Gefühl am ersten Oktober 1781
Woher das Jauchzen dort auf jenen Traubenhügeln?
Woher das Evan Evoe?
Wem glüht die Wang’? wer ists, den ich in bunten Flügeln
Den hohen Thyrsus schwingen seh?
Und zahlreich sein Gefolg umher? –
Im offnen Füllhorn trägt er das Geschenk des Himmels,
Und vor Entzükken taumelt er! –
Wie prächtig glänzt sie dort hervor die goldne Traube:
Wie freundlich winkt er nicht den Schatten jener Laube,
Die voll von Seegen überfließt!
Ha! sey willkommen mir, du festlicher Oktober!
Sey, Erstling! ganz willkommen mir!
Bring ihn mit mehr Empfindung dir.
Denn du bist es, der mir Ihn, den ich theuer schäze,
Und zärtlich liebe bis zum Grab,
Ihn, der verdient, daß Ihm mein Herz ein Denkmal seze,
Zwar wigt dein Hauch, - kömmst du, - den letzten Schmuck der Bäume,
Die Blätter in Melancholie:
Still sinken sie herab: und schnell, – wie Morgenträume
Bei dem Erwachen – fliehen sie.
Den jede Saite der Natur
Im dumpfen Mißklang stimmt, daß öder dann und leerer
Rings um sie trauren Hain und Flur.
Doch sieh, wie schwindet es bei jedem frohen Mahle,
Wann in gehobner Hand aus schäumendem Pokale
Der Freude edler Purpur quillt!
Wie schwindet es, wann bei vertraulichen Gesprächen,
Der Freund von seinem Freund umarmt,
An seines Busens Glut erwarmt!
Und lächeln sie uns einst des Frühlings Kinder wieder,
Wann all die jugendliche Pracht,
Wann jede Melodie der wonnevollen Lieder,
Wie heiter strömts alsdann durch unsre ganze Seele:
Welch Leben stralt in unserm Blick!
Ruft uns nicht der Akzent der sanften Philomele
Und jugendliche Kraft zurück!
Des Sturms, der uns im Alter beugt: –
Leis’ Ihm Sein Schuzgeist zu, wann von den blauen Schranken
Herab der Abendstern sich neigt.
Still führ’ er Ihn hinaus auf jene Donnerhöhe,
Auf dem Gefild umher, – all Seine Freunde sehe,
Und daß Ihm hoch bey Ihrer Zahl,
Und höher Ihm alsdann auf jener heil’gen Stelle,
Dekt er Ihm die Gesinnungen
Fühlt Er: sie alle lieben Ihn!
Laut wird sie dann – hinauf, die ferne Stimme, schallen:
„Auch G * * * ist ein Freund von Dir!
Wann Silberlokken ihm nicht mehr die Schläf’ umwallen,
Auch jenseits“, – und nun glänz Ihm die krystallne Zäre
Im Aug’: – „Auch dorten liebt er dann,
Dich einst noch, wann sein Herz in jener Frühlingssphäre
Sich an das Deine schliesen kann.“
- ↑ Der würdige Mann, den diese Ode feiert, möge mir die Kühnheit vergeben, daß ich meine Sammlung mit Seinem Namen und Lobe kröne. Ob ich mich schon nicht für den Verfasser davon bekennen darf, so glaubte ich doch durch Aufnahme derselben in meine Anthologie ihr den Stempel des Gleichgefühls aufgedrükt zu haben, und ich freute mich dieses Anlasses meine wärmste Hochachtung gegen Denselben vor der ganzen Welt entblösen zu können.
Der Herausgeber.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Die Autorschaft des Textes ist nicht zu hundert Prozent geklärt, da sich die Chiffre B. nicht mit Sicherheit einem bestimmten Schriftsteller zuordnen lässt.
Eduard Boas schreibt die Chiffre Eberhard von Gemmingen zu.
Eduard Bülow hält den Text für ein Werk Friedrich Schillers, obwohl dieser in der abschließend Fußnote als Herausgeber dies abstreitet.
Edmund Goetze schreibt das Kürzel hingegen Christian Friedrich Daniel Schubart zu.
Genaueres in:- Edmund Goetze: Grundrisz zur Geschichte der deutschen Dichtung aus den Quellen von Karl Goedeke. Zweite ganz neu bearbeitete Auflage. Fünfter Band - Vom siebenjährigen bis zum Weltkriege. Zweite Abteilung. Dresden: Verlag von L. Ehlermann, 1893, Seite 165f.
- Eduard Boas; Wendelin von Maltzahn (Hrsg.): Schiller’s Jugendjahre. – Zweiter Band. Hannover: Carl Rümpler, 1856. Seite 209 f.
- Friedrich Schiller; Eduard Bülow (Hrsg.): Anthologie auf das Jahr 1782 von Friedrich Schiller — Mit einer einleitenden Abhandlung über das Dämonische und einem Anhange neu herausgegeben von Eduard Bülow. Heidelberg: Verlag von Bangel & Schmitt; Hoffmeister’sche Univ.-Buchhandlung, 1850. Seite XXXV. f.