Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/Compositionsschau: Concerte für das Pianoforte
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Werk 2.
Nur ein sehr fester, ja harter Charakter würde den Einfluß einer abstoßenden oder anziehenden Persönlichkeit auf das Urtheil über deren Kunstleistungen gänzlich verleugnen können. In dem Grade daher, wie manche Werke zu verlieren scheinen, wenn wir ihre Schöpfer von Angesicht zu Angesicht sehen, gewinnen andere eben durch Bekanntsein mit dem Urheber. Man kömmt den Fehlern rascher auf die Spur, lernt sie mit den guten Eigenschaften in eine Verbindung bringen und kann so eher helfen und rathen. Ist dies Alles nun in einer Kunst, wo, wie in der unsern, so viel vom Vortrag abhängt, der Gewöhnliches oft so fein zu verdecken weiß, damit das Kostbare um so mehr glänze, so kann es nicht wundern, daß ich obiges Concert, nachdem ich es vom Componisten exemplarisch gut gehört, mit viel
[156] mehr Interesse betrachtete, als es vielleicht sonst der Fall gewesen.
Der junge Künstler, der heute zum erstenmal in diese kritischen Hallen eingeführt wird,[H 1] aus einer griechischen Familie stammend, aber zu Rom geboren, lebte seit früher Kindeszeit in Paris. Daß ein lebhafter strebender Geist in einer Stadt, wo die politischen Häupter kaum rascher wechseln können, als die künstlerischen, noch etwas schwankt, unter welcher Fahne er seine Lorbeeren holen soll, ob unter der Auber’s oder Berlioz’s, Kalkbrenner’s oder Chopin’s, kann ihm Niemand zum großen Vorwurf machen. Indeß lernte unserer bei Reicha seinen ordentlichen Generalbaß und Contrapunct, und bei Kalkbrenner ein elegantes Clavierspiel. Damit aber nicht zufrieden setzte er endlich im letzten Herbste den langgefaßten Plan, deutsche Musik auf deutschem Boden zu hören, in’s Werk, und begann seine Studien unter meisterlicher Leitung[H 2] auf’s Neue mit einem Fleiß, der den französischen Musikern sonst nicht eigen sein soll, und so mit Vortheil, daß sich spätere Compositionen leicht genug von seinen älteren unterscheiden lassen werden. Vor einigen Wochen ging er wieder nach Paris zurück.
Das Concert, über das wir heute Einiges mittheilen wollen, Stamaty’s stärkstes Werk, dem Umfang und dem Inhalt nach, fällt, wie gesagt, in jene frühere Periode, wo der junge Künstler, noch nicht recht wissend, wem er angehört, oft poetisch zart, oft auch [157] wild wie ein Chinese in die Saiten griff, höheren Gefühlen, die sich in ihm allerdings, und scheint es zum erstenmal zu regen anfingen, Luft zu machen. Phantasievoll, wie wir den Componisten kennen, führt er uns so durch Täuschung und Wahrheit hindurch, bergauf bergab, immer athemlos, das Nächste überspringend, oft ermüdend, oft wegen seiner Tollheit in Verwunderung setzend. Ich bin überzeugt, daß M — (der Name des unsterblichen Mannes ist mir entfallen), der im Mozart’schen C-Quartett so viel Fehler, als das Jahr Tage hat, herausgefunden mit den Füßen, aus unserm Concert an die Millionen herausbringen kann. Nicht gerade Quinten und Octaven sind’s, aber barbarische Ausweichungen, Vorhalte u. dgl. mehr, namentlich im ersten Satz, wo der Componist sich noch nicht so in’s Feuer geschrieben und gespielt, wie im letzten und wo er, wenn die Form sich irgend etwas verwickeln will, der Sache über kurz und lang mit einem Kraftgriff ein Ende macht. So leicht ihm diese Compositionsmanier früherhin gefallen sein mag, so schwer, hoffen wir, soll es ihm in der Zukunft werden, dergleichen hinzuschreiben, ja nur zu denken. Denn wer, wie er, in S. Bach schwelgen gelernt hat, wird von der Entzückung wohl auch etwas in die eigene Phantasie mit hinübernehmen, wie mir dies schon in spätern Compositionen von seiner Hand, die noch nicht gedruckt sind, offenbar geworden.
