Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band/9. Die großen Jahrzehnte/1. Politik
Geschichte der Stadt Basel. Dritter Band/9. Die großen Jahrzehnte von Rudolf Wackernagel |
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Der Abschluß des Bundes zwischen Basel und der schweizerischen Eidgenossenschaft im Jahre 1501 war ein Stoß, der die politische Entwicklung der Stadt aufhielt und einer neuen Bahn zulenkte.
Basel opferte eine halbtausendjährige Vergangenheit. Es warf von sich, was lebendige und verpflichtende Teilnahme am Dasein des deutschen Reiches war. Es gab seine bisherige Stellung am Oberrheine preis und wollte von jetzt an für diese Lande nur noch ein eidgenössisches Basel sein.
Schon in früheren Zeiten hatte sich die Stadt wiederholt — 1400 1441 1474 — mit den Eidgenossen verbündet. Wie damals so geschah dies auch jetzt aus dem Bedürfnisse von Anlehnung und Sicherung in schwerer Zeit. Aber enger bindend als jene alten Vereinungen, unbefristet, das gesamte öffentliche Recht und Leben ergreifend war jetzt der Bund.
Er brachte der Stadt eine Fülle neuer Interessen. Wie er das Gebiet der Eidgenossenschaft über die natürliche Grenze hinaus vorschob und ihr jenseits des Gebirges einen Stromübergang eminenter Art verschaffte, so gab er Basel eine neue Orientierung. Der Kamm des Jura schied Oberland und Rheinland; zum letztern hatte Basel gehört; von diesem Gebote seiner natürlichen Lage wurde es jetzt gelöst.
Basel gewann das Neue um einen hohen Preis. Es hatte sich in Fesseln zu fügen. Es verzichtete auf die Freiheit selbständiger Kriegführung und Verbündung. Nicht nur die alte Stellung am Oberrheine nahm ein Ende. Auch den großen Mächten gegenüber war es für die Stadt um die bisherige Art ihrer Existenz und die Möglichkeit freier internationaler Funktion geschehen.
Welche Schule der Staatskunst war die Zeit von 1370 bis 1500 gewesen! Aufgaben solcher Art sollten den Baslern von da an nicht mehr [4] gestellt werden. Sie hatten mit dem Bunde zu leben. Und während robustere Genossen ihr Wesen auch in diesem Connexe noch zur Geltung zu bringen vermochten, blieb dem feiner und schwächer gearteten Basel hier eine entscheidende Autorität versagt.
Die Geschichte unserer Stadt folgt fortan derjenigen des Bundes über Höhen und Tiefen. Wie die städtische Existenz, so ist das Leben jedes Einzelnen durch das Dasein der Eidgenossenschaft mit berührt. Der Bund bindet und verpflichtet Jeden, der in Basel wohnt. Er wird Volk und Behörden periodisch dargestellt, neu erwahrt und bekräftigt als ein auf das ganze Leben wirkendes Recht.
Nach dem Bundesbriefe sollte er von fünf zu fünf Jahren durch Beschwörung erneuert werden, und zwar, da Basel vollberechtigtes Ort war, durch gegenseitige Beschwörung. Sie war gegenseitig und umfassend in der Weise, daß zur gleichen Zeit hier in Basel und in den andern Orten der Basler Bund und die Bünde der andern Orte von allem Volke beschworen wurden. Zu dieser Staatsaktion ritten die Basler Gesandten jeder an den ihm zugeteilten Ort der Eidgenossenschaft, um die Eide zu leisten und abzunehmen, während die Gesandten der Orte nach Basel kamen und hier dasselbe taten. Wieder wie am Heinrichstage des Jahres 1501 war jeweilen Gottesdienst, feierliche Eidesleistung auf dem Markte, solennes Bankettieren. Am 11. Juli 1507, am 28. Juni 1514, am 4. Juli 1520, am 29. Juli und 30. September 1526 fanden diese Bundeserneuerungen hier statt.
Fröhliche Gegenstücke dieser ernsten Schwörtage waren die eidgenössischen Fastnachten und Besuche. Keine freizufälligen Veranstaltungen, vielmehr meist im Zusammenhange mit politischen Beziehungen stehend oder dazu bestimmt, in Zeiten gemeinsamer Bedrängnis den Trost gemeinsamer Freude zu bieten. Basel empfing solche Besuche 1504 und 1521, jeweilen zur Fastnachtzeit, im Januar. Das erste Mal scheint es sich nur um eine Gruppe junger Zürcher gehandelt zu haben; das Eigenartige dabei war die Kostümierung dieser Herren in den „Zeichen und Farben“ der zwölf Orte. Was demgegenüber den Fastnachtbesuch von 1521 auszeichnet, war die Überschwänglichkeit in Umfang und Aufwendung. Aber auch die große Lustfahrt der Basler nach Uri zu Schützenfest und Kirchweih im September 1517 gehört in diese Reihe. Und ebenso das in Parodie des feierlichen Staatsgeschäftes gespielte Fritschifest im Herbste 1508. Einige übermütige Basler hatten den Luzernern „ihren ältesten Burger“ Fritschi, eine Fastnachtpuppe [5] heimlich entführt; jetzt stellte das Fest die gewaltsame Befreiung und Heimholung des Fritschi durch Luzern dar, wobei Basel verhieß, sich dieses Angriffs mit gefüllten Trinkkannen erwehren zu wollen. Vom 16. bis 20. September dauerte die Lustbarkeit, unter Teilnahme des gesamten offiziellen Basel. In den Stuben zum Brunnen, zu Safran und zu Schmieden wurden die Gäste durch die Stadt bewirtet; Tanz und Spiel und Büchsenschießen füllten die Zeit zwischen den Banketten.
An diesen Freudenfesten vereinigten sich Humor und Kraft von allen Seiten her; sie konnten auch Ideen zu ernsterem gemeinsamen Handeln geben. Aber sie waren nur rasche seltene Zwischenspiele. Ergreifender ist, wie in den Sälen der Tagsatzung und auf blutigen Schlachtfeldern die Zusammengehörigkeit Basels und der Eidgenossen sich erwies. Sie lebte auch im allsonntäglichen Basler Kirchengebete, da neben der „werten Stadt Basel", neben Häuptern und Räten noch „des ganzen Vereins der Eidgenossenschaft" fürbittend gedacht wurde.
Es war eine Zusammengehörigkeit, bei der doch jeder der verbundenen Teile sein Recht und seine Sonderart behielt.
Dem Verhältnisse Basels zu den Eidgenossen war in der frühem Zeit stets ein Gefühl von Antipathie zu Grunde gelegen. Daß der Bund gleichwohl zustande kam, war das Werk äußerer Notwendigkeiten.
Mit Luzern war Basel in besonderer Weise verbunden. An den großen Verkehr des caminus Basle, der von hier über Luzern, den See und das Kerngebirge nach Süden führte, schlossen sich seit Alters rechtliche Beziehungen sowie zahlreiche nicht nur politische Neigungen und Absichten der beiden Städte. Den Ländern dagegen mußte Basel mit seinem Reichtum und seiner Weltbildung etwas Fremdartiges sein. Zürich und Bern standen, bei aller ihrer Bedeutung, doch als Landstädte zurück hinter diesem Basel auf der Höhe seiner Kultur. Für Solothurn galt die Tradition, eifersüchtiger Nachbar der Rheinstadt zu sein.
Basel war im Kreise der Eidgenossen eine singuläre Gestalt. Die „fürstliche" Stadt, wie der Luzerner Etterlin sie nannte. Auch die größte Stadt des Bundes. Aber mehr noch als die Zahl seiner Einwohner bedeutete deren nie und nimmer zu übersehende Mannigfaltigkeit und Internationalität, der Glanz der Scharen von Gelehrten Künstlern Druckern, das zu erstaunlicher Fülle entwickelte Kirchenwesen. Aus diesen Kreisen kamen die Kräfte, die Basels Leben in den höchsten Dingen bestimmten und lenkten. Zu ihnen trat die Macht des weitgespannten und kenntnisreichen [6] Handels. Trat ferner die Macht aufgesammelter Kapitalien, die schon seit Generationen Basel zum Bank- und Geldplatze für die eidgenössischen Lande machte.
Dabei waren und blieben die Basler Rheinländer. Noch immer war der Jura die von der Natur gesetzte Grenzmark. Noch immer hatte Basel im Gebiete des Oberrheins die Wurzeln seines Wesens und auch seine Gefolgschaft. Inmitten dieses Gebietes, das so sehr verschieden war vom eidgenössischen Berglande, behauptete Basel noch immer den Rang der Zentrale, neben der das breisgauische Freiburg nur als „ein klein Stettly“ galt.
In solcher Weise Stadt der „niedern Lande“ war Basel doch zugleich oberländisches Bollwerk. Als starke Vertreterin eidgenössischen Wesens hatte es jetzt seine besondere Aufgabe am Oberrheine. Wiederholt, wenn es in diesen Gebieten unruhig wurde, erhielt der Rat den Auftrag der Tagsatzung, Wächter zu sein und bei drohender Gefahr Nachricht zu geben. In Basel befand sich die Niederlage lothringischen Salzes für die Schweiz, hier der Zugang zum eidgenössischen Brotkasten und Weinkeller im Elsaß.
Daß Basel gemäß seinem Bundesbriefe bei Streitigkeiten zwischen Orten neutral bleiben und zum Frieden reden sollte, war keine Singularität, aber dem Wesen Basels angepaßt. Dieses Wesen — mäßigend erwägend sorglich — tritt auch im eidgenössischen Leben zu Tage, wenn immer und immer wieder die Basler Gesandten als die tauglichsten Vermittler gebraucht werden oder wenn an der Tagsatzung Basel bei jeder Gelegenheit dafür wirkt, daß nicht rauh, sondern milde geredet und gehandelt werde.
In allem offenbarte sich eine Manier und Anschauung und überhaupt eine Menschenart, die Basel davon abhielt, in der Eidgenossenschaft eine Führung zu haben. Bei Tagsatzungsgeschäften, die Basel nicht unmittelbar berührten, enthielten sich seine Boten instruktionsgemäß meist eines Votums oder stimmten mit der Mehrheit. Auffallend ist auch, wie selten Basler Angelegenheiten vor die Tagsatzung gebracht werden. Daß die wenigsten eidgenössischen Tage in Basel stattfanden, ist begreiflich; aber ebenso begreiflich die Wirkung dieses Fernbleibens auf die Gesinnung der Stadt. Wenn Basel — bei aller Beflissenheit zur Erfüllung seiner Bundespflichten — sich im Gemeinsamen zurückhielt, so wahrte es um so eifriger seine Rechte und Interessen. Bei der österreichischen Erbeinung z. B. und beim Rotweiler Bunde machte es mit Bestimmtheit seine Reservationen. Es verbat sich auch bei Gelegenheit jede Einmischung in seine eigenen Angelegenheiten. Auch daß Basel bei seinem Eintritt in den Bund ein ganz anderes Leben [7] hinter sich hatte und auf andern Traditionen ruhte, als die Eidgenossen, war von Bedeutung. Und wenn ihm bei diesem Eintritte nicht dieselbe Souverainität und Bewegungsfreiheit zugestanden wurde, deren sich die alten Orte freuten, so sorgte auch dieser Unterschied dafür, daß das Gefühl einer nicht nur räumlichen Distanz nie verging. Die Instruktionen des Rates an seine Gesandten enthüllen die Bitterkeit dieses Gefühls. Das Mißtrauen bricht oft überraschend hervor. Denn in engern Zirkeln der Tagsatzungsgewaltigen gehen allerhand Heimlichkeiten; im stillen wird abgeredet und zurechtgemacht; der Gesandte soll daher gut aufhorchen und sich bei Wohlwollenden informieren, um durch die Beschlußfassung nicht überrascht zu werden.
Eine Empfindung des Beiseitegeschobenseins kann sich bilden, die gelegentlich zur Explosion kommt. Wie 1519 dem Stande Basel eidgenössischerseits die Aufnahme des Grafen von Fürstenberg ins Bürgerrecht zum Vorwurfe gemacht wird, erwidert der Rat: die Stadt Basel habe nach ihren alten Freiheiten von jeher das Recht gehabt, Bürger aufzunehmen, und im Bunde sei ihr zugesagt worden, daß sie bei ihrem Ehrenwesen Regiment und Freiheiten bleiben möge; sollten sie davon gedrängt und an ihren Freiheiten verletzt werden, so müßten sie denken, daß sie vordem Herren und Freie gewesen, nun aber in der Eidgenossenschaft zu Knechten und eigenen Leuten geworden seien.
Der Basler Bund von 1501, Beginn einer neuen Zeit für die Stadt, ist umgeben durch eine allgemeine Erneuerung. Staatliche Vorgänge und Machtverschiebungen von einziger Wichtigkeit geschehen inmitten der heftigsten geistigen und gesellschaftlichen Bewegungen, gleichzeitig mit der Erschließung neuer Welten jenseits der Meere. Was die ungeheure Bedeutung dieser in wenige Jahrzehnte sich zusammendrängenden Ereignisse ist und als Wirkung auf politische Zustände, auf Geister und Gedanken, auf Verkehr Arbeit und Lebensform die Epoche füllt, trifft auch das nun eidgenössisch werdende Basel.
Dieses Basel kann sich in einem denkwürdig gehobenen Zustande fühlen. Seine voreidgenössische Zeit steht als eine mächtige Vergangenheit vor ihm. Die letzten großen Erlebnisse haben das Gemeinwesen gereift und gefestigt; es weiß sich von neuen geistigen Mächten belebt, von einem neuen Regierungsgefühle getragen.
Mit erfrischten und gesammelten Kräften steht die Stadt zur Übernahme neuer Aufgaben bereit.
[8] Die Impulse aber gibt jetzt die Eidgenossenschaft. Basel ist ihr Glied, und aus dem unruhigen Leben ihres großen und vielgestaltigen Körpers strömt eine Wucht und eine Fülle, die auch das starke städtische Wesen am Oberrheine mit sich reißt.
