Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/Museum
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Mit einiger Freundschaft mehr betrachte ich Dich oft, mein Florestan, daß Du mit gutem Griff aus der Schaar der Jüngeren die Besten herausfühltest und sie
[91] zuerst in die Welt, d. i. in die Zeitschrift einführtest als künftige Würden, wo nicht Lorbeerträger. Sonderbar waren sie gerade von den verschiedensten Völkerschaften, so Chopin ein Pole, Berlioz ein Franzose, Bennett ein Engländer, Anderer Geringerer nicht zu gedenken. Wann endlich, dachte ich da oft traurig, wird denn auch einmal ein Deutscher kommen! Und er ist gekommen, ein Prachtmensch, der Herz und Kopf auf der rechten Stelle hat, Adolph Henselt, und ich stimme der Davidsbündlerin Sara[H 1] bei, daß sie ihn, den noch wenig Gehörten, ihn, der kaum Werk Eins hinter dem Rücken hat, gleich den Besten der jungen Künstlerschaft anreiht. Du weißst, Florestan, viel haben wir am Clavier zusammenstudirt, geschwelgt in Fingerübungen und Beethoven, besten Ton zu erlangen. Was ich aber Wohllaut, Klangzauber nenne, ist mir noch nie in einem höhern Grade vorgekommen, als in Henselt’s Compositionen. Dieser Wohllaut ist aber nur der Wiederhall einer inneren Liebenswürdigkeit, die sich so offen und wahr ausspricht, wie man es in diesem verhüllten Larventanz der Zeit kaum mehr kennt. Letzteren Vorzug haben wohl auch andere junge Künstler mit meinem gemein; sie kennen aber ihr Instrument nicht so genau, wissen ihre Gedanken nicht so reizend herauszustellen. Ich spreche hier nicht von den Variationen, in die man sich höchstens verlieben kann, ohne tiefer gepackt zu werden, was sie auch gar nicht wollen; aber bei manchen Menschen läßt sich, auch wenn sie noch erst wenig gesagt,
[92] ihr Bestes noch nicht gezeigt haben, gleich von vorn herein[H 2] auf ein schönes Herz, einen harmonisch gebildeten Geist schließen. Und dann hörte ich erst vor Kurzem von Clara Wieck, wie von einem Freunde des Componisten eine Menge kleiner Tonstücke, daß Einem vor Lust die Thränen in die Augen treten konnten, so unmittelbar griffen sie an das Herz. – Kann ich nun über solchen Tugenden eines Künstlergeistes auch nicht die tiefere Eigenthümlichkeit Anderer, wie den hochleidenschaftlichen Chopin vergessen, über Walter Scott nicht Lord Byron, so bleiben sie doch der Nachahmung, der innigsten Anerkennung in einer Zeit werth, wo ein verzerrender und verzerrter Meyerbeer wüstet und ein verblendeter Haufe ihm zujauchzt. Labt euch denn an den Aussichten, die dieser Künstler erschließt; die schöne Natur dringt endlich doch durch. Er aber möge sich seiner Bedeutung erfreuen, und fortfahren, mit seiner Kunst Freude und Glück unter den Menschen zu verbreiten.