Das Concert gäbe seiner schwachen wie glänzenden Seiten wegen Stoff zu stundenlangen Gesprächen. Genügen [158] indeß diese Zeilen, unsern Freund der deutschen Aufmerksamkeit zu empfehlen!
Werk 87.
„Herz, mein Herz, warum so traurig“ sang ich immer bei’m Spielen; dreimal im ersten Satz allein kommen con dolore’s vor, der Espressivo’s und Smorzando’s nicht zu gedenken. Ueberhaupt spannen aber die ganzen Präliminarien sehr. D moll schon, die Don Juan-Tonart, der seltenere Dreivierteltact, ein leiser Anfang, ein vier Seiten kurzes Tutti; — gewiß sein tiefsinnigstes Werk, dachte ich. Und so ist es auch. Unser geflügelter Liebling hat sich in Eisen und Panzer gehüllt und wenn er sich Manches zur Rüstung von Andern borgte, so leugnet er’s gar nicht. Schlagen wir einmal auf! In der Einleitung könnten zwar nur seine boshaftesten Gegner, wie große Seelen dergleichen zu allen Zeiten gehabt haben, eine Verwandtschaft mit der zum G moll-Concert von Moscheles, im ersten Thema eine mit dem in Chopin’s F moll, S. 6. Syst. 5. T. 3 einen Anklang an Kalkbrenner’s D moll-Concert, S. 8. Syst. 3. T. 3 einen an C. M. v. Weber’schen und S. 14. einen an Thalberg’schen Grundton finden. Aber das Andante müssen auch seine Freunde als eine Apotheose der Romanze aus demselben Concert von
[159] Chopin erklären, dagegen im Anfang des Finales ein Beethoven’sches Scherzo (aus der zweiten Symphonie) leicht angedeutet wird, in das das zweite Thema abermals mit einem Chopin’schen Gedanken einfällt, dem S. 35. der Marsch aus Jessonda folgt. Ja, dramatisches Leben hineinzubringen, steht S. 31. oben sogar eine Stelle aus der neunten Symphonie von Beethoven, die Herz doch gewiß nicht kennt, und das ganze Concert schließt S. 43. Syst. 4. T. 2. der Einheit wegen (S. den Anfang) mit einem Gange aus desselben Moscheles G moll-Concert. Alles Uebrige aber, gestehe man es, der Schmuck, die chromatischen Perlen, die fliegenden Harpeggiobänder etc. gehören ihm grundeigen. Man sieht, von den Besten will er lernen und nur etwa bei Kalkbrenner und Thalberg ließ er sich auch zu Helden zweiten Ranges herab. Halte seine Tapferkeit nur an und aus; wir wollen ihm Herolde sein, trotz der allgemeinsten musikalischen Zeitung, die ihn und Hünten schon längst als Meister anerkannt hat und Händel’n auch, und studire man sich das Concert ordentlich ein. Wozu hat man seine Finger?
Werk 9.
