Geld aus Thon und Lehm
Jahrhunderte und Jahrtausende lang sind die Menschen, und selbst Gelehrte und Naturkundige, über und durch allerlei Schmutz gegangen, ohne zu ahnen, daß sie damit eins der edelsten Metalle mit Füßen treten. Die Stiefelwichser, welche für einen halben Silbergroschen und oft noch billiger Schuhe und Stiefeln abbürsten und wichsen, haben vielleicht dreimal so viel Geld von den Stiefeln in alle Winde gebürstet, als sie dort verdienten. Die Sache ist, daß nicht nur, wie der Engländer sagt, „Zeit Geld ist,“ sondern auch in Thon und Lehm Viergroschenstückchen und Thaler ziemlich dicht neben einander wohnen. Die Chemiker wußten zwar schon lange, daß in Thon ein Metall steckt, Alum oder Aluminum genannt, und Alumina einen der Hauptbestandtheile der Erde bilden. Humphry Davy, der berühmte englische Physiker, erkannte in Alumina, was im Allgemeinen blos ein gelehrter Name für „Thon“ war, ein metallisches Oxyd, d. h. einen elementarischen Stoff, ein Metall, durch Sauerstoff chemisch verändert, verrostetes Metall, das man, befreit von Sauerstoff und in seiner elementarischen Reinheit dargestellt, Aluminum nennt. Doch sah man dieses neue Metall, obgleich es wie ein reicher Vetter des Silbers aussieht, lange über die Achsel an. Erst als Delville, der geniale französische Chemiker, eine Art Industrie daraus machte, dieses neue Silber (nicht Neusilber) im Großen aus seiner schmutzigen Knechtsgestalt zu erlösen, und Wöhler, der deutsche Chemiker, ebenfalls[1] auf eigne Manier aus Thonklumpen den reinen Adel des Metalles hervorwusch; erst als die Naturkundigen aller drei Kulturvölker gemeinsam zeigten, daß, wie nicht Alles Gold ist, was glänzt, das Edelste und Werthvollste auch im unscheinbarsten Lehmschutte wohnen kann, erst dann fingen die Gelehrten und Naturfreunde an, sich ein Licht über dieses neue Metall aufgehen zu lassen und sich zu „aluminiren.“ Nun zeigte man unlängst gar in der Akademie der Wissenschaften zu Paris ganze Barren dieses edeln Metalls, daraus geschlagene Medaillen von mehreren Zollen Durchmesser (in der Regierungs-Münze geprägt) und andere Formen und Massen davon, alle nach der Delville’schen Methode, die ungemein leicht und wohlfeil sein soll, aus gemeinem Thon chemisch herausgeschieden. Den technischen Proceß dieses Ausscheidens können wir hier nicht klar machen, denn dazu gehören wirkliche Experimente; wir erwähnen nur, daß Delville den Thon mit gewöhnlichem Kochsalz in einem Porcellangefäße bis zu einer hohen Temperatur erhitzt, wodurch das metallische Aluminum sich vom Sauerstoff trennt und zunächst in einer kochsalzartigen Masse erscheint, die durch die Reaction einer Säure sich vollends reinigt und das Metall in kleinen weißen Kügelchen vollkommen rein zum Vorschein bringt. Dieses Metall ist so weiß wie Silber und eben so hämmer- als dehnbar. Doch zeigt es größern Widerstand und nähert sich mehr der Hartnäckigkeit des Eisens. Durch kaltes Hämmern wird es noch härter, doch in großer Glühhitze gewinnt es seine Dehnbarkeit und Nachgiebigkeit dauernd wieder, d. h. auch nach dem Erkalten. Sein Schmelzpunkt weicht von dem des Silbers etwas ab, es ist ein guter Wärmeleiter und kann der Luft ausgesetzt werden, ohne daß so leicht Oxydation (d. h. Rosten durch Verbindung mit Sauerstoff) sichtbar wird. Letzterer Umstand ist die eigentliche Probe des Edeln. Je mehr ein Metall dem Alles zerstörenden (und Alles belebenden) Sauerstoffe widersteht, desto edler ist es.