Noch Eines. Es wurde neulich gefragt, ob Henselt nicht eine dem Prinzen Louis von Preußen verwandte Erscheinung wäre. Allerdings, aber sie fallen in umgekehrte Zeiten. Nimmt man von der Musik einen romantischen und classischen Charakter an, so war Prinz Louis der Romantiker der classischen Periode, während Henselt der Classiker einer romantischen Zeit ist; und insofern berühren sie sich.[H 3]
Damit aber mein Eusebius nicht etwa überschäume, wie ein hochgeschwungener Pokal, stell’ ich ihm einen eben so jungen deutschen Künstler gegenüber, Stephan Heller, der die Vorzüge seines Lieblings zwar nicht in so hohem Grade theilt, außerdem aber Vielseitigkeit der Erfindung, Phantasie und Witz die Fülle hat. Vor einigen Jahren schon schrieb uns ein Unbekannter, er hätte gelesen, die Davidsbündlerschaft wolle sich auch elender Manuscripte annehmen; „Man kann“ – hieß es in jenem Briefe weiter – „diesen Gedanken nicht dankbar genug anerkennen. Irgend ein hartes Verlegerherz oder ein Herz-Verleger kann durch gerechte Kritik solcher Manuscripte auf junge Talente aufmerksam gemacht, nach Verdienst, in seiner Härte bestärkt oder günstiger gestimmt werden. – In mir, verehrte Dbdler.,[H 5] sehen Sie Einen von den Vielen, die ihre Compositionen (soi-disant Werke) veröffentlicht wissen wollen, aber zugleich Einen von den Wenigen, die es nicht wünschen, um sich – gedruckt oder gestochen zu sehen, sondern deshalb um sich beurtheilt zu hören, um Tadel, lehrreichen, oder Ermunterndes zu vernehmen“ etc. – Der ganze Brief verrieth einen hellen feinen Kopf, Naivetät und Bescheidenheit. Endlich kamen die Manuscripte, abermals mit einem Brief, aus dem ich mich folgender [94] Stelle entsinne: „Großer Achtung, dürfte ich mich ihrer erfreuen, wenn ich mich Ihnen als einen ausgezeichneten Seher, und seltenen – Hörer legitimire! Ich habe Beethoven, ich habe Schubert gesehen, oft gesehen und zwar in Wien, und die beste italiänische Operngesellschaft dort und welche Zusammenstellung, – die Quartetten von Mozart und Beethoven von Schuppanzig etc. spielen, und Beethoven’s Symphonieen vom Wiener Orchester aufführen gehört. Im Ernste, verehrteste Bündlerschaft, bin ich kein seltener, beglückter Seher, kein vom Schicksal begünstigter Hörer?“ Beste Freunde, – sagte ich meinen –, nach solchen Briefstellen ist nichts zu thun, als auf die Composition zuzufliegen und den Mann an der Wurzel kennen zu lernen, dessen Namen ein so fatales Widerspiel seines Inhabers.
Ich bin des Wortes „Romantiker“ vom Herzen überdrüssig, obwohl ich es nicht zehnmal in meinem Leben ausgesprochen habe; und doch – wollte ich unsern jungen Seher kurz tituliren, so hieß’ ich ihn einen und welchen! Von jenem vagen, nihilistischen Unwesen aber, wohinter Manche die Romantik suchen, eben so wie von jenem groben hinklecksenden Materialismus, worin sich die französischen Neuromantiker gefallen, weiß unser Componist, dem Himmel sei Dank, nichts; im Gegentheil empfindet er meist natürlich, drückt er sich klug und deutlich aus. Dennoch fühlt man aber noch etwas im Hintergrund stehen beim Erfassen seiner Compositionen, ein eigenes anziehendes Zwielicht, mehr morgenröthlich,
