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Friedrich Gottlob Keller und das Holzschliffpapier

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Textdaten
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Autor: Eduard Grosse
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Titel: Friedrich Gottlob Keller und das Holzschliffpapier
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 14, S. 442–444
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1892
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Erfinder-Lose.

Friedrich Gottlob Keller und das Holzschliffpapier.
Von Eduard Grosse.


Wir wandern durch einen Nadelwald und blicken mit Wohlgefallen empor zu den hohen Fichten und schlanken Tannen, die jetzt noch stolz in die blauen Lüfte streben, deren Todesurtheil jedoch schon gesprochen und mit Axthieben in die kräftigen Stämme gezeichnet ist. Dort kreischt die Säge, klingt die Axt, wir sehen einen Tannenbaum schwanken und prasselnd niedersinken. Andere Bäume hat das gleiche Schicksal schon länger getroffen, sie liegen kahl, ihrer Aeste beraubt, ihrer Rinde entkleidet auf der moosüberzogenen Erde. Die Holzfäller berichten uns, daß die gefällten Bäume hinunter nach der Holzschleiferei und Papierfabrik gebracht, daß dort aus ihnen Holzschliff und verschiedenartige Papiere erzeugt werden.

Ein wunderbarer Wandel, vom kräftigen Baumstamm zum dünnen Papierbogen, fast unbegreiflich für den ahnungslosen Laien. und doch hält jeder Leser einer Tageszeitung in dem grauen, billigen Druckpapier ein Stückchen Holz in der Hand, welches jenen Wandel durchgemacht hat.

Die Verarbeitung des Holzes zu Papier ist eine Errungenschaft unseres Jahrhunderts. Früher fertigte man das Papier ausschließlich aus Hadern, die in wassergefüllten Mahlwerken zu Fasern zerkleinert, gebleicht, gefärbt und dann als Brei zu dünnen Bogen geschöpft wurden. Bis zum ersten Viertel unseres Jahrhunderts genügte dieses Verfahren, die vorhandenen Hadern reichten zur Deckung des Bedarfes vollständig aus. Da gewann die neuerfundene Papiermaschine allmählich Verbreitung, die Papiererzeugung nahm eine andere Gestalt an, und die mühsame Handarbeit ward mehr und mehr durch die vielleistende Maschinenarbeit verdrängt. Das Papier konnte mit der Maschine billiger hergestellt werden, was allgemeinere Verwendung desselben zu gewerblichen Zwecken und dadurch Steigerung des Bedarfes zur Folge hatte. Dazu kam die Einführung der von König erfundenen Buchdruckschnellpresse, welche eine Vermehrung der Druckerzeugnisse, besonders der Zeitungslitteratur nach sich zog. Der Papierbedarf steigerte sich infolgedessen von Jahr zu Jahr, und bald sah man der Zeit entgegen, in welcher die vorhandenen Hadern nicht annähernd mehr zur Erzeugung des nothigen Papieres ausreichen würden. Sollten die Papiermaschine und die Schnellpresse ihre volle Macht entfalten, so war es nothig, einen Rohstoff ausfindig zu machen, welcher geeignet war, die Hadern teilweise zu ersetzen.

Nun hatte zwar bereits um die Mitte des vorigen Jahrhunderts der gelehrte Superintendent Jakob Christian Schäffer in Regensburg Versuche mit pflanzenfasern gemacht und gezeigt, daß es möglich sei, aus Bäumen und Pflanzen Papier herzustellen. Diese Versuche waren aber theilweise in Vergessenheit gerathen, auch kannte man kein geeignetes Verfahren, um sie im großen bei der Massenerzeugung mit Vortheil verwerthen zu können. Und immer gebieterischer machte sich die Forderung nach einem Ersatzstoff geltend. Die Papiertechniker wendeten allen Scharfsinn auf, die Chemiker experimentierten und gingen alle Fächer ihres theoretischen Wissens durch, um dem bedrängten Papiergewerbe zu helfen, doch vergebens!

Was Technik und Wissenschaft nicht vermochten, das gelang einem schlichten sächsischen Weber, dessen Kenntnisse nicht größer waren, als sie nach dem damaligen Stande der Volksschule sein konnten, dessen Erfahrung im Papierfach gleich Null war. Dieser sächsische Weber hatte niemals Papier fertigen sehen, er hatte nie in ein chemisches Laboratorium geblickt, seine technischen und wissenschaftlichen Kenntnisse hatte er sich durch mühsames Selbstlernen in den Sonntags- und Feierabendstunden angeeignet. Wie so oft bei großen Erfindungen war ihm der Zufall günstig gewesen, und die Natur war seine große Lehrmeisterin.

