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Eine Straße in Baktschisarai

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Textdaten
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Titel: Eine Straße in Baktschisarai
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 66–67
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Eine Straße in Baktschisarai.

Man hat in allen Feldzügen grausige Scenen gesehen, dem Zug der Verbündeten in die Krim war aber das Ungeheuerlichste vorbehalten. Mitten im Schlamm, Wasser und Blut war eine Armee nahe daran, des leidigen Hungertodes zu sterben; für die eingerissenen Krankheiten waren keine Aerzte zur Behandlung und keine Medicamente da; für die Pferde weder Hafer noch Heu, die armen Thiere schleppten ihre Reiter nur mühsam fort und oft stürzten sie unter ihnen zusammen, um nicht wieder aufzustehen. Die sonst so kräftige Mannschaft schlich in abgehärmten Gestalten umher, kaum daß sich die Wachen auf den Füßen halten. Wer möchte die einzelnen Jammerscenen alle beschreiben, die im Laufe der letzten Monate sich ereigneten?

Neuerer Zeit soll das etwas anders geworden sein. Warme Kleider, hinreichende Kost, gutes Unterkommen, für Kranke Medicin, auch neue Mannschaft, die Leben in’s Lager bringt; statt der ausgehungerten Herumschleicher sieht man wieder die straffen Grenadiere, welche in diesem Zustand gegen den Feind zu führen eine wahre Lust sein muß. England will seine schwer heimgesuchte Krim-Armee wenigstens nachträglich zu entschädigen suchen. Auf das Elend soll der Comfort folgen, wobei sogar die Lektüre nicht vergessen worden ist und unter Anderm die übersetzten Dorfgeschichten unsers Landsmanns Auerbach den Grenadieren in 200 Exemplaren geboten werden. Die hölzernen Häuser, welche gleichzeitig aus England mit anlangten, und den trefflichsten Schutz gegen alle Unbilden des Wetters gewähren, werden den Belagerern wahrscheinlich willkommener sein, als die gesandten Bibliotheken.

In unserer Zeit wird schnell vergessen und so wird binnen Kurzem kaum noch Jemand von den Leiden der englischen Armee in der Krim sprechen. Man hat die Todten in Löcher von vier bis sechs Fuß gescharrt, und schreitet nun über sie hin. Allein ein Schrei erhebt sich doch noch! Man fragt, wie konnte die Armee in jenen Zustand gerathen? Und die Antwort lautet: durch die Nachlässigkeit und Unfähigkeit der Offiziere, zumal der mit dem Verpflegungswesen Betrauten. Bekanntlich werden aber in England alle Offiziersstellen gekauft, meist von den jüngeren Söhnen aristokratischer Familien, so daß das ganze Heer von lauter Aristokraten befehligt wird. Diese klagt nun die öffentliche Meinung in England an, daß sie durch ihre Unfähigkeit Tausende von Engländern dem Tode überlieferten, abgesehen von all den Fehlern, die sie sich seit Eröffnung des Feldzugs zu Schulden kommen ließen. Die Alleinbefähigung der englischen Aristokraten zum Commandiren ist durch diese Vorgänge ernstlich erschüttert worden, und die Regierung wird hier jedenfalls zu einer durchgreifenden Reform schreiten müssen, wie sie die englische Armee überhaupt bedarf.

Ob wir im Verlauf der Dinge noch mehr als Sebastopol und einige Küstenstädte von der Krim zu sehen bekommen, steht sehr dahin. Es würde dies nur der Fall sein, wenn die Verbündeten den General Menzikoff in offener Feldschlacht entschieden schlügen, wo sich dann ein Theil des Innern der Krim aufthun würde.

Dann vielleicht hätten wir Gelegenheit, nähere Bekanntschaft mit den Tartaren zu machen, und uns in Baktschisarai etwas genauer umzusehen. Baktschisarai ist die einzige Stadt in der Krim, welche ihren tartarischen Charakter bewahrt hat. Die große Straße, welche sich durch die ganze Stadt hinzieht, erregt dadurch unsere Aufmerksamkeit, daß sie ganz mit Buden und Werkstätten bedeckt ist. Hier wird die tartarische Industrie noch ganz so betrieben wie vor Jahrhunderten und keine Mode hat an dem alten Herkommen gerüttelt. Ordinäre Töpferwaaren, grobe Messer, Maroquinarbeiten der verschiedensten Art, Pantoffeln, Sättel, Gürtel, Geldbeutel, dies sind die Waaren, welche die Buden füllen, in denen der Kaufmann nach Art der Schneider sitzt.

In diesen Werkstätten macht man Stellmacherarbeit, daneben werden Ochsen beschlagen, gegenüber wird Baumwolle gesponnen. Weiterhin bohrt ein Drechsler mit vieler Geduld die langen Tabakspfeifenröhre von Kirschbaum und Jasmin aus, die im Orient so geschätzt werden. Die Barbierstube fehlt ebenfalls nicht, und es ist der Barbier in der Regel eine wichtige Person, zugleich Dichter und Politiker, der mit der großen Brille auf der Nase ein sehr gravitätisches Aussehen hat. Endlich stoßen wir auf die Buden der Pastetenbäcker und Fleischer, die hier einen sehr wichtigen Rang einnehmen. Die getreue Abbildung einer Fleischerbude, wie sie diesem Artikel beigegeben ist, wird unsern Lesern einen kleinen Begriff von dem Treiben in der langen Straße von Baktschisarai geben.

Eine solche Fleischbude bringt den angenehmsten Effekt hervor; die Schinken oben und die übrigen Fleischstücke können nicht schöner geordnet sein, Alles in Reih und Glied. Der Eigenthümer dieser Leckerbissen sitzt gewöhnlich mit übereinandergeschlagenen Füßen unter seinem Schinkenhimmel, und erwartet, die lange Pfeife im Munde und die schwarze Schaffellmütze bis über die Ohren gezogen, mit unerschütterlicher Ruhe, daß die Käufer sich einfinden sollen. Die Tartaren sind Alle von einem Schlage. An ihrem Wuchse ist nichts auszusetzen, blaue Augen und Adlernasen sind allgemein; die Kühnheit ist ihnen angeboren, wie hinwiederum der Verstand ihr ganzes Wesen beherrscht. Von Natur sind sie faul, wie alle Orientalen, aber faul mit Genuß, doch können sie, wenn es nöthig ist, die härtesten und mühsamsten Anstrengungen ertragen.

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Eine Fleischerbude in Baktschisarai.

Unsere Fleischbude zeigt uns deren Besitzer in plastischer Ruhe. Seine ganze Beschäftigung besteht meist darin, daß er den Rauch aus seiner Pfeife stößt; kaum daß er die Blicke dabei einmal rechts oder links wendet, was schon eine ungeheure Anstrengung erfordert.

Eine Eigenthümlichkeit, die sich übrigens fast in allen orientalischen Staaten findet, sind die Massen von herrenlosen Hunden, welche auch hier die Straße bevölkern, und besonders vor der Fleischerbank von Früh bis in die Nacht sitzen, um irgend einen Wegfall zu erschnappen oder wohl gar einen kühnen Raubanfall auf eine fette Hammelkeule auszuführen. Sie sind eine große Plage des Landes, aber die Tartaren in ihrem unerschütterlichen Phlegma haben sich auch daran gewöhnt und verlieren kein Wort mehr darüber. Faullenzen mit Genuß kann man, wie gesagt, nur von den Türken und Tartaren lernen.