[95] das Einen die übrigens festen Gestalten in einem fremdartigen Schein sehen läßt; man kann so etwas niemals durch Worte scharf bezeichnen, durch ein Bild schon eher, und so möchte ich jenen geistigen Schein den Ringen vergleichen, die man im Morgenschauer an gewissen Tagen um die Schattenbilder mancher Köpfe bemerken will. Im Uebrigen hat er gar nichts Uebermenschliches als eine fühlende Seele in einem lebendigen Körper. Dabei führt er aber auch fein und sorgsam aus; seine Formen sind neu, phantastisch und frei; er hat keine Angst um das Fertigwerden, was immer ein Zeichen, daß viel da ist. Jenen harmonischen Wohllaut, der in der That bei Henselt so wohlthut, besitzt er nicht in dem Maße; dagegen hat er mehr Geist, versteht er Contraste zu einer Einheit zu verschmelzen. Im Einzelnen stört mich Manches; er erstickt aber den Tadel durch eine geistreiche Wendung im Augenblick. Dies und Aehnliches zeichnet diesen meinen Liebling aus. Uebersehe ich auch die Dedication nicht! Das Zusammentreffen ist sonderbar; du erinnerst dich, Eusebius, wir hatten einmal etwas der Wina aus den „Flegeljahren“ zugeeignet; die Dedication der Impromtus nennt auch eine Jean Paul’sche Himmelsgestalt, Liane v. Froulay, – wie wir denn überhaupt Manches gemein haben, welches Geständniß Niemand falsch deuten wolle; es liegt zu deutlich da. So empfehl’ ich euch die Impromtus. Wahrhaftig, dieses Talent hat eine Zukunft vor sich. –
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Auch ein weiblicher Kopf soll unser Museum schmücken, und überhaupt, wie könnte ich den heutigen Tag, als Vorfeier der morgenden, der einer geliebten[H 6] Künstlerin das Leben gab, besser begehen, als daß ich mich gerade in eine ihrer Schöpfungen versenkte mit einigem Antheil. Sind sie doch einer so ausländischen Phantasie entsprungen, als daß hier die bloße Uebung ausreichte, diese seltsam verschlungenen Arabesken verfolgen zu können, – einem zu tief gegründeten Gemüthe, als daß man, wo das Bildliche, Gestaltenähnliche in ihren Compositionen mehr in den Hintergrund tritt, das träumerische, in sich vertiefte Wesen auf einmal zu fassen vermöchte. Deshalb werden sie auch die Meisten eben so rasch wieder weglegen, als sie sie in die Hand genommen; ja es ist zu glauben, daß ordentliche Preisakademieen den Soiréen unter hundert eingesandten andern nicht etwa den ersten Preis zuerkennen, sondern eben den letzten, so wenig schwimmen hier die Perlen und Lorbeerkränze auf der Fläche. Immerhin wär’ ich auf das Urtheil der Akademisten mehr als je gespannt; denn eines Theils verrathen die Soiréen doch gewiß jedem ein so zartes überwallendes Leben, das vom leisesten Hauch bewegt zu werden scheint, und doch auch
[97] wieder einen Reichthum an ungewöhnlichen Mitteln, eine Macht, die heimlichern, tiefer spinnenden Fäden der Harmonie zu verwirren und auseinander zu legen, wie man es nur an erfahrenen Künstlern, an Männern gewohnt ist. Ueber das Erstere, die Jugend der Componistin, sind wir einig. Das Andere aber zu würdigen, muß man freilich wissen, wie sie, als Virtuosin schon, auf dem Höhenscheitel der Zeit steht, von wo aus ihr Nichts verborgen geblieben. Wo Sebastian Bach noch so tief eingräbt, daß das Grubenlicht in der Tiefe zu verlöschen droht, wo Beethoven ausgreift in die Wolken mit seiner Titanenfaust, was die jüngste Zeit, die Höhe und Tiefe vermitteln möchte, vor sich gebracht hat, von all diesem weiß die Künsterlin und erzählt davon in lieblicher Mädchenklugheit, hat aber deshalb auch die Anforderungen an sich auf eine Weise gesteigert, daß Einem wohl bange werden könnte, wo dies Alles hinaus soll. Ich vermag nicht vorzugreifen mit meinen Gedanken hierüber; Vorhang steht bei solchem Talente hinter Vorhang und die Zeit hebt einen nach dem andern hinweg, und immer anders, als man vermuthet. Aber daß man einer solchen wundersamen Erscheinung nicht gleichgültig zusehe, daß man ihr Schritt vor Schritt in ihrer geistigen Entwickelung nachfolge, wäre von Allen zu erwarten, die in unserer denkwürdigen Gegenwart nicht ein loses Durcheinander des Zufalls, sondern die natürliche, innige Verknüpfung verwandter Geister von Sonst und Jetzt erkennen.