Sein Name ist Friedrich Gottlob Keller. Am 27. Juni 1816 wurde er in ^Hainichen geboren, dort besuchte er auch die Volksschule. Sein Wunsch, nach Verlassen derselben seine Kenntnisse in einer guten Gewerbeschule zu erweitern und sich der Mechanik zu widmen, scheiterte leider an der Mittellosigkeit seines Vaters, der sich als Weber und Blattbinder mit seiner Familie bescheiden nährte. So mußte sich der lernbegierige Jüngling den Verhältnissen fügen; statt eine höhere Schule zu besuchen, trat er bei seinem Vater in die Lehre und erlernte dessen Handwerk, die Weberei und das Blattbinden. Doch auch während dieser Lehrjahre und später nach seiner Heimkehr von der Wanderschaft ließ er sich seine weitere Ausbildung angelegen sein, kaufte für sein Taschengeld Bücher und beschäftigte sich nebenbei mit mechanischen Arbeiten, unter anderem auch mit dem verlockenden Unternehmen, ein Perpetuum mobile zu konstruieren, d. h. eine Maschine, welche sich ohne Kraftzuschuß von außen selbständig und dauernd bewegt. Zu seinem Heile gab er indessen den unausführbaren Gedanken nach einigen fehlgeschlagenen Versuchen auf und benutzte seine freie Zeit fruchtbringender mit dem Lesen technischer Schriften. Dabei kam ihm im Jahre 1839 ein Aufsatz über Papierfabrikation in die Hand, in welchem klargelegt wurde, daß es bei dem steigenden Papierbedarf unumgänglich sei, einen Stoff herauszufinden, welcher mindestens theilweise an die Stelle der Hadern treten könnte.

Keller griff diesen Gedanken eifrig auf und nahm sich vor, seine ganze Geisteskraft zur Entdeckung eines derartigen Ersatzstoffes aufzubieten. Zufäliig erregte in jener Zeit der künstliche Bau eines Wespennestes wegen der dünnen, papierähnlichen Wände seine Aufmerksamkeit: er beobachtete die Wespen beim Nestbau und entdeckte, daß diese die dünnen Wände aus Holzfasern herstellten, die sie mit ihren Kiefern abrissen und aneinanderfügten. Infolge dieser Entdeckung stieg in Keller der Gedanke auf, daß die Arbeit, welche die Wespen mit ihren Kiefern verrichten, auf mechanische Weise ausgeführt, vielleicht einen geeigneten Holzfaserstoff zur Papiererzeugung ergeben könnte. Zunächst machte er eine Probe mit Sägespähnen, die er in starker Sodalauge kochte, um die Fasern von ihren inkrustierenden Theilen zu befreien und bloßzulegen. Indessen scheiterte sein Plan an seinen unzulänglichen Einrichtungen; denn die Fasern können nicht durch einfache Siedehitze freigelegt werden, sondern nur unter starkem Dampfdruck. So gab er das Kochen auf und wählte einen anderen Weg, indem er daran ging, die Fasern durch Schleifen mittels eines hartkörnigen Steines zu gewinnen.

An einem Nachmittage des Jahres 1843 machte er die ersten Versuche mit einem gewöhnlichen Schleifsteine, den er vom anhaftenden Schmutze gereinigt hatte. Diesen Stein ließ er in Wasser laufen, drehte ihn mit der einen Hand und preßte mit der andern ein Stück Holz dagegen. Nach länger fortgesetztem Schleifen nahm das im Schleiftrog befindliche Wasser das Aussehen von dicker Milch an, und allmählich sammelte sich das abgeschliffene Holz als weiße Fasermasse. Diese that Keller in ein Gefäß, ließ es einige Zeit stehen, goß dann das obere, helle Wasser ab und begab sich hierauf an seine Berufsarbeit, um die versäumte Zeit wieder einzubringen. Am Abend nahm er das Gefäß vor dem Essen wieder zur Hand, stellte es auf den gedeckten, mit einem Tischtuch belegten Tisch und quirlte die Fasermasse kräftig durcheinander. Dabei spritzte eine Kleinigkeit der Masse heraus, fiel auf das Tischtuch und breitete sich dort flach aus, wobei das Tuch den überschüssigen Wassergehalt an sich zog und die zurückbleibende Masse das Aussehen von feuchtem Papier annahm. Keller löste den Faserstoff behutsam mit einem Messer ab, preßte ihn zwischen den Blättern eines Buches kräftig aus und ließ ihn am Ofen trocknen. Als dies geschehen war, glättete er das dünne Blättchen, welches nun alle Eigenschaften eines groben Papieres zeigte. So hielt er noch am Abend desselben Tages das erste Stückchen Holzpapier in der Größe eines Zehnpfennigstückes in der Hand.