Zunächst handelte es sich um Frankreich, das in dieser Zeit seine Bedeutung einer Schicksalsmacht für die Schweiz begründete und dabei auch Basel nahe trat. Im Leben des Oberrheins hatten wälsche Influenz und wälsche Gefahr seit Jahrhunderten eine Rolle gespielt. Anders als das offene Land, in besonderer Weise, empfand Basel die Wirkungen dieser Nachbarschaft. Allen Reizen und Kräften der gallischen Kultur sich öffnend und an ihr sich bildend, hielt es dem Reich und der deutschen Nation die Treue. Bis in die letzten Zeiten der Niedern Vereinigung. Basels Mannschaften so gut wie diejenigen Österreichs und der Elsässer Städte lagen bei drohender Gefahr an der Landwehr bei Mümpelgart. Auch die klingenden Angebote König Ludwigs wies es von sich, zu einer Zeit, da die Geldtransporte jährlich von Lyon her in die eidgenössischen Orte gingen.
Nun aber, nach dem Bunde, suchte Basel das Verhältnis zu Frankreich, in dessen Genuß es seine Eidgenossen fand, auch für sich zu nützen.
Vor allem seine Kaufleute kamen in Betracht. Schon im August 1501, dann wieder im Juli 1502, trat Basel an der Tagsatzung dafür ein, daß seinen „werbenden Leuten“ dieselben Zollbegünstigungen in Lyon und in dem seit 1500 wieder durch Frankreich beherrschten Mailand erwirkt werden möchten, die den übrigen Händlern aus der Eidgenossenschaft gewährt seien. Sodann zeigten sich die französischen Pensionsgelder in verführerischer Nähe. Basel hatte nichts zu fordern; aber der Rat sondierte, ob nicht auch ihm etwas zufallen könnte.
Gerade Frankreich galt die Bewegung, die Basel im Sommer 1501 beim Eintreten in die Reihen der Eidgenossen hier vorfand. Das seit einem Jahrhundert, seit der Besetzung der Leventina 1403, alle Politik der Urkantone beherrschende Verlangen nach Süden hatte zu einem neuen stürmischen Unternehmen getrieben. Die Grafschaft Bellinzona war seit dem April 1500 in der Gewalt der Drei Länder; jetzt stießen Knechte, die von Frankreich rückständigen Kriegssold zu fordern hatten, plündernd bis an die Seen vor. Neben territorialen Tendenzen handelte es sich um Forderungen des Verkehres; um Forderungen also, die in hohem Maße auch für das handeltreibende und unausgesetzt über den Gotthard mit Mailand und Venedig verkehrende Basel galten.
[9] Über Bellinzona, einen mailändischen Handelsvertrag und die Ausrichtung französischer Pensionen auch an die jüngsten Bundesglieder Basel und Schaffhausen sollte nun mit Frankreich verhandelt werden; bei der großen eidgenössischen Gesandtschaft, die deswegen im August 1502 zu König Ludwig nach Asti ritt, war Basel durch seinen Bürgermeister Peter Offenburg vertreten. Die Pensionensache wünschte Ludwig noch auszustellen; das Begehren, Bellenz definitiv und förmlich an die Drei Länder abzutreten, wies er von sich.
Von da an drängt die Bellenzer Sache alles andere in den Hintergrund. Auch die französische Ambassade, die in die Schweiz kam und Ende Novembers 1502 ihre Aufwartung in Basel machte, hatte keine Wirkung. Die Drei Länder blieben bei ihrem Willen und verlangten Hilfe. Noch suchte Basel zum Frieden zu reden. Aber am 8. März erhielt es die förmliche Mahnung. Tags darauf beschloß der Rat den Heerzug.
Akten und Rechnungen zeigen uns die Sorgfalt, mit der Basel rüstete. Es wollte Ehre einlegen bei diesem Unternehmen, das, wie die städtischen Chronisten zu betonen nicht unterlassen, der erste Kriegszug des eidgenössischen Basel war.
Schon Ende Februars waren die Drei Länder über den Berg gezogen; so rasch als möglich rückte Basel ihnen nach. Vor den andern Orten, am 27. März, traf seine Mannschaft bei den Bannern der Urkantone vor Locarno ein. Sie war am 14. März von Basel abmarschiert, sechshundertneunundsiebenzig Mann stark, unter dem Befehle des Peter Offenburg. Gleich andern Tags nach der Ankunft kamen diese Basler ins Gefecht; mit den Ländern zusammen eroberten sie eine gemauerte Landwehr am See.
Während das Schloß Locarno belagert wurde, zog ein Teil des Heeres weiter nach Süden, bis Arona und Varese. Bei Intra lagerten die Basler. „Haben wir das Schloß Locarno, so werden wir das ganze Land ohne Schwertstreich einnehmen", schrieben sie dem Rate.
Aber es kam nicht dazu. König Ludwig gab nach. Am 11. April überließ er Bellinzona den Drei Ländern. Gleichen Tags begann der Rückmarsch der Eidgenossen.
Das Osterfest am 16. April feierten die Basler in Altdorf, am 21. zogen sie zu Haus ein. Ihr Begehren, um der Ehre des Einzugs willen einige Ächter mit hineinbringen zu dürfen, — welchem Begehren der Rat willfahrte — zeigt das Hochgefühl dieses ersten kriegerischen Zuges über den Gotthardberg ins Wälschland.
[10] Seit dem Abschlusse des Bundes war die Haltung, die Basel offiziell einnahm, fertig und keiner Mißdeutung unterworfen. Hinter Basel stand die ihm verbündete Macht der Eidgenossenschaft. Angesichts ihrer hatte sich auch die Regierung der Vorlande in die neue Situation zu finden.
Wir hören dieses Ensisheimer Regiment wiederholt seinen Willen betonen, gut und nachbarlich mit Basel zu leben. Solchen Erklärungen entspricht auch meist das tatsächliche Verhalten. In den amtlichen Beziehungen waltet Friede. Da die Mißernte des Jahres 1502 zu einem Verbote der Kornausfuhr aus dem Elsaß zwingt, entsteht hieraus kein Streit; die Vorstellungen des Basler Rates, das Zureden des Bischofs von Straßburg und der Eidgenossen führen zur Wiederaufhebung des Verbotes. So wird auch aus andern Vorfällen, z. B. der Heranziehung der Baselleute in Hüningen zur österreichischen Steuer, kein ernstlicher Zwist. 1507 verständigt sich Basel mit den Herren im Sundgau wegen des Rechts der „Besetzung“ ihrer in Basel ansässigen Eigenleute; 1508 stellt es mit großen Kosten den Neuen Weg wieder her. Beiderseits ist das Bedürfnis, sich in Ruhe zu lassen und die Kräfte für andere Aufgaben zu sparen; beiderseits der Wille, sich an die vor einem halben Jahrhundert gefundene Einigung zu halten. Das ist die Richtung von 1449; das sind „die hochversprochenen Briefe und Siegel, die zu Fried und Begangenschaft des Landes und der Stadt, auch aus Art und Eigenschaft der Natur und Rechte geflossen vor Augen sind. Wie großen Wert Basel auf diese „mit Blutvergießen Mühe und Arbeit“ errungene Richtung legt, zeigt es im Jahre 1511, da es beim Abschluß der eidgenössischen Erbeinigung mit Kaiser Maximilian jenen alten Separatvertrag mit Österreich aufs bestimmteste vorbehält.
Aber von dieser Politik der Regierung ist verschieden die Haltung der Untertanen und des oberrheinischen Volkes überhaupt. Hier beim gemeinen Manne wie beim subalternen Beamten hemmt keine politische Vernunft und auch kein Gefühl der Verantwortlichkeit das Ausbrechen von Empfindung. Hier haben und üben ihr Recht der tägliche Verkehr, die persönliche Berührung, die seit Jahrhunderten herrschende Gewohnheit und Anschauung. Wiederum tritt uns mit aller Gewalt entgegen, welch unvergleichliche Stellung Basel in diesem Gebiete hat. Was als bestimmte oberrheinische Qualität Basels den Erwerb dieser Stadt für die Eidgenossen wertvoll macht, gilt nicht minder im Lande selbst, und sein Eidgenössischwerden wird hier empfunden als Schmerz und Schmach.
[11] Mit einer Offenheit, die wir nicht missen möchten, reden die Leidenschaften. Es ist der durch alle Lande des Oberrheins verbreitete Zorn, daß dieses berühmte Basel, das ja zum Elsaß gehört, abtrünnig geworden ist und in ihm nun der gehaßte siegreiche Eidgenosse Fuß am Rheine faßt.
Der altgewohnte nachbarliche Hader wächst zu neuer Erregtheit, die im Sundgau und im Breisgau, auf der Landstraße und in jeder Schenke sich gewaltsam äußert.
Ein Basler Gerichtsbote wird unweit Breisach niedergeschlagen, ein Basler Schiffmann daselbst bedroht und zu rascher Flucht genötigt. An der Ötlinger Kirchweih und beim Neuen Hause geraten Basler und Markgräfler hinter einander. Hans von Thann und seine Genossen sind verdächtig, in Basel Feuer einlegen zu wollen, und die Heimlicher erhallen Befehl, auf diese Bande zu fahnden; sie sollen auch die Blotzheimer beibringen, die Trotz- und Schmähreden wider Basel führen. In solcher Weise geht es weiter, unaufhaltbar schonungslos giftig, bis zum Vorwurfe, daß das schmutzige Laster, dessen man die Schweizer bezichtigt, nun auch das Laster der Basler geworden sei. Ihre Büchsenschützen bekommen diesen Vorwurf auch am Schießen in Straßburg 1503 zu hören. So gut die Leiter des Festes die Basler Gäste aufnehmen, das Volk begegnet ihnen feindselig; dem Hans Kilchman rufen sie nach, daß die Ketten über seiner Brust von dem Golde gemacht seien, darum er den Mailänder Herzog bei Novara habe verkaufen und verraten helfen.
Separat in diesem ganzen Treiben steht Rheinfelden. Diese kleine Landstadt mit ihrem Neid auf die unerreichbar große Nachbarin ist wie früher so auch jetzt wieder der Sitz eines ganz speziellen Hasses. Wobei die Befeindung Basels über das sonst übliche populäre Unwesen des Schmähens und Schädigens hinaus zum offiziellen Handeln wird. Schultheiß und Rat der Stadt, der Vogt Michel Reutner, der Hauptmann der Waldstädte Ulrich von Habsberg führen ihren eigenen Krieg wider Basel. Natürlich kann es kein offener und ehrlicher Krieg sein; aber in Quälereien und Schikanen ohne Ende ergeht sich diese Feindschaft. In Besteuerung der in der Herrschaft gesessenen Leute Basels, in Demolierung des Grenzhags, Aufstellung eines Hochgerichts auf Basler Boden, Hinderung Basels am Betriebe seines Steinbruches, Usurpation von Rechten über das Wirtshaus an der Augster Brücke usw. usw. Aber über alles Derartige hinweg kann es kommen bis zum Schein einer eigentlichen Bedrohung Basels; im März 1503 z. B., da bei einer Musterung der Rheinfelder auf dem Möhlinfelde schlimme Reden über Basel geführt werden. Wochenlang hat Basel [12] dieser Rheinfelder Dinge wegen die Tagwächter auf den Toren, die Zuwachten u. dgl. m. Alles dies waren doch nur Nichtigkeiten neben jenem verruchten Handel von 1502, da Habsberg und sein Vogt Rümelin zu erweisen unternahmen, daß Basel Leute für eine Brandstiftung in Rheinfelden gedungen habe; sie taten es in scham- und gefühllos mißbrauchten Formen des Rechtes, mit Folterung und Hinrichtung der armen Angeschuldigten, durchaus nach dem Muster jener scheußlichen Hinmordung zweier Söldner, die 1453 in demselben Rheinfelden und zur Schmach desselben Basel verübt worden war. Dieser Freveltat gegenüber bedauerte später der Chronist, daß sich die Basler nicht „als neue Eidgenossen mit gewaltiger Hand“ wider Rheinfelden erhoben hätten. Sie ließen sich statt dessen zu einer Verständigung herbei.
Auch im Übrigen sehen wir diesen oberrheinischen Eifer sich allmählig beruhigen. Die königlichen Räte von der einen, die Tagsatzung von der andern Seite wirkten für Frieden. Es kam zu wiederholten Schiedssprüchen, zuletzt am 23. April 1507 zur ausdrücklichen und abschließlichen Tilgung aller in „Schmachworten Schriften Tratzungen u. dgl.“ geschaffenen Unbill sowie zur Ordnung guter Zustände für die künftige Zeit. Durch Ruf in den Basler Marktplatz und durch gedruckte Mandate wurde der Friede der Stadt und dem ganzen Lande feierlich kundgetan.
Inmitten dieses Sundgauer Tumultes gab es nur einen Ort, wo Ruhe herrschte und die Lage Basels verstanden wurde: Mülhausen. Das Zusammengehen mit dieser Stadt war für Basel von hohem Werte. Auch als abseits stehender Eidgenosse fand Basel in der Verbindung mit dieser zweiten oberrheinischen Reichsstadt einen erwünschten Halt.
Zwischen Basel und Mülhausen bestanden alte Beziehungen, die mehr bedeuteten als nur Nachbarschaft. Seit sie im Jahre 1246 gemeinsam das Schloß Landser bezwungen, hatten sie sich oft bei den großen Landfriedensbünden, später in der zweiten Niedern Vereinigung zusammengefunden. Aber nebenan die dritte Macht war Österreich, das bald mit Drohungen bald mit Freundschaftswerbungen sich immer näher an Mülhausen heranmachte. Der Zustand wurde unerträglich; er ließ den Mülhausern nur die Wahl zwischen Unterwerfung unter Österreich und dem engern Anschluß an das inzwischen eidgenössisch gewordene Basel.