[98] Was erhält man also in diesen Soiréen? Was sprechen sie aus, wen gehen sie an, und sind sie ein Resultat, der Arbeit eines Meisters zu vergleichen? Sie erzählen uns denn viel von Musik, und wie diese die Schwärmerei der Poesie hinter sich läßt, und wie man glücklich im Schmerz sein könne und traurig im Glück, – und sie gehören denen, die auch ohne Clavier selig sein können in Musik, denen das sehnsüchtige innere Singen das Herz sprengen möchte, allen, die in die geheimnißvolle Ordenssprache einer seltenen Künstlergattung schon eingeweiht sind. Endlich sind sie ein Resultat? Wie die Knospen sind sie’s, ehe sie die Farbenflügel in offener Pracht auseinander treiben, zur Betrachtung fesselnd und bedeutend, wie Alles, was eine Zukunft in sich birgt. – Freilich, dies nun Alles von ihr selbst zu hören! Weiß man doch selbst nicht, wie Einem da oft geschieht! Kann man sich da oft kaum denken, wie so etwas mit Zeichen dargestellt, aufgeschrieben werden könne! Ist dies doch wieder eine ihr angehörige erstaunliche Kunst, über die sich ganze Bücher hören ließen! Ich sage „hören“ und bin weise geworden. Unsern Davidsbündlerkräften mißtrauend, baten wir z.B. neulich einen guten Kenner, uns etwas über die Eigenthümlichkeit des Vortrags dieser Virtuosin für die Zeitschrift zu schreiben; er versprach es und nach zwei Seiten Abhandlung kam’s richtig am Schluß „es wäre wünschenswerth, einmal etwas Begründetes über die Virtuosität dieser Künstlerin zu erfahren“ etc. Wir [99] wissen, woran er gescheitert ist, und weshalb wir auch hier abbrechen: es läßt sich eben nicht Jedes in Buchstaben bringen.
Am 12. September 1837.
Ein Sprudelkopf (er ist jetzt in Paris) definirte den Begriff „Fuge“ meisthin so: „sie ist ein Tonstück, wo eine Stimme vor der andern ausreißt – (fuga a fugere) – und der Zuhörer vor allen,“ weshalb er auch, wenn dergleichen in Concerten vorkamen, laut zu sprechen und noch öfters zu schimpfen anfing. Im Grunde verstand er aber wenig von der Sache und glich nebenbei dem Fuchs in der Fabel, d.h. er konnte selbst keine machen, so sehr er’s sich auch heimlich wünschte. Wie anders definiren freilich die, die’s können, Cantoren, absolvirte Musikstudenten u. dgl. Nach diesen hat „Beethoven nie eine Fuge geschrieben, noch schreiben können, selbst Bach sich Freiheiten genommen, über die man nur die Achseln zucken könnte, die beste Anleitung gäbe allein Marpurg“ u.s.w. Endlich wie anders denken Andere, ich z. B., der ich stundenlang schwelgen kann in Beethoven’schen,
[100] im Bach’schen und Händel’schen und deshalb immer behauptet, man könne, wässerige, laue, elende und zusammengeflickte ausgenommen, keine mehr machen heut zu Tage, bis mich endlich diese Mendelssohn’schen wieder in etwas beschwichtigt. Ordentliche Fugenmusterreiter täuschen sich indeß, wenn sie in ihnen einige von ihren alten herrlichen Künsten angebracht glauben, etwa imitationes per augmentationem duplicem, triplicem etc., oder cancricantes motu contrario etc. – eben so aber auch die romantischen Ueberflieger, wenn sie ungeahnte Phönixvögel in ihnen zu finden hoffen, die sich hier losgerungen aus der Asche einer alten Form. Haben sie aber sonst Sinn für gesunde natürliche Musik, so bekommen sie darin hinlänglich. Ich will nicht blind loben und weiß recht gut, daß Bach ganz andere Fugen gemacht, ja