Geschichte Dithmarschens
Leipzig.
Wilhelm Mauke.
1873.
Indem ich, lieber Müllenhoff, diese Blätter in Ihre Hand lege, möchte ich zunächst Zeugniß ablegen von der Freundschaft, die uns nun ohne die leiseste Trübung bald anderthalb Menschenalter verbindet. Als Lehrer und Schüler traten wir uns zuerst gegenüber; dann kehrten wir harm- und neidlos das Verhältniß um, als Sie mir zum Altdeutschen die Wege wiesen, und als Sie Ihren Hausstand gegründet, da wollte mich Ihre Liebe wieder und immer wieder zum Zeugen Ihres häuslichen Glückes haben. Hier aber habe ich mit diesem Zeugniß auch noch einen Dank zu verbinden für so manche Förderung, die Sie meinen Studien über die dithmarsische Geschichte angedeihen ließen. Sie haben wohl das Einzelne, obgleich es auch noch in die neueste Zeit reicht, meist vergessen; ich weiß es
[VI] noch. Und als Drittes trat zu diesen beiden der Wunsch hinzu, durch eine reinliche Darstellung der Geschichte Ihrer Heimath – vielleicht auch durch diese oder jene Untersuchung über dieselbe – Ihnen eine kleine Freude zu bereiten. Möchte von den dreien keines mich täuschen.
- Meldorf, den 15. September 1873.
[VII]
Am eignen Lebensabend ist es mir vergönnt, die Vorlesung eines Lehrers der Oeffentlichkeit zu übergeben, zu dessen Füßen ich als Jüngling mit Begeisterung gesessen habe, und zu der Gabe, die er Dithmarschen durch die Herausgabe des Neocorus gemacht hat, noch die zweite einer übersichtlichen Darstellung seiner Geschichte hinzuzufügen. Ich zweifle nicht, daß dieselbe die Aufnahme finden wird, die sie verdient. Trotz aller Entdeckungen, welche seit 1826 über die dithmarsische Geschichte gemacht sind, bleibt seine Darstellung doch bis zu diesem Augenblick bei weitem die beste und scheint mir deren Herausgabe schon darum erwünscht, weil alle älteren Werke darüber (Bolten, Viethen, Hanssen und Wolf) selten und vergriffen sind. Der Sinn aber für die Geschichte der Heimath ist Gottlob nicht erloschen im Lande und dieselbe wohl würdig, auch dem Forscher und Geschichtsfreund in neuem Gewande geboten zu werden. So lege ich denn das Werk vertrauensvoll dem Publicum vor. Dem Dithmarscher wird es willkommen sein nicht allein als Handbuch der heimischen Geschichte, sondern auch als Aufklärung über den Ursprung des nichtigen Wahns, der
[VIII] durch Dietrich Carstens Schuld vielfach in derselben spukt, und denen, die sich weiter in dieselbe vertiefen möchten, wird es nützlich werden durch Aufweisung der Quellen, aus denen sie zu schöpfen haben. Der Historiker aber wird es, hoffe ich, willkommen heißen, indem es die Resultate der Forschungen, die Dahlmann in den Anhängen zum Neocorus gegeben, in leichter, übersichtlicher Form dem Zusammenhang der Begebenheiten einreiht.
Das Originalheft, nach welchem die Veröffentlichung gemacht ist, befindet sich auf der Meldorfer Gymnasialbibliothek, der der Schreiber desselben, ein längst heimgegangener Schüler der Anstalt, Emil Carstens, Cand. theol., eine Abschrift seines Collegienheftes geschenkt hat. Der Text ist nach demselben mit möglichster Schonung von Ton und Haltung wiedergegeben; – daß dabei nicht mit peinlicher Aengstlichkeit verfahren werden durfte, liegt in der Natur der Sache. Wo den Hörer sein Ohr getäuscht und ihm verzerrte Namen untergeschoben hatte, wo die Hast des Schreibenden Verstellungen von Wörtern herbeigeführt, wo die Rücksicht auf die Nachschreibenden abgerissene Satzformen gewählt hatte, mußte dem Interesse des Lesers Rücksicht getragen werden; darüber hinaus ist das geistige Eigenthum des hochverehrten Verfasser gewissenhaft geachtet.
Eine Schwierigkeit ergab sich in Beziehung auf die Entdeckungen der neueren Zeit, die ja mit Nothwendigkeit mußten herangezogen werden, eine zweite rücksichtlich der Benutzung einer Quelle, die sich seit dreiundvierzig Jahren dem Herausgeber in der Kenntniß der Localitäten und der Natur des Bodens erschlossen hatte und die den Verhältnissen nach Dahlmann so nicht zu Gebote stand. Zu [IX] verweisen ist in dieser Beziehung auf die Karte der Herzogthümer Holstein und Lauenburg von F. Geerz. Das Bemühen, diesen Stoff heranzuziehen, hat die Excurse geschaffen: nur so ließ sich ein Eingehen und Forschen über mancherlei einzelnes Wissenswürdige mit der nothwendigen Schonung des Dahlmann’schen Textes vereinigen. Daß dabei hie und da ein Widerspruch gegen denselben auftauchen mußte, liegt in der Natur der Sache; in Polemik brauchte er nicht auszuarten: ich hoffe, er ist so gegeben, wie er einem dankbaren Schüler zusteht.
Dahlmann hatte den gesammten Stoff eingetheilt in drei Perioden; aber, wie es dem Docenten leicht begegnet, es hat die Zeit nicht ausgereicht, und das Heft schließt 1559, mit der zweiten, dem Heldenalter Dithmarschens, ab. Mit der dritten Periode aber, welche ganz fehlt, beginnt für Dithmarschen ein neues Zeitalter, und zwar gerade dasjenige, welches für die späteren Generationen das belehrendste ist, an welches sie vor allen ihre Fragen richtet, wenn von dem Ursprung der einzelnen Institutionen die Rede ist, die bis in die Neuzeit hineingereicht haben. Mit der Eroberung 1559 sinkt das alte Dithmarschen mit seinen Achtundvierzigern, Vögten, Schlütern ins Grab und es entsteht eine neue Ordnung der Dinge, eben die, welche sich bis 1866 erhalten hat, eine Periode, die, wenn auch minder stolz, doch nicht minder wissenswürdig ist, in der aber gar vieles im Dunkel liegt. Kaum erobert, gewinnt Dithmarschen sofort wieder eine Sonderstellung, in Recht, Regiment, Landesvertretung, Belegung mit und Befreiung von Steuern, Dinge, die wir in unserm Jahrhundert eins nach dem andern haben dahin fallen sehen, denen aber viel nachgefragt ist und nachgefragt wird. Dürfte da eine Geschichte [X] Dithmarschens sie von ihrem Kreise ausschließen? zumal da schon Neocorus in dem letzten Theil seiner Chronik vielfach schätzbares Material dazu geliefert, und da die Entdeckungen Michelsens in den Kopenhagener Archiven sich meistens auf diese Zeit beziehen und eine Basis dafür liefern. Mag auch zur Darstellung dieser Sachen eigentlich eine kundigere Hand gehören: ich habe das Bessere lieber nicht wollen zum Feind des Guten lassen werden. So habe ich gestrebt nach besten Kräften zusammenzustellen und zu forschen, was um so viel nothwendiger war, da Neocorus das Bestehende als jedermann bekannt voraussetzt und vom Regiment überall möglichst schweigt. Treffliche Dienste hat mir dabei eine handschriftliche Sammlung der gesetzlichen Erlasse für Norderdithmarschen geleistet, die mir von Lunden aus zur Disposition gestellt ist, wofür ich den dortigen Collegien den gebührenden Dank hiemit aussprechen möchte. So habe ich die Geschichte bis zum Ende des dreißigjährigen Krieges fortgeführt. Da abzubrechen bestimmten mich viele Ursachen: weil da die Chronik des Hans Dethleffs schließt, Neocorus’ Nachrichten und die Urkunden in Michelsens Urkundenbuch nicht einmal bis dahin reichen, weil da dasjenige, was das Land seine Privilegien nannte, gewonnen ist, vor allen Dingen aber, weil mit der von hier beginnenden Verfeindung der beiden herrschenden Linien die Geschichte der beiden Landestheile vollständig auseinander geht und sich als Einheit nicht mehr behandeln läßt. Wenn aber dieser letzte Theil an Ausführlichkeit die früheren überragt, so wird das durch den Wunsch, von dem vorliegenden Material nichts Wesentliches unbenutzt zu lassen, wohl entschuldigt werden.
Seite | |||
Vorwort | VII | ||
Einleitung: | |||
Leben des Neocorus | 1 | ||
Literatur der dithmarsischen Geschichte | 5 | ||
Neocorus, Russe, Schröder, Heimreich, H. Dethleffs, Steinmann, Carstens, Bolten. | |||
Eintheilung der Geschichte: | |||
Erste Periode: | |||
Abschnitt I | 17 | ||
Der Name Dithmarschen – Die Dithmarschen sind Ostphalen – Landesbeschreibung – Bewohner – Aelteste Geschichte – Religion der Sachsen – Meldorf – Hochbuchi. | |||
Das Bisthum Bremen. | |||
Erste Grafen – Dithmarschen von Stade getrennt, hereditas Idae | |||
Abschnitt II: Vom Jahre 1145 bis auf die Schlacht bei Bornhövede 1227 | 49 | ||
Dithmarschen unter Bremen – Anfang der holsteinischen Ansprüche (Presbyter bremensis) – Dithmarschen wendet sich an den Bischof von Schleswig – Ueberwältigung Dithmarschens und Holsteins durch die Dänen. |
[XII]
Abschnitt III: Von der Befestigung der Herrschaft des Erzbischofs von Bremen bis zum Frieden mit Gerhard dem Großen 1227–1323 | 60 | ||
Die Bevölkerung – Die Rechte des Bischofs – Die Kirchspiele – Die Hammen – Stadt Meldorf – Die Vögte – Ritter – Rathgeber – Der Hasenkrieg – Der Heereszug Gerhards. | |||
Abschnitt IV: Von dem Vertrage 1323 bis zur Schlacht am Oswaldusabend 1404 | 70 | ||
Der Willkommen des Erzbischofs – Die Verbindungen mit Hamburg und Lübeck – Der Krieg mit Holstein. | |||
Zweite Periode: | |||
Abschnitt I: Von 1404 bis zur Umgestaltung der Landesverfassung 1447 | 75 | ||
Unterhandlung[WS 1] mit Dänemark – Streit des Rolves Karsten – Die neue Verfassung – Die Achtundvierzig – Heide – Die Schlüter und Geschworenen – Landesversammlung – Wappen – Döffte – Stadt Lunden – Eideshülfe. | |||
Abschnitt II: Von 1447–1474 bis zur Belehnung König Christians I. | 93 | ||
Verträge mit den Grafen von Holstein und dem holsteinischen Adel. | |||
Abschnitt III: Von 1474–1500 bis zur Schlacht bei Hemmingstedt | 94 | ||
Die Belehnung des Königs – Klage beim Papst – Zurücknahme der Belehnung – Der mißlungene Eroberungskrieg. | |||
Abschnitt IV: Von 1500–1524 bis zum Anfang der Reformation | 100 | ||
Wolf Isbrands Tod – Befestigung von Meldorf – Das Kloster zu Lunden. |
[XIII]
Abschnitt V: Von 1524–1559 bis zum Untergang der Dithmarscher Freiheit | 101 | ||
Nicolaus Boie und Heinrich von Zütphen – Die Superintendenten – Aufhebung der Eideshülfe – Wiben Peter – Die letzte Fehde. | |||
Dritte Periode (Anhang): | |||
Abschnitt I: Die Zeit der Theilung unter drei Herrscher von 1559–1590 | 113 | ||
Abschnitt II: Die Zeit bis auf den Tod des Herzogs Johann Adolf 1616 und die Vorbereitungen des dreißigjährigen Krieges | 133 | ||
Abschnitt III: Die Zeit des dreißigjährigen Krieges bis auf den Tod König Christians IV. 1648 | 161 | ||
Excurse: | |||
I. | Die Literatur über die dithmarsische Geschichte seit 1826 | 183 | |
II. | Der Name Dithmarschen | 185 | |
III. | Die Urzustände der Marsch | 188 | |
IV. | Die Alterthümer Meldorfs | 195 | |
V. | Die Eindeichung der Marsch | 206 | |
VI. | Waren die Dithmarschen Sachsen oder Friesen? | 212 | |
VII. | Die Vögte und Geschlechter | 224 | |
VIII. | Die Bodengestaltung Dithmarschens, Hammen | 233 | |
IX. | Stadt und Kirche Meldorf | 240 | |
X. | Die Rathgeber | 247 | |
XI. | Der Friede von 1283, die Vertreibung des Adels und der Hasenkrieg | 252 | |
XII. | Seeraub, Seetrifft, Seefund, Verhandlungen über das Strandrecht | 256 | |
XIII. | Der Krieg 1319 | 259 | |
XIV. | Das Dominicanerkloster in Meldorf | 277 |
[XIV]
XV. | Der Krieg von 1402–1404 | 281 | |
XVI. | Die Händel zwischen Rolves Karsten und Kruse Johann | 290 | |
XVII. | Die Schlüter und Geschworenen | 293 | |
XVIII. | Die Zahl der Döffte | 294 | |
XIX. | Die Schlacht bei Hemmingstedt | 296 | |
XXI. | Fering und die Einsetzung der Landesgevollmächtigten | 301 |
[XV] Betrachten wir andere Theile der Geschichte und blicken wir hin auf die Geschichte überhaupt, so bietet sie uns einen reichen Stoff dar aus dem öffentlichen Wirken der Völker: wie sie gekriegt und Frieden geschlossen haben; wie sie unterdrückt und wieder befreiet wurden. Wie ihnen das Leben aber im engern Kreise, wie an Werkel- und wie an Festtagen dahinfloß, das sehen wir da nicht. Hier läßt sich einmal ein Volk so darstellen; hier tritt mächtig hervor des einzelnen Mannes Leben und Wirken. Und sieht man andererseits auf die Thaten des ganzen Volkes: – reich wäre die Geschichte, wenn oftmals so wenige so viel gethan hätten. Dies kleine Häuflein hat einmal kräftig im Norden in die Welthändel eingewirkt. Giebt uns dieses kleinen Volkes Geschichte auch keinen Ueberblick des ganzen oder doch eines großen Theils des Weltalls, so mag doch auch der Nutzen unserer vorliegenden Beschäftigung nicht gering sein, wird nur unser Sinn geschärft für Gemeinwesen, wovon so wenig in [XVI] den geputzten, modischen Geschichtswerken steht. Doch unpassend würde es sein, in geschmückter Sprache die Thaten einfacher Ackersleute darzustellen: nein! lieber einfach, lieber so nah als möglich der alten sächsischen Sprache, die nie verloren gehn, die nie, besonders nicht vom Geschichtsforscher, außer Acht gelassen werden sollte.
[1]
Unter allen Quellen, aus denen wir zur Förderung unseres Zweckes schöpfen können, ist bei weitem der reichhaltigsten eine aus der Mitte des Volks selbst: das Geschichtswerk des Neocorus, das bis dahin ziemlich bekannt, doch ungedruckt war.
Das Geburtsjahr des Schriftstellers ist unbekannt; doch muß es in die letzten Jahre vor dem Untergang der Freiheit der Dithmarschen (1559) fallen. Denn er verlebte sein Jünglingsalter in der für sein Vaterland so hart bedrückten Zeit, da es kurz nach der Eroberung in drei Fürstenthümer getrennt war. – Vermuthlich war Oldenwörden sein Geburtsort (im mittleren Landestheil); denn seine ersten Erinnerungen sind aus diesem Ort, woselbst sein Vater Adolf Philipp Schullehrer und zweiter Prediger war. Seine Mutter hieß Catharina.
Die Eltern bestimmten ihren Sohn Johann Adolf (Neocorus hat er sich selbst genannt) der geistlichen Gelahrtheit, und sandten ihn nur auf kurze Zeit, und nicht weit hinaus nach Helmstädt, wo im October 1576 eine Universität gegründet war. Von da aus lernte er das für ihn so merkwürdige Braunschweig kennen, dessen er oft gedenkt, zumal da er sonst sich nicht weit in der Welt umgesehen zu haben scheint.
[2] Nach kurzer Studienzeit, schon 1578, wurde er Schullehrer auf der Insel Büsum (und vermuthlich auch Küster zugleich, wie noch jetzt beide Stellen daselbst vereinigt sind) und dergestalt ging er aus dem mittleren Landestheil in den nördlichen über. Zuerst hatte er gepredigt auf einem Dorfe bei Helmstädt; er fuhr damit fort, und ward den 18. März 1590 zweiter Prediger in Büsum. Doch erlebten seine Eltern diese Freude nicht mehr; 10 Jahre vorher waren sie 8 Tage nach einander gestorben.
Zwei Jahre, nachdem er zum Capellan erwählt war, fiel ihm durch den Tod seiner Großmutter, die aus dem alten ausgebreiteten Geschlecht der Isemanns war, ein ansehnliches Vermögen zu. Jetzt schien dem wohlhabenden Manne seine Capellanei zu klein, von der kurz vorher noch ein Theil abgenommen war, und er trug darauf an, daß ihm ein größeres Haus erbaut werde, oder ihm gestattet sei, sich selbst eins zu bauen. Beides wird ihm abgeschlagen, besonders durch das Widerstreben des ersten Predigers Dirksen, und die Weisung hinzugefügt: „wie der Pastor in der Pastorei, so müssen auch der Capellan in der Capellanei und der Küster in der Küsterei zu finden sein“. Darauf wendet er sich zum Superintendenten; aber auch dieser, dem schon seine Erwählung nicht recht gewesen war, schlägt es ihm ab. Selbst einige Gemeindemitglieder waren ihm entgegen und verbreiteten das Gerücht, er habe seine Stelle niederlegen wollen, und suchten ihn so zu verdrängen. Die Landesherrschaft sah damals noch in dergleichen Dingen nach, denn zu neu war noch ihre Herrschaft und die Gemüther noch nicht genugsam vorbereitet, alte Gewohnheiten aufzugeben. Doch die übrige Gemeinde tritt heftig gegen solches Verfahren auf: zwanzig aus ihrer Mitte begeben sich nach Heide in die Landvoigtei; aber Landvoigt und Landschreiber weisen sie mit harten Drohungen ab. Da gehen neun erwählte Bevollmächtigte zur Landesherrschaft für den Capellan und bewirken für ihn Genugthuung und Vergrößerung seines Hauses und Einkommens. Er war dabei für einen Aufsätzigen und Verräther an seinem Prediger und Landvoigt gescholten, und [3] für einen Meuterer; allein er rief Zeugen auf und vertheidigte sich, und vierhundert redliche Unterschriften, wie er sagt, zu seinen Gunsten gesammelt, bezeugten seine Unschuld.
Nachdem er so gerechtfertigt war, 1595, konnte er sich zur Ruhe setzen; er begann über die Geschichte seines Vaterlandes nachzudenken, einen Plan dazu zu entwerfen und Sammlungen zu veranstalten. Am meisten zog ihn die Geschichte der Freiheit an, welche freilich weit hinter ihm lag; denn sie ging verloren, als er noch ein kleiner Knabe war. Aber die Erinnerung lebte um ihn; nicht weit entfernt von seiner Wiege, in der Nähe von Wörden, wo er den Plan zu seiner Geschichte faßte, wo er als Knabe gelebt und den Dannebrog aufgepflanzt gesehen, war der erste Entschluß gefaßt, die Freiheit aufzugeben, und Männer mit weißen Stäben dem feindlichen Heere entgegenzusenden. 1598 war Neocorus’ Arbeit so weit gediehen, daß er anfing, einen ausgearbeiteten Theil derselben ins Reine zu schreiben.
Doch nie beschäftigte so die Lieblingsarbeit den Geist des Mannes, daß er darüber das Wohl seiner Landsleute vergessen hätte, wie sich deutlich in Folgendem zeigt: Als sich in seiner Gemeinde schwere Klage gegen einen Kirchspielvoigt Kruse erhoben, trat er sogleich an ihre Spitze, und bald ward Bestrafung desselben erreicht. Denn schneller folgte damals als jetzt der Anklage die Strafe des Schuldigen. Verordnungen werden auch jetzt genug gegeben und treten in Kraft, will’s Gott! Eben so ging es schneller mit Unternehmungen und Plänen; Beredung und Ausführung gingen Hand in Hand; durch Zureden, Gegenreden, Handanlegung und thätigen Eifer ward das Werk schnell gefördert.
Schon in den Zeiten der Republik war ein sehr wichtiger Plan besprochen: die Insel Büsum mit dem festen Lande zu verbinden. Er war versucht, aber die Ausführung war nicht von Dauer gewesen. Jetzt dachte man von neuem daran, und der Herzog gab seine Einwilligung dazu. Die Sache war nothwendig und nützlich. Sie war nothwendig: denn sehr gefährlich war es, besonders zur Zeit des Winters, oft im mühseligen [4] Kampfe mit Sturm und Eis zur Zeit der Ebbe, zu Fuß, Pferd und Wagen über den Strom setzend, die Insel zu erreichen; und oft verschlang die ereilende Fluth Mann und Roß. Und auch nützlich war das Unternehmen; denn welch schönes Ackerland war, gelang es, gewonnen. Da griff man es ungemein eifrig an, mit Hülfe der Nachbarn arbeitete man von beiden Seiten, von der Insel und dem festen Lande aus, einander entgegen. Die mittlere Tiefe war schon ausgefüllt, durch Pfähle und Erde; und jeder war da mit seinem Fuhrwerk; Herren und Knechte, Kinder und Mägde schleppten Erdsäcke herbei, um die letzte Tiefe auszufüllen. Da nahte die Fluth heran: doch schreckte dieß die Arbeitenden nicht ab, trieb sie vielmehr zu verdoppeltem Fleiße, und als die Fluth da war, stand sie an beiden Seiten still. Die Arbeit gelang am Johannistag 1585. Der gute Anfang gab Muth. In den nächsten Jahren führte man nach der Nord- und Südseite hin Deiche auf und gewann großes Ackerland. Jedermann legte Hand ans Werk, auch Herr Johann Adolf (so nennt Neocorus sich selbst – Herr war in damaligen Zeiten die ehrende Auszeichnung des Adels und der Geistlichkeit) arbeitete selbst unverdrossen mit auf seinem Fuhrwerke; er glaubte, sein Fuhrmann sei nicht hurtig genug, und drohte mit dem Spaten. Jener fällt nieder und erstickt im tiefen Sande. Neocor selbst sagt: es sei ein kränklicher Schneider gewesen, der vor Schreck gestorben sei. Begreiflich jedoch ist es, daß die Sache ihn in äußere Unruhe versetzte, von der er aber bald, nachdem die Sache gehörig untersucht war, ehrenvoll befreiet wurde.
Aber war es nun eigne innere Unruhe, war es verfolgendes Mißgeschick: er sollte nie zur Ruhe kommen. Als 70jähriger Greis gerieth er wieder mit seiner Gemeinde in Streit, und theilte das Loos so mancher seiner Amtsvorfahren, welches er ahnend vorhergesehen. Er ward entsetzt, und dieß wohl nicht ohne Zuthun der Regierung, 1624. Er selbst nennt dieß Mißgeschick seinen Fall und spricht von seiner letzten Predigt vor seinem Falle.
Schon seit 1619 arbeitete er nicht weiter fort an seinem [5] Geschichtswerke, das er in der letzten Zeit annalistisch fortgesetzt hatte. Doch wenn er auch seit seinem Falle todt war für die Welt, so war er es nicht in Hinsicht seines Gefühls. Zur Zeit, da er noch Prediger war, war vorzüglich durch seine Mitwirkung eine Armengilde gestiftet worden, die in ihrem kleinen Umfange noch immer fortbestand. Ueber diese führte er die Aufsicht, und vertheilte ihr jährliches Einkommen. Dieß hatte er sich nicht nehmen lassen. Bis zum Jahre 1630 finden wir in diesem Gildenbuche seinen Namen, und da wird er, auch nach anderen Anzeichen, verstorben sein.
Betrachten wir nun erst, welcher Hülfsmittel er sich zur Ausarbeitung seines Werkes bediente, so finden wir unter diesen als die erste und vorzüglichste seine warme Vaterlandsliebe: denn dieß war ihm eine natürliche und wahre Quelle. Ferner sein Vertrauen in den Werth seines Stoffs; außerdem besaß er viele Belesenheit nicht nur in den Werken der neueren Zeit, sondern auch der alten. – Wie nun aber kam er zu den eigentlichen Quellen seines Stoffs? Forderte er etwa seine Landsleute auf zur thätigen Unterstützung eines Zwecks, der allen so sehr am Herzen liegen mußte? Keineswegs; auch hätte dieses bei der Lage der Dinge nicht viel helfen können. Denn Wasser in den überströmenden Fluthen der Westsee und Feuer durch die verheerenden Kriegsanfälle der Nachbarn hatten die meisten der alten Urkunden vernichtet. Zu diesem unersetzlichen Verlust kam noch hinzu, daß die Dithmarschen, gemäß der Capitulation von 1559, die wichtigsten Urkunden hatten [6] ausliefern müssen: wer zufällig oder mit Absicht etwas behalten hatte (und dies war bei nicht Wenigen der Fall) trat jetzt noch gewiß nicht leicht mit diesem gleichsam nicht rechtlichen Besitz hervor. Was aber die fortgeführten wichtigsten Quellen betraf, welche in den Händen der Landesregierung waren, so konnte diese, weil die Wunde noch so frisch war, es gewiß nicht gerne sehen, viel weniger es befördern helfen, daß eine Beschreibung der unterdrückten Freiheit bekannt gemacht oder auch nur verfaßt würde. So war, was verschleppt war, so gut wie unzugänglich. Reiste er denn vielleicht nach Bremen, der alten Landesherrschaft, oder nach Lübeck, der alten, zuletzt so falschen Bundesgenossin seines Vaterlandes; oder nach dem benachbarten Hamburg? – so könnte man fragen, geleitet von neuerem Gebrauche. Aber daran dachte man in damaliger Zeit noch nicht[1]. Was Ueberlieferungen gaben, da war er gewiß der Mann, es ganz aufzufassen. Die Sitten und Gebräuche seiner Landsleute waren damals noch im Ganzen dieselben als zur Zeit der Freiheit. In Absicht der Landesbeschreibung, des sichersten Grundes der Geschichte, wußte er sich zu helfen durch eigene Kunde und Forschung.
Frägt man aber, welche schon vorhandenen Geschichtswerke er benutzt hat, so finden wir, daß er, nachdem erst die Etymologien, Völkerverwandtschaften und Opinionen (wie er sie nennt) über die Abkunft der Völker abgehandelt waren, über die ältesten Zeiten vorzugsweise den alten Helmoldt zu Rathe zog; und über spätere Zeiten insbesondere die Schriften des gelehrten Hamburger Domherrn Albert Kranz (welcher 1517 starb mit Luthers Thesen in der Hand, die er nicht mißbilligte), dessen Saxonia viele dithmarsische Zustände berichtet, und treffliche Schlachtberichte liefert. Ueberdieß blieben nicht ganz unbenutzt Chyträus, Petersens holsteinische Chronik und Sebastian Münster. Des Neocorus eigenes Verdienst dabei ist das der [7] guten Anordnung, und der gefälligen, treuherzigen, und nach Landesart lebhaften Erzählung[2]. Und gelang es ihm auch nur die Zeit vom Anfang des fünfzehnten Jahrhunderts bis 1559 gründlich und lebendig in der Geschichte durchzuführen, so war der Geist der alten Dithmarschen der Vergessenheit entrissen, so war sein Hauptzweck erreicht.
Als ungefähre Zeitgenossen des Neocorus und Vorarbeiter desselben sind noch besonders zwei Landsleute zu merken: Johann Russe und Karsten Schröder. Ersterer, gebürtig aus Lunden, aber wohnhaft in Meldorf, hatte mit vielem Eifer und großen Kosten sich in den Besitz der besten Quellen gesetzt. Er sammelte alte Kriegslieder, historische Nachrichten, die in Kirchenbüchern, Missalien u. s. w. beigeschrieben waren, auch bekam er von seinem Vater und ältern Männern Aufzeichnungen. Henning Swyn, ein sehr gelehrter Rathsherr zu Lunden, meint, daß Johann Russe nicht blos gesammelt, sondern daß er auch ein Geschichtswerk vollständig ausgearbeitet habe, daß solches aber im Sturm auf Meldorf, 1559, in dem der Verfasser umkam, durch Muthwillen der fremden Soldaten vernichtet sei. Aber Neocorus sagt[3]: Russe’s Arbeiten hätten erst Licht und Ordnung erwartet; sie wären aber auf erwähnte Weise untergegangen. Indeß sind seine Sammlungen nicht ganz verloren; einen Theil derselben fand Westphalen auf, und ließ ihn in seinen Monumentis ineditis abdrucken[4], aber mit tadelnswerther Nachlässigkeit, wie die Vergleichung mit der Hamburger Abschrift lehrt. Einen andern Theil will man neuerdings in der Kopenhagener Bibliothek gefunden haben, wo auch das Original des ersten ist.
Schröder war der zweite Zeitgenosse des Neocorus, aber ebenfalls ein älterer; denn dieser kann seine Arbeit noch für das [8] Jahr 1590 benutzen (sie fängt an mit dem Jahre 1040). Bedauern müssen wir es, daß seine Arbeit bis jetzt wenigstens uns verloren gegangen ist[5]; doch haben wir einigen Ersatz dadurch, daß Neocorus sein Werk so vollständig benutzte. Außerdem wird jenes Werk von Anton Heimreich, in seiner kleinen dithmarsischen Chronik, unter seinen Quellen aufgeführt (er schrieb 1682). Es scheint auch, als wenn Hellmann, Verfasser der süderdithmarsischen Kirchengeschichte, es benutzte, und fast auch, als wäre es unter den Quellen gewesen, die Westphalen offen standen.
Die Arbeit des Neocorus ist freilich nicht als eine vollständige Landesgeschichte zu betrachten, sondern mehr als Zusammenstellung anderer Arbeiten, die aber zum Theil geleitet werden durch Urkunden, ja öfter durch Originalurkunden, und wir sehen deutlich, daß ungeachtet jenes Befehls der Sieger, alle Urkunden auszuliefern, dennoch viele derselben erhalten wurden, so daß Neocorus die wichtigsten unter ihnen allemal liefern konnte.
Außer jenen zwei wichtigen schriftlichen Arbeiten, die sich allein mit Dithmarschen beschäftigten, konnte Neocor auch noch solche benutzen, wo dieses nebenher behandelt ward. Für ein bündiges Zeugniß des dithmarsischen Märtyrers Heinrich von Zütphen hatte Luther selbst Sorge getragen. So ward dieser selbst ihm eine herrliche Quelle für die damalige Zeit. Auch hat er geschöpft bei Johann Ranzow, dem Vater, und Heinrich Ranzow, dem Sohn, welche beide, jeder für sich eine Geschichte der Eroberung Dithmarschens geschrieben haben. Denn wohl waren diese Feinde und Sieger, aber ehrenwerthe. – Was die spätere Zeit anbelangt, nämlich die der beginnenden Herrschaft, so hat Neocor die Kunde hierüber größtentheils aus eigener Erfahrung erhalten, theils auch aus der Erzählung Anderer: so citirt er häufig seinen Vater, Adolfus parens; theils, und ganz vorzüglich durch seine eigene Landeskunde. [9] Diese zeigt sich uns besonders aus einer Streitsache, welche die beiden Kirchspiele Marne und Büsum mit einander hatten über die Frage, zu welchem von ihnen die Insel Dicksand gehöre? wobei er in der von ihm genannten Commission war, und wo vorzüglich durch seine Landeskunde und durch den lebhaften Eifer in der Vertheidigung der Rechte seines Kirchspiels diesem jene Insel zugesprochen wurde.
Wenn wir dieses zusammennehmen, so scheint es allerdings, daß des Neocorus Hauptverdienst in der Sammlung, Sichtung und Zusammenfügung der vorgefundenen Arbeiten bestand. Doch wie sollte er auch anders? Wem es nicht zu Theil geworden ist, selbst in der kräftigsten Zeit seines Volkes zu leben, der kann nicht mehr: er muß von Anderen den Hauptstoff erborgen. Bei dem Allen thut Neocor es durch seinen Geist den anderen Historikern gleich: durch die Liebe, die er zu seiner Arbeit mitbringt, und dann nicht weniger durch seine ungemeine Unpartheilichkeit, nicht mit höhnischer Verachtung auf den jetzigen unglücklichen Zustand seines Volkes hinblickend, nur mit Theilnahme, wenn auch mit tadelnder; endlich durch seine vaterländische Schreibart.
Was bleibt uns denn noch zu dem Verdienst des Neocorus bei gegenwärtiger Behandlung hinzuzufügen? Zunächst die Benutzung der Arbeit eines schlichten Landmannes aus Windbergen: Hans Detleffs, der 1630 schon des Neocor Werk an sich brachte. Er beschloß aus demselben einen Auszug zu machen, den er im Ganzen sehr verständig zu Stande brachte, obwohl nicht mit tiefer Sachkenntniß. Er berichtigte auch manches aus Nachrichten, die er aus guter Hand erhalten, und führte die Geschichte fort bis zum Jahre 1649. Doch weil an den Druck des Werkes von Neocorus noch nicht gedacht werden konnte, wegen der herrschenden Meinung der Landesherrschaft, weil ferner der Auszug kürzer, und demnach wohlfeiler, abzuschreiben war, so ist es diesem Werke fast ergangen, wie dem Saxo Grammaticus, der, vielfach ausgezogen, beinahe verloren gegangen wäre. Dieser Auszug des Neocorus wurde wiederum abgekürzt, und so entstanden mehrfache Auszüge, welche zugleich [10] Fortsetzungen waren. Unter denen, die sich damit beschäftigten, ist vorzugsweise Steinmann zu nennen, der die Geschichte bis zum Jahre 1680 fortsetzte; andere sogar ins achtzehnte Jahrhundert hinein.
Vieles hierher Gehörende ist vorzüglich in der letzten Zeit aufgefunden worden, und vieles kann gewiß noch mit Eifer und Glück gefunden werden: sowohl in der ehemaligen Gottorf’schen Bibliothek, die jetzt in Kopenhagen aufbewahrt ist, als in den Archiven und Bibliotheken der früher mit Dithmarschen so eng verbundenen Städte Hamburg und Lübeck, und an allen drei Stellen ist schon vieles aufgefunden worden, von dem man früher glaubte, daß es verloren sei. Einen bedeutenden Beitrag bietet uns die Kenntniß des alten Landrechts dar, dessen Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte bis dahin viele Schwierigkeiten darbot; jetzt aber wohl bald, da es von kundiger Hand bearbeitet wird[6], als weniger schwierig sich darstellen wird. Dazu kömmt der Fund des Stadtrechts von Lunden, verschiedener alter Kirchspielsbeliebungen, und endlich, daß man hoffen darf, daß das alte Denkbuch (det Landes Denkelbooke), in welchem die Beliebungen der Acht und Vierziger aufbewahrt sein sollen, nach einigen Spuren nicht 1559 mit untergegangen ist, also man hoffen darf, es noch wieder zu finden.
Aus dem Vorigen leuchtet klar ein, daß im Ganzen sehr viel zur Bereicherung unseres Stoffs gethan, wenigstens die Bahn gebrochen ward, auf welcher fortschreitend man zu einem genügenden Resultat wird gelangen können. Doch eins muß noch erwogen werden: wäre nicht vielleicht schon durch Funde, die in neuerer Zeit gemacht wären, des Neocorus Arbeit übertroffen?
Unter diesen Funden nennen wir zuerst die kleine lateinische Chronik von Cornelius Hamsford: durch diese geschieht es nicht; denn sie wird immer dem Historiker nur geringe Ausbeute gewähren und ist fast inhaltslos zu nennen. – Dann ein Werk [11] von Dietrich Carstens, Sohn des Predigers Johann Carstens zu Windbergen; daselbst geboren 1693. Er ward 1732 Diakonus zu Wörden, woselbst er als erster Prediger 1760 starb. Vielen ist er schon bekannt als ein solcher, der bedeutende Funde an Chroniken gethan haben soll. Er hatte die Kirchengeschichte sich zum Ziele gesetzt, und hatte schon, als er zum Diakonus erwählt war, eine Handschrift in Arbeit, worin er die Kirchengeschichte Dithmarschens von Anfang an bis auf das Jahr 1679 geführt hat. Der lange Titel derselben fängt an: „Dithmarschens Kirchengeschichte, worin von der ersten Verkündigung des Evangelii u. s. w. gehandelt wird“, 313 Seiten in Folio, eng geschrieben. Nach der Vorrede war dieselbe vom Verfasser dem Drucke bestimmt, wovon ihn aber abschrecken mochte, daß fast gleichzeitig zwei größere Werke dieses Inhalts erschienen: Anton Viethens Beschreibung des dithmarsischen Landes, Hamburg 1733 und Hellmanns (Pastor zu Marne) kurzgefaßte süderdithmarsische Kirchengeschichte, ebendaselbst 1735. Die in diesen gesammelten Dinge mögen Carstens zu einem neuen Studium seiner vaterländischen Kirchengeschichte angetrieben haben, und so beginnt er nach einigen Jahren eine neue Handschrift, wo wir ihn ganz unerwartet mit einer Menge Hülfsmittel ausgerüstet finden, mit Handschriften der wunderbarsten Fülle und Neuheit. Unter diesen heben wir nun folgende heraus: Johann Russe’s Chronik, 85 Hefte in Folio, von der er freilich selbst sagt, daß sie ohne Namensunterschrift gewesen sei; daß er aber am Ende den Namen Johannes gefunden habe, mit dem Hinzufügen, soeben hätte man dem dänischen Herrn vor Meldorf den Absagebrief gesandt, so daß es scheint, als wäre Johann Russe gleichsam aus dem Studierzimmer auf das Schlachtfeld geeilt, wo er nach allgemeiner Meinung seinen Tod gefunden habe. Dieß würde freilich übel stimmen mit unserer Nachricht von jenem Mann, daß er nur gesammelt, nicht selbst ausgearbeitet habe. Das Zweite wäre die einzig wahre und zuverlässige Chronik der Voigtemanns, einer der ersten Familien des Landes: 3 Alphabete und 5 Bogen auf Pergament, 2 Alphabete und 4 Bogen auf Papier stark; sie habe geendigt mit dem [12] Jahre 1558. Dann Johannis Aldolphi dithmarsische Chronik: man sollte meinen, dieß sei die Handschrift des Neocorus gewesen; jetzt aber meldet er uns, er habe sie gesehen auf Pergament, und des Neocorus Handschrift ist auf schlichtem Papier. Ferner Heinrich Ranzows eigenhändige Nachrichten. Dazu noch eine ganze Anzahl von anderen, von einem Bruhn, einem Rhode, Johann Ricks, Grot Hans Peter vom Wetterwall bei Eddellak, und endlich von Johann Böetius (Boje). – Aus dieser reichen Quellenfülle hat Carstens nicht eine einzige abgeschrieben, und sie so der Kritik der Nachwelt übergeben, wofür dieselbe ihm sehr dankbar gewesen wäre. Von so trefflichen Hülfsquellen geleitet, begann er nun die Ausarbeitung seiner zweiten Handschrift unter dem Titel: „Ein roher Entwurf der Kirchengeschichte Dithmarschens bis zum Jahre 1770, aus authentischen Urkunden also verfaßt von Carstens.“ 1748 begann er die Arbeit.
Hier drängt sich uns die Frage auf: woher denn auf einmal diese übergroße Fülle von Handschriften, die vorher ganz unbekannt war? Auf Drage (einem älteren Ranzow’schen Besitzthum) will er die zwei vorzüglicheren verglichen haben. Dagegen müssen wir aber bemerken, daß Drage freilich früher den Ranzows gehört hatte, daß aber ein Reichsgraf Ranzow 1722 wegen eines Brudermordes seine Reichsgrafschaft verlor, und daß der König da auch Drage einzog. Christian VI. verlieh das Gut dem Markgrafen Friedrich von Culmbach, der es Friedrichsruhe nannte. Nachher fiel Drage wieder an den König zurück. Carstens aber erzählt, sein Bruder sei dort Verwalter gewesen, und bei diesem will er jene Quellen benutzt haben. Wir sind aber noch im Besitz einer Güterliste der Ranzow’schen Familie aus jener Zeit, wo indessen Drage nicht mit aufgeführt wird. Eine übergroße Bescheidenheit war es auf jeden Fall, daß Carstens in der Vorrede selbst erzählt: er könne ganz andere Dinge berichten, als woran man bis jetzt gedacht habe, denn er sei im Besitz vieler alter Chroniken; aber die Betrachtung, daß dieselben Niemand recht bekannt seien, hätte ihn bewogen, dieses nicht zu thun; er wolle sich [13] lieber auf Bücher berufen, die gedruckt, oder wenigstens den Gelehrten nicht unbekannt wären. Diesem wäre ja leicht abzuhelfen gewesen, wenn er einige Auszüge aus seinen Quellen gemacht, und solche der Beurtheilung der Mit- und Nachwelt übergeben hätte. Auch ist allerdings merkwürdig, daß sein unmittelbarer Nachfolger Bolten auch nicht ein Excerpt, was dieser aus jenen Chroniken hätte, hat auffinden können. – Beide Handschriften von Carstens sind jetzt ein Eigenthum des Herrn Advocaten Böckmann in Meldorf, der die Güte gehabt hat, sie mir zur Vergleichung und Durchsicht zu übersenden[7].
Jenes, was das Gut Drage betrifft, abgerechnet, so läßt sich noch mehreres gegen die Authenticität der Quellen einwenden. Wenn man zuerst die wörtlichen Auszüge betrachtet, die Carstens uns mitgetheilt hat, so ist die Sprache in denselben durchaus keine altsächsische, sondern eine neuere, wie ich deutlich erkenne. Ferner enthalten sie sehr vieles über Dinge, sie die denselben sehr wahrscheinlich fremd waren, wie z. B. über heidnischen Cultus; dagegen sind sie über Dinge, deren Kunde ihnen sehr eigen sein mußte, ganz verschwiegen, wie namentlich über die Erbauungsjahre der dithmarsischen Kirchen. Es findet sich nämlich ein Blatt von Carstens’ Hand in die Chronik eingeklebt, auf welchem ein Verzeichniß der dithmarsischen Kirchen mit ihren Erbauungsjahren steht, worauf viele namentlich zu spät angegeben sind. So alte Chroniken hätten ihn vor dergleichen Hauptfehlern sichern müssen. Dann ist auch eine ausführliche Stelle aus jenen Chroniken angeführt, die aber aus dem Neocorus entlehnt zu sein scheint; mißlich ist es freilich, dieß hier zu berühren. Die Stelle betrifft nämlich die alte große Bewaldung von Dithmarschen, und enthält die einfache naive Erwähnung, daß ein Eichhörnchen von Meldorf bis an die Landesgrenze von Baum zu Baum habe springen können, ohne die Erde zu berühren; und dieß steht wörtlich im Neocorus. Seite 8 in der Voigtemann’schen Chronik will [14] Carstens sie gefunden haben; also muß diese, da sie so früh in derselben stand, nicht sehr alt gewesen sein.
Betrachtet man nun[WS 3] die sächsische Sprache genauer, so findet man schon einen sehr merklichen Unterschied in der Sprache des Johann Russe und des Neocorus; einen ungleich größeren von dem Landrecht von 1447. Bei weitem älter mußte aber noch die Voigtemann’sche Chronik, und ganz besonders im Anfange, sein. Doch das ist die Sprache nicht; sie scheint dagegen noch neuer. So kommt „Grenzpfahl“ darin vor, was die alte sächsische Sprache durch „Stapel“ bezeichnet hätte. Ferner lesen wir da: „op idel Böm“, was freilich jetzt ziemlich allgemein ist; in den ältern Schriften möchte man es nicht finden, selbst nicht im Neocorus. Dann wird auch das Jahr 1440 als ein sehr altes betrachtet, was verhältnißmäßig die Voigtemann’sche Chronik sehr jung macht, und dieß soll schon stehen Seite 8, und endlich bleibt es doch immer auffallend, daß der erste Theil der so alten Chronik nicht lateinisch abgefaßt war. Dieß alles zusammengenommen wird man es wenigstens entschuldigen, wenn man Bedenken trägt, in der dithmarsischen Geschichte von dem, was Carstens berichtet, Gebrauch zu machen.
Nachdem so jener alten Quellen Erwähnung geschehen, muß noch ein Wort von Boltens Arbeit gesagt werden. Bolten, als er sein Werk begann, Prediger zu Wörden, später zu Altona, gab dasselbe in 4 Bänden heraus. Betrachten wir seine Arbeit genauer, so stellt er sich, was seinen Stoff betrifft, uns als sehr bedeutend dar. Selten werden jetzt so viele Jahre, und dabei so große Beharrlichkeit, begleitet von so schätzenswerther Auffindung, auf einen Stoff verwandt. Er hat nicht nur des Neocorus handschriftliche Arbeit, sondern auch manche andere schätzenswerthe alte Urkunden benutzt. Vermissen läßt sich freilich manches in seinem Werke; doch muß man dieß schon lange gelobt haben, ehe man anfangen darf, es zu tadeln. Zuvörderst vermissen wir freilich bei ihm genaue Kenntniß der altsächsischen Sprache in den Quellen, weswegen er oft irregeführt wird, manches aber lieber unterdrückte, wenn [15] er es nicht genau verstand, wogegen Viethen lieber auch dies wörtlich angeführt hat mit dem Bekenntnis, er verstehe es nicht. Um so mehr müssen wir es bedauern, weil jene alten Quellen alle noch ungedruckt waren. Dann kann namentlich in der ältesten Geschichte getadelt werden, daß Bolten zu sehr vertraute jenen Carsten’schen Quellen, und endlich fehlt es ihm auch am rechten Sinn für die ältesten Zustände und Verfassung Dithmarschens, welches aber mehr ein Fehler der Richtung der Zeit, als Boltens eigene Schuld war[8].
Ehe wir aber mit der Darstellung der Geschichte unseres Volks selbst beginnen, möchte es wohl zur leichtern Uebersicht des Ganzen von Nutzen sein, zuvor die Hauptperioden anzugeben, nach welchen unser Stoff zu behandeln sein möchte. Von diesen wird
die erste uns führen bis zum Anfang des 15. Jahrhunderts hin;
die zweite wird die Geschichte des 15. Jahrhunderts bis zum Falle der Freiheit im Jahre 1559 darstellen
und
die dritte die spätere Zeit umfassen.
Was die erste Periode betrifft, so werden wir uns in dieser verhältnißmäßig kürzer fassen müssen, da wir in dieser von historischer Gewißheit verlassen sind. Die zweite können wir als im klaren Lichte der Geschichte stehend oder, wie wir hoffen, sie dahin bringend, mit möglichst genauer Ausführlichkeit behandeln. Was die letzte betrifft, so werden wir uns wieder kürzer in derselben fassen, nicht als sähen wir die Geschichte dieses Volkes für ein Eigenthum des Alterthums an: nicht so, sondern weil in Wahrheit für diesen Abschnitt in der Geschichte des inneren Zustandes nichts urkundlich vorhanden [16] ist, so daß man nicht wagen darf, bestimmt zu sprechen. Außer dem, was Bolten uns hierüber geliefert, verdienen noch einige geistreiche Männer genannt zu werden, die uns Einiges darbieten: Vollmacht Mohrs „Verfassung Dithmarschens“, Altona 1820, und Pastor Harms’ „Vermischte Aufsätze publicistischen Inhalts“, 1816. Diese sind immer der Beachtung werth, obwohl sie uns die Quellen nicht ersetzen können, deren Kunde uns mangelt.
[17]
Bevor wir uns zum Hauptstoff hinwenden, sind folgende Unterabtheilungen zu merken:
Um nicht gleich hineinzutreten in die Darstellung der ersten Zeit unsers Volks, wollen wir zuvor in kurzer Berührung des Namens des Landes und Volkes erwähnen; nicht als erkennten [18] wir es für eine Pflicht des Historikers, den Namen immer zuvor zu etymologisiren, sondern insbesondere deswegen, weil man sich in der letzten Zeit soviel damit beschäftigt hat.
Die älteste Erwähnung des Landes haben wir zu suchen bei Ancharius in seiner Lebensbeschreibung des heiligen Willehad, ersten Bischofs von Bremen. Es heißt hier Thiatmaresgaho, Dithmarsgau[9]. Adam von Bremen nennt die Einwohner Thetmarsgohi, Dithmarsgauer. Warum sollte man nun, gestützt auf solche Quellen, sich noch aufhalten bei den so oft erwähnten Marsen und sie so in Verbindung mit den Römern setzen? warum sollte man sich bemühen, einen alten Grafen Dithmar aufzufinden[10], dem sie unterthänig sein sollten? Der Name selbst führt uns auf das Meer hin, oder die Marsch, die eben als meerisch vom Meere den Namen führt. Auch schrieben sie sich selbst Dithmarschen und so in lateinischen Urkunden: Dithmersi oder Dithmerschi. Wenn wir weiter umherblicken auf andere altsächsische Namen, wie auf die Eismerschen, Wismerschen, so finden wir immer, daß das Meer eine Hauptrolle in denselben spielt. Mag es auch dabei immer zweifelhaft bleiben, ob Dith, wie das lateinische dis, Trennung vom Meere bedeutet, oder Annäherung an dasselbe. – Freilich bleibt uns dabei noch die Frage übrig: ist diese Meinung eine etymologische, also eine wirkliche, oder hat sie irgendeine historische Bedeutung? und letzteres ist wohl im höchsten Grade der Fall. Sie scheint zu ruhen in einer Stelle des Adam von Bremen, Buch 1, Cap. 8, wo er die drei Sachsenstämme in Nordalbingien aufführt. Sie lautet: Trans Albim Saxonum populi sunt tres: Primi ad Oceanum sunt, Thetmarsgohi et eorum ecclesia mater est in Melindorp. Secundi Holsati dicti, a silvis appellati, quas colunt: prope eos fluit flumen Stura; Scanefeld est eorum ecclesia. Tertii [19] et nobiliores Sturmarii dicuntur eo, quod seditionibus ea gens frequens aditur.“ Aus dieser Stelle erhellt klar, Adam von Bremen wollte nicht nur die drei Sachsenstämme nennen, sondern auch eine Erklärung der Namen geben. Von den Stormarn sagt er: dieser Stamm sei so genannt worden, weil er so unruhig, wobei beiläufig zu bemerken ist, daß man nicht, wie gewöhnlich zu geschehen pflegt, Stormarn von Sturm ableiten darf, sondern von „Stor“ , welches in der altsächsischen Sprache seditio bedeutet, so wie „Storinge“ pugna, womit wohl unser „stören, störrig“ verwandt sein mag.
Dithmarschen machte demnach einen Theil von Nordalbingien aus, oder besser von Nordalbingen, denn dieß ist das eigentliche alte Wort; so nennt auch Neocorus das Land. Nordelbingen wurde Nordalbinga schlecht latinisirt, und daraus machte man nachher unüberlegter Weise Nordalbingien. Nordelbingen und die nordelbingischen Sachsen gehörten zu den Ostfalen, und vergeblich ist die Bemühung eines dänischen Gelehrten Visbye, der (in einer 1826 erschienenen Darstellung Holsteins zur Zeit Karls des Großen) die Sache ganz anders darstellt. Er will gegen das Zeugniß der alten Chroniken zu der Eintheilung der alten Sachsen noch eine hinzufügen, und wünscht dabei mehr, als er es zeigt, daß Holstein damals den Dänen unterworfen gewesen sei. Wir haben als Bestätiger unserer Meinung den Monachus Aingulamensis (von Angoulême), der mit den klarsten Worten erzählt, daß die Nordelbinger oder Sachsen zu den Ostfalen gehörten. Visbye stützt sich bei Aufstellung seiner Meinung vorzüglich auf die Lage der Festung Hochbuchi, welche von Karl dem Großen gegen die Einfälle der Dänen gerichtet gewesen sein soll, nachdem er Nordelbingen bezwungen. Doch diese heißt ausdrücklich orientalium Saxonum praesidium.
Von einer Landesbeschreibung in Bezug auf die älteste Zeit kann nicht ohne Fiction die Rede sein, doch läßt sich mit großer Gewißheit vermuthen, daß es in den allerältesten Zeiten neben dem jetzigen ein bedeutendes Insel-Dithmarschen [20] gab[11]; oder wenigstens war alles nicht in dem Zustande wie jetzt. Doch wollen wir die näheren Bestimmungen unserer Meinung hierüber bis an einen spätern Ort verschieben, wo es passender erzählt werden möchte. So war gewiß damals die Eider nicht so streng begrenzend, wie jetzt: sie glich vielmehr einem Bache, der sich in mehrere Kanäle theilt, als einem Strom. Das hohe Land, die sogenannte Geest, war sehr bewaldet, und namentlich reich an Eichwäldern. Die Niederung, die Marsch, lag auch keinesweges unbewohnt, zu welcher Meinung Neocorus hinneigt, obwohl er darin nicht Unrecht haben mag, daß später viele Geschlechter die Geest verließen und hinabstiegen in die Marsch. – Wenden wir unsern Blick hin auf Leben und Wohnung dieser die Niederung bevölkernden Dithmarschen, so giebt Plinius im Anfange des 16. Buches seiner Naturgeschichte uns vielleicht das treueste Bild hievon. Er schildert die Anwohner der Nordsee: „illic misera gens tumulos obtinet altos, ut tribunalia structos manibus, ad experimenta altissima aestus“. Sie wohnen ausgesetzt der zwei Mal am Tage anströmenden Fluth, welcher sie nichts entgegenzusetzen haben als Wohnungen auf hohen Plätzen (welche entweder die Natur ihnen bot, oder die Menschenhände aufgethürmt hatten), so daß sie vor der höchsten Fluth, die sie erfahren, Schutz gaben. Gemeint sind auf Wurthen stehende Häuser. Und eben in der Marsch erkennen wir noch deutlich sowohl am Boden selbst, als an den Namen der Dörfer, wie Ammerswurth, Busenwurth, diese alten Wurthen wieder. So liegt Alden-Wörden, früher Olden-Wurden, auf einem solchen Erdhügel, der 20 Fuß über der Marsch erhaben und so ausgedehnt ist, daß die Kirche und der ganze Ort auf demselben steht. Auf solche künstliche Anhöhen, welche die Marschbewohner [21] schützen konnten vor der anströmenden Fluth, geht augenscheinlich die Stelle des Plinius, der sich wundert, daß so unglückliche Leute es noch für ein Unglück halten konnten, von den Römern unterjocht zu werden. Auf ihren Wurthen, von den Wellen umgeben, erschienen sie den Schiffenden gleich. Plinius traut ihnen kein Vieh zu, das sie doch wohl haben konnten und nach unsern Erfahrungen auch wohl hatten, wenn man nämlich nur an die Halligenbewohner denkt. Fischfang, meinte er, bringe ihnen hauptsächlich die Nahrung; ihre Netze seien von Binsen; sie brennen getrocknete Erde, d. i. Torf; ihr Getränk ist Regenwasser, gesammelt in Gruben vor den Häusern[12].
Hier möchte es wohl am Orte sein, etwas zu bemerken über die Bedeutungen einiger Wörter, die leicht zu Mißverständniß Anlaß geben könnten. Palus ist nicht Sumpf, sondern Marsch. Aridum heißt die Geest, das trockene Land, im Gegensatz gegen die feuchte Marsch. Auch „Heide“ hatte nicht den Nebenbegriff der Unfruchtbarkeit, sondern es scheint „hoch, Erhöhung“ zu bedeuten: denn heth ist hoch: wie noch jetzt in Schottland Hethland das Hochland ist.
Wenden wir aber unsern Blick hier auf die älteste Bevölkerung Dithmarschens, so ist ein großer Streit, ob sie friesisch oder sächsisch war. Ich glaube nicht abweichen zu dürfen von Adams von Bremen Nachricht, der die Dithmarschen als Sachsen darstellt. Allein man kann auch nicht leugnen, daß zahlreiche friesische Geschlechter später einwanderten, namentlich siedelten sie sich an der Küste an, und besonders in der Gegend von Büsum. Doch wird die nähere Erwähnung dieser Eingewanderten passender später folgen.
Wir könnten nun füglich, wenn wir Lust hätten, den beliebtesten Erzählungen nachfolgen und die dithmarsische Geschichte ins Unabsehliche verlängern; wir könnten die Dithmarschen mit den Galliern vereinigen und so mit ihnen zusammen vor Rom ziehen lassen, so daß alles zu Grunde gegangen [22] wäre, wären nicht Camillus und die Gänse dazwischengekommen. Wir könnten sie zum zweiten Male ausziehen lassen mit den Cimbern und Teutonen, könnten sie dann tapfer helfen lassen der Römer Macht erschüttern, und sie auch mit jenen zuletzt geschlagen sein lassen. Die Voigtemann’sche Chronik weiß genau Bescheid, namentlich von den letzten Zügen, in welchen sie 2800 Wagrier, 2400 Stormarn und 3600 Dithmarschen ziehen läßt; natürlich von den letzten am meisten!
Dieses mußte angeführt werden, so wenig man auch an diese angeblichen Data glauben kann, eben weil Bolten, der ein Dritttheil seiner Nachrichten über diese Zeit aus dem Werke von Carstens entlehnte, dieß angeführt hat. – Die Voigtemann’sche Chronik weiß uns weiter vieles zu erzählen von den ersten Bekennern des Christenthums in Dithmarschen; so soll unter anderen kaum fünfzig Jahre nach Christus der Thomas von Bardewiek nach Dithmarschen gekommen sein und dort mit dem größten Erfolge gepredigt haben, so daß das Christenthum sich schnell verbreitete; später aber wieder verloren gegangen sei.
Jeder wird deutlich einsehen, was von solchen Nachrichten zu halten ist. Dennoch könnten sie einen Sagenwerth haben, wenn sie in dem Glauben des Volks gewesen wären, da wir von jener Zeit nichts sicheres wissen. Aber dies müssen wir durchaus leugnen. So läßt sich auch annehmen, daß, wenn dies der Fall gewesen wäre, Neocorus es gewiß angeführt hätte; er aber hat über solche Dinge seinen vielen Opinionen nichts hinzufügen wollen.
Auf eben jener schwachen Gewährleistung ist die Erzählung von Hengist und Horsa begründet, welche das christliche Britanien zu einem heidnischen England umgestalteten, von welchen jener auf einem Hofe zwischen Süder- und Norder-Hadstede, dieser in Burg gewohnt haben soll; ihre Schifffahrt soll ausgegangen sein von Warhövede, einer kleinen Insel nahe bei Büsum.
Darin haben wir uns denn ergeben, daß wir aus der Geschichte der Römer für die Geschichte unseres Volkes nichts entlehnen [23] können; wir müssen aber auch so beharren, damit wir nicht die Allgemeinheit sächsischer Geschichte mit unserer besonderen vermischen. Es ist bekannt, daß vieles unser Volk Betreffendes aus dem Karolingischen Zeitalter erzählt wird, gleichwohl gehört eine Geschichte des großen Sachsenkrieges nicht in unsern Kreis. Freilich ist geschichtlich anzunehmen, daß die Dithmarschen in jenem Sachsenkriege mit den andern Ostfalen unter ihrem Anführer Hassio gefochten haben, auch daß sie schon 775 mit ihrem Heerführer und den andern Ostfalen Karl dem Großen huldigten. Allein jener Krieg brach wieder aus, und im Fortgange desselben sehen wir, daß jene zwei großen Heerführer der Sachsen, Wittekind und Albio, nachdem sie in ihrem Lande geschlagen waren, sich zurückwerfen über die Elbe, in das Land der Nordelbinger. Dieses geschah zehn Jahre nach jener ersten Unterwerfung, also 785. Karl sendet hierauf Gesandte hinüber, die friedlich mit jenen zwei großen Herzögen unterhandeln sollen; diese geben den friedlichen Vorschlägen Gehör, kehren zurück in den westlichen Theil ihres Vaterlandes und noch im selbigen Jahre empfangen beide Herzöge die Taufe. Aber damit war der Krieg in Nordelbingen noch nicht beendigt, er bricht vielmehr wieder aus, und da vernehmen wir, daß die Nordelbinger verstärkt werden durch den Beistand ihrer Nachbarn, der Dänen. Hingegen sehen wir auch, daß die andern Nachbarn, die Wenden und Obotriten, es mit dem Angreifer, dem siegreichen Karl, halten. Der Kampf beginnt, der Widerstand ist heftig und erst 804 erfolgt die völlige Unterwerfung der Nordelbinger, und mit ihnen denn auch der Dithmarschen. Aber sie unterwerfen sich nicht allein Karl, sondern auch einer früher gehaßten Religion. Somit verschwand unter den Dithmarschen die alte Religion mit der Verehrung des Wodan, der bei den Dänen Odin hieß. Denn man muß jede Unterscheidung und Trennung dieser Götternamen für falsch halten, die man hier versucht hat. Ebenso darf man den Odin oder Wodan für keinen eingewanderten Gott halten; dieß ist eine Ansicht, die erst entstand, als Odin oder Wodan vertrieben war. Er hat sich gewiß zuerst den Skandinaviern und Sachsen [24] als Naturgott dargestellt; später ließ man ihn eingewandert und Mensch sein und mehr mit Zauberkräften als Götterkraft herrschen, damit es um so anschaulicher wäre, daß er überwunden sei vom eingewanderten Christenthum.
Gern möchten wir hier etwas Genaueres sagen von der alten Religion der Sachsen überhaupt, und der Dithmarschen insbesondere. Aber das läßt sich nun einmal nicht thun, denn die Wodan-Religion ist mit einem viel zu festen Schleier umhüllt. Forschen wir genauer nach, so ist alles, was wir kennen lernen, die alten Stätten ihrer gottesdienstlichen Gebräuche, und wir werden statt auf Religionsgeschichte auf Alterthumskunde geführt. Denn alles, was diese Stätten uns zeigen, ist, daß da einmal eine heidnische Gottesverehrung stattfand. Solcher Stätten lassen sich auch bei den Dithmarschen ein paar nachweisen. Im Kirchspiel Albersdorf, zwischen Schrum und Arkebeck, östlich vom Riesenwohld, finden sich noch drei gewaltige steinerne Opfertische, von welchen der erste vom zweiten etwa hundert Schritte entfernt ist; der zweite vom dritten etwa zweihundert Schritte. Das Blatt des größten ist etwa zehn Fuß lang und breit, und drei Fuß dick; er ruht auf fünf großen Steinen, die gleichsam seine Füße bilden. Der ganze Platz ist umgeben von einem Oblong von hohen Steinen, an dessen Ostseite dieser Altar befindlich ist. Die längste Seite des Oblongs hat die Richtung von Süden nach Norden. Das ganze liegt auf einer Wurft von 4 Fuß Höhe. Unter jedem dieser Tische findet sich eine tiefe Höhlung, die wohl dazu gedient haben mag, Blut und andern Abfall von den Opferthieren aufzunehmen. In Boltens Werk ist eine Abbildung dieses Plans geliefert, die aber nicht zum besten gelungen zu sein scheint.
Fragt man nach über diese und ähnliche Plätze in spätern Sagen, so findet man etwas allerdings, aber ohne objective Gültigkeit; die alten Annalen geben gar keine Auskunft. Bei Neocorus wird ihrer auch erwähnt, unter dem Namen „Steenaven“, Steinöfen (die damals für solche Plätze gewöhnliche Benennung). Er erzählt, daß unter dem Volke die Sage [25] herrschend sei, daß jeder Vorübergehende ein Stück Geld habe hineinwerfen müssen, andere Dinge hätten sie aber nicht annehmen wollen; hätte man z. B. ein Stück Brot hineingeworfen, so wäre es einem wieder vor die Füße gefallen. So glaube man auch, daß ein Besen unter jedem Opfertische liege, und wenn Jemand den Platz rein fege, so finde er einen Schilling dafür. Glücklich wären wir, wenn es noch bei solchen Sagen bliebe; sie haben sich aber noch viel seltsamer ausgebildet. So lesen wir z. B. in Kreutzers Symbolik, fortgesetzt von Mone (ein Buch, das einen seltenen Reichthum an unglaublichen Dingen hat), von letzterem seltsam genug behauptet, er habe in diesen Oblongen und in der Stellung der Opfertische in denselben Aehnlichkeit entdeckt mit der jetzigen Bauart und Einrichtung der christlichen Kirchen.
Ziemlich in der Nähe jener Stätte, südlich von Albersdorf, befindet sich ein solcher Platz, in dem ehemals sehr dichten Walde, mit nur einem Zugange von Westen her, und wo, was allerdings immer beachtungswerth bleibt, der Altar wieder gegen Osten liegt. Diese Stelle nannte man „Brudkamp“, und man findet in diesem Namen die Erklärung, daß auf diesem junge Eheleute hätten zuerst opfern müssen. Wären Carstens’ Entdeckungen wahr, so gäbe es keine sicherere Sache als diese, und dann wären nicht nur nicht ein oder zwei solcher Plätze gewesen, sondern jede Familie hätte ihren eigenen Brutkamp gehabt, auf welchem alle jungen Neuvermählten hätten opfern müssen. Doch unbeachtet der Gültigkeit jener Quellen, so bleibt uns dabei doch mancherlei Bedenken übrig. Namentlich finden wir ähnliche Worte anders übersetzt und erklärt. So wird z. B. an einer Stelle des alten Rechts der Stadt Schleswig c. 103 unter den verschiedenen rechtlichen Behörden „Brutbänke“ in einer Glosse locus judicii übersetzt. Ueberdieß gehört „Brut oder Braut“ zu den Worten von der allerungewissesten Ableitung, und was die Benennung „Kamp“ für einen erhöhten Platz betrifft, so möchte der doch wohl nicht so gar alt sein. So wenig indeß die Bedeutung jenes Worts sich genau nachweisen läßt, so findet doch wenigstens die Vermuthung [26] Raum, daß sie eher auf Gerichtsversammlung hindeutet, als auf jene vorher erwähnte Sitte.
Obgleich die Carstens’schen Quellen, wie oft erwähnt, sehr geringen historischen Glauben verdienen, so sehen wir uns doch genöthigt, wiederholt auf sie zurückzukommen; zumal da Bolten des Carstens Werk, besonders was die erste Zeit betrifft, sehr stark benutzte, woher mehreres in den Glauben vieler Dithmarschen übergegangen ist. Carstens findet nun eine ganze Menge solcher Tempelstellen, unter andern eine sehr wichtige in der Mitte des Landes, wo jetzt Hemmingstedt liegt. Diese läßt er dem Thor geweiht sein, den größten und prächtigsten im ganzen Lande. Den Thor will er zugleich in einen Jupiter verwandeln und zwar in den Jupiter Hammon, und davon leitet er den Namen Hemmingstedt ab. Er will diese Nachricht in einem alten Statutenbuche in Hamburg gefunden haben (das muß wol ein seltsames Statutenbuch gewesen sein!). Mit solchen und zum Theil noch seltsameren Erfahrungen fährt Carstens eine geraume Zeit lang fort. Er spricht noch vom Riesenwohld, wo drei heilige Eichen mit drei Kreuzen bezeichnet standen; von einem Tempel des Wodan bei Windbergen, wovon Bolten keine Spur hat finden können. Ferner meint er, der Ort Högen bei Hennstedt habe seinen Namen davon, daß man dort den Kopf einer geopferten Kuh umhergetragen habe, worüber die Leute ihre „Hög“, Freude, gehabt hätten. Auch Bolten versucht eine Ableitung des Wortes Marschkammer, einer kleinen Strecke Marschlandes zwischen Meldorf und Nindorf, und giebt ihm eine Beziehung auf den Gott Mars. Allein „Kemerken“ oder „Kämmerken“ ist, auch bei Neocorus, ein Stück Landes, und „Marsch“ ist die Marsch, nicht Mars, so daß es ein Stück Marschland bedeutet. Und so verhält es sich auch in der That mit demselben, es bildet den Anfang der Marsch.
Auch die große Anzahl von heiligen Bäumen, deren Bolten erwähnt, beruht auf Carstens’ Auctorität. Von diesen dürfte ein einziger als ein für heilig geachteter genannt werden, aber gar nicht mit Bezug auf die alte heidnische Zeit, sondern auf [27] eine viel spätere christliche, – nämlich der Wunderbaum an der Aubrücke bei Süderheistedt. Neocorus erzählt von ihm: er sei nie vertrocknet, so lange die Freiheit der Dithmarschen geblüht habe; wie diese aber verloren gegangen sei, habe auch der Baum sein Laub verloren. Damit wird derselbe aber einer viel späteren Zeit zugewiesen, denn sonst hätte er verdorren müssen, als Karl der Große, oder Waldemar II. die Dithmarschen unter sich brachte. Der allezeit fertige Finder, Carstens, findet auch die Aufzeichnung eines Dithmarschen vom Jahre 1548 am Dionysiustage, und in dieser nicht allein eine ausführliche Beschreibung des Baumes, sondern auch die Länge und Breite eines heidnischen Tempels, in dessen Süden er den Baum stehen läßt. Neocorus erzählt von diesem Baume selbst nichts Merkwürdiges, als daß alle seine Zweige kreuzweis gingen. Carstens hingegen läßt seinen Dithmarschen erzählen, daß derselbe 9 Faden 9 Zoll dick, und 40 Faden hoch gewesen, und daß er wunderbare, roth und weiße, traubenförmige Blüthen gehabt habe, die 1 Fuß lang gewesen wären. Ferner führt Carstens nach seinem pergamentenen Johann Adolf an (mit dem er wohl eigentlich unsern papiernen gemeint haben mag), daß jener Tempel der Göttin Tanfana geweiht gewesen sei, die zugleich – man weiß nicht recht, auf welche Weise, die Leibfahne des Arminius vorgestellt habe (cf. Taciti Ann. 2, 1. c. 5051).
Wenden wir aber unseren Blick hin auf die ersten Elemente der Schrift unseres Volks, so ist auch da Carstens gleich mit einiger Auskunft bei der Hand. Er hat nämlich die Abbildung dreier Runensteine uns überliefert, welche Bolten auf einer eigenen Kupfertafel hat abdrucken lassen, und diese ist später in mehrere der berühmteren Sammlungen der Runenschrift übergegangen. Obgleich man nun mit Runen so wenig als mit unsern Buchstaben durch eine von ihnen ein Wort, oder einen Sinn ausdrücken konnte, so hat Carstens doch nur einen Buchstaben auf jeden von zwei Steinen setzen lassen, und zwei auf den dritten; wobei man nicht begreift, warum Jemand, ohne etwas auszudrücken, mit so vieler Mühe einen [28] Buchstaben in einen Stein hineinmeißeln sollte. Diese Runenschrift ist gewiß die sparsamste, die sich irgendwo in der Welt findet!
Was bliebe uns aber denn hier zu betrachten übrig? Einiges allerdings sehr Wichtige. Zunächst die sogenannten Freiberge, die Carstens von der Verehrung der Göttin Freia erklärt. Neocorus nennt sie Gräber der alten Dithmarschen (Hünengräber). Andere erklären sie für Asyle, wo Verbrecher vor der Strafe gesichert waren. Wir gestehen gerne ein, daß wir mit ihnen in Wahrheit nichts anzufangen wissen, zumal da uns bekannt ist, daß Waldemar II. bei seiner Eroberung des dithmarsischen Landes einen solchen Hügel zur Festung benutzte. Ueber ihre Lage vergleiche man Meiers Karten zu der Chronik von Dankwerth.
Nun wäre es noch übrig, daß wir eine Schilderung der alten Dithmarschen mit Rücksicht auf ihre Lebensweise und Sitten geben. Was die Sitten der Sachsen im Allgemeinen betrifft, so dürfen wir dieß, als allgemein bekannt es voraussetzend, übergehen, zumal da die große Fülle unseres Stoffs uns von nicht durchaus nothwendiger Ausdehnung zurückhält. Dithmarsische Besonderheiten wissen wir aus der heidnischen Zeit durchaus nicht; was Bolten hierüber hat, ist alles aus den Carstens’schen so wenig bewährten Quellen. So liefert er uns eine weitläufige Erzählung der Hochzeitsgebräuche, der Beerdigung, namentlich der Verbrennung der Todten u. s. w.
Was ferner die Ortschaften betrifft, so finden wir mit historischer Gewißheit keine einzige genannt, wenn es allerdings auch sehr glaubhaft ist, daß Meldorf damals schon stand[13]. Es ist auch leicht möglich, daß der Geistliche, den Willehad, erster Bischof zu Bremen, wie wir in seiner Lebensbeschreibung von Anscharius lesen, nach Dithmarschen sandte, nach Meldorf kam und dort seinen Tod fand. Es heißt nämlich in dem angeführten Buche, daß jener Geistliche von Willehad [29] gesandt[14], nach Dithmarschen gekommen sei und dort zu predigen versucht habe, daß er aber in der allgemeinen Verfolgung, die 782 alle Missionäre des Willehad traf, von den Dithmarschen erschlagen worden sei. – Wir dürfen uns indeß das Christenthum durchaus nicht als befestigt in Dithmarschen denken vor jener völligen Beendigung des Sachsenkrieges im Jahre 804. Von der Zeit an haben wir Grund, uns Meldorf nicht nur als bestehend, sondern auch als Kirchort zu denken, und zwar als einzige Kirche des ganzen Landes. Denn selbst in jener Zeit waren die Kirchen noch sehr sparsam; so waren im ganzen Nordelbinger Lande nur vier: eine in Hamburg, eine in Meldorf und zwei im Holsteinischen, in Heiligenstedten und Schenefeldt. Adam von Bremen nennt schon Meldorf mater ecclesia von Dithmarschen. Gab es nun gleich schon neben der Kirche zu Meldorf einzelne Bethäuser, so muß man doch Meldorf als den eigentlichen Versammlungsort gottesdienstlicher Handlungen für die Dithmarschen damaliger Zeit ansehen. Es war für sie der Ort zur Vollziehung der Taufe, die in damaliger Zeit keineswegs so schnell und sogleich nach der Geburt vollzogen wurde. Es gab eine vorschriftsmäßige Taufzeit, und diese war von Karl dem Großen gesetzt auf Ostern und Pfingsten, und in der Zeit muß man sich die Kinder der Dithmarschen nach Meldorf hingebracht denken. Nur Krankheitsfälle, die den Tod drohten, ließen in dieser Bestimmung eine Veränderung zu.
Also war ganz Dithmarschen Meldorfer-Döft (d. i. Taufbezirk) und in Meldorf war nicht nur die erste und älteste, sondern auch die einzige Kirche damaliger Zeit, welches wir wiederholt erwähnen, weil auf unbegreifliche Weise die Meinung eingedrungen ist, als gebühre dieser Vorzug Weddingstedt[15], [30] wobei man den Namen herleitet von Wittekind; wir wissen aber, daß dieser nicht in Ostfalen, sondern in Westfalen zu suchen ist.
Viel weiter aber kann unter Karl die kirchliche Einrichtung nicht in diesen Gegenden gediehen sein, und was auch davon erzählt werden mag, so läßt sich mit Sicherheit nichts darüber sagen, außer daß nicht zu bezweifeln steht, Karl der Große habe die Nordelbinger Sachsen, eben so wie die übrigen Sachsen, dem Zehnten unterworfen, und zwar ihn so vertheilt, wie im Allgemeinen vom Papste verordnet und von Karl bestätigt war, wonach ein Viertheil desselben zu Almosen verwandt wurde, ein anderes zum Kirchenbau, ein drittes zur Ausstattung der Geistlichkeit, und das vierte dem Bischof als seine Einnahme anheimfiel.
So viel also können wir mit Gewißheit sagen. Bolten freilich giebt sich viele Mühe, noch etwas mehreres aus der Karolinger-Zeit für die dithmarsische Geschichte herauszufinden, und namentlich sucht er weitläufig zu behaupten, daß die Festung Hochbuchi, welche Karl der Große in diesen Gegenden anlegte, kein anderer Ort gewesen sei, als Böklenburg. Wir gehen nun in das Ausführliche über die Lage dieses Orts nicht ein; aber ziemlich viele Wahrscheinlichkeit spricht für den lauenburgischen Ort Büchen. Ja, es scheint sogar, daß der alte Name von Böklenburg ursprünglich Waldburg war; wenigstens ist gewiß, daß die nicht weit davon fließende Aue Waldburgsaue, später Wolbersaue, nach ihr hieß. So war wohl der erste Name Waldburg, woraus später Bokholdeborg geworden ist. Doch schon bei dem alten Helmold, Buch 1, Cap. 19 kommt unser Böklenburg unverkennbar unter dem Namen Bokholdeborg vor.
[31] Doch nicht allein mit dieser Festung Karls mißlingt es Bolten, sondern nicht minder mit einer zweiten aus jener Zeit, die er gerne nach Dithmarschen verlegt wissen wollte. Im Jahre 822 nämlich wird einer Festung unter dem Namen Castellum Delbende erwähnt, und Bolten ist der Meinung, daß dieses gelegen habe, wo später Stellerburg lag, indem er bei jenem Namen an Elb-Ende dachte. Doch hier spricht wiederum viele Wahrscheinlichkeit für die Meinung, daß auch diese Festung in Lauenburg lag, und zwar in der Nähe des kleinen Flusses Elve, der nicht, wie einige Mal geschehen ist, mit der großen Elbe verwechselt werden darf. Auch lesen wir bei Adam von Bremen von der Steckenitz und dem Sachsenwalde unter dem Namen Delvande.
Wenn aber nun Hochbuchi zuvörderst in Dithmarschen wegfällt, so fällt natürlich auch weg, was Bolten uns, nur auf diese Annahme sich stützend, erzählt, daß der erste Bischof Dithmarschens in Hochbuchi residirt habe, und sodann, daß der erste Graf von Dithmarschen Wodo gewesen sei, der als Befehlshaber in jener Festung genannt wird. Wir müssen hingegen als ersten Grafen einen Grafen von Stade nennen.
Die Rückkehr der früher durch Karl den Großen verpflanzten Sachsen, wozu er in den letzten Jahren seines Lebens Erlaubniß ertheilte, die aber erst sein milder Sohn Ludwig vollführte, mag auch in Dithmarschen Freude erweckt haben. Zu Anfang des Jahres 814 war Ludwig der Fromme seinem Vater gefolgt. Er wußte, daß sein Vater in Absicht des Nordelbinger Landes einen kirchlichen Plan vorgehabt, solchen aber nicht zur Ausführung habe bringen können. Karl hatte nämlich einen eigenen Bischofssitz in jenen Gegenden errichten wollen, hatte auch schon einmal einen Geistlichen in dieser Absicht dahin gesandt; der war aber frühzeitig gestorben, und so machten, so lange Karl lebte, diese Gegenden keine eigene Diöcese aus. Ludwig gedachte auch wahrscheinlich zuerst seines später ausgeführten Plans der Einsetzung eines Erzbischofs in hiesiger Gegend nicht, sondern ließ dieselbe zuerst vertheilt sein unter den Bischöfen von Bremen und Verden, und daß bei [32] dieser Theilung durch Ludwig die Dithmarschen unter Bremen kamen, darf man mit vieler Bestimmtheit behaupten, sowie auch, daß Meldorf damals Kirchort war, weil Adam von Bremen, wo er vom Bischof Willerich von Bremen spricht, hinzufügt, daß dieser frequenter visitasse Meldorpiam. Bald aber ließ Ludwig es dabei nicht bewenden. Das ausgezeichnete Verdienst Ansgars nämlich, dessen Wirksamkeit nicht nur nach Dänemark, sondern über dasselbe hinaus, nach Schweden hin, sich erstreckte, bewog Ludwig dazu, den Plan auszuführen, welchen wohl schon sein Vater gehegt hatte, den nämlich: ein Erzbisthum in diesen Gegenden zu errichten, mit welchem zugleich die Missionsgeschäfte verbunden sein sollten. So wurde Ansgar, der 831 zum Bischof in Hamburg eingesetzt war, daselbst im Mai 834 zum Erzbischof erhoben, und Ludwig vermochte die Bischöfe von Bremen und Verden dazu, diesen Theil ihrer Diöcese an den Erzbischof von Hamburg abzutreten, und von nun an kömmt Nordelbingen unter diesen Bischofssitz. Doch schon Ansgar, der Erzbischof Hamburgs, verlegte wenige Jahre darauf seinen Sitz nach Bremen. Denn dieses Bisthum wurde, nachdem es durch den Tod seines Bischofs erledigt war, zur großen Zufriedenheit des Ansgar mit dem Hamburger Erzbisthum verbunden. Zu seiner Zufriedenheit, denn viel sicherer wohnte er in Bremen, als in dem so häufigen Anfällen preisgegebenen Hamburg.
Tiefes Schweigen herrscht über Dithmarschen unter den spätern Karolingern, und wir sind beinahe ganz auf einige trübe Quellen hingewiesen; so unter andern auf einen wenig genannten Mann, einen Annalisten des 16. Jahrhunderts, Brotuff. Doch seinen Dithmarscher Grafen Gerold empfing selbst Bolten mit großen Zweifeln. Und auf das, was wir über diese Zeit bei Carstens finden, wollen wir weiter gar nicht achten. Glaublich ist es allerdings, daß es in der Karolingischen Zeit freilich nicht dithmarsische Grafen, aber wohl Grafen beider Gestade gab, die nachher den Namen Grafen von Stade erhielten.
Wir sehen uns hier genöthigt, die Geschichte Dithmarschens [33] 200 Jahre hindurch zu einer Geschichte der Grafen von Stade umzubilden; nämlich vom Jahre 936 an, in welchem Otto zum Königthum gelangte, bis zum Jahre 1145, mit welchem wir diese Periode schließen wollen.
Für diese Geschichte besitzen wir eine wichtige Quelle an dem Chronicon des Albertus von Stade, welches dieser von den möglichst frühesten Zeiten geführt hat bis zum Jahre 1256, um welche Zeit er lebte. Durch Heinrich Ranzau wurde dieses Werk (es befand sich nämlich in seiner Bibliothek) bekannt gemacht und in Erinnerung gebracht, gerade zu Neocors Lebzeiten. Es erschien nämlich im Drucke, besorgt durch Reineccius im Jahre 1587, und zwar in Helmstedt, wo, wie wir wissen, Neocor seine Universitätsjahre verlebt hatte. Um so auffallender muß es uns sein, daß dem Neocor, wie es sich zeigt, nichts davon bekannt geworden ist. Albertus von Stade nun liefert uns eine sehr kurze Geschichte der Grafen von Stade, und bleibt für diesen Theil unserer Geschichte immer Hauptquelle. Außer ihm können noch genannt werden: Bolten, Hoppe und Wedekind, Amtmann in Lüneburg, in seinen historischen Noten. – Wir werden hier nicht Alles herzählen, sondern nur bemüht sein die Hauptdata hervorzuheben, worin, nach unserer Meinung, bei einem so verworrenen Stoffe gerade das Hauptverdienst des Vortragenden bestehen soll, damit nicht durch Verworrenheit die klare Uebersicht verhindert wird.
Ehe wir weiter gehen, müssen wir nothwendig nochmals ausdrücklich Boltens Annahme erwähnen, als sei es erwiesen, daß Dithmarschen ursprünglich seine eigenen Grafen gehabt hätte, die auf der Böklenburg seßhaft gewesen wären, und erst in spätern Jahren wäre Dithmarschen mit Stade verbunden worden, welches ursprünglich eine andere Grafschaft gewesen sei. Bolten hat dieses sich vorzüglich durch Carstens erweisen lassen, obgleich er ihm nicht ganz gefolgt ist. Denn er wurde doch bedenklich bei einem Mährchen, welches Carstens erzählt, nämlich von der Art, wie Dithmarschen unter Stade kam. Jener erzählt nämlich, daß zur Zeit Heinrichs des Voglers ein Dithmarscher mit Namen Dithmar zu Heinrich gekommen wäre [34] und diesem die Verwirrung und schlechte Lage Dithmarschens erzählt habe, weswegen der König das Land mit der Grafschaft Stade vereinigt habe. Daß diese Erzählung ein Märchen von Carstens gewesen ist, zeigt sich um so augenscheinlicher aus einer nähern Angabe von ihm selbst. Jener Dithmar soll nämlich ein Dithmarscher und zwar aus der Familie Boie gewesen sein, aber Schade, daß diese Familie erst erweislich ein paar Jahrhunderte später in Dithmarschen eingewandert ist. Gleichwohl haben manche dieser Sätze Viele getäuscht. Muß man daher Auctorität gegen Auctorität behaupten, so nennen wir den Albert Kranz, der ausdrücklich sagt: „Stadensis comitatus, qui semper annexam habuit Dithmarsiam.“ Wir wollen freilich dem Albert Kranz nicht überall in diesen Beziehungen das Wort reden, vorzüglich wegen seiner Neigung, alles unter Bremen zu bringen; doch müssen wir in dieser Angabe ganz für ihn sein. Ferner findet in solchem Verhalten der Dinge wohl eine Vermuthung Raum, und da ist nun unsere folgende:
Der Ausfluß der Elbe war schon damals, wenn auch nicht so breit als jetzt, doch ziemlich breit, und daher vielfältigen Anfällen, besonders von den benachbarten Skandinaviern, ausgesetzt. Daher gehörte es wesentlich zum nöthigen Grenzschutze, daß daselbst ein comes utriusque ripae eingesetzt wurde[16]. Und in diesem Sinn erklärt es sich leicht, wie eben Dithmarschen und Stade von den ersten Zeiten jener Eroberung an zusammengehören konnten. Beweisen können wir diese Annahmen freilich nicht: aber so wie sich die Geschichte aufthut, finden wir auch Dithmarschen mit jener Grafschaft verbunden.
Bei näherer Bestimmung dieser Grafschaft stellen sich uns aber mehrere Schwierigkeiten entgegen: zuvörderst, welchen Umfang sie gehabt habe im Süden der Elbe, und in dieser Hinsicht [35] sind viele streitige Fragen entstanden, denn sie vergrößerte sich nachgehends; auch wurden wohl einzelne Stücke wieder abgerissen. Doch wir wollen nicht zu sehr in das Einzelne gehen, sondern nur die hauptsächlichsten Punkte berühren, welches wohl hier am rathsamsten sein möchte.
Die Theile, in welche die Grafschaft hauptsächlich getheilt war, sind folgende: 1) das Alteland, auch Wolsatengau genannt; 2) Kedingen; 3) die Börde Heslingen; 4) Harsefeldt, dieß war der älteste Sitz der Grafen, von dem sie in die Burg zu Stade einzogen; 5) Elstorf oder haereditas Idae, wovon später die Rede sein wird; 6) die Bremer Börde, und 7) Harburg, welches erst im 13. Jahrhunderte, also zu einer Zeit, wo keine Grafen von Stade mehr herrschten, abgerissen wurde. Das wären so die Hauptlandestheile an jener Seite der Elbe; an der andern Seite des Flusses gehörte dazu der Gau Dithmarschen und die sogenannten Sieben Gemeinden. Letzterer Landestheil bestand aus der jetzigen Haseldorper und Haselauer Marsch, die aber damals von viel bedeutenderer Ausdehnung war; sie erstreckte sich nämlich bis an die Wildnisse, bis zur Pinnaue und Krückaue, oder, um es mit bekannteren Namen auszudrücken, von Wedel bis Glückstadt, also eine Strecke von etwa 5 Meilen in die Länge. Man vergleiche hierüber den Aufsatz von Past. Kuß in den Schleswig-Holsteinischen Provinzial-Berichten von 1825.
Auf solche Weise erst wird uns vollkommen verständlich jene Stelle bei Helmold 2, 6; „Nobile illud castrum Stade cum omni attinentia sua, cometia utriusque ripae et cometia Thetmarsiae“, wobei aber dies nicht irre zu machen braucht, daß Dithmarschen als besondere Cometia aufgeführt wird. Denn zur Zeit, als Helmold schrieb, war die Geschichte der Grafen von Stade schon geschlossen. Auch war Dithmarschen schon mehrmals von Söhnen des gräflichen Hauses regiert worden, wodurch ganz natürlich der Name einer eigenen Grafschaft vermittelt wurde. War doch auf ähnliche Weise Stade sogar Markgrafschaft genannt worden, weil es dem gräflichen Hause daselbst auf eine Zeit lang gelungen war, die [36] Markgrafschaft Soltwedel, das nachherige Brandenburg, damit zu vereinigen. Bolten ist offenbar durch jene Stelle Helmold’s nicht wenig in Verlegenheit gerathen. Er sucht sich so zu helfen, daß mit dem utriusque ripae nicht die beiden Elbufer, sondern zwei Ufer zweier verschiedener Flüsse gemeint wären, nämlich das Südufer der Elbe und das Nordufer der Weser. Auf solche ängstliche Weise dürfen wir aber nicht verfahren, um die Verwirrung nicht noch mehr vergrößern zu helfen.
Die Geschichte der Grafen von Stade beginnt nicht früher, als unter Otto I. Von ihm wird Heinrich der Kahle zum Grafen von Stade eingesetzt, und ihn dürfen wir als den ersten Grafen daselbst annehmen. Freilich sucht Bolten noch den Vater dieses Heinrich, Namens Lüder, als Grafen von Stade zu gewinnen; dieses jedoch mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit, da Dithmar von Merseburg, der von mütterlicher Seite ein Abkömmling jenes gräflichen Hauses war, uns erzählt, daß Lüder 931 bei Lenzen gefallen sei, ohne alle Erwähnung jener Grafschaft. Also müssen wir uns mit Heinrich dem Kahlen zufrieden stellen, über den wir jedoch nur wenig zu sagen wissen, außer daß er gewiß zu den Gegnern des neu emporgekommenen Hermann Billung gehörte. Denn ohne Zweifel war dem Grafen von Stade auf diesem so schwierigen Posten auch hinreichende Macht anvertraut, und so konnte er dem auf seine neue Größe eifersüchtigen Hermann Billung nicht gefallen.