Am 5. Juni 1506 kam der Bund zwischen Basel und Mülhausen zustande, abgeschlossen auf die Dauer von zwanzig Jahren und im wesentlichen festsetzend, daß die Verbündeten sich gegenseitig in Kriegsnöten Hilfe [13] leisten sollen, Mülhausen aber ohne den Willen Basels weder einen Krieg anfangen noch ein Bündnis schließen könne.
Von da an sehen wir die beiden Städte als engverbundene Gruppe. Sie stehen in beständigem Verkehre; Mülhausen ist die Tochterstadt, Basel die starke Beschirmerin und Beraterin. Nicht nur bei den großen Fragen des Verhältnisses zum Reich usw., sondern auch bei zahlreichen kleinen Einzelheiten der Verwaltung.
Namentlich ist Basel die Mittlerin zwischen Mülhausen und den Eidgenossen, deren „Sitten und Gewohnheiten“ den Sundgauern fremdartig vorkommen. Aber die Eidgenossenschaft begreift den besondern Wert dieser Verbindung Basels mit Mülhausen. Es ist wie eine Erweiterung schweizerischen Wesens rheinabwärts; zum „Bollwerke der Eidgenossenschaft“ Basel ist in Mülhausen ein vorgelegter Posten, „ein Ortschloß und Vormauer“ gewonnen.
Schon beim Bunde von 1506 haben die Eidgenossen mitgewirkt, der im Basler Briefe dieser Stadt auferlegten Beschränkung ihrer Bündnisfreiheit gemäß. Von nun an kommen, ohne daß Mülhausen zur Eidgenossenschaft gehört, auch manche seiner Geschäfte vor die Tagsatzung, namentlich die Zwistigkeiten mit Österreich; in Steuersachen u. dgl. verwenden sich die Eidgenossen beim König für Mülhausen; unaufhörlich teilt Basel Beschlüsse der Tagsatzung auch den Mülhausern mit. Das Ganze ist ein freier, formell ungeordneter und unverbindlicher Zustand, der aber zu engerem Anschlüsse drängt.
Seit 1508 wird bestimmter von einem Bunde der Eidgenossen mit Mülhausen gesprochen, stets auf Mahnen Basels, das die Wichtigkeit der Stadt betont. Mülhauser Kriegsvolk macht im Anschluß an das Kontingent Basels die großen Kriegszüge dieser Jahre mit, und im Juni 1514 assistieren Gesandte Mülhausens der Beschwörung der eidgenössischen Bünde zu Basel.
Bei diesem Anlasse scheinen die Verhandlungen über den Beitritt der Stadt aufgenommen worden zu sein; am 19. Januar 1515 wurde der Bund geschlossen. Mülhausen erhielt Rechte und Pflichten eines zugewandten Ortes der Eidgenossenschaft und schied damit aus dem elsässischen Zehnstädtebunde.
An das Oberrheingebiet schloß sich der allumfassende Bezirk des Reiches.
So gut die eidgenössischen Orte selbst noch immer staatsrechtlich zum deutschen Reiche gehörten, hatte auch der Beitritt Basels zum Schweizerbunde dieser Stadt keine förmliche Trennung vom Reiche gebracht.
[14] Das Verhältnis war auch jetzt noch bestimmt durch das Antwerpner Privileg Kaiser Friedrichs von 1488. Damals war Basel, auf seinen alten freistädtischen Charakter verzichtend, in die Reihe der gewöhnlichen Reichsstädte gestellt worden. Sein Verkehr mit dem Reiche und seine Leistungen während der 1490er Jahre zeigen dies überzeugend; anschaulich wird dieser Zustand auch an einem Werke der amtlich geleiteten Standesscheibenmalerei: einem Wappenfenster aus dem Beginne des sechzehnten Jahrhunderts mit den vom Reichsschild überragten Baselschilden.
Dies war das Rechtsverhältnis, nach der Meinung beider Teile. Basel behielt sich im Bundesbriefe von 1501, gleichermaßen wie die Eidgenossenschaft tat, ausdrücklich das Reich vor. Die Reichsgewalt ihrerseits betrachtete den Eintritt Basels in die Eidgenossenschaft nicht als Preisgeben des reichsstädtischen Charakters; für sie blieben die Basler „des Kaisers und des Reiches liebe Getreue.“
Dem entsprach der offizielle Verkehr. An Berührungen der Stadt mit dem Reichshaupt ist freilich nicht mehr zu denken. Nur etwa Gesandte Basels bekommen den Kaiser noch zu sehen, er selbst besucht die Stadt nicht. Alles ist anders geworden. Nichts persönlich Gestimmtes findet mehr Eingang in das amtliche Wesen.
Auch die Reichsakten Basels zeigen nicht mehr die Fülle, den unaufhörlichen Wechsel einzelner Vorgänge von ehedem. Aber auch jetzt noch gibt es neben den immer stärker andringenden Schweizerangelegenheiten Reichsgeschäfte. Ausgezeichnet durch Würde der Formen Titulaturen Siegel bringen diese Erlasse der kaiserlichen Kanzlei die große und gewählte Gebärde neben die unschöne Geschäftigkeit eidgenössischer Korrespondenz. Wie früher so kommen auch jetzt die oft prächtig gedruckten Ausschreiben Kaiser Maximilians mit der Behandlung von Fragen und Unternehmungen der größten Art.
In solcher Weise, scheinbar durch nichts gestört, vollzieht sich der Verkehr des Reiches mit Basel. Aber dabei handelt diese Stadt doch so, daß ihr Verhältnis zum Reiche tatsächlich ein fast völlig unwirksames und bedeutungsloses wird. Sie entzieht sich der Leistung ihrer Reichspflichten. So regelmäßig sie Alles erhält — Einladungen zu Reichstagen, Aufforderungen zu Truppenstellungen, Befehle zur Entrichtung von Reichssteuern; so konsequent folgt sie weder Einladungen noch Befehlen. Zuweilen bringt der Rat solche Zumutungen vor die Tagsatzung und versichert sich ihrer Hilfe für den Notfall. Aber dem Reiche selbst gegenüber äußert er sich gar nicht. Wenn er diese Zuschriften erhalten, gibt er dem Boten, der [15] sie gebracht, ein Trinkgeld, sonst aber keinen Bescheid, und legt alle die Reichspapiere ganz still auf einen Haufen.
Der Rat, der so verfährt, weiß, wie viel er gegenüber dem Reich und kaiserlicher Majestät sich herausnehmen darf. Gleichwohl ist er sich bewußt, daß ein guter Teil des öffentlichen Rechtes der Stadt auf kaiserlichen Privilegien ruht. Er macht dies auch offiziell geltend, z. B. dem Bischof gegenüber; ja er äußert zuweilen die Besorgnis, daß diese Freiheiten und Rechte ihm durch Revokation verloren gehen könnten.
In einigen großen Richtungen hat sich das politische Leben Basels zu bewegen. Die Stadt ist ein Ort der Eidgenossenschaft, sie ist eine Reichsstadt, sie hat Beziehungen zu Frankreich.
Diesem offiziellen Zustand entsprechen Parteiungen im Volke, die selbständig ihre Wege gehen, eigene Leidenschaften haben, die allgemeinen Zustände in Liebe und Haß des Einzelnen grell reflektieren. In der neuen, 1501 geschaffenen Lage Basels müssen sie sich noch zurecht finden.
Das eidgenössische Wesen ist hier in seinen Anfängen. Wenn es auch die amtliche und öffentliche Anerkennung haben mag, besteht es doch wesentlich durch die Kraft seiner Anhänger. Es ist Sache einer Partei. Neben ihm gibt es noch andere Gruppierungen und Anhänge, gelten altes eingebornes Rheinlandsgefühl, deutsches nationales Empfinden, französische Sympathie. Es ist das Dasein einer großen, vielbesuchten und vieldurchwanderten Grenzstadt, in der das Schweizerische dem Schwäbischen, das Deutsche dem Wälschen gegenübersteht. Alles ist dichtgedrängt beisammen in der Enge des Gemeinwesens, Alles bewegt durch die Unruhe einer leidenschaftlichen Zeit. Wobei jede Meinungsverschiedenheit sofort zur Zwietracht wird, Pfauenfedern, deutscher Trommelschlag neben dem schweizerischen, Lieder und Pamphlete und spöttische Reden Niemanden zur Ruhe kommen lassen.
Zum Zanke der Gasse tritt die literarische Fehde. Der Geist der Gelehrten, denen das Schweizertum Basels als Herrschaft roher Bauern über die Stadt der Musen erscheint, hat schon in Reuchlin wider den Schweizerpöbel gescholten. Brant Tritheim Bebel wissen nicht anders zu urteilen. Jetzt nimmt der junge Augsburger Hieronymus Emser diesen Ton auf. In demselben Basel, wo der Theodorsschulmeister Gregor Bünzli aus Glarus Verse über die „Schwaben“ zum Besten gibt, macht sich der Student Emser durch ein Schmähgedicht wider die Eidgenossen bekannt, „die Feinde Gottes und des Glaubens, die milchsaufenden Schurken; [16] die faulen Kuhmelker, die waldgebornen Räuber“. Hauptwortführer aber ist der unruhige Wimpfeling aus Schlettstadt, der Patriarch der Elsässer Humanisten. Während er hier im Bischofshofe Gast Christophs von Utenheim ist, schreibt er boshafte Briefe über den Zustand des schweizerisch gewordenen Basel, und im Jahre 1505 publiziert er die Flugschrift Soliloquium mit den heftigsten Angriffen auf die Schweizer, aber auch auf Basel als die zu den Bauern abgefallene Humanistenstadt, als die den Reichsfeinden anhängende alte Elsässer Reichsstadt. Es ist vor allem die elsässische Eigenwilligkeit, die in Wimpfeling zum Worte kommt; neben ihr der Zorn der Deutschen auf die Schweizer vom Schwabenkrieg und von ihrem Bunde mit Frankreich her.
Als ideale und keiner Grenzen achtende Macht, als Führerin des Lebens der Meisten erweist sich in Basel über solches Gezänke hinweg die deutschnationale Gesinnung. Tradition und Stammesart wirken ohne weiteres und unwiderstehlich; um so hinreißender sind sie in dieser Zeit der hochgesteigerten nationalen Stimmung Deutschlands. Wie im politischen Leben eine Distanz bleibt zwischen Basel und den Eidgenossen, so kann sich in Anderem die Stadt oft mehr auf einer Linie mit Straßburg und Nürnberg empfinden als mit Bern und Zürich. Es ist ein tiefes Überzeugtsein, so sehr es auch durch den Deutschland und Kaisertum zu allernächst vertretenden Nachbar Österreich auf die Probe gestellt wird. Ein regionaler Zwist mag hier viel bedeuten, Schweizer und Landsknechte mögen wider einander stehen; das sind Konflikte, die weit zurückweichen hinter dem großen geistigen und politischen Gegensätze Deutschland-Frankreich.
Unter solchen Umständen trat Basel in sein eidgenössisches Leben.
Noch galt die im Jahre 1499 mit Frankreich geschlossene Allianz; ihrzufolge bewilligte die Tagsatzung im Februar 1507 dem König Ludwig Truppen für einen Feldzug. Basel, obgleich am Bunde nicht beteiligt, entschloß sich dennoch mitzumachen. Der Rat hob Truppen aus und gab diesen zum Führer den Ritter Hans Kilchman. Am 9. März 1507 war der Abmarsch; nach der französischen Ausmusterung in Altdorf zählte das Basler Kontingent noch zweihundertsechzig Mann. Als Ziel des Zuges galt Mailand. Aber in Varese erfuhr das eidgenössische Heer, daß es dem König zu Hilfe ziehe wider das rebellische Genua. So ging der Marsch über Alessandria, und am 25. April standen die Eidgenossen vor der stolzen Meerstadt. Gleichen Tags noch begann die Schlacht, durch den Kastanienwald hin und über die Höhen ob Genua. „Drei starke Bastionen und [17] Letzenen haben wir gewonnen“, berichtete Kilchman nach Basel, „mit großer Not; denn unsre Feinde sind stark gewesen“. Tags darauf, in Anwesenheit des Königs, kam es nochmals zu einem harten Treffen. Am dritten Tage, 27. April, kapitulierte Genua, und „mit Gold Lob und Ehre“ konnten die Eidgenossen wieder nach Hause ziehen. Den Kilchman belohnte Ludwig mit einem Geschenke von zweihundert Gulden und einem lebenslänglichen Jahrgeld.
Dies war der Genueser Zug, auf Jahre hinaus die letzte kriegerische Leistung der Eidgenossenschaft für Frankreich.
Während die Schweizer vor Genua fochten, unterhandelten schweizerische Gesandte in Konstanz mit Maximilian; im April 1507 trat dort der Reichstag zusammen. Der König schien den Schwabenkrieg vergessen zu haben; das „gemeine Bergvolk“, über das seine Humanisten gespottet, war ihm jetzt willkommen. Er machte die größten Versprechungen; bei seiner Romfahrt und den damit zu verbindenden Eroberungen in Italien wünschte er ein eidgenössisches Heer zu haben; von einer Allianz wurde geredet. „Mit den Schweizern im Bunde werde ich die ganze Welt niederzuwerfen imstande sein“, verhieß Maximilian dem venezianischen Gesandten.
Aber was in den nächsten Jahren oft geschehen sollte, geschah auch jetzt: ein Werben Verschiedener um die Schweizer. So weit ihre Vereinbarungen mit Maximilian auch gediehen sein mochten, daneben arbeiteten die französischen Diplomaten mit überlegener Kunst und reichen Geldspenden. Auch Basel machte dabei seine Erfahrungen. Schon hatte der Rat die Truppen für den Zug des Königs nach Italien aufgeboten und den Bürgermeister Offenburg an ihre Spitze gestellt. Da empfing derselbe Offenburg, im Januar 1508 bei der Tagsatzung in Luzern, vom Gesandten Frankreichs eine Geldsumme. Nicht in seine Tasche; diese fünfzehn Kronen hatten die Kosten der Tagfahrt zu decken. Doch sie bedeuteten bei Basel dasselbe was bei andern Orten: daß Frankreich den Handel gewann. Die Eidgenossen widerriefen die in Konstanz gegebenen Zusagen.