gedichtet. Aber stände er jetzt aus dem Grabe auf, so würde er – erstens vielleicht etwas um sich wettern rechts und links über den Musikzustand im Allgemeinen; dann aber sich gewiß auch freuen, daß Einzelne wenigstens noch Blumen auf dem Felde ziehen, wo er so riesenarmige Eichenwälder angelegt. Mit einem Worte, die Fugen haben viel Sebastian’sches und können den scharfsichtigsten Redacteur irre machen, wär’ es nicht der Gesang, der feinere Schmelz, woran man die moderne Zeit herauserkännte, und hier und da jene kleinen, Mendelssohn eigenthümlichen Striche, die ihn unter Hunderten als Componisten verrathen. Mögen Redacteure das nun finden oder nicht, so bleibt doch
[101] gewiß, daß sie der Componist nicht zum Zeitvertreib geschrieben, sondern deshalb, um die Clavierspieler auf jene alte Meisterform wieder aufmerksam zu machen, sie wieder daran zu gewöhnen, und, daß er dazu die rechten Mittel wählte, indem er alle jene unglücklichen, nichtsnützigen Satzkünsteleien und imitationes mied und mehr das Melodische der Cantilene vorherrschen ließ bei allem Festhalten an der Bach’schen Form, sieht ihm auch ganz ähnlich. Ob aber vielleicht auch nicht die letztere mit Nutzen umzugestalten, ohne daß dadurch der Charakter der Fuge aufgelöst würde, ist eine Frage, an deren Antwort sich noch Mancher versuchen wird. Beethoven rüttelte schon daran; war aber anderweitig genug beschäftigt und schon zu hoch oben im Ausbau der Kuppeln so vieler anderer Dome begriffen, als daß er zur Grundsteinlegung eines neuen Fugengebäudes Zeit gefunden. Auch Reicha versuchte sich, dessen Schöpferkraft aber offenbar hinter der guten Absicht zurückblieb; doch sind seine oft curiosen Ideen nicht ganz zu übersehen. Jedenfalls bleibt immer die die beste Fuge, die das Publicum – etwa für einen Strauß’schen Walzer hält, mit andern Worten, wo das künstliche Wurzelwerk, wie das einer Blume überdeckt ist, daß wir nur die Blume sehen. So hielt einmal (in Wahrheit) ein übrigens nicht unleidlicher Musikkenner eine Bach’sche Fuge für eine Etude von Chopin – zur Ehre beider; so könnte man manchem Mädchen die letzte Partie einer, z. B. der zweiten, Mendelssohn’schen Fuge (an der
Wie dürfte denn dieser in unserm Museum fehlen, auf den wir so oft schon gedeutet, wie auf einen seltenen Stern in später Nachtstunde! Wohin seine Bahn geht und führt, wie lange, wie glänzend noch, wer weiß es? So oft er sich aber zeigte, war’s dasselbe tiefdunkele Glühen, derselbe Kern des Lichts, dieselbe Schärfe, daß ihn hätte ein Kind herausfinden müssen. Bei diesen Etuden kömmt mir noch zu Statten, daß ich sie meist von Chopin selbst gehört, und „sehr à la Chopin spielt er selbige“ flüsterte mir Florestan dabei in’s Ohr. Denke man sich, eine Aeolsharfe hätte alle Tonleitern und es würfe diese die Hand eines Künstlers in allerhand phantastischen Verzierungen durcheinander, doch so, daß immer ein tieferer Grundton und eine weich fortsingende höhere Stimme hörbar – und man hat ungefähr ein Bild seines Spieles. Kein Wunder aber, daß uns gerade die Stücke die liebsten geworden, die wir von ihm gehört, und so sei denn vor Allem die erste in As dur erwähnt, mehr ein Gedicht, als eine Etude. Man irrt aber, wenn man meint, er hätte da jede der kleinen Noten deutlich hören lassen; es war mehr ein Wogen des As dur-Accordes, vom Pedal hier und da von Neuem in die Höhe gehoben; aber durch die Harmonieen hindurch vernahm man in großen Tönen Melodie,