Heinrich starb 976, vermuthlich mit Hinterlassung von drei Söhnen. Heinrich der Gute hieß der eine, Lüder Udo der andere, und Siegfried der dritte. Von diesen folgt Heinrich der Gute seinem Vater in der Regierung und hat in seiner Regierung mancherlei und bedeutendes Mißgeschick erlebt. – Schon früher bemerkten wir, daß als unsere Hauptquelle das Chronicon des Albert von Stade zu betrachten sein würde, d. h. so weit wir die Geschichte der Dithmarschen behandeln müssen als Theil der Geschichte der Grafen von Stade, wobei wir aber hinzufügen müssen, daß allerdings vieles in seinen Erzählungen [37] zu bezweifeln sein möchte. So möchte namentlich auch das zu bezweifeln sein, was er erzählt von Heinrich dem Guten, dem Sohne des vorher erwähnten Henricus Calvus, nämlich, daß er zuerst dem geistlichen Stande bestimmt gewesen sei, welches schon deswegen unwahrscheinlich wird, weil Heinrich der Gute der älteste Sohn war, und bei dem Aeltesten pflegt das doch nicht stattzufinden. Also wird auch unwahrscheinlich, was Albert, auf jene Annahme bauend, uns erzählt. Doch wollen wir so wenig als möglich auf die Widerlegung der Irrthümer jenes Chronikenschreibers eingehen.
Heinrich der Gute folgt zunächst seinem Vater nach und wandelt die bisherige Burg seines Hauses, Hersefeldt, in ein Kloster um, wobei Albert erzählt, er habe dieß gethan, um seiner früheren Bestimmung wegen gleichsam Gott zu versöhnen. Zu seiner Zeit wurde die andere Burg, die den Namen Stade führt, erbaut. – In seinen Tagen aber begiebt sich ein trauriger Ueberfall der Elbmündungen, welche ja gerade die Grafen von Stade zu wahren hatten, durch die Normannen, damals Ascomannen genannt. Der dänische König Svend Tveskiaeg soll selbst diesen Ueberfall geleitet haben, der ihm zuerst sehr gelang. Eine Schlacht begab sich in der Nähe von Stade am 23. Juni 994, welche für die Grafen von Stade verloren ging. Sie kostete dem Bruder des Grafen die Freiheit, und seinem andern Bruder sogar das Leben. Eine große Anzahl angesehener Männer wurde gefangen, und überall war der Verlust des Grafenhauses zu Stade sehr groß. Endlich verglich man sich mit den Siegern insoweit, daß Geiseln für die hohen Gefangenen gestellt werden sollten, so daß man späterhin das Lösegeld bestimmen könnte. Unter diesen Geiseln sollte sich auch nach seiner eigenen Aussage der nachherige Geschichtschreiber Dithmar von Merseburg befinden, der, wie früher bemerkt, dem Grafenhause verwandt war. Schon waren diese Geiseln zum Theil gestellt, schon hatte der Graf seinen eigenen jungen Sohn, Siegfried den jüngeren, gesandt, als es dem älteren Siegfried gelang, durch eine List aus der Gefangenschaft zu entkommen. Kaum hatten die Normannen dieß erfahren, [38] so kannte ihre Wuth keine Grenzen. Sie schlitzten den schon angekommenen Geiseln und den noch übrigen Gefangenen Nasen und Ohren auf, hieben ihnen zum Theil die Hände ab, und dieses traurige Schicksal traf auch den jungen Siegfried, der auch aller Wahrscheinlichkeit nach an den Folgen dieser Mißhandlungen gestorben ist. Obgleich Einige ihn noch länger leben und seinem Vater in der Regierung folgen lassen, so scheint doch, namentlich durch Wittekind in seinen historischen Annalen, klar dargethan zu sein, daß es am richtigsten ist, unserer Angabe zu folgen. – Bei dieser Gelegenheit wird auch zuerst die Stadt Stade erwähnt.
So weit also war das Unternehmen den Normannen gelungen; doch Rache sollte auch sie treffen für das gesunkene Grafenhaus. Bernhard von Sachsen, aus dem Geschlecht der Billunger, und Siegfried, der ja vorzüglich Schuld war an dem mörderischen Ende jenes Ueberfalls, vereinigen ihre Heeresmacht und es wird Rache genommen; eine Niederlage der Normannen erfolgt, nicht, wie Bolten, verleitet von den Carstens’schen Urkunden, erzählt, in Dithmarschen, sondern im südlichen Gebiete von Stade, im Gelinder-Moor, zwischen der Oste und Hamme. Dieser schreckliche Ueberfall der Grafschaft hatte den Entschluß erregt, Bremen, das so lange schon der Sitz des Erzbischofs war, und das in solchen Fällen zu wenig Schutz darbot, mit Mauern zu umziehen. – Dem Grafen Heinrich dem Guten, der 1016 starb, folgt nicht sein Sohn Siegfried, sondern sein Bruder, Siegfried der Aeltere, in der Regierung und dieser regiert bis 1037, und nicht, wie Einige wollen, bis zum Jahre 1034. Ihn belehnte der Kaiser mit der Grafschaft von Stade. Und er behauptet dieselbe noch in ihrer ganzen Ausdehnung; wenigstens dürfen wir uns nicht durch Carstens, dem Bolten freilich gefolgt ist[17], verwirren lassen und die einzelnen Widerlegungen [39] müssen wir hier, nothwendiger Kürze wegen, übergehen.
Nach den Zeiten des Grafen Siegfried begiebt es sich, daß ein Grafenhaus sich in Dithmarschen festsetzt und es als besonderes Besitzthum für sich gewinnt und so dieses auf eine Weile von der Grafschaft Stade losreißt. Drei Grafen hintereinander werden uns hier genannt: Liphold, Dedo und Etheler, und diese sind ganz gewiß nicht Besitzer der ganzen Grafschaft von Stade gewesen. Sie scheinen alle, wenigstens der erste, mit jenem gräflichen Hause verwandt gewesen zu sein, und eine solche Theilung zwischen Verwandten war ja damals nicht so selten, doch scheint diese mehr mit Gewalt geschehen zu sein. Behaupten nun läßt sich Folgendes nicht gut, doch erscheint es mir sehr glaublich, daß von jenen drei Grafen die Böklenburg als die erste Festung in Dithmarschen erbaut ist. Bis dahin hatten auf dithmarsischem Boden keine Grafen residirt; bis dahin war also auch keine Residenz nöthig gewesen. Jetzt aber bedurfte man einer solchen, und allem Anschein nach hat vorzüglich dieses zu dem Hasse der Dithmarschen gegen das gräfliche Haus beigetragen, der besonders diese Grafen traf.
Diese Losreißung von Dithmarschen hatte sich ergeben unter dem Grafen Lüder. Ihm folgt sein Sohn, der vierte aus diesem Hause, mit Namen Lüder Udo. Was diesen betrifft, so war ihm vorbehalten, eine bedeutende Ausdehnung der Herrschaft seines Hauses zu erwerben, indem er nicht allein den früher entrissenen Landestheil wieder an sich brachte, sondern auch auf andere Weise sein Gebiet vergrößerte. Die drei vorhin genannten Grafen von Dithmarschen nämlich gingen, nach einigen Nachrichten alle drei, oder, was [40] man wenigstens erweisen kann, die beiden letzteren durch den Haß der Dithmarschen zu Grunde.
Was nun zuerst den Liphold betrifft, so ist aus seiner Zeit nichts anders zu bemerken, als daß er noch am Leben war zur Zeit eines großen Wenden-Einfalls in das Nordelbinger Land, wo sie theils Esselfeld, das jetzige Itzehoe, theils die Böklenburg, welche bei dieser Gelegenheit vom alten Helmold erwähnt wird, bedrängten. Liphold aber, eben wie die Grafen, die ihm folgten, dehnten auch im Süden der Elbe ihr Gebiet weiter aus durch den Besitz einer reichen Erbin, Ida, gebürtig aus Schwaben, deren Erbe so bedeutend war, daß selbst, als es ein Theil der Grafschaft Stade geworden war, der Name haereditas Idae blieb. Diese Ida heirathete nun zuerst den Liphold, dann den Dedo, dann den Etheler. Doch sie verlor schnell die Gemahle wieder, und wenn auch nicht den ersten, so doch die beiden letzten durch den Haß der Dithmarschen, obwohl die Jahre, da sie erlagen, nicht gewiß sind. Dedo fiel vermuthlich 1040, Etheler, wie Einige melden, 1044. Nachdem der letztere gefallen, sucht Ida den Ecbert, ihren Sohn erster Ehe, in der Gewalt zu befestigen; dieser macht auch wirklich sich als Besitzer von Dithmarschen geltend. Allein da erhebt sich der Graf von Stade, Lüder Udo, gegen ihn, der wohl theils daran dachte, daß Dithmarschen früher seinem Hause angehörte, theils wohl auch sich die Jugend des dithmarsischen Grafen zu Nutze machen wollte. Er zieht gegen den Ecbert aus und wieder fällt die Schlacht nicht in Dithmarschen, sondern im Süden der Elbe und zwar in der Nähe von Elstorf, welcher Ort im Idagute lag, und immer als der vorzüglichste in demselben genannt wird. Ecbert wird geschlagen und fällt selbst im Kampfe. – Die als Gattin und als Mutter gleich unglückliche Ida begiebt sich nach Rom zum Papste Leo IX., welcher der Bruder ihrer Mutter war, um bei diesem Rath und Hülfe zu erhalten. Allein der Papst gab ihr den Rath der Milde und der Aussöhnung mit dem Grafen von Stade; sei es nun, daß er erkannte, daß die gefallenen Grafen mit weniger Recht Dithmarschen behauptet [41] hätten, oder sei es, daß er anderweitig beschäftigt war; wie dem auch mag gewesen sein: Ida, verwittwet und kinderlos (sie hatte freilich noch einen Sohn mit Namen Burkhard, der war aber dem geistlichen Stande bestimmt) – Ida beschloß, sich mit dem Grafen zu versöhnen und entsagt nicht nur ihrem Recht auf Dithmarschen, sondern setzt jenes gräfliche Haus auch zum Erben ihres Allodialguts ein. So kam die haereditas Idae an Stade. Gegen diese Verfügung erhebt sich aber ein anderes Haus, das oldenburgische. Da nämlich ein Graf von Oldenburg eine Tochter der Ida geehelicht hatte, so glaubt dieses Haus seine Rechte beeinträchtigt. – Fragen wir nach der Zeit dieser Wiedervereinigung Dithmarschens mit Stade, so können wir nur vermuthen: Papst Leo IX. starb 1054. Also muß diese Begebenheit sich vor jenem Jahre zugetragen haben.
Lüder Udo begiebt sich darauf in einen weitläufigen Krieg mit den Wenden und trägt die Markgrafschaft Nordsachsen davon, nachdem der letzte Markgraf daselbst, Wilhelm, im Kampfe gegen die Wenden gefallen ist (1056). Der König von Deutschland Heinrich III. belehnte Lüder Udo mit der Markgrafschaft seiner im Wendenkriege bewiesenen ausgezeichneten Tapferkeit wegen; doch mag diese Belehnung auch sehr befördert haben, daß der Graf dem König nahe verwandt war; „regi consanguinitate proximus“ sagt Lambert von Aschaffenburg von ihm: genug, er erhielt die Nordmark (im Gegensatz gegen die Ostmark so genannt, welche letztere gegen die Wenden in Meissen errichtet, die Niederlausitz umfaßte und gewöhnlich Markgrafschaft von Unnaburg genannt wurde; die Nordmark hieß Markgrafschaft von Soltwedel, später von Brandenburg). So tritt Stade mit Sachsen in merkwürdige Vereinigung und das gräfliche stadische Haus war von nun an ein sehr bedeutendes in Norddeutschland. Doch Lüder Udo kann sich nicht lange der erworbenen Macht erfreuen; er stirbt schon am 7. November 1057. Ihm folgt sein Sohn Udo II., und man darf sich natürlich nicht mehr wundern, daß dieser allgemein auch in Beziehung auf Stade Markgraf heißt; auch war Stade [42] ja eigentlich ebenfalls eine Markgrafschaft, wenn auch gegen die See hin.
Udo II. vermehrt noch durch einige Erwerbungen seine Markgrafschaft, so z. B. durch die Grafschaft Greitz im Meissnischen. Allein in Beziehung auf Stade, das ja hier eigentlich uns beschäftigen soll, war er nicht so glücklich. Er muß entweder seinem Verwandten, Heinrich IV., nicht recht gefallen haben, oder was dieser that, geschah zu Liebe dem ehrgeizigen Adelbert zu Bremen, der ja den König in dessen Jugend beinahe ganz beherrscht hatte. Heinrich entzieht dem Markgrafen die Markgrafschaft Stade und giebt sie dem Adelbert zu Lehn im Jahre 1062, und dies ist der erste Anfang der neuen fortwährend behaupteten Ansprüche dieses Erzbischofs auf Stade, und sogar auch auf Dithmarschen. Daß uns in den hierüber ausgefertigten Urkunden Heinrich’s IV. Dithmarschen nicht als besonderer Landestheil aufgeführt wird, kann uns keinen Anstoß geben; das kann nur diejenigen in Verwunderung setzen, welche glauben, daß Dithmarschen erst später mit Stade vereinigt wurde; wenn es gleich Anfangs damit vereinigt war, so war jene besondere Aufführung desselben nicht nöthig.
Der Erzbischof Adelbert nun nimmt die Lande in Besitz und weiß sich das Besitzthum zu bewahren. Es erhebt sich durch ihn die feste Burg in der Grafschaft auf dem Söllenberge bei Blankenese, und neuerdings aufgefundene Urkunden sollen bezeugen, daß im Jahre 1059 eine Dithmarscherin Grundstücke an den Erzbischof von Bremen geschenkt habe[18], welche dieser der auf dem Söllenberge neu errichteten Probstei angewiesen. Inzwischen entschließt sich doch der Erzbischof, vielleicht, indem er doch die Rechte des gräflichen Hauses zu Stade berücksichtigte, die Grafschaft wieder dem Grafen zu Lehn zu übertragen, so daß das Land im Grunde dem Grafen blieb, nur war es aus einem freien Lehn zu einem Afterlehn umgestaltet, denn die Lehnshoheit blieb ja immer dem Erzbischof. Auch ist es leicht möglich, daß der Kaiser vielleicht diese [43] Wiederertheilung bei der Lehnsertheilung an den Erzbischof als Bedingung hinzugefügt hatte. Der Erzbischof drang mit seinen ehrgeizigen Plänen immer weiter; namentlich erwarb er sich das Land Hadeln hinzu.
Wir finden aber, daß in Folge der mannigfachen Unruhen, welche den Kaiser Heinrich IV. so hart, wenn auch nicht ganz ohne seine Schuld, bedrängten, Udo wider den Kaiser Partei nimmt, und daß dieser den König von Dänemark, Svend Estridtsön, gegen den Grafen aufreizt, damit er in seine Lande einfalle, doch ohne Zweifel so, daß auch er dieselben vom Erzbischof zu Lehn nehmen sollte. Und wirklich macht ein dänischer Prinz auch einen Versuch auf Dithmarschen und erwirbt dasselbe, wenn auch nur auf kurze Zeit, welches gewiß mit jener geheimen Belehnung des Kaisers zusammenhing. Auf gleiche Weise ist der Kaiser später bemüht, den Otto von Nordheim gegen den Grafen aufzureizen, doch auch ohne rechten Erfolg.
Udo II. stirbt den 4. Mai 1082; er hinterläßt vier Söhne. Von diesen ist der nächste Nachfolger Heinrich der Lange; dieser herrscht wie sein Vater über die Markgrafschaft Soltwedel und zugleich über Stade, also auch über Dithmarschen. Wir sehen auch, daß er einzelne Grundstücke in Dithmarschen verschenkt, so daß er auch mit ganzem Rechte über dasselbe muß geherrscht haben. Wir haben nämlich noch eine Urkunde, daß er an das Kloster Hersefeldt einige Grundstücke schenkte, die zum Dorfe Waterwall gehörten, vielleicht das jetzige Weddernwall im Kirchspiel Eddelack.
Als Heinrich der Lange im Juni 1087 verstorben ist, folgt ihm sein Bruder Lüder Udo III., der bis zum Juni 1106 geherrscht hat. Da sieht man denn wieder, daß er dieselbe Macht über Dithmarschen übt, wie sein Vorgänger, indem er den Harsla-Wald, Trumpstede und Fragistede urkundlich an jenes Kloster verschenkt. Ich führe dieß alles hauptsächlich deswegen an, weil es außer dem Uebrigen klar zeigt, daß Dithmarschen nie wesentlich von Stade getrennt war. Wichtig ist dabei, daß Dithmarschen in jenen Urkunden nie cometia [44] oder dergleichen genannt wird, sondern pagus Thetmarsiae oder Thetmarsium, und einmal Thetmarsia.
Nach dem Tode Lüder Udo’s III. folgt in Soltwedel sein Bruder Rudolf I.; in der Grafschaft aber, d. h. in Stade und Dithmarschen, folgt ihm Friedrich, ein Vornehmer aus der Grafschaft selbst, dem Lüder Udo schon lange vor seinem Tode die Verwaltung derselben übertragen hatte bis zur Volljährigkeit seines noch jungen Sohnes; unter welcher Bedingung auch Rudolf nur die Markgrafschaft angetreten hatte. Lüder Udo’s Sohn hieß Heinrich III. und hatte alles Recht, seinem Vater in der Regierung zu folgen, wenn er erst, wie man sich damals auszudrücken pflegte, zu seinen Jahren gekommen, d. h. mündig geworden wäre. Aber beide Verwalter scheinen sehr treulose Männer gewesen zu sein, und Friedrich ließ sich auch im höchsten Grade undankbar finden gegen das gräfliche Haus.
Er war nämlich auf höchst eigene Art auf diesen Platz gelangt. Seine Großmutter war eine vornehme Engländerin, welche mit ihrer Tochter das Unglück hatte, vom Sturm auf einer Seereise verschlagen zu werden, und in der Elbe bei Stade Schiffbruch zu leiden. Nach den Ansichten der damaligen Zeit, die namentlich von dem Erzbischof von Bremen sehr stark in Ausübung gesetzt wurden, hatte ein Schiffbrüchiger, so wie er ans Land kam, die Freiheit verloren. So durften auch die beiden Frauenzimmer nicht frei wieder in ihr Vaterland zurückkehren, und die Kirche gerade war es, hier also der Erzbischof von Bremen, die sie in Beschlag nahm, und beide wurden förmlich der Bremer Kirche als Leibeigene zugesprochen. Aber Oda, die Gemahlin Udo’s II., nahm sich freundlich ihrer an, verheirathete die Engländerin standesmäßig, d. h. so weit es geschehen konnte. Denn ein schwerer Makel blieb das immer, daß sie einmal der Knechtschaft zugesprochen war, und das so sehr, daß der Makel noch an Kindeskindern haftete. – Eben das macht der Markgraf Rudolf geltend gegen Friedrich, welchen er als den Enkel einer Leibeigenen nicht als Herrscher von Stade anerkennen wollte. Der Kaiser Heinrich V. nahm [45] sich der Sache an, und wollte in dieser Hinsicht den Grafen geschützt wissen. Allein der Markgraf führt den Friedrich nicht nur als Gefangenen, sondern als wirklichen Knecht fort, bis endlich der Erzbischof seine Loslassung bewirkt. Nun fängt Friedrichs Glück wieder an, sich zu heben, denn er erwirbt nicht nur die Verwaltung der Grafschaft wieder, sondern weiß sogar bei dem Erzbischof von Bremen sich einen Lehnsbrief auszuwirken, ist auch bis an sein Ende Graf von Stade geblieben, und wird daher gewöhnlich Friedrich von Stade geheißen.
Jene Belehnung vom Erzbischof Adalbert hatte sich Graf Friedrich vermuthlich durch Geld zu erwerben gewußt. Sie geschah im Jahre 1124. Gerade in demselben Jahre verstarb jener Rudolf, der Verwalter der Markgrafschaft Soltwedel. Mochte er dieselbe auch widerrechtlich besessen haben, so hatte er doch vor seinem Tode noch seinen Neffen Heinrich III. in dessen rechtliches Besitzthum eingesetzt. Aber dieser, der nun freilich diesen Theil seines väterlichen Erbes erworben hatte, nicht aber zum Besitz der Grafschaft Stade gelangte, verstarb ebenfalls sehr bald, schon im Jahre 1128, und wie man glaubt, an Gift, doch ist dies nicht erweislich. Wir müssen dieses Alles so umständlich deswegen anführen, weil viele Zweifel gegen den dauernden Besitz des Grafen Friedrich erhoben sind. Es liegt aber am Tage, daß Friedrich sowohl Stade als Dithmarschen behauptete, wenn auch zuerst einige Male seiner Abstammung wegen angegriffen, und er hat dieses Besitztum 40 Jahre lang beherrscht.
Zu der Zeit nun, da er dieses Gebiet beherrscht, wird erwähnt, daß der Erzbischof Adalbert II. in Person einmal nach Dithmarschen gekommen sei, um daselbst eine Kirchenvisitation zu halten, also wahrscheinlich nach Meldorf, und daß er daselbst geraume Zeit verweilt habe. Während dieser Zeit nun, da er hier sich aufhielt, geschah es, daß aus dem benachbarten Holstein, und zwar aus der Gegend von Faldera, Leute zum Erzbischof kamen und ihn dringend baten, daß er ihnen einen seiner Priester, die er mit sich führte, überlassen möchte. [46] Er erfüllte ihre Bitte und der übersandte Priester war der für dieses Land so denkwürdige und bemerkenswerthe Vicelin. – Friedrich von Stade starb endlich 1135. Es ist allerdings möglich, daß das Geschlecht der eigentlichen Grafen von Stade sich mehrmals bemüht hat, ihm sein Besitzthum wieder abzunehmen; so lange er aber lebte, war ihr Bemühen vergeblich gewesen. Als er aber verstorben, regten sie sich wieder.
Rudolf I. hatte nämlich viele Söhne hinterlassen, von denen jedoch nur zwei den Friedrich überlebten: Rudolf II. und Hartwig; auch hatten sie noch eine Schwester Luitgard, die an den dänischen König Erich Lam verheirathet war. Von diesen beiden Söhnen Rudolf’s war in seinem Bemühen um diesen Theil ihrer reichen Erbschaft zuerst der älteste Rudolf II. glücklich. Was die eigentliche Markgrafschaft betraf, so hatte freilich ein älterer Bruder von ihm dieselbe einmal besessen, war aber in Vertheidigung seines Besitzes gegen das Anhalt’sche Grafenhaus von Ascanien gefallen, und seitdem hatten sie die Hoffnung ganz aufgeben müssen, zu dem ganzen, reichen Erbtheil zu gelangen; und Stade und Dithmarschen ist seitdem nie wieder mit Brandenburg verbunden gewesen. – Dem älteren Bruder also ward Stade zu Theil, doch nur auf die Weise, daß er sie zu Lehn vom Erzbischof zu Bremen erhielt, denn dieses Recht hatte sich ja einmal gegründet. Nothwendiger Weise erhielt er auch Dithmarschen mit, welches wir nur deswegen anführen, weil Bolten, verleitet von unzuverlässigen Quellen, auf das Gegentheil hinaus will. Das von uns behauptete Gegentheil löst uns aber noch Eins, welches sich angeführt findet in der bekannten Fortsetzung des Neocorus, verfaßt vom Landmann Hans Detlefs. Er behauptet, daß in aller jener ältesten Zeit nur die südliche Hälfte von Dithmarschen jenem Grafenhause unterworfen gewesen sei, daß hingegen die nördliche Hälfte sich immer frei erhalten habe.
So nun war es der Dithmarschen alte Gewohnheit und darum erträglich, dem entfernten Grafenhause zu Hersefeldt, und dann zu Stade zu gehorchen; daß aber regierende Herren dauernden Wohnplatz in ihrem Lande aufschlugen: daran waren [47] sie nicht gewöhnt, das konnten sie nicht ertragen. Auch sahen wir schon, wie es jenen ersten, die eben das versuchten, ergangen war. Graf Rudolf II. nun, der sich denn etwa durch Hinzuerwerbung der nördlichen Hälfte von Dithmarschen entschädigen wollte für den größern Theil seines Stammerbes, beschloß jenes zu thun. Er faßt den Entschluß, in Dithmarschen, und zwar auf der festen Böklenburg, seinen Wohnsitz aufzuschlagen und, wie die Dithmarschen nun behaupten, so war dies zugleich verbunden mit ungewöhnlicher Härte. Sie erzählen: er habe Steuern ausgeschrieben an Naturalien sowohl als an Geld, häufiger und stärker, als gewöhnlich, und dieses Alles habe die Dithmarschen vermocht, darauf zu sinnen, wie sie sich der unbequemen Herrschaft entledigen möchten. Der Hergang dieser Sache ist mit vielen Sagen ausgeschmückt, namentlich mit der, wie in jener Zeit Mißwachs und Theurung gewesen, und wie der Graf gleichwohl nicht nur den Zins vom vorigen Jahre, sondern auch den laufenden verlangt habe; wie er das Land für überreich gehalten, auch dadurch verführt, daß er einmal zu Gast gewesen bei einem reichen Dithmarschen, Namens Wirth in Schaafstede, der ihn reichlich bewirthet und darauf seinen Reichthum an Korn und Vieh gezeigt habe. Als der Graf in seiner Strenge nicht nachließ, wozu ihn auch die regierende Gräfin ermuntert haben soll, so beschlossen die Dithmarschen, sich seiner zu entledigen. Es wird erzählt, daß eine Menge Wagen zur Burg hineingefahren wären, beladen mit Säcken, als kämen sie den geforderten Kornzins abzutragen; in den Säcken wäre aber nicht Korn, sondern eine Menge bewaffneter Männer gewesen; auch wären neben den Wagen eine große Menge Männer gegangen, als bestimmt beim Abladen zu helfen. Aber als sie in die Burg kamen, da riefen sie einander plötzlich zu, die Stricke um die Säcke loszuschneiden. So vereinigten sich Alle und rüsteten sich, die Burg zu stürmen, in welche sie schon eingedrungen waren. Auch hatte man durch einen Wagen, den man im Fallgitter stehen ließ, verhindert, daß das Fallthor nicht niedergelassen werden konnte. Nun suchten sie den Grafen und [48] die Gräfin, und da erzählt man, daß die Gräfin, als sie vernommen, was vorgefallen war, sich aus einem Fenster des Schlosses in einen Graben, der bei demselben vorbeifloß, gestürzt, und so ihr Leben geendigt habe, und daß von ihrem Namen Wallburg die Aue den Namen Wallburgsaue bekommen habe. Den Grafen suchte man lange vergeblich; endlich fand man ihn und tödtete ihn, wobei hinzugefügt wird, daß er durch eine zahme Elster verrathen worden sei, die ihn nicht habe verlassen wollen und immer seinen Namen gerufen habe. Nachdem dieses geschehen, zerstörten die Dithmarschen die Böklenburg gänzlich und machten sie dem Boden gleich. – Diese Begebenheit wird von allen Aelteren in’s Jahr 1144[19] hinversetzt, von den Neueren in das folgende, 1145, und zwar so, daß sie auf den Iden des Märzes (beiläufig gesagt, nicht der 13., sondern ganz gewiß der 15.) geschehen sei. Bolten, welcher den 13. März annimmt, sucht diesen Streit der Jahre zu schlichten, und entscheidet für das spätere Jahr. Im Grunde ist aber gar keine Unrichtigkeit da, indem bei näherer Beleuchtung der Sache keine Abweichung stattfindet. Denn aus mehreren Gründen wird es fast unzweifelhaft, daß in den meisten nördlichen Ländern nicht, wie jetzt, der 1. Januar, auch nicht, wie in Dänemark und anderen Orten, der 25. December, sondern der 25. März der erste Tag des Jahres war, mit welchem Tage man zugleich das Osterfest verband. Den ältern Berichterstattern also, die nach dieser Zeitrechnung sich richteten, mußte der 15. März an das Ende ihres Jahres fallen, und so schrieben sie noch 1144, und den Späteren mußte der Tag ins erste Viertel des Jahres 1145 fallen. – Was aber die Erzählung der alten Dithmarschen vom Tode jener Gräfin betrifft, so verhält sich die Sache wohl nicht ganz so, wie wir soeben ihnen nacherzählten. Die Aue soll nämlich den Namen Wallburgsaue, wie sie lange hieß, von ihr bekommen haben; wir wissen aber, daß die Aue in ziemlicher [49] Entfernung vom Schlosse hinfloß, so daß die Gräfin wohl nicht aus dem Schloßfenster in sie habe springen können. Ueberdieß behaupte auch Albertus von Stade, daß diese Gräfin nicht Wallburg, sondern Elisabeth hieß, indem er ausdrücklich sagt: „Rudolphus, qui duxit Elisabeth, sororem Ottocar de Stire.“ Inzwischen folgen wir dem Albertus, der unzählige Irrthümer, besonders was Namen betrifft, begangen hat, nicht ganz. Wir wissen nämlich aus der Genealogie der steirischen Geschichte, daß die Mutter dieser Gräfin Wiliburgis hieß, und so ist es sehr glaublich, daß auch sie so hieß, und daß aus jener zufälligen Namenverwandschaft jene ganze Sage sich bildete. – Was die ganze Sache bestätigt, ist eine andere Erfahrung, nämlich die, daß nicht lange Zeit darauf Hartwig, des Grafen Bruder, als es ihm gelungen war, Rache für die Ermordung seines Bruders an den Dithmarschen zu nehmen, in Böklenburg zum Andenken jenes traurigen Todes eine Kirche erbaute; das wäre denn die zweite jener Kirchen, die wir für die ältesten in Dithmarschen halten müssen[20].
Den erblos erschlagenen Rudolf II. überlebten seine Mutter und sein Bruder Hartwig, der, wie es den jüngeren Söhnen der hohen Häuser in jenen Zeiten gewöhnlich zu gehen pflegte, dem geistlichen Stande geweiht war, und der damals als Domherr in Magdeburg lebte. Er war aber der alten Herrschaft wohl mehr eingedenk, als des geistlichen Standes, und schloß bald einen Vertrag mit seinem Erzbischof, in welchem er ihm
[50] ansehnliche Erbgüter seines Hauses zusicherte, wenn dagegen der Erzbischof ihm verhelfe zu seinem Recht auf die Grafschaft Stade. Der Erzbischof ging das ein, stellte seinem Domherrn eine Zusicherung zu, daß er, sollte die Sache nicht gelingen, ihm jene Güter wieder abtreten werde, gewann den Kaiser für die Sache, und sie gelingt wirklich noch im selbigen Jahre 1145. Seltsam ist es freilich, daß in der hierüber aufgesetzten Acte sich der Name Stade nicht finden will; aber mehr für die, denen es auch merkwürdig war, daß wir in der im Jahre 1062 aufgesetzten Belehnung des Erzbischofs von Bremen mit jener Grafschaft wieder den Namen Dithmarschen vermissen. Der Name von Dithmarschen kommt aber allerdings vor, und zwar in dem Zusatze „Nordlandiae comitatus“, so daß es keinem Zweifel unterworfen ist, daß darunter der Nordtheil der Grafschaft, nämlich Dithmarschen und die sieben Parochien, zu verstehen sind. Da nun so die einzelnen Landestheile, z. B. auch die haereditas Idae aufgeführt sind, die dem Domherrn Hartwig zugestanden werden, so darf es uns gar nicht befremden, daß wir den Namen des Ganzen nicht finden.
Aber mit diesem Bemühen des Erzbischofs und des Kaisers war die Sache noch nicht abgethan; noch Andere treten auf und wollen ihre Ansprüche auf dieses reiche Erbe geltend machen. Zunächst die Vormünder des jungen Heinrich des Löwen, dessen Mutter behauptete, daß der Erzbischof Adalbert noch zu Zeiten Rudolfs II. ihrem Sohne auf solchen Fall die Lehnsrechte versprochen habe. Dann aber meldet sich sogar ein Schwager Hartwigs, Friedrich, Pfalzgraf von Sommersenburg (im Magdeburgischen), der behauptete auch, der Erzbischof von Bremen habe ihm das Versprechen gegeben, und beide zugleich behaupteten, Hartwig habe gar kein Recht auf das Besitzthum; er habe sich einmal dem geistlichen Stande gewidmet, könne also auf weltliche Herrschaft keine Ansprüche machen. Adalbert II. von Bremen neigte sich zum Domherrn hin, der nun Propst in Bremen ward; und allem Anschein nach hat schon damals das Domcapitel beschlossen, daß Hartwig dem Adalbert in seiner hohen Würde folgen sollte, um so die [51] Grafschaft wieder an das Erzbisthum zurückzubringen. Aus diesem Grunde entschied Adalbert für den Hartwig, daß ihm sein Erbrecht zu Gute komme, und belehnte ihn mit der Grafschaft. Allein der junge Heinrich der Löwe wollte sich dieß keineswegs gefallen lassen, und brachte noch im selben Jahre 1145 eine Zusammenkunft der streitigen Partheien in Rameslohe zu Stande. In diesem Lehnsgericht muß es vorzüglich durch die Hitze des jungen Herzogs zu mancherlei heftigen Auftritten gekommen sein, denn man hört von allen, sowohl bremischen als benachbarten Berichterstattern übereinstimmend, die Klage, es habe Heinrich den Erzbischof behandelt, als wäre es sein Caplan gewesen. Er nahm ihn sogar mit seinem Propsten Hartwig gefangen und suchte ihn so mit Gewalt zu zwingen. Inzwischen mag wol eben dieses übereilte Verfahren und Vergehen an so hohen Geistlichen den jungen Herzog besonders zur Nachgiebigkeit bewogen haben; vorzüglich da er, der in so mannigfach verwickelter Lage stand, zumal bei seinem ersten Auftreten es mit der hohen Geistlichkeit nicht verderben durfte. Es kam zum Vergleich, von dem wir freilich urkundlich nichts wissen; doch dürfen wir wohl behaupten, daß gerade das Resultat desselben das wahre sein wird, welches Bolten das unwahrscheinlichste scheint, nämlich daß der Herzog nachgab wegen seiner Lage und ersten Uebereilung, und die Grafschaft in den Händen des Erzbischofs ließ, den wir auch wirklich, wenn wir uns die Mühe geben, dem Hergange näher zu folgen, im Besitz der Hauptschlösser Stade, Vöhrde und Freiburg finden. Hartwig der Dompropst mag auch gutwillig zurückgetreten sein, welches er auch gern konnte, da ihm ja die Erbfolge in Bremen zugesichert war, und somit ja auch in seinem Stammgute.
Es ist aber eine ganz falsche Meinung, die blos der viel spätere Kranz hat, wenn erzählt wird, daß Hartwig Dithmarschen gleich an Bremen gebracht habe, indem er gleich Anfangs nichts damit habe zu thun haben wollen, wegen des wilden Sinnes der Einwohner. Diese ganze Verwirrung kam leicht; die Sache stand so: Dithmarschen hatte die gräfliche Herrschaft abgeworfen, und wer es haben wollte, mußte kommen [52] und es mit gewaffneter Hand nehmen. Und das ist geschehen ein paar Jahre darauf, und zwar wie der Erzbischof und Heinrich der Löwe genaht sind im gemeinschaftlichen Zuge. Sie hatten sich nämlich 1147 im besten Einverständnisse zu einem gemeinschaftlichen Heereszuge gegen die Slaven im Obotriten-Lande (Mecklenburg) vereinigt, in welchen der Erzbischof für den Herzog mitzog, unter dem Versprechen, daß der Herzog nachher ein Gleiches für den Erzbischof gegen die Dithmarschen thun solle. Nachdem sie im selbigen Jahre 1147 siegreich zurückgekehrt sind, rüsten sie sich mit bedeutendem Heere zum zweiten Zuge, und auf diesem ist mit dem Herzog der Dompropst Hartwig, woraus schon bestimmt folgen will, daß der Zug nicht gegen den Willen des Erzbischofs geschah. Heinrich nennt in einem Erlasse die Dithmarschen Mörder und Feinde des Reiches; denn seit Ermordung ihres Grafen hatten sie sich durch Widerspenstigkeit von aller Herrschaft frei erhalten. Er zieht Truppen mehrerer Vasallen an sich, vor Allen erscheint der Graf Adolf II. von Holstein mit ganzer Macht; auch erscheinen die Grafen von Oldenburg und Andere. Man zieht hin, und es gelingt nicht nur die Dithmarschen zu überwinden, sondern auch vollkommen zu unterjochen.
Wie ward es aber nun mit dem Lande? Es scheint, daß der Herzog seinem früheren Versprechen treu blieb, aber er entschädigte sich dadurch, daß er einen jährlichen Zins auf die Dithmarschen legte, und zwar an Weizen, Roggen, Schaafen und andern Dingen, worüber wir noch Zeugniß finden bei dem Presbyter Bremensis (über dessen Schrift, die lateinisch und sächsisch uns erhalten ist, wir beiläufig bemerken, daß der lateinische Text der Urtext ist; der sächsische ist eine Uebersetzung, die häufig vom Sinne abweicht). Dadurch nun suchte sich Heinrich zu entschädigen, und allem Anscheine nach hat er Adolf II., seinen besten und kräftigsten Gehülfen auf diesem Zuge, dadurch wieder belohnt, daß er ihm eine ganze Quote des Zinses abtrat; denn wir finden, daß demselben nach diesem Zuge eine gewisse Anzahl Scheffel Hafer aus einigen Gegenden der dithmarsischen Geest geliefert werden mußte. Dieß war [53] geschehen im Jahre 1148, als im selben Jahre Adalbert starb, und nun, was ohne Zweifel längst verabredet war, der Dompropst ihm folgte.
Der neue Erzbischof Hartwig erhielt sich, wie es scheint, die ersten zehn Jahre hindurch im Ganzen in sehr unruhigen Verhältnissen; aber so ungefähr um das Jahr 1158 zerfiel er mit dem Herzog Heinrich dem Löwen[21], und jetzt begab sich das, was von Vielen als gleich geschehen angenommen wird: jetzt trachtet Heinrich darnach, wie er die Grafschaft Stade, und zwar beide Elbufer, sich zueignen könnte. Der übermächtige Herzog überzieht das Land mit sehr überlegener Macht, und setzt sich auf gewaltsame Weise in Besitz der Grafschaft Stade und so auch Dithmarschens, und was namentlich letzteres betrifft, so wird uns berichtet, daß ein Vasall des Herzogs als Graf von Dithmarschen nun eingesetzt wird, welcher Reinhold hieß und als Graf von Ertelenburg genannt wird. Diese gewaltthätige Besitznahme gab nach unserem Erachten Dithmarschen den ersten wirklichen eigenen Grafen. Reinhold nun führt die Verwaltung des Landes eine Anzahl Jahre hindurch, und zwar bis zum Jahre 1164, wo er fällt in einem unglücklichen Treffen gegen die Wenden bei Demmin, in einem der vielen Wendenkriege, die sein Lehnsherr Heinrich geführt hat. Zu derselben Zeit, wohl in demselben unglücklichen Treffen, fällt auch ein anderer Vasall des Herzogs, der verdienstvolle Graf Adolf II. von Holstein.
Erst nach Reinholds Tode scheint, wenn wir dem Hans Detlefs folgen, Heinrich der Löwe eine feste Burg in Dithmarschen erbaut zu haben, denn die Böklenburg war ja zerstört. Er baute die Stellerburg mehr im Norden des Gaues oder der Grafschaft[22], wie man jetzt wohl richtiger das Land [54] benennt. Sie hatte aber nur kurzen Bestand; denn es wird erzählt, daß die Dithmarschen sich auch dieser auf listige Weise bemächtigten, indem sie die Zeit des Pfingstfestes benutzten, wo der größte Theil der Besatzung die Burg verlassen hatte, um im Freien sich zu belustigen, und sich glücklich in dieselbe hineinwarfen, die darin befindliche Besatzung theils gefangennahmen, theils niedermachten, und den Theil, der im Freien gewesen war, von der Erstürmung abschlugen.
Der Erzbischof Hartwig ist verstorben im Jahre 1168, und sein Nachfolger war Balduin. Der war Caplan Heinrichs des Löwen gewesen, dankte ihm eigentlich seine jetzige Erhöhung, und war also am wenigsten geneigt, es mit dem Herzog zu verderben und einen ernstlichen Versuch zu machen, die seinem Erzbisthum entzogene Grafschaft wieder zu erwerben. Er ließ die Sache so hingehen und deshalb blieb Stade sammt Dithmarschen ungestört dem Herzoge[23]. Allein 1178 stirbt Balduin und ihm folgte ein Erzbischof nach aus einem Hause, das gerade in dieser Zeit bestimmt war, aus mittelmäßigem Stande zu großer Herrschaft sich zu erheben, nämlich aus dem anhaltischen oder ascanischen Hause. Dieser Erzbischof war Siegfried, Bruder Herzog Bernhards, welcher bald darauf mit bedeutender Kraft, durch glückliche Umstände begünstigt, Gelegenheit fand, sich Heinrich dem Löwen entgegenzusetzen. Dieses Herzogs Macht war auf den höchsten Gipfel gestiegen. Ueber alle andern deutschen Fürsten hervorragend, war er in Deutschland selbst mächtiger als der Kaiser, welcher aber gerade jetzt den gewaltigen Vasallen in die Acht erklärt, weil er seinem Kaiser in einem Augenblick ungetreu ward, da dieser, verwickelt in italienische Angelegenheiten, seiner vorzüglich bedurfte. Kaum ist das geschehen, als sich alle Feinde des Herzogs gegen ihn erheben, deren er eine große Menge sich zugezogen hatte durch [55] seine Habsucht und Ländergier. Das Herzogthum wird vom Kaiser Friedrich I. zu Lehn gegeben dem Herzog Bernhard von Anhalt, dem Bruder unsers Erzbischofs Siegfried, und letzterer bemüht sich nun aufs äußerste, die Lage der Dinge zu benutzen, um die verlorene Grafschaft seinem Erzbisthum wieder zu gewinnen, oder sie noch lieber seinem Bruder zuzuwenden, denn dem Siegfried lag der weltliche Glanz seines Hauses mehr am Herzen, als das Recht seines Erzbisthums, und es gelingt ihm wirklich, sich vom Kaiser Friedrich I. einen Lehnsbrief über die Grafschaft zu erwerben. Wie darf man sich nun wundern, daß in diesem Lehnsbrief Dithmarschen nicht ausdrücklich erwähnt wird. Es machte ja nicht einen Theil für sich aus. Ganz gewiß ist es daher falsch, mehreren Neueren beizupflichten, die dieses herauszudeuten versucht haben; es steht nämlich da: castrum Stadii et burgum, und letzteres haben sie von der Böklenburg erklären wollen. Diese war ja aber schon zerstört, und wo sonst ihrer erwähnt wird, geschieht es nie unter dem Namen Burgum allein, sondern immer Bokholde burgum und ähnlich. Solche Ausdeutungen dürfen auf keine Weise stattfinden, sondern mit jenem Ausdruck war gemeint Burg und Stadt Stade. Aber ebenso unrichtig ist es, wenn man aus jenem Grunde Dithmarschen ausschließen will, denn zu allen pertinentibus Stadii gehörte dieses auch.
Allein mit dieser Erwerbung des Erzbischofs war Graf Adolf von Holstein wenig zufrieden, der Dithmarschen lieber für sich gewonnen hätte. Daß der Erzbischof aber seinem Bruder die Grafschaft gebe, davon wollte Adolf gar nichts wissen, wie er überhaupt von jenem Herzog Bernhard nichts wissen wollte, und gar zu gern sein Holstein auch von ihm frei gemacht hätte. Für seine Ansprüche auf Dithmarschen konnte Adolf auch ein scheinbares Recht anführen, zumal in jenen Zeiten, wo der Zusammenhang der Verhältnisse noch nicht so klar durchschaut werden konnte; er konnte anführen, daß sein Vater einen Zins aus Dithmarschen erworben hätte. Ueberdieß war es die Zeit der Gewaltthätigkeiten, wo häufig ein solches Beginnen gelang. Kurz, Adolf griff zu und bemächtigte [56] sich Dithmarschens im Jahre 1182 und behauptete es eine Zeit lang bis 1184, wo er es zurückgab[24]. Damals aber war Siegfried schon verstorben und Hartwig II. gefolgt; dieser läßt fortdauernd jenen Zins an Naturalien von den Dithmarschen an den Grafen von Holstein auszahlen, wie er seit Heinrich dem Löwen eingerichtet war.
Bald aber lehnten sich die Dithmarschen gegen den Erzbischof auf, welcher vermuthlich ihnen dieselben Abgaben abgefordert hatte, die Heinrich der Löwe ihnen auferlegt. Da der Erzbischof seine Kraft zu schwach fühlt, so vereinigt er sich mit den oldenburgischen und holsteinischen Grafen. Kaum aber hat sich der Erzbischof mit verstärktem Heere der Grenze Dithmarschens genähert, so unterwerfen sie sich, da sie sehen, daß sie der Uebermacht erliegen müssen; wie der Erzbischof aber nur sein Heer entläßt, ohne auch nur ins Land hineingedrungen zu sein, so empören sie sich gleich wieder. Der Erzbischof, der seine Finanzen zerrüttet sieht, muß die Sache auf sich beruhen lassen, und die Dithmarschen, welche seine Herrschaft nicht lieben, sehen sich nach einem andern Herrn um und beschließen, sich nach ihrem Ausdrucke „von dem heiligen Petrus zu Bremen zu dem heiligen Petrus von Schleswig“ zu wenden, d. h. zu der Petrikirche zu Schleswig, dessen Bischof sie mit Freuden empfing[25].
Noch übler erging es aber dem Erzbischof Hartwig, der so die nördliche Hälfte seiner Grafschaft verlor, als er sich später Heinrich dem Löwen näherte. Heinrich hatte, durch den Haß [57] seiner Feinde gezwungen, Deutschland verlassen müssen. Nun kehrt er zurück und Hartwig nimmt ihn auf, und bahnt ihm den Weg nach Holstein. Da tritt der Kaiser Heinrich VI. dazwischen, erklärt den Erzbischof in die Reichsacht, weil er den Reichsfeind aufgenommen. Adolf III. von Holstein vertreibt Heinrich’s Schaaren aus seinem Lande und bemächtigt sich der Grafschaft Stade, und zwar auf Befehl des Kaisers. So muß der Erzbischof sich bequemen, kaiserliche Gnade zu suchen, und erhält sie, doch so, daß er bedeutende Bußen an den Kaiser bezahlt, und 1195 an Adolf Stade zur Lehn geben muß; doch so, daß der Graf nur den dritten Theil der Einkünfte erhält. Es ist wohl keinem Zweifel unterworfen, daß der kaiserliche Auftrag an Adolf auch Dithmarschen mit betraf, das sich ja nicht nur empört, sondern sogar einem Bischof außer Landes unterworfen hatte. Dieß erhellt aus dem Zusammenhang der Begebnisse und aus der Aeußerung Adolfs, daß er dem Erzbischof nicht nur Stade, sondern auch Dithmarschen erhalten habe. Der Bischof von Schleswig mußte wohl dazu schweigen, denn der mußte seine ehrgeizigen Pläne, die Krone Dänemarks sich aufzusetzen, in enger Kerkerhaft bereuen. – Eben dieser Heereszug des Grafen von Holstein, so wie seine Belehnung mit Stade, legte den Grund zu den später so oft erneuten Ansprüchen auf Dithmarschen. – So bleibt es mit Dithmarschen bis 1200, da der König Kanut von Dänemark in Krieg geräth mit dem Grafen von Holstein und sich Dithmarschens bemächtigt. Der Erzbischof Hartwig trat dagegen auf, konnte aber seine Ansprüche nicht geltend machen. Um sich zu rächen, fällt Adolf in Dithmarschen ein 1201, und verheert das Land durch Mord und Plünderung. Alsbald erscheint der dänische König wieder; Adolf muß aus seinen Erblanden fliehen, und Kanut setzt einen holsteinischen Edelmann Schack zum Grafen von Dithmarschen ein. Der führt nun die Dithmarschen dem königlichen Heere zu, das Hamburg belagert, wohin sich Adolf geflüchtet hatte; bald weiß dieser aber Hamburg nicht mehr zu halten, ja nicht einmal zu entfliehen. Er knüpft Unterhandlungen an mit Waldemar, dem Bruder des dänischen Königs, [58] der bald selbst König wird, und man kömmt überein, daß Adolf für seine Freiheit nicht nur Hamburg, sondern auch Lauenburg der dänischen Macht übergebe. Er wird selbst nach Lauenburg geleitet, unter Bedeckung der Mannschaft des Grafen von Schwerin, der sich auch bei dem königlichen Heere befand. Er kömmt vor Lauenburg an, wo er seine Besatzung auffordert, ihn und die Dänen einzulassen. Diese aber verweigert ihm dieß, und er richtet nichts aus. Hier ist nun allem Anscheine nach eine arglistige That vollführt worden. Wahrscheinlich wollten die holsteinischen Großen, die schon lange dem Grafen feind waren, daß er seine Freiheit nicht wieder erhalte, und auch Waldemar mag dieses gewünscht haben. Redlich wäre es gewesen, den Grafen nach Hamburg zurückzuführen und in den vorigen Zustand zu versetzen. Statt dessen benutzt man den Zorn, den die Dithmarschen gegen ihn hegten wegen seines früheren Plünderungszuges in ihr Land. Diese werden aufgeregt, sie fallen die Bedeckung des Grafen von Schwerin an. Dieser ist nicht im Stande, sich gegen die Uebermacht zu vertheidigen; dänische Truppen kommen während des Kampfes hinzu und nehmen den Grafen gefangen; ja Waldemar läßt ihn sogar in Ketten durch das Land führen, dessen Beherrscher er vor Kurzem gewesen war. Und so war denn für Bremen nicht allein das Land, sondern auch die Oberherrschaft über dasselbe verloren.
Diesen Verlust mußte Hartwig schon dulden. Um so eifriger suchte er seine übrigen Länder zu retten; allein ihm stand ein ähnliches Schicksal bevor, wie Adolf von Holstein. Kaiser Otto IV. griff ihn an und nahm ihn gefangen, und zwingt ihn, den südlichen Antheil der Grafschaft Stade abzutreten.
Dithmarschen bleibt von nun an getrennt von Stade. Unwillig dient es freilich, wie ganz Nordelbingen, der Herrschaft Waldemars; diese wird aber neu befestigt 1214; denn sie gewinnt einen Rechtstitel, da sie bisher noch für eine Usurpation gelten mußte. Denn Kaiser Friedrich II. stellt, um sich mit Waldemar zu befreunden, eine Acte aus, nach welcher Waldemar Nordelbingen als einen Theil Dänemarks besitzen [59] sollte. Dieser richtet sich nun ein im erworbenen Lande, und erbaut 1218 zwei Schlösser, eins an der östlichen Grenze seiner Herrschaft bei Travemünde und das andere im Westen derselben, also wohl im dithmarsischen Lande; es hieß Lin und lag im Norden Dithmarschens, im Bezirk des Kirchspiels Lunden, und mag wohl die Veranlassung zur Erbauung des Ortes Lunden gegeben haben. – In diese Zeit fällt der Vergleich, welcher die kirchlichen Angelegenheiten Dithmarschens festsetzte: nämlich zwischen dem Erzbischof zu Bremen und dem Domcapitel zu Hamburg im Jahre 1223. Da ward der Dompropst, als der erste des Domcapitels in Hamburg, geistlicher Herr erster Instanz über ganz Nordelbingen, und selbst nachher, als Dithmarschen wieder unter Bremen kam, war der Erzbischof nur weltlicher Herr des Landes, und geistliche Sachen konnten nur durch Appellation an ihn gelangen.
Im Jahre 1223 schlug Waldemars Glück um. Er war in die Gefangenschaft des Grafen von Schwerin gekommen, und sah keine andere Hoffnung, zu entkommen, als auf dem Wege der Unterhandlung. Der Graf von Schwerin bewog nun das holsteinische Grafenhaus, wieder zurückzukehren in ihr Stammland; Adolfs Sohn, Adolf IV., erschien und zugleich der Erzbischof Gerhard von Bremen. Die meisten Holsteiner huldigten jenem, so daß auch dieser schon 1225 in Dithmarschen eindringen konnte, welches auch die alten Verpflichtungen gegen seinen Stuhl anerkannte. In diesem Jahre ward auch Waldemar wieder frei, doch nur durch schweres Lösegeld und durch eine eidliche Entsagung der Herrschaft über Nordelbingen. Allein es siegte doch ob der Löseschlüssel des Papstes, bei dem er um Lösung seines Eides nachsuchte, und der ihn von demselben als einem erzwungenen lossprach. 1226 rüstet er sich und fällt in Dithmarschen ein und kömmt bald in Besitz des Schlosses Lin. Die Dithmarschen müssen nun dem Heer des Königs folgen, trotz des Widerstrebens im Innern des Landes. Auf sein Schwert sich verlassend, glaubte der König, daß die, welche es ungern thäten, doch tapfer für ihn fechten würden. Allein der Entscheidungstag zeigte seinen Irrthum: [60] dieses war der 22. Juli 1227, an welchem die Schlacht bei Bornhöved geliefert wurde. Schon vor der Schlacht hatten die Dithmarschen dem Erzbischof Gerhard ihre Neigung erklärt, ihm wieder anzugehören, und den Vorsatz, während der Schlacht von den Dänen abzufallen. Nur eins bedangen sie sich aus: nicht unter die holsteinische Herrschaft zu kommen, und ohne Mittel der Bremer Kirche anzugehören, und man ward darüber einig. Was die Dithmarschen versprochen hatten, hielten sie. Man hatte sie die Nachhut bilden lassen; als aber das Zeichen gegeben ward, zogen sie sich zu dem holsteinischen Heere. Wie sehr auch die historischen Nachrichten über diese Schlacht von einander abweichen, so stimmen sie doch darin überein, daß gerade dieser Abfall den für die Dänen so unglücklichen Ausgang herbeiführte. Mehrere Tausend Dänen wurden erschlagen, der König selbst war in Lebensgefahr; er verlor ein Auge, fiel besinnungslos zu Boden, und wurde nur durch einen deutschen Ritter seines Heeres dem Getümmel entrissen und nach Kiel gebracht.
Der Erzbischof Gerhard und Graf Adolf erschienen vollkommen als Sieger und hatten das Ziel erreicht, welches sie sich vorgesetzt; denn allerdings erneuert Waldemar 1228 den Versuch, kann aber nichts ausrichten, und schon 1229 trifft er mit Holstein ein friedliches Abkommen. Und auch auf andere Weise befestigt der Erzbischof seine Herrschaft über Dithmarschen.
Nachdem wir so einen neuen Ruhepunct gefunden, dürfen wir jetzt nicht so, wie bisher dem Zusammenhang der Verhältnisse [61] und Begebenheiten Jahr für Jahr folgen, sondern wir müssen jetzt schon uns bemühen, das Land und die Leute selbst zu betrachten, und die Art, wie es allmählich bevölkert wurde. Dabei folgen wir, als Führern, dem Adam von Bremen und dem Helmold. Eben so gewiß es ist, daß die erste Bevölkerung Dithmarschens sächsischer Art war, eben so gewiß ist es, daß friesische Stämme später einwanderten. Neocorus sagt, daß das große Geschlecht der Voigtemannen[26] aus dem Budjadinger Lande eingewandert sei; an derselben Stelle führt er auch an die Todiemannen, und daß diese zu Nienkerken wohnten; und so ist es wahrscheinlich, daß diese auch ein friesisches Geschlecht waren und eingewandert sind, und dieß ist geschehen zwischen den Jahren 1195 und 1201, wie eine glaubhafte Familiennachricht der Boien erzählt[27]. Der Grund dieser Einwanderungen läßt sich nicht mit Gewißheit angeben; vielleicht glaubten der Erzbischof und der Graf durch solche Vermischung die Dithmarschen an Gehorsam zu gewöhnen, da die Friesen als alte Unterthanen des Grafen besser gehorchen würden; vielleicht trug auch das dazu bei, daß um diese Zeit große Ueberschwemmungen in den Marschen der Westsee viele Menschen weggerafft hatten. So viel ist gewiß, daß die friesischen Stämme vorzugsweise die Marsch bewohnten, und daß unter ihnen die Voigtemannen überwiegend waren. Alle diese Friesen, welche zusammen eine feste Genossenschaft bildeten, wohnten von der nördlichen Grenze an bis zum äußersten Süden hin. Keineswegs ist aber anzunehmen, daß die Einwohner sächsischer Art ganz aus den Marschländereien verdrängt wären; die Eingewanderten machten nur in denselben die Mehrzahl aus. – Auf dieselbe Weise, wie die Voigtemannen in der Marsch, wohnten auf der Geest die Woldersmen, und zwar gerade durch die Mitte des Landes von Albersdorf und Tellingstede an; doch waren sie nicht ganz auf die Geest eingeschränkt; so haben sie [62] namentlich die große Wurt Olden-Wördens aufgedämmt. Ebensowenig waren auch die Voigtemannen auf die Marsch eingeengt, namentlich gehörte ihnen das Burgholz zu, in dessen Mitte die alte Böklenburg gelegen hatte, und diese lag doch auf dem höchsten Punct der Geest[28].
Wir wenden uns nun wieder zur Geschichte hin. Der Erzbischof Gerhard II. war jetzt Landesherr, und fragen wir nun, welche Rechte ihm als solchen zustanden, so giebt uns eine Stelle des Presbyter Bremensis Kunde davon. Zuerst ein Willkommen: pro jucundo adventu, welches 500 Mark Lübsch nach der alten schweren Währung betrug. Darauf das Strandrecht, welches überhaupt der Erzbischof mit der äußersten Strenge auszuüben pflegte, so daß man sogar Wagen, die durch sein Land mit Waaren beladen fuhren und umwarfen, anhielt und die Waaren für Strandgut erklärte. Sodann die Einnahme von der Elbe- und Eiderfähre; das Heu von der damals zu Büsum gehörigen Insel Tötel; außerdem hatte er freien Fischfang auf dem Kuden-See, die Nutzung des dichten ergiebigen Buchholzes; und endlich gab es auch allerdings jährliche Einkünfte, Gerichtsfälle, die der Erzbischof bezog. – Durch frühere Erfahrung belehrt, nahm er sich wohl in Acht, einen neuen Lehnsgrafen über das Land zu bestimmen, da dieses nur Veranlassung geben mochte zu neuen Empörungen, und da theils auch daraus, wenn ein solcher erblich ward, leicht eine Mittelherrschaft erwachsen konnte; sondern er schickte einen Vogt, advocatus[29], und ließ durch diesen die hauptherrschaftlichen Rechte verwalten. Zuerst sandte er einen, nachher im 13. Jahrhunderte kamen zwei, und zuletzt stieg ihre Zahl auf fünf. [63] Das Land hatte zur Zeit Gerhards vierzehn Kirchspiele: das Inselkirchspiel Büsum, welches selbst auf einer Insel lag und zu dem mehrere Inseln gehörten (zuerst genannt 1140); Wöhrden (1271); Weslingburen (1281), damals Wislingeburen; Lunden (1140); Delve (1281); Tellingestede (1281); Hennstede (1281); Herstede, später Norder-Hadstede (1281); Herstede, später Süd-Herstede (1140); Weddingestede (1140); Albersdorf (1281); Eddelack (1281); Merna (1281) und Bokholdeborg (erst 1326 erwähnt). Diese vierzehn Kirchspiele machten die kirchliche Einrichtung des Landes aus, und es gab damals noch keine Vereinigung von Kirchspielen oder Taufkirchen, die man später Döfte nannte[30]. – Wollte man einen bestimmten Ort in Dithmarschen bezeichnen, so nannte man eins dieser Kirchspiele; wollte man einen großen Landestheil bestimmen, so nannte man ihn, lag solcher in der Marsch: Norderstrand, im Norden von Meldorf, und Süderstrand, im Süden von Meldorf, und auf der Geest sprach man von Norderhamme und Süderhamme. Gelegentlich wollen wir hier einem Irrthum begegnen, der gemacht hat, daß man mit diesen Benennungen nicht zurechtzukommen wußte. Man bezog die Benennung Hamme nur auf die östlich von Heide gelegene, befestigte Waldgegend, theilte diese in zwei Theile, konnte aber die rechte Norderhamme nicht finden. So verhält es sich aber auf keine Weise. Die Norderhamme ist vielmehr eine viel größere und nördlich von der Heiderhamme belegene Befestigung, welche einen ganzen Bezirk auf der Geest umfaßte, nämlich die Kirchspiele Henstedt, Delve und Tellingstedt, und späterhin, als man die Eintheilung in Döfte hatte, machten diese Kirchspiele mit Albersdorf das Osterdöft aus. So nannte man dieses mit in der Norderhamme. Hamme nannte man sie, weil sie eine Landwehr bildete, den eindringenden Feind hemmte[31]. Nämlich, [64] was irgendwie hemmt oder gehemmt ist, das nannte man in altdeutscher Sprache Hamme, sei es ein Wald, oder ein Moor, oder eine tiefe Marschgegend an einem Flusse, welche durch Einpfählung gewonnen ward. Die Friesen pflegten sogar Stadt und Schloß so zu nennen, und in wie vielen Städtenamen finden wir nicht etwas Aehnliches, von Hamm in Westfalen an bis Hamburg. Hier, in den hohen Geestgegenden, fanden sich viele Waldungen, ein lang hingestrecktes Moor, Flüsse oder sogenannte Auen, die sich hier vereinigten: von der einen Seite, von Osten her die Tielenaue, die sich in die Eider ergießt; nach der anderen Seite, die vorzugsweise sogenannte Aue, die sich in ein paar Seen ergießt, und was so die Natur gethan hatte, war durch Kunst noch mehr befestigt. So war über der ersten Aue die feste Tielenbrücke, und über der zweiten die befestigte Aubrücke, und gleich südlich hart an diese stieß die kleine Süderhamme, welche also durch die Aubrücke mit der Norderhamme verbunden war, die viel größer war und mehrere Meilen im Umfang betrug. Diese Süderhamme hieß zum Unterschied auch parva Hamma, oder auch Hamme schlechtweg, d. h. ein dichter Wald, östlich von dem damals freilich noch nicht erbauten Heide gelegen, den äußerlich ein Graben rings umzog und innerlich doppelte, zum Theil dreifache Gräben durchschnitten. Nur ein gepflasterter Weg, mit Gräben umgeben, führte von Osten nach Westen durch denselben, so daß ein Feind, der sich in diese natürliche Befestigung hineinwagte, von allen Seiten angegriffen werden konnte. Spricht man nun von einer Hamme schlechtweg, so ist es diese, man mochte nun von Heide oder von Hemmingstedt in dieselbe hineindringen wollen, weshalb es nicht nöthig ist, daß die Schlachten, welche in derselben vorfielen, gerade in der Umgegend von Heide geliefert sind.
Der Mittelpunkt der Regierung war nun Meldorf, welchem wahrscheinlich Gerhard II. das Stadtrecht gab; nämlich im Jahre 1259 starb Gerhard und vom Jahre 1256 haben wir noch ein Diplom, auf dessen Siegel wir civitas Meldorpe [65] erblicken[32]. Hier also war der Sitz der Regierung, sowohl in geistlichen, als in weltlichen Dingen. Der Dompropst in Hamburg muß zweimal im Jahr seinen Officialen senden, der Strafen bestimmt, Brüchen setzt und überhaupt für das kirchliche Wesen Sorge trägt. Hier war die Versammlung der Aeltesten der Landesgemeinde; hierher kamen der Vogt oder die Vögte; dann die Ritter, milites, und drittens die consules, die Rathgeber[33], die Aeltesten der Kirchspiele, die nach den Geschlechtern erwählt wurden, und dann außerdem jeder dithmarsische Bauer, wohl damals nicht gerade, wenn er 11 Jahr 6 Wochen alt war, wie die spätere Bestimmung sagte, daß er dann sein eigener Vormund sein solle, sondern wir finden, daß der 18jährige solle testiren können, und vermuthlich stand dieses mit dem Recht, in der Gemeinde zu erscheinen, in Verbindung. Diese beriethen nun da in Gemeinschaft und faßten Beschlüsse über das Gemeindewesen.
Nach Gerhards II. Tode ward ein langer Streit geführt zwischen dem Hamburger und Bremer Capitel über seinen Nachfolger. In diesem Kampfe stehen den Hamburgern die holsteinischen Grafen bei. Endlich endet die Fehde, und 1265 schließt Dithmarschen einen Vertrag mit den Hamburgern. In der nächsten Zeit (Giselbert war inzwischen Erzbischof geworden) befreundet sich Dithmarschen mehr den holsteinischen Grafen, als daß es sich an seinen Landesherrn anschließt; es schließt 1283 ein Bündniß mit ihnen, worin es zusagt: sie wollten ihnen immer, wenn ihr Land angegriffen wird, mit Heeresfolge Beistand leisten; zuerst freilich mit der Ausnahme, wenn ihr Landesherr Holstein angreifen würde; doch fügen sie noch am Ende hinzu, sie würden auch selbst gegen diesen Hülfe leisten[34]. Dieser Vertrag ist später wieder aufgefunden und von den holsteinischen Herren mißdeutet worden, die später [66] darauf Ansprüche bauten, indem sie denselben eine Unterwerfungsacte nannten, da es doch nur ein amicitiae vinculum war, ein Vertrag, den Beistand betreffend, der außerdem durch spätere Verträge längst aufgehoben war. Wir sehen auch, daß dies bessere Vernehmen bald in das Gegentheil übergeht; ja es ward bald zum Kriege, da die holsteinischen Grafen, uneingedenk des bei der Schlacht von Bornhöved gegebenen Versprechens, in Dithmarschen einfallen. Der Ausgang war für die Grafen unglücklich und begab sich auf eine seltsame Weise: es standen beide Streitkräfte sich einander gegenüber, als ein Kater, Unglück bringend, bei dem holsteinischen Heere vorbeilief; „cattus quidam“ (sagt nach der Latinität seiner Zeit unser Berichterstatter Hermann Corner) „qui creditur fuisse Diabolus“. Die Holsteiner erschraken vor der Erscheinung. Einige wichen derselben aus, Andere scheuchten das Thier; eine allgemeine Unruhe entstand und sie ergriffen die Flucht. Wenn diese Erzählung auch etwas wunderbar lautet, so ist sie darum doch an sich nicht unglaubhaft; denn oft schon verhinderten geringe Umstände große Thaten, oder brachten sie auch hervor. Inzwischen mag auch außer dem Kater (oder, wie Andere wollen, dem Hasen) noch etwas Anderes hinzugekommen sein, was die Holsteiner zur Flucht brachte. – Bei diesem Kampfe sendet der Erzbischof den Dithmarschen Hülfe, woraus erhellt, daß das gute Vernehmen mit ihm muß wieder hergestellt gewesen sein. Bald wurde auch dadurch der Friede zu Stande gebracht, daß der Graf Heinrich I. eine Nichte des Erzbischofs zur Ehe nahm, und seitdem scheint der Erzbischof sogar geneigt gewesen zu sein, für den Gemahl seiner Nichte selbst mit Gefährdung der Rechte Dithmarschens und seines Erzbisthums manches zu thun. Der Erzbischof besaß viele Privatgüter in Dithmarschen; diese schenkte er dem Grafen, und außerdem, wenn wir Bolten glauben, die Kirchspiele Delve und Tellingstede; allein es lagen vielmehr jene Güter in diesen beiden Kirchspielen, wie es sich ausgewiesen hat, und daher entstand jener Irrthum Boltens.
Giselbert starb 1307. Während seiner Regierung hörte [67] der Adel in Dithmarschen auf ein Stand zu sein; theilweise ward allerdings auch der Adel vertrieben. So hatten die Wollersmannen und Meienmannen die Reventlows vertrieben, die sich nach Holstein begaben, und noch jetzt giebt sich ihre Abkunft von den Vogtemannen durch die Gleichheit der Wappen zu erkennen: eine Mauer mit Zinnen. Im Allgemeinen blieb der Adel in Dithmarschen, nur hörte er auf, ein Stand zu sein; denn im 14. Jahrhunderte kommen keine Ritter mehr vor. Die Mehrzahl ergab sich darin, keine Unterthanen mehr zu besitzen und die adeligen Rechte zu verlieren, doch blieben die adeligen Namen[35].
Um das Jahr 1306 zeigen sich wieder streitige Verhältnisse zwischen den Dithmarschen und Holsteinern; jene unternehmen einen Einfall in das holsteinische Land, werden aber bei Uetersen von den Grafen geschlagen. In dieser Zeit fingen Dänemark und Holstein an, sich feindlich gegenüber zu stehen; daher wandten sich die Dithmarschen auf die Seite Dänemarks; doch söhnen sie sich mit dem einen der Grafen aus, der damals in bedrängter Lage war, in dem aber ein mächtiger Geist wohnte. Gerhard, nachmals der Große genannt, wandte sich an Dänemark und durch dessen Vermittelung söhnte er sich mit Dithmarschen aus; allein das dauerte nicht lange. Gerhard wußte sich zu heben und gesellte sich überdies zu einen Mann, den Dithmarschen ausgestoßen, den Hartwig Reventlow, dem er viel verdankte. Hartwig ist es, der die Ermordung des einen Grafen unternimmt, in dessen Stelle dann Gerhard eintritt. Die Dithmarschen hielten es nun aus ganz natürlicher Politik mit den Grafen aus der wagrischen Linie (Gerhard war aus der rendsburgischen). Jene erhalten Hülfe durch einen Grafen aus ihrem gemeinschaftlichen Stammhause, durch Graf Adolph von Schauenburg; der kommt nach Holstein und ihm sagen die Dithmarschen Hülfe zu, und er hätte wohl den Sieg davon getragen, hätte er ihre Hülfe abwarten mögen. [68] Aber ehe sie erschien, liefert er ein Treffen, am 29. August 1317, wird geschlagen und sogar gefangen. Die Dithmarschen, welche bald darauf erschienen, rächten seine Niederlage, indem sie die Holsteiner überfielen und ihnen bedeutenden Nachtheil zufügten. Damit sind sie aber nicht zufrieden, sie haben einmal den bedrängten Grafen Hülfe zugesagt und ihr Muth ist nun so hoch gestiegen, daß sie, besonders um dem hochbejahrten Grafen Johann, der in Kiel residirte, Beistand zu leisten, nach Kiel hinzogen. Daselbst wurden sie mit Freuden aufgenommen, längere Zeit gut gehalten und gerne gesehen. Aber endlich ward man des männerstarken Beistands überdrüssig und suchte sich desselben durch List zu entledigen. Die Kieler ließen eine Lustbarkeit auf dem Kuhberge ansagen, und wie die Dithmarschen arglos hinauszogen, schließt man die Thore zu und sperrt sie aus. Von ihren ferneren Schicksalen wird erzählt, daß sie unlustig abgezogen wären und ihren Weg über Bornhöved genommen hätten, daselbst sich längere Zeit aufgehalten und in ihrem Uebermuth von den holsteinischen Grafen wären überfallen und geschlagen worden, den 17. Juli 1319 (Bolten).
Dieß hatte zur Folge einen gewaltigen Heereszug[36] des Grafen Gerhard im Jahre 1319; ihm folgten seine Brüder und viele deutsche Hülfstruppen. Der alte Presbyter Bremensis gibt uns eine allgemeine Nachricht über den Hergang dieser Sache, freilich in seiner Sprache; denn er macht nicht viele Umstände mit dem Latein: „per viam Süderhamme et per vadum Hemmingstede cum toto exercitu venit ad paludem Süderstrand“. Durch die befestigte Waldgegend, da, wo später Heide lag, drang er hindurch; von da durch die sumpfige Niederung (und nicht, wie Bolten, durch die sächsische Uebersetzung irre geleitet, meint, das Castel) bei Hemmingstedt. Allenthalben umherschweifend und plündernd zog Gerhard in die Marsch hinein und zwar gegen das hoch gelegene und mit Gräben verschanzte Wörden. Wohl vertheidigten sich tapfer daselbst die Dithmarschen, doch Gerhard dringt hinein und [69] die noch übrig gebliebenen Dithmarschen müssen in die Kirche fliehen; von hier aus suchen sie sich zu vertheidigen, doch bald an ihrer Rettung verzweifelnd, boten sie dem Grafen Gehorsam und Unterwerfung an, unter der Bedingung, daß ihnen nichts zu Leide geschähe. Gerhard aber, im Zorne des Siegers, beharrt auf unbedingter Unterwerfung und läßt, um sie herauszutreiben, die Kirche in Wörden anzünden. Da, in dieser äußersten Gefahr, hebt sich der Eingesperrten Muth wieder. Schon fing das Blei auf dem Dache an zu schmelzen und ihnen auf den Kopf zu träufeln, da schaarten sie sich zusammen und beschlossen, insgesammt einen Ausfall zu machen aus einem der Kirchenthore, und bald entstand für die, welche den Sieg so vollkommen errungen zu haben glaubten, ein sehr zweifelhafter Kampf; denn von den Holsteinern hatten sich viele zur Plünderung begeben und viele sogar schon zum Rückzug, um die Beute in Sicherheit zu bringen, so daß die Dithmarschen es jetzt mit wenigeren Gegnern zu thun hatten. Bald wurden sie auch durch die unverhoffte Ankunft anderer Kämpfer unterstützt; denn von den bei der Eroberung Wördens Versprengten kehrten viele, die sich in den Gräben und sonst verborgen hatten, nun bewaffnet zurück. Bald verwandelten sich die Geschlagenen in Sieger und die Verfolgung begann mit doppeltem Grimm, so daß auf dem schleunigen Rückzuge viele, auch der Edlen, erlagen. Inzwischen war der Verlust der Dithmarschen auch nicht unbeträchtlich. Zwei Mal waren sie angegriffen und verloren 1700 Mann. – Die eingeäscherte Wördener Kirche wurde schöner wieder aufgebaut; ein Theil der Beute ward zu einem noch fehlenden Kloster verwandt, und sie erbauten 1322 das Kloster zu Marne, welches der Jungfrau Maria geheiligt ward. Doch ist nicht aus Marienau oder Marnenau der Name Marne gebildet, sondern findet sich schon in viel früheren Urkunden[37].
In Folge dieses Zuges schloß Gerhard 1323 einen förmlichen Vertrag mit den Dithmarschen ab, in welchem wir die [70] Namen vier neuer Kirchspiele erblicken: Brunsbüttel, Nienkerken, Hemme und Hemmingstede. Man schließt Frieden und Freundschaft, es soll freier Verkehr zwischen beiden Landen stattfinden; dann sollen die beiden festen Schlösser bestehen, welche die Holsteiner an der Grenze der Dithmarschen errichtet hatten: Hanerau und Tielenburg. Ferner sollten die Dithmarschen ihre Besitzungen zwischen der Eider und Rendsburg ruhig fortbesitzen; ebenso die holsteinischen Grafen ihre Besitzungen in den Kirchspielen Delve und Tellingstedt. Entstände Streit zwischen ihnen, so sollten 12 Männer solchen schlichten, in Dithmarschen 12 vom Grafen ernannte Rathgeber des Landes, in Holstein 6 Ritter und 6 Edelknechte, von den Dithmarschen dazu erwählt. Dann ist es merkwürdig, daß damals noch ausdrücklich die Rechte des Erzbischofs von Bremen über Dithmarschen anerkannt wurden; es heißt nämlich: das solle kein Bruch sein, wenn der Erzbischof auch selbst gegen Holstein die Heeresfolge verlange und sie solche leisteten; nur sollten die Dithmarschen nicht von ihrem Lande in das holsteinische Land eindringen, sondern erst über die Elbe gehen, und dann könnten sie, vereinigt mit den Truppen des Erzbischofs, über die Elbe gehen und in das holsteinische Land einrücken.
Mit kurzen Unterbrechungen dauerten, trotz jenes Vertrages, die zwistigen Verhältnisse Holsteins mit Dithmarschen fort bis zu der Schlacht in der Hamme 1404, zuerst mit [71] Gerhard, darauf mit seinen Söhnen, und dann mit den Söhnen seiner Söhne.
Zu der Zeit, als Dithmarschen jenen ruhmvollen Sieg über Gerhard davon trug, war Erzbischof Johann Grand, gewöhnlich Episcopus Johannes genannt. Der war früher Erzbischof von Lund gewesen, hatte aber wegen eines langwierigen Streites mit dem dänischen Könige seine Stelle niedergelegt. Die Zeit seiner Verwaltung war höchst unglücklich. Die Finanzen gerathen in Unordnung, die Herrschaft sinkt in die tiefste Verachtung, und als der Erzbischof sich auf eine Zeit lang nach Dithmarschen begiebt, soll er da noch stärkere Demüthigung, ja sogar körperliche Mißhandlungen erduldet haben. Gewiß ist es, daß er in der letzten Zeit die Verwaltung in andere Hände übergab, ja sich zum Papste nach Avignon begab, um da Hülfe zu suchen, und daselbst ist er auch 1327 verstorben. Da kann man leicht denken, daß sich in dieser Zeit die Verhältnisse der Dithmarschen zu ihrer Landesherrschaft sehr umgestalten, denn überdies war der Dithmarschen ohnehin stolzer Sinn durch die letzten Ereignisse noch höher erhoben; sie wollten daher von der frühern Unterwürfigkeit nichts wissen und schlugen dem Nachfolger des Johannes, dem Burkhard, den gewöhnlichen Willkommen von 500 Mark ab (die Mark Silber galt nach der lübeck’schen Wage 12, wo nicht 15, 16 Mal so viel als jetzt, so daß also jene Summe gar nicht unbedeutend ist, die freilich unendlich dadurch erhöht ward, daß damals des Geldes Werth beträchtlich höher war). Burkhard weiß durch weltliche Macht sein Recht nicht durchzusetzen und muß deshalb seine Zuflucht zur geistlichen nehmen, zum Hamburger Dompropst Erich. Dieser läßt sich endlich bereitwillig finden und sendet 1329 einen Drohbrief an die Dithmarschen, in welchem er den Predigern befiehlt, in der Kirche mit dem Kirchenbann zu drohen und zu erklären, daß sogar, wenn sie sich nicht innerhalb 8 Tagen mit dem Landesherrn abfinden, das große Interdict folgen solle. Da erst sehen wir, daß sie sich zur Nachgiebigkeit verstehen.
1340 erlag mitten in seiner siegreichen Laufbahn Gerhard der Große, der schon Herzog hieß und damit umging, aus [72] eigener Macht der dänischen Krone einen König zu geben, den Waldemar von Schleswig. Im folgenden Jahre schließen seine Söhne einen Vertrag mit den Dithmarschen, um wenigstens von dieser Seite den Frieden zu haben. Dieser Vertrag wird erneuert 1345 und ihm folgt eine kurze Zeit des Friedens.
In dieser blühenden Zeit des Friedens erkennen wir deutlich, wie schnell sich die innere Einrichtung des Landes hebt. Es beginnen namentlich mit den Hamburgern und Lübeckern, besonders in den nördlichen Kirchspielen, friedliche Handelsverhältnisse, und Handel tritt an die Stelle des Seeraubes; so hören wir von einem neuen Hafen Ulerdamm im Kirchspiel Delve an der Eider. Ferner erfahren wir, daß auch der Jahrmärkte mehr im Lande werden; von Alters her war der einzigste in Meldorf gewesen[38], nun errichteten sich die Oldenwördener 1373 auch einen Jahrmarkt, weil sie, wie sie in der Ankündigung sagen, Feindschaft mit den Meldorfern hätten und nicht mit Sicherheit daselbst den Jahrmarkt besuchen könnten. Eben dahin gehört, daß die Wördener mit Lübeck einen Vertrag schließen, worin sie dem früher so streng ausgeübten Strandrecht entsagen und versprechen, das Strandgut für ein billiges Bergelohn verabfolgen zu lassen, und 1384 schließen fast alle übrigen Kirchspiele einen ähnlichen Vertrag.
Gleich nach Graf Heinrichs des Eisernen Tode (1381), des kriegsberühmtesten von Gerhards Söhnen, beginnen wieder feindliche Verhältnisse der Dithmarschen mit seinem Bruder, Graf Klaus, und seinen Söhnen. Die Dithmarschen beklagen sich, daß den frühern Verträgen nicht nachgelebt werde; es seien einige von ihren Landsleuten in Holstein erschlagen, und das schuldige Sühngeld bleibe aus. Endlich machen sie sich auf, solches selbst zu holen, fallen mit gewaffneter Hand, sengend und plündernd, ins Holsteinische ein, bis es endlich bei Tipperslohe zu einem Treffen mit den Holsteinern kömmt. [73] Aus diesem Kampfe wollen beide Theile siegreich weggezogen sein. Wie dem auch sein mag, es folgte Ruhe, die bis zum Jahre 1397 dauerte, in welchem Graf Klaus starb. Dieser alte Herr mochte wohl seine letzten Tage in Ruhe zubringen wollen, wie wir auch daraus ersehen, daß während seiner Herrschaft die Union des Nordens zu Stande kommen konnte. Margaretha hatte nämlich, um ihren Lieblingsplan ausführen zu können, nach der holsteinischen Seite hin nachgegeben, und 1386 das streitige Schleswig dem Grafen Gerhard, einem Sohne Heinrichs des Eisernen, zu Lehn gegeben, und damit hatten sich denn auch die übrigen Grafen, Albrecht und Heinrich, zufrieden stellen lassen. Gerhard, ein sehr kriegerischer Herr, erhielt aber erst nach des Grafen Klaus Tode freie Hand. Sogleich sehen wir, daß feindliche Verhältnisse zwischen Holstein und Dithmarschen beginnen. Die Ursache dazu gab ein Einfall des Herzogs Erich von Lauenburg in die dithmarsischen Lande im Jahre 1402[39], der durch Holstein gezogen war und namentlich durch die Besitzungen des Grafen Albrecht, dessen Schwiegervater der Herzog war. Das lief den früheren Verträgen zuwider und überdies lag der Verdacht sehr nahe, daß der Schwiegersohn den Plan des Schwiegervaters befördert habe. Die Dithmarschen hatten viel durch den Einfall verloren, sie waren sehr erhitzt und beklagten sich sehr über die Holsteiner, und als nun zur Schlichtung des Streits eine Versammlung von beiden Seiten zusammenkam, da ereiferten sich die Dithmarschen sehr und ergossen sich in harten Anklagen gegen die holsteinischen Grafen. Die Grafen aber ihrerseits klagten über die beleidigenden Reden der Dithmarschen und der Krieg ward beschlossen. Inzwischen beschließt man doch: diesen Winter solle noch Friede sein; im Sommer wolle man erst anfangen.
Im Sommer 1403 machen Herzog Gerhard und sein Bruder Graf Albrecht (der dritte Bruder Heinrich war Bischof in Osnabrück) einen Einfall in Dithmarschen, der aber mehr [74] als bloße Rache für die Beleidigungen zum Ziel hatte. Man baute auf dem halben Wege zwischen Meldorf und der Grenze auf Rath des Klaus von Ahlefeldt, der den ganzen Zug leitete, ein Blockhaus, nämlich einen festen Thurm mit Balken verzimmert und mit Festungsgeschoß versehen; er lag in der Nähe der Delbrücke und ward Marienburg genannt. Den offenen Ort Meldorf nahm man leicht ein; aber damit war das Land noch nicht gewonnen. Man sieht sich gemüßigt, in die Hammengegend zu ziehen, und diesen Zug befehligt Graf Albrecht. Während der Graf so anderweitig beschäftigt ist, überfallen einige Hundert Dithmarschen die Marienburg, können sie aber nicht nehmen. Der Graf dringt in die Hamme ein, fällt in mehre Geestkirchspiele ein, man plündert und macht viele Beute; hier ist man aber hauptsächlich bemüht, die Beute in Sicherheit zu bringen. Graf Albrecht erinnert, daß man doch eilen möge, denn er fürchtet, daß der mit Beute beladene Zug angegriffen werde; aber jenen ist Beute machen lieber, als dem Befehl nachkommen. Graf Albrecht giebt dem Pferde die Sporen, das Pferd reißt aus und stürzt; der Graf, der mit dem schweren Panzer zu Boden fällt, verwundet sich tödtlich und stirbt wenige Tage darauf und wird in Itzehoe bestattet im September 1403. Die Dithmarschen aber erzählen, daß die Niederlage der Holsteiner würde groß gewesen sein, wenn nicht gerade an diesem Tage ein Eiderdurchbruch stattgefunden hätte bei dem Hafen Ulerdamm. Die überschwellende Eider sei zwischen beiden Heeren durchgeströmt, so daß die Krieger beider Hammen sich nicht vereinigen konnten. Diese Erzählung giebt ähnlich der Presbyter Bremensis, doch bleibt sie immer auffallend und wir geben sie nur mit hypothetischer Gewißheit.
[75]
Der leichtern Uebersicht wegen unterscheiden wir folgende Unterabtheilungen:
- Von 1404–1447, bis zur Umgestaltung der Landesverfassung.
- Von 1447–1474, bis zur Belehnung mit Dithmarschen, welche sich König Christian I. vom Kaiser zu verschaffen wußte.
- Von 1474–1500, und zwar bis zur Schlacht von Hemmingstede, welche als die Folge jener Belehnung angesehen werden kann.
- Von 1500–1524, welches das Anfangsjahr der Reformation in Dithmarschen war.
- Von 1524–1559, bis zum Untergange der Freiheit Dithmarschens.
Gleich nach Albrechts Tode treten die Hansestädte wieder vermittelnd ein und suchen den für ihren Handel so nachtheiligen Zwist zu beseitigen. Aber alles ist vergeblich: Herzog [76] Gerhard hat jetzt auch noch den Tod seines Bruders zu rächen, und thut außerdem so unbillige Forderungen, daß an Genehmigung von Seiten der Dithmarschen gar nicht zu denken ist. Diese sind nur bemüht, ehe der Herzog einfällt, sich jenes Festungswerks zu entledigen, das so drückend im eigenen Lande ihnen erbaut war; es wird bestürmt, aber der Sturm mißlingt und der Anführer selbst, Rolf Boikensohn, fällt. Bald erscheint Gerhard mit einem viel größeren Heere in der Süderhamme und dringt vor auf dem breiten gepflasterten Wege; kein Angriff hemmt seinen Zug und er dringt durch ohne Hinderniß. Hierauf vertheilt sich sein Volk und macht große Beute; aber diese wandelte wieder den Sinn der Holsteiner um. Es war ihnen nicht die Eroberung des Landes so sehr am Herzen gelegen, sondern sie senden einen Theil der Ihrigen mit der Beute ab, der Grenze zu; der größte Theil verweilt bei der Plünderung und Einäscherung. Darüber neigt sich der Tag zu Ende und der Herzog will, daß man sich durch die Hamme nach Holstein begäbe. Klaus von Ahlefeldt befiehlt dieß ebenso; doch sein Bruder Heinrich stellt sich mit vielen Andern ihm entgegen und wirft dem Herzog ein hasenherziges Gemüth vor; da beschließt der Herzog zu warten und ihnen zu zeigen, daß er nicht so sehr für sich, als das Ganze fürchte. Indeß langsam nähert man sich doch dem Hammenwege. Der Herzog läßt die Knappen, als die leichten Truppen, vorangehen. Kaum sind diese in den Weg eingedrungen, als ein starkes Geschrei derselben gehört wird; der Herzog glaubt, daß sie sich unter einander entzweit haben, eilt hinzu ohne Helm und bloß mit einer Stange bewaffnet, um den Streit der eigenen Leute zu schlichten. Aber das war kein innerer Zwist, sondern als jene den Weg betraten, sprangen bewaffnete Dithmarschen auf sie ein und schlugen sie nieder. Kaum erblickten jene den Herzog, wie er ohne Helm und unbewaffnet herankommt, so werfen sich zwölf auf ihn und er fällt nach kurzem Widerstand. Der Fall des Herzogs wandelt den noch kecken Muth der Holsteiner um; sie dringen freilich in die Hamme hinein, werden aber hier von beiden Seiten angegriffen. [77] Wohl sind der Dithmarschen nur Wenige (gegen 360), aber es kommen ihrer Mehrere zum Kampf. Viele Holsteiner suchen von den Pferden abzusitzen, aber das mißlingt, und ein großer Theil wird bei dem Versuch erschlagen. Viele wenden aus Verzweiflung um und fallen so den Dithmarschen in die Hände. Eine Anzahl jedoch schlug sich glücklich durch, unter diesen der Bannerträger Heinrich von Siggen; doch kaum hat er erfahren, daß man nicht weiß, was aus dem Herzog geworden, so stürzt er sich mit seinen Söhnen ins Getümmel, denn ihren Herrn wollten sie auch im Tode nicht verlassen. Zwischen drei- und vierhundert holsteinischer Herren und Ritter kamen hier um.