Welch freudige Aufregung sich des siebenundzwanzigjährigen Erfinders bemächtigte, kann man sich denken. Das kleine Blättchen gab ihm die Gewißheit, daß er auf dem richtigen Wege war, es gab ihm die Gewißheit, daß die Erfindung in ihrer Grundlage bereits gelungen war, und wenn er, wie er selbst erzählt, die darauffolgende Nacht vor Aufregung nicht schlafen konnte, so ist das nur zu natürlich. Dieses erste Stückchen Holzpapier sowie ein Theil des Wespennestes, welches die Erfindung veranlaßte, befindet sich noch jetzt im Besitze Kellers.

Der große Wurf war gelungen, der Stoff gefunden, welcher die Hadern zu ersetzen vermochte; allein jetzt stand der Erfinder vor der weiteren Aufgabe, seine Erfindung so auszubilden, daß wirklich große Papierbogen aus Holzschliff gefertigt werden konnten. [443] Hier machte sich nun seine Unkenntniß der Papiertechnik fühlbar. Er hatte bisher noch keine Papiermühle gesehen und kannte aus technischen Schriften die Arbeitsweise in einer solchen nur in groben Umrissen. Wie die Werkzeuge beschaffen, woher sie zu beziehen waren, das wußte er nicht. Dennoch machte er sich an die unbekannte Arbeit, fertigte nach eigenem Ermessen einen Schöpfrahmen und schöpfte damit größere Papierblätter. Diese legte er zwischen Tuchlappen und preßte sie in einer Hobelbank aus. Indessen hatten diese Versuche mit den ganz ungenügenden Hilfsmitteln kein zufriedenstellendes Ergebniß.

Aber Keller ließ sich durch den ersten Mißerfolg nicht abschrecken, sondern ging daran, bessere Werkzeuge herzustellen. Zunächst brachte er einen grobkörnigen Schleifstein der in einem Wassertroge ging, an einer Drehbank an, um auf solche Weise den Faserstoff schneller erzeugen zu können; an diesem Steiue schliff seine Frau den Stoff. Aus Messingdraht sertigte er einen großen Schöpfrahmen mit siebartigem Boden, die Filze zu dem größeren Format schnitt er aus einem alten Tuchrocke; um die feuchten Papierblätter auszupressen brachte er an der Decke seiner Stube einen starken Pfahl an, der auf untergelegte Bretter drückte, und zwischen diese kamen dann die Blätter zu liegen. Die jetzt gefertigten Papiere von der Größe eines Viertelbogens fielen schon erheblich besser aus und konnten als brauchbare Muster gelten

Somit war die Ausführbarkeit der Erfindung bewiesen, und es war für Keller nur noch wichtig, zu erfahren, ob die Erfindung auch geschäftlich Vortheil gewähre, und sich zu unterrichten, wie sich der Preis des Holzpapiers im Vergleich zum Hadernpapiere stelle. Zu diesem Zwecke begab er sich in die Loßnitzer Papiermühle bei Freiberg, zog dort Erkundigungen ein und kam alsbald zu der Ueberzeugung, daß Holzpapier beträchtlich billiger herzustellen sei als Hadernpapier. Nunmehr trat er mit seiner Erfindung offen hervor und versuchte, sich Kapitalunterstützung zur geschäftlichen Ausbeutung derselben zu verschaffen. – Hier wiederholt sich nun die alte und immer wieder neue Geschichte: die Erfindung war in den Grundzügen gemacht, der Erfinder konnte sie jedoch wegen Mangels an Geld nicht zu Ende führen, nicht geschäftlich verwerthen, und die Kapitalisten erkannten die Tragweite derselben nicht. Zunächst wendete sich Keller an geistig rege Privatleute, in der Hoffnung, mit deren Hilfe größere Versuche anstellen zu können – jedoch vergebens. Hierauf richtete er ein Gesuch um Unterstützung an das königlich sächsische Ministerium – er erhielt eine freundliche Antwort, lobende Anerkennung seines Strebens, aber kein Geld. Es mit Papiertechnikern zu versuchen, welche den Werth der Erfindung erkannt haben würden, unterließ Keller vorläufig noch, da er fürchtete, dabei um den Ertrag seiner mühevollen Arbeit zu kommen.