[104] wundersame, und nur in der Mitte trat einmal neben jenem Hauptgesang auch eine Tenorstimme aus den Accorden deutlicher hervor. Nach der Etude wirds Einem, wie nach einem sel’gen Bild, im Traum gesehen, das man, schon halbwach, noch einmal erhaschen möchte; reden ließ sich wenig darüber und loben gar nicht. Er kam alsbald zur andern in F moll, die zweite im Buch, ebenfalls eine, in der sich Einem seine Eigenthümlichkeit unvergeßlich einprägt, so reizend, träumerisch und leise, etwa wie das Singen eines Kindes im Schlafe. Wiederum schön, aber weniger neu im Charakter als in der Figur folgte die in F dur; hier galt es mehr, die Bravour zu zeigen, die liebenswürdigste, und wir mußten den Meister sehr darum rühmen… Doch wozu der beschreibenden Worte! Sind sie doch sämmtlich Zeichen der kühnen, ihm innewohnenden Schöpferkraft, wahrhafte Dichtergebilde, im einzelnen nicht ohne kleine Flecken, im Ganzen immerhin mächtig und ergreifend. Meine aufrichtigste Meinung indeß nicht zu verschweigen, so scheint mir allerdings das Totalgewicht der früheren großen Sammlung bedeutender. Es kann dies aber keinen Verdacht etwa auf eine Verringerung von Chopin’s Kunstnatur oder auf ein Rückwärtsgekommensein abgeben, da diese jetzt erschienenen ziemlich alle mit jenen zugleich entstanden und nur einzelne, denen man auch ihre größere Meisterschaft ansieht, wie die erste in As und die letzte prachtvolle in C moll, erst vor Kurzem. Daß unser Freund überhaupt aber jetzt wenig schafft und
[105] Werk größeren Umfangs gar nicht, ist leider auch wahr und daran mag wohl das zerstreuende Paris einige Schuld haben. Nehmen wir indeß lieber an, daß es nach so vielen Stürmen in einer Künstlerbrust allerdings einiger Ruhe bedarf, und daß er dann vielleicht, neu gestärkt, den ferneren Sonnen zueilen wird, deren uns der Genius immer neue enthüllt.
Anmerkungen (H)
- ↑ [GJ] Frl. Sophie Kaskel (nachherige Gräfin Wolf Baudissin) in Dresden, welche eine Charakteristik Henselts für die Zeitschrift geschrieben hatte (1837, VII, 57) Internet Archive.
- ↑ [WS] Vorlage: gleich vorn herein
- ↑ [GJ] Den ursprünglichen Schlußsatz: „Wer aber weiß, was die Zukunft aus dem noch Lebenden macht“ hat Schumann 1852 gestrichen. Er hatte mehr und mehr eingesehen, daß Henselts Compositionstalent doch nicht so bedeutend war, wie es ihm zuerst erschien. Der Quell, „der so frisch und fröhlich zu sprudeln begann“ (wie Schumann 1842 schrieb), versiegte verhältnißmäßig rasch, jedenfalls lassen [499] die späteren Werke Henselts gegen die ersten Variationen und die Etuden keine Steigerung erkennen. Die Entstehung seiner Hauptwerke fällt in die Zeit bis 1838, wo er sein 24. Lebensjahr zurückgelegt hatte. Auch das Duo mit Horn (dessen Uebertragung für Violoncell F. Kummer besorgte) und die Variationen über ein Thema aus Robert (bei deren Orchesterbegleitung Reißigers Sachkenntniß in Anspruch genommen wurde) waren 1837 bereits geschrieben, was aus (ungedruckten) Briefen Henselts an Krägen hervorgeht. In demselben Jahre war auch schon von einem Concert und einem Trio die Rede (N. Ztschft. 