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Französische Hafenstädte. III. Brest

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Titel: Französische Hafenstädte. III. Brest
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aus: Die Gartenlaube, Heft 26, S. 337–339
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Brest.

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Französische Hafenstädte.

III. Brest.


Wir haben Toulon, das Brest des mittelländischen Meeres, besucht, wo jetzt russische Kriegsgefangene in dem ungeheuern Arsenale, dem schönsten in Europa, wie man sagt, mit 4000 französischen Arbeitern um die Wette karren, graben und hacken, um die Dockes für Kriegsschiffe zu vollenden; wir sind dann in Marseille gewesen, aus dessen Hafen fortwährend Krieger und Kriegswerkzeuge nach der Krim absegeln und dampfen, und wollen jetzt dem dritten Haupthafen Frankreichs, Brest, eine Visite machen, obgleich den Meisten schon bei dem Namen die Haut schaudern wird, da Brest mehr durch sein „Bagno,“ die Hauptablagerung des socialen und politischen Krankheitsstoffes im französischen Staatskörper berüchtigt als durch seinen Hafen berühmt geworden. Wenn nach Bettina „der Verbrecher des Staates eigenstes Verbrechen ist,“ kann Frankreich schon allein durch sein Brest und sein Cayenne beweisen, daß es unter diesem Maßstabe an die Spitze der Civilisation gestellt werden muß.

Die Lage von Brest an dem Landesende Frankreichs, dem Landesende Englands gegenüber, im Departement Finisterre der Bretagne, ist ungemein günstig für einen Hafen und ein Arsenal des Krieges. Auf dem weiten westlichen Vorsprunge zwischen dem Kanale und dem Golf von Gascogne ist es zur See besonders zugänglich und zugleich durch den engen, wohlbefestigten Hals des Hafeneinganges für unwillkommene Gäste leicht zu schließen. Dieser Hals (Le Goulet), läuft in zwei Röhren weit landeinwärts bis Landerneau und Chateaulin. Die Engländer griffen es 1694 unter Lord Berkley mit einer Flotte von 29 großen und mehreren kleinern Schiffen ohne Erfolg an, weil ihr eigener großer Herzog von Marlborough, dessen Nachkommen noch jetzt jährlich Tausende von Pfunden bekommen, die Franzosen durch Verrath stärker machte als sie waren.

Da das Hafenwasser von Brest Platz und Sicherheit für 500 große Schiffe gewährt, war es immer das Haupt-Rendezvous französischer Kriegsunternehmungen zur See. Von hier kam die große Flotte im Jahre 1792, welche von Lord Howe geschlagen ward. Während des ganzen folgenden Krieges mit England ward es im Blockadezustand gehalten. Die Stadt liegt am Abhange eines Hügels am nördlichen Ende der Meeres-Bucht, von deren Eingange sie imposanter und schöner aussieht als sie wirklich ist. Die Gärten und Sommer-Villa’s zwischen den ernsten Fortificationen freundlich hervorschimmernd, geben einen malerischen Anblick, den Horace Vernet in einem seiner besten Bilder verherrlichte. Die Straßen sind ziemlich weit und wohlgebaut, freilich bei Lichte besehen, ziemlich [339] unerquicklich, da die stolzesten Bauten nur an Gewalt, Krieg, Zerstörung, Staat, Polizei und Verbrechen erinnern. Sie wird durch ein Flüßchen in zwei Theile getheilt: Côte du Brest und Côte de Recouvrance. Die Magazine, Kasernen, Tauseilereien, Segelwebereien, Schmieden, Eisengießereien u. s. w. tragen alle ein militärstrenges, staatliches, unerquickliches Gepräge, weil Arbeit und Arbeiter in bureaukratischer, offizieller, unfreier Weise dirigirt werden und sich dies in den Gesichtern der Leute und selbst der Mauern und Wände ausdrückt. In dem Habitus der celtischen Bretagner, die unter den gemeinen Arbeitern die Mehrzahl bilden, trägt noch das Stumpfe und Ausdruckslose in der Gesichtsbildung viel zu der Trostlosigkeit der hier sich bietenden Eindrücke bei. Keiner aber ist so gewaltig in Trostlosigkeit und criminalistisch anklagend gegen den Bundesstaat westlicher Civilisation, als die Bagno’s, der grünrothgelbschimmernde, kettenrasselnde Tempel für 3000 Verbrecher. Die nicht in Ketten, sondern mit ganz andern Instrumenten rasselnden und in ganz andern Farben schillernden Verbrecher Frankreichs sind nur die äußerliche Kehrseite der Bagno-Galeerensclaven, in der That und Gerechtigkeit aber würden diese beiden äußern Gegensätze, theils zusammenfallen und an dieselbe Kette geschmiedet werden, theils ihre Plätze gegenseitig austauschen. – –

