigerung des Lehens Bettingen seine Macht zu zeigen; er erhebt sich gegen Mißachtung seiner Hoheitsrechte in Riehen.
Wie bei dem Allem der Bischof meist „um des Friedens willen“ nachgeben muß oder in wirkungslosen Beschwerden sich erregt und erschöpft, so ist es überhaupt die Periode allmählichen Erschlaffens bischöflicher Macht und Herrlichkeit. Welch schwache Stütze diese Herrschaft an Christoph hat, liegt klar vor Augen. Sein Domkapitel darf ihm die bittern Vorwürfe [93] machen, daß er die bei seiner Wahl gemachten Versprechungen nicht halte, daß in der Kanzlei und der Finanzverwaltung keine Ordnung sei, daß die Priesterschaft nicht genügend visitiert, überhaupt das Bistum verwahrlost und versäumt werde. Dabei ist bezeichnend, wie Christoph in der Zeit des Handfestehandels einen Bund und Schirmrechtsvertrag mit den Vierwaldstätten abzuschließen sucht. Im Jahre 1513 aber haben Basel und mit ihm die Eidgenossen darüber zu klagen, daß in der Novaraschlacht mehr als hundert Knechte aus den bischöflichen Ämtern Pruntrut Delsberg usw. auf französischer Seite gewesen seien und die Unsern „helfen ermürden und erstechen." Damals auch bemüht sich Basel vergeblich um sein Recht wider den Pfaffen von Spechbach, der die nach Dijon durchziehenden Eidgenossen geschmäht hat; die Gesandten des Rates werden vom Bischof mit „guten und glatten Worten“ abgefertigt, vom Einen zum andern seiner Räte gewiesen und „also vexiert“.
Auf die verschiedenste Weise sucht die bischöfliche Regierung ihrer Erbfeindin, der frei und stark gewordenen Stadt, wehe zu tun. Sie täuscht damit Niemanden über den Niedergang ihres Wesens in Basel. Aber ergreifend ist, wie sie gerade jetzt, in diesen späten dunkeln Zeiten, ihr Diplomatar und ihr Ceremoniale zusammen stellt; wehmütig läßt der Autor dieser Werke, der auch der Hochstiftschronist ist, Hieronymus Brilinger, den ehrwürdigen Reichtum noch einmal vereinigt funkeln.
Nun ist auch der Moment gekommen, da der Handfestestreit sein wirkliches Ende finden und der Stadt Dasjenige zufallen wird, was die Prinzipiellen und Klaren schon 1503 erstrebt hatten: die Trennung der beiden Welten, die völlige Lösung des Ratsrechtes aus dem Bischofsrechte.
Tatsächlicher Herr des Hochstiftes ist jetzt der Coadjutor Niclaus von Diesbach.
Wir lernen ihn, den Erstgebornen des Berner Schultheißen Ludwig von Diesbach, zuerst in Rom kennen, als Commensalen des mächtigen Kardinals Ascanio Sforza, Vizekanzlers unter Papst Alexander VI. Dort verschafft er sich eine Provision um die andre: 1498 auf den Priorat in Val de Travers, 1499 auf die Propstei von St. Peter in Basel und auf eine Chorherrei bei St. Peter in Solothurn, 1501 auf die Pfarreien Chateau d'Oex und Utzenstorf. Er wird auch Prior zu Grandson und zu Vaucluse, Propst von Solothurn. 1510 hat er Aussichten auf den Lausanner Bischofsstuhl. In Siena wird er 1509 zum Doctor promoviert, in Rom erlangt er die Würden eines päpstlichen Kämmerers und Protonotars. Dann erst [94] wird er auch in Basel sichtbar, seit 1514 als Domherr, seit 1516 als Domdekan.
Fremdartig steht diese halbwälsche Gestalt zwischen den Andlau Hallwil Gundelsheim Mörsberg usw. des Kapitels, als ein Andrer vollends neben Utenheim. Diesbach ist einer jener großen Prälaten, die damals auch anderwärts uns begegnen, an der Seite eines schwächlichen Bischofs und statt seiner für die Kirche und ihre Macht kämpfend. Ein energischer Mensch, den keine Sorgen der Kirchenreform plagen, der aber nach Macht Glanz und Genuß strebt und den Willen hat, auch diese Basler Bischofsherrschaft wieder herzustellen.
Am 28. Mai 1519 ernennt der mehr als siebenzigjährige Utenheim den Domdekan Diesbach zu seinem Coadjutor, mit Einwilligung des Kapitels. Auch wird Diesbach schon als Nachfolger Utenheims im Bischofsamte designiert und erhält hiezu am 8. August 1519, gegen Erlegung großer Sporteln, die Stimme Papst Leos X.
Niclaus von Diesbach ist nun „der neue Herr“, „der neue Bischof“, und als solcher tritt er in diesen gewaltigen Jahren den Mächten entgegen, die von allen Seiten her, im Gebiete der Herrschaft und in dem der Lehre, seine Kirche bedrohen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Christoh