Nun aber tritt Alles zurück vor einer neuen und einzigartigen Macht politischen Lebens: dem Papste. Diesen Landen zeigt sich der Stellvertreter des himmlischen Christus jetzt als Herrscher mit rein weltlichem Gebahren, als Kriegsfürst und Alliierter.
Im Jahre 1509 ging das Bündnis der Eidgenossen mit Frankreich zu Ende und wurde nicht erneuert. Die eidgenössische Politik erhielt eine andre Orientierung.
[18] Die wiederholte Intervention Frankreichs in Italien und die ihr folgenden Kombinationen riefen das Papsttum in den Kampf, das jetzt für einige Zeit ein Hauptelement in den europäischen Bewegungen sein und als solches auch auf die Schweiz wirken sollte.
Die kirchliche Stellung des Papstes kam seiner Politik zugute. Ihm war möglich, auch die profansten Unternehmungen durch die Mittel geistlicher Allgewalt zu stützen, seine Helfer zu segnen und seinen Feinden „den ewigen Himmel zu nehmen“. Mit universaler und äußerlicher Herrlichkeit verband sich eine Mystik, die von stärkster Wirkung auf den Einzelnen sein konnte.
Zu dieser Überlegenheit allgemeiner Art trat die besondere Macht eines Menschen, wie Papst Julius II. war; die Kraft einer starken Persönlichkeit und feinstes diplomatisches Geschick lebten noch unmittelbarer in dem Berater und Gehilfen des Papstes, Matthäus Schiner, dem großen Kardinal von Sitten.
Unter solchen Wirkungen kam am 14. März 1510 ein Bündnis mit Papst Julius zustande. Die Eidgenossen übernahmen den Schutz der Kirche und des Heiligen Stuhles. Sie verpflichteten sich, dem Papst auf sein Verlangen sechstausend Mann gegen jeden Feind zu stellen und während der Dauer der Allianz sich ohne Zustimmung des Papstes mit keiner andern Macht zu verbünden oder einer solchen die Werbung zu gestatten. Der Papst sagte zu, den Eidgenossen gegen ihre Feinde mit geistlichen Waffen beizustehen und jedem Ort ein Jahrgeld von tausend Gulden anzuweisen. Der Sold der für ihn auszuhebenden Leute wurde festgesetzt.
Es begannen die sieben gewaltigen Papstjahre der Politik Basels. Am französischen Bündnisse war die Stadt nicht beteiligt gewesen; jetzt stand sie sowohl berechtigt als verpflichtet in einer welthistorischen Beziehung, deren Größe jedem Tun sein Feuer gab. Der Verbündete Basels war der Heilige Vater; was Basel ihm leistete, tat es zu Trost der Kirche.
Aber auch andere Stimmungen bewegten dieses Jahr. Gerüchte und Warnungen hielten die Stadt in Atem. Es wurde geredet von Rüstungen in der Markgrafschaft, von Sammlung der Ritterschaft zu Ensisheim. Dazu bedrängte schwere Krankheitsnot die Stadt, und der Bischof rief seine Herde zu Kreuzgängen und Bußexercitien. Nur einige Buchungen der städtischen Kasse — Kosten des Empfangs einer päpstlichen Gesandtschaft, Einnahme der ersten päpstlichen Pensionsgelder — bezeugen die neue politische Haltung Basels.
[19] Zunächst noch sieht Manches aus wie überstürzter Entschluß, wie unsicheres Handeln. So der „Chiasser Zug“ im August 1510, so noch mehr der „Kaltwinterfeldzug“ von 1511.
Der Allianzberedung vom März 1510 folgte rasch ein Mannschaftsbegehren Schiners. Es wurde durch die Tagsatzung bewilligt, überall im Lande sammelte sich das Kriegsvolk. Noch am 3. August erließ der Papst ein Mahnschreiben. Am 13. August rückten die Basler aus, dreihundert Mann stark, geführt durch Jacob Meyer zum Hasen, der seit kurzem als neuer Meister zu Hausgenossen im Rate saß. Ziel des Zuges war zunächst der St. Bernhard, zum Übergange nach Italien; doch wies unterwegs die Nachricht, daß das Aostatal durch die Franzosen besetzt sei, die Basler das Wallis hinauf, von wo sie über „hohe scharpfe böse berg“, wohl den Nufenenpaß, nach Bellinzona hinüberstiegen. Hier vereinigten sie sich mit den Mannschaften andrer Orte. Es kam zu Gefechten, zur Erstürmung einer französischen Schanze an der Tresa, zu Verwüstungszügen bis Varese und Chiasso. Aber zu keiner stattlichen Kriegstat, zu keinem Erfolg und keiner Ehre. Während hier geplänkelt wurde, waren zu Hause Parteien und Diplomatie tätig, das Unternehmen zu hemmen. Im Heere selbst regte sich Mißtrauen gegen Schiner. Die Munition ging aus, die Truppen litten Hunger und wurden unwillig, sodaß sie dem Heimrufe der Tagsatzung gern und rasch folgten. Am 17. September, auf den Tag fünf Wochen nach dem Ausmarsche, zogen die Basler wieder zu Haus ein, „mit schlechtem Namen und kleinem Lob“.
Dann im Spätherbste 1511 brachte eine den Orten Schwyz und Freiburg angetane Gewalttat der Franzosen die Eidgenossenschaft wieder unter die Waffen. Basel, durch einen rührigen Agenten des Papstes, den Altdorfer Kirchherrn Anselm Graf angetrieben, beschloß Ende Oktobers den Zug; am 21. November brach es auf. Wie im Vorjahre mit dreihundert Mann; Hauptmann war Henman Offenburg, der Neffe des Bürgermeisters. Die Truppe marschierte, ohne ihr Ziel zu kennen. Die Einen glaubten, daß man „den lieben alten eitgenossen von Swiz“ zuziehe; die Andern, daß man einer Mahnung des Papstes folge. So verworren der Beginn, so der Verlauf des Zuges. Am 1. Dezember trafen die Basler in Bellinzona ein, nach mühevoller Überwindung des Passes, dessen winterlicher Rauheit ihre Pferde nicht gewachsen waren. Schwyz und Luzern waren schon voraus; eben trafen die Fähnlein von Baden und Bremgarten ein; Zürich Bern Solothurn folgten weit hinten. Endlich vor Mailand, „an der Haselstuden“, fand sich das eidgenössische Heer beisammen. Aber deutlich [20] zeigen uns die Basler Scripturen dieser paar Feldzugswochen, wie halt- und ziellos Alles war. Die Franzosen wichen dem Kampf aus; statt seiner versuchten sie es mit Unterhandeln. Sie hätten dreiunddreitzigtausend Gulden geboten, damit die Eidgenossen das alte Bündnis wieder aufnähmen, meldete Offenburg dem Rate; aber die Führer des Heeres hätten ein so kleines Angebot als Schimpf empfunden und darauf „einen Haken geschlagen“. Unter furchtbaren Verheerungen des Landes, zuchtlos, enttäuscht zogen die Schweizer wieder zurück. Am Altjahrabend brachte Offenburg die Seinen nach Hause — keinen Mann hatte er verloren. Aber „die reis wer weger vermitten“, meinte der alte Kilchman.
Während die Truppen im Felde liegen, ist daheim die Stadt voll Unlust und Streit. Falsche Siegesmeldungen aus dem Mailändischen kreuzen sich mit falschen Alarmnachrichten aus dem Sundgau. Wie dann ein zweites Aufgebot der Tagsatzung kommt, löst sich die Spannung der von allen Seiten her erregten Menge in einem aufruhrgleichen Tumulte. Der Rat vermag die Unruhe zu meistern. Dann stellt er ein zweites Kontingent, hundertundzwanzig Mann stark, bereit; doch kommt es nicht mehr zum Ziehen.
Die eidgenössische Politik dieser Monate, durch allerhand Einflüsse berührt, mangelte der Bestimmtheit. Nur allmählig kam es zu einer Festigung des Verhaltens, zur Klärung des Zieles.
Zunächst durch entschiedenes Ablehnen von Bündnisanträgen Frankreichs. Basel hatte hiefür den Besuch des grandmaître d'Amboise im September 1510, nach Schluß des Chiasser Zuges. Es bewirtete den Herrn nach Übung, zeigte ihm seine Geschützreihen im Zeughaus und ließ ihn unverrichteter Dinge wieder reisen.
Sodann wurden festere Bande mit Kaiser Max geknüpft. Es geschah dies durch eine Vereinbarung, die nach der Trennung von 1499 zum ersten Male die beiden Mächte wieder verband: die mit Max als dem Haupte des österreichisch-burgundischen Hauses am 7. Februar 1511 geschlossene Erbeinigung. Unter gegenseitigem Gelöbnis guter Nachbarschaft und Verkehrsfreiheit, gegenseitiger Zusage getreuen Aufsehens im Falle der Bedrohung durch einen Dritten, Zusicherung einer jedem Orte jährlich durch den Kaiser zu zahlenden Pension von zweihundert Gulden. Basel war wohl der am stärksten interessierte Kontrahent auf eidgenössischer Seite; es erklärte seine Zustimmung zum Vertrag erst, als ihm Sicherheit geworden war, daß seine alten Rechte der Anwendung geistlichen Gerichtes und der [21] Arrestierung österreichischer Angehöriger nicht durch den neuen Vertrag geschädigt sein würden; ein kaiserlicher Beibrief vom 17. Mai 1511 gab ihm diese Garantie.
Sodann bedurfte es noch der Auseinandersetzung mit dem über den Verlauf des Chiasser Zuges erzürnten Papst. Im Dezember 1510 hatte sich hiefür eine schweizerische Gesandtschaft ans päpstliche Hoflager Bologna zu begeben. Sie fand Julius von Krankheit kaum genesen, inmitten stärkster Aufregungen und Sorgen. In solchem Zustand empfing er die Eidgenossen „zornmüticlich“, ihre Reden wiederholt unterbrechend, mit den heftigsten Worten sie anfahrend. Einer unter ihnen aber war der Basler Stadtschreiber Gerster, ein der Curie wohl bekannter Führer der päpstlichen Sache in Basel; er hatte im kleinen Ausschusse weiter zu verhandeln, und sein Werk wohl war der ausführliche Gesandtschaftsbericht, der dann an die Tagsatzung erstattet wurde.
Wir begegnen diesem Papst und seinem gewaltigen politischen Wollen wieder im Oktober 1511 bei Schaffung der Heiligen Liga. Sie ist gegen dasselbe Frankreich gerichtet, das eben jetzt die Schweizer durch neue Gewalttaten gereizt und in die arge Enttäuschung des Kaltwinterfeldzuges getrieben hat. Führer der Liga ist der Papst, ihre Genossen sind Venedig und Spanien, bald auch England und Kaiser Max.
Angesichts solcher Größe und im Gedanken an das vor kurzem selbst Erlebte sammelt nun auch die Eidgenossenschaft all ihre Kräfte zu einem mächtigen Unternehmen. Ihr Ziel ist, den Franzosen das Herzogtum Mailand zu entreißen und selbst darüber zu verfügen.
Die Instruktionen des Basler Rates zur Tagsatzung zeigen uns lebendig, wie diese Politik sich entwickelt und festigt. Sie haben einen neuen Ton von Entschlossenheit. Die vorgeschlagene Erteilung von Geleit an eine französische Gesandtschaft wird als eine Verletzung unsrer Ehre abgelehnt. Mit allen Mitteln soll auch unsrerseits dafür gearbeitet werden, daß Kaiser Max Frankreichs Gegner werde und mit Venedig Frieden schließe. Man solle eine Gesandtschaft an die Signorie abgehen lassen, bei welcher Gelegenheit dann auch von den Kriegsvorbereitungen geredet werden könne. Denn Frankreich müsse angegriffen werden, nicht, wie Bern meine, durch einen Zug ins Burgundische, sondern in Italien, wo das Volk noch vom Winterfeldzuge her voll Schreckens vor den Schweizern sei.
Über einer so gestimmten Eidgenossenschaft ging das glorreiche Jahr 1512 auf. Es brachte vorerst die zwei wichtigen Ambassaden nach Venedig und Trier. [22] Am 21. März 1512 trafen die Gesandten in Venedig ein. Sie verhandelten mit der Signorie und dem Vertreter Spaniens über den Abschluß von Bündnissen, namentlich aber mit Kardinal Schiner, der im Namen des Papstes redete. Er verhieß die Belohnungen künftiger guter Dienste und ließ die Gesandten schon jetzt die den Schweizern zugedachten feierlichen Ehrengeschenke des Papstes, den Herzogshut und das Schwert, sehen. Die Konferenzen im schönen Inselkloster San Giorgio, das Auftreten der Eidgenossen im Dogenpalaste, ihre Teilnahme und Ehrung an der offiziellen Prozession zu Mariä Verkündigung — all diese Szenen leben für uns noch heut in der Erzählung eines der Gesandten, des Baslers Jacob Meyer zum Hasen.
Der Heimkehr von Venedig folgte sofort die Gesandtschaft nach Trier zum Kaiser. Gesandte waren Peter Offenburg aus Basel und der Zürcher Röust. Sie sollten der Majestät die Absichten der Eidgenossen mitteilen, freien Paß durchs Tirol und Heimrufung der im Dienste Frankreichs stehenden Landsknechte begehren. Vor vierzig Jahren war in demselben Trier die Zusammenkunft zwischen dem Vater des Kaisers und Karl von Burgund gewesen, durch Basel aufs eifrigste beobachtet; wie anders trat heute dort der Basler Bürgermeister auf. Er kam gerade in die junge, durch Kaiser Max inaugurierte Heiligenrockandacht und überhaupt in die umfassende Trierer Reliquiendevotion dieses Jahres 1512 hinein. Am 8. April konnte er von dort aus dem Rat über den guten Erfolg seiner Legation berichten.