Dieser Kampf begab sich am 4. August 1404. Gewöhnlich setzt man den Schlachttag auf den 5. August, weil dieser, der St. Oswaldus-Tag, in Erinnerung der Schlacht gefeiert wurde. Nichtsdestoweniger war aber der Tag der Schlacht der des heiligen Dominicus. Gegen Abend begab sich der Sieg, wo schon die Heiligkeit des St. Oswaldus-Tages begonnen hatte; denn diese dauerte vom Abend bis zum Abend. Wie sich dieß auch ausgesprochen findet in den Versen, die später zur steten Erinnerung der Litanei beigefügt wurden. Sie lauten:
„Gode scholen vi laven, de uns heft gesandt
Den goden Sanct Dominicus, den wahren Heiland,
De an sinem Dage heft unse Land
Gnädiglich behödet mit siner vorderen (rechten) Hand.“
Auf solche Weise war mit dieser Schlacht das holsteinische Land in die größte Unruhe gerathen und in die größte Gefahr; nicht eben, daß die Dithmarschen den Sieg benutzten, erobernd einfielen, sondern die Gefahr lag darin: die Königin Margaretha hatte allerdings Gerhard IV. mit Schleswig belehnt, dieses aber nur, um die Union zu Stande zu bringen; jetzt aber, nachdem jene gelungen, trachtete sie darnach, wie sie jene Belehnung wieder tilge, und mit Herzog Gerhard war die Stärke des Hauses untergegangen, und diese Schlacht ist es vorzüglich, welche bewirkte, daß bald darauf der Stamm der Schauenburger ausstarb und der der Oldenburger zur Regierung [78] kam, so daß Dithmarschen, ohne es zu wollen, sehr zur Erhöhung des Stammes beitrug, der es nachher unterdrückte. Herzog Gerhard hatte eine schwangere Gemahlin und zwei Kinder hinterlassen; allerdings war auch noch ein mündiger Graf übrig. Heinrich, Bischof von Osnabrück, und der scheint dem weltlichen Wesen gar nicht gram gewesen zu sein: er legt mit Erlaubniß des Papstes seine Würde nieder und begiebt sich zur Herzogin Elisabeth, um ihr Beistand zu leisten in der Vormundschaft. Sie schließen einen zehnjährigen Frieden mit den Dithmarschen, wobei diese die Bedingung machten, daß die Marienburg, die sich noch immer hielt, in ihre Hände geliefert werden sollte; und dazu benutzten sie mehrere vornehme Gefangene, denn diese wurden nur durch die Räumung der Marienburg frei. Sehr weislich aber handelten die Dithmarschen darin, daß sie diese Burg schleiften; denn ein Festungswerk an der Stelle mußte nothwendig nur zu ihrer Unterdrückung dienen, und Meldorf mußten sie als offenen Ort nun einmal so liegen lassen.
Kaum war die Kunde von dem, was hier geschehen, nach Dänemark zum König Erich gekommen, so regt sich ein großes Verlangen, sich mit diesem kriegerischen Stamme, der so siegreich gewesen war, zu verbinden, und ein solcher Bund kömmt auch wirklich 1409 zu Stande. Kaum ist jener zehnjährige Waffenstillstand 1414 abgelaufen, als schon mancherlei Unfriede wieder zwischen Holstein und Dithmarschen entsteht. Veranlassung war dazu ein Otto Schinkel, Commandant der Tielenburg, der, in Holstein plündernd, die Beute den Dithmarschern verkaufte. Ferner halten sich die Dithmarschen gekränkt durch ihre Nachbarn, die Friesen, und beachten dabei wenig, daß diese eigentlich Unterthanen des holsteinischen Grafenhauses sind. Sie klagten, daß die Eiderstedter mehrere ihrer Landsleute umgebracht hätten; diese dagegen behaupten, jene hätten bei ihnen gestohlen und darum hätten sie sie aufgehängt. Jährlich machen die Dithmarschen Einfälle in ihr Land, bis 1417 die Geistlichkeit zwischen die Friesen und die nach Garding vorgedrungenen Dithmarschen trat und sie durch Bitten [79] und Drohungen zum Frieden brachte. Es kam zu Unterhandlungen, welche die Uebermacht der Dithmarschen beurkundeten. Sie ließen sich alles, was die Friesen ihnen abgenommen, wieder herausgeben und forderten 80 Mark für jeden der Ihrigen, der in diesem Kampf gefallen war, dagegen sie die gefallenen Friesen gar nicht in Abrechnung kommen ließen. Ferner sollten alle künftigen Streitfälle in Dithmarschen entschieden und nach dithmarsischem Landrecht angesehen und von zwanzig Dithmarschen beurtheilt werden.
Dieser ruhmvoll beendete Kampf mit Holstein bewirkte es, daß sowohl König Erich als der Herzog von Holstein sich bestrebten, mit den Dithmarschen sich zu verbinden. Erich wandte sich an die Häuptlinge, beschenkte sie reichlich und neben den Geschenken fügte er noch seine Gründe hinzu, warum die Holsteiner Unrecht hätten mit der Behauptung, daß Schleswig im erblichen Lehnsrechte von Margaretha an Holstein abgetreten worden sei. Der Streit gedieh 1422 dahin, daß König Erich die Dithmarschen förmlich aufforderte, ihm Beistand zu leisten; ja, er erklärte sich bereit, die Entscheidung der Sache seinerseits ganz in ihre Hände zu geben. Die Holsteiner aber schickten auch ihrerseits Gesandte nach Dithmarschen, und diese erklärten es ihnen, wie es sich mit jener Belehnung verhalten habe (die ohne Zweifel erblich übertragen war). Die Dithmarschen, die sich Anfangs entschieden hatten für König Erich, und sagten, daß es sich um eine ihnen überlassene Sache handle, erklärten sich anders, als die Holsteiner zusagten, daß auch ihr Landesherr sie als Schiedsrichter ansehen wolle. Es überwog bei den versammelten Aeltesten die Klugheit: denn bekam Dänemark Schleswig, so war ihnen der Herr der drei nordischen Reiche zu nahe, und übernahm die Rache der Friesen. Daher meinten sie, das Passendste möchte sein, neutral zu bleiben und ruhig zuzusehen, wie ihre Gegner sich untereinander aufrieben; und wir sehen sogar, daß sie es den Hansestädten, namentlich den Hamburgern, sehr verargten, als diese für Holstein Parthei nahmen. Denn dieß scheint die Hauptursache gewesen zu sein, weswegen bald Streit mit den [80] Hamburgern entstand. Wechselseitige Klagen erhoben sich; dazu kam noch ein wirklicher Grund der Feindseligkeiten.
Es lebte damals im Kirchspiel Weslingburen ein übermächtiger Mann, Rolves Karsten[40], der überfiel mit seinem Anhange Hamburger Truppen, ohne daß ein Landesbeschluß es gewollt, und fügt ihnen bedeutenden Nachtheil zu. Ferner verbrennt er vorzüglich mit den Büsumern eine Anzahl Hamburger Schiffe auf der Elbe 1430. Die Hamburger, die Schiffe erwarten und absenden wollen, senden 600 ihrer Männer bewaffnet die Elbe hinab, unter Anführung des Rathsherrn Svartekop. Diese bekamen Lust in Dithmarschen zu plündern, wurden aber aus den Dörfern zurückgeschlagen und größtentheils niedergemacht. Gegen den R. Karsten trat auf im Lande selbst Krusen Johann mit einer Gegenparthei und wird von den Hamburgern unterstützt. So entsteht ein gar unglücklicher bürgerlicher Krieg, der lange Zeit zum Verderben des Landes anhält.
Endlich vereinigen sich acht Kirchspiele im Norden des Landes, der innern Fehde überdrüssig, um gemeinsame Schritte zu ihrer Beendigung zu thun; sie knüpfen mit den Hamburgern Unterhandlungen an, welche das Ende des Kampfes herbeiführen, aber die zugleich, wenn nicht alles trügt, eine dauernde Umbildung der dithmarsischen Genossenschaft bewirken. Bis dahin kamen die Vögte, Rathgeber, Beschließer, Geschlechter in Meldorf zusammen. Aber in Meldorf hat man nur ein Ohr für den Kampf, darum muß man den Ort der Versammlung verlegen und tritt zusammen, da wo sich die Wege der Einzelnen kreuzen, „auf der Heide“. Der natürlichste Weg zu erforschen, wann dieß geschehen, ist der, zu fragen, wann Heide Stadt geworden ist. Es wird nicht genannt in Urkunden, wo, hätte es bestanden, es nicht hätte fehlen können. Allein 1434 kommt Heide zum ersten Mal vor[41], gerade in dieser Rolves [81] Carstens’schen Fehde. Als jene acht nördlichen Kirchspiele sich verbanden, nämlich: Oldenwörden, Weddingstedt, Hemmingstedt, Nienkerken, Lunden, Tellingstedt, Albersdorf und Norderhastedt, so wurde der Vertrag um Michaelis 1434 geschlossen und ist auf der Heide unterschrieben. Daraus sehen wir deutlich, daß, wäre Heide damals ein Kirchspiel gewesen, dieses auch dem Vertrage beigetreten wäre; in einem feindlichen würden sie sich doch nicht versammelt haben. Heide muß also der Zeit ein zur Versammlung wohlgelegener Ort gewesen sein, aber nicht selbst Kirchspiel, sondern gehörend zum Kirchspiel Weddingstedt; und es ist nicht einmal wahrscheinlich, daß Heide eine Bauerschaft ausmachte. Eine Nachricht bei Neocorus führt uns auf dasselbe Resultat. Nachdem aber einmal ein Anfang geschehen und die Landesversammlung daselbst öfters gehalten wurde, so baueten sich mehrere dort an und es entstand eine Kapelle als Filial von Weddingstedt, und daraus erklärt sich das Vorrecht des Schlüters von Weddingstedt, die Landesversammlung zu eröffnen.
Jenen acht Kirchspielen schlossen sich nun immer mehrere an, denn es hatten jene Allen freigestellt, dem Vertrage beizupflichten. Dann erzählt Albert Kranz: daß die Dithmarschen sich am Ende dringend an Hamburg, Lübeck und Lüneburg wandten und erklärten, sie wollten dem Rathe dieser Städte in Hinsicht ihrer innern Angelegenheit folgen. Die Hamburger erklärten sich dazu bereit, aber nur, wenn sie durch einen Landesbeschluß dazu aufgefordert würden. Dieß geschieht, und A. Kranz fügt hinzu: es sei durch die Vermittlung der Städte dahin gekommen, daß für jeden Erschlagenen 100 Mark bezahlt werden sollten; allein, das ist nicht richtig, denn schon lange kannten sie Mannbuße und Friedensbuße, eben so gut wie die andern germanischen Völker. Die Hamburger sahen nun, daß es ihnen hauptsächlich an der vollziehenden Gewalt fehle, und zeigten ihnen ihre Nothwendigkeit. Nun wird 1442 eine Einrichtung getroffen. Früher nämlich hatte man bei Unbilden sich an die Angehörigen des Thäters gehalten, und wenn diese nicht gewollt, an das Kirchspiel; nun wird festgesetzt, daß man [82] in Zukunft sich zuerst an die Angehörigen zu halten habe, die mußten entweder ihre Geschlechtsfreunde zur Genugthuung zwingen, oder für sie bezahlen; zauderten diese, so hatte man sich an ihr Kirchspiel zu halten, und wollten diese nicht, dann versprach die Landesgemeinde, sie mit gewaffneter Hand dazu zwingen zu wollen. – Das sind nun die Begebenheiten, die auf das wahrscheinlichste eine Festsetzung der dithmarsischen Rechtsverhältnisse bewirken, nämlich die Einsetzung der Achtundvierziger, und zugleich die Verzeichnung und Umarbeitung des dithmarsischen Landrechts. Jene Achtundvierzig dürfen wir nicht als schon lange in Dithmarschen bestanden annehmen, sondern eine genaue Forschung weist aus, daß sie jetzt erst entstanden, die Zeit der Freiheit hindurch blieben, und also nicht viel über ein Jahrhundert bestanden.
Allem Anscheine nach wurde das Landrecht im Jahre 1447 aufgezeichnet; aber nicht blos das, sondern auch mannigfaltig verändert, sowie wir auch wissen, daß die Abfassung der römischen zwölf Tafelgesetze zugleich eine Umgestaltung der römischen Rechtsverhältnisse mit sich führte. Im selben Jahre wurde das neue Obergericht der Achtundvierzig eingesetzt, welches daraus erhellt, daß sie früher nicht genannt werden, und auch aus einer Aeußerung des Hamburger Propsten Mittelmann, der durch einige Paragraphen des Landrechts, welche viel enthielten gegen die Einmischung geistlicher Macht in weltliche Händel, sehr unruhig ward. Diesen beruhigten die Achtundvierzig und nennen sich bei dieser Gelegenheit „erwählte (gekorne) Richter“, eine Bezeichnung, die nie wieder vorkömmt und anzudeuten scheint, daß sie neuerdings erst erwählt waren. Denn sonst unterscheiden sich die Achtundvierzig von allen andern höhern Magistraturen im Lande dadurch, daß sie nicht jährlich abgingen, sondern lebenslänglich ihr Amt verwalteten. Die erste Gesammtwahl der Achtundvierzig war also zugleich die letzte Gesammtwahl derselben; sie wurden, wie bisher die Rathgeber, aus den Geschlechtern erwählt, und zwar aus den vornehmsten Häusern derselben, nur daß man es jetzt besser fand, sie auf eine geringere Zahl zu beschränken; denn die Rathgeber waren [83] siebenzig bis achtzig gewesen. Wie die Auswahl nun später vorgenommen ward, wissen wir nicht; allem Anscheine nach wurde sie aus jedem Kirchspiel unternommen[42], und in der Regel mag jedes derselben zwei gestellt haben, und es scheint fast, daß größere Kapellen einen stellten: so scheint es, daß Lunden mit seiner Kapelle St. Annen drei stellte. Wenn nun einer starb, so wissen wir wieder nicht, ob das Geschlecht oder das Kirchspiel denselben ersetzte; gewöhnlich folgte der Sohn dem Vater. Daß die Achtundvierzig lebenslänglich ihr Amt verwalteten, sehen wir auch daraus, daß Neocorus sehr häufig von einem der Achtundvierzig spricht, nie aber einen erwähnt, der Schlüter gewesen, eben weil die Auctorität des Schlüters kein dauerndes Ansehen gab. Zu der Zahl der Achtundvierzig müssen wir noch mitrechnen den Kanzler des Landes, der immer ein Geistlicher war, ohne ihn waren es nur siebenundvierzig; der versah das wichtige Schreib- und Abfassungsamt fürs ganze Land, eben wie von jeher in den einzelnen Kirchspielen der Geistliche immer das Amt des Kirchspielschreibers verwaltet hatte.
Die Achtundvierzig als Oberlandesgericht hatten sich in Heide jeden Sonnabend einzufinden, wo an jedem Sonnabend Wochenmarkt war. Kamen sie aber alle zusammen? Aus mehreren Andeutungen ersehen wir, daß nicht Alle, sondern regelmäßig nur ein stehender Ausschuß sich daselbst versammelte, vielleicht zwölf, wie die Zahl zwölf oder deren Verdoppelung überhaupt in den Gerichtsversammlungen eine wichtige Zahl war. Nehmen wir dies an, so sehen wir, daß, weil nicht Stimmenmehrheit, sondern zwei Drittel entschied, die Zahl acht den Ausschlag gab; denn dies war feststehende Regel, daß zwei Drittel entschied, „de tweete Mann“, wie man das nannte. Eine ähnliche Bezeichnung finden wir bei den Griechen. So lesen wir Thuc. 1, 74: τὰ δυὸ μέρη, welches in eben dieser Beziehung zu fassen ist.
Wir müssen nun uns hinwenden auf die Verfassung der [84] Untergerichte und auf die unteren Verwaltungsbehörden, da überall Gerechtigkeitspflege von der Verwaltung nicht getrennt ist. Da sehen wir nun, daß Jeder sich zuerst an diese zu wenden hatte, und schwere Buße stand darauf, wenn Jemand mit Vorbeigehung des Kirchspielgerichts sich an die Achtundvierzig wandte, oder gar an das geistliche Gericht; denn dieß war besonders verhaßt. Steigen wir also zum Kirchspielsgericht hinab, so tritt uns zuerst der Schlüter als die höchste Behörde entgegen. Was sein Amt gewesen, liegt im Namen; auch wird er lateinisch claviger übersetzt. In jedem kleinen gab es zwei, in den größern vier, in Lunden sogar sechs seit 1500, wo die Kapelle St. Annen hinzukam, die einen eigenen Kirchenbezirk und zugleich zwei eigene Schlüter hatte, sich darum aber nie ganz vom Kirchspiel absonderte. Die Schlüter waren hauptsächlich Beschließer des Kirchenguts und hatten Zehnten und Pachtgelder aus jeder Bauerschaft in Empfang zu nehmen, und außerdem nahmen sie alles in Beschluß, was zu dem jährlichen Einkommen der Kirche gehörte. Demnächst waren sie vornehmlich die Friedensrichter, was wir Polizeibehörden nennen würden, und außerdem saßen sie im Geschwornengerichte; von ihnen ward das Urtheil abgefaßt, verkündet und vollzogen; galt es einem Mann, der vielleicht gestohlen, so handhabten sie selbst die Gerechtigkeit; denn einen Scharfrichter gab es nicht im Lande. Was war denn ihre richterliche Thätigkeit? Wenn einer im Kirchspiel eine Beschwerde hatte, so hatte er sich an den oder die Schlüter zu wenden, und da konnten diese nun die Sache gleich entscheiden. Waren die Partheien nicht mit der Entscheidung zufrieden, so hatten sie sich zu wenden an die Geschworenen; diese waren in kleinen Kirchspielen zehn Männer, in großen zwanzig. So bildeten die Geschworenengerichte die Zahl zwölf oder vierundzwanzig[43], denn die Schlüter kamen noch hinzu, und deren Zahl richtete sich ja gleichfalls nach dem größern oder kleinern Umfang des Kirchspiels. Da fragen wir zuvor, wie kam das Geschworenengericht zu Stande? Das [85] Amt des Geschwornen war, wie das des Schlüters, jährlich. Die Geschwornen werden von den Schlütern des Jahres ernannt, und wenn das Jahr zu Ende neigt, so ernennen die Schlüter auch ihre Nachfolger, wobei aber große Strafe darauf gesetzt war, wenn besondere Vergünstigung zu einer Wahl leitete, oder wenn sogar Bestechung vorkam. Eine Sache nun, die an das Geschwornengericht gebracht wurde, mußte vor der Frist von acht Tagen ihnen angesagt werden. Darauf kamen sie zusammen, beriethen und entschieden, aber dieß wieder nach der Zweidrittelzahl. War man nicht mit dem Spruche zufrieden, so appellirte man weiter an die Versammlung des Kirchspiels. Diese ward berufen und hatte zu richten auf dem Kirchhofe. Die Kirchspielsleute entschieden aber wieder nicht in der einfachen Mehrzahl, sondern sie theilten sich in drei verschiedene Eggen oder Ecken; jede berieth für sich, und unter ihnen entschied wieder die Zweidrittelzahl; was nun zwei Ecken entschieden, das besteht, die andere muß sich darin finden. Wenn der Appellant Unrecht erhielt, so mußte er eine Strafe von zwei Gulden erlegen; dasselbe die Schlüter, fällt die Entscheidung gegen ihren Spruch aus; die Geschwornen gingen aber in solchem Falle frei aus. War man noch nicht zufrieden, so stand es frei, sich an die Achtundvierzig nach Heide zu wenden, und da pflegte man zu sagen: die Sache geht nach Heide. Inzwischen ward festgesetzt, wenigstens in einigen Kirchspielen, daß eine gewisse Appellationssumme dazu gehören solle, um berechtigt zu sein, an diese letzte Instanz zu appelliren. Nicht jede kleine Streitigkeit und auch nicht jede Sache durfte dahin gelangen; so ward namentlich die Criminaljustiz regelmäßig abgethan in den Kirchspielen selbst; auch Kirchensachen gehörten nicht dahin, die mußten an die geistliche Behörde gebracht werden, namentlich an den Officialen des Hamburger Propstes. Hatte ein Kirchspiel mit seinem Geistlichen Streit, so litt es nicht die Hineinmischung der Landesbehörde, sondern das mußte im Kirchspiel selbst abgemacht werden. Wenn nun aber eine bürgerliche Sache die zwei oder drei Instanzen durchlaufen hatte, so begab sich der appellirende Theil nach Heide zu den Achtundvierzig, [86] woselbst zum dritten Male öffentlich appellirt wurde. Die Achtundvierzig hausten in Heide in einem Privathause. Dahin mußte auch der Schlüter des Kirchspiels, gegen welches appellirt wurde, um dort des Kirchspiels Spruch zu vertreten. Außerdem stand es auch bei der Partei, die den Spruch des Kirchspiels für sich hatte, einen von den Geschwornen oder Achtundvierzigern mitzunehmen. Verlor der Appellant auch hier, so mußte er vier Gulden Conventgeld an das Kirchspiel bezahlen. Weiter nun als an dieß Gericht gingen gewöhnliche bürgerliche Privatsachen nicht außerhalb Dithmarschen, zumal zu der Zeit, da das Reichskammergericht noch nicht völlig organisirt war: später blieb noch immer die Hülfe, an dieses zu appelliren; doch scheint solches Verfahren den Dithmarschen nicht recht gewesen zu sein, und wir finden, daß einer deshalb aus dem Lande verdrängt wurde. – Welchen Umfang die Thätigkeit der Landesversammlung hatte, wird nirgends bestimmt angegeben. Zuvörderst finden wir, daß sie zusammenberufen wurde durch die fünf Vögte[44], welche der Erzbischof noch immer belehnte, so jedoch, daß gewisse Familien ein Gewohnheitsrecht besaßen, mit den Vogteien belehnt zu werden, und zwar lebenslänglich, wofür sie jährlich eine bestimmte Summe entrichteten. Demnach waren die höchsten Magistraturen, nämlich die Vogteien und das Amt der Achtundvierzig, lebenslänglich und gewissermaßen erblich. In den Versammlungen selbst sehen wir die Achtundvierzig vornehmlich thätig, dann die Schlüter des Landes, etwa sechzig, dann die Geschworenen, etwa drei- bis vierhundert. So bestanden diese Versammlungen aus ungefähr fünfhundert Personen, die sich zusammenfanden auf dem hohen Marktplatze von Heide, der ungefähr vierzehnhundert Quadratruthen mißt; doch konnte die Versammlung auch außerhalb Heide zusammenkommen, aber immer doch im Bereich des Kirchspiels Weddingstedt, woher sich auch das Recht des Schlüters von Weddingstedt schreibt, die Landesversammlung zu eröffnen. Aber nicht allein jene [87] Fünfhundert, sondern die ganze freie Genossenschaft des Landes versammelte sich hier; nur waren jene besonders thätig, falls nicht der Eifer die Stimme eins der Umstehenden hervorrief, wie denn überall die Verhältnisse jener Tage keineswegs unter die feste Regel unserer Zeit zu begreifen sind. – Welchen Ausgang nun eine Sache hier genommen, dabei blieb’s; doch konnte sich ein Einzelner, der hart beschuldigt war, noch auf das Gottesgericht berufen; er konnte sich erbieten, ein glühendes Stück Eisen eine bestimmte Anzahl Schritte zu tragen, und länger als irgendwo hat sich hier diese Sitte erhalten; noch aus dem letzten Viertel des fünfzehnten Jahrhunderts kömmt ein Fall dieser Art vor. Diese Eisenprobe mußte vor der Landesversammlung geschehen; doch gab ein solcher Fall nicht den einzigen Grund zur Berufung derselben, sondern dieses thaten auch wichtige Fälle anderer Art, wie z. B. wenn es auf allgemeine Gesetzgebung ankam, oder äußere Verhältnisse eintraten; namentlich durften die Achtundvierzig nicht über Krieg und Frieden entscheiden; die Correspondenz mit Königen und Fürsten hatten sie dagegen zu führen; doch stand es ihnen nicht zu, die Sache so weit zu verfolgen, daß ein Beschluß gefaßt wäre, und nicht einmal so weit, daß der Landesversammlung am Ende nur übrig blieb, einen bestimmten Beschluß zu fassen. Hatten sie die Sache so weit kommen lassen, so begegnete die Landesversammlung ihnen mit strengem Tadel, auch allenfalls mit Entsetzung; dieß scheint namentlich 1510 der Fall gewesen zu sein. Damals ward die Landesversammlung auch nicht in Heide zusammenberufen, sondern auf dem Platze, wo die Stellerburg gestanden, und dort wurde die Entsetzung der Achtundvierzig ausgesprochen, und sie zu schweren Geldbußen verurtheilt. – Also nur einleitend, vortragend war das Geschäft der Achtundvierzig. Auch im äußern Ansehen unterschied sich die Geschäftsführung der Achtundvierzig von dem, was die Landesgemeinde beschlossen. An Beschlußnahmen der erstern ward ihr Siegel gehängt, auf dessen Rand stand: „Sigillum der achtundvertig Richters in Dithmarschen“; außerdem stellte es eine doppelte Laube dar; in der einen war Gott Vater mit der [88] Erdkugel und dem Schwerte, in der andern Maria mit dem Christkinde. Dagegen ward an Landesbeschlüsse das Landessiegel gehängt, welches früher im dreizehnten Jahrhundert kleiner war und die Taufe Christi im Jordan darstellte. Das spätere stellte die Dreieinigkeit dar (welches Bild Bolten sehr mißverstand, indem er Gott Vater für Joseph ansah[45]). Die Thätigkeit der Achtundvierzig ging noch weiter; sie wurden, wo es streitige Sachen galt, als Friedensstifter gebraucht, auf Besichtigung ausgesandt; dann ordneten sie das Kriegswesen nach den Döfften und waren Anführer im Kriege. Endlich erscheinen sie als Vorsteher der allgemeinen Landeskasse, die in Heide aufbewahrt wurde.
In welchem Verhältniß stand diese Versammlung zu Meldorf, der alten Landesstadt, und dem frühern Sitz der Regierung? Es erhellt nun, daß das Kirchspiel Meldorf wenigstens Appellationssummen an die Achtundvierzig anerkannte. Die Stadt that auch dies nicht einmal, wie es scheint; denn leider können wir solches nur aus gewissen Andeutungen schließen, da das alte Stadtrecht von Meldorf verloren gegangen ist; doch haben wir Grund, anzunehmen, daß es von dem Lundener Stadtrecht nicht ganz verschieden war, obwohl Lunden, die neue Stadt, nicht so reich privilegirt war. Da finden wir denn, daß man durchaus trennen muß die Verwaltung und Verfassung des Kirchspiels von der der Stadt Lunden. Das Kirchspiel Lunden hatte zwanzig Geschworne und vier Schlüter, St. Annen zehn Geschworne und zwei Schlüter; die Stadt Lunden hatte zehn Geschworne und zwei Schlüter, denn so dürfen wir wohl die bezeichnen, die eigentlich der Rath hießen; denn sie waren in allen Verhältnissen jenen gleich, wurden auch für ein Jahr erwählt und waren der Zahl nach zehn Rathmänner [89] und zwei Bürgermeister, also die gewöhnliche Zahl zwölf, wobei zwei Drittel den Ausschlag gaben. Konnte der Rath nicht einig werden, so nahm man sechs Bürger hinzu, so daß ein außerordentlicher Rath von achtzehn erwuchs. Von dem Rathe konnte man an die Achtundvierzig appelliren, nicht aber an das Kirchspiel, und diese Instanz wurde ersetzt durch jene sechs Bürger. Inzwischen fanden auch, wenn über Allgemeinwohl berathen werden sollte, Versammlungen der Bürger statt, und in diesen hatte der Bürgermeister und Rath nur ein einfaches Stimmrecht.
Nun wenden wir uns zur Eintheilung des Landes in fünf Döffte oder Kreise[46], wobei es gleich eine Schwierigkeit giebt, daß in der spätern Giesebert’schen Aufzeichnung des Landrechts nur von vier Döfften die Rede ist, da es doch scheint, daß von Anfang an fünf Döffte bestanden haben. Den Namen Döfft leitet man ab von döpen, taufen, indem jene Bezirke anzusehen sind als eine Vereinigung von Taufkirchen, obgleich wir nicht so ganz gläubig diese Ableitung annehmen; auffallend ist es jedenfalls, daß die Wilstermarsch in Duchte eingetheilt ist, und vielleicht steckt sowohl in dieser als in jener Eintheilung etwas, was auf das Kriegswesen hindeutet; vielleicht könnte man sich bei den Namen an Deft, deftig[47] erinnern. Doch wollen wir, so lange wir nichts Besseres zu geben wissen, lieber beim Alten bleiben. – Wir gehen jetzt zur Aufzählung derselben.
- Das Meldorfer Döfft: dieses zählt zu sich Windbergen, welches früher eine Kapelle von Meldorf war, und Barlt.
- Das Osterdöfft. Dieß begriff die Kirchspiele Hennstedt, Delve, Tellingstedt und Albersdorf. Die bewaffnete Mannschaft dieser beiden Döffte versammelte sich um Pfingsten auf der Heide zur Heerschau.
- Das Westerdöfft. Dazu gehörte Büsum, Weslingburen, Oldenwörden und Nienkerken.
- Das Mitteldöfft. Dazu gehörten Lunden, Hemme, St. Annen, Weddingstedt, Heide, Hemmingstedt, Norder- und Süderhastedt. Die Mannschaft dieser beiden Döffte versammelte sich um Pfingsten in Ratingesmede, unfern des Sees bei Sennhusen.
- Das Strandmannsdöfft, nämlich Marne, Brunsbüttel, Eddellack, Böcklenburg oder Burg. Die Mannschaft dieses Döffts versammelte sich um dieselbe Zeit auf dem Barlter Ossenkamp in der Nähe von Busenwurth. Zu diesen Versammlungen mußten sich alle einfinden; wurde es versäumt, so mußte die fehlende Bauerschaft hundert Gulden Strafe erlegen, und kam dieß Versehen gar einem ganzen Döfft zu Schulden, so mußte es 1000 Gulden bezahlen.
So hätten wir denn im Ganzen ein Bild des freien Dithmarschens gegeben; aber es fehlt noch die Art, wie sich der freie Dithmarscher in dieser Einrichtung bewegte. Hier zeigt es sich recht klar, daß die Freiheit nicht ein Zustand des Genusses sein soll, sondern sie ist ein Zustand der Arbeit, und für diesen Preis soll sie gewonnen, um diesen erhalten werden; sie macht nicht frei von Pflichten, vielmehr sie legt Pflichten auf. Der freie Dithmarscher war von Anfang an seinem Vaterlande dienstbar; eilf Jahr sechs Wochen alt, stand der dithmarsische Bauernsohn schon als sein eigener Vormund da, nur Zeugniß ablegen konnte er noch nicht. In einem Alter von vierzehn Jahren hatte er sich schon einzufinden bei den Waffenübungen seines Kirchspiels und um Pfingsten sich zu zeigen bei der Versammlung seines Döffts, um da zu bewähren, daß er hinlänglich geübt sei, und wenn es Noth that, wenn Landeshöde eintrat, mit auszuziehen. Wenn er das achtzehnte Jahr erreicht hatte, lag jede Staatsleistung ihm ob; besonders was die Gerichtsverpflichtungen betraf. Darum brauchte er keine Würde zu bekleiden, etwa Schlüter oder Geschworner zu sein; dazu mochte man wohl die jungen Leute weniger wählen. Auch brauchte er nicht einmal einen eigenen Streithandel zu haben; nichts desto weniger war er jeden Augenblick der Gerichtsleistung [91] gewärtig, und jeden Augenblick konnte er erwarten, selbst von entfernten Kirchspielen seines Landes in Anspruch genommen zu werden; denn der dithmarsische Bauer gehörte vor allen Dingen nicht sich selbst, sondern seinem Geschlechte an, deren es viele im Lande gab, sowohl friesischer als sächsischer und westfälischer Art. Jedes Geschlecht aber, wenn es stark war, konnte etwa hundert Mann Bewaffnete stellen, das der Woldersmen sogar gegen fünfhundert. Diese Geschlechter theilten sich wieder ein in Unterabtheilungen, in das, was wir Linien nennen (welches noch immer wohl zu unterscheiden ist von unsern Familien) und welches die Dithmarschen Klüfte nannten. Für Geschlecht und Kluft hatte der Dithmarscher eigenthümliche Verpflichtungen, besonders in Gerichtssachen, seitdem die Vereinigung nach Geschlechtern im Kampfe, diese alte deutsche Sitte, aufgehört hatte. Diese Klüfte machten den Stolz des Dithmarschers und entfesselten seine ganze Anstrengung; sie nahmen alle seine körperliche, geistige, ja sogar sittliche Kraft in Anspruch; sie konnten ihn in gewissem Maße bereichern; war z. B. ein Kluftvetter erschlagen, so kam der Kluft die Mannbuße zu. Aber die Verbindung kostete auch Geld, wenn z. B. für einen Kluftvetter, der wegen eines Versehens in Anspruch genommen ward und nicht bezahlen konnte, der Beitrag geleistet werden mußte; da durfte denn keiner zurückbleiben, und wenn einer nicht zur rechten Zeit bezahlte, wurde er von seinen Kluftvettern dazu angehalten.
Diese ganze Geschlechts- und Kluftsverbindung brachte es mit sich, daß der Blick des dithmarsischen Bauern nicht haften blieb an dem engen Kreise des Hauswesens und nützlichen Gewerbes, sondern daß er von Kindheit auf erweitert ward über mehrere Menschen, Kluftvettern, Geschlechtsvettern, Kirchspiele, das ganze Land; vorzüglich fesselten erstere seine Aufmersamkeit; mit ihnen hatte er Wohl und Wehe zu theilen, mit ihnen zu berathen, denn ihr Glück war zum Theil auch das seine und ihr Unglück traf auch ihn. Dann aber hatte er auch in vorkommenden Fällen mit seinem Gewissen manchen harten Kampf zu bestehen; war z. B. einer seiner Kluftvettern angeklagt, so [92] verlangte man von ihm, daß er schwöre für seine Unschuld, und er hatte sich doch oft nicht überzeugt, daß der Vetter seine Unschuld bewiesen (wenigstens war es später Pflicht, zu schwören, als sich die Geschlechter durch Bundbriefe vereinigt); oder der Aufgeforderte mußte aus seinen eigenen Gütern den Schaden bessern. Doch lag es sehr nahe, daß die Geistlichkeit fortwährend diesen Geschlechtsverbindungen sich sehr widersetzte und es sich später zum großen Ruhm anrechnete, dieselben vernichtet zu haben. Doch nicht allein das Geschlecht nahm den dithmarsischen Bauer in Anspruch; es konnte sein, daß sein Kirchspiel in gerichtliche Händel verwickelt wurde, und daß unter den Kirchspielsschwörern er ausgewählt ward; denn zwölf Eide gehörten dazu, daß ein Volleid geleistet werde. Am stärksten giebt sich kund, welch ein Gewebe von Ansprüchen dieser Art den einzelnen Dithmarscher umgab, aus folgendem Beispiel: es ist ein Bauer in Dithmarschen erschlagen worden; das Geschlecht, das ihn verloren hat, will diesen Mord gebüßt haben; aber es hat keinen Beweis gegen den Thäter; es glaubt nun zu wissen, daß Dieser oder Jener es gethan. Da war angeordnet, daß durch dreißig solche Volleide sollte dem Erschlagenen der Thäter zugeschworen werden und dieser überwiesen sein, und ihm blieb danach nichts Anderes übrig als das Gottesgericht. Von diesen dreißig Volleiden darf das klagende Geschlecht einen aus seiner Mitte stellen: die neundundzwanzig übrigen müssen aus eben so vielen andern Geschlechtern gestellt werden. Da gab es nun eine Bewegung im ganzen Lande; neunundzwanzig Geschlechter müssen angesprochen werden, und wenn sie nicht willig sind, andere. Inzwischen ist es dem klagenden Geschlechte erlaubt, die Hälfte jedes Volleides aus ihrer Mitte zu stellen, und so konnten dieselben Personen öfter in dieser Sache in Anspruch genommen werden.
[93]
Als Herzog Adolf VIII. endlich den sichern Besitz Schleswigs gewonnen hatte, fing er gleich an, die lange vernachlässigte Klage gegen die Dithmarschen zu erheben, namentlich wegen ihrer häufigen Einfälle ins Land der Friesen; außerdem tritt er noch mit vielen Forderungen hervor. Als Klage wird die Sache behandelt, ein eigentlicher Proceß beginnt. Doch fordert Herzog Adolf noch über den Bereich der Sache mancherlei; er macht sogar auch Ansprüche auf Landfolge, sich stützend auf den Vertrag von 1283. Endlich wird die Sache in Itzehoe 1456 abgethan in einem Vergleiche, welchen nicht nur Adolf genehmigt, sondern auch der dänische König Christian I. tritt demselben bei, und beide entsagen ausdrücklich allen Ansprüchen, wodurch dieselben ihr auch nur scheinbares Recht verloren.
Im Jahre 1459 verstirbt Adolf VIII. und mit ihm ging der erbliche Mannesstamm der Schauenburger aus, worauf 1460 die Stände des schleswig-holsteinischen Landes Christian I. zu ihrem Herrn erwählten. Von nun an sahen sich die Dithmarschen von dieser Seite sehr gefährdet und schlossen sich enge an die Hansa an, und 1468 kommt mit ihr ein zehnjähriges Bündniß zu Stande. Dann sehen wir, daß die Dithmarschen sich in die inneren Streitigkeiten Holsteins[48] einmischen, bis der König Christian mit ihnen 1473 auf drei Jahre Frieden schließt, und noch in demselben Jahre wird ein zweiter Vertrag mit ihnen zu Rendsburg geschlossen[49]. Gerade um diese Zeit ward Christian von mancher Sorge bedrängt; er hatte sich mit seinem Bruder Gerhard überworfen, und dieser [94] sich an den Herzog von Burgund gewandt, an den kriegerischen Karl den Kühnen.
Im Jahre 1474 tritt Christian I. eine weitläufige Reise an, die ihn auch nach Italien führte. In Mainz begrüßt er den Kaiser Friedrich III., befreundet sich mit dem Sohne desselben, Maximilian. Hier benutzte er die günstigen Verhältnisse (denn der Kaiser bedurfte jetzt sehr des Königs), um bedeutende Vortheile für die holsteinischen Lande zu bedingen. Plötzlich verlautet zuerst in Lübeck die Nachricht, die Grafschaft Holstein solle zum Herzogthum erhoben und diesem Dithmarschen einverleibt werden. Die Bestätigung ließ nicht auf sich warten. Das war eine beunruhigende, Lübeck selbst mannigfaltig bedrohende, Nachricht; kein Wunder also, daß die Lübecker bei dem Kaiser Einwendungen dagegen machten. Der Kaiser hatte sich die Sache leicht gemacht; die Schenkung war datirt vom 14. Februar und die kaiserliche Belehnung folgte schon im Mai, ohne daß man sich an die Einwendungen gekehrt hatte; Dithmarschen ward als ein Lehn des deutschen Reichs angesehen, das aber in längerer Zeit nicht zu Lehn genommen sei, jetzt aber vom Kaiser an das holsteinische Grafenhaus, das früher Ansprüche hatte, gegeben ward, indem er Holstein zugleich zu einem Herzogthum der deutschen Nation erhob.
So erhielt König Christian auf einmal ein neues Recht auf Dithmarschen, während die alten Rechte aus jenem Vertrag von 1456 aufgehoben waren. Der König liegt auch dem Herzog von Burgund, Karl, um seine Beistimmung an, welcher nicht [95] nur ein Schreiben an die Dithmarschen sandte, sondern förmliche Drohungen hinzufügt, falls sie den Gehorsam weigern sollten. Die Dithmarschen erhielten gewisse Kunde davon von dem Erzbischof von Bremen, in einem Schreiben vom 17. September 1474, das in Meldorf einging. Sogleich versammelten sich daselbst mehrere Mächtige des Landes, namentlich der Bürgermeister und erzbischöfliche Vogt Jacob Polleke. Diese beschließen, daß, da das kaiserliche Oberhaupt sie verlassen, sie nun von der höchsten weltlichen Macht an die höchste geistliche appelliren wollen, welche Appellation am 27. September eingelegt ward. Nachdem dieser Schritt von Meldorf aus für sich geschehen war, ohne Zweifel nach ertheilter Befugniß der erzbischöflichen Macht, wird nun weiter mit dem gesammten Lande berathen, und J. Polleke, als Bevollmächtigter des Landes, legt am 3. October in der Lundener Kirche förmliche Protestation gegen des Kaisers Entscheidung ein, die an den Papst Sixtus eingereicht ward. Inzwischen hatte der König den Gehorsam, der nach kaiserlichem Recht ihm zukam, gefordert; die Dithmarschen aber dagegen sich erklärt, sie wären keineswegs herrenlos, sondern hätten dem Erzbischof von Bremen von jeher angehört, wie sich dieses namentlich durch seine fünf Vögte und aus dem ihm regelmäßig dargebrachten Willkommen von fünfhundert Mark, als hinlänglichen Beweisthümern, darthue. Hierauf war es zu Unterhandlungen gekommen zwischen dem König und dem Erzbischof, und es wird ein Vertrag geschlossen; bis zum 15. Mai 1475 soll die Sache ruhen, und so lange bleibt auch alles stille. Aber nachdem dieser Termin verflossen war, fängt der König plötzlich an, im Widerspruch mit allen frühern Verträgen, einen Zoll von den Dithmarschen zu verlangen; dagegen treten diese auf, und abermals wird ein Stillstand bis zum Mai 1476 und darauf bis Mai 1477 abgeschlossen, und dieser letzte noch außerdem weiter hinausgeschoben bis zur förmlichen Aufkündigung und rechtlichen Untersuchung der Sache. Diese für die Dithmarschen so günstige Lage der Dinge erhält noch überdieß eine Verstärkung durch die Bulle des Papstes vom 14. Mai 1476. [96] So günstig Sixtus dem in Rom gewesenen König gesinnt, so war er natürlich der geistlichen Macht doch günstiger, und mochte das nicht dulden, daß auf solche allerdings widerrechtliche Weise ihren Rechten Eintrag gethan würde; er erklärte, die Dithmarschen hätten von alten Zeiten her dem Erzbisthum Bremen angehört, dabei sollte es auch bleiben. Die Dithmarschen vermeiden alles, was zu Streit Anlaß geben konnte, und verurtheilten mehrere zum Feuertode, die auf eigene Hand einen Einfall ins Holsteinische gemacht hatten.
Im Jahre 1480 knüpfen sich die früheren Verhandlungen in Rendsburg wieder an; die Sache konnte aber ihrer Natur nach nicht zu Ende gehen, denn der König bestand auf Unterwerfung, und dagegen protestirten jene gänzlich. Auch hatte der Sinn des Kaisers in dieser Angelegenheit sich etwas geändert; er mag wohl schon erfahren haben, daß die Sache sich nicht so verhalte, wie sie ihm vorgestellt war. König Christian zog es darum vor, wiederum einen Stillstand auf vier Jahre mit den Dithmarschen abzuschließen. Im Juni 1481 nimmt der Kaiser seine Acte, die er zu Gunsten des Königs ausgestellt, förmlich wieder zurück, und will, daß beide Theile vor dem kaiserlichen Gericht erscheinen und da das Urtheil gewärtigen sollen, und wenn ein Theil nicht erscheint, so soll gleichwohl das Urtheil gesprochen werden. Als sich dieß begab, war aber der König schon gestorben.
Die Dithmarschen nun werden beschuldigt, daß sie saumselig gewesen, für ihren Vortheil bei dem Kaiser zu wirken. Wie Einige berichten, haben sie die Kosten und die Unbequemlichkeit des kaiserlichen Gerichts gescheut; dagegen aber sind sie thätig, ihre Bündnisse mit den benachbarten Völkern zu erneuern, in denen sich jetzt manches gegen die Krone der scandinavischen Reiche findet. Diese war an den König Hans gekommen, der sich hatte entschließen müssen, die Hälfte des schleswig-holsteinischen Landes seinem Bruder Friedrich abzutreten. In Hinsicht Dithmarschens wird hinzugefügt, daß beide Landesherren gleiches Recht[WS 4] haben sollen. Wie die Dinge nun standen, konnte ohne Waffenentscheidung das Ende nicht erreicht werden; auch begeben [97] sich mancherlei Friedensstörungen, namentlich in Bezug auf die Insel Helgoland. Grenzwächter werden nun von beiden Seiten aufgestellt, und es kam nur darauf an, daß der Krieg förmlich begonnen ward. Aber das Streben nach der schwedischen Krone ließ diesen Augenblick immer weiter hinausschieben. Endlich am Schluß des Jahrhunderts hatte König Johann sein Ziel erreicht, die Krone Schwedens. Jetzt schien ihm der Augenblick gekommen, das zu verwirklichen, wozu ihn seine Belehnung berechtigte; er hält Mittheilung mit seinem Bruder Friedrich, und beide beschließen 1500 auszuziehen gegen Dithmarschen. Zu Hülfe nehmen sie eine Schaar Landsknechte, welche die große oder sächsische Garde hieß, die lange Zeit in fremden Diensten gestanden und erprobt war. Sie standen unter der Anführung eines sächsischen Ritters Schlenitz, bei den Dithmarschen immer Junker Georg Schlenz genannt. Ihrer waren 4- bis 6000 Mann; die vereinigten sich mit 6- oder 8000 Mann aus der cimbrischen Halbinsel; dann sollen wohl noch 8000 Freiwillige zu ihnen gestoßen sein, und nach den glaubhaftesten Berichten belief sich das Heer auf 30,000 Mann[50], eine Macht, die zu der Zeit außerordentlich war, denn so viel hatte der König nicht einmal zu seinem schwedischen Kriege zusammen gehabt. Man sieht also, daß keineswegs dieser Zug für so leicht abgemacht angesehen ward.
Der Zug ward eröffnet in den ersten Tagen des Februar 1500. Zu der so frühen Eröffnung mag wohl die Ankunft der sächsischen Garde beigetragen haben, welche zahlreiche Mannschaft dem Lande manche Ungelegenheit, ja vielleicht Gefährdung bringen konnte; auch schien die Zeit nicht ganz ungelegen, da ein dauerndes Frostwetter in den Tagen herrschte. Am 11. Februar bricht das Heer in Dithmarschen ein und kömmt nach Albersdorf, und am folgenden Tage nach Windbergen. Leicht erstürmt man darauf am 13. Februar Meldorf, denn die Hauptmacht der Dithmarschen stand bei Oldenwörden. Hier [98] ruht man aus, der Beute sich erfreuend. Der König hatte inzwischen Späher ausgesandt, von denen einer den Dithmarschen in die Hände fällt, der durch die Folter zum Bekenntniß gezwungen wird; er giebt nun an, daß man von Meldorf aus nach Hemmingstedt und in die Nordergegend rücken wolle, um so Lunden zu gewinnen. Diese Kunde ist es nun wohl vorzüglich, welcher Dithmarschen seine Freiheit zu verdanken hat, denn nur durch gute Benutzung derselben ward Widerstand möglich. Einer der Häuptlinge, Wolf Isebrand, räth, in der nächsten Nacht eine Schanze auf dem Wege nach Hemmingstedt aufzuwerfen, worin sich 3- bis 400 Dithmarschen legen sollten, welche die anrückende Uebermacht abwehren sollen. Das geschieht; die Schanze wird aufgeworfen auf dem „Dusend-Düvels-Warft“, mit Geschütz hinlänglich versehen, und eine dithmarsische Jungfrau wird als Bannerträgerin ersehen und durch große Gaben dazu vermocht; und sie legt das Gelübde der beständigen Jungfräulichkeit ab.
Inzwischen aber hat das Frostwetter sich in Thauwetter und Regen verwandelt; das macht die Fürsten und den Feldmarschall Ahlefeldt bedenklich. Allein der Junker Schlenz, auf seine Kriegserfahrung trotzend, setzt seinen Willen durch. Man tritt den Zug an, findet aber den Weg noch weit schlimmer, als man sich gedacht. Mit großer Mühe hat man in mehr als einer Stunde die Hälfte des Weges zurückgelegt, als man unvermuthet auf jene Schanze stößt, die ihre Wirkung sogleich äußert. Die sächsische Garde zog voran, ihr folgten die Reiter, bei denen der König und der Herzog waren, und das Hauptbanner des Heeres, der Dannebrog. Zuletzt kamen viele Wagen mit dem schweren Gepäck. Zuerst suchte die Garde mit Gewalt durchzudringen, aber vergebens; dann werden Lanzen und Flechtwerk über die Gräben geworfen, und man versucht, die Schanze zu umgehen. Da giebt die Gefahr den Dithmarschen Muth und sie beschließen, die Herandringenden zurückzuwerfen. Zwei bis drei Mal wird der Ausfall erneuert; der Ausgang bleibt lange ungewiß, bis endlich die Tapferkeit siegt über die Ueberzahl. Die Schleusen sind inzwischen geöffnet und ein [99] starker Nordwestwind treibt die See hinein. Die Flucht der Garde wird dadurch verwickelter; Viele werfen sich zurück, Mehrere versuchen Widerstand zu leisten, unter diesen der tapfere Anführer Junker Schlenz, welcher bei diesem Versuche fällt. Da werfen sich nun Alle auf die Reiter; diese sind allerdings bemüht, durchzudringen und den Kampf zu erneuern; allein es ist ihnen unmöglich, und bald sehen sie sich von beiden Seiten angegriffen von Feinden, die auf einem Wege gekommen der nur ihnen bekannt und zugänglich war, indem sie, durch ihre Springstöcke unterstützt, über die Gräben setzten. So kamen die Reiter auch ins Gedränge, und da sie nun sich umsehen nach dem Rückzuge, sehen sie sich durch das Gepäck gehindert, und die allgemeinste und zugleich die gehindertste Flucht griff um sich. Und so ließ es sich auch allein denken, daß wenig Hundert die vielen Tausend schlugen; auch wuchs die Zahl der Dithmarschen fortwährend; ihrer sollen, wenn man die in Meldorf Gefallenen mitzählt, 300 gefallen sein, von den Feinden hingegen über 20,000. Auf jeden Fall gehört diese Schlacht bei Hemmingstedt zu den unsterblichen Waffenthaten, welcher die Geschichte erwähnt.
Mit großer Mühe retteten sich der König und Herzog, und noch an demselben Tage wird Meldorf geräumt. Die zahlreichen Kirchen des Landes theilen sich in die Beute; in die Kirche zu Oldenwörden kommt jene alte Fahne der Dänen, der Dannebrog. – Noch in der Fastenzeit erfolgt ein Angriff auf die Tielenburg, die freilich im Gebiete Dithmarschens lag, aber von jeher den Holsteinern gehörte. – Die zahlreiche Beute erhielt theilweise die Bestimmung zum Bau eines Klosters, das bei der Schlacht gelobt worden und worin jene Jungfrau ihr Gelübde vollziehen sollte; doch wollte es mit demselben nicht recht fort; denn es kam nur eine domus lignea zu Stande, und der dithmarsischen Jungfrauen waren nur wenige, die zu einem Leben der Art Lust hatten; es kamen nur einige mulieres rusticanae dahin, und außerdem muß sich mancherlei Unfug und Ungebühr zugetragen haben, so daß das Kloster nie recht in Ordnung kam und nur kurze [100] Zeit bestand. Ein Theil der Beute ward auch zum Bau einer Kapelle, nämlich der zu St. Annen, angewandt[51].
Da nun in so außerordentlichem Grade jener Heereszug mißlungen war, so fanden es die Fürsten und Herren für gut, einen Vertrag mit den Dithmarschen im Mai 1500 abzuschließen, der im Wesentlichen nur eine Erneuerung der früheren Verträge enthielt. Wie die Jahre aber weiter gingen, zeigte es sich, daß der Eroberungsplan nicht aufgegeben war, und die Feindseligkeiten beginnen wieder. Von holsteinischer Seite fordert man einen Zoll, gegen die früheren Verträge, wohingegen die Dithmarschen ernstliche Maßregeln treffen und sich mit den Lübeckern eng verbinden.
Im Jahre 1506 stirbt Wolf Isebrand. auf dessen Rath jene Schanze, des Landes Schutz, aufgeworfen ward, und wird in dieser Schanze begraben. – Die Dithmarschen aber, die im Kampf so treu zusammenhielten, waren im Frieden nicht von derselben Einigkeit beseelt; wir sehen innere Zwistigkeiten aufkommen, und sogar in Kampf ausbrechen, wobei sogar 1510 einmal die Achtundvierzig von der Landesversammlung abgesetzt werden. – 1511 beschließt man Meldorf nach der neuen Kriegsweise zu befestigen, wodurch man wohl einen Fehlgriff beging: denn die nothwendige Folge dieser Befestigung war die Zersplitterung der dithmarsischen Macht, statt daß man früher sich in den Hammen zusammenfand.
Mit dem Nonnenkloster wollte es, wie gesagt, nicht recht gehen, und daher wandte man sich, um die Lösung des Gelübdes [101] zu erhalten, im Jahre 1517 an den Papst, welcher erlaubte, statt dieses Nonnenklosters ein Mönchskloster zu gründen, und dieses ward ein Kloster des Franziscaner-Ordens und wurde in Lunden 1517 errichtet.
Bald zeigte sich wieder ungünstiges Vernehmen mit Holstein, und es kam 1518 so weit, daß ein Landesbeschluß alles holsteinische Geld in Dithmarschen verbot und nur die Münze der Hansestädte anerkannte; denn Dithmarschen selbst hat nie Münze geprägt. 1520 erneuern die Dithmarschen wieder ihren Vertheidigungsbund mit Lübeck auf 8 Jahre und 1523 nähern sie sich Holstein durch einen Vertrag.
Das folgende Jahr 1524 war bedeutend und unvergeßlich für Dithmarschen: durch den Anfang der Reformation, die sich freilich durch eine blutige That erst begründen mußte. Der nächste Urheber derselben war der jüngere Nicolaus Boie, Prediger zu Meldorf; er war 1524 von Wittenberg zurückgekehrt, wo er Luther selbst gehört hatte. Er ruft den Heinrich Möller aus Zütphen, dessen Bekanntschaft er in Bremen gemacht; der erscheint am Ende November und predigt in Meldorf mit vielem Beifall[52]. Viele neigen sich zu der neuen Lehre hin, aber eben der große Beifall ist es, der auch eine Gegenparthei aufregt. Die Achtundvierzig werden in dieser Hinsicht angegangen, können aber nicht recht zum Beschlusse kommen, denn unter ihnen selbst ist Zwiespalt; auch stößt ihr
[102] Beschluß auf Protest bei der Meldorfer Gemeinde, da sie in Kirchensachen nicht unter den Achtundvierzig stehe. Der Prior des Meldorfer Klosters wandte sich darauf an die Lundener Mönche und an den Officialen des Hamburger Dompropstes; außerdem gesellen sich Manche zu ihnen, namentlich Peter Swin, Peter Nanne, Claus Rhode, und sie beschließen auf eigene Hand etwas zu unternehmen. Man versammelt sich in Hemmingstedt; einige von den Achtundvierzig bieten 500 Bauern auf und zwingen sie durch Drohungen zu ihrem Willen. Man nähert sich in der Nacht des 10. December Meldorf, und, geleitet von den dortigen Mönchen, gehen sie nach Boie’s Hause, wo Heinrich von Zütphen sein Quartier hatte. Man drang mit Gewalt hinein, mißhandelte den Prediger Boie, zog den Heinrich von Zütphen aus dem Bette, und barfuß, wenig bekleidet, bei der nächtlichen Winterkälte schleppen sie ihn nach Heide hin, woselbst sie ihn die Nacht in einem Privathause lassen. Am folgenden Morgen hält man auf dem Markte Gericht über ihn und verurtheilt ihn zum Feuertode. Außerhalb Heide war ein Holzstoß aufgethürmt, das Feuer will aber nicht brennen, so daß es zwei Stunden dauert, ehe die Strafe vollzogen ward, während welcher Zeit der Märtyrer allen Mißhandlungen ausgesetzt war. Endlich binden sie ihn auf eine Leiter und werfen ihn so auf den Holzstoß; aber mehr durch Mißhandlungen, als durch das Feuer endigt H. v. Zütphen, 36 Jahre alt, sein Leben. M. Luther selbst hat mit vieler Ausführlichkeit und eigenthümlicher Kraft seine Würdigkeit und Leiden geschildert.
So war der erste Versuch der Reformation in Meldorf nicht gelungen: allein es blieb der jüngere Boie übrig, der mannhafte Kämpfer für die Sache, unterstützt von seinem Bruder M. Böetius Marquardi, Prediger zu Brunsbüttel, und seinem Vetter, dem ältern Nicolaus Boie, Prediger zu Weslingburen[53], welcher letztere nicht allein von seinem Kirchspiel mit [103] Beifall gehört wurde, sondern auch aus den nächsten Kirchspielen strömte es hinzu, um durch die Kraft seiner Predigten erbaut zu werden, und man verachtete die Strafen, welche darauf standen. Die Achtundvierzig waren nämlich fortwährend gegen die Neuerungen und nahmen sorgfältig in Acht, welche der neuen Lehre geneigt sich bezeigten. Solche wurden oft mit fliegenden Fahnen überzogen und geriethen in Lebensgefahr, oder wurden wenigstens in schwere Brüche gesetzt, bis sich endlich einer der Achtundvierzig selbst der Reformation zuwandte und man nun nicht mehr gewaltthätig verfahren durfte. Der jüngere Boie ruft nun einen gleichgesinnten Mann, Adolf Klarenbach, herbei; der aber findet auf der Reise in Cöln seinen Tod.
Man darf aber das Jahr 1532 nennen als das, in welchem die Reformation als vollendet anzusehen ist; in diesem wird der Papismus abgeschafft, die Klöster aufgehoben, dem Dompropst der Gehorsam aufgesagt, die Prediger, die sich nicht für die Reformation erklären wollen, abgedankt. Im Jahre 1540 wurden auch protestantische Superintendenten eingesetzt, als die höchste geistliche Obrigkeit, während bis dahin jedes Kirchspiel in solchen Sachen selbst entschieden hatte. Diese vier wurden nicht döfftweise eingesetzt, sondern als Collegium ihrer Kirchspiele[54].
Aber wenn in so vielen Ländern sich zeigte, daß mit der Einführung des Protestantismus noch das Land nicht protestantisch [104] gesinnt war, und daß es lange dauerte, ehe er in die Gemüther und Lebensgewohnheiten eindrang, so zeigte sich dieß auch hier, wo im Freistaate die alten Gewohnheiten noch lange sich erhielten, und es folgte noch ein langer heftiger Kampf, ehe die neue kirchliche Einrichtung das ganze Leben des Staats durchdrungen hatte. Die protestantischen Geistlichen sahen die höchste Gefährdung des neuen Glaubens in den Bundesbriefen und der Bestrafung des Mordes. Die meisten Geschlechtsverbindungen, die in der letzten Zeit zum Theil schriftlich abgefaßt worden waren und desto schärfer lauteten, zielten dahin, daß ein Mitglied immer für das andere stehen müsse, und wenn Einer gerichtlich belangt würde, der Andere die Eideshülfe nicht verweigern dürfte, wenn er gleich wußte, daß sein Geschlechtsvetter Unrecht hatte, oder gar nichts davon wußte. Schon die Boien hatten ernstlich dagegen gekämpft; doch dauerte die Sitte fort bis 1538, wo endlich ein Wesentliches erreicht ward; es wurden in einer Landesversammlung die Geschlechtseide förmlich abgeschafft, und statt derselben blieb nur der Zwölf-Mannen-Eid, welchen der Beklagte mit elf anderen, die aber nicht aus seinem Geschlecht zu sein brauchten, schwören konnte. – Der andere Kampf ging dahin, daß der Mord nicht mehr durch Geld gebüßt werde; sondern die Geistlichkeit drang darauf, daß, wer Blut vergossen habe, dessen Blut solle wieder vergossen werden. Dem jüngeren Boie war Johannes Roger, ein Engländer, gefolgt; der wollte der Sache abhelfen, indem er Nothwehr und absichtlichen Mord unterschied. Nach harten Kämpfen, in welchen einmal alle Prediger ihr Amt niederlegten, kam es 1545 zu einem Landesbeschlusse, worin man von einem Extrem zum andern überging und festsetzte, künftig solle jeder Todtschlag mit Blut gesühnt werden.
Mit den geistlichen Dingen verbinden sich gleich die weltlichen; das Kloster von Lunden wird 1539 niedergerissen und das Material zum Bau eines Hammhauses in der Süderhamme verwandt. Als dies geschah, war Lunden schon kein Flecken mehr, sondern hatte am 27. Februar 1529 das Stadtrecht erhalten.
[105] 1531 und 1532 sehen wir das Land in besorglicher Aufregung; man fürchtet, es sei etwas von Seiten Holsteins im Werke gegen die Freiheit der Dithmarschen. Sie ziehen aus zur Landeshöde, aber die Sache bewährte sich nicht. Jedoch hielten sie es für rathsam, sich enger zu vereinigen mit Lübeck, das so oft ihnen hülfreich zur Seite gestanden; es kam zu einem zwanzigjährigen Vertrage, der zum höchsten Mißgeschick für Dithmarschen ein Jahr vor dem letzten Jahre der Freiheit, 1559, erlosch. – Daß dieser Vertrag nicht ohne Ursache abgeschlossen sei, zeigte sich schon 1544. Es ist unläugbar, daß schon Christian III. den Gedanken hegte, die Dithmarschen anzugreifen, um sie zu vernichten. Die Rüstungen waren schon vollendet, als die Lübecker dazwischen traten und die Sache ausglichen.
Dithmarschen entging auch dieß Mal der Gefährdung; aber es war offenbar, daß der alte Plan darum nicht aufgegeben ward, und 1545 begiebt sich etwas, was die Erbitterung sehr steigerte. Ein angesehener Mann, Wiben Peter aus Meldorf, hatte einen Proceß über eine Erbsache, verliert ihn in seinem Kirchspiele und verlangt nun in seinem Eifer, sich an die Landesversammlung wenden zu dürfen: das wird ihm abgeschlagen, denn solche Sachen gehören nicht dahin. Darauf wandte er sich ans Reichskammergericht und ward dadurch im Lande verhaßt. Da begiebt er sich nach Holstein, und gleich als ob er zeigen wolle, wie mißgeartet der Dithmarschen Freiheit sei, giebt er ihr Landesbuch 1539 in Druck[55]. Als erklärter Landesfeind fällt er mordend und plündernd in Dithmarschen ein und 1545 geht er nach Helgoland, welches dem Herzog Adolf von Gottorp gehörte; von da aus macht er Ausfälle auf die dithmarsische Küste, bis sich im Mai 1545 200 Bauern vereinigen, ihn in Helgoland angreifen und tödten. – Durch diesen Eingriff in seine Rechte wird der Herzog bestärkt in seinem Plane eines Angriffs auf Dithmarschen; [106] er weiß sich von Karl V., in dessen Heeren er gedient und dem er wichtige Dienste geleistet, die Belehnung mit Dithmarschen 1548 zu verschaffen. Der Herzog läßt sich nun angelegen sein, in aller Stille Dithmarschen auszukundschaften, und er selbst hat in Verkleidung dasselbe durchreist. Die Dithmarschen wendeten sich an den Erzbischof von Bremen und erlangten durch ihn von dem Kaiser die Bestätigung ihrer alten Rechte.
Christoph, Erzbischof von Bremen, starb bald darauf und ihm folgte sein Bruder Georg, ein heftiger Feind des Protestantismus. Auch war König Christian III. am 1. Januar 1559 gestorben; er hatte die Anschläge seines Bruders Adolf wohl bemerkt, aber nicht gebilligt; als nun der junge König Friedrich II. den dänischen Thron bestiegen hatte, setzte Adolf seine Rüstungen fort, obgleich er sie noch immer geheim hielt. Endlich offenbart er seine Absichten und beschließt zu Nortorf mit Herzog Johann und Friedrich II. den Krieg. Die Hauptleitung übernimmt der 67jährige Johann Ranzau; das Heer sollte 20,000 Mann zu Fuß betragen und mit Reitern und Schanzgräbern 25,000 Mann; vier Linienschiffe werden in die Elbe geschickt und außerdem viele Frachtschiffe.
Zur Mitte Mai’s war alles in’s Werk gesetzt und am 18. Mai erließen die holsteinischen Herren den Fehdebrief von Hohenwestedt aus an die Dithmarschen, in welchem sie dieselben als bisher widersetzliche Unterthanen (was sie freilich nie gewesen waren) ermahnen, sich jetzt zu unterwerfen. Er kam in das Lager der Achtundvierzig bei Heide, wird natürlich nicht angenommen, sie bitten vielmehr, man möge sie im Genusse ihrer Freiheiten lassen. Höchst aufgeregt finden wir die Hansestädte: sie haben aber viel versprochen, aber nichts gehalten; die Bremer sollen 500 Schützen senden, senden aber nicht einen; Lübeck schickt 3 Tonnen Fußangeln, aber keinen lebendigen Mann. Das ganze Ansehen der Dinge war überhaupt jetzt ein anderes als in der alten Zeit. Johann Ranzau und Adolf von Holstein galten mit Recht für durchaus versuchte Kriegshelden und waren ganz andere Männer, als [107] Junker Schlenz und König Hans 1500. Dann hatte sich auch seitdem das Kriegswesen ganz umgestaltet, so daß die Dithmarschen den so eigenthümlichen und so gut benutzten Vortheil ihres Landes jetzt nicht mehr für sich hatten; vornehmlich war die Artillerie und das Schießgewehr ganz anders ausgebildet. Die Dithmarschen waren dagegen mehr bei der alten Weise geblieben und hatten ihrer Kraft auch wesentlich geschadet durch die Befestigung Meldorfs. Inzwischen konnten sie, wenn sie ihre ganze Macht aufboten, an 12,000 Mann aufbringen. Allein Uneinigkeit schwächte sie und von einzelnen Verräthern ist wieder die Rede. Mit Kanonen waren sie hinlänglich versehen; sie hatten deren über hundert und Johann Ranzau giebt ihnen das Zeugniß, daß sie dieselben gut zu gebrauchen wußten. Die Antwort auf den Fehdebrief erfolgte den 21. Mai; sie erklärten sich in derselben nach wie vor für Unterthanen des Erzbischofs von Bremen und bitten, dieß bleiben zu dürfen. So geschah denn am 22. Mai der Einmarsch, und ohne daß ein Feind gesehen wäre, rückte das Heer nach Albersdorf. In den nächsten Tagen beschäftigt sich Johann Ranzau mit Erspähen des Landes, wobei ihm mehrere der Eingeborenen des Landes zu Führern dienen. Hierauf wird über die Art und Weise des Angriffs berathen; Alle scheuten die Hamme; es war nur die Frage, ob man die Tielenbrücke zuerst angreifen solle oder Meldorf. Johann Ranzau sprach für letzteres, damit er den Kriegsmuth des Heeres zuerst auf Eroberung dieses festen Platzes verwendete, und sein Rath drang durch. Jedoch ließ er zwei Theile des Heeres sich gegen die Tielenbrücke und gegen die Hamme wenden; er selbst führte den Zug nach Meldorf. Durch jene Vertheilung wurden die Dithmarschen getäuscht, denn sie glaubten, der Hauptangriff werde auf die Hamme geschehen, und dahin zogen sie ihre Hauptmacht, obwohl in Meldorf eine 2500 Mann starke Besatzung lag. – Man war nahe daran, von Albersdorf aufzubrechen, als Sebastian Ersam als Gesandter Lübecks dazwischen trat; er rieth zur Güte, wie er aber bemerkte, daß die Sache dazu zu weit gediehen sei, so wandte er seine Schritte rückwärts.
[108] Am 3. Mai geschah der Angriff auf Meldorf. Zwei Mal in den ersten anderthalb Stunden wurde der Sturm der überlegenen Macht zurückgeschlagen; viele der Angreifer, da man von mehreren Seiten angreifen wollte[56], geriethen in die Gefahr, in Gräben und Sümpfen stecken zu bleiben, so daß sie, wie einer von ihnen schreibt, nur wie durch ein Wunder gerettet wurden. Jedoch, als der dritte Sturm anderthalb Stunden lang gedauert hatte, da erlag die Kraft der tapferen Besatzung; von zwei Seiten drangen die Angreifer hinein, und die Meisten der Besatzung gingen zu Grunde. Man wüthete nun gegen Männer, Weiber und gegen das Kind in der Wiege, und was sich von den Vertheidigern gerettet hatte, wurde bald ereilt und niedergehauen[57]. Das Fußvolk hatte diesen Sieg erfochten und war daher auch zuerst bei der Hand, sich an die Beute zu machen; später rückte die Reiterei nach und beinahe wäre es zum Gefechte zwischen diesen und dem Fußvolk gekommen, weil jene keine Beute mehr vorfanden. So hätte ein Aufstand der feindlichen Truppen beinahe die Freiheit Dithmarschens gerettet. Die nächste Folge dieser Erstürmung Meldorfs war die Eroberung Brunsbüttels und der Südermarsch.
Als die Dithmarschen dieß vernommen, dachten zuerst Viele daran, mit der vereinigten Kraft der Norderkirchspiele Meldorf anzugreifen, um so das gesunkene Glück des Vaterlandes vielleicht wieder zu heben. Allein die Mehrzahl setzte sich diesem Plane entgegen und allerdings scheint derselbe nicht wohl erdacht zu sein, denn man hätte so wiederum den Vortheil des Landes, die Hammebefestigung, aufgegeben (?). Die Dithmarschen gaben dieß auf und versammelten ihre Hauptmacht bei Hemmingstedt in der Meinung, daß der siegreiche Angreifer nun den Weg nehmen würde, welchen 1500 Johann [109] gegangen; allein auch hier gingen sie wiederum fehl. Johann Ranzau wollte die Dithmarschen jedes Vortheils ihres Landes berauben und sich nicht in die Marschgegend hineinwagen. Daher ging das Hauptheer wieder nach Albersdorf zurück, und nun dachte man an einen Angriff der Tielenbrücke; denn durch Eroberung dieses festen Punctes konnte man sich den Weg in die Nordhamme bahnen. Zum Angriff machte man sich am 13. Juni auf, und dieser Punct, der wohl in der letzten Zeit vernachlässigt sein mochte, war weniger fest und fiel ohne ruhmvolle Gegenwehr den Siegern in die Hände; darum läßt sich aber nicht sagen, daß Feigheit die Vertheidiger der Brücke zur Uebergabe derselben verleitete, sondern sie wollten nicht durch unnütze Aufopferung die Gesammtmacht ihres Landes schwächen, und sie meinten, daß die Hauptmacht der Dithmarscher in den Hammen sei. Allein diese hatten sich bei Hemmingstedt versammelt, und als jene die Gegend der Süderhamme erreichten, fanden sie daselbst nur Wenige vor. Dadurch allein war es möglich, daß im raschen Vordringen die Feinde mit ihnen die Aubrücke erreichten, die beiden Hammen zur Vereinigung diente; die Reiter setzten schnell über dieselbe weg und somit war der Schlüssel zur Süderhamme gefunden, und so hatten die Dithmarschen nicht nur die Norderhamme eingebüßt, sondern es war auch Heide und das Hammhaus umgangen.
Nun kam es noch um Heide zu einem furchtbaren Kampf, als das siegende Heer schon vollkommen gesiegt zu haben glaubte; denn hier war die Hauptmacht der Dithmarschen zugegen, denen aber jetzt nicht ihre Hammen zu Statten kamen; sie mußten unter gleichen Bedingungen jetzt kämpfen mit dem Feinde, der ihnen an Zahl überlegen war, und besonders durch seine Reiterei, welche hier eben den Ausschlag gab, indem sie die Hauptmacht der Dithmarschen zurückdrängte. Doch darum war Heide noch nicht verloren; eine große Schaar warf sich plötzlich auf die Feinde heraus mit ungemeiner Beweglichkeit der Glieder, indem sie mit ihren Springstöcken behende über die Gräben setzten, und es scheint wirklich, daß allgemeine Flucht und Verwirrung die Sieger ergriff, als Herzog Adolf, [110] der Wichtigkeit des Augenblicks und seiner natürlichen Tapferkeit eingedenk, heransprengte, und durch lauten Zuruf und mit tadelnden Worten die Seinigen anrief. Da war es, als ein Dithmarscher, den er mit seinem Pistol verwundet hatte, auf ihn eindrang und ihn schwer verwundete; aber sein kühnes Wagen und Zurufen gab doch die Entscheidung; mit verdoppelter Erbitterung drang die Reiterei in Heide ein. Darum war aber Heide noch nicht gewonnen. Die Einwohner vertheidigen sich tapfer in den gesperrten Straßen, und nochmals scheint das Gelingen sich zu den Dithmarschen wenden zu wollen; Reiterei und Fußvolk werden zurückgeworfen, und die Heider beginnen die Verfolgung. Und wohl hätte aus dem Zustand der Verzweiflung, wie einst gegen Gerhard den Großen die Rettung der Dithmarschen hervorgehen mögen, wenn in diesem Augenblick die Schaaren der benachbarten Kirchspiele herbeigerückt wären. Doch dies geschah nicht, obwohl Einige dazu ermunterten, und so ward Heide erstritten. Noch freilich lag nur die Hoffnung vor, durch erneuerte Anstrengung Heide zu gewinnen; die Truppen waren ermattet und Viele riethen, da der Tag sich schon zu Ende neigte, daß man ausruhen möge für den neuen Kampf. Allein der Feldmarschall Ranzau besteht darauf, es müsse vor der Nacht Heide erobert werden. Man läßt einzelne Abtheilungen gegen die noch übrigen Haufen der Dithmarschen zurück und wendet sich mit der Hauptmacht gegen Heide, und während des Kampfes läßt Ranzau, die Leute hintenansetzend, die Stadt in Brand stecken, und in verzweifelter Gegenwehr fällt so durch Feuer und Schwert die letzte Kraft des Landes, am 13. Juni des Jahres 1559.
Am 14. Juni erschienen zwei dithmarsische Prediger mit weißen Stäben, mit Briefen von Wöhrden aus ausgefertiget, wo sich die Trümmer der Freiheit in der Nacht versammelt hatten mit der Bitte, Boten ins Lager senden zu dürfen, um mit dem Herzog von Dithmarschen – so ward er jetzt zum ersten Mal genannt – über Frieden und Unterwerfung zu unterhandeln. Der Waffenstillstand ward ihnen zugesagt und am 15. Juni erschienen die Gesandten, boten Unterwerfung [111] an, und baten nur, daß man ihnen billige Bedingungen gestatten möge. Es wurde Kriegsrath gehalten in dem Zelte, wo Herzog Adolf selbst schwer verwundet lag. Mehrere, von blinder Leidenschaft getrieben, riethen zur völligen Vertilgung des aufrührerischen Stammes. Hier aber zeigte sich der hohe Sinn des Herzogs, der doch wenigstens den Kriegsruhm Anderer zu schätzen wußte; er rieth zur milden Behandlung. Doch, hart genug waren die Bedingungen noch immer; sie würden die Dithmarschen gänzlich zu Grunde gerichtet und zu völligen Leibeigenen herabgedrückt haben. Am dritten Tage darauf gaben die Dithmarschen ihre Gegenerklärung: sie wollen gerne Urkunden und Siegeszeichen ausliefern und sich unterwerfen, nur solle man nicht begehren, daß sie die Kriegskosten bezahlten und auf eigene Kosten drei Festungen in ihrem Lande erbaueten; dagegen wollen sie gerne ihre jetzigen Festungen schleifen und so ihnen überliefern. Nur solle man sie nicht als Knechte behandeln, vielmehr so, wie die Friesen behandelt würden, die freie Besitzer aus eigenem Grundstück auf dem Fuß bestimmter Abgaben wären. Und so geschah es; die Capitulation ward am 20. Juni 1559 unterzeichnet. Die Dithmarschen stellten dem Grafenhause die Zusicherung ihres Gehorsams aus und erhielten dagegen von ihrem Landesherrn die Versicherung, daß ihnen die jetzt gestatteten Rechte bleiben sollen. Und in bedeutenden Stücken beruht bis auf den heutigen Tag die Verfassung des Landes auf diesen Capitulationen.
1565 erschien die kaiserliche Bestätigung des Vertrags, das Land ward dreifach getheilt. Indeß wurden noch nicht alle Versuche, die Freiheit wieder zu erwerben, aufgegeben; allein sie blieben fruchtlos, wie die Klagen des Erzbischofs von Bremen beim Reichskammergericht[58]. Die Ansprüche, welche Bremen [112] noch hätte geltend machen können, gingen im 17. Jahrhundert verloren. Im Westfälischen Frieden ward Bremen in ein Fürstenthum verwandelt und mit Schweden verbunden. In dem Röskilder Frieden 1658 und nachher im Kopenhagener 1660 verzichtet Schweden auf alle Rechte, die Bremen noch hätte geltend machen können.
So ging der Dithmarschen Freiheit zu Grunde.
Die dritte Periode von der Unterwerfung Dithmarschens bis zum Ende des dreißigjährigen Krieges, wo die gemeinschaftliche Geschichte der Landestheile aufhört, zerfällt in drei Abtheilungen:
- Die Zeit der Theilung unter drei Herrscher von 1559 bis 1580.
- Die Zeit bis auf den Tod des Herzogs Johann Adolf 1616 und die Vorbereitungen des dreißigjährigen Krieges.
- Die Zeit des dreißigjährigen Krieges bis auf den Tod König Christians IV. 1648.
Es war am Dienstag den 12. Juni 1559, daß die Freiheit von Dithmarschen im heißen Kampfe bei Heide unterlag. H. Ranzau schlägt die Zahl derer, die dort gefallen waren, [114] auf dreitausend an, diejenigen ungerechnet, die sich unter dem Schutz der Nacht noch vom Wahlplatz wegschleppen konnten. Das Lager der Fürsten ward nach ihm (in der unter dem Namen Cilicius herausgegebenen Descriptio belli Dithmarsici) bei der Hamme aufgeschlagen, an einer Au, ob beim Hammhause d. h. der Heider Schanze, deren in diesem Kampfe keine Erwähnung geschieht, oder an der Aubrücke, bleibe dahingestellt.
Den nächsten Tag gebot die Erschöpfung beiden Theilen Ruhe. Die Dithmarschen hätten gewünscht in der Nacht noch durch eine Ueberraschung dem Kampf eine Wendung zu geben, aber sie verzichteten auf den Gedanken, weil die zum Schutz gegen die feindlichen Schiffe längs dem Deich vertheilten Schützen nicht herbeizuschaffen waren. Es war aus, die lang und muthig vertheidigte Freiheit verloren. Am Abend des 13. Juni[59] erschienen die Abgesandten der Dithmarschen, zwei Prediger mit weißen Stäben, mit einer schriftlichen Bitte um freies Geleit für die zu sendenden Friedensunterhändler. Dasselbe wurde gewährt und zum Schutze derselben ein Trompeter mitgesandt. So begannen denn am 15. Juni Mittags im Zelt des verwundeten Herzogs Adolf die Unterhandlungen. Die Forderungen waren hart: den Unterthaneneid zu leisten, 600000 Mark Kriegskosten zu zahlen, die Schanzen zu schleifen, die früher genommenen Fahnen herauszugeben, zum Bau dreier Festungen im Lande den Grund herzugeben und die Kosten zu tragen, Geschütz und Waffen auszuliefern, der Hoheit der Fürsten sich zu unterwerfen, ihre Aecker als Pachtungen von denselben entgegenzunehmen, alle Briefe und Urkunden auszuliefern, der Gerichtsbarkeit der Fürsten sich zu unterwerfen und für ihre Treue Geiseln zu stellen. – Von diesen Bedingungen erklärten die Dithmarschen die Zahlung der Kriegskosten, nachdem das ganze Land verwüstet und geplündert sei, für unmöglich, baten [115] sie nicht leibeigen zu machen, sondern in ihren Verhältnissen den Friesen und der Wilstermarsch gleich zu stellen und von der Anlegung von Festungen abzusehen. Vor allen Dingen aber baten sie um Beibehaltung ihres Landrechtes und daß die Gerichte wie in Eiderstedt möchten collegialisch besetzt werden, und damit drangen sie durch. Die Fürsten erkannten es als in ihrem eigenem Interesse liegend, die Zerrüttung des Landes nicht bis aufs äußerste zu treiben, da ein Verzweiflungskampf die Vernichtung von Deichen und Schleusen, den Untergang der Marsch nach sich ziehen konnte. Die Unterhandlungen nahmen daher einen so unbedenklichen Verlauf, daß der König, welcher noch nicht gekrönt war, bereits am 16. Juni das Lager verließ und den Händen der beiden Herzöge und Johann Rantzau’s die Beendigung derselben anvertraute. Am Montag nach Vititage, den 18. Juni, stellten die Fürsten den Dithmarschen einen Revers aus, in welchem sie ihnen Leib und Leben, die sie durch ihre Rebellion verwirkt hätten, zusicherten, Haus und Hof gegen eine bestimmte Abgabe (in der Marsch 1 fl. vom Morgen, auf der Geest die halbe Einsaat) erb- und eigenthümlich und Holzungen und Weiden abgabenfrei überließen. Ihnen blieb ferner der Fischfang auf der Eider, Kauf und Verkauf in den Herzogthümern unter Gegenseitigkeit. Der Bau der Festungen ward erlassen, aber Beseitigung des Hammholzes bedungen.
So erfolgte denn am 19. Juni die Unterwerfung der Dithmarschen zwischen Lohe und Rickelshof, indem sie, was ihnen vom Geschütz noch geblieben war, und ihre sonstigen Waffen den Händen ihrer Gegner überlieferten, vor den Fürsten und ihren Räthen fußfällig um Gnade baten und den vorgeschriebenen Huldigungseid leisteten. Von den Waffen ward ihnen einiges zurückgegeben, um sich gegen marodirende Kriegsknechte zu vertheidigen. Dagegen mußten sie vierundzwanzig Geiseln stellen. Dann eilten die Fürsten, die Kriegsknechte zu entlassen, die mit der raschen Beendigung des Krieges sehr unzufrieden waren und gern wenigstens das eroberte Geschütz für sich behalten hätten. In dasselbe theilten sich die Fürsten, [116] auf jeden Theil fielen sechsunddreißig Stücke. Die Soldaten wurden rasch nach allen Seiten abgeführt, bezahlt und entlassen und so das neueroberte Land mit großer Klugheit plündernden Banden entzogen.
Man kann den erobernden Fürsten die Gerechtigkeit nicht versagen, anzuerkennen, daß sie den Dithmarschen gegenüber, sobald sie mit denselben in Unterhandlungen getreten waren, sich auch als für das Interesse derselben verpflichtete Landesherren benahmen und nur die Auflehnung gegen sie und Widersetzlichkeit gegen ihre Beamten mit schweren Leibes- und Lebensstrafen bedrohten. Dagegen verzichteten sie auf Schlösser und Schanzen in einem Lande, das ihnen doch einen so energischen Widerstand geleistet hatte. Es war die Hälfte der wehrhaften Mannschaft gefallen (das Geschlecht der Itzemannen hatte nach Karsten Schröder allein 120 Mann eingebüßt), Gefahr konnte nicht vorhanden sein, wenn man das Land nur zu einem offenen machte; so ist auch von zurückgelassenem Militär nicht die Rede. Aber vor allen Dingen mußte es zur Beruhigung des Landes beitragen, daß sie eingingen auf seine Bitte, ihm sein altes Landrecht zu lassen und die bräuchliche Rechtspflege durch Collegien zu erhalten, zumal, daß sie so sehr eilten, von neuem Rechtssicherheit im Lande zu schaffen. Am 19. Juni hatte sich das Land unterworfen und schon in der ersten Woche des Juli erfolgte die neue Organisation der Gerichte durch königliche und fürstliche Räthe, welche dabei zumal die mitgeführten Geiseln und außerdem zwei Deputirte aus jedem Kirchspiel zu Rathe zogen.
Als Grundsatz ward zunächst aufgestellt, daß nur im Namen der Fürsten könne Recht gesprochen werden; damit waren alle richterlichen Collegien im Lande beseitigt, Achtundvierzig, Schlüter, Geschworene, Landesversammlung. Das Landrecht ward mit Ausnahme von sechs Artikeln vorläufig angenommen. Zur Verwaltung des Rechts, Criminal- und Civilrechts, setzte jeder Fürst einen Landvogt ein und gab demselben acht Räthe bei, die, nach Kirchspielen ernannt, bald auch Vögte, Kirchspielvögte genannt wurden. Von ihnen sollte alle Gerichtsgewalt, [117] Pfändung und Vollstreckung des Erkenntnisses ausgehen. Eine große Concession aber gegen das Land und gewiß ein mächtiges Vertrauensvotum war die Bestimmung, daß dieselben sämmtlich geborne Dithmarscher sein sollten: ein Beweis zugleich, daß die Fürsten Tüchtigkeit und guten Willen bei der begüterten Bevölkerung vorfanden, und nicht zweifelten, stets eine genügende Zahl geborner Dithmarscher zu finden, die dazu tauglich wären. Die Brüchen wurden der herrschaftlichen Casse zuerkannt, zu ihrer Verwaltung ein Landschreiber eingesetzt, der zugleich mit Actuardiensten betraut wurde. Wer Auflauf und Meuterei veranlasse, solle ohne Gnade Blut und Leben verwirkt haben; des Todtschlägers Vermögen solle, wenn er selbst aus dem Lande weiche, zur Hälfte zu Gunsten des Fiscus eingezogen werden. Alle früheren Bestimmungen über Eideshülfe und Bestrafung des Todtschlages werden aufgehoben. Merkwürdig ist die Schlußbestimmung, daß alles, was natürlicher Billigkeit widerspreche, damit nicht solle sanctionirt sein, und alles aufgehoben, was dem augsburgischen Glaubensbekenntniß zuwider sei. Alle vierzehn Tage soll Gericht gehalten werden, Montags in Meldorf im Südertheil, Mittwochs im Mitteltheil in Heide, Freitags im Nordertheil in Lunden. Die Landvögte und Landschreiber werden auf festes Gehalt gesetzt, den Räthen 8 Schilling (!) Diäten zugesagt. Die Vorladung solle schriftlich geschehen und durch glaubhafte Leute insinuirt werden. Um sowohl die Vögte als auch die Eingesessenen zu berathen, bestimmte jeder der drei Landesherren einen seiner Amtsmänner und schuf so eine Appellationsinstanz, von der die Appellation an die Fürsten vorbehalten blieb. Schon um Michaelis folgte dieser ersten Ordnung eine Zahl von Bestimmungen über die gerichtlichen Verhältnisse, von denen namentlich die erste tief einschnitt in die Zustände des Landes; sie betraf das Erbrecht, daß, wenn der Mannesstamm einer Familie erlösche, das Vermögen an die Tochter oder Töchter fallen solle, während bis dahin die männlichen Vettern die Hälfte geerbt hatten. Diese Aenderung rief lebhafte Gegenvorstellungen hervor; energisch legte sich der Landvogt des Südertheils, Jacob Harder, dagegen, [118] machte geltend, daß dadurch die Höfe würden übermäßig zerrissen werden, daß für die Deichordnung im Fall der Verheirathung der Töchter in andere Kirchspiele Schwierigkeiten daraus erwachsen, daß die jungen Männer würden aus dem Lande gedrängt werden; die Regierungen widerstanden diesen Vorstellungen und räumten schließlich nur geringe Modificationen ein; es war ein Bestreben, das Dithmarscher Landrecht dem im übrigen Lande geltenden anzunähern. Eine andere Bestimmung war, daß der Todtschläger, wenn er sich mit den Blutsfreunden vertragen habe und eine schriftliche Erlaubniß des Fürsten beibringe, unbehelligt solle zurückkehren können. Es folgten Bestimmungen über den Betrag der Sachen, für welche eine Appellation solle gestattet sein und über die Nachtheile, welche das Ausbleiben der Partheien im Appellationstermin nach sich ziehen solle.
Außerdem ward eine allgemeine Vermessung und Katastrirung des Landes angeordnet, zunächst um bei der beabsichtigten Theilung unter die drei Fürsten zu Grunde gelegt zu werden.
Bald folgte auf die Ordnung des Gerichtswesens die des geistlichen, nicht allein, weil die Richtung der ganzen Zeit auf den Glauben und die religiösen Partheien führte und die Fürsten diesem Zuge folgten, sondern auch, weil die dithmarsische Geistlichkeit ihre Intervention angerufen hatte und sich damit ein Mittel darbot, sich eine einflußreiche Parthei im Innern des Landes zu sichern. Die abziehenden Truppen hatten sich nämlich an Kirchen, Schulen und Predigerhäusern vergriffen und dieselben verwüstet und zerstört. Da wurden denn in Dithmarschen Stimmen laut, welche unter Hinweisung auf die entsetzlichen pecuniären Verluste desselben eine augenblickliche Anstrengung des Landes zum Ersatz dieser Schäden als unthunlich geltend machten und riethen, Prediger- und Lehrerstellen eine Zeitlang vacant zu lassen, um so das zu den Bauten nothwendige Geld zu erschwingen. Man kann sich die Aufregung der Geistlichkeit denken, als diese Ansicht zahlreiche Anhänger fand. Sie legte eine Supplik dagegen den Fürsten vor und [119] knüpfte daran die Bitte, die Kirchenordnung zu bestätigen und namentlich zu Verhütung eindringender Schwärmerei die neu anzustellenden Prediger und Lehrer einer Prüfung zu unterwerfen. Man ernannte vorläufig drei Superintendenten statt vier, ließ das Consistorium ungetheilt und beschaffte in Schleswig eine Prüfung der Geistlichen.