1837, VII, 58 [WS: dort nicht nachweißbar]), vermuthlich die später bekannt gewordenen Werke. Henselts eigentlicher Boden war das kurze Charakterstück, die Etude; die Beherrschung größerer Formen war nicht seine Stärke. Das F moll-Concert hatte er jahrelang unter der Feder. Schon 1839 arbeitete er daran, 1841 wurde es als „fertig“ gemeldet, 1844 „fehlte an der Instrumentirung noch Vieles“, auch die Clavierstimme war „noch nicht ganz klar“ (wie Schumann aus Petersburg meldete). Nachdem Clara Schumann es endlich 1845 im Gewandhause gespielt hatte, erschien es doch erst 1847 im Druck. – Schumann trat für die Würdigung und das Bekanntwerden Henselts, an dem er vom ersten Augenblicke an so neidlos seine Freude hatte, mit allen ihm zu Gebote stehenden Mitteln ein. Als Henselt im März 1838 mit Empfehlungen aus Berlin (von der Kronprinzessin, von der Prinzeß Wilhelm und der Prinzeß Friedrich) in Petersburg eingetroffen und bald nachher als Lehrer in der kaiserlichen Familie thätig war (– die Großfürstin Helene wurde 1839 eine seiner ersten Schülerinnen –), veröffentlichte Schumann noch vier kleinere Compositionen von ihm in den Beilagen (1838 bis 1840) zur neuen Zeitschrift. In den kritischen Anzeigen sprach er sich auch über die schwächeren Erzeugnisse Henselts freundlich und wohlwollend aus, allein man merkt ihm an, daß seine Erwartung, Henselt werde aus seinem engeren Kreise heraustreten und sich höheren Aufgaben zuwenden, getäuscht war. So dachten auch Andere, z. B. C. Banck, der die ersten 12 Etuden auf Henselts Wunsch mit französischen Mottos versehen und den Verkauf des Werks an Hofmeister vermittelt hatte. Banck schrieb nach der Veröffentlichung der kleineren Stücke (Werk 8 bis 10) unterm 18. Juli 1839 an Hofmeister: „Die neuen Sachen von Henselt wären besser nicht heraus – wenigstens in diesen Verhältnissen, nach solchen Erwartungen und nun diese einzelnen kleinen schwächeren Piecen? die als Nebencompositionen ganz hübsch sind.“ Unterm 28. Juli setzte er hinzu: „Uebrigens sind diese Piecen mir immer noch lieber als die Novelletten von Schumann“, – ein Urtheil, das durch das noch schlagendere vom 24. Febr. 1839 überholt wird: „Bei Schumann sind Titel und Überschriften sehr gut, wenn nur andere Noten darunter ständen!“ „Titel ist das halbe Werk, oft das Ganze, wie Sie an Schumann sehen.“ (17. Aug. 1839.) – Schumann bezeugte Henselt seine Freundschaft auch durch die Widmung der „Novelletten“ (1839), die sich die Sympathie Henselts aber nicht erworben zu haben scheinen. Henselt muß von dem Componisten Schumann wohl keine sonderliche Meinung gehabt haben. Das geht aus einem Briefe hervor, den er unterm 13. Dec. 1865 an Krägen richtete, zu einer Zeit also, wo die ganze geistige Arbeit Schumanns doch vollständig zu überblicken war. Die für Henselts Standpunkt bezeichnende Stelle lautet: „Auch an allen andern beigelegten Stücken [Compositionen eines jungen Dresdner Künstlers] habe ich mich wenig erbaut und wäre nicht das prélude poétique in Gis moll dabei gelegen, so wäre ich sehr im Zweifel gewesen, ob hinter diesem Herrn mehr als eine Fingerfähigkeit steckt. Aber [500] lernen thun halt heut zu Tage die Leute zu wenig, ich meine contrapunctische Studien machen. Das fing schon mit Schumann an, der glaub ich wär weiter gekommen, wenn er etwas weniger Talent gehabt hätte und es ihm folglich nicht so leicht geworden wäre, dann hätt er mehr gelernt. Die Leute lernen jetzt ein Instrument spielen, dann eine kurze Harmonielehre, dann Partituren Studiren [am Rande: „das letzte ist die Hauptsache!