Wir sehen in diesen herrlichen Frühlingswochen Alles sich steigern und vollenden. Es sind die großen Zeiten der Tagsatzung, da kaiserliche und päpstliche Botschafter vor sie treten, der französische Gesandte das Land räumt, sie selbst ihre Beschlüsse faßt. Den weiten Hintergrund dieser Vorgänge füllen Ereignisse wie die gewaltige Schlacht bei Ravenna, der zwischen Kaiser Max und Venedig beredete Waffenstillstand, die Kriegserklärung Heinrichs VIII. an Frankreich, die Eröffnung des allgemeinen Konzils im Lateran zu Rom durch Papst Julius.
Am 19. und am 30. April beschloß die Tagsatzung den Heereszug in die Lombardie.
Es war im Grunde nichts Neues. Sondern von den beiden großen Tendenzen, die seit langem, wechselnd und sich bekämpfend, über aller Politik der Eidgenossenschaft gewaltet, erhielt jetzt die eine, die enetbirgische die Oberhand. Einen Stil und für Viele jedenfalls eine spürbare Weihe gewann dieser Heerzug dadurch, daß als sein Ziel die Rettung der römischen [23] Kirche genannt wurde. Das ihn Auszeichnende aber war die mit Wucht geschehende Erhebung der gesamten Eidgenossenschaft, war ferner das entschiedene Wollen selbständigen Eingreifens und souveränen Handelns. Schon ein Jahrzehnt früher hatten die Schweizer einem Florentiner gesagt: sie wüßten nicht, warum sie nicht eines Tages auf eigene Rechnung kämpfen könnten. Dieser Tag war jetzt gekommen.
Am 6 Mai 1512 zog das Basler Kontingent, in der Stärke von sechshundert Mann, aus dem Tor, angeführt durch Jacob Meyer zum Hasen. Die Reise ging über Zürich. Unterwegs in Rapperswil stießen sie auf einen Basler Schuhmachergesellen, der aus Italien heimkam; vor vier Wochen hatte er als französischer Söldner in der Ravennaschlacht mitgefochten. Durch Chur, dann über den Albula, das Engadin hinab, über den Ofenpatz nach Glurns, durch das lange Etschtal bis Trient, — von Station zu Station begleiten wir an Hand der Rechnung die Marschierenden; neben Batzen und Kreuzern zeigen sich quattrini, Marcellini u. dgl.; man kauft Pomeranzen usf. Über Roveredo ziehen die Basler nach Verona, wo sie am 25. Mai ankommen. Die ganze Stadt ist auf den Beinen, Alles jubelt und schreit: Imperium, imperium! Bald kommt auch Schiner eingeritten. Die schweizerischen Kontingente finden sich zusammen, gegen zwanzigtausend Krieger. „Eine so hübsche Mannschaft, auch in so guter Ordnung, daß jedermann Verwunderung und Wohlgefallen an uns hat.“
Bei den andern Hauptleuten sitzen nun die Basler Führer und entwerfen den Plan des Angriffs. Mit der behaglichen Stimmung der Marschtage ist es vorbei, und wir sehen andere bewegtere Bilder: das mächtige, ungeduldig wogende Heer der Eidgenossen; seine Vereinigung mir den Venezianern bei Villafranca; dann immerzu und nicht mehr nachlassend von der ersten Waffentat, von der Eroberung von Valeggio am Mincio an, das atemlose unwiderstehliche Vorwärtsstürmen, das Bedrängen Werfen Verfolgen der Franzosen. Cremona Lodi Piacenza Parma ergeben sich. Erst in Pavia ist härterer Widerstand; aber am 18. Juni abends wird die Stadt im Sturme genommen, und unter den Ersten, die eindringen, sind die Basler. „Sie haben sich so tröstlich gehalten, daß ihnen Lob und Preis gegeben wird. Umgekommen sind Pfifferhans von Waldenburg und Fridli zur Eich von Mülhausen; Gott sei ihnen gnädig. Sonst sind wir Alle in Gesundheit; Etliche sind gewundet, es steht aber gut um sie“. Die Stadt kauft sich durch Zahlung eines Monatssoldes von der Plünderung frei; unter dem gewonnenen Geschütz ist ein berühmtes Hauptstück, Madonna de Forlina genannt, das Herr Jacob Meyer vor der Stadtmauer erobert hat [24] und sofort in die Basler Herberge führen läßt. Dann fallen auch Asti Novara Alessandria Como, zuletzt das „Haupt“ Mailand. Die Franzosen fliehen über die Berge. „Also unsers teils so ist das land Lombardia ganz erobert“, schreibt Jacob Meyer dem Rate. „Der französische Name in Italien ist vertilgt“, jubelt Schiner.
Neben dieser einen gewaltigen, sich den Siegespreis im Sturme holenden Leistung geschehen gleichzeitig die Eroberung der Grafschaft Neuenburg durch die vier Orte Bern Freiburg Solothurn Luzern, die Eroberung von Bormio Veltlin Chiavenna durch die Bündner, die Eroberung des Eschentals mit Domo und der Landschaften Mendrisio Balerna Lugano Locarno durch die Urkantone. Bern ist mit dem letzten Unternehmen nicht einverstanden; aber, „damit wir nicht für Die geachtet werden, so der Franzosen schonen“, proponiert es den Baslern neuerdings den Plan eines Heerzuges nach Burgund. Man ist allerseits gestimmt zur Eroberung.
Zu dem Zug, an den Bern dachte, kam es aber nicht. Auch die am 3. Juli den Waldstätten für die Gewinnung des Eschentales zuziehenden Basler gelangten nur bis Sursee, wo sie ein Gegenbefehl aus Luzern zum Halten brachte. Sie kehrten um nach Hause, und von den Fischen des Sempachersees, bis zu dem dieser Zug gelangt war, erhielt er den Scherznamen des Albelenkrieges.
Ein Vierteljahr nach dem Abmarsch in die Lombardie, am 2. August 1512, hielten die heimkehrenden Basler triumphierenden Einzug in ihre Stadt. Meltinger und Ulrich Falkner waren ihnen zu ehrenreichem Empfang entgegengeritten; schon draußen vor der Stadt begrüßte sie die Jugendwehr; von den Türmen bliesen die Wächter, zwischen den Reihen jubelnden Volkes zogen die Krieger die Gassen hinab. Welche Bilder italiänischer Städte und Landschaften mochten sie mitbringen! Welches Lob eigener Tapferkeit, welchen Hohn auf die Franzosen, welch Gefühl des großen eidgenössischen Lebens!
Neben dem Fähnlein, das im Mai die Schar nach Italien geführt hatte, wehte jetzt das prächtige, vom Papst verliehene Banner.
Kardinal Schiner eröffnete in Pavia am 30. Juni dem Jacob Meyer, wie sehr der Papst den Eifer anerkenne, mit dem die Basler vor Andern sich gutwillig erzeigt haben. Er sei daher willens, wie den Ländern vor Zeiten, so jetzt ihnen ein Ehrenbanner mit einem „stuck des gloubens“ im Eckquartier zu schenken. Einzig Basel, gab er an, werde solcher Auszeichnung wert erachtet.
[25] Auf Vorschlag der Basler Führer wurde dann durch Schiner als „Zeichen“ der englische Gruß bestimmt und außerdem die Änderung des Schwarz am Baselstab in die „ritterliche Farbe des Goldes“ gutgeheißen. Die Anfertigung geschah sofort in Mailand, unter Leitung von Hans Oberriet und Melchior Hütschi; zum Fahnentuche diente weißer Damast mit Granatapfelmuster, die Ausstattung war reich an Perlen und Edelsteinen, goldbrokatenen Borten, Seidenstickerei usw. Noch vor Mitte Julis übergab Schiner das fertige Banner den Baslern, die es mit Pfeifen und Trommeln in ihre Herberge trugen und da einige Tage offen fliegen ließen, zum Neide der Andern.
Die Eidgenossen, die Jahr um Jahr eine nicht aufzubrauchende kriegerische Kraft erwiesen und deren jüngste Taten, von Zeitgenossen als gesta cœlo digna gerühmt, den Schreck der Ravennaschlacht rasch vergessen ließen, zeigten sich auch beim Verhandeln Allem gewachsen. Ihre Kriegsgewalt zusammen mit Kraft und Kunst politischer Negotiation begründete die hohe Geltung der Eidgenossenschaft, die diese wenigen Jahre zum glänzendsten Moment ihrer Geschichte macht.
Von allen Seiten kamen huldigend und werbend die Mächte der Welt. Der Kaiser, der Papst, der spanische König, im Geheimen auch der König von Frankreich hatten ihre Vertreter bei der Tagsatzung; Savoyen wurde Alliierter der Schweiz; Lothringen und Venedig strebten nach einer Verbindung; auch König Heinrich von England machte sich herbei. Der Kern eidgenössischer Politik dieser Jahre war doch die Freundschaft mit Papst und Kaiser. Damals hat der Schweizer Glarean in Köln, bei seiner Dichterkrönung durch Max, diesen Herrscher besungen und dabei vor Allem sein Bündnis mit dem „furchtbaren“ helvetischen Volke gepriesen, „das dem Adler gleich sei und dem Löwen“.
Wie stark daneben die Feindschaft gegen Frankreich war, sehen wir an Basel. Es verlangte, daß in der ganzen Schweiz die Ausfuhr von Kriegsmaterial nach Frankreich verboten werde. Wenn die durch Basel reisenden Kaufleute aus Köln Antwerpen usw. französische Waren hatten, wurden diese konfisziert. Und als ein französischer Agent sich herausnahm, in Basel Kriegsvolk dingen zu wollen, zeigte ihm der Rat seine Meinung so deutlich, daß er rasch wegritt. Basel hatte übergenug solcher Umtriebe in seiner Nähe. Während das eidgenössische Heer die Franzosen aus der Lombardie warf, wurde der Sundgau französischer Werbeplatz. Adelige Landsassen selbst — Diebold Stör, Hartman von Flachsland, Hans [26] von Dachsfelden —, „durch viele Kronen zum französischen Willen gebracht“, waren Werboffiziere. Auch Graf Heinrich von Tierstein gab sich dazu her und trieb das Geschäft im Großen; unter der Hohkönigsburg wurde das durch ihn geworbene Volk gemustert und von hier dem König nach Langres geschickt.
Die Monate nach dem Pavier Zuge sind erfüllt durch außerordentliche Tätigkeit der Tagsatzung. Was hiebei geschieht und wie Basel beständig an diesen Arbeiten beteiligt ist, zumeist durch Heinrich Meltinger und Ulrich Falkner, kann hier nicht geschildert werden. Wohl aber denken wir an die beiden großen Aktionen, mit denen dieses Jahr 1512 endet.
Vorab an die Gesandtschaft nach Rom. Die Eidgenossen kommen zum Papst, um als Retter des Heiligen Stuhles seinen Dank zu vernehmen; sie wollen auch für einen allgemeinen Frieden in der Welt ein Wort einlegen, rückständigen Sold begehren, Herausgabe von Parma und Piacenza an das Herzogtum Mailand verlangen, die Pfarreien und Pfründen in der Schweiz von den Kurtisanen frei machen, die Papstmonate für sich in Anspruch nehmen usw.
Basels Begehren, von den durch Papst Julius der Eidgenossenschaft verliehenen Auszeichnungen die Bulle mit dem Ehrentitel und eines der Banner zur Verwahrung zu erhalten, ist durch die andern Orte abgelehnt worden. Aber jetzt bei der Gesandtschaft führt es das Wort. Es hat auch eigene Wünsche vorzubringen. Diese Wünsche gehen zurück in die ersten Zeiten des Bündnisses mit dem Papste. Schon im August 1510 hat der Basler Hauptmann Jacob Meyer beim Marsche durch das Wallis mit Kardinal Schiner deswegen verhandelt und Schiner ein gutes Gelingen in Aussicht gestellt, „da man jetzt einen so gnädigen Papst habe, bei dem zu erlangen sei, was seit Sanct Peters Zeiten nicht habe erlangt werden mögen“. Wie es dann freilich zum Vortrage vor diesem Papste kommt, in Bologna, ist er des Chiasser Zuges wegen ein sehr ungnädiger Herr und Basel erlangt nichts.
Aber im Mai 1512, vor dem Marsch in die Lombardie, holt der Rat jene alten Desiderien wieder hervor. Er instruiert die Hauptleute darüber, er schreibt auch selbst an Schiner. In Pavia kommt es dann zu Verhandlung und fester Zusage. Die Hauptleute lassen die Suppliken redigieren und schicken sie an die Curie, damit „der Papst sie signiere und bullas darüber fertige“. Der Propst von Thann, Johannes Soder, „der by sant Jörgen in Rom daheim ist“, wird ersucht, sich der Sache anzunehmen, unter Übersendung eines Kreditbriefes. Auch die Familiaren [27] Schiners in Rom müssen helfen. Von Basel aus aber drängt der Rat die Hauptleute zur Eile; „wenn ihr aus dem felde seid, so möchte des wachses minder werden“.
Das Ergebnis dieser Mühen sind zuletzt vier am 10. September 1512 ausgestellte päpstliche Privilegien: 1. Bestellung von städtischen Conservatoren, als Erneuerung des sixtinischen Privilegs von 1483; 2. Bestellung von Conservatoren für die Universität; 3. Bestätigung der Verfügungen des Papstes Pius von 1463 und des Kardinals Raimund von 1504 über die Canonicate von St. Peter und die Universität; 4. Bestätigung der Indulte des Papstes Pius und des Kardinals Raimund über Genuß von Butter und Käse in der Fastenzeit.
Diese vier Privilegien erfüllen aber nicht alle Wünsche Basels. Der Rat hat noch Anderes auf dem Herzen und sucht es bei Anlaß der Gesandtschaft nach Rom zu erlangen.