Aber es galt, auf diesem Rendsburger Landtage nicht allein zu ordnen und zu constituiren; es wollten auch Rechtsentscheidungen getroffen sein. Da standen in heftigem Zwist die vier vom Kriege arg mitgenommenen östlichen Döffte gegen die Westerdöfft, die allein von dem Leid verschont geblieben war und forderten von ihr Unterstützung und brüderliche Hülfe, wogegen die Westerdöfft einwandte, daß eine ausreichende Hülfe zu ihrem vollständigen Ruin führen müsse. Nicht minder kamen Klagen gegen mehrere Anführer, die Tellingstedt und Lunden ohne höhere Ordre und ohne Noth in Asche gelegt hätten, um sich durch allgemeine Verwüstung der Gegend zu decken. Auch mußten die Partheigänger der Fürsten, namentlich Wiben Peters Bruder Barthold Peters, gestützt und ihnen zu ihrem Rechte verholfen werden. Er hatte nach des Bruders Tode vor dem kaiserlichen Reichskammergerichte in Wetzlar einen Proceß angestrengt auf Herausgabe von dessen Erbschaft, hatte aber darüber aus dem Lande weichen müssen und im Kriege durch seine Landeskunde den Fürsten wesentlichen Vorschub geleistet. Ihm ward ein ansehnlicher Schadenersatz zugebilligt, wovon die Fürsten einen Theil auf die eigene Casse übernahmen.
In dem nun folgenden Winter vollzog sich in Dithmarschen die Umgestaltung aller öffentlichen Verhältnisse. Die Fürsten hatten alles Gericht an sich genommen und bestimmt, daß nur in ihrem Namen und durch die von ihnen ernannten Personen solle Recht gesprochen werden. Die bisherigen Behörden aber waren sämmtlich auf richterliche Befugnisse angelegt gewesen; so fielen Vögte mit ihren Schlacht-, Kluft- und Burschopsnemeden, die Achtundvierzig, die Schlüter und Geschworenen, alle auf einmal hinweg. An ihre Stelle traten die drei Vögte [120] mit ihren kirchspielsweise vertheilten Räthen, Jacob Harder in Brunsbüttel, Wolt Reimers in Heide und Marcus Swyn in Lunden. Doch blieb der Erstere nur kurze Zeit und machte seinem Geschlechtsvetter, dem Licentiaten Michael Boie in Meldorf, Platz. Es war ein Opfer, welches die Männer dem Lande brachten, denn die Zahl der Grollenden, welche sie halb als Verräther bezeichnete und mit rücksichtslosester Freimüthigkeit über sie herfiel, ihnen die niedrigsten Absichten zuschrieb, war sehr groß. Michael Boie ward mit einem Meldorfer, Goldschmidt, in Händel verwickelt, die seine Suspension herbeiführten, seinem Gegner den Kopf kosteten, und halb triumphirend erzählt Neocorus, wie von dem von Wolt Reimers aufgehäuften Reichthum nichts in seiner Familie geblieben sei, und nennt an einer andern Stelle den Titel Kirchspielvogt, der bald den Räthen zufiel, nur einen glänzenden Aushängeschild für ihre Knechtschaft. Nur M. Swyn wußte sich ohne Anfechtung zu halten. Noch leidenschaftlicher richtete sich der Haß gegen die Landschreiber, die mit den sämmtlichen herrschaftlichen Hebungen, in jedem Theile einer, betraut waren, besonders Gabriel Lange im Mitteltheil, der ebenfalls später in Anklagezustand gesetzt ward, nicht ohne Grund; dennoch endete auch sein Ankläger Osselen Karsten auf dem Schaffot. Und gleichwohl retteten diese Männer der Landschaft zwei köstliche Privilegien, ihr altes Landrecht und ihr Indigenat.
Die Theilung des Landes erwies sich, da jeder Fürst begreiflicherweise gleichviel Unterthanen und vor allen Dingen gleichviel Einkünfte haben wollte, als sehr schwierig, und deren definitive Vollziehung zog sich daher bis 1568 hinaus. Die erste war ziemlich ungleich ausgefallen. Aus der Quittung von 1560 ersehen wir, daß bei der vorläufigen Scheidung der Südertheil 14,059 Mark Einkünfte betrug, der Mitteltheil 9694, der Nordertheil 10,943.
Ebenso wie die Gerichtsverfassung mußte sich auch die administrative vollständig neu gestalten, da die Behörden, in deren Händen sie großentheils gelegen hatte, hinfällig geworden waren; doch sind wir darüber wenig unterrichtet, wahrscheinlich weil [121] nicht von oben umgestaltet ward, sondern die Verhältnisse selbst sich die nöthige Vertretung suchen mußten. Die Deichordnung ward sorgfältig geschont; man war sich höheren Ortes wohl bewußt, an ihr eine sehr nothwendige Ordnung zu haben. In die kirchlich-administrative Ordnung läßt uns ein Actenstück vom Jahr 1566, eine Rechnungsablage in Meldorf, einen Einblick thun. Die Verwaltung des Kirchenvermögens liegt in den Händen von vier Männern, zwei Mahnern (Hebungsbeamten) und zwei Baumeistern, mit gemeinschaftlichem Namen Moneters geheißen. Abgelegt aber wird sie von Gevollmächtigten (ob einem bleibenden Amt, oder ad hoc gewählten Deputirten, ist nicht ersichtlich). Die Moneters wechseln, denn nach ihnen werden die Jahre gezählt. In andern Dingen (Verwaltung communalen Eigenthums, Wegesachen u. s. w.) überläßt man es den Communen Deputirte (Vullmechtige) aufzustellen; aber zugleich beginnt die Regierung, die ursprünglich nur für die Gerichte ernannten Richter mit einer Zahl von administrativen Geschäften zu betrauen, woraus sich denn auch erklärt, daß ihnen bald amtlich der Name Kirchspielvogt beigelegt wird. Wie uns von den alten Achtundvierzig Karsten Schröder bezeugt, waren sie nach Kirchspielen ernannt; und es lag entschieden im Interesse der Regierung, überall einen beamteten Mann in den administrativen Angelegenheiten einflußreich zu wissen. Besonders war es zum Behuf der neuen Landesvermessung und für die Ueberwachung des Deichwesens, daß ihnen, und vor allem den Landvögten, Pflichten auferlegt wurden. Es wird Gehorsam gegen ihre Befehle eingeschärft, den Landvögten eine Aufsicht und Prüfung der einwandernden Fremden, wie auch Vereidigung der aus freiwilliger Verbannung zurückkehrenden Dithmarschen anbefohlen, loses Gesindel abzuweisen, aufgegeben und Verzeichnisse über die sich Ansiedelnden zu führen. Demnächst werden die Entwässerungsverhältnisse unter ihre Aufsicht gestellt und Registrirung der entwässerten Ländereien von ihnen verlangt, endlich auch die Polizei über die Schenkwirthschaften ihnen überlassen. Sie waren auf dem Wege, Amtmänner zu werden, wäre nicht als Mittelinstanz ein Amtmann [122] ihnen zur Seite gestellt, im königlichen Theile Statthalter genannt, Heinrich Ranzau, der Sohn des Oberfeldherrn. Sie aber, und noch mehr die Kirchspielvögte, klagen, daß sie mit Arbeit beschwert, ihrem Hauswesen entzogen und karg abgefunden seien, bitten wiederholt wenigstens um Steuerfreiheit für sich und ihre Aecker, werden aber ausweichend beschieden.
Hier aber drängt sich eine Frage auf, die nicht zu umgehen und doch nur durch Vermuthung nach unsichern Spuren zu beantworten ist: „was wurde aus der wöchentlichen Landesversammlung?“ Es liegt auf der flachen Hand, daß sie nicht fortdauern konnte nach Aufhebung der Achtundvierzig; aber was trat an ihre Stelle? Gehalten war sie nach beendigtem Markt in Heide, und dieser Markt blieb; also die Berathenden waren beisammen und an Fragen, die zwischen verschiedenen Kirchspielen streitig waren, Aufgaben, zu denen sich verschiedene Kirchspiele vereinigen mußten, konnte es nicht fehlen. Da muß die Regierung des Mitteltheils, der Herzog Johann von Hadersleben, verboten haben dergleichen Fragen in Heide in pleno zu berathen und gefordert haben, daß sie durch Deputirte der Gemeinde des Landes Dithmarschen (Vullmechtige der Gemene des Landes Dithmarschen) sollten ausgetragen werden. Ist diese Annahme richtig, so ist damit die Erklärung des Einganges eines Actenstückes vom Jahre 1563 gefunden. Es ist das Creditiv des Landvogts Wolt Reimers, um gegen ein Verbot der Kornausfuhr zu suppliciren, welches beginnt: „Wy Vullmechtigen wegen des ganzen Landes und der Gemene des Landes Dithmarschen.“
Die Ersteren sind natürlich zu diesem Zwecke deputirte Männer des Landes; aber vergebens frage ich, was neben ihnen die zweiten sind, wenn nicht Deputirte einer bestimmten Commune, welche Gemene des Landes Dithmarschen hieß; und daraus, daß das Actenstück das Wappen des Mitteltheils führt, müssen wir schließen, daß diese Gemeine des Landes Dithmarschen von den Deputirten des Mitteltheils gebildet wurde, welche bereits constituirt war. Die Frage ist aber wichtig, weil sie einen Fingerzeig auf den ersten Keim der späteren Landesversammlung geben würde.
[123] So schuf der Rath der verständigen, um 1559 in Rendsburg versammelten Dithmarschen, indem sie das von der Nothwendigkeit Gebotene redlich acceptirten, in ihrer Heimath wieder den Grund für neue bessere Zustände. Wir gehen gewiß nicht fehl, wenn wir annehmen, daß theils unter dem Namen von Geiseln, theils von Deputirten die sämmtlichen Achtundvierzig hier versammelt waren, und wenn man auf die Früchte ihrer Wirksamkeit sieht, so wird man ihnen Regentenweisheit nicht absprechen können. Aber so verständig und besonnen auch die Umgestaltung vorgenommen wurde, darum blieb es nicht minder eine peinliche, eine schreckliche Zeit. Abgesehen von den tausend Herzen, welche um die lieben Todten bluteten und höchstens in dem Bewußtsein Beruhigung finden konnten, daß sie für eine heilige Sache gefallen seien, sah sich das Land in seinem Wohlstand gründlich ruinirt. Ein Erlaß des Herzog Adolf vom Jahr 1584 eröffnet uns einen Einblick in den bodenlosen Ruin durch die Nachricht, daß er von allen Seiten angegangen sei, die Strenge der Schuldgesetze zu hemmen und ihnen, als durch den Krieg ruinirten Leuten, zu erlauben, mit ihren Gläubigern zu accordiren, freilich hinzufügend, daß diese Nachsicht vielfach schamlos mißbraucht sei; aber kein Ort ward schwerer von dem Unheil betroffen als Meldorf. Bis dahin war es Hauptmittelpunct des Verkehrs, Haupthandelsort gewesen, wenn es auch seit zwei Jahrhunderten in Wörden und Heide mächtige Nebenbuhler gefunden; aber uralter Reichthum hatte doch einen bedeutenden Verkehr gefesselt. Bei der Erstürmung war es zum großen Theil gestört und so gründlich geplündert worden, daß von Wohlhabenheit nicht mehr die Rede ist. Sein Credit ist dahin, der Handel so gründlich vernichtet, daß es zum ackerbauenden Orte wird und keine Einwendung macht gegen eine Eindeichung, die seinen Hafen eine Viertelmeile weit westwärts verlegt. Seine Stadtgerechtigkeit hat es verloren, sein Rath ist aufgehoben, die demselben beigeordneten sechs Bürger werden jetzt mit der Polizei über die Fremden betraut, dem Wegewesen und Brandwesen, neben der Verwaltung des Gemeindeguts, der Bürgerweide, die damals noch war, was sie hieß, [124] denn eine Beackerung eines Theiles derselben stammt erst aus dem Ende des vorigen Jahrhunderts. Die nothgedrungene Hinwendung auf den Ackerbau als alleinigen Nahrungszweig drängt zu größerer Strenge gegen die Ansiedler, die sich ein Recht zur Hut auf der Gemeindeweide zuschreiben, und zerrüttet das Innere des Ortes durch unselige Zwistigkeiten.
Aber der Ruin des Wohlstandes war nicht das Einzige, nicht das Schwerste. Auf eine Zeit des gespanntesten öffentlichen Lebens war eine Zeit der Todesstille gefolgt. Abgabendruck auf Abgabenfreiheit. So begreift man, daß von denen, die aus dem Lande gewichen waren, manche erst nach zwei Jahren zurückkehrten, andere selbst nach der Beeidigung aus dem Lande entwichen. Unter den letzteren war einer der größten Landbesitzer in Lunden, Tede Evekens, der, Weib und Kind daheim lassend, nach Emden ging, um von dort aus für einen Umschwung der Dinge zu wirken. Von dort an die Mündung der Elbe zurückkehrend, wurde er an der Stör erkannt, sprang über Bord und fand bei Brunsbüttel sein Grab. Ein anderer, ein Kriegsmann, Johann Tobi, ebenfalls aus Lunden, trat in lothringische, dann in pfälzische Dienste und suchte von Lüneburg aus, wo er sich niederließ, durch seine Mitwisser die Unzufriedenheit zu nähren. Sehr sophistisch stellte man die Behauptung auf, wer nicht 1559 mit geschworen habe – also die ganze heranwachsende junge Mannschaft –, könne mit gutem Gewissen die Waffen gegen die Landesherrschaft ergreifen. Aber der Plan schlug fehl, die Spanier von den Niederlanden nach Dithmarschen zu führen. Herzog Adolf entdeckte im Kriege vor Gotha 1567 die Fäden der Verschwörung und unterdrückte dieselbe durch blutige Drohungen. Auch die nach Karsten Schröder wiederholt in der Eidermündung erscheinenden Seeräuber mögen auf die Unzufriedenheit gerechnet und sich aus Unzufriedenen recrutirt haben. Die finstere Stimmung gab sich in viel Zeichen kund: es gab Leute, welche behaupteten, ihr Land bringe nicht die darauf gelegte Steuer ein, und es lieber wüst liegen ließen, als daß sie die Gefälle bezahlten: Schmähschriften auf Fürsten und Fürstendiener müssen verfolgt [125] werden, und es ist ein beredtes Schweigen, daß Neocorus politische Nachrichten fast gar nicht aufzeichnet. Auch über die Wahl der Beamten murrte man; den Fürsten, meint Neocorus, liege wohl noch Recht und Gerechtigkeit am Herzen, aber unter den Beamten seien manche, denen sich nicht viel Gutes nachsagen lasse. Die Starrheit einer Gemeinde, in welcher sich seit einem Jahrhundert jeder als einen der Träger der Herrschaft betrachtet hatte, mochte den Ernannten ihr Amt schwer genug machen, und Schroffheit und Eigensinn sie zu Maßregeln führen, die sie nicht hätten anwenden wollen. Auch waren die Ziele, welche die Fürsten verfolgten, nicht allemal glücklich; das Verbot einer Kornausfuhr 1562 – wir wissen nicht, aus welchen Gründen erlassen – berührte die Interessen des Landes schmerzlichst, das deshalb den einen seiner Landvögte, Wolt Reimers, als Deputirten an den Herzog Johann sandte. Dieß Verbot wiederholt sich trotz der Vorstellungen 1571; wir müssen unentschieden lassen, ob in Zusammenhang mit der Absicht, Holland mit dänischem Korn zu versorgen, wovon Hans Tobi 1579 (Michelsen, Urkundenbuch, S. 347) aussagte.
Die nächsten Bestrebungen der Fürsten waren namentlich auf zwei Puncte gerichtet, eine neue Redaction des Landrechts, an der außer dem gottorpischen Kanzler Adam Traziger auch der königliche Statthalter Heinrich Ranzau thätig gewesen war, und welches 1567 endlich zum Abschluß kam. Für das Land war es ein Danaergeschenk in doppelter Beziehung, insofern es durch seinen Namen glauben machte an eine Rechtscontinuität und doch das alte Recht in seinen Grundfesten erschütterte. Das alte Dithmarscher Landrecht war die Aufzeichnung des im Lande üblichen Rechtsgebrauches, ohne auf irgend welches andere Recht, gemeines, geschweige denn römisches Recht, Rücksicht zu nehmen. Es war sich seiner Eigenartigkeit gar wohl bewußt und setzte schwere Strafen darauf, wenn jemand Recurs an ein auswärtiges Gericht, und wär’s ein kaiserliches, nähme. Es war kurz und bündig und der Einzelne konnte es im Kopfe haben auch ohne weitere Rechtskenntniß. Und wie oft war er in Nemeden und Rechtsgeschäften, in die er wider Willen [126] hineingezogen wurde, im Falle sich dieser Kenntniß zu bedienen. Das neue Landrecht aber war in hochwichtigen Punkten, in Erb- und Eherecht, umgestaltet, und, was noch viel schlimmer war, es hatte einen Ausgleich mit dem in den Herzogtümern angestrebten Recht angestrebt. Die Folge war, daß das Rechtsbewußtsein im Volke verschwinden mußte, dem ohnehin ja seine bisherige Thätigkeit in den Gerichten entzogen war und das die Anwendung von Rechtsprincipien vor sich sah, die mit seinem alten Recht in Widerspruch standen. So war nach dieser Seite hin davon die Folge eine allgemeine Rechtsunsicherheit. Noch viel schlimmer aber war die zweite Folge, daß durch die Anwendung und Hineinziehung des fremden Rechtes, besonders des römischen, den Mächtigen, sei’s den Fürsten, sei’s dem großen Besitz und Einflußreichen im Lande, eine Handhabe geboten war, unter mehr oder minder scheinbarem Vorwand das Recht zu brechen und ihrer Willkühr Raum zu schaffen. Ein zweites, was damals zur Entscheidung kam, war die Theilung des Landes in drei Theile. Sie zerriß viel eng Zusammengehöriges. Die halbe Marsch des Kirchspiels Marne ward zum Südertheil, die andere zum Mitteltheil, vom Kirchspiel Meldorf die südliche Hälfte zum Südertheil, die nördliche zum Mitteltheil geschlagen, das Kirchspiel Albersdorf fiel dem Mitteltheil zu, außer seiner Dorfschaft Tensbüttel, die dem Südertheil zugelegt war, ebenso wie die ganz von Norderdithmarschen eingeschlossene Dorfschaft Fedderingen; eben so kam vom Kirchspiel Hemmingstedt die Geest zum Südertheil, die Marsch zum Mitteltheil. Glücklicherweise ist diese Scheidung nicht geblieben. Der Südertheil fiel durchs Loos dem König, der Mitteltheil Herzog Johann von Hadersleben, der Nordertheil Herzog Adolf von Gottorp zu. Zuvor hatten die Fürsten unter sich Verabredungen getroffen, um möglichst zu verhüten, daß von Dithmarschen ein Theil in die Hände eines fremden Herrscherhauses komme, sei’s durch Verpfändung, sei’s durch andere Eventualitäten. Erst im November 1571 leisteten die Einwohner ihren neuen Fürsten den Eid der Treue, 5000 in Heide, 4000 in Lunden, 3000 in Meldorf. Von den Fürsten war [127] keiner gegenwärtig; erst 1579 besuchte König Friedrich II. seine dithmarsischen Unterthanen.
Die politische Theilung hatte die kirchliche in ihrem Gefolge; 1559 war zwar für jeden Theil ein Superintendent gesetzt, aber das Consistorium, von dem die geistlichen Angelegenheiten sollten erledigt werden, sollte doch eines und Meldorf dessen Sitz bleiben, wie ihm auch die Einkünfte des Kalands blieben.
Es war vorauszusehen, daß das nicht Bestand haben würde, und darum hatte schon in Rendsburg die Geistlichkeit der nördlichen Theile auch für diese Gelder Theilung gewünscht, war aber damit nicht durchgedrungen. Jetzt erhielt jeder Theil sein Consistorium; einer Theilung des Vermögens widerstrebte Meldorf, das weislich, was von Geldern im nördlichen Theil belegt war, gekündigt hatte. Es machte geltend, daß das Ganze eine Stiftung von Meldorfer Geistlichen und Bürgern sei und die Geistlichen des Nordertheils, die dazu gegeben hätten, damals in Meldorf wären angestellt gewesen. So blieben die Verwendungen der beiden Landvögte Henning Boie und M. Swyn vergeblich; der Erstere rettete noch etwas, was im Kirchspiel Nordermeldorf belegt war, der Norden erhielt nichts, zum großen Verdruß seiner Geistlichen, und sah sich genöthigt, durch neue Beiträge einen anderen Fonds zusammenzubringen.
Mit dem Jahr 1570 kam neues Leben in die Gemeinde. Die erste Novembernacht brachte ein grausiges Wetter, wie es nach Neocorus, der es als heranwachsender Knabe erlebte, keine Menschenzunge aussprechen konnte. Der Sturm deckte die Dächer ab, der Regen peitschte grausig um Mitternacht, überall brachen die Deiche, das Wasser kam mannshoch herangestürzt, Thüren und Wände eindrückend, Häuser und Dörfer wegschwemmend. Die ganze Nordseeküste ward verheert, erschrecklich wüthete die Fluth in Antwerpen, 18 Städte und Dörfer zählte man dort, die vernichtet, 5000 Menschen, die das Leben verloren hatten; der Schaden an Vieh war unermeßlich. Das zwang sich zu regen. Und diese Fluth blieb nicht die einzige: 1573 trat um die Erndtezeit mit entsetzlichem Sturm und Ungewitter abermals eine erschreckliche Fluth ein, die Deiche [128] wurden vielfach dem Erdboden gleich gemacht, bei Wörden ein Schiff über den Deich geworfen, entsetzliche Wasserlachen geschaffen und die Insel Helmsund, zu Büsum gehörig, und dem Büsumer Außendeich nicht fern, ward zum großen Theil weggerissen. Man mußte zugreifen und es gelang vor dem Winter, die Deiche so weit herzustellen, daß das Land gesichert war. Der Verlust zwang auf Ersatz zu denken. Hatte Büsum im Süden eingebüßt, so lag im Norden eine starke Anschlickung: man schickte sich zu ihrer Eindeichung[WS 5] an, wählte eine Commission von neun Männern und legte 1575 Hand an. Neocorus nennt sie die größte, die Büsum je gesehen, und wir sehen aus Michelsen (Urkundenbuch, S. 360), daß das Neueingedeichte wenig kleiner war, als das bisherige Kirchspiel, 314 und 373 Morgen. In zwei Jahren ward die Eindeichung beendigt und erwies sich, als es im nächsten Jahre gebrochen ward, als vortreffliches Land, wo das Korn hundertfältig trug, und dessen Fruchtbarkeit die Commune aus ihren Schulden riß. Man fand Körner, die 60, ja 70 Halme getrieben hatten. Daß die Regierung es drei Jahre ohne Steuern bauen ließ, gewann dem Herzog sicherlich viel Herzen.
So ging Büsum voran und 1578 folgten Marne und Meldorf nach. Bis dahin war der Strich der jetzigen Chaussee südlich von Meldorf, mit Ausnahme des Winkels bei Eesch, Seedeich; aber das große Vorland lud zur Eindeichung ein, schon 1558 war man damit umgegangen; aber der Krieg hatte gänzlichen Stillstand gebracht, doch standen noch Parthien des damals begonnenen Deiches. Jetzt griff man Pfingsten 1578 von neuem an und die Regierung des Herzog Johann ließ es an Mahnung und Förderung nicht fehlen. Man begann Westermenghusen gegenüber, wo man noch jetzt die Spuren des alten Deichs nach Westen gehen sieht, zog dann den jetzigen Marner und Helser Deich; der bisherige Barlter Deich ward zum Barlter Altendeich, der neue ging westlich um Busenwurth herum und an Eesch vorbei. So näherte man sich der Amerswurther Au und Miele, dem Abfluß des Meldorfer Hafens. Die Stadt hätte energisch um Austiefung des Stromes kämpfen [129] sollen; aber Meldorf war nicht mehr Stadt: was nützte ihm ein Hafen ohne Schiffe? Sein Capital war dahin; Ackerbau seine Nahrungsquelle. So fand es seinen Vortheil darin, sich eine Zahl Morgen Landes zu sichern: sie willigten in die Verlegung des Hafens jenseits des Deiches, da, wo er noch liegt, und der Deich ward direct von Eesch hinter Amerswurth weg auf den Thalingburner Deich zu gezogen. Neocorus spricht merkwürdiger Weise von der Umlegung der Busenwurther Schleuse und schweigt von der Amerswurther und Miel-Schleuse, vielleicht weil dieselben erst gebaut wurden, während sie doch als Leitung der Abflüsse des Windberger und Fieler See’s viel größer müssen gewesen sein. Es ist möglich, daß man sich in Meldorf über die Nachtheile der Verlegung des Hafens täuschte; aber es ist gewiß, daß Meldorf dadurch zum Landflecken gemacht ist und es bleiben wird. – Es war ein ungeheurer Landgewinn, 2500 Morgen, 140 neue Häuserplätze längs des Deiches, in Marne bekam jedes Haus sechs Morgen, ein Gewinn, geeignet, Wohlstand und damit eine freudigere Stimmung zu verbreiten.
Auch von einer anderen Seite zeigte sich, daß die Zeit der Grabesruhe zu Ende sei. Michaelis 1574 riefen die beiden Herzöge in ihrem Theil von Dithmarschen auf einige Wochen Ausgehobene unter die Waffen. Es galt gewissen Streitigkeiten mit Herzog Erich von Sachsen-Lauenburg; doch kam es nicht zum Kampf und die Mannschaft zog nach Hause ab. Bei dieser Gelegenheit drohten sie dem Dorfe Reer bei Schenefeld Unheil, dem sie die üble Behandlung nachtrugen, welche daselbst 1559 geflüchtete Dithmarschen gefunden hatten. Aber der Landschreiber Gabriel Lange entdeckte die schlimmen Absichten und wußte es zu vermitteln, daß der Marsch das Dorf nicht berührte.
Das Jahr 1580 schien für Dithmarschen verhängnißvoll werden zu wollen. Am 23. Januar verspürte man in Brunsbüttel ein Erdbeben, das aber keinen Schaden that; aber im Sommer des Jahres enthüllte sich eine ungeahnte Gefahr von Feinden. Spanien, das seine niederländischen Unterthanen, [130] die es durch kirchlichen und politischen Druck zum Aufstande getrieben, von protestantischen Fürsten heimlich unterstützt fand, ward von einem 1559 geflüchteten Dithmarscher, dem Oberst Tobi aus Lunden, der jetzt in der Fremde diente, aufgereizt, sich durch einen Ueberfall des Landes zu bemächtigen. Er stellte das als sehr leicht vor, da die Unzufriedenheit im Lande groß sei und die holsteinischen Fürsten, welche die Niederländer mit Zufuhr unterstützt hätten, es gar wohl verdienten. Der Mitwisser waren viele und der Gedanke nicht neu, da man schon 1572 eine größere Zahl von Kauffahrteischiffen, die in die Elbe einliefen, für eine feindliche Flotte angesehen und die ganze Küste durch Feuersignale allarmirt hatte. Hans Tobi kam selbst zu den Seinen, aber der Plan war verrathen; indeß mißlang die Absicht, sich seiner Person zu bemächtigen. Von seinem Bruder Johann Tobi erpreßte man durch die Folter die Namen der wichtigsten seiner Freunde. Dafür nennt Neocorus ihn und seine Leidensgenossen Helden. Gravirt müssen sie nicht erschienen sein; denn Herzog Adolf begnügte sich, sie zu bedrohen. Tobi ward in Lüneburg, wo er verheirathet war, verhaftet und vor Gericht gestellt; eine Auslieferung lehnte der Rath ab. Die Gefahr war jedenfalls beseitigt.
Noch haben wir zweier Ereignisse zu gedenken, die auf den Sinn und das Treiben der damaligen Dithmarschen Schlaglichter werfen. Das erste ist ein Auflauf in Meldorf 1572. Bei der Eroberung hatte das Innere der Meldorfer Kirche arg gelitten; jetzt begann eine Zahl begüterter Leute sich neue Kirchenstühle errichten zu lassen ohne Rücksicht darauf, wer früher dort seinen Kirchenstand gehabt habe. Ob und wie die Gemeinde dagegen klagend eingeschritten sei, wird nicht erwähnt; jedenfalls wandte sie sich, als sie nicht sofort ihren Willen durchsetzte, zu roher Selbsthülfe, riß die neu errichteten Stühle nieder, warf sie zur Kirche hinaus und tobte so, daß Landvogt und Kirchspielvogt flüchteten. Der Statthalter H. Ranzau, der herbeieilte, ward in hohem Grade empört über das Treiben, zog die Schuldigen streng zur Rechenschaft und suchte auch diejenigen [131] derselben, die aus Nordermeldorf waren, also der Gerichtsbarkeit des Mitteltheiles unterlagen, nachdrücklich zu verfolgen.
Nicht minder charakteristisch sind eine Reihe von Aeußerungen der 1579 von Herzog Adolf erlassenen Gerichtsordnung. Sie klagt über ein heilloses Chicanen- und Intriguenspiel, über muthwillige Leute, welche suchten, um sich dem Recht zu entziehen, an anderm Orte ihre ungerechte Sache anzubringen, das Gericht, oder einzelne Personen desselben zu verdächtigen, oder aus boshaftigem und vorsätzlichem Gemüth vorschützten, dieses oder jenes nicht zu verstehen, die Declarationen suchten, nur um die Sache hinzuhalten, welche die Zeit der Appellation verfließen ließen und dann einen Regreß suchten, nur um dem gewinnenden Theile sein Recht länger vorzuenthalten. Dagegen werden die Partheien jetzt beschieden, nach einem vom Landvogte anzustellenden Versuche zur Vergleichung, die Sache bei den ordentlichen Gerichten anhängig zu machen und so nach Dithmarscher Landrecht ordentlich zu procediren. Mittlerweile aber sollen sich die Partheien alles unordentlichen Umherlaufens, Practicirens, Supplicirens enthalten, dem Recht freien Lauf lassen. Nach der Entscheidung steht dem, der sich widerrechtlich geschädigt glaubt, die Appellation an den Herzog frei, die auf dem nächsten Landtag zu erledigen ist. Alle Supplicationen werden in diesem Stadium der Sache verboten, es sei denn, daß der unterliegende Theil rechtliche Exceptionen vorzubringen hätte, wodurch die Execution verhindert würde. Ausdrücklich wird aber dabei den Partheien verboten, extrajudicialiter und außerhalb Rechtens etwas zu suchen, und obreptitie et per falsas suggestiones bei Hofe anzubringen. Der Weg, wider das Gericht zu agiren und dasselbe zu syndiciren, soll präcludirt sein, damit dem gefährlichen Aufschub der Sachen, die mit Urtheil und Recht erörtert seien, auch der hochsträflichen Calumnie begegnet und die Autorität und Reputation der Gerichte nicht von leichtfertigen Leuten verringert und verächtlich gemacht werde. Man sieht, es gilt einem Kampf gegen ein tiefgehendes Uebel. Es sind die Folgen jener Praxis, welche im [132] alten Dithmarschen der unterliegenden Parthei erlaubte, die Schlüter und Geschworenen für die verlorene Sache verantwortlich zu machen und sie vor der Versammlung des Kirchspiels zu verklagen, welche die Entscheidung über Rechtsfragen in die Hände der Urtheils- und Gedankenlosen legte und Rechtsfragen zu Partheisachen stempelte.
Die Rechtssphäre zog überall die Dithmarschen an; wir finden in dieser Zeit drei Juristen, welche sich den Doctorhut auf der Universität geholt hatten, die beiden Landvögte Christian und Henning Boie und den Vicekanzler des Herzogs, Nicolaus Junge. Ohne Zweifel war auch Marcus Swyn, der sechsundzwanzigjährige Landvogt, gelehrter Jurist, sowie vor ihm Johann Russe. So ist wohl Dithmarschen eine Bauerngemeinde, aber von Bauern, von denen manche im Interesse ihres Landes eine academische Bildung gesucht haben.
So haben wir sicherlich in allen Landvögten gelehrte Juristen zu suchen: Im Südertheil zuerst Jacob Harder zu Brunsbüttel, aus dem Boiengeschlechte 1559 bis 1566. Dann Michael Boie, J. U. Lic. zu Meldorf, vor der Eroberung Landessyndicus, ein Brudersohn des Reformators M. Nic. Boie. Neocorus nennt ihn einen gewandten und gelehrten Mann. Infolge eines Processes mit Hans Goltschmidt aus Meldorf, der ihn einen dreier Herren Dieb gescholten hatte, ward er 1572 vom Amte entfernt, verhaftet, aber auf Fürbitte seiner Haft entlassen. Seine Stelle, welche dem Claus Bruhn aus Meldorf verliehen ward, erhielt er erst nach dessen Tode 1579 wieder und verwaltete sie bis 1597, wo er ins Privatleben sich zurückzog. Er starb 1601. Ihm zu Ehren hat sein Sohn Michael das Gitter gesetzt, das in der Meldorfer Kirche den Chor vom Schiff trennt. – Im Mitteltheil: Wolt Reimers in Heide, Mitbesitzer des Hammholzes, der 1569 sterbend großes Vermögen hinterließ und dem dann Henning Boie, J. U. Dr., ein Sulemann, folgte, dem Boiengeschlechte völlig fremd. – Im Nordertheil: Marcus Swyn zu Lunden, der von 1559 bis 1573 der Landvogtei vorstand, wo er seine Entlassung nahm, worauf ihm Dr. Christ. Boie, Sohn des Meldorfers [133] M. Nic. Boie, folgte, der, nachdem auch Henning Boie im Mitteltheil schließlich seine Entlassung gesucht, die nördliche Hälfte des Mitteltheils mit dem Nordertheil vereinigte, bis er 1591 fast gleichzeitig mit Henning Boie starb, gerühmt von Neocorus, gehöhnt von Karsten Schröder.
Ehe noch die neue Rechtsordnung, über die sich alle drei Fürsten vereinigt hatten, publicirt werden konnte, war bereits der eine derselben heimgegangen: Johann von Hadersleben, mit Beziehung auf einen jüngern Bruder König Friedrichs II. Johann der Aeltere genannt. Er war beliebt gewesen in Dithmarschen, das er freilich nach der Eroberung nicht wieder betrat. Neocorus nennt ihn einen frommen und gottesfürchtigen Fürsten, und wir sehen, daß seine Unterthanen sich glücklich schätzten, gerade ihm zugefallen zu sein, und daß, wo es galt, Druck und Leid zu mildern, sich die Bitten vorzugsweise an ihn richteten. Er starb unvermählt, so daß sein Tod eine große Veränderung hervorrief, in Dithmarschen der Dreitheilung ein Ende setzte und die Scheidung in Norder- und Süderdithmarschen anbahnte, wie sie bis auf den heutigen Tag besteht. Vorläufig ward diese Scheidung schon am 19. September 1581 gemacht, aber die definitive Feststellung zog sich bis zum 23. April 1582 hin, wo von den beiderseitigen Räthen die Grenze besichtigt und angenommen wurde. Der Mitteltheil wurde durchschnitten, die von den Kirchspielen Meldorf und
[134] Marne abgetrennten Stücke wieder mit denselben vereinigt, und außer ihnen Albersdorf, Nordhastedt und Hemmingstedt zum Südertheil gelegt; nur Wörden ward in eine nördliche und südliche Hälfte getheilt, jede mit einem Kirchspielvogt an der Spitze. Eben so kamen Weslingburen, Heide, Weddingstedt zu Norderdithmarschen: die sonst von Norderdithmarschen umschlossene Bauernschaft Fedderingen blieb zur Ausgleichung beim Süden. Der Landvogt des Mitteltheils Dr. Henning Boie ward nur nicht völlig quiescirt, die Verwaltung ging an Christian Boie in Lunden über, der sich 1582 Landvogt der Gerichte zu Heide und Lunden nennt. Die Gerichte wurden neu geordnet, so daß die Landvögte selb zwölfte zu Gericht saßen, die Kirchspielvogteien zu Windbergen und die eine zu Lunden eingingen, so wie es bis 1866 geblieben ist.
Hatte schon die Gerichtsordnung des Herzog Adolf 1579 sehr unerfreuliche Schlaglichter auf die inneren Zustände des Landes fallen lassen, so thut das nicht minder eine Verordnung von 1584 über den im Lande getriebenen Wucher; eine Verordnung, die Neocorus mit dem Stoßseufzer begleitet, es sei zu wünschen, daß ihr strenger nachgelebt werde. Der Herzog spricht von der unverzeihlichen Weise, wie man seine Nachsicht gegen die Schuldner ausgebeutet, Abhandlung der Schuld herbeigeführt, wo gar keine Zahlungsunfähigkeit stattfand, daß man durch betrügliche Ausflüchte die Gläubiger hinzuhalten und ehrliche Leute um das Ihrige zu bringen gesucht habe. Landvogt und Räthe werden angewiesen, den Creditoren streng zur Seite zu stehen und Brief und Siegel aufrecht zu erhalten. Daneben wird eine gewissenlose Weise die gesammte Habe zu verpfänden gerügt, indem man von Verschiedenen Geldsummen aufnahm, die den Werth der Güter um das Doppelte und Dreifache überstiegen. Der Herzog verbietet das unter der ernstlichsten Strafe, befiehlt das einzelne verpfändete Grundstück namhaft zu machen, und bestimmt, daß allemal die ältere Verpfändung der jüngern vorgehe. Er heißt dem Wucher energisch entgegenzutreten, da man im Kornhandel den Armen ein Drittel mehr abnehme, als das Korn gegolten, und ihnen 100, ja 200 [135] Procent Zinsen abzupressen wisse. An Zinsen solle höchstens ein Schilling von der Mark gegeben werden. Die Landschreiber sollen ein Aufsehen darüber haben und im Fall unerlaubten Wuchers soll das Capital dem Fürsten verfallen sein. Es findet sich ein Fall, wo 10 Procent genommen sind. Die Schuldverschreibungen sollen nur von beeidigten Kirchspielschreibern im Beisein zweier Zeugen abgefaßt und protocollirt werden. – Wir wollen aber auch davon Act nehmen, daß jetzt jedes Kirchspiel neben dem Kirchspielvogt seinen Kirchspielschreiber hat.
Im nächsten Jahr (1585) ward von den Beherrschern des Landes der volle Rechtstitel gewonnen, indem die Ansprüche des Erzbischofs zu Bremen beseitigt wurden. Sofort nach der Eroberung hatten sie beim Kaiser um die Bestätigung ihres Vertrages mit den Dithmarschen nachgesucht und dieselbe auch 1565 von Kaiser Maximilian II. erhalten, aber der Erzbischof legte dagegen Protest ein und drohte mit einem Proceß beim Reichskammergericht. Jetzt benutzte man die Berufung von Herzog Adolfs drittem Sohn zum Administrator des Erzbisthums Bremen. Das protestantische Domkapitel zeigte sich nicht so schwierig, als es vielleicht ein katholisches gethan hätte, und verzichtete für 20,000 Thaler, von denen die letzte Rate vor der Inthronisirung des jungen Fürsten sollte bezahlt werden, auf alle Anrechte, welche der erzbischöfliche Stuhl auf Dithmarschen gehabt hätte.
Das Jahr 1584 wurde für Dithmarschen von großer Bedeutung durch zwei Deicharbeiten, von denen die eine leider erfolglos war. Man suchte von Cleve aus dem bei Wollersum immer mehr Land abreißenden Eiderstrom zu wehren und scheute sieben Jahre lang weder Mühe noch Kosten, ohne der Gewalt der Elemente Herr werden zu können. Desto glücklicher fiel die andere Unternehmung aus, durch die Büsum landfest wurde. Die glückliche Unternehmung von 1575 hatte den Muth gehoben und es wurden Stimmen laut mit dem Antrag, durch einen Damm die Insel mit dem Festland zu verbinden. Die Natur selbst hatte den Fingerzeig gegeben und zur Ebbezeit lag der Damm bereits vor ihren Augen. So [136] oft nämlich die Fluth die Meereswellen von neuem hob, stürmten dieselben in den beiden Meeresarmen, welche die Insel von Nord und Süd umfaßten, an, bis sie in der Mitte aufeinandertrafen. Es war ganz natürlich, daß das Wasser an dieser Stelle fallen ließ, was es an Sand und Schlick mit sich führte, und daraus baute sich ein Damm auf, auf dem man zur Ebbezeit, wenn nicht Stürme die See bewegten, trockenen Fußes das Festland erreichen konnte. Man nannte ihn die Wart; wie Neocorus meint, weil man dort den rechten Zeitpunkt abwarten mußte, denn wehe dem, der sich verspätete: mit reißender Schnelligkeit von beiden Seiten herankommend, schnitt ihn unfehlbar das Wasser ab, und er ward auch zu Pferd oder Wagen ein Kind des Todes. Und nun vollends zur Winterzeit, wenn die Eisschöllen sich übereinanderschoben, Eile verboten, den Weg vernichteten, wenn der Ueberraschte suchen mußte, sich barfuß durch das eisige Wasser zu retten. Aber so wünschenswerth die sichere Verbindung mit dem Lande auch schien, die große Menge sprach sich gegen ein Unternehmen aus, das sichere Mühe und Arbeit nebst Kosten in Aussicht stellte, ohne directen Gewinn zu versprechen. Aber die Verständigen ruhten nicht; sie wußten es dahin zu bringen, daß eine herzogliche Commission mit dem Kanzler Ad. Traziger an der Spitze erschien, um das Unternehmen zu begutachten. Ihnen leuchtete der große Gewinn leicht ein, und durch das Versprechen, daß der in Folge der Durchdämmung zu erwartende Landgewinn der Gemeinde zu Gute kommen und nach Kopfzahl ausgetheilt werden solle, erweckten sie auch bei der Commune Eifer für die Sache, und nun wurde von allen, Mann und Weib, Knecht und Magd, das Werk angegriffen und in drei Wochen, vom 8. bis zum 30. Juni, durchgeführt, nicht ohne Gefahr durch Hader und Eigensinn noch im letzten Augenblick zu scheitern, wie es uns Neocorus, Augenzeuge, soeben von der Universität Helmstedt zurückgekehrt, höchst anschaulich erzählt. – Freilich es verging eine Reihe von Jahren, ehe die Anschlickung, die man richtig vermuthet hatte, so bedeutend ward, daß man eindeichen konnte; erst 1617 nahm [137] Neocorus an einer solchen Theil. Dagegen nahm die bis dahin sehr einträgliche Fischerei ab.
Knüpfen wir an diese Durchdämmung einen höchst charakteristischen Erlaß des Herzog Adolf vom Jahre 1586, welcher bei höchster Strafe und seiner Ungnade verbot, einem Adligen Grundstücke, zumal in der Marsch, zu verpfänden, geschweige denn zu verkaufen, weil dadurch der höchste Nachtheil für Deiche und Dämme entstehe. Die Veranlassung zu diesem Verbot kennen wir nicht: wir müssen nur annehmen, daß der Fürst den Adel seiner Zeit so durchdrungen wußte von seinem Rechte, von Communallasten befreit zu sein, daß er sich einer Deichordnung nicht fügen werde. Möglich ist, daß die Erfahrung Proben ergeben hatte, denn das Edict erwähnt einer Reihe von Versuchen Adliger, Grundstücke in der Marsch zu erwerben. Der Adel fand überall in Dithmarschen keinen Boden für sich. Gleich nach der Eroberung entstanden zwar einige Güter – Neocorus nennt deren drei im Kirchspiel Meldorf (I, 255), vier in Süderharstedt (I, 264), – aber sie verschwanden bald wieder.
Es war der letzte Erlaß des Fürsten; am 6. October starb er auf Gottorp. Er war es, der den Kampf gegen Dithmarschen herbeigeführt hatte, ein tüchtiger Soldat aus der Schule Carls V., lange Kreisoberst des niedersächsischen Kreises und bewährt in den Kämpfen vor Metz und Gotha, anerkannt auch von der Königin Elisabeth von England, die ihm den Hosenbandorden verliehen hatte. Er hatte nicht die Milde seines Bruders Johann, aber seine Tüchtigkeit erwarb ihm auch in Dithmarschen Anerkennung. Neocorus hebt besonders seine Sorge für Kirche und Schulen in den letzten Jahren hervor, welche jedes andere Interesse habe in den Hintergrund treten lassen. In der Regierung folgte ihm sein ältester Sohn Friedrich II., 20 Jahre alt, ein frommer und gelehrter Fürst, milde und freundlich, zumal gegen die Armen, dem das Land am 17. Februar, Herr und Knecht, jeder, der über 16 Jahr alt war, huldigte, aber er starb schon am 15. Juni und Neocorus widmete ihm das schöne Wort: „Gott habe dem Lande um seiner Sünden willen einen solchen Fürsten zugleich gezeigt [138] und genommen[60]. Ihm folgte in der Regierung sein jüngerer Bruder Philipp. Auch ihm ward in Lunsen gehuldigt am 2. Mai und dabei ein großer goldener Becher verehrt. Neocorus nennt ihn einen Vater seiner Unterthanen und Beschützer gegen die Mächtigen. Norderdithmarschen erhielt nicht ohne große Kosten die Bestätigung seiner Capitulation. Wichtig ward seine Regierung, indem er 1589 das Gericht auf den Wunsch der Kirchspiele von Lunden nach Heide verlegte, weil Handel und Wandel alles dorthin führe und auch die Marktpolizei die Gegenwart des Landesgerichtes dort erheische; doch erhielt Lunden einige Vergütung, daß die inneren Angelegenheiten des Kirchspiels dort sollten ausgetragen werden. Philipp führte die Zölle auf das ursprüngliche Maß zurück, sorgte für die Erhaltung des Weges, der von Lunden über Stelle nach Heide, zum großen Nutzen des Landes, angelegt war, bestätigte die Deichordnung und strebte dafür, leichtfertige Appellationen[WS 6] zu beseitigen.
Auch Süderdithmarschen, über das und dessen Verhältniß wir nur dürftig unterrichtet sind und nur aus der Analogie schließen können, weil ihm die Vorsehung nicht einen Karsten Schröder und Neocorus schenkte, und die Papiere, welche über seine Geschichte Auskunft geben könnten, noch nicht durch einen Michelsen ans Licht gezogen sind, erfuhr in diesen Jahren einen Regentenwechsel, indem König Friedrich II. am 4. April 1588 starb. Es folgte ihm sein ältester Sohn Christian IV., damals erst 11 Jahre alt.
Norderdithmarschen aber traf sehr bald ein neuer Regierungswechsel: schon 1590 starb der wackere Philipp und ihm folgte in der Regierung sein jüngerer fünfzehnjähriger Bruder Johann Adolf, bis dahin Administrator des Erzbisthums Bremen, welche Stelle er später an seinen jüngeren Bruder Johann [139] Friedrich übergehen ließ. Bei seiner Unmündigkeit suchte seine Mutter, eine hessische Prinzessin, die Vormundschaft an sich zu reißen. Im nächsten Jahre starb der Landvogt Christian Boie und bald nach ihm auch sein Vorgänger Henning Boie. Die Landvogtei ward dem Johann Reimer, einem stillen und feinen Mann, wie Neocorus sagt, übertragen. Aber bei der Herzogin Mutter reifte ein anderer Plan: eine Verschmelzung von Dithmarschen und Eiderstedt anzubahnen. Zunächst suchte man einen bei Hofe beliebten Mann, Gerhard Steding aus Bremen, in die Landvogtei einzusetzen und das Recht, daß nur ein geborener Dithmarscher diese Stelle bekleiden dürfe, zu beseitigen. Am 2. März 1592 erschien in Lunden nebst Steding der Staller von Eiderstedt Caspar Hoyer, berief eine Zahl der angesehensten Männer, Boy Nanne Dencker, einen der Gevollmächtigten[61], Karsten Junge und andere, und verlangte von [140] ihnen als Landvogt anerkannt zu werden. Hatte man etwa auf eine Eifersucht Lundens gegen Heide gerechnet? Oder auf Nanne Dencker’s Ehrgeiz?
Man hatte sich verrechnet. Die Männer, Gevollmächtigte des Landes, zogen die Sache wohl in Betracht, verweigerten aber eine einseitige Schilderhebung und beschieden sie vor die große Versammlung der gesammten Gevollmächtigten in Heide. Hier ward in der Kirche eine Versammlung gehalten und nach reiflicher Erwägung des herzoglichen Schreibens das Anmuthen abgelehnt mit dem Bemerken, daß der Herzog nicht die von seinem Vater beschworenen Rechte werde brechen wollen. So traten die Lundener Männer muthig für ihres Landes Recht ein. Ob wir aus den Worten „uth des Allgemeinen Landes Befelch“ folgern dürfen, daß um die Kirche auch die versammelte Volksmenge nicht fehlte und durch Zuruf die Vertreter ihrer Ansicht stärkte, bleibe dahingestellt.
Uebrigens ward noch einmal fünf Jahre später 1597 der Versuch wiederholt, durch einen Putsch Gert Steding dem Lande als Landvogt aufzudringen. Dießmal war Hennstedt zum Ort ersehen, wo derselbe durchgeführt werden sollte, und die Versammlung war günstiger gestimmt. 52 Personen, besonders durch Karsten Junge zur Schlichtung[WS 7] gewonnen, waren vereinigt, um ihn zum Landvogt auszurufen, als ihre Pläne ruchbar wurden. Daß der Pastor Moller zu seiner Bewirthung aus dem Weinhause Wein holen ließ (das Getränk der Dithmarscher war Bier), verrieth die Anwesenheit eines hochgestellten Fremden; man erkannte Steding, das Gerücht lief von Mund zu Mund, und sofort versammelten sich aus den umliegenden Kirchspielen eine Menge von Gegnern, die durch Geschrei und Drohungen die Machinationen der Verschwörer[62] im Keim erstickten.
[141] Dieß Ereigniß hatte aber für uns eine größere Bedeutung, als uns blos eine glückliche Vertheidigung eines bei der Eroberung ausdrücklich zugesicherten Rechtes vorzuführen: es enthüllt uns Verhältnisse als bestehend, über deren Entwickelung die überlieferten Nachrichten schweigen. Wir stehen vor einer für die höchsten Rechte des Landes streitenden Versammlung, und das nöthigt uns, nach deren Entstehung und ihrem Zusammenhang mit den administrativen Verhältnissen des Landes zu fragen, die einzelnen Andeutungen der Geschichtschreiber zu verknüpfen und durch die nöthigen Mittelglieder zu ergänzen. Wir finden in Lunden eine Zahl von Bevollmächtigten, von denen man die Anerkennung Stedings fordert. Zu einer solchen dem Landrecht widerstreitenden Handlung können sie nicht gewählt sein; sie sind also eine stehende Behörde, – wir finden ferner, daß diese Bevollmächtigten sich für nicht competent erklären, sondern dazu auf eine größere Versammlung in Heide hinweisen, also ebenfalls eine stehende Versammlung. Und die beiden Versammlungen sind sich nicht fremd, die Lundener Gevollmächtigten sind auch in Heide anwesend.
Als das Jahr 1559 Dithmarschen eine durchgreifende Neugestaltung brachte, indem es die bisherigen Kirchspielsbehörden aufhob, da blieb doch, abgesehen von Deichverbänden und Schleuseinigungen, eine Commune unberührt von dem Wechsel, die unterste von allen, weil ihr keine richterliche Befugniß zugestanden hatte, die Bauerschaft. Sie hatte ihre einfache Organisation und wir dürfen annehmen, daß es dieselbe war, die sich bis auf die Gegenwart fortgeerbt hat. Sie hatte ja einen Besitz zu verwalten, die Gemeinweide, vielleicht daneben Capital oder Schulden, hatte bestimmte Einkünfte, die Bauerschuld, zu erheben von denen, die sich etwa ansiedeln wollten, Teiche, Auen, Fischerei zu verwalten, hatte ein Wegewesen, Brandwesen, Fremdenpolizei. Dazu bedurfte sie außer [142] den Specialbeamten (Wegeaufsehern, Brandaufsehern, Hirten) eine obere Leitung, und diese wählte sie sich auf zwei oder drei Jahre in den Deputirten, Bauernschaftsgevollmächtigten, wie in Dithmarschen die Bauernvögte heißen. In ganz gleichem Falle war das Kirchspiel, dessen Vermögen ja die Schlüter eben beschlossen und davon den Namen geführt hatten, sowohl den kirchlichen als den Communal-Besitz, und eben so wiederholten sich hier die oben genannten Geschäfte in größerem Maßstabe. Da lag es nahe, als die Schlüter hinfällig wurden, sie zu ersetzen durch eine analoge Einrichtung und für das Kirchspiel ebenfalls Gevollmächtigte zu erwählen; und diese Gevollmächtigten sind es ohne Zweifel, die wir 1566 in Meldorf die Kirchenrechnung ablegen sahen, wie auch das Gleiche von Gevollmächtigten in Tellingstedt geschieht (1582, 1588, 1592, 1596; Staatsb. Archiv III, 282). Diese Gevollmächtigten hätten nun zum Unterschied von den Bauernschaftsgevollmächtigten Kirchspielsgevollmächtigte heißen müssen; aber dieser Name ist nicht gebräuchlich. Wohl stehen an der Spitze der Kirchspiels- und Kirchencollegien Männer, welche im Kirchspiel mit den gleichen Geschäften betraut sind, wie der Bauernschaftsgevollmächtigte in der Bauerschaft; aber sie heißen Landesgevollmächtigte[63]. Diese Gevollmächtigten müssen es sein, an die sich neben anderen begüterten und einflußreichen Männern Hoyer und Steding in Lunden wendeten. Der Name Landesgevollmächtigter aber (Vullmechtige der Gemeine des Landes Dithmarschen) ist uns bereits in der Urkunde von 1563 vorgekommen und erklärt sich leicht, wenn die Männer, die Kirchspielsgevollmächtigte hätten heißen sollen, vorkommenden Falles (z. B. bei Gelegenheit einer Supplik an den Landesfürsten, eines Geschenkes, einer außerordentlichen Leistung bei Krönungen, Hochzeiten u. dgl. Festivitäten) als Deputation des [143] Landes zusammentraten: das ist de grote Vullmacht to der Heide. Wir haben schon früher die Vermuthung aufgestellt, daß Herzog Johann bereits diese Form vermittelt habe, weil das Actenstück von 1563, das zuerst der Vullmechtigen der Gemeinde des Landes Dithmarschen erwähnt, das Siegel des Mitteltheiles trägt (Michelsen, Urkundenbuch, S. 282). Eine solche Landesgemeine haben wir sowohl in Norder- als Süderdithmarschen anzunehmen. Da die Kirchspielsdeputirten bestimmt waren, zugleich als Landesdeputirte zu fungiren, so gebot die Natur der Sache, ihre Zahl überall gleich zu machen, durchschnittlich zwei für jedes Kirchspiel, für die größten drei, für die ganz kleinen einen. Es war also eine Zahl von dreiundzwanzig bis vierundzwanzig Mann. Zusammenberufen wurden sie natürlich vom Landvogt, denn kein Landesgevollmachtigter hat Convocationsrecht, auch nicht im Kirchspiel, sondern da ist der Kirchspielvogt Convocant. Das aber führt uns auf die Kirchspielvögte selbst: waren sie von vornherein Mitglieder der Landesversammlung? Das war vor 25 Jahren eine viel ventilirte Frage. Sie ist einfach zu bejahen, wenn uns auch die directen Zeugnisse der Geschichte im Stiche lassen. Erstens sind in der ältesten Zeit, aus der wir Kunde darüber haben, freilich erst 1636, die Kirchspielvögte in der Landesversammlung, und zwar nicht als neu recipirte Glieder. In einer Schuldverschreibung von Norderdithmarschen vom Jahre 1642 negociiren die Landesgevollmächtigten das Geld und werden selbstschuldige Bürgen, aber für ihre Principales, d. h. das norderdithmarsische Gericht, Landvogt und Kirchspielvögte, die des Landes Siegel daran hängen lassen. Auch liegt Theilnahme an der Landesversammlung ganz in der Natur der Entwicklung des Amtes der Kirchspielvögte. Ursprünglich zu Mitgliedern des Landgerichts bestellt, werden sie gleich darauf von den Fürsten mit einer Reihe von administrativen Geschäften beim Deichwesen, bei der Landesvermessung, dem Hebungswesen betraut, ihr Name Richter in Kirchspielvögte umgewandelt. Es ist aber nicht wohl denkbar, daß die Regierung, die doch zu irgend welcher Zeit den Landvogt einmal muß beauftragt haben, [144] für die Erörterung allgemeiner Landesangelegenheiten eine Deputation von Eingesessenen zu bilden, nicht die von ihr gewählten Kirchspielvögte vor allen als von Amtswegen berufene Mitglieder sollte bezeichnet haben, wenn sie nicht etwa die Landesgevollmächtigten denselben bloß zur Unterstützung beigeben hieß. Endlich haben die Kirchspielvögte in ihrem Kirchspiel das Recht, die Eingesessenen nach der Kirche auf dem Kirchhof zur Besprechung gemeinschaftlicher Angelegenheiten zusammenzuberufen[64]. Es konnte aber oft nicht fehlen, daß sich an die Beschlüsse der Landesversammlung Kirchspielsversammlungen anschlossen, wie wenn im Steding’schen Fall die Versammelten erklärt hätten, die Sache ihren Kirchspielsgenossen vortragen zu müssen; da durften doch die Convocanten und Leiter der Kirchspielsversammlung nicht in der Mitte der Berathenden fehlen. Stünde nun der Steding’sche Fall vereinzelt da, so würde man doch bedenklich auf ihn hinblicken, aber es sieht fast aus wie eine Ironie des Schicksals, daß, nachdem sich diese Versammlung 40 Jahre lang dem Auge fast spurlos verborgen hat, nun mit einem Mal eine Thätigkeit derselben über die andere ans Tageslicht tritt. Eine solche Versammlung muß es gewesen sein, in der zu Flede Marcus Swyn eine außerordentliche Geldforderung des Herzogs Adolf muthig zurückwies. Einen gleichen Fall haben wir 1595 vor uns, wo freilich die Versammlung nicht erwähnt, aber durch die Verhältnisse unbedingt vorausgesetzt wird, als Herzog Johann Adolf 15000 Thaler Zulage forderte und erlangte. Von diesen sollten 6000 noch auf zehn Jahre verzinslich stehen bleiben, 4000 (9000?) aber sofort ausgezahlt werden. Die ganze Form der Erzählung zeigt, daß die Steuer nicht unmittelbar durch ein herzogliches Machtgebot auferlegt, sondern durch Verhandlungen erzielt ward. Hätten wir nicht zu dergleichen eine stehende Deputation gefunden, so ließe sich freilich nach Neocorus’ Ausdruck an eine zu diesem besondern Zwecke gewählte Versammlung denken.
[145] Ein Nachspiel hatte allerdings die Steding’sche Sache. Es ward der Landvogt Johann Reimer, welcher hatte verdrängt werden sollen, ein ruhiger, Gerechtigkeit liebender Mann, der seiner Landvogtei treulich vorstand (Neocorus), welcher sich vermuthlich nach dem Urtheil der Regierung bei diesen Verhandlungen nicht energisch genug benommen hatte, in Gegenwart des halben Landes (d. h. der Landesversammlung von Norderdithmarschen) am 17. Juni 1594 auf dem Markte zu Lunden seines Amtes entlassen und dasselbe dem Boie Nanne Denker, seinem Gegner, übertragen, von dessen Energie man sich mehr versprach, – vielleicht waren die 15000 Thaler, deren Zahlung man durchsetzen wollte, der Kernpunkt der Sache. Doch behandelte man den Abgehenden mit Rücksicht und erhielt ihm das forum superius.
Nun aber erscheint wieder und immer wieder die Landesversammlung (Vullmacht). Zwar war bei der Bewilligung der 15000 Thaler zugesichert worden, daß eine Wiederholung der Forderung nicht stattfinden solle, aber es dauerte nur 3 Jahre, bis 1598, als der Herzog mit einer noch größeren von 25000 Thalern hervortrat. Mit dergleichen Geldbewilligungen kauften sich die nordfriesischen Landschaften von der Einmischung der Regierung in ihre inneren Angelegenheiten los. Der Herzog beschied am 18. April vier einflußreiche Dithmarscher zur Berathung an seinen Hof, de Rath (Neoc. II, 345), und trat ihnen so dringlich mit der obigen Forderung entgegen, daß sie glaubten, ein Großes erreicht zu haben, als sie die Summe auf 20000 Thaler herabgehandelt hatten. Infolge dessen berief man denn am 27. April aus allen Kirchspielen des Nordertheils die Vollmachten[65] nach Stelle, das mehr in der Mitte von Norderdithmarschen [146] lag als Heide. Hier gelang es dem Landvogt, eine günstige Resolution zu erwirken, daß man die 20000 Thaler zahlen wolle. Aber schon sechs Tage später ward in einer neuen Versammlung ein entgegengesetzter Beschluß gefaßt – gewiß war man in den Kirchspielen auf energischen Widerstand gestoßen – was auf die Stellung der Landesversammlung, als eine nur vermittelnde und einhellige Beschlüsse der Kirchspiele herbeiführende, Licht fallen läßt. Vier Wochen später war von neuem Versammlung der Landesgevollmächtigten; doch schweigt Neocorus über das, was da beschlossen wurde, ob man sich nur über die Form der Ablehnung berieth, oder ob man doch schließlich grollend zu der Forderung der Regierung seine Zustimmung gab. Aehnliche Ausbeutung der friesischen Marschen erzählt Waitz, Schleswig-Holsteinische Geschichte II, 400.
Aber es war noch nicht die letzte Forderung des Herzogs Johann Adolf; 1599 kam eine neue von 10000 Thalern zu Türkensteuer und zum Krieg gegen Spanien, und ward um so nachdrücklicher gefordert, weil der Herzog Kreisoberst geworden war. Auch die Geburt der ältesten Tochter desselben ward zu einem Steueraufschlag benutzt. Da gab es abermals Landesversammlungen [147] und dießmal geht man weiter, es kam auch die Forderung einer Umgestaltung der dithmarsischen Verhältnisse nach dem Muster der eiderstedtischen, weil der Herzog möglichst gleiche Einrichtungen in seinen Landen wünsche. Wir sehen aber nicht, daß etwas in den dithmarsischen Verhältnissen verändert sei. Vom Wunsch zur Ausführung ist oft ein weiter Weg. Die Schatzung wurde wirklich mit 56000 Mark aufgebracht und abgeführt. Endlich trat der Herzog 1600 mit der Forderung auf, das Land solle ihm bescheinigen, daß die 1595 und 1598 aufgebrachte Contribution ein Geschenk für ihn und seine Leibeserben sei. Die dazu berufene Landesversammlung ordnet auch die Vertheilung der Kosten, welche der große Landtag zu Schleswig veranlaßt hatte, zu dem Dithmarschen 20 Trabanten hatte zu stellen gehabt.
So sind diese unerquicklichen Verhandlungen zu gleicher Zeit für uns sehr lehrreich, weil sie uns die Dithmarscher Landesversammlung, über deren Entstehung uns die geschichtlichen Ueberlieferungen im Stich lassen, in voller und wiederholter Wirksamkeit zeigen. Aber diese Zeit zeigt uns zugleich, daß eine neue Zeit herangekommen ist. Die Zeit der Spannung zwischen Landesherrn und Unterthanen ist vorüber; der Dithmarscher blickt nicht mehr als ein mit der Schärfe des Schwertes Unterworfener zu den Fürsten auf und die Fürsten treten vertrauensvoll in seine Mitte. Von den drei erobernden Fürsten war nur König Friedrich II. in den letzten Jahren wieder durchreisend nach Dithmarschen gekommen, sonst hatte kein Oldenburger hieher den Fuß gesetzt. Aber 1597 erschien der jüngste der gottorpischen Brüder Johann Friedrich, Erzbischof von Bremen, der sehr gegen den Wunsch seiner Mutter von dem hessischen Hofe, wo er erzogen war, und seiner Residenz Bremen kommend, in Brunsbüttel über die Elbe ging, in Heide übernachtete und so in seiner Kutsche mit 8 Pferden das Land durchzog. Den Dithmarschen gefiel er wohl in seiner Frische, wie er sich vom Fenster aus das Wogen und Treiben des Sonnabendmarktes übersah; sie freuten sich ebenso seines Muthes, wie die Mutter für ihn bangte. Im nächsten [148] Jahre 1598 erschien auch König Christian IV. mit seinem Bruder Johann, seinem Schwager Johann von Brandenburg und Herzog Magnus von Lüneburg. Geleitet von etwa 100 Mann zu Pferde kam er über Lunden und Heide, nahm Nachtquartier in Meldorf und verweilte daselbst einen Tag. Ein großes Menschengedränge sammelte sich um ihn, man hätte ihn auch gern eingeholt; aber noch war das Land ohne Waffen. Er zeigte sich freundlich und zugänglich, überrascht über des Landes eigenthümliche Tracht, namentlich über die große Kopfbedeckung der Frauen, die Kagel, kaufte eine ganze Frauentracht und sandte einen seiner Trompeter darin an seine Gemahlin. Dann zog er über Brunsbüttel nach Wilster und Crempe, das er beschloß besser befestigen zu lassen. Er forderte dazu von Süderdithmarschen einen Mann von jedem Pflug, 1600; doch zog die Landschaft vor, sich durch 3000 Thaler davon frei zu kaufen. Im Jahre zuvor hatte er zum ersten Mal im Lande, in Meldorf, durch seine Räthe einen Landtag abhalten lassen, während bis dahin die Dithmarschen zu solchen stets außerhalb Landes beschieden waren. Noch in demselben Jahre 1598 kam auch der Herzog Johann Adolf, um eine Eindeichung persönlich zu betreiben. Nach altem Dithmarscher Grundsatz war der Außendeich Besitz der Commune. Auch die Eroberung ließ ihn derselben abgabenfrei, während das Marschland innerhalb des Deiches einer festen Auflage unterworfen wurde. Kam nun gleich das Außendeichsland dem Einzelnen nicht wie das Eingedeichte zu statten, so gewährte es ihnen doch für die Erhaltung ihres Viehstandes große Vortheile, die sie festzuhalten suchten, um so viel mehr, als die Eindeichung nur mit großer Mühe und Unkosten zu erreichen war und mancherlei Chancen nachher noch zu befahren sein konnten, während die Abgabe von dem Gewonnenen in sicherer Aussicht stand. Die Folge davon war Abneigung der Communen, das zum Eindeichen reife Land einzuholen; selbst die Eindeichung, welche schon vor der Eroberung 1558 begonnen war, blieb unvollendet liegen. Es fehlte ja damals selbst an eindeichenden Händen. Jahrelang hatte sich die Regierung allem Deichwesen fern gehalten, [149] jetzt hatte sie ihren Vortheil erkannt und trat mit Ermahnungen, Aufforderungen, Befehlen zum Eindeichen hervor, ja erklärte selbst den Außendeich für ihr Eigenthum und drohte den Communen, wenn sie nicht eindeichen würden, die Eindeichung selber in die Hand zu nehmen und dieselben jeglichen für sie daraus entspringenden Vortheils zu berauben. Aus dieser Lage der Dinge erst begreift sich das Zögern der Communen, die Langsamkeit des Fortschrittes und die Verzagtheit, wo sie auf Hindernisse stießen.
Die Ansprüche der Fürsten auf das dem Meer abgewonnene Land und ihr Eifer für die Eindeichung tritt zunächst hervor 1597 in den Streitigkeiten über Diecksand, worauf jetzt beide Regierungen, die eine für Marne, die andere für Büsum, hier als alten Besitz, dort als neuen Landzuwachs Ansprüche erhoben. Königliche und fürstliche Commissare erschienen zur Localbesichtigung, selbst fremde Schiedsrichter, Zeugen, wurden abgehört, unter denselben auch Neocorus, Documente beigebracht; aber Einigung ward nicht erzielt. – Mehr Erfolg verhieß die Eindeichung bei Weslingburen, wo der Herzog durch 12 Commissarien aus Eiderstedt, Nord- und Süderdithmarschen den Landzuwachs besichtigen ließ und selbst persönlich erschien, die Sache zu betreiben. Der Zweifel, ob man bei Schülp nicht der Eindeichung eine größere Ausdehnung geben solle, hielt die Sache ein Zeitlang hin. Dagegen griff man bei Büsum und Reinsbüttel die Eindeichung energisch an und fing an, auf beiden Seiten zu arbeiten, den jetzigen Wahrdamskoog einzuschließen: einen Deich von 472, den andern von 572 Ruthen Länge. Aber jene Zeit war noch nicht im Stande, so großartige Werke rasch zu beschaffen, und hatte darum leicht mit einer größeren Zahl von Hindernissen zu kämpfen; es dauerte 9 lange Jahre, ehe das Werk vollendet ward.
Höchst unerquickliche Verhältnisse ergaben sich in dieser Zeit im Innern. Der Landvoigt Boie Nanne Denker, ein energisch durchgreifender Mann, klagte über mangelnden Gehorsam, das Land dagegen über seine Willkür, Eigenmächtigkeit und Bedrückung. Das letztere muß sehr entschiedene Beweise beigebracht [150] haben, denn der Herzog ließ ihn 1599 auf dem Markt zu Lunden absetzen in öffentlicher Versammlung, zu der weit und breit alles entboten war. An seine Stelle trat Hans Rode, der eine bessere Geschäftsordnung schuf, durch Einrichtung einer besondern Gerichtssitzung zu Einzeichnungen in das Schuld- und Pfandprotocoll eine Reihe von nutzlosen Citationen und Nebenverhandlungen im Hause des Landvogts abschnitt.
Der zunehmende Wohlstand des Landes zeigt sich in der 1617 in Meldorf angelegten Apotheke; nur Heide hatte schon 1570 eine gehabt, vor allem aber in einer Reihe von kirchlichen Bauten. 1562 hatten die Fürsten zur Herstellung der Orgel in Meldorf 200 Mark gegeben. Des Bestrebens, bald nachher die Kirchenstühle wieder zu errichten, haben wir schon oben gedacht. 1592 finden wir die Erbauung einer neuen Orgel in Wörden, die allgemeine Bewunderung erregte. 1598 ward die neue Orgel in Hemme eingeweiht, nächst der Meldorfer die beste im Lande. 1591 ward in Büsum der Glockenthurm auf Rollen auf eine andere Stelle gebracht; bis zum Neubau desselben dauerte es freilich noch bis 1613. 1611 ward der Thurm in Heide gebaut, dagegen ging der zu Nordhastedt 1603 mit dem Dorfe in Flammen auf. Der wichtigste kirchliche Bau war aber, um das hier vorwegzunehmen, die Erbauung der jüngsten Kirche von Dithmarschen zu St. Michaelisdonn, 1610. Die Kirche zu Meldorf erhielt um 1603 von dem Landvogt Heldt und dem Landschreiber Wasmer eine Kanzel mit kunstreichem Schnitzwerk, von dem gleichnamigen Sohne des Landvogt M. Boie die Einhegung des Chors.
Auf Sitte und Reichthum des Landes wirft ein nicht unwesentliches Licht die Verordnung des Herzogs gegen den übermäßigen Aufwand bei Hochzeiten, Kindtaufen und Begräbnissen, welche die feierliche Einholung der Mitgift strenge verbot, die Zahl der Gäste und der Gerichte bestimmte, Dienstboten und Bettler vom Hause fortwies, die Zeit der Hochzeit auf zwei Tage beschränkte, eine Verordnung, in der wir vielleicht nicht mit Unrecht eine Arbeit eines ausgezeichneten Dithmarschers, des Dr. Nic. Junge, suchen, der damals gottorpischer [151] Kanzler war. Die Bestimmungen sind immer noch sehr liberal und Neocorus stimmt der im Herbst auch in Süderdithmarschen publicirten Verordnung von ganzem Herzen bei.
Im Sommer des Jahres 1600 sah sich das Land durch die Furcht einer Heimsuchung durch Seeräuber (Dünkirchener?) erschreckt, welche das Gerücht schon bei Helgoland liegen ließ. Man fürchtete Wegführung einzelner reicher und angesehener Männer, errichtete Signalfeuer und Theertonnen längs der ganzen Seeküste und hielt sorgfältig Wache; auch die Regierung sah die Sache nicht für unwichtig an, forderte zur Bewaffnung auf, erbot sich auch zu Lieferung von Waffen, wenn das Land für die Bezahlung Bürgen stelle. Aber die Landesbevollmächtigten, die in Weddingstedt zusammentraten, lehnten es ab mit der Erklärung, daß man das Nothwendige an Waffen im Lande habe und das weiter Benöthigte sich privatim verschaffen könne.
Ein Großes brachte das Jahr 1601, eine neue Verbindungsstraße mit Holstein. Die Natur hatte Dithmarschen eigentlich nur einen Weg geschenkt, um mit dem Osten zu verkehren, den Weg von Meldorf nach Hanerau. Mit der Eindeichung von Dithmarschen und der Wilstermarsch hatte sich ein zweiter ergeben, aber nur in trockener Jahreszeit passirbar, der sogenannte Querslippen südwärts vom Kudensee.[66] Die Zollstätte zu Hanerau war von uralter Zeit her den Dithmarschen ein Pfahl im Fleisch gewesen. Der Friede 1405 hatte diesen Zoll beseitigt, Christian I. ihn 1473 vertragswidrig hergestellt. Dann war er für die Dithmarschen selbst wenigstens aufgehoben und nur für Transitgüter geblieben. Durch die Eroberung mußte er hinfällig werden, da beide Länder nun einen Fürsten hatten; aber der König hatte kurz vor der Eroberung das Schloß Hanerau an einen Herrn Moritz Ranzau verkauft, der sich nun anmaßte, den Zoll fortzuerheben. Er behauptete, der Zoll von der Eider bis zur Elbe gehöre ihm, und unternahm selbst am Querschlippen einen Schlagbaum zu errichten. Als die Dithmarscher [152] denselben mit Gewalt zerstörten, klagte er beim Amtmann von Steinburg, der freilich nichts damit zu thun haben wollte, aber ihn doch gewähren ließ. Selbst die Benutzung der Holstenau ward den Dithmarschen von Hanerau aus verkümmert; man bemächtigte sich ihrer Güter auf dem Strom. Die Vorstellungen des Landvogts Henning Boie wies Detlef Ranzau in hochfahrender Weise ab; Hanerau sei Zollstätte gewesen, ehe er, der Landvogt, geboren sei. Vergebens stellte Mich. Boie das ganz Widersinnige eines solchen Zolles vor; gegen den bei Hofe einflußreichen Adligen war nichts auszurichten. Da bewog Boie seine Landsleute, sich mit Schenefeld zu vereinigen, selbstständig einen neuen Damm über das Moor nach Schafstedt zu schlagen und von da einen Weg über Hohenhörn nach Schenefeld zu legen. Der König, der sich allerlei Privilegien zu Gunsten Ranzau’s hatte ablocken lassen, verhieß ihnen bei seiner Anwesenheit in Meldorf, sie sollten diesen Weg ohne Eindringen und Veränderung gebrauchen. Und so geschah es; zwar erschien auch hier der Besitzer von Hanerau und ließ ein festes Haus bauen. Aber die Regierung nahm sich nun der Dithmarschen an. Lange ward freilich noch die Unterscheidung von dithmarsischem und Transit-Gut geltend gemacht, eine Unterscheidung, auf welche die Landvögte geneigt waren einzugehen, was aber der starre Sinn der Bevölkerung ablehnte, der nicht einmal zu einer mündlichen Anmeldung beim Zoll sich verstehen wollte. Damit drangen sie freilich nicht durch, aber in der Hauptsache erreichten sie doch ihren Willen. Herzog Johann Adolf stand treu zu ihnen, und 1610 erhielten sie auch des Königs Zusicherung, so daß sie die Furcht, daß ihnen unter der Form von Legitimationsscheinen der Zoll wieder aufgedrungen werden solle, aufgeben konnten. Die damals angelegte Straße ward auf drittehalb Jahrhunderte die Hauptlandstraße Dithmarschens und ist es geblieben, bis 1857 die Chaussee über Hochdonn gelegt wurde, da Schenefeld in seiner Bedeutung gegen Itzehoe ganz zurückgetreten war.
Demnächst ziehen vor allen die großen Deicharbeiten unsere Aufmerksamkeit auf sich, welche zwischen Büsum und Reinsbüttel [153] dem Meere ein großes Areal abgewinnen sollten. Das, was 1584 die herzogliche Commission vorausgesehen hatte, eine große Anschlickung, war erfolgt; es galt nun, das neu gewonnene Land dem Anbau zu sichern. Aber die schwachen Geldmittel jener Zeit, die nicht erlaubten, hunderte von fremden Arbeitern zu versammeln, sondern nöthigten, die Deicharbeit neben der nothwendigen Feldarbeit persönlich zu beschaffen, die Schwierigkeiten verschiedene Communen zu dem gemeinsamen Werk zu vereinigen, die Hindernisse, welche Eigensinn und Partheiinteresse schufen, zogen die Vollendung des Werkes weit hinaus und im Winter zerstörten oft Fluthen und Stürme einen großen Theil dessen, was das Jahr geschaffen hatte. Die Ungunst der Witterung vermehrte die Schwierigkeiten, 1600 ein entsetzlicher Frost, dann im Sommer furchtbare Stürme, die nicht nur an Korn und Baumfrucht großen Schaden thaten, ja die Bäume selbst in Menge entwurzelten, sondern auch die neuaufgeführten Deiche durchbrachen und große Tüpfel (Wele) rissen, sodann eine Masse Regens, welche den Fieler See so anschwellte, daß er den Hinterdeich durchbrach und die Dorfschaften Eppenwörden und Ketelsbüttel zu Inseln machte, indem das Korn bis an die Aehren im Wasser stand. Dem gegenüber aber ermuthigte eine Unternehmung bei Wörden, indem es dieser Bauerschaft gelang, einen Deich von 1000 Ruthen bis südlich von Ketelsbüttel zu ziehen und dadurch die ehemalige Bütteler Feldmark, die man vor 150 Jahren hatte aufgeben müssen, wieder einzuholen. Dagegen entzweiten sich die Communen, welche bei Büsum deichten, über die Stelle, wo der Deich gezogen werden sollte, so, daß fürstliche Commissarien den Streit schlichten mußten; es war ein schlimmes Jahr, wo man das Korn nicht in die Scheuern zu bringen wußte, kaum erwehrte man sich der Hungersnoth, und dazu kam 1602 am 14. Februar eine furchtbare Sturmfluth bei entsetzlichem Nordwestwind, ein Naturereigniß, das von Ostfriesland bis Nordstrand an den Deichen großen Schaden anrichtete. Auch Hamburg litt furchtbar in Straßen und Häusern; in Eiderstedt und Nordstrand war der Schaden so groß, daß [154] die Regierung die Dithmarschen aufrief, den Landschaften zu Hülfe zu kommen, was diese freilich ablehnten. Im Mai wiederholte sich der Sturm einem Erdbeben gleich. Alles Laub war schwarz, wie verkohlt, Mühlen wurden umgestürzt, viel Vieh ertrank. Den Büsumern entsank der Muth, sie supplicirten, daß man die Eindeichung aufgeben möge. Für den Augenblick mußte das freilich geschehen, und als man das Werk im nächsten Jahr wieder anfassen wollte, da erhoben die Reinsbütteler Schwierigkeiten, und die Witterung gestaltete sich so ungünstig, daß man froh war, nur nichts angefangen zu haben.
So schleppte sich das Werk von Jahr zu Jahr hin, nicht zur Erleichterung des letzten Schrittes; aber immer enger und weniger wurden die Wege, durch welche das Wasser zur Fluthzeit ein-, zur Ebbe ausströmte, immer größer dessen Gewalt, immer tiefer die Rinnen, die das ausströmende wühlte. Endlich erschien zur Schließung des Deiches das ganze Kirchspiel, Alt und Jung, Vogt und Eingesessener, Prediger und Gemeinde. So zog denn am 13. Juli 1608 auch Neocorus aus, beiläufig gesagt auch bedeutender Hofbesitzer, Hand an das gemeinschaftliche Werk zu legen. Zu seinem großen Verdrusse sah er, daß in dem Augenblick, wo alles auf Schnelligkeit ankam, sein Wagen langsam fahre. Da ergriff er den Spaten und drohte dem die Pferde lenkenden Jungen. Der aber, voll Angst vor dem gewaltigen Mann, warf sich vom Wagen und war auf der Stelle des Todes. Neocorus sagt, es sei ein kränklicher Schneiderjunge gewesen, aber der Pastor hatte Feinde, die über Todtschlag schrien, vor allen der Kirchspielvogt Bulm; das seien, sagt der Chronist, schändliche Lügen gewesen und kein blauer Fleck an dem Jungen gefunden. Gewiß ist, daß die Sache für einen Unfall erklärt wurde und Neocorus kein Leid geschah; aber es bleibt doch ein wunderbares Sittenbild: der Prediger mit dem Spaten drohend an dem einen Ende des Wagens und der zum Tod erschrockene Knabe in den Tod sich stürzend am andern.
Ein Jahr später, am 16. Juni 1609, ward dann auch im Westen der Koog geschlossen, am 7. Juli im Osten, und Büsum ward vollständig landfest. Das neugewonnene Areal war [155] größer als das bisherige des Kirchspiels[67], 700 Morgen, so daß sich Büsum seit 1572 vervierfacht hatte. Auch so waren noch nicht alle Fährlichkeiten überstanden, ein heftiger Sturm schädigte den neuen Deich am 6. Januar 1610 und riß große Wele; eine Commission des Herzogs mußte entscheiden, ob man dieselben in den Deich ein- oder ausschließen sollte. Die Regierung trat auf die Seite der Reinsbütteler, schickte den Kanzler, Landvogt und mehrere Kirchspielvögte; dennoch setzten die Büsumer ihren Willen durch und lieferten 1611 eine Arbeit, welche das höchste Lob des in Eiderstedt mit den Eindeichungen Beauftragten davontrug. Sie hatten aber auch mit solchem Eifer gearbeitet an dem Schluß des Werkes, das am Himmelfahrtstage während der Ebbe zu Stande kam, daß die Predigt erst am Nachmittage gehalten werden konnte. Es trug aber auch das Feld hundertfältige Frucht; Neocorus erzählt, er habe dreizehn vollkommene Aehren aus einem Korn gesehen, jede mit 6 Reihen, und 200 Körner gezählt. Unter solchen Umständen kann man sich nicht wundern, daß der Wohlstand wuchs und in Büsum ganz neue Straßen entstanden und Gebäude, dergleichen man nie zuvor gesehen.
Man kann sich nicht darüber täuschen, daß man diese neuen Eindeichungen zum großen Theil der Energie der Regierung verdankte, dagegen stoßen wir auf bittere Klagen über die Ordnung des Geldwesens im Lande, deren Kern dahin geht, daß die Büreaukratie bedenkliche Fortschritte mache und nur bedacht sei, ihre Einkünfte zu mehren, und das in einer Weise, die man in Süderdithmarschen nicht kenne. Der 1599 zu Ordnung der Verpfändungen angesetzte eigene Gerichtstag ward durch Gebühren drückend, und die 1601 in der Pfandordnung gemachten Aenderungen bezeichnet Neocorus als schweren Druck. Als nun vollends in demselben Jahre die Erhebung der Brüchen, zu der sich bis dahin der Landvogt in die einzelnen Kirchspiele begeben hatte, nach Heide gezogen ward, da meint der Chronist, nun sei der letzte Schatten einer Freiheit des Landes [156] verloren gegangen und wundert sich, daß die Landesversammlung nichts dagegen gethan habe. 1602 suppliciren Büsum, Weslingburen, Neukirchen und Hemme durch den Amtmann von Buchwald dagegen. Neocorus (wir können wohl annehmen, das Land) ist voll Erbitterung gegen alles, was Schreiber heißt, Landschreiber, Kirchspielschreiber, und er kommt immer wieder darauf zurück, daß sie sich durch ungerechte Gebühren bereichert und darum auch Gottes Strafe an ihnen sichtbar geworden sei.
Ein neues Verdienst um das Land erwarb sich Herzog Johann Adolf durch eine definitive Ordnung der geistlichen Angelegenheiten. Auf eine Supplik der Gemeinden wurde ihnen 1605 förmlich die Wahl ihrer Prediger und aller Kirchendiener und Schullehrer überlassen. Die Schlichtung der inneren Verhältnisse und Streitigkeiten der Geistlichen ward dem Konsistorium zugewiesen, das die Befugniß haben soll, aus christlichem Gemüthe nach Erheischung freundlich und väterlich zu ermahnen. Dagegen wird die Aufsicht über Amtsführung und Verhalten dem Superintendenten zugewiesen, der in Verbindung mit zwei Predigern oder in andern Fällen dem Landvogt und zwei Räthen darüber zu Gericht sitzen soll. Zum Superintendenten soll der Landvogt aus der gesammten Geistlichkeit des Landes dem Herzog die drei tüchtigsten vorschlagen, der dann einen von ihnen ernennen werde. Für den Superintendenten selbst ward 1606 eine eigene Instruktion erlassen, nach der er jährlich Specialvisitationen zu halten und von den Baumeistern Rechnung entgegenzunehmen habe. Er hat die neuerwählten Prediger zu examiniren, zu ordiniren und zu introduciren. Zum Kirchspielschreiber soll unter Beirath des Landvogts vom Kirchspiel ein ehrlicher, erfahrener und bekannter Mann gewählt werden. 1607 wird ein neues Formular für den Eid der Prediger abgefaßt und 1609 ein besonderes Edict gegen das Schmähen, besonders auf die Sacramentirer, von den Kanzeln erlassen (vgl. Waitz, Schl.-Holst. Geschichte II, 467 ff.). Damit aber war das Land nicht einer Generalvisitation von Schleswig aus entzogen, die 1608 von dem Dompropsten Broder Bojesen vorgenommen wurde.
[157] Darnach zieht eine Zahl von Erlassen über Criminalverbrechen vom Jahre 1607 unsere Aufmerksamkeit auf sich, die uns ahnen läßt, daß die Zeit des Verlustes der politischen Selbstständigkeit keineswegs eine Zeit erhöhter Sittlichkeit gewesen sei. Die erste derselben belegt den Ehebruch für Mann und Weib gleichmäßig mit Todesstrafe. Von vollstreckten Strafen der Art schweigt freilich Neocorus, der sonst allerdings traurige und schreckliche Data aus der Sittengeschichte genug liefert. Daß aber die Verfügung einen wunden Fleck traf, zeigt der Umstand, daß die Dithmarschen eine Unterhandlung mit dem Hofe über eine außerordentliche Steuer benutzten, um eine Ermäßigung der Strafe in eine schwere Geldbuße zu erreichen. Nicht minder wird der Todtschlag ins Auge gefaßt. Den Angehörigen wird die gerichtliche Verfolgung des Mörders zur Pflicht gemacht bei Verlust jeglichen Anspruchs auf die Erbschaft. Die Habe des Todtschlägers soll sofort vom Landvogt eingezogen und ex officio gegen ihn verfahren werden. Ihn zu beherbergen wird bei willkürlicher Strafe verboten, Schlägereien und namentlich blutige Händel sollen nicht allein bei den Localbehörden, sondern auch beim Landvogt angegeben werden. Neue Befehle, binnen vierzehn Tagen in Rechtshändeln die Beweise beizubringen, zeigen, daß man entschlossen ist, der alten Lust an der Chicane energisch entgegenzutreten; characteristisch aber ist, daß auch bei ernstlicher Strafe verboten ist, Ehen mit wohlhabenden Mädchen zu vermitteln.
Von Süderdithmarschen ist gar wenig überliefert. Fast möchte man glauben, das Leben sei dort ruhiger und gleichmäßiger gewesen. Die Anlegung des neuen Weges über Hohenhörn war ihm fast allein zugefallen und hauptsächlich das Verdienst des Landvogts Michael Boie gewesen, der freilich die Eröffnung desselben nicht erlebte. 1598 legte er sein Amt nieder, um die letzten drei Jahre seines Lebens in Ruhe zuzubringen. Ihm folgte als Landvogt Johannes Heldt bis 1608, wo ihm der Meldorfer Nicolaus Bruhn folgte, ein Sohn wahrscheinlich jenes Claus Bruhn, der einige Jahre lang, von 1572 bis 1579, die Landvogtei verwaltet hatte.
[158] In Norderdithmarschen folgen nun aber neue Unterhandlungen über außerordentliche Steuern, 1609, zur Tilgung der Schulden. Der Herzog fordert, und zwar zwei Jahre nach einander den hundertsten Pfennig von der Habe, Grundbesitz oder Vermögen, oder Häuser. Er weist darauf hin, daß die Schuld eine Staatsschuld sei, von seinen Ahnen herstammend, daß also das Land für sie hafte; daß ferner die Aussteuer seiner Schwestern, die Ausstattung und Abfindung seines jüngsten Bruders, Johann Friedrich, Erzbischof von Bremen und Bischof von Lübeck, ihn dazu gedrängt habe, und erinnert, wie die Einzelnen seit langer Zeit ein ruhiges Leben geführt und ihrem Erwerbe unbehelligt hätten nachgehen können. Jahrelange Verhandlungen mit den Gevollmächtigten waren begreiflicherweise die Folge davon, welche letztere sich natürlich dadurch immer fester zu einer Repräsentativverfassung zusammenschlossen, obwohl noch von einer Verhandlung mit ihren Committenten die Rede ist.