„Ein englischer Componist, kein Componist,“ sagte Jemand vor dem Gewandhausconcerte, worin Hr. [160] Bennett vor einigen Wochen das obige Werk vortrug. Als es aber vorüber war, wendete ich mich wie fragend zu ihm, „ein englischer Componist“ — „und wahrhaftig ein englischer“ vollendete der Engländerfeind wortspielend. Wenige Worte genügen für heute. Eusebius hat in der ersten Nummer dieses Bandes[H 3] mir so aus der Seele heraus gelesen und geschrieben, daß ich jenem Umriß nur Weniges hinzuzufügen wüßte. Wahrhaftig — erwägt man, daß obiges Concert vor schon drei Jahren, also im 19ten Jahre des Componisten geschrieben ist, so muß man erstaunen über diese früh ausgebildete Künstlerhand, über die ruhige Disposition, über den Zusammenhalt des Ganzen, über den Wohllaut der Sprache, die Reinheit des Gedankens. Wünschte ich höchstens vielleicht im ersten Satz einige kleine Breiten weg, so ist das individuell. Im Ganzen trifft man nichts Unwesentliches, nichts, was nicht in inniger Verwandtschaft zur Grundempfindung stünde, und selbst da, wo neue Elemente hinzutreten, schimmern immer noch jene goldnen Fäden hindurch, wie sie nur eben eine Meisterhand fortzuführen versteht. Welche Wohlthat, im ewigen Wust von Schülerarbeiten einmal auf ein organisches lebensvolles Ganze zu stoßen, und welche Freude, daß es das Leipziger Publicum, so wenig es darauf vorbereitet war, rasch und freudig zu erkennen wußte. Das Urtheil des Publicums wird hier nämlich auf eine ganz andre Weise als bei andern Virtuosen auf die Probe gestellt. Hier gilt es nicht, eine Fertigkeit [161] anzuerkennen, eine Schule zu unterscheiden, mit andern Virtuosen Parallelen zu ziehen. Man mußte bei unserm Künstler vielmehr erst der Bescheidenheit, mit der er alles Auffallende von sich wies, auf die Spur kommen, ob sie auch auf einem schönen reichen Boden ruhe, ob man hier eine von den seltneren innigen Künstlernaturen vor sich habe, die, wenn sie einmal dem Außen einen Blick in das Seelenleben erlauben, unbekümmert darum, nur mit sich zu verkehren, in sich zu leben scheinen. Nach dem ersten Satz, einem rein lyrischen Stücke voll so schön menschlichen Empfindens, wie man es nur in den besten Musterwerken trifft, war man in der Hauptsache, daß es sich hier um eine vornehmere Art von Künstler handle, natürlich im Klaren. Doch folgte nicht jener allgemeine aus Boden und Decke donnernde Beifall, wie ihn kecke Virtuosen herausfordern. Man verlangte mehr, man war sichtlich gespannt, man wollte den Engländer merken lassen, daß er im Lande der Musik wäre. Da begann jene Romanze in G moll, so einfach, daß man die Noten darin zählen kann. Wenn ich es auch nicht aus der ersten Quelle wüßte, daß dem Dichter hier während des Componirens das Bild einer Nachtwandlerin vorgeschwebt hätte, so mußte doch jedem gefühlvollen Herzen all das Rührende, das eine solche Scene hat, augenblicklich überkommen. Als fürchte man, die Träumerin auf der hohen Zinne zu wecken, wagte da Niemand zu athmen, und wenn die Theilnahme an mancher Stelle sogar gleichsam ängstlich war, so wurde [162] sie durch die Schönheit der Erscheinung zum reinen Kunstgenuß gemildert. Und hier trat jener wundervolle Accord ein, wo die Wandlerin außer aller Gefahr wie auf ihr Ruhebett hingelagert scheint und ruhige Mondesstrahlen darüber fließen. Dieser glückliche Zug entschied über den Künstler und man überließ sich im letzten Satz ungestört der Freude, die wir vom Meister zu erhalten gewohnt sind, mag er uns nun zu Kampf oder Friede führen.