Mitte Oktobers ritten die Eidgenossen — von Basel Lienhard Grieb — über Como nach Mailand, um zunächst hier mit dem Gubernator Ottaviano Sforza zu reden. Dabei wurde „weder in tütsch noch in welsch noch in französisch“ verhandelt, sondern lateinisch, durch Grieb. Auch Jacob Meyer war mit den Herren geritten, da er den Auftrag hatte, seinen in der Nähe Mailands weilenden guten Freund Schiner wegen der Basler Begehren zu bearbeiten. Nach Erledigung dieser Sache kehrte er heim; die andern zogen weiter nach Süden, überall Landsleute treffend, die in des Papstes Dienste standen: in Bologna den Albrecht zum Stein, in Florenz den Gardehauptmann Caspar von Silinen, der ihnen Seidenstoffe brachte, um sich daraus Hofkleider machen zu lassen. Am Samstag abend, 20. November, langten die Eidgenossen in Rom an, unter Glockengeläute und Kanonendonner und Volksjubel. Von der hohen Schanze herab segnete der Papst die durch die porta Angelica Einreitenden; der Governatore Roms, der junge Markgraf von Mantua, der Zeremonienmeister Paris de Grassis hielten Empfangsreden, und Allen hatte „der Doctor von Basel“ Grieb in Latein zu antworten.
Der folgende Mittwoch, 24. November, war der Tag, an dem die Gesandten in öffentlichem Consistorium empfangen wurden. Vor Papst Julius und einer mächtigen Corona von Cardinälen Prälaten Gesandten Höflingen hielt Grieb die Rede, in der er dem Papste die Huldigung der Eidgenossenschaft, ihren Dank und ihr Obedienzgelöbnis darbrachte.
Wir übergehen die folgenden Szenen voll Hoheit und Pracht: das „köstliche Frohnampt“ in S. Maria del popolo mit einer Predigt des [28] großen Augustinergenerals Fra Egidio von Viterbo und feierlicher Verkündung des Bundes zwischen Papst und Kaiser; die geschlossene Audienz der Schweizer in der päpstlichen Camera; die Unterhandlungen mit dem in Rom anwesenden und zum Cardinal erhobenen Vertreter des Kaisers Matthäus Lang. Alles Einzelne der Geschäfte wurde eidgenössischerseits durch eine Kommission besorgt, der außer unserm Grieb der Berner Constans Keller und der St. Galler Christoph Winkler angehörten. Von allgemeiner Bedeutung aber und dauernd denkwürdig war überhaupt das Dasein dieser Gesandten inmitten des vatikanischen Hofes. An einer Wand der Camera konnten sie ihr schweizerisches Kriegsvolk in einem soeben durch Rafael vollendeten Gemälde monumental verherrlicht sehen.
Der geplagte Grieb hatte neben den eidgenössischen Geschäften auch für sein Basel zu sorgen. Er tat es mit Erfolg. So knauserig Papst Julius den schweizerischen Boten erscheinen mochte, zu Gunsten Basels bewilligte er die gebührenfreie Ausfertigung von Privilegien. Es waren jetzt, im Anschluß an die schon im September erteilten, die folgenden: 1. Bewilligung, daß sowohl Weltgeistliche als Ordensbrüder an der Universität Basel Physik und, auch wenn sie die Weihen haben, das kaiserliche Recht hören und studieren dürfen; 20. Dezember 1512. 2. Ermächtigung des Rates von Basel zur Wahl eines Priesters, der den in gerechtem Kriege Fallenden sowie den auf dem Schafotte Sterbenden die Beichte zu hören und die Absolution zu erteilen befugt sein solle; 20. Dezember 1512. 3. Kassation des Statutes des Basler Domkapitels von 1470, wonach ein Basler niemals Aufnahme im Domkapitel finden solle ; 20. Dezember 1512. 4. Ermächtigung des Basler Rates zur Prägung von Basler Münzen, die auch Namen und Wappen des Papstes tragen; 29. Dezember 1512. Von der zur gleichen Zeit und den Bemühungen Griebs entgegen betriebenen Aktion des Basler Domkapitels bei der Curie wird noch zu reden und dabei zu erwähnen sein, welche Wünsche des Rates vom Papste nicht erfüllt wurden. Außerdem aber benützten zahlreiche Gotteshäuser sowie einzelne Kleriker Basels den guten Moment dieser Gesandtschaft, um päpstliche Gnaden zu erlangen.
In diesem Dezember 1512, der die Schweizer am römischen Hof erscheinen sah, vollzog sich in Mailand eine andere Prachtszene: die Einsetzung des Massimiliano Sforza in das Herzogtum durch die Eidgenossen. Allen Zumutungen der Großmächte gegenüber hatte die Tagsatzung an Sforza festgehalten sowie an ihrer Befugnis, über Mailand zu verfügen. Schreiben der Basler Hauptleute aus dem Felde sowie die wiederholten [29] Instruktionen des Rates lassen uns diese Absicht schon in den Sommermonaten erkennen. Basel will die Truppen nicht heimziehen lassen, ehe der junge Herzog eingesetzt ist. „Gott wolle verhüten, daß der Ruhm, den gemeine Eidgenossenschaft in diesem Heerzug erobert hat, einer andern Nation, die den Fürsten einsetzt, durch unsern Abzug zufalle.“
Es blieb bei Sforza, und mit ihm schlossen die Eidgenossen Ende Septembers 1512 den Vertrag, der ihnen die frühere Zollfreiheit wieder gewährte und das Protektorat über das Herzogtum Mailand gab, samt dem Recht auf Kriegsentschädigung und jährliche Pensionen. Dann folgte die Inthronisation, nicht durch den Kaiser, nicht durch Spanien, sondern durch die Schweizer. Der 29. Dezember war jener einzigartige Tag, da am Tore von Mailand die Vertreter der eidgenössischen Orte den Herzog empfingen, die Schlüssel der Stadt ihm einhändigten und die Gewalt über das Herzogtum ihm verliehen. Im Namen Basels handelten hiebei Jacob Meyer zum Hasen und Heinrich Meltinger.
Es war um diese Jahreswende ein Moment der höchsten Höhe, des stolzesten Machtgefühls für die Eidgenossen. Nach Kurzem schon hatten sie die Konsequenzen zu ziehen.
Der Abfall Venedigs von der Liga und der Tod des Papstes Julius (21. Februar 1513) änderten die politische Lage; Frankreich war des festen Willens, Mailand wieder zu gewinnen. Seine mächtigen Rüstungen führten dazu, daß die Eidgenossen, als die einzigen Beschirmer Mailands, sich zu dessen Schutz erhoben. Ihr hiefür unternommener Heerzug, in seiner Konzentration auf eine einzige gewaltige Feldschlacht eine Tat von überwältigender Schönheit, überstrahlte noch den Glanz des Pavier Zuges.
Am 18. April 1513 beschloß die Tagsatzung, dem Mailänder Herzog zu Hilfe viertausend Mann zu schicken; Basel sollte daran zweihundert geben. Am 4. Mai zogen diese hier aus, unter Ratsherrn Hans Stolz als Hauptmann. Tags darauf waren sie in Solothurn und erhielten da beim Weitermarsche am 6. Mai, dem Tage Sanct Johanns vor der lateinischen Pforte, „sant Johans segen ab dem Heiligtum St. Ursen und Victors zu trinken“. Über Bern Freiburg Lausanne, dann auf „langsamem hertem weg“ durch das Wallis und über den Simplon ziehend kamen sie nach Arona und fanden hier die Mahnung der andern Orte, ihnen eilends nachzuziehen. In angestrengtem Nachtmarsche kamen sie nach Novara, wohin sich der Herzog Massimiliano zurückgezogen hatte.
Von hier aus meldeten ihre Führer am 22. Mai dem Rate, daß sie willens seien, im Namen Gottes morgen an den Feind zu gehen, ihn zu [30] verjagen und auf Niemanden mehr zu warten, „damit sich der Gallus nit witer stercky“.
Inzwischen war zu Hause ein zweites Aufgebot, achttausend Mann stark, beschlossen: dabei wurde Basel die Stellung von vierhundert Mann auferlegt. Geführt durch Heinrich Meltinger rückten sie aus. „Si zugent streng für sich, denn es tett nott.“ Durch Aarburg und Luzern, den See hinauf, über den Gotthard eilten die Basler. Am 27. Mai hatten sie den Rhein verlassen, am 5. Juni traf dieses zweite Heer in Novara ein. „Durch ein brausendes Gelage“ wurde seine Ankunft gefeiert, für den folgenden Tag der Angriff auf den vor der Stadt lagernden Feind beschlossen.
An diesem 6. Juni 1513 geschah die „große Schlacht zu Naweren“. Wir haben hier ihrem Verlaufe nicht zu folgen, nur den Anteil der Basler zu bezeichnen.
Diese, im Ganzen etwa sechshundert Mann zählend, zerfielen schon zu Beginn der Schlacht in mehrere Gruppen. Meltinger und Falkner fochten in dem das feindliche Lager stürmenden Haupthaufen, bei dem auch der Herzog, der Solothurner Niklaus Konrad, Arnold Winkelried waren; der andere Basler Hauptmann, Stolz, stand im hintern Haufen. Anschaulich treten einige Bilder aus dem Gewühle vor: ein Trupp Basler hat sich im Sumpfe verlaufen, kämpft für sich allein und gelangt erst, da die Schlacht gewonnen ist, wieder zum Fähnlein der Stadt. Barthli Radeck der Messerschmied liegt am kalten Weh krank im Schlosse Novara; aber wie er morgens früh das Schießen hört, springt er auf und eilt mit andern die Gassen hinab, hinaus in die Schlacht. Martin Springinklee stürmt die feindliche Artilleriestellung. Jörg Trübelman erobert aus dem dichtesten Franzosenhaufen heraus ein Fähnlein. Fünfundsiebenzig Basler blieben bei den Toten liegen.
Um die Mittagsstunde fand das furchtbare Ringen ein Ende. Von den über vierzehntausend Feinden lag die Hälfte tot oder schwer wund, die andern flohen. Es war einer der glorreichsten Tage der Schweizergeschichte, dieser Kampf ihre letzte siegreiche Feldschlacht großer Art.
Der Heerzug, der zu solchem Siege geführt hatte, war mitten im Hader zustande gekommen. Es war der „zwiträchtig kib“, von dem der Chronist redet; der Streit der Kaiserlichen und Päpstlichen mit den Franzosenfreunden, aber auch der Haß des Söldners auf den Pensioner und des Knechts, der in Todesgefahr die Schlacht schlägt, auf den Herrn, der
[31] die Schlacht befiehlt und das Jahrgeld eines fremden Herrn genießt. Diese Stürme tobten auch jetzt nach dem Siege. Überall war Mißtrauen. Man verdächtigte und hetzte. In Bern Luzern Solothurn zog die Bauernschaft gegen die Hauptstädte und zwang die Regenten, wider einige besonders Angeschuldigte einzuschreiten.
Deutlich sehen wir auch mit dem Wachsen des Kriegstreibens, mit der immer stärkeren Gelegenheit zu Gewalttat Beute und Ruhm die Wildheit allgemeiner, das Gleichmaß bürgerlichen Tagewerks unerträglicher werden.
Die in allen Richtungen aufgeregte Kraft drängte zu neuen Kämpfen.
Am Tage der Novaraschlacht selbst, 6. Juni 1513, hatte die Tagsatzung von einem Zug ins Burgund geredet. Der errungene Sieg ließ diesen Plan zunächst ruhen. Aber er wurde schon bald wieder aufgegriffen. Auch Basel fand, daß genug Mannschaft jenseits der Berge gezogen sei, und empfahl, nun den Feind an anderer Stelle zu suchen, „auf des Königs Erdreich selbst“. Kaiser Max trieb dazu und versprach Hilfe. Den stärksten Antrieb gab die Siegerstimmung dieses Novarasommers. Nie war das „weltselige Glück“ der Eidgenossenschaft stärker gewesen; im Bewußtsein ihrer Kraft traute sie sich zu. Alles zu vollbringen. Hiezu kam nun noch und wirkte vorab auf die Menge, daß es ein Zug sein sollte, bei dem kein Soldgeld dahinten bleiben konnte. Kein Zug infolge von Bündnis und Pensionenvertrag. Kein Zug zum Vorteil eines fremden Fürsten. In höherem Sinne als Pavier Zug und Novarazug ein frei und selbständig unternommener Zug.
Acht Wochen nach der Novaraschlacht, am 1. August 1513, wurde durch die Tagsatzung dieser Krieg gegen Frankreich beschlossen.
Das Gefühl des Großen und Neuen füllt alle Vorbereitungen. Schon der Umfang des Aufgebotes, sechzehntausend Mann, ging über das Bisherige hinaus. Zu diesen Aufgebotenen kamen neuntausend Freiwillige. Der allgemeine Wille zu diesem Zuge muß übermächtig gewesen sein; wie zu einem Feste drängte sich das junge Volk in die Heerhaufen.
All dies brausende Leben ergoß sich durch Basel; so strahlend und groß wie nie zuvor sah unsere Stadt die Kriegsmacht des Bundes. Dabei mochte sich der Eine oder Andre noch an die Weihnachtszeit von 1476 erinnern, da die Schweizer hier wider Karl von Burgund waren gesammelt worden. Aber damals waren es die durch Lothringen geworbenen Söldner gewesen; heute kam in diesen kriegerischen Scharen die Eidgenossenschaft selbst.