Besser scheint in pecuniärer Beziehung Süderdithmarschen daran gewesen zu sein. Auch hier ward zur Ausstattung des Bruders König Christians IV. eine Contribution von 18000 Thalern bezahlt und Hans Dethlefs spricht von 20000 Thalern zu dem Kriege mit Schweden 1609–1611. Dieser Krieg rief auch an der Küste Dithmarschens Bewegung hervor, indem man eine Landung schwedischer Schiffe befürchtete und deshalb streng Wache hielt. Er ward auch wohl Veranlassung, daß man die Wehrverfassung des Landes in’s Auge faßte; die Mannschaft der einzelnen Kirchspiele ward 1615 gemustert und zeigte sich wohl kriegstüchtig, aber schwer zu regieren. König Christian erschien 1613 persönlich in Brunsbüttel, um die Anlegung von zwei Steinwehren zu betreiben, und gewann, indem er selbst Hand anlegte, Aller Herzen. Er verschloß auch das Ohr nicht gegen das Gesuch, daß keine Erhöhung des Ackerschatzes vom Morgen solle angeordnet werden, sondern nur eine Berechnung des festen Satzes nach seinem Verhältniß zum Thaler, wie es gegenwärtig sei; denn diese Zeit litt furchtbar unter pecuniärer Calamität. Der Herzog hatte durch seinen Münzmeister Matz [159] Pulten zu leichte Schillinge ausprägen lassen und infolge dessen stieg der Thaler von 31 auf 37, zuletzt auf 40. Dazu kam, daß eine Zahl von Städten an der Weser, Paderborn, Höxter u. s. w. das Land mit ihren schlechten Münzen überschwemmten, bis im März 1616 ein gemeinschaftliches Edict beider Fürsten diese Wirren ordnete und 40 Schillinge als Werth des Thalers feststellte. Es war der letzte Regierungsact Johann Adolfs, der wenige Tage darauf starb und seinen ältesten Sohn Friedrich III. zum Nachfolger hatte. Bis in seine letzten Tage war der wackere Fürst für die Eindeichung thätig gewesen und der ganze Hauptdeich von Schülp bis Büsum ist das Werk seiner Förderung und seines Drängens. Nachdem er aber so den Gewinn Allen anschaulich gemacht hatte, änderte er sein Princip und machte seinerseits ein Anrecht auf den Anwachs geltend, ertheilte in dieser Beziehung wiederholte Concessionen, doch mit wenig Glück. Die Versuche mißglückten sammt und sonders und die neu aufgeführten Deiche erlagen den Winterstürmen. In demselben Jahre schied Neocorus aus seinem Amt, von seiner Gemeinde entlassen, aus welchem Grunde ist unbekannt. Bald nachher (1620) brechen auch seine Aufzeichnungen ab. Er war ein Mann, der an dem Wohl und Wehe seiner Gemeinde lebhaften Antheil nahm, ihrer Verhältnisse und des Rechtes kundig wie wenige, weshalb er bei den Unterhandlungen über Diecksand auch unter ihren Vertretern erscheint, starr in Haß und Liebe, der manche Gegner in der Gemeinde hatte und seine Vorgesetzten nicht allemal zu Freunden. Er sah Büsum mächtig aufblühen, Häuser und Straßen wie aus der Erde wachsen, sah die Kleidung sich ändern, bei den Männern das kurze Wams an die Stelle der langen Jacke treten, sah die Frauen die alte graue, selbst gewebte Kleidung verschmähen und den „leidischen“ krausen Rock. Nun mußten die Röcke von Say sein, mit Pelz verbrämt und hinten mit reichen Falten und Schleppe, das Futterhemd roth mit blauen Ermeln. Die Kagel, welche König Christian noch so viel Spaß gemacht, verschwand und machte Mützen von Grauwerk mit dicken Litzen Platz, nur um den Hals blieb das Kleid ausgeschnitten, ohne [160] Kragen und mit Sammt besetzt. Interessant sind seine Anschauungen, denn er ist durchaus das Kind seiner Zeit. Nicht genug, daß er das Unglück, welches einzelnen Personen widerfährt, direct auf ihre Sünden bezieht und es in der Ordnung findet, daß sich der Zorn Gottes herabrufen lasse, erzählt er ohne Nebenbemerkung, daß man bei einem Deichdurchbruche, als alles nicht helfen will zu dämmen, erkannt habe animam quaeri, daß ein lebendiges Wesen müsse vergraben werden, um der Wuth der Elemente zu steuern. Gläubig erzählt er 1597 von einem Spuk in Weslingburen, von einem Gesicht der Gemahlin Herzog Johann Adolfs, von der Wasserprobe an einer Hexe, bei der er es gar nicht in der Ordnung zu finden scheint, daß man sie habe leben lassen, obgleich sie nicht untergesunken sei. 1618 wird in Meldorf eine Zauberin verbrannt. Das Ertrinken von hundert Schaafen bei einer Sturmfluth ist bereits nächtlicher Weile durch ein blasendes Hirtenhorn vorwarnend angedeutet. In der Sitte ist er streng, oft tönt seine Klage über Zuchtlosigkeit der Welt; er billigt die auf Ehebruch gesetzte Todesstrafe und zählt zürnend die Menge der Entehrten auf. Er ist ein eifriger Wetterbeobachter, dreimal führt er ein Erdbeben auf, 1580, 1590 und 1598; Sturm, Fluth und Gewitter spielen in seinen Aufzeichnungen eine große Rolle, trockene und nasse, wohlfeile und theure Zeit, aber auch eine Reihe von Naturerscheinungen, Nebensonnen, Kometen, Höfe um Sonne und Mond, sich kreuzende Regenbogen, Fata Morgana und gewaltiges St. Elmsfeuer (Vuer in der Lucht[68]). Aber wir werden auch aus seiner Erzählung inne, wie merkwürdig sich die Natur in unsern Gegenden geändert hat. Noch [161] 1599 erzählt er von einem in Eiderstedt aufgetriebenen Torfmoor von vielen Tausenden an Werth, 1618 und vielfach sonst von Wallfischen an unsern Küsten, wie sie uns auch Meiers Karten zu Dankwerth zeigen, von Riesenstören und einem mächtigen Störfang, von hier gefangenen Schwertfischen und Krickenten (Bergaanten), so daß wir manchmal staunend seiner Erzählung horchen.
Der vorige Abschnitt, zumal die Regierung Johann Adolfs, war eine Zeit stillen friedlichen Ausbaues. Der Kampf war mit den Elementen und hatte er nicht lauter Siege zu verzeichnen, so war der schließliche Gewinn jedenfalls ein außerordentlicher. Der ganze Strand war seit der Eroberung ein neuer geworden, vom Süden bis zum äußersten Norden. Der Seedeich, wie er mit Ausschluß der Köge sich darstellt, ist im wesentlichen die Errungenschaft dieser Jahre. Noch am Schlusse derselben sehen wir König Christian IV. am Deich bei Brunsbüttel erscheinen und durch persönliches Angreifen den Deich fördern; 1620 ist sein gleichnamiger Sohn in Meldorf.
Aber noch einen andern Gewinn sicherte in diesen Jahren dem Lande der Eifer und die Hochherzigkeit des Landvogts Nicolaus Bruhn; er errang die Wiederherstellung der Meldorfer Gelehrtenschule. Im Kriege 1558 hatte sie Zweidrittel ihrer Fundationssumme durch einen großartigen Unterschleif verloren. „Hovetstoel und Besolding des Rectoris“, sagt Neocorus, „kam hen, dat weinich darvon wusten.“ So hatte sie mit zwei Lehrern, Conrector und Cantor – denn das Rectorat war bei der Eroberung gerade vacant – traurig fortvegetirt, als Bruhn [162] in diesen Jahren (leider kennen wir das Datum nicht genau) die Sache energisch angriff. Zunächst wußte er in seiner Familie Begeisterung dafür zu wecken, dann bei andern Begüterten des Landes, und eine Fundation (später auch ein Legat für Studirende, 1630) zum Theil durch eigne Schenkung zu gewinnen, von der wieder ein Rector angestellt werden konnte. Auch zwei Wohnungen für Rector und Conrector wurden damals gebaut, die erst 1862 in Privatbesitz übergegangen sind. Der erste neuangestellte Rector Wigbert Johannis erhielt 1624 in M. Hartwig Lange einen Nachfolger. Die Verwaltung des neuen Capitales der Schule ging allmählich an die Kirchenmahner über.
Es ist der Schluß der friedlichen Jahre; es kömmt nun eine Periode, wo Dithmarschen in die kriegerischen Bewegungen der Zeit hineingezogen wird und schwer unter denselben zu leiden hat; auf sie bezieht sich fast alles, was aus dieser Zeit überliefert ist. Freilich die Quellen beginnen jetzt sparsam zu fließen, Hans Dethlefs und Viethen ersetzen Neocorus und Schröder nicht; es gilt, nothdürftige Ueberlieferungen zu einem Ganzen zu vereinigen. Dazu kommt, daß der Krieg, der die Welt bewegt, und Dithmarschen mit, nicht hier seinen Mittelpunkt hat, sondern nur Ausläufer seiner Wogen brandend an unsere Ufer sendet. Die Ereignisse sind meist unvermittelt, des Landes Leiden ist ohne Einfluß auf das Ganze, und doch ist diese Zeit für die Landesgeschichte eine sehr bedeutende; aus den Trümmern, die der Krieg zurückläßt, erblüht das Leben, die Ausgestaltung der Landesverfassung und der Anfang der Zollfreiheit.
1618 war der schreckliche dreißigjährige Krieg ausgebrochen und berührte, wenn auch nicht direct das Land, doch seine Glaubensgenossen, die nächsten Anverwandten seiner Fürsten, bedrohte in seinen Folgen seine Interessen. Ohne Zweifel stand auch die Befestigung von Glückstadt an des Landes Grenzen in Beziehung auf denselben. Es kam hinzu, daß Christian IV. Kreisoberst des niedersächsischen Kreises war und schon dadurch zu unmittelbarem Eingreifen in denselben aufgefordert wurde. [163] Bewegte sich also der Krieg noch in Franken und der Pfalz, so fühlte man doch auch in Holstein, daß man gegen denselben nicht gleichgültig sein dürfe. 1621 hielt der König einen Landtag zu Segeberg, auf welchem auch seine Neffen, der vertriebene König von Böhmen und der Herzog von Holstein-Gottorp, erschienen, und der von vielen Königen und Fürsten beschickt ward: man beschloß, sich gegen das heranziehende Ungewitter zu waffnen. Der König begann Leute zu werben und auszuheben. Zu Anfang 1623 ward diese Mannschaft versammelt, durch Marquard Ranzau gemustert und in Dithmarschen einquartiert. 1625 rückte König Christian, als sich die kaiserlichen Truppen an den Grenzen des niedersächsischen Kreises sammelten, auch seinerseits ins Feld, musterte auf dem Krummstedter Vierth 9 Fahnen Fußvolk, wo auch der Landvogt Nicolaus Bruhn erschien und sehr gnädig aufgenommen ward. Dann sandte der König seine Truppen über die Elbe. Aber der Sturz mit dem Pferde zu Hameln am 10. Juli lähmte für längere Seit seine persönliche Thätigkeit und die unglückliche Schlacht bei Lutter am Barenberge bei Hildesheim entschied trotz aller persönlichen Tapferkeit des Königs und seiner Leute 1626 am 19. August den Feldzug. Der Abfall seiner Bundesgenossen, der Fürsten des niedersächsischen Kreises, welche nun eilten, ihren Frieden mit dem Kaiser zu machen, war die nächste Folge. Jetzt wurden die Herzogthümer selbst der Schauplatz des Krieges und die Rohheit der Soldateska jener Zeit machte das eigene Heer für den Bürger und Bauer zu einem Schreckniß, nicht viel geringer als der Feind. So sah sich Süderdithmarschen durch ein Reitercorps, das der König unter dem Rheingrafen hier in Quartier gelegt hatte, dergestalt geplündert und gedrückt, daß sich zu Meldorf Bürger und Bauern gegen sie bewaffneten. Aber freilich es sollte noch ganz anders kommen.
Im Sommer des nächsten Jahres (1627) nahte der Feind den Herzogtümern, nachdem der Kaiser vergebens gesucht hatte, die Hansestädte gegen den König zu bewaffnen. Aber selbst dessen Neffe, Herzog Friedrich III., sagte sich von ihm los und suchte durch Neutralität seinen Landen ein besseres Geschick zu bereiten, [164] was ihm freilich wenig half. Am 31. Juli ging Wallenstein bei Havelberg über die Elbe und am 31. August stießen Tilly und Herzog Georg von Lüneburg in Hamburg zu ihm. König Christian hatte gegen sie ein allgemeines Aufgebot erlassen, hielt bei Bramstedt eine Musterung über dasselbe und einige geworbene Truppen unter Graf Thun und Jürgen von Ahlefeld. Einige tausend Mann rückten nach Langenhorn und Ottensen vor, zerstreuten sich aber bei der ersten Annäherung der Kaiserlichen, doch warf sich Ahlefeld nach Crempe, um die Festung zu halten: Pinneberg, Elmshorn, Steinburg, Itzehoe, Wilster fielen sofort den Kaiserlichen in die Hände; Glückstadt, Crempe und Breitenburg hielten sich. Auf das letztere warf sich Wallensteins ganze Wuth und die Tapferkeit des braven schottischen Obersten Dunbar konnte es nicht halten; doch reizte der Widerstand den Grimm des Siegers, der die ganze Besatzung niedersäbeln ließ, den 29. September. Crempe und Glückstadt, wohin sich der König mit dem tapfern M. Ranzau geworfen hatte, widerstanden.
Nach der Einnahme von Breitenburg kamen auch Truppen durch die Wilstermarsch nach Dithmarschen. Ein Oberst Bodendikes setzte sich mit seinem Regiment (Colloredo) in Brunsbüttel fest, während das Regiment Altringer sich in Meldorf einquartierte. Bodendikes ließ dort eine Schanze aufwerfen, requirirte Bauern dazu und Wallenstein erschien persönlich, sie zu besichtigen. So blieb dem König nur der Wasserweg frei, auf dem er sich über Büsum, Schülp und Lunden und von dort nach Rendsburg begab. Die Fahrt war nicht ohne persönliche Gefahr: bei der Annäherung des Bootes fürchtete man den Feind, zündete die Feuersignale an und das Aufgebot von Weslingburen eilte mit so stürmischer Eile herbei, Jung und Alt, Mann und Weib, daß der König fast erstochen wäre ohne die Entschlossenheit der Christina Munk, die sich dazwischen warf mit dem Ruf: „Stich nicht, es ist der König von Dänemark.“ Dem König gefiel dieser kriegerische Eifer, mit welchem man gegen den vermeintlichen Feind ins Feld rückte, gar sehr und er äußerte, daß er Respekt bekommen habe vor den [165] Dithmarscher Frauen. Er eilte dann weiter nach Norden: Rendsburg ward bald nachher genommen.
Dithmarschen litt erschrecklich von dem roh und wüst hausenden Feinde und fühlte die Willkür und den Uebermuth und die Rechtlosigkeit bald noch bitterer als die materiellen Nachtheile. So zettelte sich von Meldorf aus in gänzlicher Verkennung der Verhältnisse ein Aufstand an, um den Feind aus dem Lande zu jagen. Die Rädelsführer wußten den Glauben zu erregen, daß es mit Vorwissen des Königs geschehe und von Glückstadt aus Hülfe zu hoffen sei. So ergriff man im März 1628 die Waffen und suchte die nichts ahnenden kaiserlichen Soldaten zu überraschen und zu erschlagen. Eine Schaar warf sich nach Eddelack und Friedrichshof und vernichtete das dort liegende Häuflein Militär; die andere zog nach Marne, zersprengte den dortigen Haufen, hielt sich aber da mit Plündern auf. So erreichte die Nachricht vom Aufstande die Schanze zu Brunsbüttel vor den Aufständischen, die dort leicht geschlagen und zerstreut wurden. Aber nun rückten die Kaiserlichen vor Meldorf mit der Drohung, es anzuzünden, wenn man nicht die geflüchteten Rädelsführer ausliefere; doch gelang es dem Landvogt Bruhn, durch Geld die Gefahr zu beschwören, und als bald darauf der Feind in größerer Zahl von Itzehoe anrückte, fand er bereits alles beruhigt. Die Lage des Landes freilich ward, auch abgesehen von den Verwüstungen, die den thörichten Aufstand begleiteten, natürlich viel schlimmer. Geplünderte Vorräthe, Vernichtung dessen, was von alter Zeit her lieb war, Mißhandlung von Weib und Kind waren jetzt an der Tagesordnung, der Soldat sah in dem Bauern nicht nur den Feind und den Ketzer, sondern auch den Rebellen, der auf Recht und Billigkeit keinen Anspruch, sondern vielmehr das Härteste verdient hätte. Brandschatzungen aller Art, Wegnahme der öffentlichen Kassen waren die natürliche Folge, welche die Phantasie nicht zu grell ausmalt. Im November 1628 fiel dann auch nach tapferer Gegenwehr Crempe, und Süderdithmarschen ward genöthigt, dem Kaiser zu huldigen. Das muthete man freilich Norderdithmarschen nicht, zu, dessen Fürst ja Neutralität [166] gesucht und erhalten hatte; aber von Einquartierungslast und dem willkürlichen Hausen der Generale litt er ebenso wie der Süden und blieb wie dieser besetzt. Der König bedrohte freilich zu Schiffe überall die Stellungen, verstärkte Glückstadt in seiner Gegenwehr, dessen Besatzung auf einem glücklichen Ausfall Wilster besetzte, das in ihren Händen blieb, aber gänzlich ausgeplündert wurde. Endlich gelang es, den Frieden zu Lübeck zu Stande zu bringen, den 12. Juni 1629. Darnach zogen die kaiserlichen Besatzungen ab, nicht ohne allerlei Insolenzen, wie es denn in Heide, wo sich die Abziehenden auf Bauerpferden beritten zu machen gedachten, beinahe zu einem ernstlichen Kampfe gekommen wäre.
Dieser Krieg war für Dithmarschen, abgesehen von den materiellen Verlusten, von gar wichtigen Folgen gewesen. Christian IV. verzieh es dem Herzog, seiner Schwester Sohn, nicht, daß er ihn in der Stunde der Noth verlassen und mit dem Kaiser Frieden geschlossen hatte: die feindselige Spannung blieb zwischen den beiden Linien und wirkt von hier an mächtig auf die verschiedene Gestaltung der einzelnen Verhältnisse ein. Süderdithmarschen strafte der König dafür, daß es dem Kaiser Treue gelobt hatte, mit einer außerordentlichen Steuer von 5000 Thalern.
Die Aufzeichnungen aus der Dithmarscher Geschichte werden für die nächsten Jahre sparsam und beschränken sich auf Witterungsberichte und dergleichen, und doch ist es eine hochwichtige Periode. Aber es giebt Ereignisse, deren Tragweite der Chronist nicht ermessen kann, Dinge, die er nicht für dauernd erachtet und zu erwähnen verschmäht und die gleichwohl durch ihre Wucht die Weltgeschichte bauen, und über deren Verlauf man am Schlusse vor allem Auskunft wünscht. Da bleibt denn freilich dem Geschichtsschreiber nichts übrig, als die überlieferten vereinzelten Thatsachen durch die nothwendigen Mittelglieder zu ergänzen und so ein Bild der vergangenen Thaten zu construiren.
Wie es in Dithmarschen aussah nach der wüsten Wirthschaft einer Soldateska, welche gekommen war in dem Glauben, zu [167] einem vollständigen Umsturz der Verhältnisse berufen zu sein, und die ohnehin, aus verwilderten Gesellen zusammengesetzt, meinte eine Rebellion rächen zu sollen, das kann man sich ungefähr denken. Bedeutungsvolle Streiflichter wirft ein Mandat des Herzogs Friedrich vom September 1627, das denen, die sich in andere Gegenden begeben haben, zurückzukehren befiehlt, denen, die fortzugehen beabsichtigen, vorstellt, wie es für streitliche Mannspersonen nicht ehrbar und billig sei, Freunde und Nachbarn, Haus und Hof zu verlassen, vielmehr bei Verlust von Leib, Hab und Gut befiehlt, den Pflug wieder in die Erde zu setzen und der bürgerlichen Nahrung, Handel und Wandel nachzugehen. Ob es viel Gehorsam gefunden hat, mag dahin stehen. Verbrannte Häuser und Dörfer, verwüstete und brachliegende Felder, das war es, was allenthalben dem Auge entgegentrat, der Viehstand vernichtet, der Handel gestört, die Einwohner zerstreut, erschlagen, demoralisirt, in Rohheit und Unsittlichkeit versunken. Dazu kam aber, daß, nachdem diese ganze Zeit über die herrschaftlichen Einkünfte decimirt, die öffentlichen Kassen hinweggeführt, den verschiedenen Branchen des Staatshaushaltes ihre Einkünfte jahrelang vorenthalten waren, die Forderungen des Landesherrn um so viel dringlicher wurden, als das Land unfähiger war zu zahlen. Die Finanzen waren bei den Gottorpern immer eine schwache Partie gewesen; und wären sie das auch nicht, mußte nicht der Herzog die äußerste Anstrengung von den Communen fordern, die während des Krieges gemachten Schulden abzutragen? Aber das war es nicht allein. Es liegt in der Natur der Dinge, daß Kriegslasten sich höchst ungleich über das Land vertheilen: die an der Heerstraße liegenden Ortschaften werden von Einquartierung, Brandschatzungen, Verwüstungen bis zur Vernichtung betroffen und zu Grunde gerichtet, wenn nicht am Schlusse ihnen wenigstens einigermaßen die Hand geboten wird: aber wie, wenn die Regierung bei den minder Geschädigten nur auf Proteste und Hinweisungen auf die eigenen Verluste stößt? Es ist sehr begreiflich, daß der Herzog jetzt Beitreibung der Restanten wie der durch Krieg und Kriegsunordnung verlorenen Cassen forderte [168] und daß das Land erwiderte, daß es unfähig sei zu zahlen, sein Wohlstand auf Jahrzehnte, vielleicht auf immer verloren. Es kommen schwere Zeiten vom Himmel; aber wenn sie da sind, muß der Einzelne aufbieten, was in ihm an Kraft ist; da heißt sich zurückziehen Verrath üben am Ganzen. So mögen vielfach die Landesgevollmächtigten zusammenberufen sein; aber bei aller Dringlichkeit der Forderungen stieß die Regierung im Lande auf fortwährende Proteste, daß man außer Stande sei zu zahlen. Die Landesgevollmächtigten erhielten nach Sedorf (Westphalen. Mon. ined. III, 1901) von den Kirchspielen gemessene Aufträge, nach denen sie zu stimmen hätten, gleichviel, ob es galt, dem Staat das Nothwendige zu leisten oder die Contributionen und Einquartierungslasten nach billiger Norm zu vertheilen. Eine Anstrengung der minder heimgesuchten Kirchspiele konnte die Unglücklichen retten, aber die Blindheit und Selbstsucht der Masse verblendete sich über die Pflicht. Die Verständigeren mußten einsehen, daß es so nicht gehen könne, aber woher sollte die Hülfe kommen?
Da schlug sich ein gewandter und entschiedener, wenn auch sonst moralisch nicht zu lobender Mann in’s Mittel, Johann Fehring, Kaufmann zu Weslingburen, Sohn eines Kirchspielvogts in Hennstedt. Er bezeichnete diese positiven Weigerungen als das, was sie waren, Unordnung und Zerrüttung, herstammend aus dem letzten Kriege, durch den das Land aus seinem alten Zustande gekommen, auch dem Herzoge nicht geworden sei, was ihm gebühre, und wies beiläufig auf die Kosten hin, welche das Land von diesen unablässigen Sendungen von Gevollmächtigten habe. Sein Rath war, neben der herrschaftlichen eine eigene Landescasse zu bilden, zu ihrer Verwaltung einen Landespfennigmeister anzustellen, die Versammlungen der ganzen Kirchspiele zu beseitigen, den Deputirten dagegen Beschlußfähigkeit beizulegen, von diesen Deputirten zwei, drei oder in kleinen Kirchspielen einen dem Kirchspielvogt an die Seite zu setzen, die Sachen im Plenum zu berathen und kirchspielsweise zu beschließen. Kurz von ihm stammt der Modus der Abstimmung, der in Norderdithmarschen bis auf die neueste [169] Zeit geblieben ist. Aber er ging noch einen Schritt weiter, den die Regierung nachher zurückthun mußte, er entzog den Kirchspielen die Wahl der Deputirten und brachte so sich und seine Freunde in das Collegium. Der Herzog ging auf den Gedanken ein und erließ am 21. September einen Befehl an den Landschreiber H. Sager[69], den Kirchspielen aufzugeben, die Unordnung abzuthun, aus jedem Kirchspiel zwei bis drei Männer zu designiren, um gemeinschaftlich mit dem Kirchspielvogt über die nothwendigen Landesausgaben zu beschließen. Die Ehre und Aussicht auf Einfluß und Macht blendete doch manchen, wie man auch Fehring beschuldigte, er habe das Ganze nur angelegt, um dem Kirchspielvogt gleichgestellt zu werden. Das Land im Ganzen genommen nahm die Sache, wie es mußte, und bis auf den heutigen Tag ist der Name Fehring und Fehringswerk im Munde des Dithmarschers ein Abscheu und Fluch, als des Mörders der Freiheit. Es wäre wunderbar, wenn das richtige Urtheil, daß vielmehr das Land durch Widersetzlichkeit, Trotz und Verkennung der durch die Umstände auferlegten Pflicht selbstmörderisch gegen seine Freiheit gewüthet habe, in jenen Tagen sich hätte Bahn brechen können. Auch hinderte Fehring das durch den schändlichen Mißbrauch, den er von seinem Einfluß machte. In Wahrheit aber ward Wohl und Wehe des Landes und Gelegenheit zur Pflege volksthümlicher Einrichtungen in die Hände einer Zahl einsichtsvoller Männer aus seiner eigenen Mitte gelegt. Am 29. October 1631 bestätigte der Herzog Fehrings Vorschlag und ergänzte 1637 am 7. Januar noch einmal das Landescollegium nach den durch den Tod entstandenen Lücken, verlieh ihm aber zugleich für die Zukunft das Recht der Selbstergänzung.[70]
So ging Norderdithmarschen voran; aber Süderdithmarschen folgte schnell nach, die Streitigkeiten des Landvogt Wasmer, der 1630 auf Bruhn gefolgt war, mit den Landesgevollmächtigten, [170] deren Hans Dethleffs gedenkt, zeigen uns, daß es sein Landschaftscollegium hat so gut wie der Norden, bestehend aus 23 Landesgevollmächtigten, 11 Kirchspielvögten und dem Landvogt. Den Gegenstand ihrer Geschäfte bezeichnet Sedorf als Berathung und Sorge für des Landes Wohl. Licht über sie und ihre Verhältnisse gibt uns der Erlaß über die Administrirung der Justiz in (Süder-)Dithmarschen vom 5. Januar 1642 (Corp. Const. II, 721), wobei schon das nicht zu übersehen, daß durch denselben die Verhältnisse der Landesgevollmächtigten neben denen des dithmarsischen Gerichts als ein integrirend damit verbundener Theil geordnet werden. Wir erkennen hier zunächst die Beziehung der Landesgevollmächtigten zu der Landeslade, in welcher die Papiere und Gelder des Landes verwahrt werden sollen. Von den fünf Schlüsseln derselben bleiben drei in den Händen der Landesgevollmächtigten, einen erhält der Landvogt, einen einer der Gerichtsherren. Einen Landespfennigmeister hat Süderdithmarschen noch nicht, die Verwaltung der Gelder ist zum Verdrusse der Landesgevollmächtigten in den Händen des Landschreibers, und die Regierung vermittelt, daß sie es gegen eine bestimmte Vergütung bis 1654 bleibe. Hier also stoßen wir auf unfertige Zustände, ein Zeichen, daß die Einrichtung noch neu ist. Zu beachten ist, daß kein Wort von Ernennung durch den König gesagt ist, keinerlei Hindeutung auf Curiatbeschlüsse. Beim Tod eines Kirchspielvogts sollen die Landesgevollmächtigten einstweilen stellvertretend fungiren. Dem Landvogt wird zur Pflicht gemacht, falls er Gelder aus der Landescasse habe brauchen müssen, vor den Deputatis der Landesgevollmächtigten Rechnung davon abzulegen. Später ward den letzteren 1702 der Vortritt vor den Advocaten, 1740 vor dem Rector zu Meldorf zuerkannt, auch die Bestimmung des Landgerichts, daß nicht Vater, Sohn und Schwiegersohn, sowie auch nicht Brüder im Collegium sitzen dürfen, auf sie ausgedehnt.
Und wie wir oben hervorgehoben haben, daß die Landesgevollmächtigten auch als Kirchspielsgevollmächtigte thätig seien, so wollen wir nicht unerwähnt lassen, daß dieser Erlaß [171] auch diese ihre Thätigkeit wenigstens theilweise ordnet. Artikel 32 spricht von einer Thätigkeit der Landesdeputirten bei Wahlen, Präsentationen und Vocationen von Predigern, Artikel 33 von ihrer Anwesenheit bei Visitationen. Artikel 28 erwähnt Klagen der Landesdeputirten über den Mangel von Kirchspielsschreibern; Artikel 31 eine gemeinschaftliche Relation von Landvogt, Landschreiber, Kirchspielvögten und Landesdeputirten über eine Deichordnung. Ihnen liegt die Anfertigung der Rollen der Landescompagnien und die Ordnung der Einquartierung ob; das erstere gewiß nicht im großen Ganzen, sondern in ihren Kirchspielen. 1646 wird die Art ihrer Wahl festgesetzt, indem allen Kirchspielen das Recht vindicirt wird, drei geeignete Persönlichkeiten zu präsentiren, also beschränkte Selbstergänzung in der Art, wie sie bis auf unsere Zeit geblieben ist.
Zu solcher Einrichtung hatte Fehring den Anstoß gegeben und wenn sie auch ihre Mängel hat, so verdient sie doch gewiß nicht den Haß, den er dadurch auf sein Haupt gerufen hat. Es mag dazu die Beseitigung der Kirchspielsversammlungen beigetragen haben, aber hauptsächlich rief er ihn auf sich herab durch die übermüthige Weise, wie er den Einfluß, den er dadurch am herzoglichen Hofe gewonnen, zur Befriedigung seiner Habsucht, seines Hochmuths und seiner Lust mißbrauchte und sich vollständig wie ein kleiner Despot benahm. Aecker und Häuser, so wie sie ihn gelüsteten, brachte er an sich, verdrängte die Besitzer aus ihrem Erbe, entlehnte von der Landescasse dazu das Geld, und der Pfennigmeister Hans Nanne wagte nicht, im Hinblick auf die Protection des Herzogs, ihm auch ohne Handschrift gefordertes Geld zu versagen. Trotzig und drohend trat er überall auf, und so groß war sein Einfluß, den er zehn Jahre lang bei Hofe behauptete, daß niemand wagte, ihm entgegenzutreten. Als er aber 1643 auch nach Kirchengut die Hand ausstreckte, fand er seinen Gegner, den Pastor Johannes Wendeler in Lunden, der die Sache in Schleswig anhängig machte und, als sie dort nicht die erwartete Wendung zu nehmen schien, in einem eigenen Kirchengebet Gott anrief, der Schinderei und Ungerechtigkeit ein Ende zu machen. Das machte Aufsehen [172] und riß dem Herzog Friedrich III. die Binde von den Augen. Fehring ward nach Gottorp berufen, um sich zu rechtfertigen. Siegesgewiß zog er hin; als er aber merkte, daß es wirklich eine Untersuchung gebe und daß man auf Rechenschaft dringe, entfloh er und flüchtete mit seinen Papieren und Kostbarkeiten nach Brunsbüttel, um über die Elbe zu gehen. Unterwegs aber glaubte er sich verrathen, warf Papiere und Kostbarkeiten über Bord und stürzte sich mit abgeschnittenem Hals in’s Wasser. Doch ward er aufgefischt und am Strande begraben: eine andere Erzählung ließ ihn nach Bremen entkommen und dort sterben. Das Land ernannte sofort Deputirte, um beim Herzog die Landesgevollmächtigten und den Landespfennigmeister Hans Nanne anzuklagen. Es ergab sich, daß Fehring sich aus den öffentlichen Kassen 6800 Thaler hatte auszahlen lassen, welche das Land zurückforderte. Der Herzog schützte den Pfennigmeister, wo derselbe darthun konnte, an Fehring ausgezahlt zu haben, erlaubte ihm selbst über Summen die Auszahlung eidlich zu erhärten. Er schützte auch Fehrings Wittwe und Kinder, die sich von Spottliedern und gedruckten und ungedruckten Spottschriften überall verfolgt sahen. Das war böser Thaten böser Lohn: aber das Land brach mit reiner Hand seines Grundgedankens Früchte.
Wir irren wohl kaum, wenn wir annehmen, daß eine der ersten Arbeiten, zu denen die Landesversammlung berufen wurde, in der damals versuchten und nach jahrelanger Arbeit zu Stande gebrachten Aussetzung bestand, d. h. Feststellung des Maßstabes, nach dem bei allgemeinen Landescontributionen die einzelnen Kirchspiele beizutragen haben. Die Vertheilung im Einzelnen blieb dann dem Kirchspiel. Das Feld der einzelnen Kirchspiele ist dazu in der Marsch bonitirt, auf der Geest wird von jedem eidliche Angabe des Ertrages verlangt. Haus und Vermögen, namentlich auch der Viehstand ist zu Protocoll gebracht und dann nach einem bestimmten Fuße zur Contribution herangezogen. In Süderdithmarschen war sie bereits 1630 versucht, aber nicht glücklich: mehrere Kirchspiele erklärten rund heraus darnach nicht steuern zu können und wiesen auf zahlreiche Concurse [173] hin. So ward denn im Anschluß an den süderdithmarsischen und Eiderstedter Modus 1638 eine zweite wesentlich modificirte Aussetzung versucht. Aber auch diese ward noch stark verändert und dann 1644 zum Gesetz erhoben. Auch so sind die Principien, nach denen in beiden Landschaften die Aussetzung geschah, nicht identisch: in Süderdithmarschen ist das Grundeigenthum allein ins Auge gefaßt, während in Norderdithmarschen die Aussetzung den Principien einer Vermögenssteuer folgt. Aber jedenfalls hat das landschaftliche Collegium dabei zunächst ein Wort mitgesprochen, wie das aus einer Entscheidung der Regierung in Gottorp gegen eine Klage der Landesgevollmächtigten hervorgeht, daß Propst und Geistlichkeit sich weigern, das Land, wovon sie ihre Amtseinkünfte bezögen, zur Aussetzung zu bringen.
In gleicher Weise haben wir ohne Zweifel die Landesversammlung thätig zu denken 1640, wenn auch nicht sie, sondern die gesammten Landeseingesessenen genannt werden. Es hatte das Jahr 1636 den beiden Landschaften zwei gemeinschaftliche Gesetze beider Fürsten (9. April und 25. September), welche dem Lande eine Auflage auf Einfuhr und Ausfuhr auferlegten, gebracht. Das erste besteuerte alle Luxusgegenstände, fremde Tuche, Gold- und Silberarbeiten, Posamentirwaaren, Perlen und Kleinodien, Weine und fremde Biere, die auch früher schon einem Licent waren unterworfen gewesen, das andere besonders die Ausfuhr von Vieh und Pferden, sowie Korn. Gegen dergleichen indirecte Steuern hatte aber Dithmarschen von jeher große Abneigung gehabt. So bemühte sich denn auch Norderdithmarschen diese Auflage abzuhandeln und es fand ein offenes Ohr in Schleswig. Gegen baare Zahlung von 40000 Thalern hob Herzog Friedrich für seinen Landestheil diesen Zoll auf, freilich gegen Vorbehalt einer Erneuerung, wenn nach acht Jahren diese 40000 Thaler zurückgezahlt würden, versprach ihnen auch, daß sie auf königlichem Gebiete nicht sollten zu Abstattung solcher Licenten, Accisen, Imposten angehalten werden. Auch in Eiderstedt soll ihnen der Handel nicht erschwert werden und nur der Zoll, wie er von 1636 [174] bestanden, erhoben werden. So bringt uns dieser Zeitraum auch die Anfänge der Dithmarscher Zollfreiheit. Aber auch hier finden wir verschiedene Verhältnisse in beiden Landschaften, wenigstens einstweilig.
Auch in Beziehung auf das geistliche Wesen fängt jetzt die Ordnung der beiden Landestheile an auseinanderzugehen. Während in Süderdithmarschen die alte Weise der Wahlberechtigung bei Predigerwahlen bleibt, nach welcher jeder Wähler ist, der eigne Haushaltung, eigen Feuer und Rauch hat, und 1655 von König Friedrich III. bestätigt und durch ein anderes Decret von 1678 rücksichtlich der Diaconate ihnen das Patronatrecht (Präsentationsrecht) erhalten bleibt, beschränkt in Norderdithmarschen ein Edict des Herzogs Friedrich III. vom Jahr 1624 das Wahlrecht auf einen engen Kreis. Es soll geübt werden von einem Deputirten jeder Bauerschaft in Verbindung mit dem Kirchspielvogt und den Kirchenbaumeistern. Auch das Präsentationsrecht ward etwas beschränkt, doch wie es scheint nur im Interesse einer würdigen den Partheiintriguen entzogenen Wahl. Der Rath des Superintendenten über die zu Präsentirenden[WS 8] wird betont, ohne maßgebend gemacht zu werden. Das Examen des zu Wählenden solle in der Kirche abgehalten werden und den Studirten in der Gemeinde der Zutritt ohne persönliches Eingreifen gestattet sein.
Wir dürfen aber hier nicht schweigen von einigen Erlassen, welche Streiflicher auf die Sitte der Zeit fallen lassen; dahin gehört, fast an das Komische streifend, ein Erlaß von 1638, aus dem wir erfahren, daß es Leute gab, welche sich Executionen, Pfändungen und Strafen aller Art zu entziehen suchten, indem sie große Hunde auf ihren Höfen hielten, den Stockmeister zu verscheuchen, ja sich erlaubten ihn mit Messer und Gewehr zu bedrohen, so daß es eines fürstlichen Mandats bedurfte, um diesem Unfuge ein Ende zu machen. Bedeutsam ist auch ein anderes Edict von 1641, das bei strenger Geldbuße in Gesellschaften das Messerziehen und blutigen Kampf verbietet, jeden Gegenwärtigen zur Angabe verpflichtet und den Kirchspielvogt mit Absetzung bedroht, wenn er versäumt gegen den Schuldigen [175] einzuschreiten. Man sieht, nicht ohne bleibenden Nachtheil hatte das Land sich von Faust und Sitte des Krieges berührt gesehen. Einen angenehmen Eindruck macht dagegen ein Befehl des Herzogs Friedrich III., der verbietet, die nicht überwiesene Hexe zu schimpfen, und mit Belehrung und Ermahnung vorzugehen sucht gegen Individuen (man nannte sie Böthen), welche zu allerhand guten Zwecken (Befreiung der Kühe vom Einfluß böser Geister) das Zaubern als ein halbes Handwerk trieben. Beachtenswerth ist auch der Beschluß in Heide 1629, den Platz, den Heinrich von Zütphen durch seinen Märtyrertod geweiht hatte, den jetzigen Kirchhof von Heide, bis dahin Richtplatz, hinfort von solchem blutigen Werk fernzuhalten.
Es erübrigt darnach nur noch in diesen Jahren des Kampfes mit den Elementen zu gedenken. Da stoßen wir zunächst im November 1634 auf einen entsetzlichen Sturm und Wasserfluth, welche die Deiche vom Belt bis tief ins Land, soweit die Fluth in die Elbe reichte, zerstörte und schreckliche Verwüstungen[WS 9] anrichtete. In Dithmarschen raubte sie 383 Menschen das Leben vernichtete 133 Häuser und ersäufte viele tausend Stück Vieh. 409 Morgen mit Winterkorn bestellt, wurden zu Grunde gerichtet. Und kaum hatte man sich von dem ersten Schreck erholt, als nach vier Wochen das Unglück sich wiederholte. Der Deich war, zumal in Norderdithmarschen, welches viel härter betroffen ward, viele Ruthen weit weggespült[WS 10], eine Menge von Welen, zum Theil von großem Umfang, gerissen und noch im Jahr 1634 war der Deich nicht wieder hergestellt. In Süderdithmarschen erschien König Christian IV. persönlich mit seinem Kanzler Detlef Rewentlow und Christian Ranzau, die Größe des Schadens zu besichtigen und den Muth zur Herstellung desselben anzuregen. Er fuhr längs des ganzen Deiches und kehrte nach der Tafel in Meldorf nach Glückstadt zurück. Frucht dieser Besichtigung war ohne Zweifel die Deichordnung über die Verhältnisse der königlichen und fürstlichen Unterthanen im Kirchspiel Wörden, sowie die Allgemeine Deichordnung für Süderdithmarschen von 1643. – Das Jahr 1635 suchte das Land heim mit einem grausig strengen Winter, der 12 Wochen [176] anhielt und die Elbe bis Brockdorf und St. Margarethen mit Eis bedeckte, so daß schwedische Reiter aus dem bremischen Gebiete über das Eis herüber kamen, hier im Lande des Friedens zu plündern und zu marodiren.
So waren also diese Jahre partiellen Friedens für Dithmarschen höchst bedeutsam; aber wo Deutschland an allen Enden von den Flammen des schrecklichsten Krieges wiederleuchtete, konnte ein solcher Friede nur ein zeitweiliger sein. Deutschland schien aus den Fugen weichen zu wollen: immer neue Phasen des Krieges stiegen empor, und immer die eine noch schrecklicher als die andere. Wie ganz anders sah es aus zwei Jahre nach Abschluß des Lübecker Friedens, als die Flammen von Magdeburg wie eine düstere Brandfackel emporstiegen, wie anders zwei Jahre später, als Gustav Adolf seine Heldenlaufbahn beschlossen hatte, und wieder zwei Jahre später, nach der Schlacht bei Nördlingen. So konnte auch hier trotz des abgeschlossenen Friedens kein Friede sein, Fürsten und Land sich dem Gefühl nicht entziehen, nur augenblicklich außer dem Bereich des Krieges zu sein. Die ersteren sahen sich zu neuer Aushebung von Truppen genöthigt, anfangs wenige, doch wurden ihrer bald mehr. Auch in beiden Dithmarschen wurden Truppen ausgehoben, und die Zeichen und Erscheinungen, welche Jedermann bald hier bald dort wahrnahm und von denen alle Chronisten voll sind, zeigen, in welchen Erwartungen und Bildern das Volk lebte: es sagte allen eine Ahnung, daß auch diesen Landen noch Schlimmes bevorstehe. Als der fortdauernde Krieg sich 1638 wieder des Landes Grenzen näherte und sich nach Mecklenburg versetzte, wohin Graf Gallas die kaiserliche Armee geführt hatte, da galt es, das Land zu decken, und der König vereinigte 13 Regimenter zu Fuß und musterte die in Holstein und Dithmarschen ausgehobenen bei Itzehoe. Es zeigt sich kriegerischer Eifer in Dithmarschen, ein Fähnlein Freiwilliger von 370 Mann stößt zum königlichen Heer und deckt mit ihm bei Oldesloe das Land. Das hatte nachher Einquartierungen zur Folge, die nicht allemal willkommen waren, denn der lange Krieg hatte den Krieger roh und wild gemacht. Als die erste Einquartierung [177] nach Glückstadt gegangen war, trat eine andere an ihre Stelle. 1641 hielt der König abermals bei Itzehoe eine Musterung, indem ein eigenthümlicher Krieg vor der Thür zu stehen schien. Hamburg sah sich durch Anlegung der Festung Glückstadt bedroht; dazu trachtete der König dort einen Schiffszoll zu errichten, was allerdings der Stadt nicht gleichgültig sein konnte. Ursprünglich holsteinische Stadt, die noch 1603 die Huldigung geleistet hatte, trachtete Hamburg mehr und mehr nach Selbständigkeit, wozu die Unterhandlungen des Kaisers vor dem letzten Kriege vielleicht nicht unwesentlich beigetragen, in welchem es eine immerhin einigermaßen zweideutige Rolle gespielt hatte. Jetzt suchte die Stadt am kaiserlichen Hofe ihren Einfluß geltend zu machen, und man war dort sehr geneigt, sich ihrer anzunehmen. Aber der König war entschlossen, seine neue Gründung Glückstadt in jeder Weise aufrecht zu erhalten. Zum Waffengange bereit, sammelte er eine Flotte in der Elbe, um zunächst durch Lahmlegung von Hamburgs Handel der Stadt seine Macht zu zeigen, sodann mit Waffengewalt es zu Paaren zu treiben. Der Kaiser war anderweitig engagirt, und durch bloße kaiserliche Edicte gegen den Willen des Königs nichts zu erreichen. So entschloß sich denn die Stadt, versöhnliche Schritte zu thun und, auf günstigere Zeiten harrend, augenblicklich durch erhebliche Geldopfer und Versprechungen den König zu versöhnen; der König dagegen verzichtete auf den Zoll, und so ward Pfingsten 1643 der Vertrag geschlossen. Nachdem so die Gefahr beseitigt schien, drangen die holsteinischen Stände auf Entlassung des Heeres und der König willfahrte ihnen, nicht ahnend, wie bald er dessen bedürfen werde. Die Friedensverhandlungen, die man seit Jahren sich bemüht hatte in Gang zu bringen, und an denen sich der König eifrig betheiligte, schleuderten unerwartet die Kriegsfackel ins Land.
Schon mehrere Jahre unterhandelte man, dem schrecklichen Kriege, der nun drittehalb Jahrzehnte Deutschlands Gebiet verwüstete, ein Ziel zu setzen, aber die Entschädigungsansprüche, welche die fremden Völker, die sich nacheinander hineingemischt hatten, erhoben, bildeten erhebliche Schwierigkeiten. Schweden [178] wünschte eine Entschädigung an deutschem Land und Leuten, König Christian aber wünschte den nordischen Nachbar nicht auch im Süden an den Grenzen seines Reiches zu sehen. So ward er, einst Vorkämpfer der Protestanten, durch die Macht der Verhältnisse, zu einem principiellen Gegner der protestantischen Schutzmacht, zu einem Partheigänger des Kaisers, den er einst bekämpft hatte. Schweden empfand diese Bekämpfung seiner Interessen auf das bitterste, und Dänemark sah sich plötzlich im Krieg mit Schweden, selbst ehe derselbe noch einmal angekündigt war. Im Anfang des December 1643 fiel der gewaltige Feldherr dieser Macht, Leonhard Torstensohn, in Holstein ein, durchzog Schleswig und nahm in Jütland seine Winterquartiere. Da ergriff Alles ein unermeßlicher Schrecken, die Bewohner flüchteten nach allen Seiten und, so wie nichts zum Widerstand gerüstet war, fielen alle festen Schlösser und Punkte in Feindes Hand: Pinneberg, Itzehoe, Rendsburg. Auch Hanerau ward besetzt, nur Glückstadt und Crempe, letzteres unter dem tapfern Commandanten Steinwerden, widerstanden. So lag Süderdithmarschen zwischen zwei festen Plätzen beider Nationen mitten inne, der Schauplatz der beiderseitigen Streifzüge, von tausendfachen Kriegsleiden heimgesucht. Im ersten Augenblick suchte ein dänischer Oberst Boye Brodersen, Dithmarscher von Geburt, mit 200 Mann die Grenze der Heimath zu decken, und hatte sich deshalb bei Grünenthal gelagert. Aber bald erkannte er das Unhaltbare seiner Stellung; doch als er sich weiter zurückziehen wollte, überfielen von Hanerau aus schwedische Reiter unter Oberst Mortaigne die nicht in bester Ordnung Abziehenden. Brodersen fiel mit 27 Mann, der Rest ward gefangen genommen, das Land bis Meldorf besetzt, der Ort bedroht und mußte sich durch große Lieferungen von weiteren Feindseligkeiten loskaufen. Der Landvogt Wasmer war eben gestorben und erst im nächsten Jahre langte sein Nachfolger Nicolaus Bruhn der Jüngere daselbst an. In Norderdithmarschen folgte zugleich auf J. Vieth der Dr. Johannes Boye als Landvogt. Der schwedische Oberst Lohusen befestigte Hanerau und hoffte so das Land zu beherrschen, um soviel mehr, als die Schweden auch durch die Wilstermarsch [179] die Bahn nach Dithmarschen gefunden hatten. Aber sofort mit dem neuen Jahr 1644 erschienen von Glückstadt und Crempe aus königliche Truppen, die schon bei Itzehoe den Schweden eine Schlappe beigebracht hatten, drangen bis Meldorf und führten die dort liegenden Schweden 40–50 Mann gefangen mit sich nach Glückstadt. Lohusen versuchte noch einmal die Marsch im Zaume zu halten, zog mit 250 Mann Cavallerie über Meldorf nach Marne und Brunsbüttel und so zurück über Eddelack. Aber seine Leute ermüdeten in den entsetzlichen Wegen. Ueber Friedrichshof, Windbergen und Eckstedt erreichte er zwar selbst glücklich wieder Hanerau; aber seine Mannschaft blieb bis zum Tode ermüdet in Gockels liegen, dort aber ward sie von dem Commandanten von Crempe, Steinwerden, der ihr auf andern Wegen zuvorgekommen war, abgeschnitten und zusammengehauen.
Am 22. März machte man königlicherseits den Versuch, das Land dauernd zu besetzen. Der Oberst Bauer erschien zu Brunsbüttel, besichtigte dort die Schanzen und Wege und legte dann ein Regiment unter Claus von Ahlefeld nach Meldorf. Aber das Land befand sich unter diesen seinen Beschützern nicht besser als unter seinen Feinden: der Gelderpressungen, Mißhandlungen und Insolenzen war kein Ende. Nach einem Monat machten die Schweden einen Ausfall aus Hanerau, drangen bis hart vor Meldorf, brannten Nindorf nieder und plünderten auf dem Rückzuge Tensbüttel, Röst und Albersdorf aus. Aber bei Todtenbüttel griff sie der dänische Obristlieutenant Becker an, zwang sie zu stehen und nöthigte die Infanterie, soweit sie nicht gefallen war, das Gewehr zu strecken.
Mit dem Sommer aber schien der kleine Krieg sein Ende nehmen zu wollen. Freilich Prinz Friedrich, später König Friedrich III., der das Obercommando des dänischen Heeres übernahm, benutzte dasselbe zunächst nur, um mit einem Theile über die Elbe zu gehen und aus seinem Erzbisthum Bremen die Schweden zu verjagen; aber König Christian schlug auf der Colberger Heide bei Femern die schwedische Flotte, die sich mit Torstensohn hatte in Verbindung setzen sollen, und zwang sie, [180] im Kieler Hafen eine Zuflucht zu suchen. Jetzt faßte man die Hoffnung, Torstensohn in Jütland abzuschneiden; die königlichen Truppen, wohlgerüstet, Fußvolk und Reiter, wurden zusammengezogen und vereinigten sich mit dem kaiserlichen General Gallas, der mit 25 Regimentern herbeikam und in Kiel sein Hauptquartier nahm. Die Heißsporne beider Heere träumten schon von der Vernichtungsschlacht, die auf unsern Feldern dem dreißigjährigen Kriege ein Ende machen sollte. Aber Torstensohn sammelte Ende Juli seine Truppen auf der Kropper Heide, räumte Rendsburg und zog über Neumünster und Lauenburg in stolzer Ruhe an dem feindlichen Heere vorüber. Gallas, der den alten Schlachtenmeister kannte, blieb zum höchsten Verdruß seiner Officiere unbeweglich in seinen Stellungen und wagte nicht, ihm die Spitze zu bieten. Zwar schickte er sich nun sofort an, ebenfalls über Ratzeburg und Boitzenburg das Land zu räumen, aber damit war dasselbe seiner Leiden nicht erledigt. Nach vollbrachtem Elbübergang sandte Torstensohn den General Helmuth Wrangel zurück, besonders um in Jütland zu halten, was noch an festen Plätzen in den Händen der Schweden war. Er befreite das bereits von den Dänen bedrängte Schloß Pinneberg und zog dann, weniger glücklich, bei Breitenburg vorbei, wo ihm der tapfere Steinwerden muthig die Zähne wies; darnach über Hadersleben nach Randers und Ripen, wo er sich verschanzte. Prinz Friedrich folgte ihm, erstürmte Ripen, wobei Steinwerden fiel, was die Niedermetzelung der Besatzung zur Folge hatte. Aber das Hauptlager Wrangels zu Randers wagte der Prinz nicht anzugreifen.
So hatte Helmuth Wrangel seinen Auftrag, Jütland zu halten, vollzogen; nun aber suchte er auch von Holstein zurückzugewinnen, was möglich war, um seine Abschneidung im Lande zu verhüten. Im Februar erschien Prinz Friedrich in Dithmarschen und seine Truppen erlaubten sich Bedrückungen, daß der ärgste Feind es nicht schlimmer hätte machen können. Aber auch Wrangel erschien und schlug bei Elmshorn den dänischen General Bauer auf’s Haupt, sicherte sich die Wege und zersprengte, was an königlichen Truppen in der Nähe war. Nun [181] kam Dithmarschen, d. h. im wesentlichen Süderdithmarschen, ins Gedränge, denn der Norden ward geschont, wo nicht glänzende Beute allzu verführerisch lockte. Wrangel verlegte sein Hauptquartier dahin und sog das Land durch Requisitionen und Brandschatzungen in grauenhafter Weise aus. Nicht Weib, nicht Kind, nicht Prediger noch Kirche fand Schutz vor der vandalischen Brutalität und der viehischen Rohheit der Soldaten. Da kamen die Elemente durch ihre Schrecken dem Lande in etwas zu Hülfe: ein furchtbarer Sturm, der in der Nacht vom 10. auf den 11. März wüthete, erfüllte die in der Marsch einquartierte Reiterei (nur Barlt und Busenwurth hatten sich Sicherheitswachen erkauft) mit der Furcht, daß die Deiche brechen und sie allesammt Kinder des Todes sein möchten; sie drangen auf Verlegung aufs trockene Land, doch dauerte es noch vierzehn Tage, ehe ihr Verlangen erfüllt ward. In diesen Tagen überfielen sie Büsum, wohin man als einen sichern, von der Heerstraße entfernten Ort im neutralen Lande weit und breit seine Habe geflüchtet hatte, und plünderten es rein aus. Nur drei Tage fühlte Norderdithmarschen die Geisel des Krieges, in diesen aber freilich auch gründlich. Endlich am 24. März ließ sich Wrangel bestimmen, Meldorf und Süderdithmarschen zu räumen, um sich auf Rendsburg zu werfen und dies den Dänen zu entreißen; aber der Krieg kam leider sogleich von einer andern Seite zurück und warf sich dießmal wesentlich auf Norderdithmarschen. Ein königlicher Oberst Buchwald nahm dort Quartier. Zwar zog er nach kurzer Zeit über die Eider, um Rendsburg zu stärken; aber sofort erschien der schwedische Oberst Bodicker, faßte in Stelle und Weddingstedt Posto, um Buchwald auf dem Rückwege anzugreifen. Als derselbe über Fedderingen zurückkam, zersprengte er sein Corps, nahm ihn selber gefangen und quälte sieben Wochen lang das Land durch entsetzliche Requisitionen und Bedrückungen, bis endlich die Nachricht von dem am 13. August zu Brömsebroe 1645 abgeschlossenen Frieden die Erlösung brachte. Auch so quälten noch die abziehenden schwedischen Truppen das Land durch Raubsucht und muthwillige Vernichtung des eben reifenden Getreides. [182] Endlich konnte am 8. October das allgemeine Friedensfest gefeiert werden. Freilich dauerte es noch fast ein volles Jahr, ehe das Land auch von der Einquartierung seiner eigenen Truppen, und die waren auch schlimm genug, befreit ward.
König Christian IV. überlebte diesen Friedensschluß noch drittehalb Jahre, in denen er den Kummer hatte, seinen ältesten Sohn Christian vorzeitig ins Grab sinken zu sehen. Trotz der Leiden, die das Land unter ihm erlitten hatte, legt der Chronist Hans Dethlefs aus Windbergen ihm dankbar den Kranz auf das Grab, gewiß ein Nachklang der Gesinnung des Volkes gegen ihn. Er starb zu Kopenhagen den 28. Februar 1648, nach einer Herrschaft von mehr als 51 Jahren, 71 Jahre alt. Das Ende des schrecklichen Krieges, in den er zweimal eingegriffen hatte, durch den Friedensschluß am 24. October, sah er also nicht. Sein Mitregent Herzog Friedrich überlebte ihn noch eilf Jahre bis 1659 den 10. August. Die gemeinschaftlichen Kriegesleiden sind die letzten Züge der gemeinschaftlichen Geschichte Dithmarschens. Es wird nun in den Hader der beiden herrschenden Linien hineingezogen; die beiden Theile verfeinden sich in Anhänglichkeit jeder an seinen Fürsten, zum Theil in stolzer, unwilliger Haltung, bis 1773, das Ende der Doppelherrschaft, wieder Friede und Freundschaft bringt, freilich nicht ohne mannigfaltige Spuren der langen Trennung zurückzulassen.
Es ist hier unerläßlich, hinzuweisen auf die Schriften, welche, seit Dahlmann die obige Vorlesung hielt, über die dithmarsische Geschichte oder einzelne Theile derselben erschienen sind, und für Manches ganz neue Geschichtspunkte eröffnet haben. Da ist zuerst zu erwähnen:
A. J. L. Michelsen (damals Professor der Geschichte zu Kiel, jetzt Geheimrath in Schleswig): Das alte Dithmarschen in seinem Verhältniß zum bremischen Erzstift. Schleswig 1829. 115 Seiten 8°.
J. Hanßen und H. Wolf: Chronik des Landes Dithmarschen. Hamburg 1838. 8°. Bedeutend durch seine statistischen Nachrichten, in der Geschichte der älteren Zeit Dahlmanns Spuren folgend, recensirt von Michelsen im Kieler Correspondenzblatt.
Eine Reihe von Aufsätzen der Dithmarscher Zeitung, besonders in den Jahren 1832 und 1833, über Bodengestaltung, Wege und Deiche Süderdithmarschens, sowie die Meentverfassung (meist aus der Feder des Herrn Conferenzrath Lempfert).
[184]
A. J. L. Michelsen: Urkundenbuch zur Geschichte des Landes Dithmarschen, gesammelt Namens der Schleswig-Holstein-Lauenburgischen Gesellschaft für vaterländische Geschichte, mit einer Wappentafel. Altona 1834. 4°. Eine reiche, über vieles recht eigentlich erst Licht verbreitende Sammlung.
J. M. Lappenberg: Hamburgisches Urkundenbuch 1842. Sehr reich für die dithmarsische Geschichte.
Michelsen und Asmussen: Archiv für die Staats- und Kirchengeschichte Schleswig-Holsteins und Lauenburgs. Bd. III (1837), S. 339–372. Bericht eines Augenzeugen über die Eroberung Dithmarschens. S. 379–383. Auszüge aus den ältesten, auf Pergament geschriebenen Kirchenbüchern von Tellingstedt in Norderdithmarschen.
Michelsen: Ueber die vormalige Landesvertretung in Schleswig-Holstein, mit besonderer Rücksicht auf die Aemter und Landschaften. Mit Urkunden. Hamburg 1831.
Michelsen: Mittheilungen von Urkunden aus der alten Lübschen Stadt-Chronik zur dithmarsischen Geschichte. – Staatsbürgerliches Magazin X, S. 800–803.
Michelsen: Sammlung altdithmarsischer Rechtsquellen. Altona 1842. 8°. Ausgabe des alten dithmarsischen Landrechts und Lundener Stadtrechts.
Wislicenus: Geschichte von Dithmarschen. Altona 1850.
W. Volkmar: Geschichte des Landes Dithmarschen. Braunschweig 1850.
W. H. Kolster: Ueber die Burgen, Hammen und Döffte des alten Dithmarschen. 2 Schulprogramme. Meldorf 1852 und 1853; wieder abgedruckt in der dithmarsischen Zeitung 1855.
In den Jahrbüchern für die Landeskunde der Herzogthümer Schleswig-Holstein und Lauenburg.
K. W. Nitzsch: Die Geschichte der dithmarsischen Geschlechtsverfassung. Bd. III, Heft 1.
W. H. Kolster: Ueber die Klöster des alten Dithmarschen. Bd. III. 1860.
[185]
R. Brinkmann: O. A. R. Wiebe Peters, ein berüchtigter Landsfeind. Bd. III, Heft 1. 1860.
A. J. L. Michelsen: Nachträge zum Dithmarscher Urkundenbuch (über das Kloster zu Meldorf). Bd. IX.
Ferner:
K. W. Nitzsch: Das alte Dithmarschen. Vortrag. Kiel 1862.
G. Dehio: Hartwig von Stade. Bremen 1872.
Nicht zu übersehen sind auch die einschlagenden Stellen von G. Waitz: Schleswig-Holsteinische Geschichte. Göttingen 1851 und eine Reihe von Aufsätzen in den Schleswig-Holsteinischen Provinzialberichten 1811–1831:
Falk: Staatsbürgerliches Magazin. 1821–1830.
Falk: Neues Staatsbürgerliches Magazin 1821–1841.
Falk: Archiv für Geschichte, Statistik u. s. w. der Herzogthümer. 1842–1847.
Michelsen und Asmussen: Archiv für Staats- und Kirchengeschichte. 1833–1843.
Nordalbingische Studien. Kiel 1844–1848.
Es wird hier willkommen sein, das Wort eines der ersten Kenner des Altdeutschen, des Herrn Professor Müllenhoff in Berlin, über diesen Punkt zu vernehmen.
Die älteste Form und Erwähnung ist bekanntlich vom Jahr 782, in Ansgars Vita Willehadi M. G. 2, 382: Thiatmaresgaho, womit Adams von Bremen 2, 15 (c. 1075) Thêdmargôi, der Leute Name, wesentlich stimmt. Wir finden aber auch noch, daß das Land im Mittelhochdeutschen Dietmers oder Dietmars heißt. Mit den Friesen u. s. w. wird Dietmers in der Kudrun 208, 2 zu Hetels Reich gerechnet. In dem Gedicht
[186] von Dietrichs Flucht 8657 wird unter König oder Kaiser Ermenrichs Helden von Dietmarse Môrunc, der manheite ein ursprunc, aufgezählt; ich meine auch, daß bei dem steirischen Chronisten Ottacker der Name (neben den Friesen) vorkommt, und noch Luther, Heinrich von Zütphen, sagte Dietmers. Es kann daher Thiatmaresgaho nicht eine genitivische Composition sein, wornach man einen Nominativ Thiatmari -meri, mittelhochdeutsch Dietmer, annehmen müßte. Eine solche genitivische Composition ist überhaupt ehedem unmöglich, da -mares, -mers (mit kurzem umlautenden a) mit mari, meri, mittelhochdeutsch mer, mare, zusammenhängen muß, wenn wir auch heute „Meersgau“ bilden würden. Ich muß aber die Form Thiatmares, Dietmers als räthselhaft dahingestellt sein lassen; gewiß ist nur, daß wir in Thiatmaresgaho eine eigentliche, nicht uneigentliche, genitivische, Composition vor uns haben. Wie in Emisgô, Filiwisgô, statt Emisagô, Emsgau u. s. w. könnte man wie ein altes Femininum marisa = Marsch (vergleiche französisch marais, italienisch marese), Thiatmarisa also palus publica denken; aber dann würde es mittelhochdeutsch noch Dietmers heißen, wie Emse statt Ems. Wir müssen also die Form dahingestellt sein lassen. Die Bedeutung aber ist deutlich und zweifellos in pago Thietmaresca, in der Urkunde bei Michelsen von 1059, Urkundenbuch No. I, und in dem Volksnamen de Ditmerschen; es ist die palus oder terra marisca publica, oder die große Marsch, wie im Altsächsischen oft thiod (Volk), wie Schmeller (Heliand, S. 114b) sagt und nachweist, „variis vocabulis plerumque ad augendam vel extollendam eorum significationem praeponitur“. Die Leute sind natürlich nach dem Lande benannt. Marsch ist ein altes Wort, schon angelsächsisch mersc, aber ein Masculinum, und Meer, althochdeutsch, altsächsisch meri, ist nicht eigentlich θάλαττα, πόντος, sondern stehendes Wasser, im Gegensatz zum Fluß und Strom, wie noch in Steinhuder, Haarlemer Meer u. s. w. –
Also nicht speciell die Marsch hat Dithmarschen den Namen gegeben; umgekehrt, Dithmarschen hat existirt und mit kleiner Modification [187] Dithmarschen geheißen, ehe die Marsch da war. Schon Neocorus verwahrt sich entschieden gegen den Gedanken, daß Dithmarschen von ihr seinen Namen habe, Thl. I, S. 82, weil der ganze Osten Geest, d. h. sandiges, holziges Land und Heide sei, sodann weil lange, ehe die Marsch hinzugeschlagen, die hohen Oerter des Landes seien bewohnt gewesen, und die Bevölkerung sich von da nach der Marsch, von Wesseln nach Weslingburen, von Albersdorf, Heide und Rickelshof nach Walkenhusen und Wörden (das Geschlecht der Wollersen); von Tellingstedt nach Nienkrog, von Bracken im Kirchspiel Hemmingstedt nach Hogenwörden und Averwisch; von Windbergen (die Vogdemannen) nach Weslingburen – und setzen wir hinzu von Olden-Erpe nach Elpersbüttel – hingezogen sei. Ohne Zweifel sind es Familientraditionen, auf welche hier der Chronist fußt; es wird sich aber später herausstellen, daß in Dithmarschen von einer Eindeichung, d. h. von einer eigentlichen Marsch, erst um oder kurz vor 1200 die Rede sein kann.
Fragen wir aber, woher der Name die große Marsch oder nach dem heutigen Sprachgebrauche das große Moor, die große Niederung, stamme, so antwortet darauf mit lauter Stimme die Specialkarte. Landete von jenseits der Elbe der Kahn etwa am hohen Moor bei Oestermoor, so hatte er vor sich eine zusammenhängende Niederung von über drei Meilen Länge bis Schafstedt, die an ihrem Eingang zwischen Kuden und der Wilstermarsch (auch altem Moorboden) 2/3 Meilen in der Breite maß, dann bei Burg sich auf 7000 Fuß verengte, bei Hochdonn wieder 9400 Fuß Breite gewann, dann bei Eggstedt zusammengeschnürt sich einigermaßen zuspitzte, eine Niederung 2780 Morgen oder etwa 7/8 Quadratmeilen.
Betrat der Reisende dann bei Friedrichshof den festen Boden und richtete sich, an Hopen und Westorf vorbeigehend, gegen Nordwesten, so stieß er nach einem Marsch von noch nicht 112 Meilen abermals auf eine große Niederung, die des Windberger Sees, der jetzt ein Tüpfel ist, aber einst von Ost nach West zwischen Jägersburg und Südhastedt 114 Meilen breit, [188] von Süd nach Nord, von Wolfenbüttel bis Wolmersdorf 12800 Fuß lang war, fast viereckig, außer daß bei Krumstedt ein Vorsprung der Geest hineinragt, im Ganzen 1760 Morgen weit, über eine halbe Quadratmeile groß.
Geht man dann von Wolmersdorf bis zum Nindorfer Holze, etwa 4000 Ellen, so steht man an der Niederung des Fieler Sees, von Süden nach Norden 112 Meilen lang, bei Sarzbüttel etwa 16000 Fuß breit, zwischen Hemmingstedt und Odderade fast eine Meile, und in dieser Breite bis an den Höhenrücken hinanreichend, auf dem Heide liegt, der das Thal der Brocklandau und Tielerau in Norderdithmarschen von dem des Fielersees trennt, 3080 Morgen, d. h. fast eine Quadratmeile groß, das sind mit Einschluß des Offenbütteler Moors an der Geiselau = 8500 Morgen Niederungen. Nimmt man an, daß von den 12 Quadratmeilen Süderdithmarschens die Marsch jetzt etwa die Hälfte ausmacht, bei der alten Benennung des Landes also nicht in Betracht kommt, so ist von dem übrig bleibenden Theil etwa die Hälfte eine in großen Massen vertheilte Niederung.
Von Norderdithmarschen läßt sich das nicht so klar darlegen; aber auch hier schließen die drei Niederungen der Eider, Brocklands und Tielenau eine Geest von mäßiger Größe ein. Nach dem Gesagten aber, dächt’ ich, kann der Name großes Moor, große Niederung, der ganzen Provinz gegeben, sicher Niemand mehr in Verwunderung setzen.
Die Stelle der Naturgeschichte des Plinius XVI, 1 ist für die Dithmarscher Geschichte von so großer Wichtigkeit, schildert die Urzustände unserer Marsch so genau, daß es sich wohl der Mühe verlohnt, sie in Uebersetzung ganz hierher zu setzen.
[189] „Nach Norden bekamen wir auch der Chauken Völkerschaften zu sehen. Dort setzt sich in endloser Ausdehnung der Ocean in Bewegung, den ewigen Streit der Natur in seinem Schooße bergend, und man zweifelt, ob man auf dem Lande ist oder auf Meeresboden. Da wohnen denn die bedauernswerthen Menschen auf hohen Erdhügeln oder vielmehr von Menschenhand bis zur Höhe der höchsten Fluth aufgethürmten Dämmen (Wurthen), auf die sie dann ihre Hütten gesetzt haben, wenn das Wasser alles bedeckt, Schiffenden ähnlich, wenn es gewichen ist, Schiffbrüchigen, und machen um ihre Kathen her Jagd auf die mit der Meeresfluth flüchtenden Fische. Ein Stück Vieh zu haben, sich von Milch zu nähren wie ihre Nachbarn, ja mit Thieren zu kämpfen, das Glück wird ihnen nicht zu Theil, denn da ist jeglicher Strauch verbannt. Von Schilf und Moorbinsen flechten sie Stricke, um Netze für den Fang der Fische zu wirken, und mit den Händen aufgefangenen Schlamm mehr am Wind als an der Sonne trocknend, kochen sie mit Erde ihre Speisen und wärmen den vom Nordwind starrenden Magen. Zu trinken haben sie nichts als im Vorhof in Gruben aufgefangenes Regenwasser. Und solch ein Volk mag noch, wenn es heut von den Römern besiegt wird, von Knechtschaft sprechen! Jawohl, es giebt Völker, die das Schicksal zu ihrer Strafe verschont.“
Kann man genauer den Urzustand unserer Halligen schildern? und unserer Wurthen mit? Das Werk der Natur und die Erhöhung durch Menschenhand, die Abmessung nach der höchsten Fluthhöhe? die insulare Lage zur Zeit der Fluth? das Fischer- und Schifferleben? das Cisternenwasser, den Backtorf und die spärlichen Schaafe? Und nun die Wurthen? Kann man sie besser beschreiben als durch tribunalia casis imponendis exstructa?
Selbst ihr Name stellt sie ja als Inseln hin, denn ein Zusammenhang zwischen Wurth, Wörden und Werder (Insel) wird sich nicht in Abrede stellen lassen, wenn auch der Zusammenhang mit Wehr, wie ihn Weigand (Wörterbuch deutscher Synonyme I, 137) aufstellt, nicht soll in Abrede gestellt [190] werden. Sie sind Schöpfungen der Menschenhand und liegen meist in mäßiger Entfernung vom Festlande. So zieht sich von Meldorf aus süd- wie nordwärts, durch eine schmale Moorniederung und durch einen Marschstreifen von der Geest getrennt, eine ganze Reihe von Marschinseln hin, freilich nicht wie die Halligen und die von Plinius geschilderten, im wesentlichen von der Natur gebildeten Inseln ohne Vieh, sondern so recht für dessen Haltung angelegt. Nicht umsonst hebt der Aufsatz der Dithmarscher Zeitung 1832, Nr. 28, S. 207 hervor, daß der Mittelpunkt der Wurth jedesmal durch eine Tränke gebildet werde; wie hätte in der umtosenden Salzfluth Mensch und Thier des süßen Wassers entbehren können? Aber zur Ebbezeit und in den Pausen zwischen den höheren Sturmfluthen hatte die Natur für Hunderte von Pferden, Rindern, Schafen, Gänsen reiche Weide geschaffen und ein Naturleben ins Dasein gerufen, wie wir es weiland auf Diecksand gesehen haben, als es noch Außendeich war und weit und breit den Landleuten zur Sommerweide diente. Da erblickte das Auge Hunderte von Thieren aller jener Gattungen, die auf dem saftigen dichten Außendeichsgrase (Statice armeria[WS 11]) weideten, umhegt durch die kleinen einschließenden Meeresarme. In der Mitte stieg, von einem mächtigen Deiche geschirmt, wie ein Riesenkegel die Tränke empor, das Hirtenhäuschen auf ihrer Spitze, wohin der natürliche Instinct die Thiere zur Löschung ihres Durstes trieb, um sich dann wieder auf der Weide zu zerstreuen und frisch und fröhlich ihre Freiheit zu genießen. Zum Herbst holte dann der Eigenthümer seine Thiere zurück, zahlte sein Hutgeld und dann ward der ganze District dem Walten der Fluthen überlassen. Traten während des Sommers Stürme und mit ihnen höhere Fluthen ein, oder trieb der Nordwest die Wogen, zumal beim Mondwechsel, gewaltiger an den Wall, dann eilten die Knechte des Hirten nach allen Seiten und trieben die Thiere in die Tränke zusammen, deren Deich sie, der Gewalt der Fluthen spottend, schirmend aufnahm, wo dann Kopf an Kopf gedrängt, brüllend, wiehernd, blöckend, schnatternd, oder auch in angstvoller Stille, als wären sie sich der drohenden Gefahr bewußt, das [191] Toben und Brüllen dem Sturmwind überlassend, vom Regen überströmt und von der spritzenden Salzfluth gepeitscht, die Tausende von Thieren bei einander standen und des Momentes harrten, wo das Toben der Elemente abschließen, ihre Angst lösen und ihnen die Freiheit wiedergeben werde. Dies Schauspiel ist uralt an unsern Küsten und jede Wurth ist Zeuge desselben gewesen. Ursprünglich zogen sich am Schlusse des Sommers die Hirten auf das Festland, die Geest, zurück, mit der sie die Verbindung nicht ganz aufgaben, wie der Feldweg zeigt, der noch jetzt meistens von der Wurth bis auf die benachbarte Geest zu führen pflegt. Allmählich wagte man die Anlagen zu erweitern, an die Wurth schloß sich das Warft an, der Damm, um Wohnungen für den Menschen, Stallungen für das Vieh zu bauen, auf daß man auch den Winter dort zubringen könne. Die Wurthen erweiterten sich so, daß sie ein ganzes Dorf auf ihrem Rücken trugen, und Ansiedler zogen von dem wenig fruchtbaren Boden der Geest allmählich in die Marschniederung herab, allerdings mit der Aussicht, daselbst Tage und Wochen, abgeschnitten von der übrigen Menschenwelt, auf kleiner Insel ihr Dasein zu fristen. So erwähnt die Geschichte in der Nähe von Meldorf ein großes Dorf Olden Erpe (Erp erscheint als Name noch gegen 1600), das gegenwärtig vollständig verschollen ist; aber die dort stehenden Häuser führen noch den Namen Elpersbütteler Don (Düne). Der Name erklärt uns nicht allein alles, er erzählt uns auch ein Stück Geschichte. Das nächste Marschdorf heißt Elpersbüttel, ursprünglich sicher Erpersbüttel, das von Erpe aus angesiedelte. Erpe hat sich in die Marsch gezogen, die Tochteransiedlung thront dort noch heute, Erpe selbst aber ist allmählich verlassen, aus einem vielgenannten Dorfe zu einer solchen Unbedeutendheit herabgesunken, daß die Tochteransiedlung wieder darauf ihren Namen übertragen hat, und daß es die zu derselben gehörige Sanddüne heißt. Ein Weg für das Vieh verbindet noch heute meist die Wurthen mit dem Festlande. Durch eine geistreiche Vermuthung kommt die Dithmarscher Zeitung (1833, Nr. 31, S. 251), gestützt auf die außerordentliche Höhe der [192] Wurth, welche Wörden trägt, zu dem Resultat, daß dieß in unsern Gegenden die älteste Wurth sein möge, die im Winter bewohnt geblieben sei, indem man, noch ohne Maßstab, wie hoch die Meeresfluth anschwellen könne, das Maß des Nothwendigen um ein Erhebliches überschritten habe.
So umgab denn, um von Meldorf auszugehen, in ältester Zeit ein Kranz von Inseln, welche die Menschenhand geschaffen, vor der Eindeichung den ganzen Meeresstrand; südwärts zunächst Amerswurth, Elpersbüttel, Eesch, beide Busenwurth, Trennewurth, Darnwurth, Marne, Fahrstedt, Schmedeswurth bis Dieckhörn; hier hören die Wurthen plötzlich auf, die südliche Marsch ist nicht allmählich, sondern offenbar durch eine große Eindeichung gewonnen. Ebenso laufen sie nordwärts in ähnlicher Weise: Eppenwörden, Thalingburen, Barsfleth, Harmswörden, Ketelsbüttel, Hogenwörden, Oldenwörden, Wesselburen, Poppenwurth, Neukirchen, Hemme und Hemmerwurth, Flederwurth, Darnwurth, Wittenwurth. – Ebenso hat auch das Eiderbette seine Wurthen, und eine Menge von einzelnen Wurthen in den Kirchspielen Lunden und St. Annen weisen auf Zustände hin, die da, wo unsere Geschichte anfängt, verschwunden und verschollen sind.
Noch zweier Merkwürdigkeiten müssen wir hier gedenken, zweier sogenannten hohen Moore auf Marschboden gelagert, das eine in Süderdithmarschen an der Grenze der Wilstermarsch, in der Nähe von Kuden, das andere in Norderdithmarschen im Kirchspiel Neukirchen. Des letztern gedenkt auch Neocorus zweimal (I, 67 und 242). Man nennt sie blanke Moor, und bei beiden finden sich Dorfschaften Blangenmoor. Sie ragen hoch über die Marsch hervor, 10–12 Fuß. Das südliche ist noch jetzt etwa 5460 Fuß lang, 2600 Fuß breit; aber es ist einmal 8600 Fuß lang gewesen und 4600 Fuß breit. Die Natur der Sache zeigt, daß es an diesem Orte nicht könne entstanden sein, und die Sage erkennt es an. „Also will man ock eigentlich“, sagt Neocorus, „dat de Blanke Moor im Karspel Nienkerken van Engelande edder irgent der Order afgelöset si unnd sick aldar up dem guden Marschbodden, wo dan nha affgegravenen [193] Torve edder Moor befunden wert, dorch den wilden Strom upgeschlagen hebbe.“ – So ganz unerhört, meint er, sei das nicht, bei Jever sei noch vor wenig Jahren ein Hausbesitzer mit Haus, Hof und Aeckern im Unwetter von Jeverland nach Oldenburg getrieben. Damit hat er vielleicht den Nagel auf den Kopf getroffen – wer könnte ein von England nach Holstein treibendes Moor fassen? – Aber Krantz nennt in seiner Saxonia das Land zwischen Elbe und Weser und Ems (Engern) constant Anglia. Aber je weniger bei uns ein schwimmendes Moor etwas je Erhörtes ist, um desto häufiger ist es dort. So wird es gerechtfertigt erscheinen, wenn ich hier aus Almers’ Marschenbuch, das von den jenseitigen Elb- und Wesermarschen handelt, die Stelle über die schwimmenden Moore, S. 95 f. mittheile:
„Immer wankt der Moorboden, wenn man ihn überschreitet oder überfährt, welches Letztere fast nur im trockenen Sommer möglich ist. Auch steigt das Moor je nach dem Wasserstande. Schwimmende Wiesen finden sich bei Hechthausen im Amte Himmelpforten, bei Horst im Amte Richlingen und am Steinhuder Meere. Nirgends aber tritt diese Erscheinung in solcher Großartigkeit auf, wie im Amte Osterholz beim Dorfe Waackhausen, dessen schwimmendes Erdreich eine gewisse Berühmtheit erlangt hat. Ueber eine Stunde lang und eine Viertelstunde breit, bei einer Dicke von 15 bis 20 Fuß, zieht sich die schwimmende Wiese am südlichen Ufer der Hamme dahin; die Uferwiesen selbst, aus einer Art Marsch bestehend, treiben nicht in die Höhe und werden überschwemmt, wenn der Fluß austritt. Der dahinter gelegene Landstrich aber schwimmt mit allem, was er trägt, mit seinen Eichen und Tannen, Erlen und Birken und reichem Unterholze, mit Aeckern und Gärten durchaus hoch und trocken auf den Fluthen. Nur die Häuser schwimmen nicht mit, sondern sind auf festen Erd- und Sandwurthen erbaut. Diese letzteren zeigen recht das Steigen und Fallen des Landes an, da sie bald hoch auf Hügeln hervorragend, bald wieder, wenn das Moorland emporgetrieben, als zu ebener Erde gebaut erscheinen. Bei hohem Wasserstande, namentlich wenn es Sturm [194] gibt, zeigen sich noch allerhand Verrückungen des Landes, welche nicht selten die ganze Aussicht aus den Fenstern der Wohnungen umwandeln, ja es reißen wohl selbst mächtige Stücke, sogar ganze Wiesen los und treiben den Fluß hinab, oder lassen sich, wenn das Wasser fällt, auf die überschwemmten Uferwiesen nieder. Oft genug hat man daher schon Aecker und Wiesen anbinden müssen, damit sie nicht buchstäblich davongingen. Im Jahre 1761 wurde auf solche Weise einem Hofbesitzer, Heinrich Ahrensfeld, fast seine ganze mit 80 baustämmigen Eichen besetzte Hofstelle von seinem Hause abgerissen und 100 Schritte weit fortgetrieben. Aber ehe das Wasser fiel, hatte er sie mit Hilfe von Erdwinden wieder herangezogen. Ein anderes mit Nadelholz bewachsenes Landstück, von der Größe eines Morgens, setzte sich auf das überschwemmte Feld eines Nachbarn und veranlaßte einen gehörigen Proceß, der indeß noch verglichen wurde. Solcher Processe kennt das vorige Jahrhundert noch mehrere, denn der, auf dessen Eigenthum eine solche fremde Wiese geschwemmt wurde, bestand natürlich darauf, sie solle sofort heruntergeschafft oder zum Ersatz seines Schadens ihm selber zugesprochen werden.
Jetzt erklärt sich leicht das Vorkommen des Moors mitten in der Marsch. Es ist ebenso hergeschwommen, hat sich niedergelassen und ist hier gelagert geblieben, als die Marschen höher und trockener und endlich den Fluthen durch die Deiche ganz entrückt wurden. So das große Kehdinger Moor zwischen dem Lande Kehdingen und der Oste-Marsch und das Schweier Moor im Oldenburgischen. Hier im Kirchspiele Schweiburg tritt sogar der interessante Fall ein, daß das Moor unmittelbar an den Jahdebusen stößt. Der Deich zieht sich mitten hindurch, so daß ein großer Theil des Moores noch das Außendeichsland bedeckt und wirklich auf dem echten salzigen Meereswasser schwimmt, wenn die Fluth steigt. Vielleicht das einzige Beispiel auf der ganzen Erde, daß Moor und Meeresfluth sich berühren und Moorgewächse mit Meerespflanzen gute Nachbarschaft halten.“ – So weit Almers.
Wir haben nur zu constatiren, daß in Dithmarschen auf [195] Marschboden zwei Moore lagern, die aufgetrieben sein müssen, von fremdartiger Structur und ohne irgend ein analoges schwimmendes Moor weit und breit in unserer Nähe. Was übrigens die Berührung von Moor und Meeresfluth anlangt, so haben sich an das südliche Moor ursprünglich ebenfalls die Deiche angeschlossen; freilich ist es hier die Elbmündung, der die Marsch abgewonnen ist.
Je eintöniger die Anfänge jeder Geschichte sind, desto erfreulicher ist es, in denselben auf Punkte zu stoßen, welche die bloßen Namen und Zahlen durch lebendigere Bilder unterbrechen, und desto verlockender der eintönigen Tradition gegenüber zur Combination seine Zuflucht nehmen, damit Wald und Stein und Wasser rede, wo die Menschenzunge schweigt. Nur methodisch muß die Combination sein, nicht Hirngespinste, sondern feste Schlüsse zu geben bemüht. – Ein solcher Punkt ist in der Dithmarscher Geschichte Meldorf und bleibt es durch das ganze Mittelalter hindurch bis zu der Zeit, wo Dithmarschen seine innere Selbstständigkeit verliert: in der letzten Zeit hat es eine emporblühende Nebenbuhlerin, Heide, zur Seite, wird aber auch von ihr nicht verlöscht. Darum mag es erlaubt sein, in einer Geschichte Dithmarschens durch Spüren nach den Merkwürdigkeiten und Alterthümern Meldorfs allerlei Lücken zu ergänzen und, wo wir nicht wissen können, wenigstens ahnen zu lassen.