Das Gebäude für die Galeerensclaven ist in seiner Architektur sehr schön und nobel, wie die meisten andern Gefängnisse civilisirter Staaten, welche gleichsam mit ihren Einkerkerungsanstalten „Staat machen“ zu wollen scheinen. Es enthält vier große, hohe, luftige Säle, in denen die Bewohner schlafen, und viele großartige Arbeitsstätten und Plätze, wo die Verbrecher in ganzen Banden und Ketten unter Aufsicht von Soldaten mit gezogenen Säbeln und geladenen Gewehren arbeiten. Die schwersten Verbrecher sind zu Zweien und Mehreren an eine und dieselbe Kette geschmiedet. Die Kette verbindet sie durch dicke, schwere Eisenringe, welche über dem Knöchel um das Bein geschmiedet sind. Auch sieht man einzelne Individuen, die sich Jeder mit 60 bis 100 Pfund Kette umherschleppen. Dieses Kettengerassel, die scheußlichste, bunte Tracht und die Gesichtsbildungen dieser Leute können auf die Ehre Anspruch machen, das entsetzlichste Genrebild zu sein, welches die Staatsästhetik jemals combinirte. In ihren rothen, groben Flanelljacken, die wie Säcke um den Körper schlottern, verherrlicht sich die communistische rothe Republik. Die gelben Beinkleider machen das Roth noch greller; aber daß man’s auch hier noch nicht bis zur völligen Gleichheit und Brüderlichkeit gebracht hat, beweisen die verschiedenen Farben der Kappen. Die graue Kappe ist der Orden der Verdammniß auf Lebenszeit. Der gelbe Aermel an der rothen Jacke zeigt an, daß der Träger zum zweiten Male hierher versetzt ward. Unter der gelben Kappe knirscht die stumme Verzweiflung des Mörders, unter der rothen glimmt die schwache Flamme einer mit den Jahren heller werdenden Erlösung, die freilich unter diesen demoralisirenden, den letzten Funken der Menschlichkeit erstickenden Verhältnissen sehr oft nur zum Fluche einer That wird, welche mit lebenslänglichem Bagno bestraft wird.

Die Jahre lange Unterdrückung jeder Art von Willens- und Meinungsäußerung, der sich dadurch anhäufende Giftstoff von Tücke, Rache, Wuth und Verworfenheit aller Art platzt dann endlich einmal wie eine vulkanische Eruption heraus. Um diese unter den Verbrechern selbst in der Geburt zu ersticken, sind die bewaffneten Soldaten-Compagnien, welche die Aufsicht führen, durch die stets geladenen Kanonen des dahinter liegenden Marine-Etablissements gedeckt. Außerdem gehen in jeden der vier Schlafsäle ein Paar mit Kartätschen gefüllte Kanonenaugen hinein, die mit einer einzigen Lösung die ganze Länge der Säle „fegen“ können. Die tugendhaften Leute außerhalb dieser Wände glauben auf diese Weise sicher zu sein, und wissen nicht, daß sie in derselben Atmosphäre leben, demselben Organismus angehören, der seine Krankheitsstoffe in Gefängnissen aller Art ablagert, sich aber dadurch nicht ausscheidet, sondern mit verschlimmerten Eigenschaften und in den verschiedensten Formen in ihre Atmosphäre, in ihren Organismus zurückkehrt. Viel sicherer wär’s, für die Gesundheit des ganzen Organismus zu sorgen und deshalb auch die Verbrecher außerhalb der Gefängnisse zu absorbiren und zu zwingen, sich den Bedingungen, unter welchen Staatsgesellschaften allein gesund werden und bleiben können, zu fügen.

Vom Bagno den Hügel hinauf erhebt sich das berühmte Marine-Hospital mit 26 großen Sälen, deren jeder 35 Betten enthält. Die erkrankten Seeleute genießen hier unter der Pflege von 40 barmherzigen Schwestern – Soeurs fidèles de la sagesse – größere Bequemlichkeit, als die Marine-Invaliden des Greenwich-Hospitals, auf welches England so stolz ist.

Die Regierungs-Docks sollen ungemein prächtig sein, doch werden Fremde und selbst Franzosen nur in sehr seltenen Fällen zugelassen, so daß man nichts Sicheres über deren Inneres weiß.

Um die Stadt laufen Wälle, welche zum Theil in Parks und Gärten verwandelt wurden und herrliche Spaziergänge mit schönen Aussichten auf Hafen und Meer bilden. In manchen Straßen spielen um grüne Bäume heitere Fontainen, doch ist und bleibt der Charakter der Stadt nicht heiter französisch. Sie ist arm und hängt größtentheils von den Geldern ab, welche die Regierung für Schiffsbauten, Reparaturen und Kriegsschiffausrüstungen hineinleitet. Handel und Gewerbe, die am besten gedeihen, wo die Regierung weder fördert noch fesselt, sind unbedeutend und die Verwundeten und Kranken, welche unlängst von der Krim hier gelandet wurden, trugen auch nicht dazu bei, die Stadt moralisch oder materiell zu heben.