Zuerst wurde der große Wagen- und Geschützpark des Kaisers hier zusammengestellt; er rollte am 19. August hinweg nach Westen. Tags [32] darauf marschierte das Kontingent Basels ab: siebenhundert Mann. Hauptmann war derselbe Lienhard Grieb, der vor einem halben Jahr in Mailand und Rom Unterhändler und gelehrter Wortführer von Gesandtschaften gewesen war. Und dann strömte es vier Tage lang unaufhörlich durchs Äschentor herein, Zug nach Zug, daß die engen Gassen hallten. Geschlossene Gewalthaufen der Orte, Freischaren, kleine Gruppen der Mannen einzelner Ämter und Flecken. „Der recht kern von eerenlüten und fast wol gerüst und hübsch lüt.“ Über zwanzigtausend zogen so in Basel ein. Ihr Empfang, ihre Bewirtung und Einquartierung schuf den Basler Behörden viel Arbeit. Aber in welcher Fülle Schönheit und Kraft stand hier das helvetische Land den Baslern vor Augen! Eine Anschauung dieser gewaltigen Tatsächlichkeit geben schon die langen Ehrenweinlisten des Rates, noch sinnlicher die Aufzählung all der Banner und Fähnlein durch den Chronisten. Manches dieser rauschenden Seidentücher trug das erst vor kurzem durch Papst Julius ihm verliehene Schmuckstück.
Wie die Scharen gekommen, so zogen sie wieder fort, durchs Spalentor hinaus und gegen den Feind. Nur die Solothurner Berner Freiburger marschierten nicht über Basel, sondern durch das St. Immertal.
Am 6. September waren die letzten Scharen vor den Mauern Dijons eingetroffen. Die Stellungen für die Geschütze wurden hergerichtet, am 9. September konnte die Beschießung beginnen.
Schon vorher hatte der Kommandant des Platzes, La Tremoille, Verhandlungen angeknüpft; er empfand seine Schwäche diesen Eidgenossen gegenüber, die er vor kurzem bei Novara kennen gelernt hatte. Aber die Führer des Belagerungsheeres waren sich ihrer Macht nicht weniger bewußt, und dem entsprachen die Vertragsartikel, die in der Nacht vom 7. zum 8. September durch eidgenössische Ausschüsse, darunter Grieb, aufgesetzt und dem Gouverneur mitgeteilt wurden. Während die Beschießung geschah, wurde verhandelt; schon am 13. September konnte der Friede geschlossen werden. Er brachte den Eidgenossen, was sie wünschen konnten: den Verzicht Frankreichs auf Mailand und Asti; das Versprechen Frankreichs, ohne den Willen der Orte keine Knechte in der Schweiz zu werben; die Verpflichtung Frankreichs, eine Kriegsentschädigung von vierhunderttausend Kronen zu leisten. Sämtliches als Zusagen La Tremoilles, unter Vorbehalt der Ratifizierung durch den König Ludwig.
Damit hatte dieser Burgunder Zug schnell ein befriedigendes Ende gefunden; die Belagerung Dijons wurde aufgehoben, der Heimmarsch angetreten.
[33] Aber schon bald wurde bekannt, daß der König den Vertrag nicht anerkenne. Er hielt Mailand fest; die Geldmenge, die man gewonnen zu haben glaubte, kam nicht in das Land. Der nun ausbrechende allgemeine Unwille hat den Dijoner Zug um ein gerechtes Urteil gebracht. Sofort ertönten Reden, daß die eidgenössischen Hauptleute vor Dijon sich hätten bestechen lassen.
Es war aufs neue wie vordem. Eine furchtbare Erregung, eine schwere Gefährdung eidgenössischen Lebens. „Die Gemeinen rotteten sich zusammen wider die Obern.“ Ueberall stand das Volk auf; Freischaren bildeten sich, die ins Burgundische ziehen wollten. Man verlangte einen Rachekrieg gegen Frankreich.
Basel konnte wieder einmal seine exponierte Lage empfinden. Die nach Westen Drängenden suchten hier einen Durchpaß; im Sundgau wogte es von Kriegsvolk; Führer des Aufruhrs so gut wie französische Agitatoren fanden sich in Basel zusammen.
Die Stadt selbst stimmte einem nochmaligen Heerzuge zu. Sie erklärte, zu allen Beschlüssen stehen zu wollen, durch die den Franzosen Widerstand getan und das Herzogtum Mailand geschirmt werde. Als der Sforza im Mai 1614 von der Tagsatzung tausend Mann Hilfstruppen begehrte, riet Basel, zweitausend zu schicken. U. dgl. m. Durch Plakate warnte der Rat vor dem Betreten französischen Bodens und vor jedem Handel mit Frankreich.
Es war die Politik der großen Mehrheit der Tagsatzung: Festhalten an Mailand und Feindschaft mit Frankreich. Mit dem neuen Papste Leo X. hatte sich die Eidgenossenschaft am 9. Dezember 1514 verbündet, am 7. Februar 1515 schloß sie einen Bund mit dem Kaiser und mit Spanien. Die Versuche des neuen französischen Königs Franz I., sie zu Frieden und Freundschaft zu bereden, lehnte sie ab mit dem Begehren, daß er zunächst den Vertrag von Dijon zu anerkennen habe. Der Krieg war unvermeidlich.
Am 25. April 1615 erließ die Tagsatzung ein Aufgebot von viertausend Mann. Am 14. Mai folgte diesem ein zweites Aufgebot von vierzehntausend Mann; am 20. August, nachdem König Franz über das Gebirge in Italien eingedrungen war, ein drittes von siebentausend Mann. Dieses große eidgenössische Heer lagerte erst am Südfuße der Alpen in Piemont, seit der Mitte des Augusts in der Gegend zwischen den Seen und Mailand.
Die Eidgenossen waren ohne Unterstützung ihrer Alliierten. Dazu kam Ungenügen ihrer eigenen Rüstung und Vorbereitung, Uneinigkeit über den Operationsplan, Mißtrauen des gemeinen Mannes gegen einzelne Führer. [34] Für das merkwürdige Staatswesen dieser Eidgenossenschaft, das, ohne Geschlossenheit seiner Macht und ohne dauernde Einheitlichkeit des Zieles, fast wie unbewußt vor die größten politischen und militärischen Aufgaben geführt worden, war jetzt die Stunde des Verhängnisses gekommen.
Am 9. Mai zog aus Basel das erste Aufgebot ins Feld, zweihundert Mann unter Henman Offenburg; am 17. Mai trafen sie zugleich mit den Unterwaldnern in Novara ein. Infolge der zweiten Aushebung rückten am 25. Juni sechshundert Basler unter Hans Trutman aus. Endlich, bei steigender Not und Erregung, am 20. August das von Heinrich Meltinger befehligte dritte Korps von achthundert Mann. Sie marschierten nach dem Geheiße der Tagsatzung „beförderlichst“, über Luzern, den Gotthard usw. Unterwegs in Altdorf vernahmen sie durch Eilboten aus Schwyz, „daß die Unsern in Mailand ein unerlichen Abzug tun wellent“, was aber die Schwyzer nicht irre. Diese wollten „des nechsten uf Mailand ziehen“. Eilends drängten die Basler vorwärts.
Auch für unsere Stadt war es ein gewaltig ergreifender Moment. Als Äußerung der aus Stolz und Bangen gemischten Empfindungen, mit denen sie ihre Leute aushebt rüstet und marschieren läßt, kann der Ratsbeschluß vom 31. Mai 1515 gelten. Neben die schon lange bestehenden ehrwürdigen Feiern der Erinnerung an Sempach Héricourt Murten tritt jetzt eine neue Bezeugung offizieller Trauer und Ehrung. Da „nehmen die Räte die löbliche siegliche Schlacht von Novara zu Herzen“ und stiften bei den Augustinern eine jährlich am Pfingstdienstage zu begehende ewige Jahrzeit „zu Heil und Trost der Seelen aller Derjenigen, die in diesen letzten Kriegen von der Stadt wegen umgekommen sind und ihr Blut von unsertwegen vergossen haben und, wovor Gott sei, in künftigen Zeiten dergestalt umkommen werden“.
Dann das Warten auf die Entscheidung drüben, jenseits der Berge. Mit aller Deutlichkeit zeigen die von den Basler Hauptleuten beim Rat einlaufenden Schreiben die furchtbare Bedrängnis eidgenössischer Dinge.
Schon der Rückzug des Heeres aus dem Piemont vor den über die Berge hereinbrechenden Franzosen lähmte den Geist und lockerte die Disziplin. Die Eidgenossen gingen auseinander. Die Einen lagerten bei Monza, die andern beim Langensee. Und hier kam nun, die schon früher durch Frankreich begonnenen Verhandlungen schließend, am 9. September der Vertrag von Gallerate zustande, der das Herzogtum Mailand an Frankreich gab, den Eidgenossen aber die Zahlung der vor Dijon bedungenen Summe und erhebliche Kriegsentschädigungen Kriegshilfe jährliche Pensionen usw. zusicherte.
[35] Aber nur ein Teil der eidgenössischen Truppen beugte sich dieser Abrede. Während die Kontingente von Bern Freiburg Solothurn Biel sie annahmen und stracks nach Hause umkehrten, hielten die bei Monza gelagerten am Kriege fest. Auch Basel. Seine Führer und Truppen „willigten ganz nit“ in den Frieden. Sie wichen nicht mit den westlichen Orten. Sie wollten das vordem Gewonnene und „die Ehren unsres erlangten Lobes“ nicht preisgeben. Basel hielt wiederum zu den Orten des Gotthardpasses. Mit diesen und den östlichen Kantonen zusammen zog es am 10. September in Mailand ein.
Mit ihnen kämpfte es am 13. und 14. September bei Marignano die Riesenschlacht.
Eine erste, in Hast und Not hingeworfene Meldung der erlittenen schweren Verluste sandten die Basler Hauptleute sogleich nach der Schlacht; dann am 17. September von Lugano eine ausführliche Schilderung des Verlaufes, mit dem Sieg am ersten, der Niederlage am andern Tage. „Wir hand vil wunde.“ Dieser Verwundeten wegen konnten sie nur langsam heimwärts ziehen. Am 23. September waren sie in Sursee, im Laufe dieser Woche dann in Basel.
Wie sehr der Tag von Marignano als Katastrophe empfunden wurde, zeigt die sonst nicht übliche Aufzählung der Gefallenen in Akten und Chroniken.
Auf die Zeitgenossen wirkte das Ereignis ungeheuer. Die Eidgenossen hatten ihre Kriegstüchtigkeit gerade in den letzten Jahren auf so überwältigende Weise bewährt, daß jetzt ihre Niederlage Vielen erschien wie der Sturz eines Gewaltigen, der die ganze Welt geängstigt. Stolzeren Beginn des Regimentes als Franz I. hatte kaum je ein König gehabt. Er selbst pries sich in Inschriften als den ersten Bändiger der Schweizer. Der eine Sieg gab ihm Oberitalien und den Frieden mit dem Papste.
Marignano schließt die Zeit der großen Heerzüge, und wir haben Muße, das innere Leben Basels selbst uns anzusehen, zu hören wie hier das Volk sich einstellt, wie der Eingeborene, der Gast, der Neubürger Farbe bekennen. Auch das Parteiwesen ist durch die gewaltigen Erlebnisse in die Schule genommen, ist entwickelt und gesteigert worden. Von den Beratungssälen, den Heerstraßen Schlachtfeldern und fernen sonnedurchglühten Städten, wo Basels Handeln doch immer nur Teil eines viel allgemeineren Handelns ist, haben wir zurückzugreifen auf dieses Leben hier, das ganz auf eigenen Füßen steht. In ihm haben die Ereignisse ihre Vorbereitung, ihr Geleite und ihre Wirkung.
[36] Wir brauchen nur Weniges zu nennen. Der Kriegsgeist, der den Alten keine Ruhe läßt, ergreift auch die Kinder, sodaß sie sich Parteien und gegeneinander mit Fähnlein zum Straßenkampfe ziehen. Gengenbach aber in seinen Dramen vom Wälschen Fluß und vom Alten Eidgenoß, unter großartiger Reduzierung der Welthändel und Weltpotenzen in Formen der Alltäglichkeit, zeigt das frivole Spiel der Mächte; er stellt ihnen und ihrem Werben die Gestalt des alten biedern Eidgenossen gegenüber; er warnt vor dem falschen Schrei des gallischen Hahns. Als Dichter verkündet so Gengenbach dieselbe nationaldeutsche Gesinnung, zu der sich auf ihre Weise auch die Humanisten bekennen; für sie ist Basel ohne weiteres eine deutsche Stadt. Diese Gesinnung geht Hand in Hand mit dem offiziellen Verhalten. Daß daneben im Kreise von Handwerksgesellen Künstlern usw. Widerwille gegen Überrheiner laut wird, befremdet uns nicht. Es sind kleine Zänkereien des Moments, bei denen Lupolt Rumpolt ein „Saubayer“, Ambrosius Holbein und Andere „unmächtige Schwaben“ gescholten werden. Altes grenznachbarliches Übelwollen lebt, in das nun noch die wilden Geister, die der Krieg entfesselt, gefahren sind. Lokales Ruhmgefühl auch läßt den Gegensatz des Schweizerkriegers zum Landsknecht immer bewußter werden. Aber nirgends hiebei ist die Rede von anderer, von nationaler Parteiung. Der Basler, der auf den Schwaben schimpft, ist deswegen durchaus nicht ein Freund Frankreichs.
In dieses Gewoge von Stimmungen bringt Marignano ein jähes Erschrecken; es kann auch zu Gedanken neuer politischer Orientierung führen. Es ist der Moment, in dem Frankreich mächtiger dasteht als alle andern und die von ihm gedemütigten Schweizer zu Freunden haben will. Zugleich tönen über den Rhein her Schadenfreude und Haß. Alte Schmähworte werden dort wieder geläufig; die Freiburger Studenten singen ein Spottlied auf die Toten von Marignano; Ähnliches geschieht in Straßburg, in Hagenau. Und wir übersehen nicht, wie Solches hier in Basel verletzt, wie Manchen dieses häßliche Gebahren von Deutschen an die Seite Frankreichs treibt. Tumultuatur patria, ruft Glarean. Auch in Basel wankt da und dort die Gesinnung. Noch zeigt Gengenbach, im Spiele vom Nollhart, offen seine Erbitterung gegen Frankreich; der Büchsenmeister Bernhard schilt den Hans Erhart Reinhart wegen seiner Parteinahme für König Franz einen Verräter und Bösewicht. An Umtrieben zu Gunsten Frankreichs beteiligt, im Zürcher Bächlihandel, ist auch „Junker Wolf von Basel, hat ein hübsch gelw har, und zween mit im“. Jerg Trübelman, der Held von Novara, streitet 1516 auf Seite der Franzosen usw. All das ist nur zufällig Vernehmbares. Aber [37] es zeigt, wie neben den Regenten eine öffentliche Meinung steht, wie sie sich äußert, wie sie sich wandelt.