Von Meldorfs Anfängen und Gründung läßt sich nicht reden; sowie sich der Vorhang lüftet, der uns Dithmarschens Urzeit verdeckt, ist Meldorf da. Nachdem Karl der Große auch [196] nach Sachsen seine Waffen getragen und der Bischofssitz zu Bremen seine Thätigkeit begonnen hatte, erhoben sich diesseits der Elbe vier Kirchen, zu Hamburg, Heiligenstedten, Meldorf und Schenefeld. So erzählt uns Adam von Bremen um 1076 großentheils aus den Papieren des Anschar. Daß jene Kirchen nicht an bis dahin unbewohnten Orten, sondern recht in Mittelpunkten des Volksverkehrs gegründet wurden, ist mehr als wahrscheinlich; sollte doch von da aus das Christenthum sich durch die Adern des Stammes ergießen. Meldorfs Existenz also reicht bis in die heidnischen Zeiten zurück. Die Wahl der drei ersten Orte erklärt sich leicht durch ihre Lage am Ausfluß der Alster, Stör und Miele, denn das Christenthum kam von Westen, und Seefahrer waren die ersten Vermittler der Verbindung; alle drei Orte sind Seehäfen und unsere jetzt so winzige Miele hat doch einmal den Verkehr angebahnt. Bei Hamburg freilich kam hinzu, daß dort die vorliegenden Elbinseln den Uebergang über die Elbe sicherten, und Land- und Seeverkehr sich dort die Hand bot. Räthselhaft aber bleibt auf den ersten Blick die Wahl von Schenefeld. – Schenefeld aber ist noch heute der Knotenpunkt zweier Landstraßen, von denen die eine nordwärts über Jevenstedt nach dem Eiderübergang (Rendsburg), die andere östlich über Nortorf nach dem nächsten Ostseehafen Kiel führt. Nach ihrer Vereinigung setzen sich diese beiden Straßen westlich fort und führen über Hanerau nach Meldorf. So hing Schenefeld durch das Mittelglied Meldorf mit Bremen zusammen, von welchem Punkte in unsern Gegenden das Christenthum sich verbreitete. Schenefelds Kirche ist ein Vorposten der Meldorfer und stellt die Bedeutung Meldorfs in ein glänzenderes Licht als irgend etwas sonst. Noch um 1600 sucht Dithmarschens Landstraße die Verbindung mit Schenefeld. Die Nachricht Adams von Bremen, daß an die Berichte von des Erzbischofs Willerich missionarischer Thätigkeit diesseits der Elbe in dem liber donationum zu Bremen sich die Erwähnung von häufigen Visitationen der Meldorfer Kirche anschloß, läßt auf den regen Verkehr Meldorfs mit der Wesermündung ein bedeutsames Licht fallen. Andrerseits scheint die [197] Wahl Schenefelds für eine der ersten Kirchen des Landes ein unverfängliches Zeugniß zu sein, daß eine Hauptlandstraße von Meldorf nach Kiel lief und einen erheblichen Handel vermittelte. Durch diese Annahme erscheinen die später immer sich wiederholenden Streitigkeiten über den Zoll in Hanerau in einer größeren Bedeutsamkeit; uns aber tritt Meldorf als Endpunkt dieses Verkehrs ganz unerwartet als ein Haupthandelsort des Landes entgegen. Für das Dasein und die Bedeutung dieser Straße dürften selbst die Ueberfälle sprechen, die in Vicellins Zeit von Dithmarschen in Neumünster verübt wurden, über die uns Westphalen (Mon. ined. III, 17) noch die bittern Klagen bewahrt hat. Mag uns auch der Gedanke selbst, das einsame Landstädtchen als Handelsstadt, die verlassene Landstraße als Vermittlerin wichtiger Geschäfte und die winzige Miele als Grundbedingung der Existenz eines jetzt in Marschland verwandelten Hafens zu betrachten, bald ein Lächeln ablocken; aus verschiedenen Bedingungen gehen verschiedene Consequenzen hervor, und was unter veränderten Verhältnissen auch unter dem kleinsten Maßstab bleibt, kann darum doch in uralter Zeit eine wesentliche Bedeutung gehabt haben. Verschieden, wie der Fischerkahn ist von dem Dreimaster, war auch der Kaufmann jener Zeit von dem unserer Tage, selbst Führer seiner Waaren, heut friedlicher Handelsmann, morgen Kämpe zur See, und wie bald vielleicht grimmiger Pirat, und nicht minder zu Lande mannhafter Vertheidiger seines Eigenthums auf der Landstraße, wie gegen den adligen Freibeuter, so gegen den unter fürstlichem Namen seine Freibeuterei treibenden Zöllner. So ergibt sich als Folge aus dem Gesagten, daß der Hafen Meldorfs, durch die Miele offen gehalten, der Stadt die erste Entstehung gegeben hat, und daß der Markt, der unmittelbar an den nun verschwundenen Hafen stieß, der Kern des entstehenden Ortes gewesen ist, wie er denn auch noch heut zu Tage strahlenförmig die Hauptstraßen nach drei Seiten aussendet. Das bestätigt auch Hans Dethleffs’ Chronik mit den Worten: „Meldorp, de Hövetflecke in Dithmarschen, so den Namen von dem Water Miele, so in de Elve lopet, und darinne de Schepe [198] anfahren und etwa an dat Blick anlanden und leggen können, schöle bekamen hebben, is vör der Erovering des Landes sonderlich privilegeret ock mit Borgemester und Raht bestellet gewesen.“
Das eine Glied in der Kette der Umstände, welche so in unbekannter Urzeit die Entstehung Meldorfs hervorriefen, war die Landstraße, die über Hanerau, den Albersdorfer Vierth, die Niederung der Dellbrücke, an Bargenstedt vorbei, durch Nindorf auf dem dort von der Geest sich lostrennenden Rücken zwischen den Niederungen der Marschkammer und der kleinen Marsch hinlaufend in dem dreieckigen Hügel endet, auf dem Meldorf liegt. Das andere Glied ist der Hafen, der, dem umsichtigen Auge leicht erkennbar, von der Holländerei sich bis zum holsteinischen Hause hinzog, in der Mitte durch eine kleine Landzunge, den Hemm, gespalten, durch die plötzliche Absenkung hinter der Chaussee noch jetzt sofort auffallend; und die Miele ist die freundliche Nymphe, die denselben speiste und vor Aufschlickung schützte: die Miele, deren alter Lauf sich auch jetzt noch erkennen läßt, denn wo das Wasser allein zu bauen hat, geben geringe Vertiefungen unwiderlegliches Zeugniß. Die Miele floß ursprünglich in großen Krümmungen, welche erst 1846 die Menschenhand durchstochen hat, dem Wasser rascheren Abfluß, den Wiesen und Feldern an derselben sichereren Ertrag zu schaffen. Suchen wir denn ihr altes Bette und verfolgen ihren Lauf von jenem ehemaligen Hafenbassin aufwärts, so gibt uns den ersten Anhaltspunkt der Weel zwischen der Chaussee und dem Wege nach dem jetzigen Hafen, offenbar ein Rest ihres alten Bettes. Gehen wir dann der Chaussee nach, so fällt es ins Auge, daß sich längs derselben eine Niederung hinzieht, und daß das Land hart am Wege viel tiefer liegt, als 4 bis 5 Ruthen weiter nach der See zu. 400 bis 500 Schritt weiter nördlich hört das auf, da wo der Weg vom Meldorfer Kirchhofe in die Chaussee ausmündet. Hier überschreitet offenbar die Chaussee das ehemalige Mielbette; in dem Winkel, den die beiden Wege machen, findet sich wieder ein großer Tüpfel, abermals ein Rest des alten Flußbettes. Gehen [199] wir dann aber jenem Wege nach dem Kirchhofe nach, so haben wir linker Hand das große Kieslager, das 10 Jahre lang Meldorf mit diesem Material versorgt hat, und uns unwidersprechlich sagt, daß hier ein Bette der Miele war, vielleicht gar die Stelle, wo sich die beiden Auen, welche dieselbe bilden, einst verbanden, die Fielau, der Abfluß des Fieler Sees, und die Süderau, die durch die tiefen Wiesen der Marschkammer sich bis an den Fuß der Bargenstedter Höhen hinzieht, vermittelst Durchstiche der Serpentinen verkürzt, sonst im Wesen unverändert. In alter Zeit setzte sie sicherlich im Herbst und Winter alles unter Wasser, ja selbst oftmals im hohen Sommer, so oft Regengüsse sie schwellten. Bis an die Bargenstedter Höhen haben wir nur Wiesenland, hier aber begann in alter Zeit der Holzgrund, der sich bis nach Tensbüttel erstreckte, wo die Au entspringt. Es kann keinem Zweifel unterworfen sein, daß dieser Holzgrund dem Flüßchen einstmals einen Reichthum von Wasser zuführte, den wir jetzt nur ahnen können. Aber auch der ganze Rand der Anhöhen, die das Becken des Fieler Sees umgaben, noch jetzt ein holzreicher Theil Dithmarschens, bei Sarzbüttel, Leersbüttel, Odderade, Nordharstedt, war reichbewaldet und auch die Fielau viel mächtiger als gegenwärtig. So reichten beide hin den Hafen zu speisen, der durch den raschen Abfluß des Regenwassers von dem westlichen Abhang des Hügels, auf dem Meldorf liegt, vor Zuschlickung und durch das abfließende Wasser der Miele vor Ansatz von Moorbildung geschützt war. Denn dadurch ist der Meldorfer Hafen von der Mündung der Eider bis zu derjenigen der Stör ausgezeichnet, daß hier allein der Streif Moor d. h. Morast unterbrochen ist, so daß in Wahrheit hier und nur hier auf Meilen weit, wie H. Detleffs sagt, die Schiffe an den Flecken anlanden und anlegen konnten. Wie schwach es also auch immer ausgestattet war, kam Meldorf doch mehr als irgend ein anderer Punkt in der Runde dem Bedürfnisse des Kaufmannes, trocken seine Waaren zu landen, entgegen. Es hatte keinen Nebenbuhler; wenn’s einen gehabt hätte, so wäre es Windbergen gewesen, von wo sich ein Abfluß des Windberger Sees westwärts [200] durch den Dackwerder, nordwärts von Busenwurth ins Meer ergoß. (Neocorus I, 209: „Unnd berichtet men, dat men tho Windbergen hebbe angesegelt, und dar de Schepe gelaten.“) Noch heut zu Tage heißt am Wege nach Windbergen eine Stelle: am alten Hafen, und ein dort gefundenes Ruder und ein Kopf von feinster Schnitzarbeit, aus Hirschhorn gemacht (ein behelmtes Haupt, das als Visier wieder ein Menschenantlitz zeigt) und ein weiter abwärts im Dackwerder gefundener broncener Schwertknauf, ein Löwenkopf[71], legen der Sage Zeugniß ab, daß sie mehr als Sage sei. Durch den in Folge des Handels gewonnenen Wohlstand erklärt sich auch die große Bedeutung Windbergens durch die ganze alte Zeit, wozu dasselbe sonst weder durch seine Lage noch durch die geringe Fruchtbarkeit seines Bodens[WS 12] berufen schien, so daß es, nach der Eroberung ohne Kirchspielvogt, einstmals zwei Achtundvierziger besaß. Aber der Dackwerder ward schon bei der ersten Bedeichung, etwa um 1150, abgeschnitten und Windbergen hörte auf Hafenort zu sein, während der Meldorfer Hafen 1559 noch existirte.
Es kommt uns Meldorfern etwas schwer an, die Stelle, wo wir jetzt Rose und Kirschbaum blühen und Kühe weiden sehen, wo freundliche Häuser uns entgegenlachen, uns in der Phantasie in eine Schiffsrhede zu verwandeln, auf der Fässer verpackt und Waarenballen verladen wurden; doch wenn auch eine der älteren Schriften im Archiv der hiesigen Bürgersechs sagt, man habe vor der Eroberung auf Weide und Ackerbau in Meldorf so viel Gewicht nicht gelegt, so war doch Meldorf nicht allein Handelsstadt. Nach beiden Seiten lehnte sich an die Meldorfer Höhe, sowohl nach Norden wie nach Süden ein ausgedehntes Watt an, einerseits bis Wörden andrerseits bis Busenwurth reichend. In jenen Zeiten, wo der größte Reichthum in Vieh bestand, lud ein solches doppelt ein zur Benutzung seines saftreichen Grases als Weide; von den Geesthöhen aber war dieß Watt überall durch breitere oder schmälere [201] Streifen Moor getrennt, nur bei Meldorf nicht. So führte der von der Natur selbst dem Lande in die Marschniederung gebahnte Weg über Meldorf. Vergegenwärtigen wir uns einen Augenblick das damalige Aussehen des Landes. Ueberall Wald, so daß das Eichhörnchen nach Hans Dethleffs vom Zingel in Meldorf bis an des Landes Grenze auf lauter Bäumen springen konnte. Bis an des Landes Grenze, d. h. bis Hanerau, die alte nach Holstein führende Handelsstraße, und die einzige natürliche Verbindung der Halbinsel mit dem Festland. Die Waldungen durch mäßige Lichtungen unterbrochen, in denen sich die Dörfer mit ihrem Ackerfeld versteckten, auch verschollene, die noch Neocorus und Dethleffs kennen, Henschenrade, von großer Bedeutung, bei Bargenstedt, das zwei Achtundvierziger hatte, Oldenerpe, einst ein schönes Dorf (en fien Dorp), jetzt Elperbüttelerdonn, Quedden bei Windbergen, Oldendorp bei Sarzbüttel. Die Wälder bieten den Schweinen reiche Mast an ihrem sumpfigen Saume, auch wohl ein Streifchen Weideland für anderes Vieh; aber zu spärlich für einen bedeutenden Viehstapel; da muß das Watt aushelfen. So sah denn jene Zeit, wenn der Frühling wieder einzog und das Vieh wieder im Freien übernachten konnte, von allen Seiten die nach Meldorf führenden Wege sich bedecken mit Viehtriften zur Sommergräsung im Außendeich, wo man für Pferd, Rind, Schaaf und Gans eine ausreichende Weide fand: Meldorf war das Gasthaus an der Heerstraße. Von hier aus ließ sich über das weidende Vieh eine Aufsicht führen, bei Sturmfluthen etwas zur Rettung der bedrohten Thiere thun, hier das erkrankte unter Obdach bringen. Der Meldorfer Gastfreund war für den Besitzer ein hochwichtiger Mann, mancher siedelte sich dort wohl gern neben dem Kaufmann an, sicher dort ausreichende Gelegenheit zu mannigfachem Gewinn zu finden; wen der Markt nicht nach Meldorf zog, den trieb der wirthschaftliche Betrieb dahin.
Der Markt: der Marktplatz war und blieb der Kern des erblühenden Ortes, er lag natürlich am Landungsplatz der Waaren, am Hafen, wie noch heute; nur die Kirche müssen [202] wir uns hinwegdenken und die westlich von derselben liegenden Häuser. Der Marktplatz entsendet nach drei Seiten seine Straßen, nach Norden eine, nach Osten zwei (einmal führt die Zingelstraße den Namen Oesterstraße), nach Süden ebenfalls zwei, falls nicht die Westerstraße ursprünglich bloß Quai, Hafenstraße, war. Die sämmtlichen Straßen lassen sich freilich erst um 1600 nachweisen, einzelne etwa 50 Jahre früher. Uebrig bleibt so die Burgstraße, die aber nicht am Markt mündet, sondern unmittelbar vor demselben abbricht und durch ein Quergäßchen auf den Markt führt. Woher kommt das? – Ich sehe nur eine mögliche Antwort: die Burgstraße führte eben nur nach dem Thor der Burg, welche sich hart am Markte erhob, und mithin auf der Stelle der Apotheke und des Voß’schen Hauses lag. – Der Burg? Gab es denn in Meldorf eine Burg? Neocorus schweigt davon; zu seiner Zeit hatte sie also längst aufgehört zu existiren. Kein anderer spricht von ihr; es wäre denn Carstens, der sie Mildenborg nennt (Bolten I, 328); aber das wird nichts weiter sein, als, was auch hier versucht wird, ein Rückschluß aus dem Namen Burgstraße, keine historische Ueberlieferung. Gleichwohl läßt sich nicht zweifeln, daß eine solche existirt hat; woher käme der Name Burgstraße in Meldorf? woher die fünfthurmige Burg im Stadtwappen? Sie war bei lebhaftem Verkehr auch nothwendig zum Schutz von Waaren gegen Seeräuber und Erhaltung des Marktfriedens, denn der Kaufmann war streitbar im Mittelalter, wie oben bemerkt, nicht umsonst stehen die städtischen Kaufmannsgeschlechter dem Adel des Landes gegenüber. War eine Zahl von Schiffen im Hafen versammelt, so konnte auch ein Aufstand des Schiffsvolkes, Händel mit Einzelnen oder ihrer Gesammtheit der Stadt Gefahr genug bringen.
Die Ausdehnung der Stadt war wohl von Alters her die gleiche wie jetzt: sie erfüllte den dreieckigen Hügel, auf dem sie lag, nur zum Ringwall noch den nöthigen Raum übrig lassend. Im Westen stieß sie hart an den Hafen, im Osten schloß sie sich durch ein Bollwerk, das Zingel (cingulum), an der schmalen Stelle, wo der Hügel mit dem ostwärts führenden Höhenzuge [203] zusammenhängt, ab, wo der sogenannte Döseweg, der schon früh (1654) erwähnt wird, und der Einschnitt am Gasthause wohl noch Reste eines Grabens sind. Nach Norden und Süden erkennt man in den beiden sogenannten Kämpen leicht ein Glacis der Stadt.
Wenden wir uns zu den Bewohnern. Hier finden wir zwei Classen: Bürger und recipirte Ausbauern, geschieden einerseits durch den ererbten Antheil an der gemeinen Feldmark und andrerseits durch das ursprünglich mittelst Zahlung, der Bauerschuld, erworbene und auf die Nachkommen vererbte Recht hier zu wohnen. Die Bürger hängen zusammen durch einen gemeinschaftlichen Besitz, der ohne Zweifel in seinen Grundzügen aus der ältesten Zeit herstammt. Die Dithmarscher Zeitung 1833, Nr. 33 ff. (Herr Conferenzrath Lempfert) erkennt in demselben mit vollem Recht die alte Meente (Gemeinweide) Meldorfs, wie jede Dorfschaft auf der Dithmarscher Geest eine solche hatte. Gegenwärtig wird freilich ein Drittel derselben im Turnus beackert; aber diese Einrichtung stammt erst aus dem Jahre 1767; bis dahin war sie Weide. Doch es sind ihre Verhältnisse eigenthümlich genug, um eine weitere Erörterung zu erheischen. – Die Bürgerweide ist, wie gesagt, ein Gesammtbesitz, aber nicht der sämmtlichen Bewohner Meldorfs, sondern nur einer Zahl derselben, die in alter Zeit ausschließlich den Namen Bürger führen, und der ideale Antheil des einzelnen heißt Bürgerschaft. Solcher ideellen Antheile gibt es 109, eine Zahl, welche keine rationelle Zerlegung zuläßt. Die Gesammtheit der Bürgerweide umfaßt zunächst das Mielthal mit Einschluß seiner beiden Seen, des Fielersees und des Fuhlensees; vorzeiten aber schlossen sich daran noch ausgedehnte Theile des Moors bei Krummstedt, die aber als zu entlegen im Laufe der Zeit veräußert sind. Der Besitz einer Bürgerschaft knüpfte sich ursprünglich an den Besitz eines bestimmten Hauses, so daß um 1597 noch ausgesprochen wird, es gebe in Meldorf zweierlei Häuser, solche mit und solche ohne Weidegerechtigkeit (Aufschlag). So setzen also 109 Bürgerschaften 109 Bürgerhäuser voraus. Ihre Besitzer sind die Bürger, [204] wählen die verwaltende Behörde, Bürgersechs, in deren Hand die Verwaltung des Stadtvermögens und der Bürgerweide, die Straßen- und Wegepolizei, die Aufnahme von Fremden und die ganze Fremdenpolizei, nebst dem Brandwesen liegt; sie entscheiden über die Aufnahme von Fremden, die sich in der Stadt niederlassen wollen, erheben von ihnen das Einfahrtsgeld und gestatten ihnen, einzelne Stücke Vieh gegen Hutgeld auf die Weide zu treiben. Haus und Meente zu trennen, verbietet ausdrücklich das Dithmarscher Landrecht, und der Besitz einer Bürgerschaft ist noch heutzutage nur dem in Meldorf Ansässigen gestattet. Wann es gestattet worden ist, daß einer mehrere Bürgerschaften besitze, daß Bürgerschaft und Haus getrennt werde, ist aus den Papieren der Bürgersechs nicht mehr zu ersehen. Unter den Nichtbürgern werden namentlich Fuhrleute und Kornhändler genannt, welche nach einer Theilnahme an der Gemeinweide in endlosen Streitigkeiten eifrigst streben und dieselbe schließlich mehr vermöge einer gewissen Billigkeit als infolge strengen Rechtes erhalten. Nach der Eroberung wendet sich die Aufmerksamkeit der Bürger mehr als früher diesem Besitze zu (Meldorf ist aus einer Handelsstadt ein Landstädtchen geworden), zumal seitdem um 1686 die Bürgerweide besteuert wird. Die Gesammtheit der Ausbauern, um 1607 etwa 70 bis 80, bildet der Bürgerschaft gegenüber keine Corporation, wird von der Behörde der Bürgerschaft, den Bürgersechsen, zu Weg- und Brückenbau nach Gutbefinden herangezogen, bis um 1745 diese Form gebrochen und die Bürgerschaft zu einer Privatgesellschaft wird, die Bürgersechs als Fleckensbehörde den Fleckensvorstehern und Viertelsvorstehern wichen und zu bloßen Verwaltern des Vermögens einer Genossenschaft werden. Der alte Grund ist wankend geworden: um 1752 finden wir 4 Bürgerschaften in der Hand eines Besitzers.
Es erübrigt nur noch, nach den Hauptgebäuden zu fragen. Da tritt uns denn zuerst die Frage entgegen, wo die älteste Kirche von Meldorf lag, die von Bischof Willerich und seinen Nachfolgern visitirte, die Kirche, in welcher der Apostel des [205] östlichen Holstein Vicellin um 1130[72] geweiht ward. In dem genannten Jahr kam Erzbischof Adalbert II. zur Visitation nach Meldorf und vermittelte und fixirte die Rechte der beiden Domkirchen von Hamburg und Bremen an die Meldorfer Kirche. Da erschien vor ihm eine Gesandtschaft aus dem Osten, aus der Gegend, wo sich die Zuflüsse der Elbe und der Ostsee scheiden, von den Ufern der Schwalau, und erbat sich für das verlassene Kirchlein in Wipendorf und Faldera einen tüchtigen Verkündiger des Evangeliums, und ganz besonders bat sie nun einen jungen Geistlichen, Vicellin, dessen Eifer und Tüchtigkeit sie bereits von einem Besuche desselben in Altlübeck, dem jetzigen Schwartau, kannte. Vicellin, damals Scholasticus in Bremen, befand sich anwesend im Gefolge des Erzbischofes, und zog von hier zu seinem großen Werke aus, welches zunächst die Gründung eines Klosters ins Auge faßte, das er Neumünster nannte, vielleicht im Hinblick auf das ältere Kloster zu Münsterdorf, worauf er sodann zur Bekehrung des ganzen östlichen Holstein schritt, wo er 1149 Bischof wurde mit dem Sitze Oldenburg, bis er 1184 in Neumünster starb.
Aber wo lag diese älteste Kirche Meldorfs? – Daß sie nicht an der Stelle der gegenwärtigen lag, ist überliefert, die verbreitete Sage versetzt sie nach dem Sandberge (Bolten I, 421), nach dem St. Hansberge, d. h. der Anhöhe, welche sich der nördlichern der beiden Südermühlen gegenüber, also unmittelbar nördlich vom Sandberge erhebt. Der Name selbst scheint dafür zu sprechen, denn auch die spätere Meldorfer Kirche hat Johannes den Täufer zum Patron behalten. Der Name Johannisberg ist jetzt ziemlich verschollen, findet sich aber noch auf Dankwerths Karte, und in einem Actenstück von 1662.
[206]
Die einmal geschehene Zerstörung der Bökelnburg ist doch nimmermehr eine genügende Erklärung, warum dieselbe nicht wieder aufgebaut wurde, warum man es vorzog, an einer ganz anderen Stelle eine neue Burg zu errichten. Aber die Acte, welche Heinrich der Löwe gleich nach Unterwerfung Dithmarschens 1148 erließ, klärt uns wohl darüber auf, indem sie dem Kloster zu Neumünster den Marschstrich bei Wilster zwischen Stade[WS 13] und Waldburgau und einen zweiten an der Stör zwischen Lutesau und Aldenau verlieh. Wir sehen die Wilstermarsch aus dem Elbgrunde emportauchen. Zugleich hatte Stade aufgehört, Sitz des regierenden Geschlechtes zu sein. So lange dort der Beherrscher von Dithmarschen residirte, konnte es zu einer bleibenden Ansiedlung keinen passenderen Ort geben als ein hohes in sich einigermaßen festes Elbufer, wie es Burg darbot; denn alles deutet hier auf Wasserverkehr hin, selbst der Name Grafschaft der Gestade, abgesehen davon, daß zu Lande der Graf nur über fremdes, vielleicht feindliches, Gebiet in sein Land kommen konnte. Wenn er von der Landseite sich durch eine Burg den Eingang sichern, dem Feinde ihn schließen wollte, müßte man sie am Osteingang, bei Albersdorf, suchen, wo die Nähe der Landstraße und die schöne reichbewaldete Gegend dazu einlud, nicht bei Burg, in einem entlegenen Winkel; denn wir dürfen ja nicht vergessen, daß die jetzt in dessen Nähe vorübergehenden Straßen späteren Ursprungs sind, die über Hohenhörn 1601, die über Hochdonn erst 1855 über unzugängliches Moor gebaut. Mit dem Erlöschen des Sitzes der Regierung am jenseitigen Elbufer, mit dem Auftauchen einer vorliegenden Marsch, Verschwinden des alten Hafens und Landungsplatzes bei Burg, wohin bis dahin ohne Hinderniß der Kahn getragen, hörte Burg auf, der geeignete Platz für den Grafensitz zu sein. Die Lage der neuen Burg ist ohne Zweifel mit Beziehung auf das Land [207] allein gewählt. Sie beherrschte einen ganz andern Theil des Landes, die Kirchspiele Weddingstedt und Lunden nebst Büsum; aber die vorgeschobene Lage macht es wahrscheinlich, daß dabei zugleich auf benachbarte Marschdistricte (Weslingburen und Neuenkirchen) Rücksicht genommen war, die im Zaum gehalten werden sollten. Das führt uns auf die höchst bedeutsame Frage, wann in Dithmarschen die ersten Eindeichungen stattgefunden haben.
Schon Neocorus lehrt I, 83, daß die Marsch als eingedeichtes Land verhältnißmäßig spätern Ursprungs, sei und selbst Carstens, der von einem verschwundenen in christlicher Zeit reichbewohnten Watt die wundersamsten Nachrichten giebt (Bolten II, 313), will doch sichere Nachricht haben, daß der erste Seedeich vor Meldorf 1154 gelegt worden (Bolten II, 289). Um so mehr verlohnt es sich der Mühe, die obgedachte Frage gründlich zu behandeln.
Da haben wir nun zuerst hervorzuheben, daß die Lage des Schlosses in Burg nur begreiflich ist, so lange die Wilstermarsch uneingedeicht, Elbgebiet war, möglicherweise von flachen Inseln durchschnitten, so daß zur Zeit der Gründung der Burg, oder wenn man so lieber will, der Ansiedlung der Grafen, die Elbe noch den Fuß der Burg bespülte. Demnächst darf es nicht aus der Acht gelassen werden, daß die obengedachte Urkunde des Erzbischofs Adalbert von 1140 nicht ein einziges Kirchspiel in der Marsch nennt. Wollte man die Kirche in Uthaven dahin beziehen, so ist das ein verschollener Name, der uns selber aus dem Lande heraus zu weisen scheint, so daß man versucht wird, an eine Kirche in einem Wurthdorfe zu denken. Wie wäre es aber denkbar, wenn nicht die Hindernisse der Natur noch nicht wären bewältigt gewesen, daß eben der reichste Theil des Landes sollte der Kirchen entbehrt haben, da doch Marne, Eddelack als Ortschaften bereits vorkommen? Vor allem aber merkwürdig ist drittens die Erwähnung Eddelack, ubi jam tunc agricultura coeperat (wo man schon einen Anfang mit dem Ackerbau gemacht hatte), die zu beweisen scheinen, daß die genannte palus (Marsch) regelmäßig nur [208] zur Weide benutzt wurde, was nach der Eindeichung nicht wohl denkbar ist[73].
Ein dritter Grund läßt sich ablehnen, die Berufung auf die Thätigkeit Vicellins, als die Wilstermarsch, aber nicht Dithmarschen berührend. Er ist, wenn auch nicht Schöpfer unserer Deiche überall, doch sehr thätig für dieselben gewesen. Wir sehen ihn (Westphalen, Mon. ined. II, 28) in den Jahren 1139, 1140, 1146 in der jetzigen Wilstermarsch eine Belehnung über die andere empfangen, besonders merkwürdig ist eine vom Jahr 1141, die ihm den sonst dem Erzbischof zukommenden Zehnten in allen den Districten verleiht, die er mit seinem Kloster oder durch seine Hintersassen und Pächter würde herausgearbeitet haben (quaecunque elaboraverint). Eine andere Urkunde meldet von der sich in den Marschdistricten mehrenden Bevölkerung.
Die in diesen Dingen sehr klarsehende Dithmarscher Zeitung von 1833, S. 150, setzt die Entstehung der dithmarsischen Deiche nach Wahrscheinlichkeit in den Anfang des elften Jahrhunderts, wohl hundert Jahre zu früh, denn um 1106 öffnete nach Bolten II, 284 ff. der Erzbischof Friedrich I. von Bremen den Anerbietungen von Holländern sein Ohr, die sich erboten hatten, gegen einen bestimmten Jahreszins und Zahlung des Zehnten das unbebaute Marschland einzudeichen, wogegen er ihnen Leben nach eignem Gesetz und Beliebung zugestand, Erbauung von Kirchen, wo es ihnen zweckmäßig schiene. Von hier an erscheinen jenseits und diesseits der Elbe die agri Hollandenses und das jus Hollandricum. Es sind, wie man aus einem Diplom Hartwigs I. vom Jahr 1149 ersieht, Altländer, die diesseits der Elbe solche Privilegien empfangen (de justitia, qualem Hollandensis populus circa Stadium habere consuevit). – Es wäre doch wunderbar, daß Hartwig nicht seine angestammten Dithmarschen dazu herangezogen hätte, wenn diese schon länger Deiche gehabt hätten, überall, daß man in der Grafschaft Stade, zu der doch das Alteland ebenso wie Dithmarschen gehörte, aus Holland die Deichbauer hätte kommen lassen und[WS 14] sie mit [209] Privilegien aller Art ausgestattet. Aber nach Bolten gab Heinrich der Löwe im Jahre 1171 einem Friedrich von Machtenstede die Erlaubniß, eine gewisse Marschgegend an Käufer zu überlassen, sibi et suis heredibus jure Hollandico possidendam, auch Erzbischof Hartwig II. verkaufte 1201 gewissen Anbauern eine Gegend Marschlandes jure Hollandico possidendam, zum Besitz nach Holländer Recht. – –
Damals also entschloß man sich, vom Südermühlenberge in Meldorf ausgehend, von Wurth zu Wurth den Deich zu schlagen, zunächst den, welchen erst die Chausseeanlage 1853 abgetragen hat, bis zum bunten Hofe und so weiter nach Amerswurth, Elpersbüttel, Eesch, Busenwurth, wo der Dackwerder durchdämmt ward; noch 1583 wird der dortigen Schleuse gedacht und so ging es weiter fort von Wurth zu Wurth nach Marne, bis wohin die Chaussee im allgemeinen auf dem alten Deichkörper läuft und dann weiter bis Dieckhörn. Da bog der Deich in scharfer Wendung um und ging in grader Richtung auf Eddelacker Dieckhörn zu, um sich dort in der Nähe des Kudensees dem hohen Moor oder der Geest anzuschließen. Dadurch war das Land zwischen dem Deich und der Geest erst für den Ackerbau gewonnen, während man bis dahin höchstens hatte Sommerkorn bauen können, auf die Gefahr hin, daß eine höhere Fluth alles vernichten könne. Ob die etwas eigenthümliche Erwähnung Eddelacks in der eben angeführten Acte: „ubi jam ager coli coeperat“, damit zusammenhängt, bleibe dahingestellt. Analog waren die Deichanlagen im Norden. Ohne Schwierigkeit können wir den alten Deich bis zum Meldorfer Hafen verfolgen, dort bog er um und umfaßte Thalingburen, Barsfleth, Harmswörden und suchte dann Anlehnung an die Geest. Ketelsbüttel gehörte doch wohl auch zu diesem Deichverband, und wenn es nach Neocorus I, 256 seinen eignen Deich hatte, so heißt das wohl nur nach der Wördener Seite gegen den Eiderarm[74], der es von Büttel trennte und dessen Lauf uns der Dellweg vergegenwärtigt.
[210] Ueber dem norderdithmarsischen Deichsystem ruht ein Dunkel: es wartet noch des Auges, das dem Boden seine Geheimnisse abzulauschen, und des Geistes, der sie zu combiniren weiß. Die Wurthen ziehen sich auch hier durchs Land, das offenbar aus vier gesonderten Theilen besteht, Büsum, das erst 1584 landfest wurde, erst 1609 mit den andern Theilen verbunden, die Insel Weslingburen-Neukirchen, durch einen See bei Tiebensee von der Geest getrennt, Hemme, durch einen Eiderarm davon geschieden und das Eiderufer bei Lunden, St. Annen, Wollersum und Schülp.
Später ist sicherlich die Eindeichung, welche ohne ein Uebergangsstadium von Wurthenbau die Kirchspiele Brunsbüttel und Eddelack den Einwirkungen der Fluthen entzog, deren Zeit aber nur insofern feststeht, als sie vor 1286 muß geschehen sein, wo Brunsbüttel als Kirchspiel erscheint; damit ist aber nicht gesagt, daß sie nicht parcellenweise geschehen, sondern nach einem großen Entwurf gemacht sei: wie in der Wilstermarsch wird vielleicht Koog auf Koog gewonnen und der Deich immer weiter gegen den Elbstrom vorgeschoben sein; aber verfolgen läßt sich die Geschichte dieser Deiche im Einzelnen nicht.
Kurz vor der letzten Fehde schickte man sich zu einer neuen Eindeichung an, aber das Unternehmen ward durch den Krieg 1559 unterbrochen und erst 1578 wieder aufgenommen und 1584 vollendet. Durch diesen Deichbau hörte Meldorf zu seinem großen Schaden auf an der See zu liegen und sein Hafen ward Ackerland; der Ladeplatz, den wir jetzt Hafen nennen, in Entfernung einer starken Viertelmeile, ersetzte den alten weitaus nicht. 1584 schuf sich Büsum in seinem Wardedamm auf dem Grunde der Sandbank, welche das Zusammentreffen [211] der Fluth von Nord und Süd gebildet hatte, einen festen Communicationsweg mit dem Festlande, worauf dann 1608 und 1609 die große Eindeichung stattfand, bei der Neocorus selber thätig war. Auch sonst betrieb man damals die Eindeichung: lange wiederholte Verhandlungen fanden seit 1597 über Helmsand statt, welches sowohl Büsum als auch Marne für sich in Anspruch nahm, Büsum als altes Besitzthum, woher man Heu gewonnen und wo man Baken unterhalten habe, Marne als in seiner nächsten Nachbarschaft liegend, einen Punkt, den man bei tiefer Ebbe trockenen Fußes erreichen könne, wogegen Büsum einwandte, daß zur Fluthzeit der Hauptstrom zwischen Helmsand und Marne gehe. Die Sache ward schwieriger dadurch, daß Büsum und Marne verschiedene Landesherren hatten, was auch wohl am Ende die Absicht der Eindeichung vereitelte. Daß die Strömungen hier große Revolutionen hervorgerufen haben, ist Carstens und Bolten gewiß zuzugeben, und Neocorus’ Aufzeichnungen zeigen, wie oft man sich genöthigt sah, das schon Eingedeichte theilweise den Fluthen wieder preiszugeben. 1601 fanden bei Wörden und Ketelsbüttel Eindeichungen statt, 1608 und 1609 ward der Wardamskoog zwischen Büsum und dem Festland gewonnen: siehe den Anhang. Es erübrigt nur noch, mit einigen Worten der späteren Eindeichungen zu gedenken (s. Hanssen und Wolf, Chronik, S. 109–134 und S. 46 f.). Indem die beiden Deiche des Wardamskooges auf dem nächsten Wege das feste Land zu erreichen suchten, bildete sich sowohl in Nordwest als Südost ein Meerbusen mit ruhigem Wasser und infolge dessen eine Aufschlickung. 1696 suchte man den ersteren einzudeichen und nannte den gewonnenen Koog Hedewigenkoog (Koog ist ein seewärts an einen Deich sich anlehnendes, neu eingedeichtes Stück Land). 1713 folgt dann auch die Eindeichung in Südost und erhielt den Namen Friedrichsgaber- oder Wasmerskoog. 1717 folgte westlich von Marne der Sophienkoog. Aber während man hier, wenn auch mit großen Schwierigkeiten Land gewann, kämpfte man am Südende des Landes unglücklich. Schon 1677 ward der Andrang der Elbe so furchtbar, daß [212] man sich genöthigt sah, den Flecken Brunsbüttel weiter ins Land zu verlegen und 1685 litt auch der neue Ort wieder entsetzlich von Wassersnoth; 1717 aber nöthigte ein schrecklicher Deichbruch den ganzen jetzigen Brunsbütteler Koog den Wellen wieder preiszugeben und östlich von Brunsbüttel bei Söstemannshusen über Osterbelmhusen nach Josenburg einen neuen Deich bis an das hohe Moor zu schlagen, der 1721 fertig ward (über die Verlüste an Land und Häusern siehe besonders Hanssen und Wolf, S. 41). Erst 1762 ward das damals Verlorene wieder gewonnen, 1786 auch der Kronprinzenkoog eingedeicht, 1801 der Karolinenkoog, 1840 der Christianskoog, 1853 Dieksand oder Friedrich VII. Koog und gegenwärtig (1872/73) der Maxqueller. (Queller ist die erste Pflanze, welche auf dem über ordinaire Fluth erhobenen Meeresboden entsprießt – Salicornia – von fleischigem Blatt, unregelmäßiger Form, salzigem Geschmack, reich an Samen. Ihm folgt später eine Grasart, Poa, von unserm Landmann der Unterdrücker, Drückdal, genannt und diesem erst das Außendeichsgras, Statice armeria[WS 15], durch welches das Land zur Eindeichung reif wird.)
Die Frage, ob die Dithmarschen Sachsen oder Friesen waren, liegt außerordentlich nahe, denn sie waren Grenznachbarn beider; von den sächsischen Holsteinern trennt sie nur die Holsten- und Gieselau, von den friesischen Eiderstedtern die Eidermündung. Ja, wo lag diese Eidermündung? Eiderstedt besteht ursprünglich aus drei Inseln, Eiderstedt, Everschop und Uthholm: gehörte die ursprüngliche Eiderinsel von Hemme zu jenen dreien? war auch die Insel, auf der Weslingburen, Neukirchen, Wörden lagen, durch einen bei Ketelsbüttel mündenden Arm der Eider [213] gebildet, von Friesen bewohnt? war es Büsum auch? Die Frage, vor 50 Jahren zwischen zwei Predigern, Outzen und Kuß, eifrig ventilirt in den Provinzialberichten, war auch damals nicht neu: vor drei Jahrhunderten bereits standen sich in derselben der Ostfriese Ubbo Emmius und der Dithmarscher Chronist Neocorus ebenso scharf entgegen. Dahlmann, der in der Anmerkung zu Neocorus I, 86. 87 noch stark nach der friesischen Seite neigte und meinte, Ja und Nein stehe sich ziemlich gleichberechtigt gegenüber, zog es später, Anhang IV zu Neocorus I, 592, doch vor, die Spuren des Friesischen aus einer späteren Einwanderung von Friesen zu erklären. Wir wollen suchen, die beiderseitigen Gründe möglichst reinlich gegeneinander aufzustellen, können aber doch nicht umhin, zu erinnern, daß Ubbo Emmius’ Ansicht uns an gewisse Schriften dänischer Gelehrter erinnert, die vor 30 bis 40 Jahren überall in den Herzogthümern Spuren des Dänenthums entdeckten, während Neocorus, geboren und angestellt in dem Theile Dithmarschens, wo man am ersten friesische Nationalität suchen könnte, durch sein Wort selber uns zeigt, daß wenigstens jede Erinnerung an eine friesische Abstammung bis auf die letzte Spur erloschen war. Das gilt natürlich nur von dem Großen und Ganzen und schließt für einzelne Geschlechter weder die friesische Abstammung noch die Tradition in der Familie aus. Fragen wir also zunächst nach der alten Ueberlieferung.
Da finden wir zunächst bei Adam von Bremen (Kirchengeschichte V, 15): „Transalbinorum Saxonum tres populi, primi Thietmarsgôï.“ Deutlicher kann man nicht sein. Ebenso bei demselben: „Invaluit Cruco et attritae sunt vires Saxonum et servierunt Cruconi Halzati, Sturmarii, Thedmarchi.“ Aber, sagt man, derselbe Adam von Bremen sagt, Helgoland liege Friesland und Dänemark gegenüber, contra Fresiam et Daniam[75], und an einer andern Stelle, die Nordsee habe zur Linken die Orcaden, zur Rechten Fresia. Ganz wohl: und [214] was geht das Dithmarschen an? Es sind der Deutungen zwei möglich: erstlich Fresia et Dania heißt Nordfriesland und das dahinter liegende dänische Herzogthum Schleswig das dänische Friesland; oder zweitens, Friesland ist Hadeln (wie Adam an einer andern Stelle sagt, Helgoland liege contra Hadeliam), dann heißt es, Helgoland liege seewärts über Hadeln hinaus mit dem dänischen Nordfriesland wesentlich unter einem Breitegrad; beides richtig. Kann man weiter gehen in der willkürlichen Interpretation als die für die friesische Nationalität Dithmarschens Kämpfenden, welche die Nordfriesen nicht für Friesen, sondern für Dänen erklären? sie, die das Friesische bis auf den heutigen Tag sprechen? nur um die Dithmarschen zu Friesen zu stempeln; abgesehen davon, daß, wie Kuß richtig bemerkt, Helgoland nach jener Annahme mitten in der Eider liegen müßte. – Noch weniger beweist für Dithmarschen die andere Stelle, die Friesland den Orkneys gegenüberstellt.
Aber Dithmarschen reichte ehemals viel weiter nach Westen, nahe an Helgoland hinan, so daß in dieser Beziehung an Nordfriesland gar nicht gedacht werden kann. – Das ließe sich hören; nur Schade, daß Neocorus nichts davon weiß; der erzählt uns (I, 215), daß sein Büsum, welches dabei doch zunächst in Betracht kommen muß, sich ehemals viel weiter nach Süden hingezogen habe, bis hart an Helmsand und an das Dorf Barsfleth hinan, nach welchen beiden Punkten man auf Pferdeköpfen habe hingehen und sich über das Wasser hin zurufen können; daß die Kirche ursprünglich im südlichen, dann im mittleren Büsum, endlich in Norddorf gegründet sei, daß eine Anschlickung im Norden aber die Abspülung im Süden aufgewogen habe; aber von Dörfern im Westen weiß er nichts. – Nein; aber Dietrich Carstens weiß desto mehr davon, aus welchem Bolten die betreffende Stelle (Thl. II, S. 313) mittheilt, freilich mit dem bedenklichen Zusatz: „und obgleich der Bericht dadurch sehr an seiner Glaubwürdigkeit leidet, daß derselbe hauptsächlich aus den Meyer’schen, nur nach Sagen gemachten, Landkarten von Dithmarsen genommen worden, und man sonsten keine solche Oerter findet; obgleich [215] auch nicht zu behaupten stünde, wenn wir auch in diesen Bericht kein Mißtrauen setzten, daß solche Kirchen oder Kapellen insgesammt bereits in diesem Zeitraume bestanden hätten, so wird es doch den Lesern nicht unangenehm sein, wenn ich hier Carstens’ eigene Worte hersetze“. – Heißt das nicht schwindeln? – Auf eine bloße Sage fußend, beschenkt der Kartenzeichner Dithmarschen mit 10 Kirchen und Kapellen, von denen er keine Spur gefunden, und der Kirchenhistoriker beschreibt sie wieder sammt den Inseln, auf denen sie liegen, nach den Karten, und leiht noch darüber hinaus den Orten eine Lage, von der die Karten nichts wissen! Kehrt man nur von den Worten des Kirchenhistorikers zu seiner Quelle, den Karten zurück, so sieht man, daß mit der Ausdehnung Dithmarschens nach Westen die Sache nicht so schlimm ist. (Dahlmann hat die betreffende Karte seinem Neocorus vorgesetzt, wo man alle die gesuchten Kapellen findet.) Es haben diese 10 Kirchen sammt ihren Kirchspielen alle Platz in dem Busen zwischen Büsum und Dieksand, und von westlicher Erstreckung ist keine Spur. Lassen wir sie in Ruhe: diese Beteplätze für Fischer und Schiffer mögen in Gottes Namen da gewesen sein; aber Helgoland, was hier die Hauptsache ist, kommen wir damit nicht näher, das ist und bleibt von der nächsten Spitze des Festlandes, von Eiderstedt, immer noch 7 Meilen entfernt. Wir wollen nicht geltend machen, daß Nordstrand und Pellworm sammt den Halligen Trümmer eines weiter nach Westen reichenden Nordfriesland sind; es bleibt dabei, wenn nicht andere historische Autoritäten für das Friesenthum der Dithmarschen beigebracht werden können als bisher, so sind sie gleich Null und werden sich höchstens indirecte Beweise dafür geltend machen lassen.[76]
Aber nein, der Scholiast zu Adam von Bremen (I, 10) [216] nennt es unter den 7 friesischen Gauen, welche zum Stifte Bremen gehörten: Ostringa, Rustringa, Wanga, Diesmeri, Herloga, Nordi und Morseti. – Da ist allerdings Dithmarschen, vorausgesetzt, daß es Diesmeri ist; der Name hat eine entfernte Aehnlichkeit; aber mehr auch nicht. Wir müssen natürlich weiter fragen: Wo liegen denn die andern Gaue? Nordi hat der Stadt Norden im Großherzogthum Oldenburg seinen Namen hinterlassen und in seiner nächsten Nähe, zwischen Weser und Ems, finden wir auf den Spruner’schen Karten auch Ostringa, Rustringa, Herloga und Morseti. Wer darf da die zwischen ihnen stehenden Wanga und Diesmeri, ich sage nicht ostwärts von der Weser, sondern ostwärts von der Elbe suchen? – Räumen wir es nur ein, aus der Ueberlieferung Adams von Bremen läßt sich für die friesische Nationalität der Dithmarschen kein Capital schlagen. Aber die andern Autoren? – Sie stehen sämmtlich auf Seiten der Sachsen, nur daß die Kudrun die Dithmarschen zweimal mit den Friesen zusammen nennt. Helmold sagt I, 48: „Tres sunt Nordalbingorum populi: Sturmarii, Holzati, Thetmarzi, nec habitu nec lingua multum discrepantes, tenentes Saxonum jura et Christianum nomen, nisi quod propter barbarorum viciniam furtis et latrociniis operam dare consueverint.“ Auf Wittekind von Corvey, den ich leider außer Stande bin einzusehen, stützt Neocorus I, 55 seine Meinung, daß die Dithmarschen Nachkommen der Sachsen sein. Den Gedanken an friesische Abkunft aber lehnt er ab – I, 61 – mit Berufung auf Krantz. (Das Citat Sax. II, 6 ist falsch): „De Ditmarschen efft se wol up der Naburschop der Fresen gelegen unde dorch de Elve unde Eider beschlaten werden, neme ick uth, dat se under de Fresen nicht gehören, efft wol ehr Landt schone twischen Seen und Sumpfen gelegen iß, darum, dat se alletidts der Dudeschen Sprake gebruket hebben unde tho dem Lande Sassen sin gereknet worden.“ Der Grund ist durchschlagend: Dithmarschen spricht nicht friesisch und hat nicht friesisch gesprochen. Wenn Neocorus I, 60 einundzwanzig friesische Wörter, die in Dithmarschen vorkamen, nennt, so weist das nur hin auf den mannigfachen [217] (freilich meist feindseligen) Verkehr mit den benachbarten Friesen. – Die Wörter lassen sich eben noch zählen. Und wenn die Zahl zehnmal so groß wäre, so würde das nichts an dem Resultat ändern: Neocorus’ Chronik selber ist der beste Beweis für seine Behauptung, daß die Dithmarschen Sachsen und nicht Friesen seien; ist es doppelt, je zäher und stabiler der friesische Dialect ist. Den Friesen vindicirt Grimm (Geschichte der deutschen Sprache II, 668) zähes Haften an der Scholle neben tapferster Vertheidigung derselben gegen jeden Angreifer. Tacitus sagt von ihnen: „sine cupiditate, sine impotentia, quieti secretique nulla provocant bella“; keine Wanderungen: Ausdehnung des Stammes von der Schelde bis Jütland. Westfriesland ist ihm die eigentliche Heimath der Friesen, Ost- und Nordfriesen sind Nachkommen der Chauken, die uns Plinius auf ihren Wurthen schildert. Ihr Stammverhältniß zu den Grenznachbarn, Bataven, Chamaven, Werinen, Angeln und Sachsen lasse sich aus Mangel an Nachrichten nicht bestimmen. Ueber ihre Sprache macht er die Bemerkung, daß ihr die Poesie fehle, weist auf ihre zähe Beschaffenheit hin, vermöge welcher weniger Veränderungen in ihr vorkommen als in irgend einem andern deutschen Dialect. Dialectisch stellt er sie zwischen Angelsachsen und Skandinaven. Vgl. Grimms Grammatik.
An die Bemerkung Grimms, daß der friesischen Sprache die Poesie fehle, wollen wir eine Bemerkung knüpfen, welche geeignet ist, die Verschiedenheit von Friesen und Dithmarschen zum Bewußtsein zu bringen. Auch Almers in seinem vortrefflichen Marschenbuche, das uns die Eigenthümlichkeiten der friesischen Elb- und Wesermarschen in so schönen charakteristischen Zügen schildert, erinnert uns an das Frisia non cantat und schildert uns S. 143 die friesischen Arbeiter, wie sie schweigend Abends vom Felde kommen, und mögen ihrer noch so viele sein, in einer Reihe hinter einander herschlendern, als gingen sie in einem Leichenzuge; Keinem fällt es ein zu singen: singen dünkt dem Friesen eine Arbeit. Anders der Dithmarscher: Neocorus führt I, 495 sechs Lieder auf die Schlacht bei [218] Hemmingstedt auf, die so tief ins Volk gedrungen waren, daß er aus ihnen Beweise hernimmt; der Angriff auf die Marienburg 1403 rief sofort ein Lied hervor, das zwischen dem gemachten und zurückgeschlagenen Angriff muß verfaßt sein, denn es athmet noch Siegesvertrauen (Neocorus I, 383). Die Drohungen des Königs Johann und deren stolze Abweisung werden I, 423 besungen. Auch Hans Dethleffs hat uns Lieder von volksthümlichem Inhalt erhalten; man sang zum Tanze (Neocorus II, 568). Aus einem Bruchstück eines Liedes weist Neocorus ein verschollenes Geschlecht, der van den Hage, nach, der Reim in dem bekannten „röhret de Hende, snidet de Sacksbende“ weist auf poetische Spuren. Nicolaus Boie, der ältere, war geistlicher Liederdichter (Neocorus II, 37 f.; vgl. ferner Neocorus II, 40. 73. 93. 96. 110; nicht zu vergessen I, 196, dessen Dichter sich ausdrücklich als Dithmarscher zu erkennen gibt). Kurz Dithmarschen ist voll Sang und Sangeslust; noch heut zu Tage lebt wenigstens der Anfang eines beliebten Liedes: „Stuf vör Meldorp slogen wi de Deusen“, sowie das ebenfalls verschollene: „Lat de blaue Flag mal weihn“, um von den spätern Liedern Rachels nicht zu reden. – Nein, nein, hier zeigt sich ganz verschiedene Sinnesart der Stämme.
Weil aber weder die geschichtliche Ueberlieferung, noch die Sprache den Friesenfreunden einen Halt gewährt, so laß sehen, ob nicht doch Bauart und Sitte einen solchen darbieten; denn was braucht hier daran erinnert zu werden, wie traditionell bis in unser Jahrhundert hinein die Bauart der Häuser in Stadt und Land gewesen ist, so daß man daran leicht eine Handhabe für die Abstammung der einzelnen Districte gewinnen kann? Hören wir denn über das dithmarsische Haus, was mir darüber ein wackerer Landschullehrer, Herr Cantor Johnsen in Weddingstedt, aus Autopsie geschrieben.
„Was Form und Einrichtung anbetrifft“, sagt er, „so war vor reichlich 30 Jahren, wie ich hier in Weddingstedt angestellt wurde, noch das alte sächsische sogenannte Rauchhaus ohne Schornstein vorherrschend. Bei diesem ist die große Thür mit 2 Flügeln nach der Straße gerichtet; durch selbige gelangt man [219] sofort auf die Dreschtenne. Rechts und links sind die Standplätze, für das Vieh, ,Boos‘ genannt, durch Ständer, welche den Platz des einzelnen Stückes Vieh abgrenzen, von der Dreschtenne geschieden. Auf diesen Ständern und der Hinterwand liegen Balken, ,Intangs‘ genannt, welche statt des Bodens lose aufgelegte Schlethe, d. i. noch unbehauene junge Bäume resp. Baumäste, tragen. Dieser Boden heißt ,Hilgen‘. Zwischen gedachten Ständern erheben sich senkrecht in größeren Entfernungen starke Balken, ,Höftständer‘ bis zur Höhe von 12 bis 14 Fuß. Diese tragen starke Balken über der Dreschtenne, die Höftbalken, welche wieder mit Schlethen, Latten oder Brettern lose belegt sind und den Boden der Dreschtenne bilden. Dieser heißt ,Tellig‘ und sein Material ,Telligholt‘. Das Vieh stand mit den Häuptern der Dreschtenne ,Grotdehl‘ zugewendet, und konnte früher zwischen den Ständern hindurch frei auf die Dreschtenne den Kopf hinausstrecken und nahm von dieser sein Futter. Später wurde eine Bretterverkleidung zwischen der Boos und der Dreschtenne aufgeführt, um das Vieh gegen Kälte und Luftzug zu schützen. Geht man die Dreschtenne entlang, so gelangt man in die Wohnung der Menschen, welche von der großen Diele durch eine Wand getrennt ist. Gradevor ist in der Regel ein größeres Gemach, der Pesel, ohne Ofen. Es dient zur Aufbewahrung von Geschirr und Vorräthen, bei sämmtlichen häuslichen Festen als Saal und hat einen Ausgang ins Freie, in der Regel in den Garten. Links davon liegen die Wohnstuben, meistens zugleich Schlafstuben; rechts befinden sich Küche, Speisekammer und Milchkeller. Im Pesel sind die Schlafstellen für das Gesinde. Die Küche hat keinen Schornstein: für den Rauch ist eine Oeffnung, welche auf die Dreschtenne führt. Schließlich muß der Rauch zur großen Thür hinaus, welche den Tag über offen steht. Im Lauf der Zeit sind indeß alle Häuser mit Schornsteinen versehen und bei Neubauten wurde das sächsische Haus von dem friesischen verdrängt, welches früher in der Marsch dominirte. Dieses enthält in der Regel zwei und noch mehrere Dreschtennen, die quer das Haus durchsetzen, [220] und an welchen die Viehstände hinlaufen.[77] Auch diese Bauart wird im Laufe der Jahre verschwinden; sie wird vom ostfriesischen Hause nach und nach verdrängt. In diesem nimmt die Dreschtenne die eine ganze Längsseite ein. In der Mitte sind die Lagerplätze für Heu und ungedroschenes Korn, Vierkante, Veerkant genannt; die andere Längsseite enthält die Viehställe. Im vorgedachten friesischen Bauerhause sind die Lagerplätze, Veerkante, zwischen den quer durchs Haus gehenden Dreschdielen, die Stuben nicht in der Fronte, sondern an dem einen Ende des Hauses mit einer häufig sehr geräumigen Vordiele versehen; so auch häufig im ostfriesischen Hause, doch in diesem häufig auch in einem angebauten Seitenflügel.[78] – –
Fügen wir diesen Andeutungen noch Einiges hinzu. Das sächsische Haus ist in Dithmarschen über die ganze Geest verbreitet und das dithmarsische Haus unterscheidet sich von dem altsächsischen, wie es die Grundrisse zeigen, die den 1847 von Graf E. Reventlow-Farve und H. A. Warnstedt herausgegebenen „Beiträgen zur land- und forstwissenschaftlichen Statistik, Festgabe für die Mitglieder der eilften Versammlung deutscher Land- und Forstwirthe“ beigegeben sind, durch seinen Pesel oder Piesel, d. i. ein großes, meist mit Fliesen belegtes Durchgangszimmer, wo Laden und Schränke zu stehen pflegen, und das für Familienfeste, Hochzeit, Kindtaufe, Leichenbegängniß, von Wichtigkeit ist. Das friesische Haus dagegen ist das Haus der Marsch, und die Marsch hat guten Grund es vorzuziehen, denn es ist ein Ständerbau, dessen Balken nicht von den Mauern, sondern von den in den Zwischenwänden des Hauses stehenden Ständern getragen werden. Würde also bei einem Deichbruche in einem friesischen Hause die Mauer dem Andrang der Fluthen erliegen, so würde damit das Dach nicht [221] zusammenstürzen, die Familie würde, auf den Boden geflüchtet, immerhin das Leben retten können.
Hier finden wir also wirklich friesische Spuren; wollten wir aber daraus ohne weiteres den Schluß ziehen, daß die Geest sächsisch, die Marsch friesisch gewesen sei, so tritt uns sofort Neocorus, das Marschkind, entgegen. Thl. I, S. 211, wo er die Wanderungen der Dithmarschen bespricht, redet er fast nur von dithmarsischen Geschlechtern, die ihre Wohnsitze verlegt haben, aber es finden sich doch darunter die Worte: „Vodiem und Hodiem uth But-Janer Landt“; damit erkennt er also von zwei Geschlechtern Einwanderung aus friesischen Landen, sicherlich also friesischen Stamm an. Ebenso sagt er I, 257 von den Witte Wakem: „dit Geschlecht is frombd“. Ferner findet sich in den Abschriften des Neocorus (nicht in der Originalhandschrift) der Zusatz: „Riddersman, Weddersman, Bielken sin de drei Geschlechte in Fedderingen gewesen, darvan dit leste en par hundert Jahr vor der letzten Veide uth Westphalen schall gekamen sin, und van enem Manne entspraten; daher dat alletyd ringer geholden, denn de ersten“. Endlich bewahrt das Geschlecht der Boien (Neocorus I, 592) die Ueberlieferung, daß es 1208 aus Land Wursten zu den Zeiten Erzbischofs Harduin II. in Dithmarschen eingewandert und mit der Fähre bei Brunsbüttel belehnt sei. Hier also haben wir Einwanderung in Dithmarschen und nicht blos sächsische aus Westphalen, sondern auch friesische aus Butjadingen und Wursten. Hier aber müssen wir uns gegen ein Wort Dahlmanns verwahren, der (Neocorus, S. 593) sagt, der Beiname des Stammvaters [der Boien] Vage scheint auf die Stammverbindung hinzudeuten, welche die Boien, Wurstfriesen, mit den Vogdemännern, Butjadinger-Friesen eingingen. – Das kann der bloße Name Vage doch nicht beweisen, der auch sonst in Dithmarschen mit kleinen Veränderungen vorkommt, Neocorus I, 650: ein dithmarsischer Ritter Voke sammt seinem Bruder Thetbern; S. 660: Henneke Boke; S. 664: Henrik Voken Sohn, ein Vokemann, Eggehard Voken Sohn, Voko Fresen Sohn ein Amezinge-Mann. Wendet man ein, daß diese Namen alle auf friesisches Blut hindeuten, [222] so mehrt sich dadurch allerdings die Zahl der friesischen Geschlechter, nur gewinnt man keinen Beweis, daß die Vogdemannen ein solches waren. Wir müssen[WS 16] dieß Geschlecht (mit vollem Namen Vojedigmannen), das nach Neocorus in Burg und Windbergen heimisch war und die Mauer mit Zinnen im Wappen führte, gleich wie die Familie Reventlow, bekanntlich auch dithmarsischen Ursprungs, streng scheiden von den Boien mit dem halben Adler und drei Gerstenkörnern im Wappen. (Daß Nicolaus Boie in Weslingburen ein Vogdemann war [II, 35] beweist nichts, denn Boie ist noch heutzutage ein geläufiger Vorname in Dithmarschen, und er fehlt auch in der von Neocorus angezogenen Stammtafel der Boien. Ueber M. Nicolaus Boie in Meldorf muß Neocorus irren, denn dessen Nachkommen führen noch heute Adler und Gerstenkörner, sind also keine Vogdemänner.)
Es hat also eine Zeit gegeben, wo Friesen eingewandert sind in Dithmarschen. Ist es erlaubt, eine bescheidene Vermuthung vorzutragen über den Grund dieser zahlreicheren Einwanderung? Es war die Erbauung der Deiche. Die hannoverischen Elb- und Wesermarschen sind durch Holländer, d. h. vielleicht durch Friesen, angelegt worden, und der Mann, der sie heranzog, war Erzbischof Hartwig I. von Stade, der Bruder des in Burg erschlagenen Grafen Rudolf; sollte man für die dithmarsischen Marschen nicht Gleiches annehmen dürfen, wenn es denn auch nicht überliefert ist?
Aber man hat sich auch auf die Sitte berufen, um nach einer wie der andern Seite die Abstammung zu erweisen, und da sehen wir aus Neocorus I, 59, daß man die Tracht der Dithmarschen abweichend von der der Sachsen fand. Er macht aber aufmerksam, wie stark oft die Kleidung in den einzelnen Landestheilen selber abweiche und von Zeit zu Zeit wechsele, so daß man auf diesen Beweis nicht allzuviel zu geben habe. Dann tritt er (I, 44) mit der Behauptung hervor, daß das Messer, welches der Dithmarscher am Gürtel trage, von ihnen Tseken geheißen, nach dem sich auch ein Geschlecht, die Itzemannen (I, 236) Seken nannte, welches dieß Messer in einen [223] Eichbaum gestoßen im Wappen führte, nichts anderes als der Saß sei, von welchem die Sachsen ihren Namen haben. Diese Thatsache würde doch schwer in die Waage fallen. Andererseits erinnert er (I, 55), daß die Kappe der Frauen, die Kagel, wie sie die Abbildung von Marcus Swyns Frau auf dem bekannten Bilde und der Zeichnung bei Neocorus I, 160 zeigt, nur bei Dithmarschen und Friesen bunt sei (zweifarbig, roth und schwarz; vgl. II, 404). Aber wir müssen bald erstaunen, daß er so weit entfernt ist, daraus auf friesische Abstammung zu schließen, daß er nicht so ganz den Stab bricht über die Meinung derer, die daraus auf orientalischen Ursprung schließen wollten, die Friesen kurz abfertigend mit den Worten, daß aller einhelliger Consens dieselben weit von Friesen unterscheide. So wird denn auch wohl der von Almers in seinem Marschenbuch S. 184 erwähnte Klubenstock, der sich in gleich häufigem Gebrauche als Kluvstaken in Dithmarschen wieder findet, nicht mehr als ein schwacher Anknüpfungspunkt sein.
Nun aber komme ich schließlich noch auf einen Beweis von friesischer Nationalität, auf den ich von höchst beachtungswerther Seite aufmerksam gemacht bin, daß sich nur bei den Friesen die Institution der Rathgeber, consules, neben der Volksgemeinde finde. Es ist wahr, sie finden sich im Land Wursten, Butjadingerland; unter etwas veränderten Namen auch in Hadeln, Wührden, Ostfriesland, so 1291: „Nos consules et universitas terre Wirzacie“ (Pratje, Altes und Neues V, 309); 1469: „Wy söstein Radtgevere und gemene Insaten des Landes tho Wursten“ (Stern, Historische Nachrichten vom Lande Wursten, S. 44); 1427: Vertrag der 16 Rathgeber und Gemeinheit des Butjadingerlandes mit dem Rathe von Bremen (Cassel, Bremensia I, 327) u. s. w.; – wogegen man in Waitz, Geschichte von Schleswig-Holstein vergebens nach ihnen sucht. Das wäre ein durchschlagender Beweis, wenn diese Institution ursprünglich wäre; sie findet sich aber nicht vor 1227. Jedenfalls wird der Dithmarscher, mit dem Graf Rudolf II. nach Neocorus I, 322 verkehrte und bei ihm zu Gaste war, wohl ein vornehmer Mann, aber nicht ein Rathgeber [224] genannt. So kann man füglich die Frage aufwerfen, ob nicht die Rathgeber eine Institution des Erzbischofs Gerhard II. gewesen sind, der so ziemlich um die Zeit der Einwanderung der Friesen herrschte, und es geht einem eine Ahnung auf, daß diese Institution es war, welche 1288 den Adel aus seiner Stellung verdrängte. Eben vor Gerhard, unter Hartwig II. um 1208, waren die Boien aus Wursten eingewandert, vielleicht manche andere friesische Familien mit ihnen. Da der Stammvater der Boien mit der Fähre zu Brunsbüttel belehnt sein soll, so existirt also Brunsbüttel, d. h. der Theil der Marsch, der keine Wurthen hat, und läßt uns ahnen, daß diese Deiche durch friesische Kunstfertigkeit aufgeführt sein mögen. Es ist überall eine Zeit großer Umgestaltungen im Innern, die Zeit, wo Meldorf Stadtrecht erhält; ist es denn da undenkbar, daß der Erzbischof mit den Einwanderern aus Wursten auch diese Institution der friesischen Landschaften hier einführte?
Nach der Schlacht bei Bornhövede legte der Erzbischof seine Geschäfte als Fürst des Landes – denn in geistlicher Beziehung stand Dithmarschen unter dem Hamburger Domcapitel – in die Hand eines Vogtes, advocatus[79], ohne Zweifel aus der Mitte des einheimischen Adels. Er hatte zunächst dem Heerbann und dem Blutgericht vorzustehen, die Brüchen (Hauptstrafen [225] in alter Zeit) zu erheben und zu besorgen, was an administrativen oder polizeilichen Geschäften wahrzunehmen war, (Vogediejurisdiction und Vogederechtigkeit). Er ist der erste Beamte des Gaus und sein Name steht, anfangs wenigstens, an der Spitze der öffentlichen Acten. Jährlich versammelte derselbe alle Waffenfähigen des Landes zur Heerschau; wo? ob bei Süderhastedt, das von einer solchen den Namen Herstidi zu tragen scheint, wer mag es sagen? Schwerlich schon in Heide und auf dem Barlter Ossenkamp, wie in der Zeit, als fünf Vögte waren. Da erschien jeder waffenfähige Dithmarscher – und der Dithmarscher wurde das schon mit 14 Jahren – in voller Rüstung zu Roß und zu Fuß, mit Helm, Panzer, Schild und Angriffswaffen, zumal jener furchtbaren Streitaxt und dem kurzen Messer (Tseken), die er auf dem Bilde bei Neocorus führt. Es war ein rüstiges, kampflustiges Geschlecht, das nicht selten bei fremden Fürsten Dienst und Gelegenheit zu Thaten suchte. (H. Ranzow, Descriptio Chers. Cimb.) So fanden wir schon früher jenen Etheler, finden dann von neuem 1228 Heinrich von Meldorf, auch Emeldorp genannt. Er stand in dänischen Diensten, blieb bei Waldemar und seinen Söhnen, nahm 1248 mit einer Abtheilung seiner Leute Schleswig, so daß ihm die Tochter des Herzog Abel nur mit Mühe verkleidet entrann, und spielte auch später nach dem schrecklichen Bruderzwist und Brudermord eine nicht unbedeutende Rolle, so daß er den Abel’schen Prinzen nicht unwichtige Dienste leistete. (Christiani, Geschichte von Holstein II, 335.) Bei dieser Heerschau erschien jedes Geschlecht zusammen geordnet, mit dem Geschlechtswappen auf dem Schilde, wie es uns Tacitus in seiner Germania c. 7 beschreibt: „Und was ein besonderer Sporn zur Tapferkeit ist, nicht Zufall und unabsichtliches Aneinanderreihen bildet die Rotten und Heerhaufen, sondern Familie und Verwandtschaft.“ An Verwandtschaft ward bei den Geschlechtern wenigstens meistentheils geglaubt; nothwendig war sie nicht, denn es kam vor, daß ein nur wenige Köpfe starkes Geschlecht sich in ein anderes einkaufte. (Neocorus I, 257 Anm.; Karsten-Schröder, S. 44.) [226] Das Wappen ist so bedeutend, daß manches Geschlecht davon den Namen führt, die Haken und Pilsen in Meldorf von ihren Kesselhaken und Pfeil, ebenso die Bielsmannen, Tangmargeschlecht, Sulemannen, Risemannen, Lemmemannen. Bei Neocorus finden wir 118 Geschlechter; ob sie alle neben einander existirten, ist eine andere Frage. Manches erschien mit imponirender Manneszahl, wie die Woldersmannen 506 Mann stark, mit ihren gekreuzten Ankern, in Albersdorf und Umgegend heimisch, die Vogdemannen aus Burg und Windbergen, die eine gebrochene Mauer im Wappen führten und zu denen die adlige Kluft der Reventlowen gehörte; denn die größeren Geschlechter theilten sich in mehrere Klüfte, die dem Geschlechtswappen ein Abzeichen hinzufügten, und es theilten sich auch die Klüfte wohl wieder in Temmeden. Bei gewissen Geschlechtern scheint der Name auf eine Sammlung um einen Häuptling hinzudeuten, Hergens Classchlecht, Henniers Peters Volk zu Busenwurth, Voß Hennecken Volk.
Mit der Geschlechtsverbindung und Organisation berühren wir eins der wichtigsten und weitgreifendsten Institute einer Zeit, deren sämmtliche Verhältnisse auf Fehderecht begründet waren, und das dauerte in Holstein bis 1392, in Dithmarschen wenigstens noch ein halbes Jahrhundert länger. Es war eine große gegenseitige Assecuranz für Leib und Leben, für Hab und Gut, für Rechtsschutz und für größere Unternehmungen. Durch das Geschlecht geschützt, wohnte der Einzelne überall sicher; wehe dem, der ihm ein Haar hätte krümmen wollen; die Geschlechtsvettern hätten für den Erschlagenen die Mannesbuße gefordert; sie halfen sie ihm auch zahlen, wenn er das Unglück gehabt hatte, Todtschlag zu üben. Sie waren zur Hand, sein verlassenes Weib und Kind zu schützen, aber er war auch wiederum verpflichtet, Weib und Kind daheim zu lassen, um die Kränkung eines Geschlechtsvetters zu rächen, sei’s durch Gericht, sei’s mit Gewalt. Wo ihm innerhalb oder außerhalb Landes sein Recht versagt ward, da war das Geschlecht mit seinem ganzen Nachdruck da, und hatte er sich in schlimme Händel verwickelt, aus denen ihn nur schwere Brüche, wie er sie aus eignem Vermögen [227] zu zahlen außer Stande war, erretten konnten: das Geschlecht verließ ihn nicht; war er unvermögend oder landflüchtig, so zahlte es die Buße für ihn; aber es erwartete auch und erzwang, daß er da, wo ihm Großes zugefallen war, dem Geschlechte sein Theil davon zuwendete. Aescherte der Blitz sein Haus ein, vernichtete Deichbruch sein Gut: das Geschlecht half ihm bauen und bessern; ja es einigte sich zu Zeiten ein Geschlecht oder ein Theil desselben zu einer Eindeichung, bildete so eine Bauerschaft aus lauter Geschlechtsvettern, wie das namentlich in der Nordermarsch vielfach scheint der Fall gewesen zu sein, wo die Dörfer nach Geschlechtern benannt sind: Todienwisch, Wennemannswisch (auf der Geest ist nie Uebereinstimmung des Namens zwischen Ort und Geschlecht). Es ist selbstverständlich, daß ein Geschlecht auch gemeinschaftlichen Besitz (Wald oder Weide) und gemeinschaftliche Lasten, z. B. Deichslasten, haben konnte, daß also für dergleichen eine verwaltende Hand da sein mußte. Vor allen Dingen aber leuchtet ein, wie wichtig es war, einem bedeutenden Geschlechte anzugehören. – 1524 ermordete man aus Fanatismus den Heinrich von Zütphen, aber seinem Wirthe N. Boie, der ihn gerufen, that man nichts zu Leide: ihn schützte sein Geschlecht. Von der Bedeutung des Geschlechts für die Eideshülfe soll unten die Rede sein. Das Geschlecht ließ die Seinen, die dazu geeignet waren, studiren, aber man verlangte auch von ihm, daß es für seine Schüler (Studirte) und Pfaffen einstehen sollte. Es bedarf keines Wortes, um zu erinnern, daß eine so vielschichtige Thätigkeit des Geschlechtes eine feste Leitung im Innern, vielfache Versammlungen, mannigfache Abrechnungen voraussetzt und darum geeignet ist, von dem äußeren Leben des Landes unsern Blick auf das innere zu lenken. Manche von diesen Versammlungen, besonders wo das Geschlecht verstreut war im Norden und Süden, werden in Meldorf abgehalten sein. Eben dahin führen uns auch die Verhandlungen fremder Staaten mit dem Lande und mit einzelnen oder mehreren Kirchspielen. So wird (der erste Act, wo wir den Vogt thätig sehen) in Meldorf 1265 am 16. August mit [228] den Hamburgern ein Vertrag geschlossen zur Unterdrückung der Seeräuber und andrerseits der Kränkungen seitens Hamburger Seeleute, und eine Weise gerichtlicher Verfolgung festgestellt. Gleich dem Hamburger soll jeder fremde Kaufmann unter dem Schutze des Gesetzes stehen. Zehn dithmarsische Ritter unterzeichnen außer dem Vogt den Vertrag. Und als dennoch gegen ihn gefrevelt wird, da tritt 1281 eine große Versammlung zu gleichem Zwecke zusammen: Hamburg sendet den Guardian seines Marienmagdalenenklosters mit mehreren Brüdern; anwesend sind Vogt, Ritter und die Geschworenen von dreizehn Kirchspielen oder wenigstens Deputirte derselben. Die Bürger von Hamburg und Lübeck sollen im Lande wie auf der Elbe und Eider sicher und geschützt sein. Wer sich an ihnen vergreift, den soll das Geschlecht anhalten, den Schaden zu bessern; ist das Geschlecht außer Stande, das Kirchspiel, und vermag das es auch nicht, das ganze Land; dann soll der Frevler das Land meiden. Leugnet der Beklagte, so soll sein Leugnen erst als Wahrheit angenommen werden, wenn ihm elf Geschlechtsvettern eidlich bezeugen, daß sie seine eidliche Aussage für wahr halten; ist er unvermögend, so tritt das Geschlecht für ihn ein. – Da mag manchem das Herz gepocht haben, ob er dem Geschlechtsfreunde die Eideshülfe leisten oder selbst den Beutel ziehen solle. Damit sind wir an die letzte Pflicht der Geschlechter herangetreten und an die andere Thätigkeit des Vogtes, die gerichtliche, den Blutbann. Wie tief derselbe einschneiden mußte in die Verhältnisse in einer Zeit, wo jeder Bauer es als sein Recht behandelte, das erlittene Unrecht durch Fehde zu rächen, wo also Todtschlag und Verheerung mit Feuer und Schwert gar nicht so selten war, ist einleuchtend. Wo dieß Gericht gehalten wurde, ist nicht zu sagen; es ist möglich, daß es zu Weddingstedt war, dessen Name darauf gedeutet wird. Hervorzuheben aber ist das Beweisverfahren, das etwas so Auffallendes hat, daß darüber hier ein Wort gesagt werden muß. Im alten sächsischen Rechte sowie im ganzen Norden forderte in allen wichtigen Fällen das Gesetz von dem Beklagten wie vom Kläger, daß er die [229] Wahrheit seiner Aussage durch einen Eid bekräftige; aber damit nicht zufrieden, verlangte es, um diesen Eid zulässig zu befinden, die eidliche Versicherung einer bestimmten Zahl bald seiner Verwandten, bald Nachbarn, bald Mitglieder seiner Bauerschaft oder seines Kirchspiels, daß sie von der Wahrheit seiner Aussage überzeugt seien. Man nannte sie Eideshelfer und die Gesammtheit der Schwörenden, unter denen der Betreffende selbst war, Nemede. Sie sind nicht Zeugen; man fordert von ihnen nicht den Eid der Wahrheit, sondern den des Glaubens, juramentum credulitatis, der Ueberzeugung, daß der Mann die Wahrheit sage. Zu wählen hatte sie auch nicht der mit ihnen Schwörende, sondern je nach den verschiedenen Fällen der Gegner oder Richter; dem Betreffenden aber stand es frei, von den Erwählten die Hälfte als ihm persönlich verfeindet abzulehnen. Leugnete der Beklagte die That oder ein relevirendes Moment derselben, so wurde seiner eidlichen Versicherung erst Glauben geschenkt, wenn er mit seinen Eideshelfern seine Schuldlosigkeit beschwor. Auch die Zeugenaussage kann einer Nemede bedürfen, ebenso die Klage. Die volle Nemede bestand eigentlich aus zwölf Personen, doch bediente man sich meist einer kleineren, wo die Partei selbzehnte schwur. Das Gesetz bestimmte in den einzelnen Fällen, aus welchem Kreise die Nemede stellen sei, ob aus dem Geschlecht oder der Kluft, der Bauerschaft, dem Kirchspiel. So setzte jeder schwerere Criminalfall eine Menge Personen in Bewegung, und es kam namentlich da, wo der Beklagte nicht des Vermögens war, die ihm drohende Geldbuße zu erlegen, wo also für den Rest das Geschlecht eintreten mußte, Interesse und Gewissen in einen harten Conflict. So wurde in die Beliebungen mancher Geschlechter der Satz aufgenommen, daß dem Geschlechtsvetter die Eideshülfe nie zu verweigern sei. Das war Gewissenlosigkeit, und infolge dessen richteten sich nach der Reformation die Anstrengungen der Geistlichkeit zunächst gegen diese Eideshülfe, weil sie Verlockungen zum Meineid enthalte. Sie drangen durch, lockerten aber mit dieser Beseitigung mächtig die festen Bande der Geschlechtsverbindung. Auch [230] im Civilproceß war die Eideshülfe oftmals nöthig, aber ihre Hauptanwendung mußte sie doch im Criminalproceß finden. (Nitzsch, Geschichte d. Dithm. Geschlechtsverb., Schl.-Holst. Landesbericht III, 40 ff.)
Ebenso wie die Geschlechter waren auch die Kluftverbindungen auf gegenseitige Hülfe berechnet, aber freilich auf eine Hülfe anderer Art, wie sie nur die Nahewohnenden den Nachbarn leisten konnten, Beistand in Krankheit und häuslichen Verlegenheiten, gemeinschaftlich der Leiche zu erweisende Ehre; gemeinschaftlicher Begräbnißplatz und gemeinschaftlicher Kirchenstand. Wenn daher das Gesetz auch eine Eideshülfe der Kluft in bestimmten Fällen statuirt, so sind das eben Fälle, in welchen der Natur der Dinge nach die in geringer Entfernung wohnenden Vettern von Schuld und Unschuld des Betreffenden mußten oder konnten unterrichtet sein. Auch von der Bauerschaftsnemede wird die Kluftnemede unterschieden. Die Klüfte führten das Geschlechtswappen mit allerlei Abzeichen. Gewiß hatten nicht alle Geschlechter Klüfte, sondern nur die zahlreichen und zerstreut wohnenden. Mit dem Geschlechtsnamen zeigen die Eigennamen verhältnißmäßig selten eine Verbindung, häufig dagegen mit dem Kluftnamen: die Nannen und die Swyne sind verschiedene Klüfte der Wurthmannen.
Um auf den Vogt zurückzukommen, so setzte Erzbischof Gerhard II. zuerst nur einen Vogt, um den ganzen Heerbann des Landes zu führen. Wir wissen nicht, welche Gründe seine Nachfolger nachher bestimmten, diese Macht zu theilen und jedem Regimentsbezirk (man nannte sie Döffte, ein Wort, das mit tüchtig zusammenhängt und sich in der Wilstermarsch wiederfindet; in Dithmarschen waren ihrer fünf: Strandmannen, Meldorferdöfft, Wester-, Mittel- und Osterdöfft) seinen besonderen Vogt zu geben; geschehen ist es vor 1281, wo zum erstenmal in einer Urkunde Advocati vorkommen. Der eine Vogt war vor der Adelscurie genannt, 1265, in der Urkunde von 1281 heißt es Milites, advocati et universitas terre Ditmarcie. Hatten die Ritterbürtigen gegen den bischöflichen Vogt Opposition gemacht, so folgte die Strafe rasch auf dem Fuße, [231] denn sieben Jahre später war es aus mit ihrer Herrschaft. Heinrich Ranzau sagt uns (Descriptio Chersonesi Cimbricae bei Westphalen, Mon. I, 45), ebenso wie Neocorus I, 338, der Adel sei zahlreich gewesen in Dithmarschen. War er in dem Wechsel der Herrschaft zwischen Erzbischof, Bischof von Schleswig, König von Dänemark und Graf von Holstein zwischen 1170 und 1227 vielleicht durch Hinrichtungen stark decimirt? Eine Hamburger Urkunde von 1265 nennt uns sechs dithmarsische Ritter: Friedrich von Reimarshusen, Bolquin von Wintberg, Thethard, Reimar von Hesen, Reimar von Wulfisberg und Voke, und neben ihnen, daß es 10 wurden, vermuthlich vier Geistliche von Adel, die Herren Thetharden Siegfried und Jerre, Halike Swarte und Thetbern, Herrn Vokes Bruder. Die Gleichheit des Wappens der Reventlow mit dem Vogtemannengeschlecht scheint zu beweisen, daß es innerhalb der Geschlechter adlige Klüfte gab. – Sie waren wegen eines Todtschlages mit den Woldrichsmannen verfehmt und aus dem Lande vertrieben worden, wie der Friedensschluß von 1323 ausweist. Zum dithmarsischen Adel gehörten ferner die Walstorpe, von Hoven und die von Eyen. Adliche Güter waren, wie Bolten wahrscheinlich macht, zu Windbergen, Frestedt, Krummstedt, Oldenerpe bei Meldorf, Lendern. Dergleichen werden es gewesen sein, die Erzbischof Giselbert 1298 dem Otto von Plon abkaufte und dem Grafen von Holstein schenkte. Viel läßt sich aus Mangel an Nachrichten nicht darüber sagen. Der Adel ward wohl 1286 nicht aus dem Lande getrieben, sondern nur seiner Standesehren und Sonderstellung beraubt. Hing das zusammen mit der zahlreichen friesischen Einwanderung, welche Dahlmanns Scharfblick entdeckt hat? Heinrich Ranzau meint, es sei aus Haß gegen den Grafen Adolf III. geschehen. Aber er muß Adolf V. meinen, an dessen Hof allerdings Hartwig Reventlow Aufnahme fand. Uebrigens setzt Ranzow das Ereigniß ein Jahrhundert zu früh. Neocorus weiß davon nichts und meint, der Adel habe den Bauern mit Diensten belegen wollen. War es der friesische Freiheitssinn, der sich den Ansprüchen des dithmarsischen Adels widersetzte?
[232] Damals vermuthlich wanderten aus dem Butjadinger Land die Hodiemannen und Todiemannen ein: die Boien aus Wursten, bei denen sich außer dem friesischen Namen Bake, den der Stifter führt, die Namen Manke und Harder lange fast stehend finden. Dahlmann macht die Familie um des Vogdemannen Boie in Weslingburen willen zu Vogtemannen, die nach Neocorus I, 244 aus Windbergen [und Burg] stammen, und bringt den Namen mit dem Vogt, advocatus, in Verbindung, während doch Vage oder Voke Boie mit der Fähre in Brunsbüttel, aber nicht der Vogtei belehnt ward.
Eine wichtige Stelle über die Geschlechter, weil noch vor ihrem vollständigen Erlöschen geschrieben, findet sich bei Karsten-Schröder, S. 44[80]:
„ Idt sint och for Inneming des Landes fast in allen Karspelen fele forneme Geslechte gewesen, de under sich grote Forbuntnisse gehat, ja eren armen Veddern und Buntgenaten nicht forleten, ofte jemant ene wolde Unrecht don; ja so ein Fremdling uth andern Landen, de sich hier tho wanen begewen, er Vedder begert to sin und erliche redliche Tuchnisse siner Gebort, sines Handels und Wandels genogsam erlich intugen laten konde, hebben se densulven for einen Veddern des Geslechtes angenamen, ock nicht weiniger geachtet alse ere angebarne Frunde och Hut und Har (vor en gelaten), wenthe he se und se ene mit Eden vorplichtet, so idt Noth, ja weit aller Manschaft des Geslechtes wol hen to Felde gelaten (?). Und so under den Geslechten enes manes Dochter vthgeraden und tor Horen gewurden, mußte sich das gantze Geslechte darummen schamen, ja dorften wol (unter sich) de sin, (de) ungeehrte Personen under sich wol sulfen mit eren egen Handen hengerichten, de Unere eres Geslechtes damit aftowenden und wen jemand vorwaltiget wurde vth andern Geschlechtern, dorften se wol, wo ofte geschehn, to Felde then und Scharmusel holden, bet dat de Landlude insegen und de Sachen im Handel ofte mit Rechte demten.“
[233] Was die sogenannte Vertreibung des Adels betrifft, so stelle ich mir die Sache so vor, daß durch einen Landesschluß die Adelscurie wegfällig wurde, daß aber die gesammten adligen Familien in den Rathgebern vertreten waren und so ihnen der Haupteinfluß gesichert blieb. Welche Schmälerungen ihrer Rechte über Hintersassen damit verbunden waren, darüber schweigt die Geschichte. Einzelne mögen erzürnt das Land verlassen haben, von einer Auswanderung im Großen ist doch keine Spur; von einer eigentlichen Vertreibung noch viel weniger.
Um es nicht unbegreiflich zu finden, daß damals Dithmarschen nicht mit Holstein vereinigt ward, ist es nothwendig, sich die Bodengestaltung Dithmarschens zu vergegenwärtigen, die nicht bloß hierfür die Erklärung giebt, sondern auch für das Verständniß seiner Geschichte von größter Wichtigkeit ist. Schon der Umstand, daß das Ländchen trotz seiner mäßigen Größe (jetzt 23 Quadratmeilen) von Karl dem Großen nicht mit den benachbarten fünf bis sechs mal größeren Grafschaften Holstein und Stormarn, sondern mit dem entfernten, jenseits der Elbe gelegenen Stade verbunden ward, muß befremden und zum Nachdenken anregen; nicht minder, daß es demselben gelang, den streitbaren benachbarten Fürsten das ganze Mittelalter hindurch zu widerstehen und jeden Versuch, sich in demselben festzusetzen, blutig zurückzuweisen, und das ohne einheitliche Leitung, ohne besondere Veranstaltungen. Und doch ist meines Wissens vor den trefflichen Untersuchungen in der Dithmarsischen Zeitung (meist vom Herrn Conferenzrath Lempfert) 1832 und 1833 kein Versuch gemacht, in der eigenthümlichen Bodengestaltung [234] den Schlüssel zu suchen. Dithmarschen ist nämlich nahezu eine Insel, durch Niederungen, Möre und Hölzungen von dem übrigen Holstein so abgeschlossen, daß diese Scheidung bis auf den heutigen Tag ihre Wirkung äußert und wenig Verbindung zwischen den Dithmarschen und ihren östlichen Nachbarn herrscht und das dithmarsische Mädchen sich nicht leicht über des Landes Grenze verheirathet.
Man darf sich unter Dithmarschen beileibe nicht eine Marsch, einen durch Menschenhand dem Meeresboden abgewonnenen District, denken; die Marsch bildet kaum die Hälfte des Ganzen und existirte noch gar nicht, als das Land bereits den Namen Thiodmaresgâo führte; das wäre nichts als trüglicher Schein; das eigentliche Dithmarschen ist Geest, Sandboden, durch breite und tiefe moorichte Niederungen von dem benachbarten Holstein geschieden, mit dem es nur durch einen schmalen, etwa 1500 Fuß breiten Rücken zusammenhängt. Ueber diesen führte dann natürlich die einzige Zugangsstraße, von Hanerau nach Meldorf, alles Uebrige war unzugänglich, und die dort liegenden Wege sind erst nach der Eroberung des Landes, zum Theil erst vor reichlich zehn Jahren gebahnt.
Betritt man auf dem einzigen von der Natur geschaffenen Communicationswege, von Hanerau und Hademarschen kommend, über die hohe Lieth, das Land, so sieht man sich mit einiger Ueberraschung vor einer sehr verschiedenartigen Bodengestaltung; von der rechten Seite kommt aus hügligem, reichbewaldeten Terrain die Gieselau von Nordwest geflossen, wendet sich hart am Wege in tiefem moorichtem Boden nach Osten und umsäumt, zur Eider abfließend, den Rand des Landes; zur linken dagegen zeigt sich in einer Ausdehnung von anderthalb Meilen eine nackte ebene Heideflache, die sich südwestlich erstreckt. Es ist ein sogenannter Vierth, anfangs Albersdorfer, dann Tensbütteler Heide, darauf Krummstedter Vierth geheißen, eine Ebene, wo der nur wenig unter der Oberfläche liegende sogenannte Fuchsboden, eine steinharte, ockerhaltige Thonschicht, jeder Baumwurzel das Eindringen unmöglich macht und, dem Grabscheid widerstehend, nur mit der Haue durchbrochen werden [235] kann. Der Boden ist sandig und mager und lohnt nur dürftig die auf seine Cultur gewandte Mühe. Wenige hundert Schritt aber von dem obgedachten Wege entspringt in einem Moor die Holstenau und strömt dann, bei Schaafstedt, Hohenhörn[WS 17], Hochdonn, Sprantenkuhlen vorüberfließend, südwärts der Wilsterau und mit ihr der Elbe zu. Zu beiden Seiten lagern sich breite moorichte Niederungen, hinreichend, um jeden Verkehr mit dem benachbarten Holstein zu unterbrechen.
Verläßt man aber die obige Straße, die direct nach Westen, nach Meldorf führt, und wendet sich rechts in die Hölzungen, so steht man zunächst vor dem anmuthig gelegenen Albersdorf, wo eine Brücke über die Gieselau geht; hier spaltet sich der Weg nach Norden und nach Westen. Folgen wir dem ersteren, so führt er uns nach anderthalb Meilen Weges nach Tellingstedt, und wir befinden uns am Ufer der durch tiefe breite Niederungen führenden Tielenau, die hier allerdings auf einer Brücke passirt werden kann, welche aber in unmittelbar dahinterliegenden Höhen eine starke Deckung hat. Weiter abwärts zur Eider, in die sich die Tielenau ergießt, dehnt sich ein wenig über das Wasser erhobenes Land aus, das in alter Zeit von demselben ohne Zweifel ganz überströmt, großentheils mit Gestrüpp und Schlingpflanzen bewachsen war und jedem Vordringen eines Fremden, eines Feindes, ein unübersteigliches Hinderniß entgegenstellte. Es ist der sogenannte Tielenhemm, die erste der jetzt zu besprechenden Hammen. Daß das durch ganz Niederdeutschland und England verbreitete Wort (es genügt, an Hamm, Hamburg, Buckingham zu erinnern) von „hemmen“ herkommt und ein natürliches Hemmniß bezeichnet, liegt auf der Hand.
Am besten beschrieben findet sich die Hamme in einem von Dahlmann benutzten Codex der Hamburger Bibliothek, S. 103 (in Uebersetzung): „Hamme sind Wälder und Sümpfe oder sumpfige Hölzung. In dem tieferen Sumpfe sind die Bäume nicht hoch, sondern nur Gebüsch und Gestrüpp.“
So stand also der Feind, wenn er hier eindrang, vor einem für die Mittel der damaligen Kriegführung schwer zu bewältigenden [236] Hinderniß. Gehen wir aber über die Tielenbrücke, so stehen wir wieder in einer andern Hamme, der Norderhamme, einer natürlichen inselartigen Festung, die fast nur auf drei Brücken, der Tielenbrücke von Osten, der Aubrücke von Süden und der Eishembrücke von Westen zugänglich war. Denn ganz nahe bei der Tielenau entspringt in der Niederung von Bennewohld die Brocklandsau, fließt aber zuerst nach Westen ab, um später ebenfalls nach Norden zur Eider ihren Lauf zu nehmen. So umsäumen diese beiden Auen die drei Kirchspiele Henstedt, Delve und Ost-Tellingstedt, welche in dieser insularen Lage unter dem Namen Norderhamme eine Commune bilden, die ihr eigenes Siegel und ihre gemeinschaftliche Verwaltungsbehörde für gewisse Interessen hatte. Diese Insel, in sich gedeckt, bildet wieder für die nördlichen Kirchspiele Dithmarschens ein Bollwerk, eine Hamme.
