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Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/William Sterndale Bennett

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1837 Gesammelte Schriften über Musik und Musiker (1854) von Robert Schumann
William Sterndale Bennett
Museum


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Nach vielem Sinnen, wie ich dem Leser zum Anfang des Jahres 1837 etwas bieten könnte, was auch sein Wohlwollen für uns belebe, fiel mir neben manchem Glückwunsch nichts ein, als daß ich ihm gleich eine glückliche Individualität selbst vorstelle. Es ist dies keine Beethoven’sche, die jahrelangen Kampf nach sich zöge, kein Berlioz, der Aufstand predigt mit Heldenstimme, und Schrecken und Vernichtung um sich verbreitet, vielmehr ein stiller, schöner Geist, der, wie es auch unter ihm tobe, einsam in der Höhe, wie ein Sternenwärter, fortarbeitet, dem Kreislauf der Erscheinungen nachspürt, und der Natur ihre Geheimnisse ablauscht. Sein Name ist der oben angegebene, sein Vaterland das Shakspeare’s, wie auch sein Vorname der dieses Dichters. In der That, wär’ es denn ein Wunder, wären sich Dicht- und Tonkunst so fremd, daß jenes hochberühmte Land, wie es uns Shakspeare und Byron gab, nicht auch einen Musiker hervorbringen könnte! Und wenn schon durch den Namen Field, dann durch Onslow, [86] Potter, Bishop u. A. ein altes Vorurtheil wankend gemacht wird, um wie viel noch durch diesen Einzigen, an dessen Wiege schon eine gütige Vorsehung gewacht. Haben nämlich große Väter selten Kinder erzeugt, die wieder groß in derselben Wissenschaft, derselben Kunst, so sind doch die glücklich zu preisen, die schon durch die Geburt an ihr Talent gekettet, auf ihren Lebensberuf hingewiesen sind, glücklich also Mozart, Haydn, Beethoven, deren Väter schlichte Musiker waren. Mit der Milch schon sogen sie Musik ein, lernten im Kindestraume; beim ersten erwachenden Bewußtsein fühlten sie sich Glieder der großen Familie der Künstler, in die Andere sich oft erst mit Opfern einkaufen müssen. Glücklich also auch unser Künstler, der wohl manchmal unter der großen Orgel, wenn sie sein Vater, der Organist in Sheffield in der Grafschaft Yorkshire, spielte, und erstaunt und selig gelauscht haben mag. Mit Händel, an dem die Engländer nichts verdrießt, als sein deutscher Name, soll keine andere Nation so vertraut sein, als die englische. Man hört ihn mit Andacht in den Kirchen, singt ihn mit Begeisterung bei den Gastmalen; ja Lipinski erzählte, er habe einen Postillon Händel’sche Arien blasen hören. Auch ein weniger glückliches Naturell hätte sich unter dieser günstigen Umgebung so naturgemäß und rein entfalten müssen. Was eine sorgfältige Erziehung in der königl. Akademie in London, Lehrer, wie Ciprian Potter und Dr. Crotch, unausgesetzte eigene Studien noch dazugethan haben mögen, weiß ich nicht, [87] und nur so viel, daß dem Schulgespinnst eine so herrliche Psyche entflogen ist, daß man ihrem Flug, wie sie sich jetzt im Aether badet, jetzt von den Blumen nimmt und gibt, mit sehnenden Armen nachfliegen möchte. Wie aber einem so geflügelten Geiste die Scholle allein, auf der er geboren, nicht für immer genügen konnte, so mochte er sich wohl oft nach dem Lande sehnen, wo die Ersten in der Musik, Mozart und Beethoven, das Licht der Welt erblickt, und so lebt er denn seit Kurzem in unsrer nächsten Nähe, der Liebling des Londoner Publicums, ja der musikalische Stolz ganz Englands.

Sollte ich noch etwas über den Charakter seiner Compositionen sagen, so wäre es wohl das, daß Jedem im Augenblick die sprechende Bruderähnlichkeit mit Mendelssohn auffallen wird. Dieselbe Formenschönheit, poetische Tiefe und Klarheit, ideale Reinheit, derselbe beseligende Eindruck nach Außen, und dennoch zu unterscheiden. Dieses sie unterscheidende Kennzeichen läßt sich in ihrem Spiel noch leichter entdecken, als in der Composition. Das Spiel des Engländers ist nämlich vielleicht um so viel zarter (mehr Detailarbeit), als das Mendelssohn’s energischer (mehr Ausführung im Großen). Jener schattirt noch im Leisesten so fein, wie dieser in den herrlichsten Kraftstellen erst noch recht von neuer Kraft überströmt; wenn uns hier der verklärte Ausdruck einer einzigen Gestalt bewältigt, so quellen dort wie aus einem Raphael’schen Himmel hunderte von wonnigen Engelsköpfen. Etwas Aehnliches gilt auch von ihren [88] Compositionen. Wenn uns Mendelssohn in phantastischen Umrissen den ganzen wilden Spuk eines Sommernachtstraumes vorführt, so ließ sich Bennett lieber durch die Figuren der „lustigen Weiber von Windsor“ zur Musik anregen;[1] wenn jener in einer seiner Ouverturen eine große tiefschlummernde Meeresfläche vor uns ausbreitet, so weilt der Andere am leisathmenden See mit dem zitternden Monde darin. Das Letzte bringt mich gleich auf drei der lieblichsten Bilder von Bennett, die eben nebst zwei andern seiner Werke auch in Deutschland erschienen sind; sie haben die Ueberschriften: the Lake, the Millstream und the Fountain, und sind, was Colorit, Naturwahrheit, dichterische Auffassung betrifft, wahre Claude Lorrains an Musik, lebende, tönende Landschaften, und namentlich die letzte unter den Händen des Dichters voll wahrhaft zauberischer Wirkung.

Noch Manches möcht’ ich mittheilen, – wie dies nur kleine Gedichte seien, zu Bennett’s größern Werken, wie z. B. sechs Symphonieen, drei Clavierconcerten, Orchesterouverturen zu Parisina, zu den Najaden etc. gehalten, – wie er Händel auswendig weiß, – wie er alle Mozart’schen Opern auf dem Clavier spielt, als sähe man sie leibhaftig vor sich – doch kann ich ihn [89] selbst gar nicht mehr abhalten, der mir schon seit lange über die Schultern sieht und schon zum zweitenmale fragt: Then – what do you write? – Bester, schreibe ich nur noch, wüßtest Du’s!



  1. Er schrieb eine Ouverture zu diesem Stück von Shakspeare.
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