In der Schweiz kam nach der ersten Consternation über Marignano zunächst eine Erhebung in trotziger Festigkeit. Zehn Tage nach der Schlacht verfügte die Tagsatzung ein zweites Aufgebot in der Macht von zweiundzwanzigtausend Mann. Basel stellte hiezu sechshundert, die Jacob Meyer zum Hasen führen sollte. Die auffallend stattliche Rekrutierung dieser Schar, mit bekannteren und älteren Bürgern als bei andern Zügen, beweist, daß die Stadt zu Allem entschlossen, aber auch daß sie bei den Reserven angelangt war.
Doch blieb es beim Aufgebote. Die Eidgenossenschaft erkannte noch beizeiten ihre Isoliertheit, die Treulosigkeit ihrer Verbündeten. Und wie jetzt die politische Sorge an die Stelle des Trotzes trat, so erhob sich nun auch, die durch den Trotz noch darniedergehalten worden war, die Reue. Schon früh, auf dem Heimwege, das Grausen des Schlachtfeldes noch in Aug und Ohr, hatten die Basler Hauptleute nach Hause geschrieben: „Wir achten aber das für ein straf von gott.“ In dieser Stimmung des Insichgehens beschäftigte sich die Tagsatzung mit den Unfugen ihrer Truppen in Gotteslästerung Schändung u. dgl. und mit dem alten Übel der Pensionen: die Basler Behörde erleichterte sich in einem scharfen Sittenmandate.
Aber das politische Leben konnte nicht stillestehen. Vor Allem das Verhältnis zu Frankreich bedurfte der Ordnung. Die westlichen Städte, an Marignano nicht beteiligt, setzten durch, daß ein Ausgleich gesucht wurde. Bei den Verhandlungen hierüber, die im Spätherbste 1515 in Genf geführt wurden, ließ sich Basel durch Lienhard Grieb und Hans Gallizian vertreten; seine Meinung war, mit dem Sieger einen Frieden zu schließen, keineswegs aber auch ein Bündnis. Gleich ihm waren Uri Schwyz Zürich und Schaffhausen gesinnt. So waren es fünf Orte, die sich nur zu einem Friedensvertrage herbeilassen wollten; die ihnen gegenüberstehenden acht Orte strebten nach einer Allianz.
Basel erklärte gelegentlich, daß es von dem „Spiel“ überhaupt nichts mehr wissen wolle. Aber solche Resignation war unhaltbar. Es mußte etwas geschehen. Das Traktandum Frankreich beschäftigte unabtreiblich die Geister, und es gab nur die beiden Möglichkeiten des Friedens oder der Allianz. So leidenschaftlich umstritten, daß über dieser Differenz zeitweilig die Eidgenossenschaft selbst in Stücke zu gehen drohte. Kaiserlich oder französisch, Ghibellin oder Guelf waren die Schlachtrufe, denen gegenüber die Partei [38] der Patrioten vor Allem Eidgenossen zu sein mahnte. Zuletzt siegten doch die Einsicht und der gute Wille; die acht Orte fügten sich und verzichteten auf das Bündnis.
Basel wollte durchaus als Gegner Frankreichs angesehen sein, war aber zum Abschluß eines Friedens geneigt. Ende Oktobers gab der Rat seinen Gesandten Gallizian und Trutman entsprechende Instruktion, und am 29. November 1516, in Freiburg, wurde dieser Friede zwischen Frankreich und der Eidgenossenschaft geschlossen. Er bestimmte das Ende aller Feindschaft, regelte die Freiheit gegenseitigen Verkehrs und anerkannte die Vorrechte der Schweizer Kaufleute; die enetbirgischen Herrschaften mit Ausnahme des Eschentals und Domos blieben den Eidgenossen; auch erhielten sie Kriegsentschädigungen für die Mailänder Züge und den Dijonzug sowie die Zusage jährlicher den Orten zu zahlender Pensionen.
Dieser als ewige Richtung bezeichnete Friede nahm alte Beziehungen wieder auf und befestigte sie, die vor sieben Jahren abgebrochen waren; er wurde die Grundlage aller spätem Verträge mit Frankreich, vor Allem der nach fünf Jahren ihm an die Seite tretenden Allianz und Militärkonvention. Die Eidgenossenschaft gab damit ihren Geschicken eine Wendung für immer.
Noch bestand zu Recht das Bündnis von 1614 mit dem Papste, auf Grund dessen im Sommer 1517 Leo X. schweizerisches Fußvolk für den Krieg um das Herzogtum Urbino warb; es wurde an der römischen Curie beachtet, daß hiebei Basel der einzige Kanton gewesen sei, der dem Papst eine unbeschränkte Werbung zu gestatten empfohlen habe. Im Jahre darauf, 1518, bewilligte die Tagsatzung dem Papst einen Zuzug von zehntausend Mann wider die Türken, wozu Basel dreihundert stellen sollte.
Den Gedanken einer Verbindung mit Kaiser Max, der neben dem französischen Geschäfte der Tagsatzung nahe gelegt wurde, lehnte Basel ab. Aber es war kaiserlich genug, um im Frühjahr 1516 den Kaiser Truppen für seinen Feldzug gegen Venedig und Mailand werben zu lassen. Gerne hatte es kurz vorher das Privileg zur Prägung goldener Münzen vom Kaiser angenommen; auch von Erteilung eines neuen Freiheitsbriefes an Basel war bei diesem Anlasse die Rede.
Am 12. Januar 1519 starb Kaiser Maximilian, und Basel bezeugte in offizieller Weise seine Trauer über den Weggang des alten Herrschers durch ein am 16. Februar im Münster gefeiertes Requiem. Hier im hohen Chore, vor dem mit schwarzen Behängen überdeckten Fronaltar, stand der [39] Ceremoniensarg; ein faltenreiches Goldtuch war über ihn gelegt, an ihm lehnten die Wappenschilde des Reiches und des Hauses Habsburg. Beim dumpfen Geläute der Papstglocke strömte der Klerus der Stadt ins Münster samt der Menge der Parochianen; der Rat war vollzählig anwesend. Alle trugen Trauerkleider, Bischof Christoph celebrierte die Totenmesse.
Ein Jahr begann, das die stärksten Erregungen brachte. Angekündigt durch unheimliche Vorzeichen — die Erscheinung eines Basilisken im Birsigbette, Erdbeben, Teurung — und begleitet durch die Schrecken eines gewaltigen Hochwassers, einer verheerenden Epidemie.
Vor Allem ist zu sagen, daß Basel in diesem Jahre seinem Verhältnisse zum Reich eine neue Wendung gab; den Anlaß hiezu erhielt es durch die Verhandlungen mit Rottweil.
Von den Belästigungen Basels durch auswärtige Gerichte ist schon die Rede gewesen. Es war ein Zustand, der auch den Bund von 1501 überdauerte, nur daß Basel jetzt solchen Versuchen gegenüber die Hilfe der Eidgenossen haben konnte. Auch war es entschlossen, keine Einmischung zu dulden. Es erließ daher im Jahre 1517 das bestimmte Verbot jeglicher Appellation an das Reichskammergericht, mit der nachträglichen Interpretation, daß der Wunsch der Befreiung von diesem Gericht ein Hauptgrund des Bundes von 1501 gewesen sei. Auch im Widerstande gegen die gelegentlich mit Vorladungen usw. eingreifenden Richter des kaiserlichen Landgerichtes zu Rottweil blieb der Rat fest, und als die Tagsatzung über einen Bund mit der Stadt Rottweil verhandelte, beauftragte der Rat seine Gesandten, die Rechte Basels zu wahren; er verlangte die Ausstellung eines diese Rechte sichernden Beibriefes. Trotz diesem deutlichen Begehren wurde der Bund am 6. April 1519 ohne einen solchen Beibrief abgeschlossen. Die Folge war, daß Basel die Anhängung seines Siegels an die Urkunde verweigerte und seinen Gesandten befahl, sobald es sich um die Beschwörung des Bundes handle, aufzusitzen und nach Hause zu reiten.
Es war eine Verwahrung, die an sich nicht viel besagte. Aber der Rat ging noch weiter.
Da die Rottweiler Richter das einst vielberufene, 1488 in Antwerpen durch Kaiser Friedrich den Baslern erteilte Privileg, zu dessen Schirmern sie bestellt waren, nicht handhabten, sahen auch die Basler sich nicht mehr veranlaßt, dieses Privileg gelten zu lassen. Um so weniger, da sie seiner Gewährungen gar nicht mehr bedurften und auch tatsächlich, kaiserlichen Ladungen und Aufgeboten gegenüber, sich gar nicht mehr als Reichsstädter [40] fühlten und betrugen. Basel war wieder und wollte nun auch formell wieder sein, was es vor Antwerpen gewesen war: eine Freistadt. Wenige Jahre nach dem Rottweiler Bunde sprach es dies deutlich aus, die ihm zukommenden Aufforderungen zum Reichsdienste mit der Behauptung freistädtischen Wesens zurückweisend. Und auch hier wieder tritt neben die Worte der Akten das bildliche Zeugnis: noch im Jahre des Todes von Maximilian und des Rottweiler Bundes, 1519, ließ der Rat für den neuen Prunksaal im Rathaus eine Standesscheibe anfertigen, stolz und entschlossen ohne den Reichsschild, unter den vor dreißig Jahren das Antwerpner Privileg die Baselschilde gebeugt hatte.
Kaiser Maximilian war gestorben über den Vorbereitungen für die Wahl seines Enkels Karl von Spanien zum römischen König. Aber sofort nach seinem Tode begann der heftigste Kampf um diese Nachfolge. Neben Karl strebte der französische König Franz nach der Krone. Es war eine Rivalität, in der auch die Eidgenossenschaft Partei zu nehmen hatte. Sie erklärte sich mit Entschiedenheit gegen den wälschen Prätendenten, doch ohne sich für Karl auszusprechen; dieses Traktandum verband sich auch mit der Angelegenheit des Herzogs Ulrich von Württemberg und seines Kampfes wider den Schwäbischen Bund.
Wir sehen die Tagsatzung mit den Gesandten Zevenberghen Solier Pace verhandeln und folgen auch den Beratungen der einzelnen Orte. Basel will nur einen deutschen Fürsten als Haupt des Reiches; aber wenn König Franz zu den Waffen greifen sollte, so wird es auch dem Spanier die Truppenwerbung gestatten.
Es ist wiederum ein Schauspiel voll Leben, wie die allgemeinen Weltdinge in Basel ihren Spiegel finden in Literatur und heftigen Parteiungen. Einer ist wider den andern. Die Bauern überm Rhein aber spotten, daß der Stier von Uri in Mailand umgekommen und die Kuh seither eine Witwe gewesen sei, bis man ihr einen andern Mann, den Franzosen, gefunden habe, und daß sie nun in Basel die Hochzeit halten wolle. Auch innerhalb des Rates bilden sich die Gruppen.
All das Auf und Nieder, Für und Wider ist umgeben durch die farbenreiche und immer neue Bewegung, die zum Reize dieses internationalen Sammelpunktes gehört, und durch eine Fülle politischer Probleme und Arbeiten: die eidgenössischen Geschäfte, den Kampf mit dem Bischof, die territorialen Unternehmungen, die Besuche hoher Herren und Diplomaten. Zur selben Zeit, da der Sekretär des verstorbenen Kaisers Max mit dem [41] Rate konferiert, reist hier durch der Erzbischof von Reggio, Roberto Latino Orsini, als Botschafter Leos X., reich versehen mit Gold und Breven, um bei den Kurfürsten gegen Karl und für König Franz zu agitieren. Kaum ist er weg, so kommt in höchster Eile und mit wichtigen Briefen ein Kurier aus Rom an; er fährt sofort weiter, auf einem Kahne den Rhein hinab, um noch in Straßburg den Orsini einzuholen. Dann kann Graf Herman von Neuenahr, der nach Rom durchreist, den Basler Freunden erzählen, daß nicht weniger als drei Gesandte der Curie in Mainz gegen die Wahl Karls arbeiten, und Rhenan gibt diese Nachrichten nach Zürich an Schiner weiter. Mit den Meldungen von dem alle Welt in Spannung haltenden Wahlgeschäfte kommen aber auch sorgliche Nachrichten nach Basel. Es heißt, daß der französische König in Deutschland einfallen und mit den Waffen sich die Krone holen wolle, worauf Basel mit Aushebung und Rüstung eines Hilfskorps für Karl beginnt. Der Rat erfährt auch, daß Franz von Sickingen — vor wenigen Jahren durch einen großen Güterraub den Basler Kaufleuten bekannt geworden — jetzt ein Heer sammle und gegen Mülhausen und Basel ziehe, um diese Städte von der Eidgenossenschaft ab und wieder zum Reiche zu drängen. Aus Paris kommen Warnungen deswegen; Schwyz und Luzern versprechen Basel ihre Hilfe. Aber da und dort in der Schweiz geht auch die Rede, Basel selbst habe Schritte getan des Willens, von der Eidgenossenschaft ab und wieder zum Reiche zu kommen.
Endlich am 28. Juni 1519 wird Karl gewählt. Das ist die „römisch und hispanisch königliche Majestät“, mit der von nun an Basel zu verkehren haben wird.