Gesammelte Schriften über Musik und Musiker/Aus den Büchern der Davidsbündler (3)
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Als gestern der Sturm so wüthend an meine Fenster schlug und klagende Leiber durch die Lüfte zu tragen schien, kam mir recht zur Stunde dein Bild, alter poetischer Hauptmann, vor die Seele und ließ mich Alles draußen deinethalben vergessen.
Schon im Jahre 183* hatte sich, kaum wußten wir wie, in unserm Kreise auch eine schmächtige würdige Figur eingefunden. Niemand wußte seinen Namen, Niemand fragte, woher er kam, wohin er ging: der „alte Hauptmann“ hieß er. Oft blieb er wochenlang aus, oft kam er täglich, wenn es Musik gab, setzte sich dann still, als würde er nicht gesehen, in eine Ecke, drückte den Kopf tief in die Hände und brachte dann über das, was eben gespielt war, die treffendsten tiefsinnigsten Gedanken vor. „Euseb,“ sagte ich, „es fehlt uns gerade ein Harfner aus W. Meister in unserm wildverschlungenen Leben, wie wär’s, nähmen den alten Capitain dafür und ließen ihm sein Incognito.“
Lange Zeit behielt er es auch. Doch, so wenig er [117] über sich sprach, ja wie er auch jedem Gespräche über seine Verhältnisse sorgfältig auswich, so stellte sich nach allen Nachrichten so viel fest, daß er ein Hr. v. Breitenbach, ein aus *schen Diensten verabschiedeter Militair mit so viel Vermögen, als er gerade brauche, und so viel Liebe zu den Künstlern, daß er für sie auch Alles hingeben könnte. Wichtiger noch war, daß er theils in Rom und London, theils auch in Paris und Petersburg gewesen, meistentheils zu Fuß, wo er die berühmtesten Musiker sich angesehen und gehört, daß er selbst Beethoven’sche Concerte zum Entzücken spiele, auch Spohr’sche für die Violine, die er auf seinen Wanderungen inwendig an den Rock angebunden immer bei sich hatte. Ueberdies male er alle seine Freunde in ein Album, lese Thucydides, treibe Mathematik, schreibe wundervolle Briefe etc.
An Allem war etwas wahr, wie wir uns bei genauerem Umgang überzeugten. Nur was die Musik betrifft, so konnten wir nie etwas von ihm zu hören bekommen, bis ihn endlich Florestan einmal zufällig belauscht hatte und nach Hause gekommen uns im Vertrauen sagte: „gräulich spiel’ er und habe ihn (Fl.) sehr um Verzeihung zu bitten für sein Lauschen. Es sei ihm dabei die Anekdote vom alten Zelter eingefallen, der eines Abends mit Chamisso durch die Straßen Berlins spazierend in einem Hause Clavier spielen gehört und zugehört, nach einer Weile aber Chamisso beim Arm genommen und gesagt: »Komm, der macht sich seine Musik selbst.«“[H 1] Und [118] natürlich genug, daß ihm alle sichere Technik fehlte. Denn wie sein tiefpoetisches Auge alle Gründe und Höhen der Beethoven’schen Musik zu erreichen vermochte, so hatte er seine musikalischen Studien nicht etwa mit einem Lehrer und mit Tonleitern begonnen, sondern gleich mit dem Spohr’schen Concert, die Gesangsscene geheißen, und der letzten großen B dur-Sonate von Beethoven. Man versicherte, daß er an diesen beiden Stücken schon gegen zehn Jahre lang studirt. Oft kam er auch freudig und meldete, „wie es nun bald ginge, wie ihm die Sonate gehorchen lernte und wie wir sie bald zu hören bekommen sollten“ - manchmal aber auch niedergeschlagen „daß er, oft schon auf dem Gipfel, wieder herunterstürze, und daß er doch nicht ablassen könne, von Neuem zu versuchen.“
Sein praktisches Können mochte also mit einem Worte nicht hoch anzuschlagen sein, desto höher war es der Genuß, ihn Musik hören zu sehen. Keinem Menschen spielte ich lieber und schöner vor, als ihm. Sein Zuhören erhöhte; ich herrschte über ihn, führte ihn, wohin ich wollte, und dennoch kam es mir vor, als empfing’ ich erst Alles von ihm. Wenn er dann mit einer leisen klaren Stimme zu sprechen anfing und über die hohe Würde der Kunst, so geschah es wie aus höherer Eingebung, so unpersönlich, dichterisch und wahr. Das Wort „Tadel“ kannte er gar nicht. Mußte er gezwungen etwas Unbedeutendes anhören, so sah man ihm an, daß es für ihn nicht existire; wie in einem Kind, das [119] keine Sünde kennt, war in ihm der Sinn für Gemeines noch gar nicht erwacht.
So war er Jahrelang bei uns aus- und eingegangen und immer wie ein überirdisches gutes Wesen aufgenommen worden, als er vor Kurzem länger als gewöhnlich außen blieb. Wir vermutheten ihn auf einer größern Fußreise, wie er deren zu jeder Jahreszeit machte, als wir eines Abends in den Zeitungen lesend seine Todesanzeige fanden. Eusebius machte hierauf folgende Grabschrift:
Unter diesen Blumen träum’ ich, ein stilles Saitenspiel; selbst nicht spielend, werde ich unter den Händen derer, die mich verstehen, zum redenden Freund. Wanderer, eh du von mir gehst, versuche mich. Je mehr Mühe du dir mit mir nimmst, je schönere Klänge ich dir zurückgeben will.
Anmerkungen (H)
- ↑ [WS] „Es sei ihm dabei … der macht sich seine Musik selbst“ ist ein Zusatz von 1852.
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