“] und dann geht der Wunsch zu brilliren an u. der Componist ist fertig; ich komm aber in Auslassungen, die ich nicht will; die Zeit ist der beste und richtigste Richter. Wenn Beethoven mit der 9. Symph. und op. 106 angefangen, wär er längst vergessen. Die Pietät für den großen Mann erhält auch alles andere.“ – Mit seltener Unbefangenheit und Klarheit beurtheilte Henselt in seinen späteren Lebensjahren sich selbst und seine Compositionen, wie seine Briefe an Frl. M. Lipsius (Leipziger Ztg., 1890, wissenschaftl. Beilage Nr. 56 und 57) bezeugen. „Ich bin durchdrungen (schreibt er 1874), daß ich in meiner Jugend sehr viel versprochen und dann sehr wenig gehalten habe, und man nicht von mir sprechen könnte, ohne das zu rügen.“ „Ich habe die unumstößliche Ansicht über mich, daß nach dem, wie ich angefangen, – ich war im 18. Lebensjahre, als ich mein op. 14 [Duo für Clavier und Horn] geschrieben — man berechtigt war, viel mehr von mir zu erwarten, als ich geleistet. Ein anderes Urtheil würde gewiß vielfache Opposition hervorrufen. Im günstigsten Fall wäre nur zu sagen, daß, wenn ich nicht zum Clavierspieler erzogen worden wäre, ich in der Composition Bedeutenderes geleistet haben würde. Glauben Sie mir, das ist das richtige Urtheil über mich; ein jeder Künstler weiß am besten sich selbst abzuschätzen, wenn ihn nur die Eitelkeit nicht um den klaren Verstand bringt.“ 1875: „Mir wird immer angst und bange, wenn man von mir als Componisten spricht und von meinen Werken! Sie glauben vielleicht, daß ich mich unterschätze; gar nicht, ich lebe nur in keiner Illusion über mich. Ich weiß z. B, sehr gut, daß unter dem Besten, was man für unser Instrument hat, auch einiges von mir ist, und daß ich bessere Studien gemacht als mancher sogenannte Componist; aber das ist viel zu wenig, namentlich die Werke, die nennenswerth sind, viel zu wenig; ich habe nur ein Zeugniß gegeben, daß ich hätte Componist werden können; aber meine Verhältnisse waren dazu nicht angethan; vor Allem hätte das Streben nach Virtuosität niemals über mich kommen müssen etc.“ 1878: „Die Zeit, wo man sich vielleicht für mich interessiren können wird, fängt erst nach meinem Ableben an, und zwar erst dann, wenn blos die Notenköpfe für oder gegen sich sprechen und wenn alle andern Interessen und Bekanntschaften und Verbindungen längst aufgehört haben.“ „Ich bin eigentlich nur da, wo ein pädagogischer Zweck vorliegt, in meinem Fahrwasser.“ „Seit meiner Jugend bin ich im Schaffen immer rückwärts gegangen, auch da, wo ich etwas wollte; ich danke Gott, daß ich hierüber hell sehe.“ „Ich weiß gar wohl, daß ich mich nicht mit Chopin vergleichen kann, aber es ist doch menschlich, daß ich gerade nicht in meiner Schwachheit [d. h. in den „Préambules“, einer Sammlung ganz kurzer Präludien] neben ihm figuriren möchte.“ Anmerkung 12, II.498–500 Commons
- ↑ [WS] Schumann benutzt durchgehend die Schreibweise „Impromtus“ statt „Impromptus“.
- ↑ [WS] Davidsbündler
- ↑ [GJ] II.69: Schumann war schon im Geheimen mit Clara verlobt, als er dies schrieb. Am 13. September 1837, Claras achtzehntem Geburtstage, bewarb er sich schriftlich bei Wieck um die Hand seiner Tochter. Er wurde bekanntlich abgewiesen. Commons
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