F. G. Keller.
der Erfinder des Holzschliffpapiers.

Unter diesen Umständen hatte Keller keine andere Wahl, als mit eigenen Mitteln weiter zu arbeiten. Er baute einen großen Schleifstein und begann, mit Hilfe seiner Frau, die ihm treulich zur Seite stand, eine große Menge Holzschliff herzustellen. Diese anstrengende Arbeit verrichtete das Ehepaar während der Nachtzeit, da die Tageszeit den Berufsarbeiten gewidmet war, die Keller zur Bestreitung seines Lebensunterhaltes ohne Unterbrechung fortsetzen mußte. Nach vielen durchwachten Nächten war eine entsprechende Stoffmenge geschliffen, und diese schaffte Keller in die Papiermühle nach Alt-Chemnitz, wo er den Holzschliff, mit dem dritten Theile Hadernstoff vermischt, zu Papier formen ließ. Er erhielt sechs Ries großes Schreibpapier, das theilweise zum Druck des „Frankenberger Kreisblattes“ verwendet wurde. Im Jahrgang 1845 dieses Blattes findet sich also das erste zum Drucken verwendete Holzpapier.

Da Keller trotz dieses Erfolges noch keine Kapitalunterstützung fand, so unternahm er im Spätherbst das Wagniß, mit seinen geringen Mitteln die Papiermühle in Kühnhaide bei Marienberg zu pachten, um dort seine Erfindung geschäftlich auszubeuten. Im November 1845 leistete er die vereinbarte Kaution, übernahm die Werkzeuge und Vorräthe käuflich und bezog mit seiner Familie die gepachtete Mühle. Allein das Unglück verfolgte ihn auch hier. Einige Wochen später gerieth der Eigenthümer der Mühle in Konkurs, Keller stand wieder auf dem alten Flecke und sah alle seine Hoffnungen gefährdet. Seine geringen Mittel waren durch den Werkzeugkauf aufgebraucht, die Kaution war verloren, und der Winter verging, ohne daß er in der Mühle arbeiten konnte. Da boten ihm einige Freunde eine kleine Kapitalunterstützung an, und Keller erwarb das Grundstück für 4000 Thaler. Aber nachdem er die Anzahlung geleistet und die nöthigen Ausbesserungsbauten ausgeführt hatte, ergab sich, daß die übrigbleibenden Geldmittel nicht genügten, um die Einrichtung zum Holzschleifen treffen zu können. In dieser Noth kam dem Erfinder ein unerwartetes Anerbieten zu Hilfe.

Ein auf Holzpapier geschriebener Brief Kellers war in die Hände Heinrich Völters, des Direktors der Bautzener Papierfabriken, gekommen. Dieser trat mit Keller in Verbindung und erbot sich, die Erfindung anzukaufen, sofern er die Ueberzeugung erhalte, daß dieselbe geschäftlichen Nutzen gewähre. Nach einem halbstündigen Probeschleifen, welches Keller in der Bautzener Papierfabrik vornahm, hatte Direktor Völter nicht nur die praktische Durchführbarkeit, sondern auch mit geschäftlichem Scharfblick den unschätzbaren Werth der Erfindung erkannt. Er schloß mit Keller einen Vertrag, zahlte ihm 700 Thaler für die Mittheilung des Fabrikationsgeheimnisses und verpflichtete sich, den Gewinn, welchen er durch Verkauf des Geheimnisses an andere Fabriken erzielen würde, mit Keller zu theilen. Letzterer behielt sich noch das Ausnutzungsrecht der Erfindung in seiner eigenen Papiermühle vor. Demnach hatten sich beide verbunden, die Erfindung gemeinsam auszunutzen, und Völter übernahm es nun, unter großen Mühen und Opfern das Holzschleifverfahreu durch den Bau geeigneter Maschinen für den Fabrikbetrieb nutzbar zu machen, die Erfindung patentieren zu lassen und allgemein einzuführen.