Der Name Norderhamme selber setzt sie einer Süderhamme entgegen. Dieß sind die Waldungen, welche sich links von dem obgedachten Wege von Albersdorf nach Tellingstedt über Welmbüttel nach Schrum und Nordhastedt ziehen, und dann über Arkebeck, Riese, Riesewold, den Fielersee und Fuhlensee umsäumend, sich nach Odderade, Sarzbüttel, Lehrsbüttel und Röst erstrecken. Es ist die waldreichste Gegend Dithmarschens und doch nur schwache Trümmer der Vergangenheit: denn so groß war hier das Hemmniß, daß nach der Eroberung des Landes der neue Herrscher sofort Lichtung der Hölzungen befahl. Die Entdeckung, daß der abgeholzte Boden sehr ertragsfähig sei, trieb bald die Besitzer, weiter zu gehen und das reich bewaldete Land auf spärliche Hölzungen zu reduciren. Durch diese Hammen führte wohl der Weg nördlich vom Fielersee über Nordhastedt und die Heide, auf der jetzt die nach derselben benannte Stadt liegt. Bald nachdem der Weg bei Nordhastedt aus den Hölzungen getreten, verengt er sich zu einem schmalen Hügelrücken zwischen den Niederungen von Süderholm einerseits, und denen des Fielersees andrerseits. Das ist die berühmte Süderhamme, in der 1404 Herzog Gerhard fiel, die uns Neocorus I, 384 beschreibt: „Hertog Gerhard [237] tog am Dage Oswaldi, waß de 5. Augustus im Jare 1404, mit gewaldiger Handt dorch de Süderhamme in Dithmarschen. Dat ist eine Lantwehre mit twee- edder dredubbelten Graven up etlichen Steden und Orderen vor der Marsch, mit Holte dick bewurtelt und bewassen, dardorch geit ein enger Steenwech, zwee edder dre Steenworpe breidt, de hefft up beiden Seiden einen depen Graven.“ – Daß Neocorus zwischen dem Aussehen der Hamme in seiner Zeit und dem zur Zeit des Ereignisses nicht unterscheidet, müssen wir ihm zu gute halten, und was er mit seinem breidt meint, ist nicht ganz klar, ob er sagen will, die Schanze, die hier später angelegt ward, sei zwei bis drei Steinwürfe lang quer über den Weg gezogen, wie sie Dankwerths Karte darstellt, oder ob breit verschrieben ist für viidt, lassen wir dahingestellt sein. Der obgedachte Hamburger Codex sagt, der Weg über Nordhastedt und die Heider Schanze habe Nord- und Südhamme geschieden. Wie weit die letztere nach Süden reichte, ob auch die Hölzungen von Bargenstedt und Nindorf dazu gehörten, wird nicht gesagt. Damit stehen wir wieder an jener ersten Hauptstraße von Hanerau nach Meldorf, auf der wir das Land betraten. Auch sie erreichte den letzteren Ort nicht, ohne ihre Enge passiren zu müssen. Auf jenem Vierth, bei Tensbüttel, entspringt eine Au und durchschneidet, nachdem sie durch eine Bifurcation einen Theil ihres Wassers südwärts zum Windbergersee entsandt hat, in der Niederung bei Dellbrücke den gedachten Weg; Neocorus und Hans Dethleffs nennen es eine Furth, und die Schwierigkeiten des Ueberganges war groß genug, daß die Holsteiner 1402 zur Beherrschung des Durchganges ein Blockhaus, die Marienburg, bauten, welches den Dithmarschern so lästig fiel, daß sie einen verzweifelten Versuch wagten, dasselbe zu gewinnen, und als sie es durch Vertrag in ihre Hände gebracht hatten, nichts Eiligeres zu thun hatten, als es zu brechen und zu schleifen. Die erwähnte Au, auch Süderau und Waschau genannt, vereinigt sich dann später mit dem Abfluß des Fielersees und bildet so die Mielau, die ehemals unmittelbar bei Meldorf in die Nordsee fiel.
[238] Südwärts von diesem Wege, von Hanerau nach Meldorf und den Vierthen, ist von Hammen nicht mehr die Rede; der Name kommt hier nicht mehr vor, aber auch hier ist das Land nicht ohne seinen Schutz. Die Nordufer des Windbergersees, in den der oben genannte Arm der Waschau fällt, sind eben so reiches moorichtes Land gewesen, aber die Bewaldung fehlt; umgekehrt beginnen weiter östlich bei Eckstedt und Südhastedt wieder Hölzungen, aber die Ufer der Helmschen Beck, welche diesen Theil des Landes umsäumt, sind Wiesen, nicht ausgedehntes Moorland; auch ließ vielleicht die frühe Entstehung der Böklenburg ein solches großartiges Vertheidigungssystem hier nicht aufkommen; denn wenn auch die Hammen im wesentlichen Bau der Natur sind, so hat doch ohne Zweifel die Menschenhand nachgeholfen. Die Wahl der Stelle der Böklenburg, um da eine Burg zu bauen, ist aber nur begreiflich, so lange die südlich vorliegende Wilstermarsch noch nicht vorhanden, sondern Elbgebiet war, so daß von Stade, der Stammburg der Grafen, der Kahn seinen Herrn bis an den Fuß der Burger Anhöhe trug. Es giebt uns also ihre Erbauung um 1040 den Termin an, vor dem die Deiche der Wilstermarsch nicht können entstanden sein und vor dem die dithmarsischen nicht entstanden sind. Diese allgemein verbreiteten sumpfigen Niederungen, die mit Gestrüpp bewachsen und vom Wald gekrönt sind, sind also das charakteristische Zeichen Dithmarschens und das möchte auch wohl nebenher in seinem Namen ausgesprochen sein. Denn wenn wir oben seine Grenze durch eine Hamme über die andere gedeckt gesehen haben, so sind damit die Hammen keineswegs erschöpft; auch das Innere des Landes ist von denselben durchzogen. Nur beiläufig sei hier der Weg westlich von Meldorf erwähnt, der ohne Ausgang in die Niederung leitet und wie eine Sackgasse nöthigt, wieder umzukehren, und noch heut zu Tage den Namen „auf dem Hemm“ führt. Das Gleiche wird mit Hembüttel bei Marne der Fall gewesen sein. Aber eine historisch wichtige Hamme liegt zwischen Meldorf und Hemmingstedt, das davon seinen Namen hat. Wer von der jetzigen Chaussee aus etwas vor Hemmingstedt [239] aufmerksam die Bodengestaltung betrachtet, erkennt an der wechselnden Höhe des Landes leicht, daß er eine alte Insel sieht, deren umschließende Arme sich im Schweinemoor vereinigten und dort den Boden überrieselnd noch vor 30 Jahren dem Wagenverkehr gefährlich und hinderlich waren, bis geordnete Wasserleitung und Erhöhung des Weges dem Uebelstande abhalfen. Das ist das vadum Hemmingstedt, durch welches 1319 Gerhard der Große Wörden überraschte, an dem 1500 die von Wörden kommenden Dithmarschen der großen Garde Stand hielten und durch erfolgreichen Kampf gegen dieselbe einen der glänzendsten Siege errangen, indem sie nicht bloß Wörden, sondern mit ihm auch Heide und das ganze nördliche Dithmarschen schützten. – Wieder eine andere Hamme ist die von Hennstedt, das ebenfalls davon benannt ist, die Hamme der Brocklandsau, ganz ähnlich der Tielenhamme, und jene natürliche Festung, die Nordhamme, von Westen und Norden eben so deckend, wie die Tielenhamme von Osten. Diese Hamme umfaßte nicht weniger als die jetzigen Kirchspiele Schlichting und St. Annen. Noch eine andere Hamme hat dem Kirchdorf Hemme seinen Namen gegeben. Ursprünglich theilte sich nämlich die Eider an ihrer Mündung in eine Menge von Armen[81], von denen drei die jetzt unter dem Namen Eiderstedt landfest gewordenen Inseln umspannten, ein vierter aber noch 1520 von dem Prediger Joh. Erp in dem mehrerwähnten Hamburger Codex genannt ward, den wir wohl bei Wollersum und Nesserdeich zu suchen haben, und der in den inneren Fehden des Jahres 1508 ohne Zweifel eine nicht unbedeutende Rolle gespielt hat.
Was aber diesen Hammen historisch eine große Bedeutung giebt, ist, daß die Wege in dieselben, wie in Gebirgen die Pässe, von der Natur selbst festgestellt sind, so daß man dadurch auch, wenn sie nicht erwähnt sind, ganz unfehlbare Anhaltspunkte [240] gewinnt und die einzelnen Ereignisse zu localisiren und zu ergänzen im Stande ist, wo die Erzählung zu leicht und oberflächlich darüber hingeht.
Es ist im Obigen nichts gesagt über die Reihe von Seen, welche sich am Rande der dithmarsischen Geest hinziehen und auf das Eigenthümliche der Bodengestaltung hinweisen, der Mötjensee, Steller-, Fieler-, Fuhlensee, Windberger-, Kudensee; es sind Lagunen; das Wasser ist abgesperrt durch vorliegende Dünen; sechs auf einer Länge von etwa sieben Meilen, nichts von den aufgetriebenen Mooren, die auf Marschboden lagern, bei Wittenwurth und im Süden des Kudensees, weil sie mit der hier vorliegenden Frage nicht in directer Verbindung stehen.
Die Frage, was es war, das Meldorf zum Mittelpunkt des Landes erhob, haben wir früher dahin beantwortet, daß es sein Markt und Marktfriede war; und bis zu den Zeiten des Erzbischofs Gerhard II. haben wir den Markt (Norder- und Südermarkt) gewiß als ungetrennte Einheit zu denken. So wollen wir denn auch hier hervorheben, daß Meldorf zu der Zeit, von der wir reden, drei Jahrmärkte hatte, Ostern, Johannis und Mariä Geburt; dann hatte der Kaufmann mit seinen Waaren freies Geleit. In dieser Zeit aber ward Meldorf recht eigentlich Centralpunkt, ward Stadt. Den Geistlichen Dithmarschens ward die Verpflichtung erlassen, sich in Hamburg zu den jährigen Versammlungen zu stellen, der Dompropst sandte zweimal seinen Official nach Meldorf, der hier die Convente abzuhalten, die laufenden Sachen zu untersuchen, Brüchen [241] zu verhängen und einzutreiben hatte. Ingleichen finden wir von hier ab die politischen Verhandlungen mit auswärtigen Städten und Fürsten in Meldorf und ingleichen werden daselbst viel Convente der Geschlechter abgehalten sein, wo dieselben über das ganze Land zerstreut wohnten. In diesen Jahren empfing Meldorf Stadtgerechtigkeit von Gerhard II., der 1259 starb, wahrscheinlich um 1256, und Stadtwappen, eine Burg mit fünf Thürmen, mit dem es 1265 als Stadt erscheint. Leider ist das Meldorfer Stadtrecht verloren, doch kündigt sich das Lundener Stadtrecht an als mit entschiedener Berücksichtigung des Meldorfer Stadtrechts entworfen; so darf man wohl die Verfassung beider als ziemlich gleich betrachten. Lunden hatte zwölf, jährlich um Martini gewählte Rathsherren, aus welchen der abtretende Rath zwei Bürgermeister erwählte, und denen sechs Bürgerdeputirte beitraten, um ihnen in bedenklichen Fällen als Beirath zur Seite zu stehen. Schwerlich hatte Meldorf deren mehr, da neben dem Rathe auch noch die Schließer und Geschworenen für das ganze Kirchspiel existiren. In den beigeordneten Sechs haben wir vielleicht den Ursprung unserer Bürgersechs zu erkennen. Am nächsten Tage nach der Wahl werden diese auf dem Rathhause auf das Stadtrecht vereidigt. Nachdem der neue Rath von seinen Vorgängern die Casse in Empfang genommen, wofür demselben nicht etwa Papier und Dinte (Inventar) angerechnet werden soll, wird dem alten Rath der Eid abgenommen, daß er nach dem Stadtrecht sein Amt verwaltet habe, und derselbe darauf seines Amtes entbunden. Darnach lag in den Händen der neuen Bürgermeister Gericht und Verwaltung, sowohl Blutbann und Criminaljustiz, als auch die Civilstreitigkeiten, die Administration und Polizei. Die Bürgerschaft wird durch eine Glocke zusammenberufen und übt das Recht der Beliebung. Sie hat keine innere Gliederung und eine Scheidung in Eggen (Viertel) findet sich nur in Beziehung auf Beerdigung von Leichen angezogen, alle Mittelbehörden mit gerichtlichen Functionen sind beseitigt. Sie hat ihre eigne Casse und faßt ihre Beschlüsse mit zwei Drittel Majorität. Gesondert von ihrer Casse ist die des Rathes. In [242] Lunden galt das dithmarsische Landrecht; an welches Stadtrecht sich das Meldorfer Stadtrecht anlehnte, läßt sich nicht sagen. Durch einen besoldeten Rathsdiener bescheiden die Bürgermeister zu jeder Zeit die Rathsherren einzeln oder in corpore zu sich, übertragen ihnen bestimmte Functionen; die Gerichtsbarkeit üben sie mit ihnen gemeinschaftlich. Die Brüchen, mit denen jedes Verbrechen bedroht ist, fallen zur Hälfte in die Casse des Raths, zur Hälfte in die der Bürgerschaft. Der Todtschläger hatte zwei Drittel seines Guts verbrochen, doch kann Nothwehr unter Heranziehung der Beigeordneten Begnadigung herbeiführen; aber es bedarf einer Majorität von zwei Drittel Stimmen. Eben so richtet der Rath über Beschädigungen am Leibe, über Raub, Diebstahl, Hehlerei. In Injuriensachen und einer Zahl von Polizeisachen fällt ihm die ganze Brüche zu. Er vertritt die Stadt in Händeln, welche die Bürger mit auswärts Wohnenden haben, durch Deputirte aus seiner Mitte (der Lundener auch vor den Achtundvierzigern) und kann dazu jeden Bürger bei namhafter Brüche heranziehen. Jede Störung des Hausfriedens muß ihm bei Brüche angezeigt werden. Denn wie die Rechtspflege, so liegt ihm die Sittenaufsicht über Einheimische und Fremde ob. Ohne seine Erlaubniß darf sich kein Fremder niederlassen[82], er straft den Wirth, der einem Fremden dauernde Wohnung gibt, ehe er die Bauerschuld (das für das Niederlassungsrecht zu Entrichtende) bezahlt hat. Er beaufsichtigt die Gemeinweide und das Stadtmoor; in seinen Händen ist die gesammte Polizei, Wegebau und Straßen- wie Brückenbau sammt deren Reinigung, Wasserleitungen und Siele, so wie das Brandwesen, zu welchem Behufe er an bestimmten Tagen Visitationen hält; bei ihm die Marktpolizei, Aufsicht über Maß und Gewicht und deren Stempelung; er beaufsichtigt die Müller und das Matten, das Aufkäuferwesen und stellt die Torfpreise fest. Er übt die Aufsicht über Hochzeit und Leichenbegängniß, Ehe der Fremden und ihre Papiere, hält die Geistlichen zur Trauung derselben an, [243] oder weist sie fort, steuert der Unsittlichkeit. Die Hochzeit darf nicht über drei Tage währen, von Dienstag bis Donnerstag; er hat darauf zu achten, daß die Einladung in gehöriger Form geschehe, die ungebetenen Gäste fortzuweisen. Auch den Leichenzug des Armen ordnet er: die nächsten Angehörigen haben für das Grab zu sorgen, aus jedem Hause der Egge hat ein Mann zu folgen, bei einer Staatsleiche ein Mann aus jedem Hause der Stadt, und der Rath hat Manneszahl abzuhalten. Er beaufsichtigt den Kaufmann, er weist dem Schiffer im Hafen seinen Platz an.
Unter Aufsicht des Rathes endlich versammelt sich einmal am bestimmten Tage und Orte alles, was die Waffen tragen kann, von dem vierzehnjährigen Knaben bis zum Greise, so lange er noch ohne Stock gehen kann. Jeder erscheint zu dieser Musterung in seiner vollen Bewaffnung und die Besichtigung gilt den Waffen nicht minder als dem Mann.
So ist eine Stelle im Rath fürwahr keine Sinecure und ein großer Theil der Brüchen mußte mit Reisen und Zehrungskosten aufgehen. Wir haben es wohl dem jährlichen Wechsel zuzuschreiben, daß wir kaum einen Meldorfer Bürgermeister kennen, geschweige denn einen Rathmann. Eine Ausnahme macht gegen das Ende des 15. Jahrhunderts Jacob Polleke, der eifrige Vertheidiger dithmarsischer Freiheit gegen die Ansprüche des dänischen Königshauses.
Der Zeit, in der wir stehen, d. h. dem Ende des dreizehnten Jahrhunderts, verdankt Meldorf ohne Zweifel das beredteste Monument seiner einstigen Größe, seine Kirche. Diese Kirche hat nicht Stadt oder Kirchspiel Meldorf gebaut; woher hätte das die Mittel genommen? wie hätte das sich so hoch über das Maß einer Landkirche erhoben? Sie ist auch nicht von Hamburg aus gestiftet; dann fänden wir in der Hamburger Kirchengeschichte die Andeutungen. Diese Kirche hat das Land Dithmarschen errichtet, sich zu Ehr und Frommen; es konnte aber das Land sich zu einem solchen Bau nur veranlaßt sehen in einer Zeit, wo Meldorf wahrhaft dessen Hauptstadt und Mittelpunkt war. Da uns aber auch nicht eine Notiz über [244] die Zeit der Erbauung erhalten ist, so müssen wir dieselbe durch Schlüsse festzustellen suchen, und da wird man einräumen müssen, einmal daß der Bau einer solchen Kirche die Kräfte des Kirchspiels überstieg, sodann, daß, seitdem Meldorf Hauptstadt[WS 18] war, Dithmarschen sich den Bau einer Kathedrale zu einem Ehrenpunkt machen konnte, demnächst daß der Baustil auf das Ende des dreizehnten Jahrhunderts hinweist, endlich daß der Beschluß, nach dem Siege bei Wörden, 1319, zum Dank für den Sieg in Meldorf ein Kloster zu bauen, sich doch nur begreifen läßt, wenn eine würdige Kirche nebst Thurm bereits existirte. – Also vor 1300 wird dieser Bau vollendet gewesen sein. – Wenn wir uns aber auf den Baustil beriefen, so sind für unsere Gegend einige Worte der Erläuterung wohl nicht überflüssig. Man pflegt hier Kirchen von der Art der unsrigen ohne weiteres gothische zu nennen und dadurch zwei verschiedene Baustile mit einander zu verwechseln, den älteren romanischen Pfeilerbau, der, wie uns einer der ersten Kenner dieser Sachen, Lübke in seiner Geschichte der Architectur, S. 199 lehrt, vom Jahr 1000 an drei Jahrhunderte die abendländische Welt beherrschte, und den gothischen Säulenbau, dessen Anfänge 1160 erscheinen und der seine höchste Ausbildung im 14. Jahrhundert erreicht. Charakteristisch ist für den ersteren zunächst der Pfeiler, dem sich kräftige Halbsäulen vorlegen, oben bedeckt durch einen abgerundeten Würfel, von dem die Gurten emporsteigen; sodann der Rundbogen, der sich aber bei den späteren Kirchen romanischen Stils, im sogenannten Uebergangsstil, zu einem flachen Spitzbogen erhebt; endlich, daß sich das Quadrat, welches durch die Kreuzung des Langschiffes mit dem Querschiff entsteht, nach der einen Seite als Chor, nach den beiden andern als Flügel, und endlich nach der letzten verdoppelt oder verdreifacht als Langschiff wiederholt. Für den gothischen Stil dagegen nennt Lübke als charakteristisch zuerst als Grundlage die freistehende Säule. Da aber die Säule viel geringere Tragkraft hat als der Pfeiler, so haben die Säulen viel näher an einander gerückt werden müssen, die Bogen zwischen ihnen steigen doppelt spitz empor und es entstehen mit Ausnahme jenes [245] Durchschnittes von Lang- und Querschiff, welches Quadrat bleibt, zwischen je vier Säulen Oblonge. – Legen wir diese Grundzüge an unsere Kirche, so finden wir nirgends ein Oblong, sondern lauter Quadrate, Chor, Durchschnitt, Flügel und das Langschiff zwei Quadraten gleich, finden außer dem Südergewölbe, das viel jünger ist und erst zwischen 1444 und 1500 erbaut sein kann, nirgends eine Säule, sondern nur Pfeiler. Wir finden als Zierde an den Pfeilern die obengenannten Halbsäulen mit dem für sie als Capitälschmuck postulirten Würfel. Wir finden auch im Chor, was ebenfalls dem romanischen, nicht dem gothischen Stil eigenthümlich ist, ein sogenanntes Netzgewölbe, die Gurten der Gewölbe von Consolen getragen, während da im gothischen Bau Halbsäulen aus den Wänden hervortreten. Und was nun den für den romanischen Stil charakteristischen Rundbogen anlangt, so finden wir ihn überall als Schmuck der äußeren Kirchenmauer des nördlichen Flügels (der südliche ist leider bei dem späteren Bau des Süderschiffes zerstört), finden ihn im Innern in den Nischen, da freilich von einem flachen Spitzbogen überdacht, was uns auf den sogenannten Uebergangsstil hinweist, eben so wie die Gewölbe im Innern in flachem Spitzbogen. Auch die Verzierungen der östlichen Außenwand sind die der romanischen Portale, wie sie bei Lübke, S. 229 der ersten Ausgabe, abgebildet sind. Eine andere charakteristische Zierde der romanischen Kirchen, die sogenannte Apsis, ein Halbkreis, der oftmals sich besonders beim Altar zeigt, oft ein Bischofsgrab, Krypte, unter sich birgt, findet sich freilich nicht, aber es ist nicht unwahrscheinlich, daß der nördliche Flügel unter seinen beiden oberen Fenstern eine solche gehabt habe, und vermuthlich eben so der südliche, die durch den Bau der sogenannten Garvekammer zerstört ist. – Es mag hier noch darauf hingewiesen werden, daß das Hauptpastorat an seinem Ostende diese Apsis zeigt.
Haben wir so den spätromanischen Stil als den unserer Kirche nachgewiesen, so wird für uns von großer Wichtigkeit Lübke’s Urtheil (S. 246), daß die Tendenz, in diesem Stil zu bauen, bis in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts reicht, [246] d. h. gerade bis in die Zeit, wo Meldorf Stadt und Hauptstadt Dithmarschens wurde. Ob übrigens dieselbe eine Nachahmung des zwischen 1266 und 1276 erbauten Lübecker Domes ist, wie Lübke S. 259 den Dom zu Ratzeburg eine Nachahmung des braunschweigischen nennt, muß dahingestellt bleiben.
Es erübrigt nur noch, zweier Dinge zu erwähnen, des Thurmes und des Südergewölbes. Daß der alte Thurm mit der Kirche aus einem Guß hervorgegangen ist, hat sich beim Abbruch desselben 1867 gezeigt. Da war nirgends eine Scheide zwischen beiden zu entdecken und die Steine mußten sämmtlich durchgehauen werden. Es fand sich bei dieser Gelegenheit auch, daß der ursprüngliche Hauptzugang durch den Thurm gegangen sei, wie die dadurch bloßgelegten Gewölbe zeigten. Der Thurm ist wohl der erste wunde Fleck der Kirche gewesen, denn der Grund desselben war so flach gelegt, daß er oberhalb der Straße lag. (Von einem eigenen Grundstein fand sich keine Spur.) In Folge dessen muß die Westmauer desselben schon frühzeitig bedenklich gesunken sein, so daß man sich genöthigt sah, den Eingang durch denselben aufzugeben, aber auch die Ausfüllung der Oeffnung durch Steine, die Vermauerung mit gehauenen Quadern, nichts konnte den Mangel eines genügend tief gelegten Grundes ersetzen, und die Risse und Spalten der Westmauer haben sicherlich seit Jahrhunderten die Sorge der Kirchenbehörde gemacht. Auch das Material des Backsteines wollte hier wie an mehreren Stellen der Verwitterung nicht genügend widerstehen. Bei dem Thurmbau aber hat man sich etwas leicht davon gemacht. Der Grund war nur aus unverbundenen Felsen; in der Mauer wechselten Stellen, wo dieselbe gediegen von Steinen war, mit anderen, wo loser Schutt ohne Mörtel den Zwischenraum von zwei Futterungsmauern füllte, was bei dem Abbruch des Thurmes nöthigte, die Mauern bis auf den Grund abzubrechen. Der Thurm diente übrigens den Seefahrern beim Einfahren in die Elbe zum Wahrzeichen. 1435 traf ihn ein Blitzstrahl und äscherte den oberen Theil ein. Nachdem er in der nächsten Zeit wieder [247] aufgebaut war, stürzte 1444 am 29. November die Spitze in einem furchtbaren Sturme zusammen. So erhielt er dann die unschöne Form, die er Neocorus (II, 532) zeigt, bis 1866 am 28. Januar die Spitze abermals vom Blitze getroffen abbrannte, was dann zu einem neuen Thurmbau führte.
Das mangelhafte Material hat zu wiederholten Malen Bauten an den Mauern der Kirche nöthig gemacht, die sich durch viel kleinere Steine dem Auge leicht entdecken. Das kann aber nicht der Grund, wenigstens nicht der alleinige Grund des Hauptbaues der späteren Zeit gewesen sein, der die Mauern nach Süden weiter vorrückte, die Spur des südlichen Flügels vertilgte und statt dessen der Kirche ein zweites Längenschiff, das sogenannte Südergewölbe, gab. Vermuthlich galt es, Raum zu Begräbnissen in geweihtem Boden zu gewinnen, wie denn hier die ältesten Leichensteine in der Kirche von 1504 und 1556 liegen, vielleicht zu Meßaltären und Leichenfeierlichkeiten. Der Stil ist entschieden gothisch, freistehende Säulen, die Erbauungszeit wohl zwischen 1444 und 1500. Denn die älteste Abbildung von Meldorf aus der Vogelperspective in Brauns Theatrum mundi 1572 zeigt zwar den Thurm, wie er nach 1444 wieder aufgebaut war, aber nicht das Südergewölbe, während sie sonst sich als höchst genau gearbeitet erweist, wie sie denn auch die Unterschrift „Daniel Frise Dithmarsus“ führt.
Die Rathgeber, consules oder consiliarii, sind ein Collegium, das bis dahin eine eingehendere Beleuchtung nicht gefunden hat. In den holsteinischen Districten findet sich, soviel mir bekannt ist, nichts Aehnliches, wohl aber in den friesischen Wesermarschen, worauf mich zuerst Herr Geheimerath Michelsen aufmerksam [248] gemacht hat; dort aber sind sie auch sehr verbreitet. Wir sind leider für Dithmarschen weder über ihre Zahl, noch ihren Geschäftskreis, noch die Art ihrer Wahl und Dauer ihres Amts, noch über ihr Verhältniß zu dem Adel des Landes unterrichtet. Aus dem, was oben gesagt ist über die Nationalität der Dithmarschen, erhellt bereits, daß ich sie nicht für uralt halten kann, sondern für eine Institution des Erzbischofs Gerhard II. (1219–1259). Es ist mir auch keinen Augenblick zweifelhaft, daß sie es waren, welche den Adel Dithmarschens aus seiner Stellung verdrängten. Es sei hier frei die Vermuthung ausgesprochen, daß ihrer Einführung zwei verschiedene Motive zu Grunde lagen; theils daß es nicht der Adel Dithmarschens war, der in der Schlacht bei Bornhöved zu den Deutschen überging, sondern die Gemeinde, und daß man dieser dafür Concessionen machen wollte, indem man ihr Theilnahme an den öffentlichen Berathungen und Beschlüssen gewährte; theils daß der Wunsch zum Behuf der Eindeichung zahlreiche Friesen ins Land zu ziehen zwang, denselben auch eine politische Stellung zu geben, wie sie dieselbe in ihrer Heimath gehabt hatten. Ich denke mir, daß die Rathmannen am Ende den gesammten Adel des Landes in ihre Mitte aufnahmen, der durch die vielen voraufgegangenen Revolutionen (Abfall von Bremen zu Schleswig, Unterwerfung durch Waldemar II., neuer Abfall, neue Unterwerfung), die leicht blutig an ihm gerächt wurden, stark mag decimirt gewesen sein, und daß dieselben so den Wegfall der Adelscurie in den Acten nach 1286 herbeiführten. Gewiß war unter den sich ansiedelnden Friesen auch Adel, was den Uebergang erleichtern mußte. Doch wie man auch darüber denke, wir müssen uns zunächst einmal die Stellung der Rathmannen in den Weserlanden ansehen.
Da finden wir zunächst:
1291 eine Urkunde: Nos Consules et Universitas terre Wirzacie (Pratje, Altes und Neues V, 309).
[249]
1316 Urkunde: Nos Judices, Consules et Universitas terrae Worsatiae (Stern, Hist. Nachr. v. Lande Wursten, S. 34)
1406 Urkunde: Wy Söstein Rathgevers (Stern, a. a. O., S. 35).
1469 Urkunde: Wy Söstein Rathgevere und gemenen Insaten des Landes tho Wursten (Stern a. a. O., S. 44).
1500 Huldigungsbrief: Wy Sösteyn Radtgevere und gemenen Inwaner des Landes tho Wursten (Stader Archiv II, 95).
1508 Willküer od. Gesetze. Wy Sösteyn Radgever und Achtein Vollmächtige uth dem Lande Wursten (Stern a. a. O., S. 22).
1518 Huldigungsreceß: Wy Söstein Rathgevers und gemene Inwaners (Stern a. a. O., S. 51).
1427 Vertrag der 16 Rathgeber und Gemeinheit des Butjadingerlandes mit dem Rathe von Bremen (erwähnt bei Cassel, Bremensia I, 327).
1457 Urkunde der Rathgeber in Butjadingen (erwähnt ebendas.).
1460 Vertrag der Landsassen der Landschaft mit den Eingesessenen des Weichbildes Otterndorf: Wir Hauptleute und Mannheit des ganzen Landes zu Hadeln.
1584 Vertrag mit Otterndorf: Schultzen, Schepfen und Vollmächtigen unsers Erblandes Hadeln.
1585 Herzog Franz’ II. Confirmation der Privilegien des Landes Hadeln. Schultzen, Schepen und Gevollmächtigte unsers Erblandes Hadeln.
1586 Verschreibung der 5 Kirchspiele: Wir Schultzen, Scheffen, Vollmächtige und gantze Gemeine der 5 Kirchspiele im Lande zu Hadeln.
(Sämmtlich gedruckt bei Spangenberg, Sammlung der Hannov. Verordnungen.)
[250]
1291 Vertrag. Senatus Brem. et Sculteti, Aldermanni et Universitas terrae Wurden (erwähnt Cassel, Bremensia I, 323).
1323 Willküren von Upstalsboom: Nos Grietmanni, Judices, Praelati et Clerus terrarum Ostergoe et Westergoe (Wiarda von den Landtagen der Friesen, S. 174.)
1327 Urkunde. Judices et universitas terre Astringie (Ehrentraut, Fries. Archiv I, 429).
Diese Mittheilungen von Freundesseite, Herrn Dr. Theobald in Hamburg, sind wohl geeignet, Licht auf das Collegium der Rathmannen zu werfen: sie stehen der Landesgemeinde gegenüber, der Universitas terrae, und werden nur in Verbindung mit ihr genannt, sie haben den Beruf, eine vorberathende Deputation zu sein, über deren Gutachten und Vorschläge dann die Landesgemeinde mit Ja oder Nein abmehrt; sie führen die Unterhandlung mit fremden Mächten und Communen, die Landesgemeinde ratihabirt sie; darum erscheinen sie bei Huldigungen, Verträgen und Gesetzabfassung; sie vermitteln auch wohl die Interessen verschiedener Kirchspiele. Daß sie in Hadeln Hauptleute genannt werden, läßt vermuthen, daß die Marschhauptleute in der Wilstermarsch auch nichts anderes sind. Richterliche Functionen werden ihnen nirgends beigelegt, vielmehr erscheinen die Richter neben ihnen, in Wursten bereits 1319, wie in Hadeln die Schöffen neben den Schulzen; und darin wird auch der Unterschied der Rathmannen von den Achtundvierzig bestanden haben, welche Neocorus und die Aelteren alle zusammen für uralt annehmen, ein Irrthum, der erst durch Dahlmann aufgedeckt ist.
Die Zahl der Rathmannen erscheint in Wursten und Butjadingen stehend als 16, und diese beiden Provinzen kommen um so viel mehr in Betracht, als aus ihnen Einwanderungen in Dithmarschen stattgefunden haben. Nimmt man diese Zahl [251] für jedes Döfft in Dithmarschen an, so erhält man 80 Rathmannen, und auf 70 bis 80 hat Dahlmann dieselben angeschlagen. Daß ihrer eine größere Zahl war, steht aus der Urkunde bei Neocorus (I, 633) fest, wo 28 namentlich aufgeführt sind, und doch ist von der ganzen Geest (Burg, beiden Hastedt, Albersdorf, Tellingstedt, Hennstedt, Delve) nur ein Mann gegenwärtig, wie auch von den fünf Vögten zwei fehlen. Meldorf und Windbergen sind durch sechs, Wörden durch vier Mann vertreten. Das geht auch hervor aus Michelsen, Urkundenbuch XVII, 22 vom Jahr 1323, wo von einem Comite von 12 Personen gesprochen wird, die aus ihrer Mitte ernannt werden sollen. Nimmt man an, daß jedes Döfft die in Dithmarschen sonst immer wiederkehrende Zahl von 12 Rathmannen hatte, so wären ihrer 60 gewesen und die Achtundvierzig wären die Rathmänner der vier nördlichen Döffte, da die Strandmannen wegen der Entfernung von Heide den Beitritt verweigerten. Dann wäre der Act von 1447 Ergänzung der Rathmänner durch Neuwahl, mit Beseitigung der notorisch unfähigen und Uebertragung von richterlichen Functionen auf dieselben. Dadurch würde der Glaube, daß die Achtundvierziger von jeher an der Spitze von Dithmarschen gestanden hätten, wie ihn Neocorus und wohl alle Aelteren hegen, bis zu einem gewissen Grade gerechtfertigt.
Daß sie gewählt waren und zwar auf Lebenszeit, ist durchaus wahrscheinlich, wenn auch nicht zu erweisen: es liegt nahe, anzunehmen, daß sich das Rathmannencollegium aus dem populären Theile des Adels und aus den begütertsten und einflußreichsten Männern der Gemeinde zusammensetzte. Was der Adel that, um dem Aufgehen in den Rathmannen zu entgehen, das bedeckt die Nacht der Vergessenheit. Es läßt sich vermuthen, daß bei dem Tode eines Rathmanns seine Stelle durch Neuwahl besetzt ward, daß man aber gern den Sohn in des Vaters Stelle treten ließ und dadurch dem Geschlechte einen gewissen Einfluß auf die öffentlichen[WS 19] Angelegenheiten sicherte.
Mit dem Auftreten der Achtundvierzig verschwinden die Rathgeber auf einmal fast gänzlich, ja die Achtundvierzig nennen [252] sich ohne weiteres Rathgeber. Michelsen, Urkundenbuch, S. 75. 85. 86 nennen sich auch geborene Richter und Regenten; und in der That, wo oberste Justiz und Verwaltung in eine Hand gelegt ist, da ist die Regierung da. Die Achtundvierzig treten aber viel entschiedener auf als die Rathgeber: in manchen Acten erscheint ihr Name ganz allein ohne die Landesgemeine. Daß aber das Collegium der Rathmannen nicht ganz neben ihnen verschwand, verhinderte das Verhältniß zum Süderstrande, der unter den Achtundvierzig nicht vertreten war. In den Fällen also, wo das ganze Land vertreten sein sollte, blieb nichts übrig, als neben den Achtundvierzig auch die Rathgeber des Süderstrandes zu berufen, oder das Collegium, so weit es von den Achtundvierzig verschiedene Persönlichkeiten zählte, wie bei der Sühne und dem Vergleich des Landes 1456 (Michelsen, Urkundenbuch, S. 59) zusammentreten zu lassen.
Ob die Fassung des zuerst von Molbech (Ditmarskerkrig) mitgetheilten Vertrages von der Art der Ueberlieferung oder dem Concipienten herrührt, muß dahingestellt bleiben. Es ist ein höchst merkwürdiger Vertrag, indem die Dithmarschen nur Zusagen machen, ohne die geringste zu empfangen; und keine Andeutung weist uns auf ein ihnen ausgestelltes anders lautendes Instrument. Sie sagen dem Grafen Gerhard II. und seinen Erben Beistand mit bewaffneter Hand zu, in und außerhalb seiner Herrschaft, und excipiren nur ihren Herrn, den Erzbischof, und auch diesen nur für den Fall, daß von holsteinischer Seite ein Angriffskrieg auf sein Land erfolge. Im Fall eines [253] Defensivkrieges bedingen sie für sich nur die Erstattung der Kosten; weiter sagt ihnen der Graf absolut nichts zu. Ist schon dadurch dieser Vertrag höchst merkwürdig, so wird er es doppelt, weil ihn nur eine Partei in Dithmarschen schließt, die Landesgemeinde mit ihrem Rath an der Spitze: der Adel und die erzbischöflichen Vögte fehlen. Aber auch der Feind, gegen den derselbe geschlossen wird, ist räthselhaft, ja vollständig unsichtbar. Es ist ein Feind, der „den Friedenspfad des Grafen binnen Landes stören kann“, der aber auswärtig eine Unterstützung zu gewärtigen hat. – Ist es zu kühn, auf den holsteinischen Landesadel zu rathen? Von ihm sagt Waitz (Schleswig-Holsteinische Geschichte I, 126): „Mit den eignen Rittern, den Dithmarschern, den Lübeckern, den wendischen und deutschen Fürsten fehlte es den Grafen nicht an Streitigkeiten“ und (S. 125): „Die Ritterschaft hat sich (bei den Theilungen des Landes) offenbar nicht trennen lassen, sondern in diesen Theilungen einen Grund gefunden, unter sich engere Verbindungen einzugehen.“ Enewold bei Westph. IV, 1624 spricht ganz unverholen von den heftigen Spannungen und Gegensätzen beider Theile. Das giebt Licht: Gegen den Adel beider Länder - denn daß man dieses Bündniß nicht außer Beziehung auf die drei Jahre später erfolgte Unterdrückung des dithmarsischen Adels betrachten darf, wird doch wohl kaum bestritten werden – ist dieß Schutz- und Trutzbündniß geschlossen worden. Der scharfe Gegensatz zwischen Graf und Adel ist auch von Bolten II, 348 in dem gleich darauf folgenden Hasenkrieg anerkannt: „Es wurden damals einige holsteinische Edelleute beschuldigt, daß, weil ihnen dieser Krieg ganz zuwider gewesen wäre, sie mit Vorsatz zu fliehen den Anfang gemacht hätten, aus welcher Ursache sie auch vom Grafen Landes verwiesen wurden“ (vgl. J. Petersen, Holsten-Chronica, S. 78). Aber wir finden hier ein Gewirre von Verhältnissen: 1283 schließt der Graf Bündniß mit den Dithmarschen, augenscheinlich, teilweise gegen den Erzbischof; 1288 dagegen finden wir den Erzbischof Giselbert die Dithmarschen mit Truppen unterstützend, die Grafen dieselben angreifend, den dithmarsischen Adel von [254] seinen Landsleuten unterdrückt, den holsteinischen theilweise von seinem Landesherrn geächtet und vertrieben. Sind das nicht Verhältnisse, welche zu einem sorgfältigen Zurechtlegen auffordern, und drängen auch einmal, sich zu bemühen, ein wenig zwischen den Zeilen zu lesen?
War es nicht zu kühn, zu vermuthen, daß das 1283 einseitig von Rathgebern und Landesgemeinde geschlossene Bündniß von Dithmarschens Seite gegen den dithmarsischen Adel gerichtet war; dann war es Lohn für geleistete oder zugesicherte Unterstützung des Grafen, bestimmt dem dithmarsischen Adel die Hoffnung auf einen Rückhalt an dem Grafen wie an dem Erzbischof abzuschneiden. Aber auch dieser blieb demselben gegenüber nicht unthätig: es gab der holsteinischen Grafen mehr, und die Einigkeit unter ihnen war nicht übergroß. Hatte die Landesgemeinde eine Stütze an Graf Gerhard gefunden, so suchte und fand sie der Adel bei Gerhards Vettern Heinrich und Johann, die freilich nicht wie Gerhard des Landes unmittelbare Nachbaren waren (Kiel, Segeberg, Neumünster, Bornhöved, Elmshorn und Krempe waren ihre Städte, während Gerhard Rendsburg und Itzehoe besaß). Er bot für die Hülfe einen hohen Preis: Vereinigung Dithmarschens mit Holstein, brachte den Standesinteressen das Landesrecht zum Opfer, denn Neocorus (I, 352) bezeugt, daß die beiden gedachten Grafen gegen die Verträge nach der Schlacht bei Bornhöved Ansprüche auf Dithmarschen erhoben, und die Sache erschien so drohend, daß Erzbischof Giselbert sich beeilte, die Dithmarschen mit Truppen zu unterstützen. Die Entdeckung dieser Umtriebe aber rief einen Sturm des Unwillens hervor und wurde vernichtend für den Adel. Beziehen sich darauf vielleicht die Worte Heinrich Ranzau’s in der Descriptio Chers. Cimbr. (Westph. Mon. ined. I, 45): „Porro cum Adolphus III Holsatiae comes A. C. 1186 eos sibi subjectos teneret, illi (Thetmarci) a fide praestita recedentes odio Comitis omnem nobilitatem, quae multa eo loco erat, ejecerunt“? Jedenfalls ist es eine Reminiscenz, indem er Adolf III. und das Jahr 1186 mit Heinrich und 1286 verwechselte. Jedenfalls war die Aufhebung [255] der Adelscurie die Folge von diesen Transactionen, und den erzbischöflichen Vögten stand fortan allein die Landesgemeinde mit ihren Rathgebern an der Spitze gegenüber, denn weiter besagt die sogenannte Vertreibung des dithmarsischen Adels wohl nichts. Eine Minderung der Privatrechte desselben (Aufhebung eines Verhältnisses zu Hintersassen) ist damit, daß die Milites in den Urkunden nach 1286 nicht genannt werden, doch nicht gegeben, und ohne bestimmte Beweise nicht anzunehmen. – Hypothese ist in dem Obigen außer der Annahme, daß von dem Adel die Vereinigung Dithmarschens mit Holstein angeboten sei, nichts; aber eine solche Revolution wie die Aufhebung der Adelscurie will doch ihren Grund haben. Wichtig ist die Unterscheidung der 1283 paciscirenden und der 1288 handelnden Grafen. Der Erzbischof, von dem man in Dithmarschen eine Unterstützung des Adels gefürchtet hatte, fügte sich. Dem Adel blieb in den Tribus der Landesversammlung sein Platz gewahrt, und der größere Theil dachte patriotisch genug sich zu unterwerfen – wie wir denn z. B. später die Nannen als ritterbürtige Leute, Ritter des heiligen Grabes sehen –, sie hatten adlige Haltung gewahrt und, indem sie nur mit den andern Großen des Landes Ehebündnisse eingingen, die Reinheit des Blutes erhalten. Daß in vielen adligen Familien Dithmarschens tiefe Verstimmung davon die Folge war, ist nur zu wahrscheinlich, wie wir denn später manche ihre Güter verkaufen und sicherlich aus dem Lande ziehen sehen, z. B. Otto von Plon bei Michelsen, Urkundenbuch, S. 15. Die Auswanderung der Reventlouen fällt wohl früher, vor 1272, und hat mit diesen Verhältnissen nichts zu thun (Michelsen, Urkundenbuch, S. 13). Der Erzbischof versöhnte sich bald mit den Grafen, indem er seine Nichte an Graf Heinrich vermählte. Er wirkte von nun an wenigstens indirect gegen die Dithmarschen, indem er Güter des ausgewanderten Adels aufkaufte und dem Grafen schenkte (Michelsen, Urkundenbuch, S. 15, Urk. XI u. XII). Vielleicht handelt es sich hier um den Grund, auf dem die Tielenburg erbaut ward; jedenfalls lagen die Güter in dieser Gegend.
[256] Was den Verlauf des Krieges anbelangt, so kommt zu dessen Erklärung manches in Betracht. Zunächst, daß der holsteinische Adel mit dem dithmarsischen bei der localen Trennung der Länder persönlich nicht befreundet war, bei der politischen Stellung aber in demselben nur einen Gegner sehen konnte, da jener die Macht des Grafen vermehren mußte, mit dem er selber unzufrieden war. Dazu kam, daß er den Landmann in Dithmarschen kriegerisch wußte, und daß der Gedanke einer Verbindung von Holstein und Dithmarschen aufs äußerste perhorrescirt wurde, endlich daß das Heer, um nach Dithmarschen zu gelangen, durch die Territorien Gerhards hatte ziehen müssen, der mit der dithmarsischen Landesgemeinde verbündet war. So war er von allen Seiten von Gegnern umringt und Sieg und Niederlage für ihn gleich verhängnißvoll, was einen panischen Schrecken, vielleicht selbst einen künstlich angelegten, um den Feldzug rückgängig zu machen, begreiflich erscheinen läßt.
Die Geschichte dieser Zeit dreht sich wesentlich auch um die Marsch, die in diesen Jahren durch die fleißigen Hände theils einheimischer Geschlechter, theils eingewanderter Friesen dem Meeresboden abgewonnen ward. Doch ist es nicht der Pflug allein, der hier waltet, und die Scenen des Friedens. Seefahrern waren die Wurthenbewohner nicht bloß ähnlich nach Plinius’ Ausdruck (H. N. XVI, 1), sie waren es wirklich und boten in ihren leichten Kähnen, die zwischen den dithmarsischen Watten vortrefflich Schutz fanden, muthig Sturm und Wogen [257] Trotz. Elb-, Eider- und Wesermündung, welche so nahe bei einander liegen, vermittelten hier in ältester Zeit schon einen reichen Handelsverkehr; aber dieß gefährliche Fahrwasser, das auch jetzt noch manchem Schiff und Seemann trotz aller getroffenen Gegenanstalten Tod und Verderben bringt, forderte damals nicht minder zahlreiche Opfer und machte die Küste zum Schauplatz ganz anderer Kämpfe als die, welche der Deichende mit der andrängenden Fluth zu bestehen hat. Bald war es treibendes Schiff und Gut, das wollte geborgen sein, (Seetrifft und Seefund) und das schien so unverfänglich, daß auch die Kirchen daran ihren Antheil hatten, bald war es der Schiffbrüchige, der Erbarmen und Rettung suchte am Strande, und raubende, ja mordlustige Hände fand, bald war es der mit den Elementen Ringende, dem sich unter dem Schein der Hülfe räuberische Hände nahten, bald der arglos Schiffende, der sich von Piratenkähnen plötzlich umringt sah. Freilich in einer Zeit, wo Handel und Seeraub sich noch vielfach berührten und der scheinbar friedliche Kaufmann sich oft unter günstigen Umständen nur allzugeneigt bewies, lieber mit Gewalt zu nehmen als zu kaufen und zu feilschen um das, was ihm noth that, oder wonach sein Herz gelüstete, hatte er sich weniger über eine solche Behandlung zu beklagen. So war denn die Marsch neben den fleißigen Bauern reich genug an verwegenen Lootsen, welche Noth und Gefahr des Kaufmanns benutzten zu ihrem Gewinn und für den geleisteten Beistand unerschwingliche Summen forderten, an kühnen Räubern, die lieber mit blutiger Hand nehmen als mit saurem Schweiße mit dem Boden ringen wollten; in Prielen und zwischen Sandbänken lauerte, vom Morgennebel versteckt, der Pirat, und die Küste war Schauplatz arger Thaten. Und eben jetzt hob sich, von hemmenden Fesseln gelöst, Hamburgs Handel. Aber auch Dithmarschens eigner Handel war nicht unbedeutend, sein Interesse an einer gesetzlichen Regelung dieser Verhältnisse gar wesentlich. So wird denn 1265 in Meldorf ein dauerndes Abkommen und Friede geschlossen und die Weise festgestellt, wie der Hamburger sein Recht in Dithmarschen, der Dithmarscher in Hamburg suchen soll, wie [258] es gehalten werden soll mit dem angetriebenen Gut, mit der geleisteten Hülfe, namentlich wenn der Bezüchtigte die Sache leugnet. Das gab Licht: doch sind freilich mit diesem einen Act noch nicht alle Beschwerden gehoben; 16 Jahre später, im Jahre 1281, sendet Hamburg noch einmal eine Deputation, um Klage zu führen, den Guardian des Franziskanerklosters an der Spitze, über geschehene Uebertretungen zu klagen und festere Verhältnisse zu Stande zu bringen. Eine große Versammlung wird in Meldorf gehalten: Vogt und Landesversammlung haben Schließer und Geschworene von 14 Kirchspielen, allen Kirchspielen von Marne bis zum Eiderstrand, und auch manche aus dem innern Lande versammelt, nur Brunsbüttel fehlt noch, und schließt erst 1286 einen gleichen Frieden. Durch gemeinsamen Beschluß wird dem Hamburger und Lübecker Kaufmann Sicherheit für Person, Schiff und Gut auf Elbe und Eider und am Lande zugesagt. Handelt ein Dithmarscher dagegen, so soll ihn das Kirchspiel anhalten zur Sühne; flüchtet er, so soll ihm das Land keine Aufnahme wieder gestatten, aus seinen Gütern der Schaden ersetzt werden. Ist die Gemeinde zu schwach, so soll das Land mit gewaffneter Hand einschreiten. Alles ist angewandt, dem Unfug zu steuern, der freilich ähnlich in der Wilstermarsch und den Elbmarschen herrscht. 1304 sehen wir Vögte und Rathgeber einen Eid abnehmen, dem Seeraub zu entsagen. Nur das Kirchspiel Brunsbüttel und namentlich fünf Geschlechter desselben blieben in einem Ausnahmezustande. Als Hamburg dagegen blutige Repressalien gebrauchte, entwickelte sich daraus ein kleiner Krieg, bis endlich unter Vermittelung und nachdrücklicher Verwendung des Erzbischofes 1307 ein allgemeiner Friede zu Stande kam und 1316 auch die Brunsbütteler Geschlechter durch den allgemeinen Unwillen dahin gebracht wurden, Zwist und Klage gegen Rath und Bürgerschaft von Hamburg fahren zu lassen und zu versprechen, in keiner Weise etwas gegen sie zu unternehmen, ja ihnen für ihre Person und ihre Güter beizustehen.
Der Krieg von 1319 ist von einer Bedeutung, die nur mit der des Jahres 1227 vergleichbar ist. Wie dieses für Dithmarschen die bleibende Scheidung von Holstein definitiv feststellte, begründete jenes demselben eine staatliche Stellung neben den städtischen Organismen. Bis dahin hatte das Land Fehden geführt, jetzt begann es Kriege, schloß Bündnisse und die Hansastädte wußten seinen Beistand zu schätzen; auch Holstein sichert sich durch einen Vertrag mit ihm, ehe es seine großartigen Kämpfe gegen Dänemark 1326–1340 beginnt. Das alles ist die Frucht dieses Krieges, und die Gründung des Klosters Marienau in Meldorf ist das Zeichen, wie hoch das Land selbst Gefahr und Sieg anschlug.
Um so viel mehr ist ein näheres Eingehen auf diesen Krieg geboten, da seine Einzelheiten nicht hinlänglich ins Licht gesetzt sind und sich der Zweifel stark an das Detail gehängt hat. Gleich das Jahr steht nicht fest, da die verschiedenen Autoren zwischen 1319, 1320, 1321 und 1322 schwanken.
Veranlassung des Krieges war der Plünderungszug, den die mit dem Grafen Johann II. in Kiel und Adolf VII. verbündeten Dithmarschen 1318 durch das Gebiet des Grafen Gerhard III. von Itzehoe durch Barmstedt und dessen Umgegend gemacht hatten. Hatten sie auch bei ihrer Rückkehr an der Bünzerau durch Gerhard eine schwere Niederlage erlitten, so war Gerhard doch nicht der Mann, eine Schädigung seines Gebietes und seiner Unterthanen ungestraft zu lassen, und die Verhältnisse selber gaben ihm die Macht dazu in die Hände. Im nächsten Jahr, 1319, ward der Krieg, den Brandenburg gegen Fürst Witzlaff von Rügen geführt, und an dem sich auch Dänemark, Mecklenburg und Holstein betheiligt hatten, beendigt und das dazu versammelte Heer war unbeschäftigt. So ward es wohl Gerhard nicht schwer, durch Aussicht auf reiche Beute den Herzog Heinrich von Mecklenburg mit einer großen Zahl [260] seines Heeres zu einer neuen Unternehmung an sich zu ziehen. Mit diesen machte er am 7. September dieses Jahres den denkwürdigen Einfall in Dithmarschen, und viel mecklenburgischen Adels folgte ihnen; die Edeln von Gutzkow, von Wonstorf, von Ghemmen, auch Grafen, ungenannte, hat E. v. Kirchberg; die fremden Geschichtschreiber haben sie alle zu Grafen gemacht. Wenn gleich das Jahr vom Presbyter Bremensis als 1320, von Neocorus 1321, von Krantz 1322, in Johann Russe’s Fragmenten sechsmal als 1319 (eben so Kirchberg), dreimal als 1322 angegeben wird, so ist es darum doch nichts weniger als zweifelhaft. Herzog Heinrich von Mecklenburg hat nämlich 1321 an der Marienkirche zu Wismar eine Seelenmesse zum Andenken an seine im Jahre 1319 am Vorabend von Mariä Geburt (den 7. September) in Ditmarschen gefallenen Landsleute gestiftet: „Memoria nostra et progenitorum nostrorum et militum ac militarium nostrorum in Dithmarcia anno domini MCCCXIX in vigilia beatae virginis Mariae occisorum.“ Urkunde in Schröders Papistischem Mecklenburg I, 991, und Maschs Mecklenburgischem Urkundenbuch VI, 4252. Dadurch steht also das Jahr fest.[83]
Versuchen wir denn auch das Detail der Ereignisse festzustellen. Man hat darauf hingewiesen, daß die verbreitete Erzählung auf verhältnißmäßig junge Quellen zurückzugehen scheint, und daraus auf eine sagenhafte Ausbildung der einzelnen Ereignisse geschlossen. Je wichtiger aber die Folgen des Krieges gewesen sind, um desto größer ist auch das Interesse an dem wirklichen Verlauf. Daß das einfache Schweigen der älteren Quellen über gewisse Ereignisse keine absolute Verneinung derselben [261] in sich schließt, ist einleuchtend; konnten sie doch ihre Gründe haben darüber zu schweigen: andererseits wird man auch berechtigt sein zu der Frage, woher der späteren Zeit die Kunde der verschwiegenen Ereignisse gekommen sei. Je verbreiteter der Zweifel ist, desto mehr wird eine Abhörung der einzelnen Autoren geboten sein, und thut man es in chronologischer Reihenfolge, so wird an der Sicherheit des Resultates doch wohl nicht zu zweifeln sein.
Der älteste Zeuge ist die obengedachte Memorie in der Marienkirche zu Wismar, gestiftet 1321, also zwei Jahre nach dem Ereigniß. Selber gerettet aus Todesgefahr, überträgt Herzog Heinrich von Mecklenburg, genannt der Löwe, mit Einstimmung des Bischofs Marquard von Ratzeburg, seiner Gemahlin und seiner Söhne das Patronat der Marienkirche zu Wismar und dessen Rechte dem Propsten und Kapitel der gedachten Kirche des Prämonstratenserordens, unter der obgedachten Verpflichtung: „sic tamen, quod memoria nostra et progenitorum nostrorum et militum et militarium nostrorum, in Dithmarsia anno domini MCCCXIX in vigilia beate Marie virginis occisorum per vicarium, qui pro tempore nomine dicti capituli Raceburgensis in prefata ecclesia sancte Marie resederit, ibi perpetuis temporibus publice coram populo diebus dominicis habeatur et populus pro nobis et ipsis orare per ipsum vicarium et eius capellanum fideliter incitetur“. – Also Rettung aus großer Gefahr und Untergang vieler mecklenburgischer Ritter und Kriegesleute.
Ungefähr gleichzeitig mit diesem Zeugniß, aber nur vermittelt, ist die zweite Kunde, der Beschluß des Landes Dithmarschen zum Dank und Andenken an den Sieg und die Errettung ein Kloster zu stiften. Johann Russe hat uns fragm. XXV, vermuthlich aus dem Jahre 1506, eine Eingabe der Mönche des Klosters Mergenowe in Meldorf bewahrt, welche die Rechte desselben an eine zweimalige jährliche Bede geltend macht. Der Anfang derselben lautet (Westph., Mon ined. IV, 1455; Viethen, S. 288; Bolten II, 451 ff.):
[262]
Do de Kerke to Wurden brande, dat in dem sülfftem Jahre schach, do men schreff 1322, up den hilligen Avend in der Krützwihing, do laveden de erlichen Rathgevers und Vorstanders des erlichen Landes to Dythmarschen dat se wolden helpen holden Geistlicke Kloster tho Mergenowe mit dögeden und mit Ehren und hebben dem sülfften Kloster vorschreven, twemal des Jahrs de[WS 20] bede gegeven aver ehre ehrliche Land, des hebbe wy Segele unde Breve.“ –
Die falsche Jahreszahl darf uns nicht irre machen; der 25. März 1322 war nämlich (nach Bolten II, 385) der Stiftungstag des Meldorfer Klosters; darüber reichte also die Klosterchronik, welche nach Michelsen in jedem Dominicanerkloster geführt wurde, nicht hinaus. Freilich gehörte nicht viel Nachdenken dazu, um sich mit Bolten zu sagen, daß der Landesbeschluß dem Bau vorhergehen mußte, 1322 also das Jahr des Krieges nicht sein konnte. Aber was hier die Hauptsache ist, das Kloster bewahrte aus jenen Jahren Brief und Siegel, welche dem Kloster zweimal jährlich eine außerordentliche Steuer über das ganze Land bewilligten, in Erinnerung an einen Sieg und Rettung aus Krieg und Noth, als deren erheblichstes Ereigniß der Kirchenbrand von Wörden hervorgehoben ward. Daß jener Landesschluß uns nicht selbst vorliegt, ändert an der Zuverlässigkeit der Nachricht nichts, die Größe des Gelöbnisses, eines Beitrages über das ganze Land, bezeugt die Größe des Sieges; wichtig ist dies zweite Zeugniß dadurch, daß es uns die Oertlichkeit kennen lehrt, wo sich der Hauptkampf zutrug, nicht bei Tellingstedt oder an der Dellbrücke, sondern bei Wörden in der Nordermarsch.
Das dritte Zeugniß von diesem Kampfe ist allerdings um fünfzig Jahre jünger, in der Mecklenburgischen Reimchronik von Ernst v. Kirchberg enthalten, welche um 1375 abgefaßt ist (abgedruckt bei Westph., Mon. ined. IV, 816), um viele reicher, aber von keinem angezweifelt. Ich lasse es hier nach einer genauen Abschrift aus dem Originalcodex zu Schwerin, [263] die ich der Güte des Herrn Archivraths Lisch verdanke, mit der Interpunction des Herrn Professor Müllenhoff folgen. Im Original ist es cap. 164, während Westphalen cap. 162 hat, indem bei ihm zwei Capitel fehlen.
Do der von Mekilnborg Hinrich
dy sloz genam in mechtiglich,
Syme omen vulgete her dy vard
von Holtzten greuen Gerhard.
wider dy Dytmarschen stryden.
Dem vulgete her mit grossem here
mechtiglich mit starkir were,
Ob her kunde vndir sich bringen
Nu ist Ditmarschen genant
eyn riche insula vnd eyn lant
Bruchecht, mit wyden grabin
durchvestend (?) durch ein snabin
vm des landes vestykeyd.
Darinne sint lude stridbere
mortgrimmig vnd mit starkir were
Vnd hand von jugend lernen springen:
Sy loufen vnvirsunniglich
als dy tyer zu stryde glich.
Als nu dy vnsen vurbaz quamen
in Ditmerschen vnd da virnamen
dy in dem lande was bereyd,
Iglicher meinte werden riche
mit silber vnd mit goulde gliche:
Der geste meinten vil zu blieben
Oder sy musten vndirtenig
den greuen wertich syn nicht wenig.
Dar zu drang sy ir mudwille.
sy liessen dy fursten liggen stille.
vnd hubin sich gar heymeliche,
Hy seszig oder achczentzig,
da huben sich hundirt oder czwenczig
Gar eygen sinnig sundir sparin,
Daz lant virhereten sy eyn teyl
roublich, das wart in nicht wol veyl,
Dy Ditmarschen manlich des gedachten,
daz sy den roub nicht dannen brachten,
nach der alden vetere gesetze.
Sy sterketen vast irs selbis mud
vnd wolden weren da ir gud.
Sy samneten sich mit werender hande
Mit willen kommen mit irer habe,
sy enbrechtins im zur vngehabe.
Mit stryde sy daz wereten
den dy ir lant da hereten.
ein vnsprechlich grossir stryd
Vf vnsir frowen abent hart
als sy geboren wart,
Als man dy jarczal schreyb virwar
Da wart zu beyder syden nod:
gar vil vulkes bleyb da tod
Daz es vngloublich ist
zu sagenn dy selbin frist.
von Wonstorf mit den greuen ja
Vnd ouch dy von Ghemmen
der tod kunde da beklemmen.
Da irstorben jemerliche
vil von geslechten arm vnd riche.
daz sy so jemerlich virlorin
Dy iren zu den stunden,
den sy nicht helfen kunden,
Sy musten czyhen wider uz
Czornig vnd mit betrubetem mute.
sy musten lassin in fryer hute
Dy Ditmarschen, als sy sie da funden,
der sy nicht getwingen kunden.
[265] Zunächst einige Worte zur Erklärung des Textes: V. 2 ist genam = einnahm. Eine Schwierigkeit des Verständnisses macht V. 14. Offenbar bildet 11–16 einen Satz, der mit einer starken Interpunktion schließen muß, aber leider an einem unheilbaren Fehler laborirt: durchfestend durch; da aber die Handschrift im mecklenburgischen Staatsarchiv zu Schwerin Original ist, so darf man an eine Conjectur nicht denken. Einleuchtend ist, daß das zweite durch final sein muß. snaben ist ein mittelhochdeutsches Wort und bedeutet straucheln, stürzen, fallen, wird oft von Roß und Reiter gebraucht, auch allgemein von der Niederlage eines Heeres (vgl. Mittelhd. Wörterbuch von Benecke und Müller). Der Sinn ist also: Dithmarschen ist mit breiten Gräben durchzogen, um ein Straucheln und Stürzen der Gesammtheit seiner Feinde zuwege zu bringen. Störend ist das durchfestend; untadelig wäre durchzogen; auffallend ist auch der unbestimmte Artikel: durch eyn snabin. – V. 45 heißt vor der letze = vor der äußeren Vertheidigung, Enceinte. V. 52 heißt der Conjunctiv sy enbrechtins im zur ungehabe, ohne daß sie ihn in Ungelegenheit brächten. (Freundliche Mittheilung[WS 22] von Prof. Müllenhoff.)
Sehen wir uns nun hier an einer ganz unverdächtigen Quelle nach dem historischen Gewinn um, so finden wir zunächst, daß der Unglückstag der Vorabend von Mariä Geburt 1319 war, wie bereits oben gesagt, daß es ein Streit Gerhards war, daß Herzog Heinrich ihm mit großem Heere zu Hülfe gezogen war; in seinem Gefolge werden die Edeln von Gutzekow, Grafen von Wonstorf und die Herren von Ghemmen genannt. Dithmarschen wird beschrieben als Insel und Eiland, voll Brüchen (Morästen) und weiten Gräben, von überraschendem Reichthum, der zur Niederlassung einlud. – Die erste Bezeichnung ist eigenthümlich, und ich überrede mich schwer, daß damit auf die Lage hinter der Holstenau und Giselau hingewiesen ward: es wird nichts anderes sein, als die Hindeutung auf die Insel, auf welcher die Kirchspiele Wörden, Weslingburen und Neukirchen lagen, die durch einen Eiderarm vollständig vom Festlande getrennt war, an dessen Stelle jetzt der Dellweg getreten [266] ist, und der für die Abschneidung der Eingedrungenen entscheidend wurde. Von einer Schlacht mit den Dithmarschen ist freilich nicht direct die Rede, aber es ist doch so etwas angedeutet durch die Hinweisung auf ihre Streitbarkeit, ihren Grimm, die Tüchtigkeit ihrer Bewaffnung, ihre Gewandtheit im Springen und Laufen. Das ist jedenfalls auffallend, da diese durch den Fortsetzer der Geschichte des Albert von Stade und Detmars Lüb. Chron. feststehende Schlacht zum Vortheil der Fürsten ausgefallen war. Es läßt sich kaum anders erklären, als daß der Dichter nur den schrecklichen Menschenverlust, den seine Heimat erlitt, erzählen wollte, wodurch auch dieser Krieg allein in eine mecklenburgische Chronik gehört. Um so viel weniger kann uns die Weglassung von anderem Detail, dem Brand der Wördener Kirche, in Verwunderung setzen. Dagegen erfahren wir, daß Gerhard und Heinrich nicht wie durch ein Wunder sich aus der allgemeinen Niederlage retteten, sondern ruhig und arglos in ihrem Lager blieben, aus dem sich ihre Leute bei Haufen von 60, 80 und 120 fortstahlen zu Verheerung und Plünderung des Landes. Im Hinblick auf dies Leid sammelten sich die Dithmarschen, besetzten die Pässe, und nun erhob sich ein unaussprechlich großer Streit; vergebens suchten sich die Fremden loszuringen von dem eisernen Arm, der sie umfaßt hatte, wohl verkauften sie ihr Leben theuer („Da wart zu beyder siden nod: Gar vil vulkes bleib da tod“), aber jeder Versuch der Fürsten den Ihrigen zu helfen scheiterte, und der ganze Anschlag war verloren: sie mußten unverrichteter Sache wieder abziehen.
Wenden wir uns zum vierten Zeugen, dem Fortsetzer des Albert von Stade. Albert, Benedictinerprior zu Stade, ungewiß, ob Deutscher oder Italiener, legte 1240 seine Abtei nieder, und schrieb eine Chronik bis 1256. Von einem Ungenannten ward dieselbe später noch 60 Jahre weiter geführt, von 1260–1324; derselbe sagt zum Jahre 1319:
„Eo anno Gheradus et Johannes comites Holtzatiae et dominus Hinricus Magnopolitanus de diversis partibus Saxoniae, Westvaliae et Slaviae immensa concregata multitudine [267] armatorum expeditionem fecerunt in Ditmarciam, ubi terrae propugnaculis expugnatis primo multos Ditmarsos sexus gemini interfecerunt, altera autem die scilicet in vigilia nativitatis b. Mariae turbae predarum cupidae palustrem terram Ditmarsorum festinantes intrarunt. Quarum timore quidam Ditmarsi desperati fugientes se in Albia submerserunt, quidam in ore gladii perierunt ab hostibus. Sed quidam animati considerantes hostes per artas vias intrasse obsederunt loca sui exitus. Cum hostes per directum accelerarent ad effugiendam terram, invenerunt fossatorum obstacula, in quibus corruentes cum equis ab inermibus Ditmarsis major pars exercitus est occisa cum nobilibus de Wunstorpe et de Gutzkowe Comitibus.“
Hier finden wir neben Gerhard und Heinrich auch noch des Letzteren Schwiegersohn Johann den Milden von Holstein (denn der soll es doch wohl sein), die Edeln von Gutzkow sind zu Grafen geworden; das Heer ist zusammengesetzt aus Truppen aus Sachsen, Westfalen und dem Slavenlande. (Zu den letzteren gehörten auch die Herren von Gutzkow an der Peene.) Im ersten Anlauf gewinnen sie die Landwehr und tödten viele Dithmarschen beiderlei Geschlechts. Damit steht diese Quelle mit Kirchberg im Gegensatz, der von einem Kampfe an diesem Tage nichts weiß, aber durch seinen Ausdruck, sie hätten die Fürsten in ihren Zelten ruhen lassen, doch auch die Ereignisse auf zwei Tage zu vertheilen scheint. Daß auch hier von einer Anzündung der Kirche zu Wörden nicht die Rede ist, kann die Wahrheit dieses Ereignisses, zumal neben dem an zweiter Stelle aufgeführtem Zeugniß, wohl nicht in Abrede stellen, dürfte aber doch so viel erweisen, daß es in den Augen Fremder nicht die Bedeutung hatte, wie in den Augen der Eingeborenen, die darnach den ganzen Krieg datirten. Der Einfall am zweiten Tage, nicht durch ein Heer, sondern durch wirre Räuberhaufen, verbreitet entsetzlichen Schrecken, einige stürzen sich in die Elbe, andere fallen in tapferer Gegenwehr vom Feinde. Aber eine muthige Zusammenschaarung im Rücken desselben läßt das Blatt sich wenden und bringt die Ausgänge in die Hände der Landesvertheidiger, [268] die nun für die angethane Unbill blutige Rache nehmen. Ganz eben so erzählt Detmars Lübische Chronik z. J. 1319 (Dahlmann, Neocorus I, 620). Ausg. v. Grautoff, S. 210:
„Darna vor unser Vrowen Awende der Lateren, do togen Greve Gerd und Greve Johan mit der Macht eres Landes und mit der Macht des Mekelenborgers und andere Heren vele, in dat Land to Dytmarschen. Dar wunnen se de Landwere und slogen vele Dytmarschen an dem hilligen Awende; do tog dat erste Deel des Volks inte deme Lande, alse se vurdest konden, und deden Schaden grot. Dat Land hadde sick der Were all meistig begewen, aver do to lesten, do dat Volk wolde wedder uthe dem Lande theen, do weren ehn de engen Wege besettet. Also jageden se tho rechte aver dat Land und storteden in de Grawen, und worden slagen ane Were. Dar worden slagen de Greve van Wunstorpe und de Greve van Guntzekowe und uthe den Sassen, Westphalen, Holsten, Wenden und uthe anderen Landen dure Riddere und Knechte sere vele.“ – Offenbar nichts als eine freie Uebertragung des Continuator, in der propugnacula durch Landwere erklärt ist.
Von hier beginnen die Quellen, die man die neueren genannt hat, mit dem Presbyter Bremensis um 1448, bei dem es in der Ausgabe von Lappenberg, S. 51 heißt: „Post hec sequenti anno Domini millesimo tricentesimo vicesimo idem comes Gerardus, convocato magno exercitu principum vicinorum suorum, scilicet archiepiscopi Bremensis Gyselberti, fratris sui, Hinrici ducis Magnopolensis, comitum de Wunstorp et Gutzekowe, Johannis ducis Saxonie, comitis de Ruppin et aliorum multorum in numero quatuordecim principum, in vigilia natiuitatis Marie virginis intravit terram Ditmarcie per viam Suderhamme et per vadum Hemminghstede venit cum toto excercitu ad paludem Norderstrand, ad cor terre Ditmarcie[WS 23] et commisit cum eis bellum. Et bis victor factus fuit, una et eadem die interficiendo ex Ditmarciis mille et septingentos viros, ubi tunc multi fugam capientes ecclesiam Oldenworden intrauerunt. Quam ecclesiam pars excercitus obsedit et ignem apponentes comburere [269] uoluerunt. Ditmarcii ab intra pecierunt graciam sibi dari, promittentes se subditos comitis Gherardi fieri et tributarios fideles. Sed comes Gherardus non confidebat eis, sed plus ignem applicari fecit et, igne fortiter incenso, et tectum ecclesie, quod erat de plumbo, resolutum, guttatim cadens super Ditmarticos inclusos, vi ianuam aperientes ecclesiam exierunt. Et cum excercitus totus non erat simul ante ecclesiam, sed erant partes exercitus hincinde in villis et edibus spoliantes cistas et capsas, Ditmarcii, resumtis viribus de locis absconditis, de foueis in agro exeuntes, totum excercitum, unum post alium successiue, cum de uespere ad castra uellent redire, et omnes principes preter Hinricum ducem Magnopolensem et Gerardum comitem, qui castra et tentoria sua habuerunt in villa Hemmyngstede, crudeliter necauerunt, quasi ad duo milia hominum. Et ita Ditmarcii illa vice sunt saluati.“
Der Unterschied dieser Nachricht von den früheren ist nicht unerheblich. Zum erstenmal begegnen wir einer Terrainkenntniß, das Heer dringt ein durch die Süderhamme, d. h. über Nordhastedt, gegen die Marsch, den Norderstrand, die oben nur vermuthete Insel Wörden, Weslingburen, dann über Hemmingstedt, durch eine Furth daselbst in dieselbe; zum erstenmal wird uns der in der Schrift der Mönche nur angedeutete Kirchenbrand zu Wörden erzählt, eine Handlung der Grausamkeit, der aber auf den Gang der Ereignisse kein Einfluß zugeschrieben wird. Zum erstenmal vernehmen wir von zwei Schlachten im Ansturm, von einer dritten auf dem Rückzuge, von 1700 Dithmarschen, die in dem ersten, von 2000 Feinden, die im letzten Kampf gefallen; die früheren Berichte hatten sich begnügt von furchtbarem Blutvergießen zu sprechen: wollen wir annehmen, daß das hier blos ausmalende Phantasie sei? Der Presbyter stimmt mit Kirchberg überein, daß Gerhard und Heinrich im Lager in ihren Zelten in Hemmingstedt geblieben seien und die Plünderungszüge ohne ihr Wissen unternommen. Sollen wir annehmen, daß die Angabe des Localen aus nachträglicher Erkundigung hervorgegangen, oder aus der Luft gegriffen sei? [270] Unglaubliches finden wir hier nichts. Aber wir finden eine falsche Jahreszahl, für die sich jedoch der Schlüssel leicht ergibt, indem eben vor unserer Stelle der Kampf, der mit der Niederlage an der Bünzerau schloß, über zwei Jahre von 1317 bis 1319 ausgedehnt ist. Aus diesem Mißgriff ist für den hier besprochenen Kampf ein späteres Jahr, also 1320, berechnet, doch weist Lappenberg darauf hin, daß der Presbyter mit Detmar gleiche Quellen benutzt zu haben scheine. So bleiben als Sachen, die man bloß auf Treu und Glauben hinnehmen muß, nur die Zahl der vierzehn Fürsten, die Anwesenheit von Gerhards Bruder Giselbert, den der Presbyter aus einem Bischof von Halberstadt zu einem Erzbischof von Bremen gemacht hat, des Herzogs Johann von Sachsen-Lauenburg, Schwagers von Gerhard und eines Grafen von Ruppin. Diese Namen sind für uns in anderer Beziehung sehr wichtig, denn sie zeigen uns, wer aus dem Presbyter geschöpft hat: die Chronik der Nordelbischen Sassen, die Johann und Gerhard nennt; Neocorus, der neben dem Kriegsvolk des Bischofs von Bremen Heinrich von Mecklenburg[WS 24], Johann von Sachsen, Gerhards Schwager, die Grafen von Ruppin, von Wunstorf und Gutzkow hat; Gensken in seiner Slavenchron. (Russe, fr. VI), der Bernhard, Johann von Sachsen, Heinrich von Mecklenburg, Erich von Dänemark, Adolf von Schauenburg und die Grafen von Wunstorf und Gutzkow, zum Theil wohl aus dem voraufgehenden Kriege in den Dithmarscherkrieg überträgt, und Hamsfort (Westph., Mon. ined. I, 1707), der neben Gerhard und Johann Heinrich von Mecklenburg Gerhard von Schauenburg nennt, und zwölf andere, mit dem Beisatz „arbitror huic expeditioni interfuisse Johannem Stormariae principem“, auch Reimer Kock, der die Grafen von Reppin und „Allent, wat de Hartich von Sassen upbringen kunde“, nennt; kurz die Gesammtheit der Späteren.
Wollen wir aber den Oldenwördener Kirchenbrand zum Leitfaden nehmen, so gehen auf diese Quelle zurück außer Neocorus, Gensken (Russe, fr. VI): eine dänische Geschichte (da sie mit dem Stockholmer Blutbad schließt) (fr. VIII); die [271] Tellingstedter Bruchstücke, die mit Christians I. Tode schließen, also wohl aus einer holsteinischen Geschichte (fr. XVIII); Johann Rodek’s aus Lübeck Aufzeichnungen über die Geschichte Niederdeutschlands (fr. XXI), des Einzigen, der neben dem Continuator Alberti Stadensis zwei Tage dieses Krieges kennt; Nicolaus Milde, Pastor in Lunden, in seiner dithmarsischen Kirchengeschichte (fr. XXIII), und Pastor Nicolaus Witte in Neuenkirchen (fr. XXIV); endlich Corn. Hamsfort, Lamb. Alardus, Chytracus Krantz und Cilicius. Um so viel weniger verlohnt es sich der Mühe, diese alle hier extenso mitzutheilen, zumal da nichts weiter als diese Nachrichten geboten werden. Wir beschränken uns auf Neocorus und Hamsfort, um ihr Verhältniß zum Presbyter darzulegen.
Neocorus erzählt, Thl. I, S. 367:
„Nicht also gar lange (nomlich 2 Jar) darnha, als Gerhard (Magnus) an deme noch nicht gesettigt waß, dat he sik an den Ditmerschen gewraken hedde, brachte he Kriegeßvolk thosamen, wor he her vormochte, uth dem Bischopdom Bremen, uth dem Lande tho Mekelenborch, daruth he den Hertog, genomet Hinrich, bi sick hadde, sambt den Graven van Wunstorp unnd Gutzkouw.[84] Ock hadde he an sick Johans Hertoch van Sassen, sines Schwagers, Krigeßvolk, neven dem Graven van Ruppin unnd andern veertein dappern Mennern vam Adel. Also thoch he, Gerhart, sambt sinem Broder Johann uth unnd kam in Dithmerschen an unser lewen Fruwen Geborts-Dage im Anfang des Hervestes (Crantzius up den Christavent), dorch de Suderhamme unnd, dat ehme nemand Wedderstand dede, den fort bi Hemmingstede. It kam averst dat gantze Krigeßvolk im Nordestrant, midden in der Ditmerschen Land; darsulvest kemen de Ditmerschen erst thosamen, drepen mit ehren Vienden unnd men geradede thosamen. Se geven averst twe mall de [272] Flucht in der ersten Schlacht unnd behelt Gerhard 2mall dat Velt unnd Victoriam und worden ehrer bi soventeinhundert erschlagen; de Ditmerschen seggen van 500, welches gelofflicher, denn des Volkes in Ditmerschen so vele nicht sin konen. De averst van ehnen entrunnen, gewonnen de Kerken tho Oldenworden unnd befestigten se alß eine Borch, wo se best vormochten, als averst de Holsteiner Fuer henin werpen wolden, ergeven sick de Ditmerschen unnd seden Gerhardo Gehorsam tho; he averst besorgede sick vor ehren vorschmitzden Praktiken, wolde ehren Worden nicht geloven unnd hete dat Fuer neger daran maken. Alß se aver segen, dat Ernst were unnd dat Bly van dem Dacke herunder[85] schmeltede, wolden se sick vollendes in de leste Schantze wagen, fallen mit Hupen uth der Kerken heruth (den in groter Furcht unnd Gefahr krigt men ock tho Tiden ock einen Moth) unnd makeden sick an de, so se belegerden, de sich nicht, alß it sick geboret hette, vorsegen unnd nen grote Acht up ehre Saken hedden, dartho makeden sick ock andere Ditmerschen, de sick in den Grevern unnd achter den Hecken verkrapen hedden, ock herbi. Ock de van Busen kemen van Norden an, scheppeden also thosamen einen Modt, kregen de Viende twischen sick in, strideden getrost wedder se, umbringeden se up dem Acker benorden an Oldenwurden unnd erlegten se, dat se im Blode wadeden unnd Graff Gerhart unnd Hertoch Hinrich van Mecklenborg, welche nha Krigesgewahnheit under den Venlin geholden hadden, allein mit ehren Weinigen levendich bleven, de ander Adel bleff, alß nomlich 12 Landeß-Heren mit einem so groten Hupen Volkes, als in de 2000 Mann, alle todt, unnd togen Gerhardt unnd de Meklenborger mit ehren Hupen in Truricheit wedder tho rugge. Unnd vorloren de Ditmerschen des Dages ock bi 500 Man. (Karsten-Schroeder.) Diesen Schaden nemen de Holsteiner in Ditmerschen im Jare Christi, wo etliche setten, 1322 (Chytr.) Crantzius settet lib. 10, cap. 22 dat Jar 1320, item vetus [273] scriptum. Cilicius settet de Schlacht bi Bornhovede 1226, darna 62 Jar den Hasen Kriech. Darnha 31 Jare worden de Ditmerschen bi Bornhovede geschlagen. Entlich 2 Jahr darnha diese Schlacht. Kumbt dat Jahr 1321. Averst Crantzius settet hernha 1322 etc.“
Des Neuen enthält Neocorus blutwenig. Es kann wohl kaum zweifelhaft sein, daß das zweimal angeführte vetus scriptum nichts anders als der Presbyter ist. Das Schlachtfeld nordwärts von Wörden entnahm er, der Wördener, wohl aus der Tradition seines Geburtsortes, die bei der Kirche aufgegrabenen Stücke Blei mag er selbst gesehen haben. Ob die Volkssage seiner Heimat von Hülfe der Büsumer wußte, mag dahin gestellt bleiben; sie konnten von ihrer Inselburg schon Hülfe leisten. Daß er Gerhard[WS 25] und Heinrich bei dem letzten Kampfe gegenwärtig sein läßt, ist sicher falsch. Die 500 Gefallenen hat auch Rodek (Russe, fr. XXI). Der Bruder Johann aber muß, da Gerhart keinen Bruder dieses Namens hatte, wenn kein Irrthum obwaltet, Johann der Milde sein, den wir ja auch bei dem Continuator gefunden haben.
Bis dahin hat sich uns in den jüngeren Quellen nicht viel ergeben, das uns berechtigte, sie als minder glaubwürdig hinzustellen, das Meiste war implicite in den älteren Quellen bereits enthalten. Anders verhält es sich mit Cornelius Hamerfort’s Schrift: De rebus Holsatorum vicinarumque gentium praeclare gestis libb. IV, anno 1579 (Westph., Mon. ined. I, 1657 ff.), der S. 1707 unsern Krieg berührt; III, § 30: „Gerhardus autem Magnus et Johannes fratres Holsatorum principes Ditmarsorum ulturi incursiones et suorum ab illis editam stragem, bellum XLVIII viris totique Ditmarsiae plebi denunciaverunt; contra quos Holsati suarum virium non ignari a circa regionibus missis literis et nunciis flagitarunt auxilia, gentis Ditmarsorum perversitatem, qui non solum omnem magistratum respuerent, sed etiam de medio immensa crudelitate tollerent, atque eorum latrocinia, quibus continenter transalbianas regiones vexarent, questi. His lectis et cognitis moti illustres viri omnem belli laborem [274] contra Ditmarsos libenti animo suscepere Henricus Henrici Hierosolymitani filius Megapoleus, Gerhardus Scumburgius, superioris Adolphi (de quo diximus captum fuisse in bello intestino et sociali Vagriorum) frater et alii clarissimi inclyto stemmate viri XII: arbitror huic expeditioni interfuisse aut misisse opem Holsatis Johannem Stormariae principem.“ § 31: „Hi igitur principes Gerhardus Magnus et Johannes Holsati principes et fratres, Henricus Leo Magnopoleus, Gerhardus Scumburgius et fortissimorum manus Johannis Stormarii exercitum in hostilem Ditmarsorum regionem deducunt, sine fortunae primum inclementia; agrum enim omnem hostium populati, Hamerstadiorum provinciam invadunt. Est enim Hamerstadia pars Ditmarsiae, cujus indigenae praelium non detrectantes obvios Holsatos facta impressione aggrediuntur, sed devicti misere trucidantur aut fuga evadunt. Hac victoria Holsati potiti in Suderhamios castra promovent. Est autem Suderhamia pars Hamae, ut vocabulum sonat. Nam Ditmarsiae partes sunt Hamerstadia, Hama, Suderhamia, Marslanda et insula Buza atque reliqua loca. Hi Suderhamii ingente strage superati Holsatis victoriam relinquunt et deditionem faciunt. Postea Gerhardus Magnus in Nordstrandiam Holsaticas copias et auxilia traducit, quae Ditmarsiae provincia ei finem victoriae imposuit.“ § 32: „Nordstrandia pars est Ditmarsiae versus boream, ut nomen indicat, quam cum Holsati vastarent, incolae timidi et victoriae Gerhardi Magni non ignari et popularium Hamerstadiorum et Suderhamiorum cladis memores bellum deprecabantur et deditionem promittebant; quorum postulata cum principes recusassent, ad arma iterum ventum est, omnisque belli eventus ad regionis unicum delubrum stetit, quod Ditmarsi tenuere loco propugnaculi ad sui corporis defensionem. Sed Holsati, quos delendi gentem libido invaserat, omnem laborem suscepere ad expugnandum fanum, ignemque fecere, quo tectum delubri plumbeum combustum fere fuit; id gens Ditmarsorum rata, ut periculum praesens et extremum propulsaret, [275] libentius in acie cadere quam turpiter flamma perire maluit. Itaque globo facto hostem invadit, ingentique impetu agit atque recentis fortunae calore usa multos trucidat, ceteros in fugam pellit. In qua tumultuaria pugna a Ditmarsis, populo victore, occisi sunt praeter innumeram vulgi multitudinem XII principes, paucos fuga servavit, inter quos Gerhardus Magnus Holsatus et Henricus Leo Megapoleus numerandi sunt, qui incolumes ad suos rediere.“
Hier verräth uns schon der rhetorische Ton die geringe Zuverlässigkeit, nicht minder das Prunken mit Gelehrsamkeit. Der Krieg wird den Achtundvierzig erklärt, die ihm keine Quelle kann genannt haben, Dithmarschen[WS 26] wird in vier Theile getheilt, die kein anderer kennt, denn mit den Döfften fallen sie nicht zusammen, und kaum ist er mit der Eintheilung fertig, so erscheint ein neuer fünfter Theil, der mit dem Marslanda et insula Buza identisch sein muß, ohne daß das gesagt wird. Die Kirche zu Wörden ist ihm die einzige der Gegend; als ob Weslingburen, Büsum, Neukirchen keine gehabt hätten. Von einem Angriff auf die Hamerstadia, womit die Norderhamme gemeint sein muß, weiß sonst niemand und ebenso wenig von einem Kampf in der Süderhamme; kurz hier haben wir nichts Zuverlässiges vor uns, sondern nur ein hohles Prunken mit Worten.
Wir könnten nun mit der wackeren Erzählung des Reimar Kock schließen, die Dahlmann (Neocorus I, 621) mitgetheilt hat; wir unterlassen es, da sie nichts Neues giebt, um mit einigen Worten eine Uebersicht des ganzen Zuges zu geben.
Gerhard zeigte sich in demselben als tüchtiger Feldherr, indem er die Entscheidung an Punkten herbeiführte, wo man ihn nicht erwartete. Anstatt auf der großen Landstraße gegen Meldorf vorzudringen, wandte er sich gleich nach seinem Eintritt in das Land rechts nach Albersdorf und von da weiter über Nordhastedt nach der Marsch. Daß der Angriff von vornherein der Insel Wörden-Weslingburen galt, kann nicht zweifelhaft sein, so wenig als, daß er auf dem graden Wege über die Heide, auf der jetzt die nach ihr benannte Stadt [276] liegt, gegen Wörden vorgedrungen wäre, wenn er hier nicht Widerstand gefunden hätte. Es waren vielleicht die vor ihm flüchtenden Bewohner der Hamme und Zuzug aus der Norderhamme, über die es ihm gelang, einen Sieg zu gewinnen, aber nicht den Widerstand zu brechen. Erfochten muß der Sieg sein auf dem Fleck des jetzigen Heide, das damals noch nicht existirte, aber der Eiderarm, der jetzt durch den Dellweg ersetzt ist, deckte die Zurückweichenden; doch Gerhard führte rasch einen zweiten Streich. Er wußte, daß bei Hemmingstedt, kurz vor der Einmündung in die Elbe dieser Eiderarm eine Furth habe, rückte von Heide die drei Viertelmeilen nach Hemmingstedt ab und erstürmte hier die Landwehr, d. h. den Uebergang über die Eider. Erschreckt warf sich ein Theil der zersprengten Dithmarschen in die Kirche von Wörden, entrann aber durch einen todesmuthigen Ausfall der Vernichtung.
Ist es richtig, mit dem Fortsetzer des Albert von Stade die Ereignisse dieses Krieges auf zwei Tage zu vertheilen, so muß dieß am 6. September geschehen sein, da der siebente als der Unglückstag feststeht. Auch Neocorus scheint an zwei Tage zu denken. Gerhard schlug in Hemmingstedt sein Lager auf. Aber in der Morgenfrühe schlich sich Schaar auf Schaar aus dem Lager und warf sich wie eine raubgierige Meute ohne Ordnung und Vorsicht auf die reichen Dörfer; man versäumte die Deckung des Rückzuges, der nur durch die Furth möglich war. Eine von Büsum rechtzeitig herbeieilende Verstärkung setzte die für Altar und Heerd streitenden Dithmarschen in den Stand, den Rückzug abzuschneiden, und der Tag endete mit der Vernichtung derer, die das Land gewinnen wollten und nun das gewonnene mit ihren Leibern bedeckten.
Seit der vortrefflichen Auseinandersetzung des Herrn Geheimrath Michelsen in den Jahrbüchern für Schleswig-Holstein: Lauenburgische Landeskunde, Band 9, kann von einem Kloster in Marne wohl nicht mehr die Rede sein, geschweige denn, daß der Ort davon sollte den Namen erhalten haben. Marne kommt bereits 1141 als Ort, 1281 als Kirchdorf unter dem Namen Merna vor. Mergenowe, worin auch Dahlmann schon Marienau erkannt hat, erscheint nur in einem einzigen Actenstück als Name des Klosters und ist ohne Zweifel Eigenname desselben, dergleichen sich bei Klöstern häufiger finden, z. B. Mergene = Marienehe = Mariae lex, wohin 1414 Otto Schinkel floh; Neocorus hat Marienehr. Reinfeld war im östlichen Holstein der Name des Klosters, der Ort hieß Boule; Reinbeck lag im Dorfe Cotle; das Kloster bei Preetz hieß Marienfeld; in der Lausitz finden wir Mariastern und Altcelle; Lygumkloster, aus locus dei entstanden, wie Rykloster aus rus regis, ist Eigenname, ursprünglich nicht Eigenname des Orts, sondern des Klosters selbst. Bei unserm Kloster hat eine entfernte Namensähnlichkeit bewogen, den Namen des Klosters Marienau mit dem des Ortes Marne zu verwechseln. Aber zu keiner Zeit ist dort eine Spur vom Dasein des Klosters zu entdecken, während in einer Acte aus Meldorf von 1325 (Michelsen, S. 25) in der porta latina daselbst sich das Dasein des Klosters verräth.