„Jeder,“ sagt Delville, „wird leicht einsehen, wie ein Metall weiß und unveränderlich, wie Silber, das durch gewöhnlichen Gebrauch im Leben seinen Glanz nicht verliert, hämmerbar, dehnbar und zähe mit der besondern Eigenschaft, daß es zugleich leichter ist als Glas und in unerschöpflichen Massen überall gewonnen werden kann, von der ungeheuersten Wichtigkeit für Industrie und Kunst werden muß, sobald man gelernt hat, es leicht und wohlfeil darzustellen. Ich habe Grund zu hoffen, daß dies möglich und ausführbar ist, denn Chlor-Aluminum läßt sich sehr leicht in hoher Temperatur durch die gemeinsten Metalle zersetzen. Experimente dieser Art, die ich jetzt im Großen ausführen werde, müssen bald alle bisher noch übrig gebliebenen Zweifel beseitigen.“
Die Zweifel sind gelöst, denn die Metallbarren, welche er schon vorigen August der Akademie der Wissenschaften vorlegte, nahmen in ächter edelmetallischer Solidität deren Stelle ein. Allerdings kommt es immer noch auf genaue Berechnung und Vergleichung der Auslagen und Arbeiten mit den Ergebnissen an. Und dann muß die Menschheit auch erst allmälig daran gewöhnt werden, denn im Allgemeinen ist sie gegen neue Erfindungen und deren praktische Anwendung immer noch nicht viel besser, als die Bauern, die Friedrich der Große mit dem Krückstocke zwingen mußte, Kartoffeln zu stecken.
Ebenfalls von großer Wichtigkeit ist der neue Zwillingsbruder des Aluminums, das Silicium, das bisher eine Rarität der Chemiker war. Delville fand, daß Silicium gewöhnlich in Aluminum stecke, wie etwa Mangan in Eisen, oder vielmehr, daß Silicium und Aluminum zusammen eine Art Graphit bilden, d. h. daß sich diese Verbindung zum reinen Metalle eben so verhalte, wie der Stoff, aus dem man Bleistifte macht, zum reinen Kohlenstoffe.
[66] Ob sich das Silicium (d. h. das metallische Element, welches dem Kiesel zu Grunde liegt) praktisch von Wichtigkeit zeigen werde, hängt von weiteren Untersuchungen und Experimenten ab.
Aluminum aber allein scheint nichts weniger als einer der mächtigsten Revolutionairs für große Heere der Industrieen und Künste werden zu wollen. Viel Thonarten enthalten 25 Procent reine Schwester des Silbers: Aluminum. Wo giebt es eine Grenze für deren Production? Funkeln nicht in den zukünftigen Küchen unserer kleinen Töchter die groben, zerbrechlichen Töpfe und Tiegel und Schüsseln als reines, solides Aluminum-Silber? Wie glücklich werden sie als Frauen sein, da sie sich nicht mehr alle Tage über „zertöpferte“ Geschirre ärgern müssen! Und was wird die Chemie dem neuen Freunde veranken? Aluminum ersetzt nämlich in vieler Beziehung das jetzt in der Chemie unentbehrliche Platin. In manchen chemischen Fabriken kosten allein die Platingefäße 8–10,000 Thaler. Das unentbehrliche Platin kommt jetzt meistens aus Rußland. Die Auferstehung des Aluminums aus der Lehmgrube kann für dasselbe eine empfindlichere Niederlage werden, als der Fall Sebastopols, zumal da, wie die Conjuncturen der Diplomaten jetzt stehen, die „westliche Civilisation“ absichtlich auf Gewinn für dies „Civilisation“ verzichten zu wollen scheint. –
Und die Folgen für die socialen Verhältnisse aus der versilberten Lehmhütte? Je nun, wenn die Leute in der ärmsten Hütte auch mit silbernen Gabeln ihr Fleisch in den Mund spediren, wird Niemand mehr wünschen, mit silbernen Pantoffeln geboren zu sein. Hat doch schon die Galvanoplastik den soliden Silberschrank der Reichen in Mißcredit gebracht. Wie kann der solid Besilberte Jedem beweisen, daß seine Leuchter und Löffel nicht blos durch galvanische Electricität überzogen wurden? Wie glänzt die Welt in der Zukunft! Jetzt welche Masse von Dingen, Decorationen und allerhand schönen Sachen, welche bald rosten! Wird man sich künftig nicht Alles von gereinigtem Thon, von unrostbarem Aluminum anschaffen und vielleicht ganze Häuser davon bauen können? Und zu guter Letzt kann sich nicht Jeder noch nach dem Tode verdient machen? Wir wissen, daß unser Leib wieder zu Erde wird. Im Falle wir nun sterben, ohne Silber und Gold zu hinterlassen, könnte man arme Verwandte zu Universalerben der Viergroschenstückchen machen, die Chemiker aus unsern irdischen Ueberresten herausschneiden möchten.
Im Ernste ist Aluminum kein Spaß mehr. Vor 50 Jahren war es auch ein Problem und eine Neuigkeit, Soda aus Seewasser zu gewinnen; jetzt producirt man sie zu Hunderttausenden von Centnern daraus. Sieht es aber von vorn herein nicht viel großartiger, kulturgeschichtlicher, lebensfreudiger aus, Silber aus dem Thone unter unsern Füßen zu ziehen, wofür man sich kaum eine Grenze der „Tragweite“ denken kann?
- ↑ Er war der eigentliche Entdecker des Aluminums in Thon vor bereits 30 Jahren; ein Factum, das von der Akademie der Wissenschaften geleugnet ward.