Wider Erwarten begegnete indessen das Holzschleifverfahren in der ersten Zeit großem Mißtrauen, und Völter mußte alle Thatkraft aufbieten und große Geldopfer bringen, um gegen das Vorurtheil der zeitgenössischen Papierfabrikanten anzukämpfen. Die Einnahmen entsprachen nicht den Ausgaben, und als nach fünf Jahren die Patente abliefen und erneuert werden sollten, war das geschäftliche Ergebniß so gering gewesen, daß Keller nicht imstande war, seinen Antheil an den Kosten der Verlängerung der Patente zu zahlen. Mit schwerem Herzen mußte er auf die weitere Ausnutzung seiner Erfindung verzichten. Diese war von da ab für ihn verloren.

Völter, dem nunmehr alleinigen Inhaber der Patente, gelang es allmählich, das Vorurtheil zu besiegen; die Erfindung brach sich Bahn, und jetzt ist die Herstellung des Holzschliffes und des daraus gefertigten Papiers eine mächtige und kapitalkräftige Industrie geworden. In Deutschland giebt es über dreihundert, auf der ganzen Erde etwa tausend Holzschleifereien, deren jährlicher Umsatz viele Millionen Mark beträgt. Der Holzschliff hat in der Gegenwart ungeheure Bedeutung gewonnen, er ist in der Papierfabrikation unentbehrlich geworden. Obwohl er zur Papiererzeugung nicht ausschließlich dient, ist er doch als billiger Zusatzstoff sehr geschätzt, und die meisten billigen Papiere enthalten mehr oder minder große Holzschliffmengen, welche mit zäheren Faserstoffen vermischt sind. Durch die Kellersche Erfindung auf die vortheilhafte Verwendbarkeit des Holzes zur Papierherstellung aufmerksam geworden, ging man später zur chemischen Behandlung über, befreite die Fasern durch Säure von ihren inkrustierenden Theilen und bereitete auf diese Art einen Holzstoff, der selbst zur Erzeugung von besseren Papieren verwendbar ist. So führte Keller dem Papiergewerbe nicht nur den werthvollsten Ersatzstoff zu, sondern er schuf auch eine neue Verwendung des Holzes, kurz, er begründete eine bis dahin unbekannte, großartige Industrie.

Keller hat aus seiner Erfindung keinen erheblichen Geldnutzen [444] gezogen. Es ist ihm davon nichts geblieben als die Erinnerung an viele sorgenvolle Stunden, viele durchwachte Nächte und das Bewußtsein, allen Kulturvölkern einen hochbedeutsamen Dienst geleistet zu haben. Einige Geschenke, die ihm der Verein deutscher Holzschleifer sowie deutsche Papierfabrikanten als Anerkennung seiner Verdienste um das Papiergewerbe zuwendeten, ferner eine Summe von 4000 Thalern, welche ihm durch die Bemühung geschäftskundiger Freunde bei Gelegenheit der Verlängerung der amerikanischen Patente ausgewirkt wurde, dürften ungefähr die Geldopfer ersetzen, welche Keller im Verlaufe seiner Erfinderarbeit brachte. Für seine geistige Anstrengung und seine Arbeitsleistung blieb die finanzielle Belohnung aus.

Mittellosigkeit, Schäden durch Hochwasser und andere Unglücksfälle zwangen Keller, seine Mühle in Kühnhaide zu verkaufen und das Unternehmen, welches er mit großen Hoffnungen begonnen hatte, unter Einbuße seines Vermögens wieder aufzugeben. Er lebt jetzt im sächsischen Dorfe Krippen bei Schandau, wo er ein freundliches Häuschen bewohnt, in dessen unterem Stockwerk er eine mechanische Werkstatt eingerichtet hat. Dort betreibt er mit einigen Gehilfen ein kleines Geschäft und verdient mit der Anfertigung eiserner Meßkluppen seinen Lebensunterhalt. Die schlimmen Erfahrungen, die er mit seiner großen Entdeckung machte, haben ihn nicht niedergedrückt. Er beschäftigt sich noch jetzt mit neuen Erfindungen, auf welche er bereits Patente erhalten hat oder nachzusuchen gedenkt. In stiller Zurückgezogenheit und in bescheidenen Verhältnissen lebt er dahin, während draußen auf dem großen Weltmarkte mit dem Holzstoff täglich beträchtliche Summen umgesetzt werden, während viele tausend Maschinen rasselnd und klirrend thätig sind, den von Keller unter Entbehrungen erfundenen Holzschliff zu erzeugen, während ein mächtiger Industriezweig sein Dasein von den Erfolgen seiner Entdeckung fristet. Das ist einer jener Gegensätze, in welchen sich das Los der Erfinder so häufig bewegt.