Am Tage nach dem Kampf, als sich die Vorsteher des Landes versammelten und den beiderseitigen Verlust und den Abgrund der Gefahr erkannten, von dem sie Gott errettet hatte, waren sie entschlossen, Gott die Ehre zu geben, und gelobten, ein Kloster zu gründen. Daß sie mit Uebergehung Wördens Meldorf zum Ort desselben wählten, zeigt, was [278] Meldorf dem Lande war; daß sie ein Kloster zu bauen beschlossen, während für das ganze Land die Erbauung eines Gotteshauses doch näher zu liegen schien, beweist, daß die Kirche Meldorfs bereits da war. So ist dieß Klostergelübde zugleich ein Actenstück für die Existenz der Kirche Meldorfs.
Fassen wir die Hauptpunkte über das Kloster hier zusammen, so finden wir zunächst, daß die Landesbehörde ihm zweimal jährlich eine Bede d. h. eine Collecte bewilligte, und daß am 25. März 1322 der Stiftungsbrief abgefaßt ward. Es war ein Dominicanerkloster, und Herr Geheimrath Michelsen hat es wahrscheinlich gemacht, daß seine Gründung vom Kloster der Maria Magdalena zu Lübeck ausging. Von der schwarzen Kutte, die sie außer dem Hause trugen, hießen sie schwarze Mönche, denn im Hause war ihre Kleidung ein weißer Talar nebst weißer Kaputze und Skapulier. Neocorus nennt sie auch Jacobiten, wie auch diese Mönche in Paris genannt wurden. Sie waren Bettelmönche, d. h. sie sollten lediglich von der Freigiebigkeit ihrer Umgebung ihren Lebensunterhalt suchen. Um diese wach zu erhalten, mußten sie sich derselben wichtig, nützlich und geachtet machen, und in dieser Beziehung wiesen die Gesetze ihres Ordens sie besonders auf Predigt, Seelsorge und Spendung der Sacramente hin, wie sie denn auch Predigermönche genannt werden. Dadurch wurden sie aber sehr lästige und gefährliche Concurrenten für die Pfarrgeistlichkeit, die sich durch sie in Einfluß und Einkünften geschmälert sah. Zur Ausgleichung dieser Benachtheiligung waren sie verpflichtet worden, von allen Opfern und Vermächtnissen den vierten Theil, die Quarta canonica, an die Pfarrkirchen und Domcapitel abzugeben, worüber denn später ein langer Kampf der Intrigue ausbrach, der auch unser Kloster berührte, bis endlich die Leistung desselben in eine fixirte Abgabe von 58 Mark und außerdem eine Recognition von drei Mark jährlich verwandelt wurde. Besitz sollten nach dem Gesagten eigentlich die Bettelorden überall nicht haben; aber das hätte sie auf die Dauer zu wirklicher Dürftigkeit verdammt. Durch eine wunderliche Fiction empfing die Kirche für sie Grundstücke und [279] Gaben und ließ sie dieselben genießen. So hat auch unser Kloster hier Häuser und Grundstücke besessen, unter anderm die Nordermühle, die wir sie 1468 bei Negociirung einer Geldsumme sammt andern Gütern und Kleinodien in Lübeck versetzen sehen.
Das Kloster bestand aus zwei Gebäuden[86], von denen die Mauern des einen erhalten sind; es ist das Haus des Herrn Kreissecretairs Martin, 86 Fuß lang, 30 Fuß 7 Zoll breit, wo links von der Thür die Zelle, wahrscheinlich die des Prior, noch vollständig erhalten ist, sowie am entgegengesetzten Ende das Refectorium. Ueber die Lage des zweiten größeren Gebäudes hat erst die Aufdeckung der Fundamente nach Abbrechung des Stalles des Herrn v. Koppelow vor ein paar Jahren Klarheit gegeben. Es lag 12 Fuß südwärts von jenem, und seine Langseite von 6 Ruthen im rechten Winkel mit der Langseite des andern Gebäudes, während das Giebelende 3 Ruthen maß und sich über die jetzige Straße erstreckte. Als Eigenthum des Klosters gibt sich noch jetzt der Klosterhof unter den Fenstern des ersten Gebäudes durch seinen Namen zu erkennen, und an der entgegengesetzten Seite liegt der einigermaßen dreieckige Klosterkirchhof, einst Hußmannscher Garten. Eine eigene Klosterkirche kann es nicht gegeben haben, da die nach der Reformation im Kloster eingerichteten Frühpredigten im Refectorium gehalten wurden und dem zweiten Prediger im Kloster eine Wohnung angewiesen ward. Wohl aber war die Kirche zu Windbergen eine Gründung des Klosters. Auch von einem Kreuzgang ist keine Spur, als etwa in der Verpflichtung der Mönche, bei gewissen feierlichen Gelegenheiten „umme Hof tho gan“. Auch an Kleinodien fehlte es dem Kloster nicht. 1404 stifteten die Dithmarschen dahin zum [280] Andenken an den Kampf in der Hamme ein silbernes Kreuz, zwei Ellen hoch und eine Elle breit auf einem von vier Engeln getragenen Fuße, einen goldenen Kelch von einem Pfund Gewicht, ein Meßbuch mit Noten, und die Mönche gelobten dagegen sieben Messen wöchentlich zu halten, vor allen zwei Seelmessen, eine für die bei Wörden, eine für die in der Hamme Gefallenen.
An Gästen weilen im Kloster 1438 Erzbischof Balduin und 1500 König Johann und Herzog Friedrich. Die Zahl seiner regelmäßigen Bewohner steht nicht fest. Michelsen weist in demselben außer einem Prior, einen Lector und Subprior und zwei Senioren der Mönche nach und bemerkt, daß die Dominicanerklöster nicht über 40, nicht unter 13 Mönche zu haben pflegen. Darnach mag es doch wohl zu den kleinen gehört haben. Auch das Conventsiegel hat er aus jenen Lübecker Urkunden hervorgezogen. Es ist von parabolischer Form und zeigt die Jungfrau mit dem Kinde in einer Nische, die auf beiden Seiten aus drei gothischen Thürmchen gebildet wird unter einem Giebel von zwei Absätzen mit der Umschrift: S. Conventus in Meldorp.
Ein Archiv wird dem Kloster sicher nicht gefehlt haben, da in den Dominicanerklöstern der Regel nach eine Chronik geführt ward; gerettet ist davon natürlich nichts, da bei der Vertreibung der Mönche 1526 ihre Effecten und Bücher den Flammen preisgegeben wurden. Es fehlt uns durchaus, natürlich mit Ausnahme seines Eingreifens in die Geschichte Heinrich v. Zütphens, an Nachrichten über die Wirksamkeit des Klosters. Ob wir auf dasselbe und dessen Schule die Gewandtheit des Stils, der die dithmarsischen Actenstücke auszeichnet, ganz oder theilweise zurückführen dürfen, wird dahin gestellt bleiben müssen.
Es verlohnt sich wohl der Mühe, diesen Krieg etwas genauer ins Auge zu fassen, da er der Vorläufer der Kämpfe von 1500 und 1559 gewesen und in demselben zuerst die Forderung der Heeresfolge an Dithmarschen gestellt, d. h. dessen Eroberung beabsichtigt ist. Er hat Dithmarschen entsetzlich verwüstet, hat aber auch den Dithmarschern die schwachen Stellen ihres Landes gezeigt und durch sein glückliches Ende außerordentlich viel dazu beigetragen, den Heldenmuth bei ihnen auszubilden, durch den sie im Jahr 1500 und 1559 glänzen. Bis dahin lagen der Erzählung nur die Daten des Neocorus zu Grunde, aber die Klageschrift von 1447 bei Michelsen, Urkundenbuch, S. 44 ff. enthält die vortrefflichsten Ergänzungen zu der etwas verwirrten Erzählung, indem sie die Tage nennt, an welchen die einzelnen Plünderungszüge vorgenommen wurden, und die Ortschaften, die sie trafen; stand doch vorher nicht einmal das Jahr des ersten Angriffes fest.
Es war im Jahre 1402 am Pfingstdienstag, den 16. Mai, als der Herzog Erich von Lauenburg aus unbekannter Ursache und ohne Kriegserklärung heimlich durch Holstein heranzog, die beiden Dörfer Röst und Tensbüttel überfiel und alles, was sich darin vorfand, Silbergeschirr, Vieh, Kleider plünderte und mit sich fortführte. Die Dithmarschen gaben den Werth auf 23,000 Mark an. Nachdem er die Dörfer angezündet, bei deren Vertheidigung drei freie Männer gefallen waren, zog er mit seinem Raube nach Bramstedt ab, wo er übernachtete. Die Dithmarschen waren außer sich über einen solchen Ueberfall im tiefsten Frieden, namentlich daß der Feind durch Holstein gekommen sei, mit dem sie nach der Schlacht bei Tiperslo den Vertrag geschlossen hatten, daß kein Theil den Feinden des andern Vorschub leisten sollte, und der Gedanke, daß aller [282] Wahrscheinlichkeit nach Graf Albert, der jüngere Bruder des Herzogs Gerhard IV., der Schwiegersohn Erichs, durch dessen Land dieser gezogen und in demselben übernachtet hatte, Mitwisser des ganzen Planes gewesen sei, steigerte ihre Erbitterung auf das höchste. Mit der äußersten Leidenschaftlichkeit bezüchtigten sie ihn vor dem Herzog wie vor den Städten Lübeck und Hamburg eines verrätherischen Ueberfalls. Der Herzog beschied den Grafen zur Verantwortung wegen des Friedensbruches vor sich nach Gottorp und warf ihm in Gegenwart der beiderseitigen Räthe seine Treulosigkeit vor. Als aber die Dithmarschen keinerlei Beweis vorzubringen hatten und der Graf eidlich versicherte, daß er von der Absicht seines Schwiegervaters nichts geahnt habe, da brach Gerhard in die lobenden Worte aus, so sei es der auf sie vererbten Redlichkeit und Aufrichtigkeit gemäß und dabei wollten sie bleiben in Wort und That. Nun aber erhoben beide bittere Vorwürfe gegen die Dithmarschen über die Verletzung ihrer fürstlichen Ehre durch von ihnen verbreitete Unwahrheiten, wiesen jedes Anerbieten der Sühne zurück und sandten ihnen die Absagebriefe. Am Mittwoch vor dem Frohnleichnamsfest, den 24. Mai, überfielen die beiden Brüder die Kirchspiele Albersdorf und Tellingstedt, drangen einerseits bis nach Pahlen und Dörpling vor, plünderten Tellingstedt und den nördlichen Theil des Kirchspiels Albersdorf, besonders Oesterrade, Süderrade und Offenbüttel und trieben eine Beute von mehr als 100,000 fl., d. h. nach unserm Gelde 600,000 fl. fort. Die Vermittelung der Städte nützte nicht, die kriegslustigen Fürsten betrachteten nach diesem Zuge Dithmarschen als eine willkommene Beute, zogen den alten Vertrag der Kriegshülfe von 1283 hervor, den sie als Verpflichtung zu Kriegsfolge umdeuteten, und waren taub gegen alle Anerbietungen der Dithmarschen. So unternahmen denn diese am St. Viti-Tage einen Vergeltungszug nach Eiderstedt, zogen über 1000 Mann stark über die Eider, plünderten die Kirchen zu Süderstapel und trugen ihrerseits eine Beute davon, die auf 3000 Mark angeschlagen wird.
Am 1. October, dem Remigiustage, ergoß sich unter [283] Führung Graf Alberts von neuem ein grausiger Plünderungszug über die Norderhamme, die Kirchspiele Delve, Henstedt und West-Tellingstedt, die Ortschaften Hollingstedt, Swienhusen, Linden, Nord- und Südheistedt und Berkenholm. Auf welchem Wege man gekommen war, ist nicht ersichtlich; fast möchte man glauben, auf Kähnen die Eider hinab. Man ging über die Brocklandsau und plünderte Hemme (40,000 Mark), Lunden, Neukirchen (10,000 Mark), Weslingburen, Büsum, ja es wagten sich Abtheilungen bis nach Ketelsbüttel, Eppenwörden und Hemmingstedt. Es war ein entsetzlicher Tag: der Sturm heulte in der Luft und der Feind wüthete mit Sengen und Brennen und führte Beute fort, die, abgesehen von dem in Lunden, Weslingburen und Neukirchen Geraubten auf 75,000 Mark angeschlagen ward. Die Absicht war ohne Zweifel, über die Heide, welche jetzt die Stadt Heide trägt, den Rückzug zu nehmen, aber diesen Weg sah man sich plötzlich abgeschnitten durch eine überlegene Schaar von Dithmarschen, die sich dort gesammelt hatte und sich anschickte, das kleine Corps der Holsteiner anzugreifen, das durch die sumpfigen Niederungen an den Grenzen der Norderhamme von allen Seiten abgeschnitten war. Es ward gerettet dadurch, daß grade im entscheidenden Augenblicke die Aubrücke[87] unter dem Druck des vom Sturm [284] aus der Eider aufgestauten Wassers brach und dadurch einen Angriff der Dithmarschen unmöglich machte. Aber auch so war der Rückzug noch schwierig genug; der Rückweg über Tellingstedt muß abgeschnitten gewesen sein; man wagte vielleicht nicht, mitten durch die erbitterten Feinde zu ziehen, konnte es auch nicht, wenn man die Beute an Vieh in Sicherheit bringen wollte. So blieb nur der schmale, bei nasser Witterung vollkommen unpracticable Weg über Wellingbüttel übrig, auf dem man unter ungeduldigem Drängen des Grafen Albert die Geest erreichte. Nach Einigen stürzte er dabei mit dem Pferde, was aber wahrscheinlich eine Ausschmückung dieses Zuges ist, und das Unglück, das ihm im folgenden Jahr begegnete, vorweg nimmt.
Und damit waren die Leiden dieses Jahres noch nicht zu Ende: am Martinitage durchstach der Vogt der Tielenburg, Sievert Dosenrode, den Schleusendamm im Kirchspiel Delve, so daß fünf Ortschaften mit ihrer Feldmark untergingen, welche auch später nicht wieder gewonnen ward, obgleich die Sache von holsteinischer Seite in Abrede gestellt wurde, weil damals kein Sievert Dosenrode auf der Tielenburg gewesen sei.
So stieg die Erbitterung auf beiden Seiten, die Gefangenen wurden ohne Erbarmen umgebracht. Die Fürsten benutzten die Winterruhe, das Schloß zu Hanerau zu befestigen und ihm [285] in der Person des Hinrich von Ahlefeld einen tüchtigen Hauptmann zu setzen. Um Jacobi, den 25. Juli, schlossen sie mit der Stadt Stade, welche ebenfalls mit den Dithmarschen Streit hatte, einen Vertrag, worin sie sich gegenseitig zusagten, nicht einseitig Frieden zu schließen; Dithmarschen sollte zur See beängstigt und sein Handel geschädigt werden. Es galt diesmal vor allem der Stadt Meldorf. Mit dem Frühjahr 1403 erschienen die Holsteiner mit großen Volkshaufen und errichteten am Wege, da, wo derselbe die Mielau überschreitet, bei Dellbrücke ein festes Blockhaus, viereckig, aus gewaltigen Balken gezimmert, mit Schießscharten, armirten dasselbe mit Geschütz, theils um sich bei einem Zuge gegen die Stadt den Rückzug durch die Hamme zu decken, theils sich bei etwaigen Plünderungszügen gegen Burg, Südhastedt und die südliche Marsch zu sichern. Dergleichen sind wohl mehrere gemacht worden in diesem Jahre, aber im Andenken der Leute blieb nur der um Michaelis gegen Burg, Südhastedt und Frestedt, von wo sie Silber, Harnische, Pferde, Vieh und andere Beute zum Werthe von 12,200 Mark fortführten. Auf diesem Zuge, den die Chronik der nordelbischen Sassen selbst bis Meldorf ausdehnt, muß es gewesen sein, daß Graf Albert, erzürnt bei dem begleitenden Adel nicht den geforderten Gehorsam zu finden, sein Roß spornte, daß es wild ward, mit ihm stürzte[88] und ihn so beschädigte, daß er wenige Tage darauf zu Itzehoe starb, am 28. September 1403.
Der Winter brachte Friedensunterhandlungen: die drohende Marienburg, so hatte man das Blockhaus genannt, und die immer wiederkehrenden Verwüstungen des Landes stimmten die Dithmarschen friedfertig: sie erboten sich zu einer erheblichen Geldzahlung. Der Rath von Hamburg und Lübeck unterstützte sie nachdrücklich – vom Erzbischof von Bremen ist bei diesen Händeln nie die Rede –, aber der Herzog, erbittert durch den Tod seines Bruders, bestand auf jährlichem Zins und Heeresfolge. Da rafften sich die Dithmarschen zu einer kühnen Unternehmen [286] empor, ein wackerer Anführer, Rolf Boie’s Sohn, forderte zu einem kühnen Angriff auf die Marienburg auf; was Menschenhand gebaut habe, könne Menschenhand auch brechen. Es ist die einzige kühne That von Seiten der Dithmarschen, deren Militärordnung völlig muß im Argen gelegen haben. Aber der Angriff mißlang, der kühne Anführer fiel und sein blutiges Haupt, auf einen Pfahl gesteckt, predigte nur von der Trüglichkeit der menschlichen Hoffnungen. Plünderung und Einäscherung der nächsten Dörfer folgte.
Aber es sollte noch schlimmer kommen: am 27. April 1404, dem Niemarstage, erfolgte ein Angriff auf die Stadt Meldorf. Der Kampf war blutig, die Stadt ward im Sturm genommen und geplündert und schätzte den Schaden auf 100,000 Mark; in der Umgebung des Herzogs hatten sich Manche so ausgezeichnet, daß derselbe ihnen den Ritterschlag ertheilte. Auch über die Nachbarschaft ergoß sich wilde Plünderung: Windbergen, dessen Schaden auf 20,000 Mark angeschlagen ward, Krummstedt, Farnewinkel, Odderade, Sarzbüttel. Wie theuer der Feind den Sieg bezahlte, wissen wir nicht: aber er wagte nicht in der Stadt zu übernachten. Es lief also auch dieser Zug nur auf eine großartige Plünderung hinaus. – Die Dithmarschen antworteten mit einem Verheerungszuge in die Gegend von Husum am 21. Mai, brannten in Rödemis 40 Häuser, in Mildstedt die Kirche nieder und führten an Kelchen, Ornat, Büchern und Bildern nicht unerhebliche Beute davon.
Nun aber folgte am Dominicustage, dem Vorabend des Oswaldustages, dem 4. August, die letzte große Plünderung. Mit einer ansehnlichen Schaar von Rittern und Knechten drang Herzog Gerhard über Nordhastedt nach Heide, dessen Name auf diesem Zuge zum erstenmal vorkommt, aber als ein kleines Dörflein, das seinen Schaden auf 1000 Mark anschlägt, während die benachbarten Rösdorf und Wesseln über einen Schaden von 10,000 Mark klagen; von da weiter nach Weddingstedt, Stelle und Lunden. Ein Theil seiner Leute wendet sich über Braken nach Hemmingstedt, ein anderer über Lohe und Rickelsdorf gegen Büsum. Zwei Brüder, Hinrich und Nicolaus [287] von Ahlefeld trugen das Banner, der eine der Reiterei, der andere der Schützen, und eine Menge Adels folgte ihm nach, zum Theil in toller Ausgelassenheit. Abermals ward eine Menge Beute fortgetrieben, aber auf eine dauernde Besetzung des Landes war es auch diesmal nicht angelegt. Beute fortschleppen war leichter; aber wenn auch die militärische Organisation Dithmarschens im Argen lag, so wußte man doch durch Gerhard des Großen Beispiel, daß ein Kampf mit den Dithmarschen sein Bedenkliches haben könne. Mit Recht mahnte darum der Herzog, als der Abend nahte, zu Eile und rieth den Raub in Sicherheit zu bringen; aber von den beiden die Fahnen tragenden Brüdern wollte keiner zuerst das Land verlassen und roher beleidigender Hohn antwortete aus dem Haufen den verständigen Mahnungen des Fürsten. Sie standen an dem einzigen Ausweg aus diesem Theil des Landes, der Süderhamme, einer Straße, von dreifachem Graben umgeben, zwischen den Niederungen des Fielersees südlich, und der Brocklandsaue nördlich, durch dichtes Unterholz führend von der Heider Schanze bis Nordhastedt, auf zwei Steinwurf Länge gepflastert. Die Schützen zogen ab durch dieses Holz, nach ihnen eine Masse Viehes. Aber der todtstill vor ihnen liegende Wald hatte Augen und Ohren: hier hatte sich eine Zahl von Dithmarschen verborgen, racheathmend für die grausige Brandschatzung ihrer Heimat, zu schwach, um eine Schlacht zu bieten, aber entschlossen, wenn es möglich wäre, den Feind ihre gewichtige Faust fühlen zu lassen. Sie hielten sich still, selbst als sie das Vieh vorbeitreiben sahen; hier galt es auf ein edleres Wild lauern. Arglos folgten dem fortgetriebenen Vieh die Edelknaben mit den Schildern ihrer Herren. Ueber sie fielen die in den Gräben und Büschen verborgenen Dithmarschen her und erregten durch ihr Erscheinen ein Zetergeschrei, auf das unbewaffnet und unbehelmt der Herzog herbeieilte, Ordnung und Ruhe zu gebieten. Er ward sofort erkannt und niedergestoßen. Da lief der Ruf: „der Herzog ist gefallen“, erschütternd und lähmend von Mund zu Mund. Hinrich von Ahlefeld hatte sich beim Anzünden einer Windmühle aufgehalten, nun folgte dem Uebermuth die [288] Verzagtheit und Kopflosigkeit: einige wollten sich mit Gewalt durch die Hamme drängen, die sie von einem Heere der Dithmarschen besetzt glaubten, andere ließen die Pferde, um watend durch die Untiefen sich eine Bahn zu suchen, – das eine war so vergeblich als das andere. Jene fanden die Straße von Feinden besetzt, von röchelnden Leichen und im Todeskampf zuckenden Pferden bedeckt, die auch den über sie Hinstürzenden den Tod gaben, diese versanken rettungslos in dem Moor zur Rechten oder zur Linken. Dreihundert Edle bedeckten, als die Nacht ihre Schatten herabsenkte, den Boden mit ihren Leichen, 12 holsteinische Ritter, Henneke Lembeke, Wulf Poggwisch d. Ae., die beiden schwerreichen Ahlefelde, Hinrich von Siggen sammt seinem Sohn Ove, die, schon gerettet, als sie den Tod des Herzogs erfuhren, den Tod an seiner Seite gesucht hatten. Nur zwei fand man am nächsten Morgen noch lebend unter den Todten, Wulf Poggwisch d. J., schwerverwundet, und einen Ranzau, die man verschonte, um durch ihre Losgebung die Oeffnung der Marienburg zu erkaufen. Sonst ergossen die Dithmarschen ihren Grimm noch über die Leichen, ließen sie erbarmungslos auf dem Schlachtfelde liegen und waren durch kein Lösegeld zur Herausgabe zu bewegen. Nur mit der Leiche des Herzogs und Henneke Lembekes machten sie eine Ausnahme und ließen sie ins Kloster von Meldorf bringen. Manche andere holte treue Liebe der Gattinnen und Schwestern von dem Orte des Entsetzens und sicherte ihnen mit endloser Mühe heimlich ein Grab in geweihter Erde. Von den beiden Fahnen, die man auf dem Wahlplatze fand, ward die eine in der Kirche von Meldorf, die andere in Wörden aufgesteckt. Unzähliger Schmuck und Beute an Waffen, Gold, Perlen, Geschmeide, Kleidern ward auf dem Schlachtfelde aufgelesen. Den Siegesjubel meldet uns das Lied:
„Gade schölen wi lawen, de uns hefft gesandt
Den Sünte Dominicum, den wahren Heieland;
De an sinem Dage hevet unse Land
Gnediglich behödet mit siner Vaderhand[89].“
[289] Der nächste Tag, der Oswaldustag, war ein Tag allgemeiner Danksagung; Oswaldus ward zum Schutzheiligen des Landes erhoben, sein Jahrestag zu einem allgemeinen Landesfesttag, der festlich sollte gehalten werden bei einer Strafe von 60 Mark Lüb.[90] Glänzende Geschenke wurden dem Kloster zu Meldorf zu Theil, von einer Größe, die dem Siege angemessen war: ein silbernes Kreuz von zwei Ellen hoch und eine Elle breit auf einem von vier Engeln getragenen Fuße, ein goldener Kelch von ein Pfund Gewicht und ein Missale mit genauer Verzeichnung der Noten. Der Prior und die Mönche gelobten wöchentlich sieben Messen zu halten, vor allen zwei Seelenmessen, eine für die bei Oldenwörden und eine für die in der Hamme Gefallenen; also unblutig war der Kampf auch auf Seiten der Sieger nicht.
Der ganze Krieg ist, abgesehen von dem letzten schrecklichen Unglück, eine fortlaufende Kette holsteinischer Erfolge und eine bittere Anklage der dithmarsischen Militärverhältnisse. Die Holsteiner zeigen, daß sie die schwachen Punkte des dithmarsischen Vertheidigungssystems genau kennen; der Schlüssel ihrer Erfolge liegt in ihrer Gewandtheit, da, wo sie erscheinen, mit so überlegener Kraft aufzutreten, daß Gegenwehr unmöglich ist. Die Größe der Beute zeigt den Reichthum des Landes, der gänzliche Mangel eines Widerstandes die Kraftlosigkeit der Behörden. Ohne Zweifel zogen die Dithmarscher aus diesem Kriege nützliche Lehren und man verdankt ihm wohl theils die Schanzen, welche die Tielenbrücke decken, theils die Landwehr, da wo Graf Albert durchbrach, und wer weiß, ob es in der Hamme, die wir nach Neocorus’ Beschreibung geschildert haben, damals schon so aussah, wie der Chronist erzählt. 1559 zieht Johann Ranzau einigermaßen rathlos hin und her vor den unnahbaren dithmarsischen Verschanzungen.
Ein so bedeutsamer Kampf, wie der oben angedeutete, der so gar durchgreifende Folgen hatte und eine der mächtigsten Reformen hervorrief, fordert zu einem tieferen Eingehen auf, auch wenn sich von den inneren Bewegungen des Landes mancher Schleier nicht lüften läßt.
Der Seestrand führte in dieser Zeit zu mancherlei Conflicten und Verhandlungen. In einem Vertrage mit Hamburg 1416[91] werden die alten Verträge von 1384 bestätigt, die ein Drittel der Ladung, wenn sich der Schiffer nicht selbst helfen könne, als Bergerlohn stipuliren, sonst jedem Seefahrer freie unbehelligte Fahrt zusagen. Von Seiten Hamburgs wird unnachsichtliche Bestrafung jedes Seeräubers versprochen, der in Dithmarschen geraubt und geschädigt habe. Seeraub war damals häufig, es war die Zeit der Störtebekr und Gädtke Micheel, und der Dithmarschen Hand mit nichten rein davon – aber er war auch für das Land eine schwere Plage. Die Schiffer finden es viel bequemer, Korn, Vieh, was sie eben brauchen, zu nehmen, wo sie es finden, als zu kaufen. Seeräuber (Vitalienbrüder) greifen tief ein in die Fehden jener Zeit, verproviantiren belagerte Städte und rächen Schädigungen der Fürsten an deren Lande. Abnehmer für ihren Raub finden sie überall, selbst unter den fürstlichen Schloßhauptmännern (Dahlmann zu Neocorus, Anhang XIII). Heut verfolgen die Hamburger den Räuber, morgen sind es hamburgische Räuber, die an den Küsten Dithmarschens plündern und wär’s auch nur, sich mit frischem Fleisch zu versorgen. Wer verdenkt es dem Lande, wenn es auf Abwehr und Rache sann? In Büsum organisirt sich um 1420 eine Gesellschaft zu diesem Zwecke unter der Leitung eines angesehenen Mannes, Abel Reimer; aber sie übertrieb es wieder dermaßen, daß das Land sie [291] desavouirte und keine Unbill zu rächen versprach, die an Abel Reimers Selskop geschehen wäre (1422, Martini). Wenig später erregte der Anspruch der Hamburger auf Stapelgerechtigkeit neuen Zwist, indem sie den Dithmarschen wehren wollten, mit Getreide directen Handel elbaufwärts zu treiben. Vielleicht hing es mit diesen Streitigkeiten zusammen, daß 1430 hamburgische Schiffe von dem Vogt Radlef Karsten[92] zu Norderdeich überfallen wurden, als sie, Hülfsmannschaften, welche vor Flensburg gegen die Dänen gedient hatten, nach Hause befördernd, an der dithmarsischen Küste gelandet waren. 108 Mann derselben wurden erschlagen, Schiffe, Waffen und Lebensmittel ihnen abgenommen. Der Erzbischof und die Städte suchten die Sache zur Sühne zu bringen, aber Rolf Karsten ging auf Vergleichsversuche nicht ein und griff selbst den Thurm auf Neuwerk an, den die Hamburger zum Schutz ihres Handels und ihrer Mannschaften aufgeführt hatten. Die Folge war, daß die Hamburger unter ihrem Rathsherrn Martin Swartekop 600 Mann in mehreren Schiffen in die Mündung der Elbe legten, um das Eintreffen erwarteter Waarensendungen zu decken. Aber Swartekop war außer Stande, der Aufsätzigkeit seiner Mannschaft zu wehren, die an den Küsten Dithmarschens plündern wollte und ihm rund heraus erklärte, des Pökelfleisches müde zu sein, wo ihnen die Ochsen vor den Augen umherliefen. Raubend, sengend und brennend ergoß sie sich dann über die Küste von Brunsbüttel. Aber die ergrimmten Bewohner des Strandes schaarten sich zusammen, griffen sie an, als ihre Böte auf dem Trockenen lagen, und erschlugen sie bis auf den letzten Mann; auch Swartekop, der seine Leute nicht hatte verlassen wollen, blieb. Mit schauderhafter Roheit warfen sich die Dithmarschen auf seinen Leichnam, schnitten ihm den Magen aus dem Leibe und ließen denselben von einem Weibsbild als Siegeszeichen auf einer Stange vorantragen. Sogleich war Rolf Karsten wieder bei der Hand, eilte mit einigen [292] Schiffen nach Hamburg und zündete dort im Hafen bei nächtlicher Weile eine Anzahl von Schiffen an. Ein Ueberfall der Hamburger an der Büsumer Küste, der dort weit und breit alles in Asche legte, war wieder davon die Folge. Aber die so entstandene Fehde fand doch in Dithmarschen selbst sehr entschiedene Widersacher, nirgends mehr als in Meldorf. Ein Meldorfer Bürger, Johann Kruse, dem mächtigsten der Geschlechter, den Woldersmannen angehörig, – Rolf Karsten war ein Vogdemann – stellte sich an die Spitze der Gegenpartei. Neocorus nennt ihn einen bescheidenen, sittigen Mann, der sich aber von seiner Erbitterung habe zu Grausamkeiten wider seinen Gegenpart hinreißen lassen. Die Sache begann mit Zwist, aber die Leidenschaftlichkeit, mit der sie geführt ward, führte bald über alle Schranken hinweg. Rolves Karsten und die Seinigen waren in Meldorf, welches aufs leidenschaftlichste Parthei nahm, ihres Lebens nicht mehr sicher. Man sang auf den Gassen: „Ralves Karsten, kleiner Been, wo hefft du dit alsus vorsehn in disser sulven Saken; kumbst du tho Meldorf in, din Hövet geit up den Staken.“ Und doch war Meldorf damals Hauptstadt und sah alle wichtigsten Versammlungen des Landes in seinem Schooße zusammentreten. Beide Theile nahmen fremde Knechte in Sold, Kruse Johann erhielt von den Hamburgern eine Anzahl Schützen und nöthigte am Ende Karsten Rolves, aus dem Lande zu flüchten. Das Kirchspiel Büsum, das besonders gelitten hatte bei diesem innern Kriege, schloß Frieden mit Hamburg, und versprach, Karsten Rolves und seinen Anhang ohne Genehmigung der Landesversammlung nicht in seiner Nähe zu dulden und Kaufleute nicht zu berauben. Darauf ward denn Michaelis 1434 zwischen acht nördlichen Kirchspielen und Hamburg der Vertrag geschlossen, R. Karsten und seine Genossen zu zwingen, den Schaden zu ersetzen und die alten Zusagen des Landes zu halten. Gleichwohl lebte der Handel im Jahr 1437 noch einmal wieder auf, um Dithmarschen mit Mord und Brand zu erfüllen, bis R. Karsten durch Meuchelmord fiel. Auch damit war die Unruhe nicht zu Ende; die Blutrache drängte zu immer [293] neuen Greuelthaten, bis die Städte Lübeck und Hamburg durch Sendeboten den Streit ausglichen und einer neuen Ordnung Bahn brachen. Dieser Krieg mußte, wenn irgend etwas dem Lande die Augen öffnen über die Haltlosigkeit seiner Zustände und ihm zeigen, welch ein Unglück die Spaltung in fünf verschiedene Vogteien hervorbrächten, und die Nothwendigkeit, eine Behörde zu schaffen, welche im Stande sei, der Wiederkehr solcher Kämpfe zu wehren.
Es ist wohl nicht unpassend, hiebei an Neocorus’ abweichende Darstellung zu erinnern (I, 361), welche Dahlmann im Register zum Neocorus ablehnt mit den Worten: „Des Neocorus Kirchspiel Büsen mag mit der Zahl der Geschworenen und sonst eigenthümlich verfaßt gewesen sein, oder Neocorus verwechselt auch andere Kerknemeden mit den Geschworenen.“ Das Letztere ist denkbar; gleichwohl ist der Ausdruck: „de Sösteine, wo se genömet werden“, bedenklich. Das Ganze aber ist für Neocorus’ Zeit eine verschollene Einrichtung, wie vor allem seine Ungewißheit zeigt, ob die Vögte unter den Schlütern gewesen seien oder nicht.
„Disser Gestalt iß ock dat ditmersche Regimente bestellet gewesen, den erstlich in Iderem Carspel de Sösteine, wo se genömet, darunter twe Schluter gewesen, den ock de Kerkengüder alß Diaconen tho verwalten unnd vorthostaen befalen; diese hebben gemeiniglich alle Weken dat gantze Jahr dorch Gericht geholden, unnd so jemant eine Klage gehatt, iß de vor densulven erschenen unnd densulven vorthoforderen begehret, up den he eine Ansprake hedde. Alßden hebben de under sich deme under [294] ehnen, de dem Beklageden am negesten gewahnet, uperlegt, dem it anthoseggen. Darup den beide Parte erschenen unnd Klage unnd Antwort vorgebracht, de gehöret worden; darup so dan nha Befindung der Saken de Sentenz gespraken. So nun jennigem Parte dar nicht an genöget, hefft desulve van den Sösteine an det gantze Karspel appelleren mögen.“
(„In klenen Karspeln 16, in groten 24 Karknemede; wat wröglich waß, brachten de vort Karspel, dat den sententirede; in klenen Karspelen 2, in groten 4 Slüter, under den Slütern weren de viff Vögede, wo etliche meinen. Sösteine richten ingemein alse Karknemen aver Schulden, Slüter averst richteden insonder aver Schelmen, Deven, Rövern, dar dem Lande angelegen, de Bröke avert gantze Land; wenn de Schluter Iders Karspels nicht stark genoch, nemen se de Schluter avert Landt tho Hulpe, de bunden unnd brenden, welches de enige Straffe des Landes waß.“)
Es sind rücksichtlich der Döffte der Schwierigkeiten zwei, die da wollen gelöst sein: einmal, daß, während alle Ueberlieferungen einig sind über die Fünfzahl, das dithmarsische Landrecht spricht von „unsen veer Dufften“, und zweitens, daß durch Neocorus I, 362 feststeht, daß unter den Achtundvierzig kein Strandmann, also die eine Döfft im Richtercollegium nicht vertreten war.
Was nun die Fünfzahl anbelangt, so spottet das Vorkommen derselben in zwei päpstlichen Urkunden von 1475 und 1476 und die dreimalige Wiederholung derselben, sowie die Uebereinstimmung aller übrigen Quellen jedes Versuches, sie zu beseitigen. Dazu kommt, daß Artikel 240 des Landrechts sie [295] alle fünf nennt, nur ohne die Strandmannen ausdrücklich Döfft zu tituliren. Er bestimmt über ihre Heerschau so gut wie über die der andern vier. (Man hat in diesen Bestimmungen Anstoß genommen an dem Ausdruck Döfftekarspel; ich meine, ohne Grund; die Worte: „unde en Dufftekarspel schall den andern so beseen by truwen, loven und eeden straffen“, sagen ganz einfach, daß das eine Kirchspiel der Döfft dem andern seinen Tadel oder seine Billigung auszusprechen hatte, während die Musterung der ganzen Döfft von den andern Döfften aufgenommen wurde.) Niebuhr wollte deshalb in den Strandmannen Unterthanen sehen, mit denen der Erzbischof das Land belehnt habe; aber das ist nicht möglich, weil eins der ältesten Kirchspiele, Burg, zu ihnen gehört, und weil es keine Spur gibt für die Unterstützung dieser Hypothese. Aber eine eigene Stellung nehmen sie doch ein; die Einkünfte ihres Vogtes fließen nicht wie die der übrigen in die Landescasse, an der sie keinen Antheil haben, und den Scharfrichter halten die andern Döffte für sich allein. Und im Gerichte sind sie nicht vertreten. Diese Schwierigkeiten hat das Meldorfer Programm von 1853, S. 19 zu lösen gesucht durch die Annahme, daß die Strandmannen 1447 die dissentirende Minorität bildeten, als die übrigen Döffte sich vereinigten, eine gemeinsame Behörde zu schaffen zur Ausführung des Vertrags mit Hamburg, die auch im letzten Augenblicke sich weigerte, sich dem Beschluß zu unterwerfen. Die Verlegung des Gerichtes um anderthalb Meilen weiter nördlich wird das zum Theil für den, der Marschwege kennt, wie sie noch vor zwanzig Jahren waren, begreiflich erscheinen lassen; auch Antipathie gegen das jene Schöpfung begünstigende Hamburg, mit dem gerade die Südkirchspiele manchen Span gehabt hatten, mag hinzugekommen sein, vielleicht der Plan, selbständige Gemeinde zu bleiben. So konnte bei Besetzung der Richterstellen keine Rücksicht auf sie genommen werden und die Gesetze nur für die andern Döffte bindende Kraft haben. Die Verhältnisse des Lebens aber nöthigten sie bald, in Heide Recht zu suchen und dem ohne sie gefaßten Beschlusse sich zu unterwerfen. Höchst interessant ist das soeben in den Schleswig-Holstein-Lauenburgischen [296] Jahrbüchern XIII von Herrn Dr. Hille publicirte Actenstück von 1528, wodurch sich mit Zustimmung der Achtundvierzig der Süderstrand eine eigene Constitution gibt mit 24 Männern an der Spitze, vielleicht eine glänzende Bestätigung der obigen Conjectur, daß die Strandmannen die der Aufzeichnung des Landrechts sich widersetzende Döfft war, die sich nach der Aufzeichnung derselben sammt ihren Consequenzen unterwerfen mußte.
Die Schlacht bei Hemmingstedt ist so sehr der Stolz der Dithmarschen, findet in der Geschichte so wenig ebenbürtige Seitenstücke – wie etwa die Schlacht bei Morgarten –, ist so sehr die Frucht eines glücklichen Zusammentreffens der Umstände, heilloser Ueberhebung des Sinnes und kluger Benutzung aller Mittel, daß es einer Dithmarscher Geschichte nur wohl anstehen kann, wenn sie einiges Einzelne zu ihrer Aufklärung beizubringen sucht.
Frühzeitig bemächtigte sich die Dichtung dieses Stoffes, und Neocorus führt uns nicht weniger als sechs Lieder auf dieselbe vor. Bedenklich freilich ist es, wenn wir sehen, wie er dieselben als Quelle benutzt, z. B. die Zahl des feindlichen Heeres aus ihnen festzustellen sucht, und doch zeigt gleich das zweite durch sein Spielen mit der Zahl Drei, wie wenig zuverlässig sie in solchen Punkten sein dürften. Auch sind sie nichts weniger als einstimmig darüber; das vierte giebt die Zahl des königlichen Heeres auf 15000, das fünfte auf 30000, das erste auf 6000 „bi Paaren“ an, woraus Neocorus durch eine etwas kindliche Rechnung von zwei Paaren 24000 herausbringt. Aber bi Paaren heißt, wie aus Karsten-Schröder erhellt, beisammen. [297] Cilicius Cimber, mag es Johann Ranzau selber oder ein ihm nahe Stehender sein, gibt an: 6000 Mann Garde, 2000 adliger Reiterei und eine große Zahl ausgehobener Leute aus dem Königreich. Zum Glück haben wir einen gleichzeitigen Geschichtsschreiber, und zwar einen sehr bedeutenden, der uns diese Geschichte überliefert hat, den Hamburger Albert Krantz in seiner Saxonia XIII, 25, auf den wir hier hauptsächlich zurückgehen wollen, und der mit Cilicius durchaus übereinstimmt.
Aus ihm erfahren wir zunächst etwas Neues über die Einnahme von Meldorf. Der König hatte sich zunächst nach Windbergen gewendet, und von dort aus erwartete man ihn in Meldorf an der Hamme. Wo das war, kann keinem Meldorfer zweifelhaft sein, an der Bollenbrücke, wo die aus dem Windberger See abfließende Amerswurther Au den Weg nach Windbergen durchschneidet, und darnach traf man in Meldorf seine Anstalten. Krantz nennt die Stelle Hamme; die Existenz einer Hamme südlich von Meldorf auf dem Wege nach Windbergen ist meines Wissens nur durch diese Stelle bekannt. Der König aber täuschte die Erwartung, zog über einen Grasweg und gelangte ohne Kampf nach Meldorf. Auch dieser Weg kann nicht zweifelhaft sein: es ist der Weg über Wolmersdorf, doppelt practicabel bei dem Frost; so rückte das Heer von Osten in Meldorf ein.
Sodann hört man hier manchen Zweifel aussprechen über die Identität des jetzt Dusentdüwelswarf genannten Platzes mit dem Schlachtfelde von Hemmingstedt. Es sei undenkbar, daß man dithmarsischerseits eine Stellung genommen habe mit dem Schweinemoor im Rücken; der Kampfplatz müsse nothwendig weiter nördlich gesucht werden. Der Einwand, so scheinbar er ist, zeigt nur Unkenntniß der Geschichte. Wir wissen aus Krantz, daß es in Dithmarschen eine Friedensparthei gab, die einer solchen Uebermacht gegenüber den Kampf als unsinnig behandelte; das dritte Carmen des Neocorus nennt uns zwei Männer derselben, Carsten Holm und Hans Peters in Heide, die schon in Meldorf mit dem Könige Verbindung angeknüpft hatten. Aber auch die Kriegsparthei (die Landgemeinde zagte) hatte sich [298] in die Marsch d. h. nach Wörden zurückgezogen, und dachte eventuell nach Büsum zurückzuweichen. In Wörden war also das Heerlager der Dithmarscher, die nicht ohne eine Söldnerschaar waren, die sie nur aus Furcht vor Verrath nicht zu gebrauchen wagten. Diese Parthei war es, die auf die Nachricht des eingefangenen Kundschafters, daß der König am nächsten Tage nach Heide zu ziehen beabsichtige, alles mit sich fortriß und die Gegenwehr organisirte, dem Feinde den Paß nach Heide zu verlegen suchte. Wir müssen also den Punkt des Kampfes an einer Stelle suchen, wo die Wege von Wörden in den Weg von Meldorf nach Heide einmünden, und dieser Stellen sind zwei, die eine vor dem Dorf Eppenwörden, wo sich der Weg nach Wörden von dem nach Heide scheidet, und der Nebenweg über den Hof, die Kanzlei genannt, der bei der Dehling gerade am Dusentdüwelswarf ausmündet, welches diesen Weg deckt. Die Position ist also, als von Wörden ausgehend, ganz richtig genommen. Es gab aber, wie Krantz uns erzählt, Leute, die dem Kundschafter nicht trauten und anderwärts ihre Stellung nahmen; sie glaubten an einen directen Angriff auf Wörden, und ihre Stellung muß also auf dem Wördener Wege, etwa bei der Kanzlei gewesen sein. Daß Wörden der Mittelpunkt der Vertheidigung war, erhellt auch daraus, daß die Bannerträgerin, deren Namen Neocorus, selbst aus Wörden gebürtig, nicht mehr kennt, aus dessen nächster Nähe, aus Hohenwörden war, und daß die eroberte Reichsfahne, der Dannebrog, in der Wördener Kirche aufgesteckt wurde. Weiter nördlich aber nach dem Schweinemoor zu gab es keinen Rückzugsweg mehr nach Wörden als über Hemmingstedt. Was aber die Lage des Schweinemoors anbelangt, so lag es in der Hand der Dithmarschen, sich ein gleiches vor sich zu schaffen. Das Dusentdüwelswarf liegt an einer der niedrigsten Stellen der Umgegend, die in nassen Wintern ihr Wasser gar nicht los zu werden weiß; gerechnet aber war bei dem Bau der Schanze sicherlich darauf, daß durch Oeffnung der Schleuse sich die Gegend unter Wasser setzen ließ. Es ist die Barsflether Schleuse, die hier in Betracht kam, durch welche die ganze [299] Umgegend entwässert; vielleicht durchstach man auch den Siddeldeich, der das Wasser von Böddinghusen abhält. Wenn von einer Oeffnung der Meldorfer Schleuse die Rede ist, die damals nur 400 Schritt von Meldorf lag, so ließ sich von da aus das Schlachtfeld nicht unter Wasser setzen, sondern höchstens der Weg nach Talingburen und Barsfleth abschneiden.
In diese Schanze nun warfen sich, geführt von Wolf Isbrand oder Sibrand, wie Neocorus einmal sagt, nach Krantz einige tausend Mann, nicht, wie es bei Neocorus heißt, dreihundert. Gegen dieses Bollwerk aber trieb der Unverstand der Führer in dem entsetzlichsten Weg und Wetter die königlichen Truppen. Es war das Heer bei einem fliegenden Nordweststurm ausgerückt, der Regen und Schnee den Marschirenden gerade ins Gesicht trieb und mit eisiger Kälte die Glieder der Leute lähmte, während die Dithmarschen ihn im Rücken hatten; und dabei führte der Weg, schmal und auf beiden Seiten von tiefen Gräben eingefaßt, wie er noch heutzutage ist, durch die tiefste Marsch. Wer aber Marschwege nie gesehen hat, macht sich keine Vorstellung von denselben, die nach einem Menschenalter selbst den Marschbewohnern eine halbe Fabel erscheinen werden, nachdem die Anlage von Chausseen sie zum großen Theil hat verschwinden machen. Der Marschklei läßt bis dreiviertel Fuß tief den Marschirenden einsinken, um ihn dann wie Lehm am Boden festzuhalten. Damals kam noch ein Doppeltes hinzu, daß im Jahre zuvor die Gräben ausgetieft und der auf den Weg geworfene Klei noch nicht abgelagert war, und zweitens, daß die Bewohner des Dorfes Eppenwörden, durch das der Weg geht, bei dem Bau der Schanze geholfen und durch ihre Wagen mit Erde den bösen Weg zu einem impassabelen gemacht hatten. So waren die Truppen, als der Kampf begann, bis zum Tode erschöpft, steif und unbehülflich. Wem es gelang, den Mann umzuwerfen, hatte ihn getödtet, er war außer Stande aufzustehen.
Auch unter solchen Umständen ward das Unglaubliche geleistet; das Fußvolk kam unter dem Feuer der Schanze doch über die Gräben, stellte sein Geschütz auf, breitete sich aus, und [300] eine Absicht zeigte, dem Feinde den Rückzug nach Wörden abzuschneiden. Das zwang die Dithmarschen, aus ihrer Schanze herauszukommen. Dreihundert Mann etwa, sagt Krantz, stellten sich zur Deckung des Rückzugsweges der Garde entgegen (es sind wohl die dreihundert, welche Neocorus allein in der Schanze kennt), die Uebrigen fuhren fort, in den schmalen Weg zwischen die gedrängt stehenden Truppen zu feuern, d. h. heilloses Unglück anzurichten. Aber auch die Dithmarschen schädigte das Geschütz des Feindes erheblich und es gelang nicht, dasselbe niederzuwerfen. Die Aussichten schienen den Königlichen günstiger zu werden, da fiel der Anführer, Junker Schlentz. Er war leitend und kämpfend an der Spitze der Seinigen gewesen und hatte laut irgend einen herausgefordert zum Zweikampf. Endlich fand sich ein Mann, ihn zu bestehen, man nennt ihn Reimer von Wimerstedt. Er wußte mit seiner Hellebarde den Lanzenstoß des Ritters zu pariren, dann, nachdem dieselbe sich im Kettenpanzer des Ritters verwickelt, mit Hülfe zweier andern ihn von seinem Pferde zu reißen und ihn, trotz seines Panzers, zu tödten, indem sie wechselweise auf die Hellebarde sprangen. Mit seinem Fall erlosch die letzte Hoffnung; die Ordnung wich. Das Wasser überschwemmte die Felder immer mehr und machte Schritt und Tritt unsicher. Die Natur des Bodens nöthigt den Marschbauern, sein Feld in lauter schmale Streifen, von etwa zwei Ruthen Breite zu theilen, die stark abgerundet, durch kleine Gräben, Pipen genannt, geschieden sind. Bekannt mit dieser Eigenthümlichkeit, konnten die Dithmarschen leicht die Stelle erkennen, wo in geringer Tiefe Grund zu finden war, und mit ihren Springstöcken sich dahin schwingen, während ihre Gegner aus einer Untiefe in die andere geriethen und durchkältet bis aufs Mark der Knochen bei jedem Fall rettungslos verloren waren. So ward in zwei Stunden ein Corps vernichtet, das Jahre lang der Schrecken Niedersachsens gewesen war.
Mit seinem Untergang war alles verloren; der Reiterei machte die Tiefe und Enge des Weges Kampf und Flucht gleich unmöglich: dazu auch die Wagen, die im Versuch umzukehren, [301] zum Theil umgeworfen und den Weg versperrt hatten. Es ist bald ein Wunder, daß der König und Herzog entkamen; alles Andere erlag den Waffen oder dem Wasser. – Man wendet mit Entsetzen das Auge von einem solchen Schauspiel weg.
Es verlohnt sich wohl der Mühe, hier die betreffende Stelle aus Seedorfii Dithmarsia libera aus Westphalen, Monumenta inedita III, 1893 in extenso aufzunehmen, da sie wenigen zugänglich ist, fast gleichzeitig, und über diese Institution volles Licht verbreitet.
„Anno 1631 den 29. October hat Herzog Friedrich III. auf Johann Fehrings[93], eines Dithmarschers, wohnend zu Weslingburen, Angaben, wie communiter davor gehalten wird, einen General-Landes-Pfenningmeister und Landes- auch Kirchspielsgevollmächtige, vierundzwanzig an der Zahl, darunter Fehring einer mit geworden, in seinem Nordertheil (nach Art der achtundvierzig Regenten) eingesetzet und confirmiret anno 1637 den 7. Januar. Wie die eingesetzte Gevollmächtige großen Theils gestorben, hat I. Durchlaucht Herzog Friedrich nicht allein den Numerum compliret, sondern auch den Kirchspielvögten und übrigen Gevollmächtigen die Freiheit ertheilet, wann nach diesen etliche würden abgehen, in deren Stelle andere wieder zu eligiren, wie aus folgender Copia zu sehen:
[302] „‚Wir von Gottes Gnaden Friederich etc. Thun kund und bekennen hiemit für Uns und Unsere Nachkommen an der Regierung gegen männiglich: Demnach wir im längstverflossenen 1631. Jahre den 29. October in Unserem Norderdithmarschen gewisse Uns dero Zeit benannte Personen zu Landes- und Kirchspiels Gevollmächtige confirmiret und eingesetzet, welche nunmehro guten Theils gestorben und daher nöthig sein will, solche Zahl zu ergänzen und von neuem bequeme, dazu qualificirte Personen zu erwählen; Als haben wir dero Behueff (jedoch wenn hiernächst von denselben jemand mit Tode abgehet, die Kirchspiel-Vögte nebst den übrigen Gevollmächtigen einen hinwieder zu erwählen befuget sein sollen) eingesetzet und bestätiget. Gegeben auf unser Schloß Gottorff den 7. Januar 1637.‘
„Was aber diese obgedachte des Landes Gevollmächtige für Potestät und Gewalt in Landes Sachen haben, davon finde ich eine weitläuftigere Schrift an I. Durchl. Herzog Friedrich sel. Herrn Jacobi Preußern Ihro Durchlaucht Christmildesten Gedächtnisses Friederici lang gewesenen Cammer-Secretarii und hernach Hof- und Canzlei-Raths, dem zu dieser Zeit des Landes Zustand sehr wohl bekandt, denn er fast von Anfang der Regierung bey ihm gewesen, intituliret: Ein in Rechten gegründete Bitte in puncto contributionis. Darinnen setzet er unter andern fere in medio diese Worte; Zumahlen in den Reichsabschieden verordnet, daß ipsi Imperii Status ihren Unterthanen selber, in quos tamen imperium habent, solche Anzeiche, als von mir erfordert, thun sollen, v. Recess. Imp. de anno 1594, § 12. Dahero die Gevollmächtigen in Dithmarschen mit so viel weniger Ursache sich zu entfreyen, tum, quod in illos, per quos collectae exsolvi debent, nihil habeant potestatis, tum quod illis collectoribus nullum detrimentum ex hoc negotiorum, in quo collectae sunt impendendae, expositione sit timendum; utpote qui hoc casu non nisi nudum ministerium et exactionem habent ad utilitatem provinciae, non autem ipsorum incrementum decretum. Reink. in R. S. et E. l I, cl.5. c. 4. n. 209. Und ferner in selbiger Schrift setzet er § und hat solches in verbis, dann [303] alda sc. in Dithmarschen, wie berühret, nicht autoritate magistratus municipalis, cui tamen ob necessitatem etiam per modum praecepti et indictionis ac imperii sine consensu communitatis indicendi collectas jus, quod est de regalibus non competit. Sixtin. de regalibus l. 2. c. 14. Schatzungen angeordnet werden, sondern von etlichen, welche von den Kirchspielen dahin gevollmächtiget seien, daß sie bereden, was sie zu Erhaltung jedweden Kirchspiels, deren Einwohnern und des Landes Wohlfahrt und sonsten nöthig zu sein erachten, und ihnen solches zu reifern Erwegung hinterbringen. Gestalt auch vor diesem niemals Schatzungen angeschlagen, die nicht vorhero in den Kirchspielen absonderlich beredet, da jedwedern, wohin solches zu verwenden kund gethan worden. Huc usque Preusser. Wie man nun nachdem hausgehalten und was Nutzen das Land davon gehabt, ist bekannt, dürft I. Hochfürstl. Durchlaucht wol, fürchte aber zu spät, erfahren.
„Anno 1638 mense Junii hat der Herzog auch auf Angeben des Johann Fehrings das Namen Geld oder Namen Schatz sub specie einer Erleichterung der großen Capitalisten, so aber nur zu Bedrückung der Armen in der That gehet, angeordnet, wogegen die Armen und der Mittelmann auch sofort supplicirt; allein weilen Fehring zu mächtig, sind sie nicht erhöret worden, wiewol doch Gott sie nicht gänzlich unerhöret gelassen. Denn nach wenig Jahren, nemlich 1641 im August, hat Fehring mit der Kirche zu Lunden Vorstehern, als Predigern und Aeltesten des Kirchspiels, denen die Gemeinde beigetreten, einen Streit wegen 3800 Mark angefangen und seinem Brauch nach in seinen Seckel endlich spielen wollen, wogegen sich dieselben, besondern der Pastor Johann Wendeler, gesetzet und den Proceß in der Fürstlichen Canzelei anhängig gemacht, Nach welchem der Pastor theils mit heimlichen Schreiben an Ihro Durchlaucht, theils mit mündlicher Relation, theils mit öffentlichen harten Gebeten von der Kanzel so viel zuwege gebracht, daß Ihro Durchlaucht eine heimliche Inquisition anstellen lassen, woraus dann 50 Artikeln formiret und nachdem die Sentenz zwischen ihm, dem Fehring, und dem Kirchspiel [304] Lunden anno 1642 den 3. Junii zu Gottorf im Beisein Ihr Durchlaucht gesprochen, ist Fehring eine Stunde hernach auf die Canzlei gefordert und ihm ein Arrest, aus seiner Herberge nicht zu weichen angekündiget. Folgenden Tages aber ist ihm ein Extract aus der Inquisition in 50 Art. bestehend von Ihr Durchlaucht zugesandt mit ernstem Befehl schleunigst darauf in Schriften zu antworten und nicht ehender aus dem Arrest zu weichen, wie dieses und folgendes der Pastor selbst ordine in das Lundener Kirchenbuch verzeichnet. Als Fehring dieß zugestellet, ist ihm der Muth entfallen und hat Gedanken gefasset, sich aus dem Staube zu machen, wozu er des folgenden Tages, da Ihro Hochfürstl. Durchlaucht nach Husum und ihre Räthe aufs Landgericht nach Rendsburg gereist, kommen und sich aus dem Arrest gemachet und folgende Nacht noch in Weslingburen in sein Haus gekommen und seine Briefe in Kornsäcke voll, nebst sein Silber und Gold zu sich genommen und damit nacher Braunsbüttel[WS 27] und der Elbe zugeeilet, und nachdem er ins Boot getreten und ein wenig vom Lande gewesen, ist er etliche Männer in rothen Röcken gewahr geworden und als selbe gerufen und mit über wollen, hat er vermeinet, daß dieselbe wären von Ihr Durchlaucht nachgesandt, ihn zu fangen: derohalben er zwei Säcke ins Wasser geworfen und selber nachgesprungen, hat aber nicht so bald, als er wohl gern gewollt, sinken können, deshalben er dann von den Fährleuten wieder salviret und ins Boot gebracht. Worauf, als gedachter Pastor Wendeler schreibet, nach der seinen selbsteigenen Confession, auch anderer wahrhaftigem Bericht, er sich das Messer in die Gurgel gestochen, wo er aber geblieben, davon ist eigentlich keine Nachricht. Etliche wollen, er sei sofort an der Wunden gestorben und auf der andern Seite am Teich begraben; andere aber, besonders die Seinigen, sollen vorgegeben haben, er sei zu Bremen angekommen und bei einem Bürger Claus Wolt logiret und wenig Wochen krank daselbst gelegen, auch das Nachtmahl von einem lutherischen Prediger empfangen haben und darauf gestorben sein, sei auch daselbst im Thum begraben. Ob dem so, stelle ich dahin, nur, sage ich, kann man daraus [305] sehen Gottes Gericht an ihm. Nach seinem Tode aber habe Ihro Hochfürstl. Durchlaucht alle seine Güter confisciret, doch aus Gnaden der Wittwe und den Kindern etwas wieder zugestellet.“
(Westph., Mon. ined. III, 1903.) „Aus diesen Worten des Herrn Preußern, denen die Gevollmächtigen damalen nicht widersprechen mögen noch können, ist nun genugsam zu ersehen, worin deren Ampt bestehe, nemlich in vigilantia et cura, in der Wachsamkeit und Sorgfalt, vermöge welcher sie gute Acht und Wacht auf des gemeinen Landes und Kirchspiels Wohlfahrt haben und sich, wenn etwas vorfällt, darüber bereden, aber gleichwohl nichts schließen, sondern es in einem jeden Kirchspiel und dero Gemeine oder welcher derselben mehr vorgesetzet, zu reifem Erwägen hinterbringen und also folgends mit ihnen einen gemeinen Schluß in der Sache machen sollen. Und daß dieses in publicis nicht allein zur Zeit ihrer Freiheit vor Eroberung des Landes allemal so gehalten, zeiget sowohl ihr Landrecht, als viele negotia, deren in Dithmarsia mea libera gedacht, klärlich an, sondern ich habe es auch“ (Seedorf war ca. 1660–1670 in Lunden wohnhaft) „von verschiedenen alten fürnehmen Leuten in Dithmarschen, die wohl wissen und erfahren, was in ihrem patria seit 1631 passiret und gebräuchlich gewesen, selbst gehöret, daß es also, wie vorgedacht, in ihrem Vaterlande hergegangen, und das letztere gleichfalls also stets in der Landschaft und Kirchspielen practisiret, ausgenommen etliche wenige Jahre her, da sich einige Große gefunden, die sowohl in der Landschaft und den Kirchspielen de facto selbst angenommener autorité gegen vorigen löblichen Gebrauch gehandelt.“
(S. 1904.) „Nun folget ferner, was dann diese Gevollmächtige für äußerliche Ehre, Prärogativ und Vorzug vor ihren Landesleuten zu genießen. Hievon ist annoch landkündig, daß die Gevollmächtige vor diesen außer den Namen keinen Vorzug im gemeinen Leben und Wandel vor ihren Miteinwohnern und Brüdern gehabt, selbiges auch niemalen begehret, sondern sind nach ihrem Alter oder nachdem sie geheirathet, wie im Lande [306] üblich und gebräuchlich nebst ihren Frauen gegangen, und allenthalben ihren Platz und Stelle genommen bis anno 1657, da sich etliche Stolzlinge zusammengethan und mit einer Supplique durch einen Mann, der wohl angesehen und willkommen zu Hofe gewesen, ihr Begehren anbringen, und wie sie diese Oberstelle vor andern mit ihrer großen Mühe, Reisen, klugem Rath und Sorgfalt, auch Verschreibung und Satzung ihrer Hand für des Landes Credit wohl verdient, aufs beste herausstreichen lassen. Es pflegen aber große Herren und dero Räthe geringer, bevorab Hausleute, ihre Hoffart als Thorheit nur zu spotten, wie aus jenes Churfürsten zu Sachsen Befehl zu schließen. Selbigem ward auf eine Zeit eine Supplique eingereichet, darin einer seiner Schreiber einen größern titul begehrete. Da fing er an zu lachen und sagte: ‚Gib dem Narren Tituls genug.‘ Gleichergestalt hat man hier den Gevollmächtigen auch Rangs genug gegeben und den begehrten Obersitz über ihre Landsleute, so Hausmänner, ihnen eingeräumt. Diesen Rang und Oberstelle, höre ich aber, sollen nach jetziger Zeit in etlichen Kirchspielen die Gevollmächtigen nichts achten, sondern vor als nach gehen, wie sie alt sind oder geheirathet haben, und also mit der That den andern Stolzlinge ihre Thorheit verachten. Nun ist noch übrig, was dann die Gevollmächtige vor Besoldung und Lohn für dieß ihr Ampt und Wachsamkeit haben zu erwarten. Darauf dienet zur Antwort, daß dieß ihr Ampt zu anfangs non tam honos quam civile onus, eine bürgerliche Last gewesen, wie die tutela oder Vormundschaft. – – Anjetzo aber, höre ich, haben die zu Weslingburen, welche große Ländereien besitzen, und mit den Armen wie die Habichte mit den Tauben umgehen, nach Belieben es dahin gebracht, daß das Kirchspiel einem jedem 50 Mark Lübisch geben muß. In andern Kirchspielen beginnet man auch schon deren Exempel anzuführen und werden die guten Leute, nachdem sie sich lang genug gesperret, es nolentes volentes einwilligen und in Nachtagen, weil es insgemein heißet: ‚omnis successor pejor‘, ihnen wohl mehr zulegen müssen. Daher es denn auch geschiehet, wenn itzo ein Gevollmächtiger stirbet, oder aber noch nicht einmal todt, daß [307] dann schon andere theils bei Kirchspielvogt und Gevollmächtigen, bei welchen die Wahl, andere gar nach Hofe laufen und ihren Competenten zuvorkommen und da des Verstorbenen Stelle ambiren, obtiniren und mit Fürstlicher Hand und Siegel wieder zurückkommen. Da sehen dann Kirchspielvögte und Gevollmächtige ihren Collegen nach, und daß sie für dasmal ihren guten Freunden vergebens Promessen gethan, an des Verblichenen Stelle zu stehen. Eine solche Besoldung, die doch ihre Voreltern nie begehret, ja für einen Schimpf geachtet hätten, wann sie um ein so geringes ihr geiziges Herz der Welt darstellen sollten, wäre nun diesen Leuten noch endlich zu gönnen, wenn nur in heimlichen Wegen sie nichts mehr genössen und die Armuth für sie in fine leiden muß, wann sie jährlich in großem Rest bleiben und wohl gar damit hinsterben oder solche Rechnung machen, dadurch das alte Sprichwort erfüllet wird: ‚Sechs cinque gibt nichts. Sed Deus tandem erit judex et oppressorum vindex.‘“
Anmerkungen
- ↑ Reisen hat er sicherlich nicht gemacht: selbst in Dithmarschen kennt er südlich von Meldorf[WS 2] weder die Patrone der Kirchen, noch die in den einzelnen Kirchspielen ansässigen Geschlechter. Anm. d. Herausgebers.
- ↑ Fast scheint es, daß er der erste war, der von annalistischer Aufzeichnung des Einzelnen zu zusammenhängender Erzählung fortschritt.Kolster.
- ↑ Neocorus, Bd. I, S. 12.
- ↑ Monumenta inedita IV. Sie stellen sich dar als Excerpte, die der Verfasser aus verschiedenen Werken gemacht.
- ↑ Sie ist 1864 wieder entdeckt von Herrn Geheimrath A. J. L. Michelsen.
- ↑ Geheimrath Michelsen.
- ↑ Von der Kieler Bibliothek angekauft.
- ↑ Excurs I: Die neueren Schriften über Dithmarschen.
- ↑ Siehe Excurs II: Der Name Dithmarschen.
- ↑ Herr Professor Müllenhoff machte mich einst aufmerksam, daß in Dithmar das a lang ist, also nicht umlauten konnte, daß also diese Ableitung sprachlich ausgeschlossen ist. Kolster, Burgen u. s. w.
- ↑ Ein Elbarm zog sich längs dem Dellwege und ergoß sich bei Ketelsbüttel in den Hauptstrom. Neocorus I, 209. Meld. Progr. 1852, S. 11. Das führt auf eine Insel Weslingburen, Neukirchen, Hemme; Büsum blieb bis 1584 Insel, die sich der Tradition nach viel weiter nach Süden erstreckte und Helmsand und Diecksand als Eigenthum betrachtete.
- ↑ Excurs III: Urzustände der Marsch.
- ↑ Excurs IV: Die Alterthümer Meldorfs.
- ↑ Es wirft ein nicht unwesentliches Licht auf die Verbindungen Meldorfs mit den Weserufern, daß sofort nach Einrichtung des Bisthums Bremen dessen Missionare hier erscheinen. Ohne Zweifel war der Hafen Meldorfs die Vermittelung, da schon Erzbischof Willerich, der 839 starb, nach Adam von Bremen die Kirche fleißig soll visitirt haben.
- ↑ Sollte man vermuthen dürfen, daß nach 1447, wo dem Schlüter von Weddingstedt die Ehre zufiel, die auf Weddingstedter Grund und Boden (denn Heide war noch nicht Kirchspiel) gehaltene Versammlung der Achtundvierzig zu eröffnen, und wo im Weddingstedter Kirchenarchiv wichtige Aktenstücke niedergelegt wurden, dieser Kirche eine ehrwürdigere Abstammung sei angedichtet worden?
- ↑ Dehio tritt für das Gegentheil in die Schranken (S. 100). Dagegen ist von Kolster (Burgen, Döffte und Hammen) gerade daraus die Lage der Bökelnburg erklärt.
- ↑ Es ist aber doch auch Bolten der Fabeleien des D. Carstens am Ende zu viel geworden von einem jüngeren Siegfried, der Dithmarschen besessen habe vor dem älteren, die Bökelnburg befestigt, in Meldorf seiner Burg gegenüber eine Kreuzkirche gebaut, Kirchen in Weddingstedt, Lunden, Weslingburen gegründet, das Kloster gebaut (Dominikaner 200 Jahre vor Dominicus), die Marienburg errichtet, die notorisch erst 1402 erbaut ward, denn er schließt mit den Worten: So viele und so umständliche Berichte könnten doch nicht insgesammt erdichtet sein, obschon einige offenbar falsch sind.
- ↑ Michelsen, Urkundenbuch I, 1.
- ↑ Man hat vom Grafen Rudolf II. noch eine Schenkungsacte 1144, VIII. Cal. Augusti. Siehe Bolten II, 138.
- ↑ Als Kirchspiel kommt Burg aber erst 1326 vor.
- ↑ Manches abweichende bei Dehio, Hartwig von Stade.
- ↑ Was aus ihrer Lage zu folgen scheint, nämlich das Dasein der nördlichen Marsch von Dithmarschen, s. bei Kolster, Burgen, Döffte und Hammen. Die Verdienste Hartwigs um den Deichbau entwickelt des weiteren Dehio, Hartwig von Stade, S. 100 ff. Excurs IV: Der Boden Dithmarschens.
- ↑ Bolten erinnert hier daran, daß eine Schwester der Grafen Rudolf und Hartwig an den dänischen König Erich Lamm vermählt gewesen war, und möchte aus der Rolle, die ein Dithmarscher Etheler im dänischen Heere spielte, auf dänische Ansprüche und eine dänische Parthei im Lande schließen. Indessen fiel Etheler schon 1148.
- ↑ Excurs V: Die Eindeichung der Marsch.
- ↑ Der rasche Uebergang von Widersetzlichkeit zur Unterwerfung und von dieser zu neuer Empörung deutet auf Partheiungen im Lande und hauptsächlich unter dessen Adel hin, in dessen Händen damals noch der Haupttheil der Verwaltung lag. Dabei darf nicht übersehen werden, daß auch unter dem Adel in Holstein eine zahlreiche Parthei war, welche am bischöflichen Hofe zu Schleswig eine Stütze gegen den Grafen von Holstein suchte. Der Bischof Waldemar von Schleswig war ein ehrgeiziger Mann, der, aus königlich dänischem Stamm entsprossen, nach nichts Geringerem als der Königskrone strebte.
- ↑ Neocorus I, 211. Er schreibt bald Vodieman, bald Vojediman, bald Vadheman. Vgl. Anhang, S. 592.
- ↑ Excurs VI: Waren die Dithmarschen Sachsen oder Friesen?
- ↑ Ebenso waren sie seßhaft in Windbergen.
- ↑ Den Vogt nahm der Erzbischof ohne Zweifel aus der Mitte des einheimischen Adels. Seine Aufgabe war ohne Zweifel eine doppelte: den Heerbann zu entbieten und das Blutgericht zu halten. 1265 gibt es nur einen Vogt: Advocatus, milites, consules et tota communitas terrae Thetmarsie. 1281 aber Mehrere: Milites, advocati et universitas terrae Ditmarcie.
- ↑ Mit taufen, döpen, hat das Wort sicherlich nichts zu thun, sondern mit deftig, derb. (Siehe Kolster, Burgen, Döffte und Hammen.) Nie wird es mit Beziehung auf Kirchliches gebraucht, sondern bezeichnet stets den Amtsdistrict des Vogtes. Siehe Excurs VII.
- ↑ Excurs VIII: Ueber die Bodengestaltung Dithmarschens.
- ↑ Excurs IX: Stadt und Kirche Meldorf.
- ↑ Excurs X: Die Rathgeber, consules.
- ↑ Excurs XI: Der Friede von 1283, die Vertreibung des Adels und der Hasenkrieg.
- ↑ Excurs XII: Seeraub, Seetrift, Seefund und die Verhandlungen über Handel und Strandrecht.
- ↑ Excurs XIII: Der Kampf bei Wörden, 1319.
- ↑ Excurs XIV: Das Dominicaner-Kloster in Meldorf.
- ↑ Seit 1336 neu geordnet, von acht Tagen vor Mariä Geburt (7. September) bis vierzehn Tage nach derselben.
- ↑ Excurs XV: Der Krieg von 1402–1404.
- ↑ Excurs XVI: Die Händel zwischen Rolves Karsten und Krusen Johann.
- ↑ In der freilich erst nach Dahlmanns Collegium entdeckten Urkunde bei Michelsen, Urkundenbuch, S. 46, unterm Jahr 1404: „Item de vromen Lüde in dem dorpe to der Heide.“
- ↑ Karsten Schröder sagt es ausdrücklich.
- ↑ S. Excurs XVII: Die Schlüter und Geschworenen.
- ↑ ?
- ↑ In den Schleswig-Holstein-Lauenburgischen Landesberichten, Th. II, S. 378 ist von mir der Beweis geliefert, daß der vermeintliche Joseph Dithmarschens Schutzheiliger Oswaldus, und die vermeintliche Taube, welche die Dreieinigkeit vollmachen soll, der Rabe des Oswaldus mit seinem Ringe ist; der letztere, den die Taube niemals trägt, wird entscheidend sein.Kolster.
- ↑ Excurs XVIII: Die Zahl der Döffte.
- ↑ Vgl. die Meldorfer Schulprogramme von 1851 und 1852.
- ↑ Wo zwischen König und Adel eine bedenkliche Spannung herrschte.
- ↑ Es galt einem Austrägalverfahren, nach dem die Dithmarschen in Holstein, die Holsteiner in Dithmarschen ihr Recht suchen sollten. Die alten Verträge mit Herzog Gerhard, Heinrich und Adolf VIII. wurden neu bestätigt, und die Zollfreiheit Dithmarschens, der Gegenstand so vieler Streitigkeiten, anerkannt.
- ↑ Neocorus schwankt über die Zahl (I, 504. 511. 521). Excurs XIX: Die Schlacht bei Hemmingstedt.
- ↑ ?
- ↑ Jahrbuch Schleswig-Holsteinisch-Lauenburgischer Landeskunde III, 42.
- ↑ Die Stammtafel der Boie hat den älteren N. Boie von Weslingburen nicht. Neocorus erkennt zwar eine entfernte Verwandtschaft zwischen beiden an (II, 35), indem er sagt, daß der Weslingburner ein Nordervogdemann gewesen sei, der Meldorfer ein Südervogdemann; aber die noch lebende Nachkommenschaft des letztern führt nicht das Wappen der Vogdemannen, die Mauer mit Zinnen, sondern das der Boien, den halben Adler mit drei Gerstenkörnern, und führt denselben nachweislich seit Jahrhunderten. Boie ist ein viel zu häufig vorkommender Vor- und Zuname, um irgend einen Halt zu gewähren; erinnern wir uns an Rolves Boien Sohn. Kurz, mir scheinen jene Männer wohl Geistesverwandte und Namensvettern gewesen zu sein, stammverwandt nicht.Kolster.
- ↑ Vergessen wir hier nicht die Verwandlung des Meldorfer Klosters in eine Gelehrtenschule, den 19. Juni 1540.
- ↑ Siehe Richtigeres: Michelsen, Sammlung alt-dithmarsischer Rechtsquellen, S. XX.
- ↑ Man umging die Stadt und erreichte über die Bürgerweide den Weg nach Hesel; da griff das Regiment Schönwesen an, am Zingel Johann Ranzau, die Fürsten hielten zu Nindorf unter dem Hauptbanner.
- ↑ Bei der Bollenbrücke durch den von dort anrückenden Graf Anton von Oldenburg. Molbech, Historie an Ditmarskerkrigen, S. 191.
- ↑ Unter seinen Augen hatte Herzog Adolf die Regimenter vereinigt, mit denen er Dithmarschen unterwerfen wollte. Durchschaute der Erzbischof wirklich die Absicht des Fürsten nicht, oder gönnte er seinen protestantischen Unterthanen von Herzen die Züchtigung durch andere Protestanten: er that nichts, um das Ungewitter abzuwenden; aber um seine Herrschaft war es nun auch geschehen.
- ↑ Merkwürdiger Weise weicht in der deutschen Erzählung von Johann Rantzau 1569 das Datum ab (der 24. Juni), aber die Aktenstücke in Michelsens Urkundenbuch lassen über das wirkliche Datum keinen Zweifel. Es ist wohl eine Folge des sich Eingang verschaffenden gregorianischen Kalenders.
- ↑ Vielleicht war der unerwartet frühzeitige Tod die Veranlassung, daß Christ. Boie den ihm bei seiner Thronbesteigung zugedachten Becher nicht überlieferte, weshalb später Herzog Johann Adolf Boie’s Erben zu 16,000 Thalern verurtheilte.
- ↑ Es scheint hier nothwendig, die Stelle aus Karsten Schröder mitzutheilen, die von Neocorus fast ganz herübergenommen ist: „Anno 1592 den 2 martzi is ein fürnemer Man mit Namen Gerhart Steding, ein Bremer Kint gebaren, in Dithmarschen angekamen (und) erstlich tho Lunden in Bisin des Eddelen und E. Caspar Hoyer uth Schriwen Fürstlich Gnaden begert Landvogt im Norderdrüddendeel im Lande tho sin vnd bi dem eddeln Boi Nanne Dencker, alse ein(em) fürnehmer Mann vnd mit einem Vulmechtigen, nevenst Hern Jungen vnd ander erliche Lude mer des halven Landes angelanget och ein bitlich Schriwent van unsen gnedigsten vnd gnedigen Landesfürsten vnd Hern vnd einer gnedigen Fru Moder samt dersulvigen hochwisen Reden angewiset, welches de E. unse Vulmacht billig in einen guden Berath genamen vnd vor de grote Vullmacht to der Heide bescheden, wo der Her Steding, gewesen Präsident tho Husen, sine Bewerbung och angebracht in der Kerken to der Heide vor de grote Vullmacht des halwen Landes, och angetoget fürstlich Gnaden vorschriwen, sich bitlich Landfaget begeret to sin, worup en den von den evor angetogeden Mithulpen uth wolbedachtem Mode vnd uth Erdenken vnde des Allgemenen Landes Befelch tor Antwort gegewen, dat an unsen gnedigen und gnedigsten Landesfürst vnd Herrn kein Twifel, wat sich Ehre Furstlich Gnaden Herr Vadern vor se angelawet, vorbrefet vnd vorsegelt, wurde wol geholden werden, dat henfurde to ewigen Tiden ken Landvagt in Ditmarschen, so dar nicht inne gebaren, konde ingesettet werden vnd hebben alse den guden Manne afgedanket vnd potseren laten, ungetwiwelt unse Nakamen werden dit wol in Acht nehmen vnde der E. wisen wolbedachten Boi Nanne Denkern, Karsten Junge vnd eren Mithulpers Radt Henneforder och nicht uthslan, sondern den Ende wohl bedenken.“ (Vergl. Neocorus II, 319.)
- ↑ Die Eroberung hatte nicht in jeder Beziehung den besten Elementen in Dithmarschen zur Macht verholfen. Neocorus klagt wiederholt über Stolz und Eigenmächtigkeit und behauptet bei dieser Gelegenheit, sowohl der Staller und Inspector, als auch die Richter (Kirchspielvögte) hätten ihren eigenen Nutzen dabei gesucht.
- ↑ Die Kirchspielscollegien bestanden durchschnittlich, außer dem Kirchspielvogt, aus den Landesgevollmächtigten und einem Deputirten aus jeder Bauernschaft, die Kirchencollegien unter dem Vorsitz der Pastoren und des Kirchspielvogts aus den Landesgevollmächtigten und Kirchenbaumeistern.
- ↑ Neocorus II, 354.
- ↑ Wir setzen die Worte des Neocorus II, 346 über diese Verhandlungen ganz hieher:
„Awerst idt werdt vor gudt angesehen, dat man up den ersten Donnerßdach, waß 27. Aprilis, uth allen Karspelen Norderndehles Volmacht schicke bi Stelle, de sich de Sake bereden, und wat F. G. darup tho antworden, bereden und vereinigen. Awerst gelich alß nemant für F. G. solches nottrofftichlich vorantworden dorven noch willen, also dat Boie Nanne, deme solches uperlecht worden, im Middel siner Worde van sinem Sone ermanet, he sin sulwest egene Wolfart bedenken wolle; also hefft ock in gemeiner Landeßsamlinge nemant dorven edder willen deß Landes hoge Noth ansehen unt deß Wordt reden und holden dorven, sondern alleß darhen entslaten, men wolde enen gnedigen Herren hebben. Und sonderlich hefft de Landvaget darhen geraden, de ock darumme, dat he solches ja einhellig erlangen mochte, angelavet, he vor allen ein erliches dartoleggen wolde, welches denn wol tho glowen. Wart demna dar dosulvest alles henberedet von der anwesenden Volmacht, dat men de 20000 Daler, darhen et de veer Personen, de, so baven gemelt, nha andern tho Have gebleven, bearbeidet hadden, F. G. alßbaldt dorch Karsten Junge underdeniglich thoseggen scholde, ein Ider mochte dartho raden als he konde.
Den 2. May iß abermalß deß Landeß Volmacht bei eine gewesen thor Heide, hebben einhellig geschlaten, F. G. solches gar demodichlich affthoschlagen.
Den 29. Mai iß abermalß deß Norderndeleß Volmacht bei Stelle thosamen.“ - ↑ Schlippen, Weg über den Deich. Dankwerth, Karte, S. 298.
- ↑ Michelsen, Urkundenbuch, S. 360: im Ganzen 687 Morgen, nämlich 373 alten und 314 neuen um 1580 eingedeichten Landes.
- ↑ Neocorus II, 342: „Grot Vuer twischen der Heide und Lunden. Den 28. Januarii anno 1598 wert in der Nhamitternach twischen Fritach und Sonnavent ein grot Vuer, groter ungelich alß ein Hues gesehen, dat it uth der Heide geiht, unnd den Wech nha Lunden vor sich wech feret und dreen underschedlichen Partien, erstlich vor der Heide, darnach gegen Stelle unnd entlich bei den Bergen begegnet, de alle, alß Geloffwerdige, geloffwerdig berichten, dat se in solchem Füre nicht allein gewesen, sondern ock sine Wermede empfunden.“
- ↑ Es ist gewiß merkwürdig, daß dieser Befehl an den Landschreiber, nicht an den Landvogt Johannes Vieth, 1623 bis 1644 gerichtet war.
- ↑ Excurs XX.
- ↑ Beides in Besitz des Herrn Apotheker Hartmann in Tellingstedt.
- ↑ Nach Staphorst, Hamburger Kirchengeschichte I, 531, erst 1142.
- ↑ Dehio, Hartwig von Stade (1872), S. 79 ff.
- ↑ Neocorus freilich kehrt die Sache um und läßt in alter Zeit die Elbe durch die Schleuse bei Hochwörden in die Eider fließen, vielleicht verlockt durch den Namen Dellweg. Das wird ihm denn freilich niemand glauben. Aber über den Gang dieses Wassers von Tiebensee über Wennemannswisch nach Hogenwörden giebt er vollkommene Auskunft. Nach seinen Worten muß man an eine Ueberlieferung über den See glauben, der, jetzt verschwunden, Tiebensee den Namen gegeben hat. Der Arm scheint sich verderblich für die Bütteler Feldmark gezeigt zu haben, während nach Ketelsbüttel zu Aufschlickung stattfand.
- ↑ Vgl. Geographus Ravennas: Helgoland in confinio Fresonum et Danorum.
- ↑ Wenn Outzen sich auf Cilicius Cimber beruft, der Dithmarschen 7 Meilen Breite leihe, während es nur 5 hat, so hat bereits Kuß aufmerksam gemacht, daß das ein Versehen sei, welches derselbe Mann (Heinrich Ranzau) in seiner Descript. Chers. Cimb. wieder zurückgenommen habe.
- ↑ Nach Onno Klopp (Geschichte Ostfrieslands I, 746) baut der Friese nicht ohne Rauchfang und stellt sein Vieh mit dem Kopf gegen die Wand, während der Sachse es vorwärts von der Mauer stellt.
- ↑ Ganz ähnlich ist auch das nordfriesische Haus.
- ↑ Eine Acte aus dem Jahr 1265 nennt nur einen: „Advocatus, milites, consules et tota communitas terre Thetmersie“, eine andere von 1281 mehrere: „Milites, advocati et universitas terrae Ditmarcie“, wobei nicht zu übersehen, daß in der letzteren die Ritterbürtigen vor dem Vogt genannt werden.
- ↑ Vgl. Neocorus I, 206.
- ↑ Dithmarsische Zeitung 1833, S. 208. Neocorus II, 267: „umme de dre Hemme: Sehbrock, Hulpeshemme und de Vorhemme effte Kuehemme“.
- ↑ Später lauter Befugnisse der Bürgersechs in Meldorf.
- ↑ Gütige Mittheilung des Herrn Archivrath Lisch in Schwerin. Das richtige Datum haben auch E. v. Kirchberg, Mecklenburgische Reimchronik. (Westphalen IV, 816.) Continuator Alberti Stadensis, S. 8. Detmar, Lübecker Chronik, ed. Grautoff, S. 210 Gensken, Slavische Chronik (Russe, fr. VI); Anonymus (fr. VIII), J. Rodek (fr. XXI), Milde aus Lunden (fr. XXIII), Nicolaus Witte aus Neuenkirchen (fr. XXIV).
- ↑ Giselbertus, frater Gerhardi, tum Episcopus, ex vetere scripto, hebbe an sick getagen 14 frombdo Herren. – [An der Verwechselung dieses Giselbert, Bischofs von Halberstadt, mit dem älteren Giselbert von Bremen (Bolten II, 378), hat Neocorus keinen Theil. Dahlmann.]
- ↑ „Wo men noch hut tho Dage, wen men in der Kerken grefft, Stucke vam Blie findet unnd gefunden hefft.“
- ↑ Der Aufsatz von mir in den Jahrb. d. Schl.-H.-L. Gesellschaft, Bd. III, 1860 und das Programm zur Einweihung des neuen Schulgebäudes enthalten in der Annahme eines ursprünglichen Klosters zu Marne und einer größeren Ausdehnung des Gebäudes nach Süden ganz Unrichtiges.
- ↑ Wenn der Presbyter Bremensis (Lappenberg, S. 102) den Fall mit dem Tode des Grafen Albrecht in Verbindung zu setzen scheint, so läßt sich dagegen einwenden, daß das nur scheinbar ist, daß aus dem Todesjahre desselben, 1403, keine Plünderung der Nordhamme bekannt ist, sondern daß die dem Tode des Grafen unmittelbar vorausgehende Plünderung (ummetrent Micheli) das Kirchspiel Burg traf. Es verlohnt sich aber wohl der Mühe, die Stelle des Presbyter hier wiederzugeben: „Pluries et sepissime Holtzati cum Ditmarticis habebant conflictum, aliquando isti, sepe illi, perdiderunt. Insuper Dux cum comite intravit terram in Northamme. In qua expedicione comes Albertus pre nimia commocione iracundie, eo quod majores de exercitu noluerunt eum audire, datis calcaribus equo cursum fecit et, improvide cadens cum equo, lesit se multum. Postmodum in brevi obiit, videlicet anno Domini millesimo quadringentesimo tertio in profesto Michaelis et sepultus est in Idzehoe. Attamen Deus illa vice respexit Holtzatos, in laqueo positos et conclusos‚ per ventum validum, flantem aquas maris ad Egdoram, ita ut agger Ulendam inter Ditmarticos de Heyda et illos de Northamme a vi et inundancia aquarum rumpebatur; alias illo tempore in Northamme omnes occisi fuissent. Et est illa pars terre circumamicta palude, cespido molli ab una parte, reliqua parte Egdora et parva semita est aditus ejus, per quam oportuit omnes intrare et exire. Et ita, Deo dante, exibant cum rapina magna illa vice.“ Der Satz Postmodum in brevi obiit bis sepultus est in Idzehoe greift dem Lauf der Ereignisse (um ein Jahr) vor, es wäre passend, ihn einzuklammern, und der Erzähler nimmt mit den Worten Attamen Deus illa vice die Erzählung wieder auf. Die Angabe, daß der agger Ulendam belegen sei zwischen Ditmarticos de Heyda et illos de Northamme, läßt gar keinen Zweifel übrig, daß die gebrochene Brücke die Aubrücke muß gewesen sein.
- ↑ Wahrscheinlich ist dieser Sturz von dem Presbyter, welchem auch Neocorus gefolgt ist, in das vorige Jahr übertragen.
- ↑ Andere: vordern Hand.
- ↑ Sein Bild ziert fortan das Landeswappen neben der Maria.
- ↑ Dahlmann, Neocorus I, 632.
- ↑ Wir finden seinen Namen 1416 als Rathgeber unter der Acte bei Dahlmann, Neocorus I, 633.
- ↑ Auf einer mir vorliegenden Schuldverschreibung von Norderdithmarschen von 1642, die er eigenhändig mit unterschrieben und untersiegelt hat, schreibt er sich J. Feringk; sein Wappen ist eine Säule mit der Umschrift Johann Feringk.
Anmerkungen (Wikisource)
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- ↑ oder gleiche Rechte. Vorlage: gleiche Recht
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