Hab’ ich mich in den vorigen Zeilen vielleicht zu sehr hinter das Urtheil des Publicums geflüchtet, oder wollte vollends Jemand einwenden, ich hätte darin zu viel Günstiges herausgelesen, so bin ich auch bereit, alles, was ich über die Trefflichkeit des Concerts berichtet, allein zu vertreten. Denn zu sehr Noth thut es, daß wahrhaft musikalischen Künstlern die Ehren gesichert werden, mit denen man Virtuosen, die nichts als ihre Finger haben, oft so unbedacht überhäuft, und daß man beide von einander trennen lerne. Ja, gäb’ es nur noch viele Künstler, die in dem Sinne, wie W. Bennett wirkten — und Niemandem dürfte mehr vor der Zukunft unsrer Kunst bange sein. —[H 5]
Anmerkungen (H)
- ↑ [GJ] „er verneigt sich“, stand in Klammern daneben. II.11.
- ↑ [GJ] Mendelssohns. II.12.
- ↑ [WS] William Sterndale Bennett
- ↑ [WS] Ignaz Moscheles
- ↑ [WS] In dem ursprünglichen Zeitschriftenartikel (Neue Zeitschrift für Musik 1837, Jg. 4, Band 6, Nr. 16, S. 65 Internet Archive) schließt sich – quasi in eigener Sache – eine Kritik über Schumanns Klaviersonate Nr. 3 f-moll op. 14 Concert sans Orchestre an:
„Da wir bei den neusten Concerten stehen, so wäre hier allerdings der Ort, auch über ein bei Haslinger erschienenes sogenanntes Concert sans Orchestre zu berichten, das das Schelmenpaar Florestan und Eusebius unter dem Namen des Unterzeichneten herausgegeben. Strafe ich sie für diesen Namenraub, daß ich selbst keine Silbe über ihr Opus 14 verrathe. Indeß scheinen mir einige Worte aus dem Briefe eines geliebten Meisters (desselben, dem es zugeeignet ist [H 4]) zu bedeutend, als daß ich sie ganz unterdrücken könnte. Darin heißt es nämlich unter Anderem:
»In Motivirung des Titels ließe sich einiges einwenden. Das Werk hat weniger die Erfordernisse eines Concertes, und mehr die charakteristischen Eigenheiten einer großen Sonate, wie wir einige von Beethoven und Weber kennen. In Concerten ist man (leider) gewohnt, neben der Einheit im Style einige Rücksichten auf glänzende Bravour oder coquettirende Eleganz des Spieles genommen zu sehen, welche in diesem Werke keinen Platz finden konnten, ohne es von dem Standpuncte zu entfernen, den ihm Ihre Phantasie eingeräumt hat. Der Ernst und die Leidenschaft, die im Ganzen herrschen, stehen sehr im Gegensatz mit dem, was ein Concert-Auditorium unsrer Zeit erwartet. Es will eines Theils nicht tief erschüttert werden, und andern Theils fehlt es ihm an den Fähigkeiten und der musikalischen Weihe, solche Harmonieen und genialische Verschlingungen zu verstehen und aufzufassen, wie es nur den Ohren und dem Gemüthe möglich ist, welches bewandert ist in der höheren Sprache der Heroen der Kunst. In manchen Harmonieführungen sind Dissonanzen gebraucht, deren folgende Auflösung nur einem erfahrenen Ohre die Härte ihres Eindrucks mildern. Die Vorhälte und Suspensionen, deren Entwicklung zuweilen erst im 2ten und 3ten Tacte sich erklärt, sind oft herbe, obschon gerechtfertigt. Um dadurch nicht gestört oder beleidigt zu werden, muß man ein erfahrener Musiker sein, der im voraus erräth und erwartet, wie sich alle Widersprüche lösen, wie ich mir einen Staatsminister denke, der mitten im tobenden Gewimmel eines Hofballs sein Auge und Ohr überall zu fesseln scheint, und doch es Einigen vorzugsweise leiht, die er diplomatisch zu erforschen strebt etc.«
So ist es. Macht euch aber, Florestan und Euseb, eines so wohlwollenden Urtheils dadurch würdig, daß ihr auch künftighin so streng gegen euch selbst seid wie so manchmal gegen Andere.“Robert Schumann.S. a. GJ II.15–16
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