Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit (Die Gartenlaube 1884/41)
Fortschritte und Erfindungen der Neuzeit.
Vor einiger Zeit kam aus Frankreich die überraschende Kunde, daß jenes schwierige Räthsel, welches seit Jahrhunderten die Menschheit beschäftigte, endlich gelöst sei, daß es dem Genius der Sterblichen gelungen ist, in dem großen Luftocean nach Belieben in jeder Richtung zu segeln. In der That erhob sich am 9. August dieses Jahres aus dem Umkreise der militärischen Luftschifffahrtsanstalt in Meudon ein Ballon, der einer Riesencigarre glich; sicher bewegte sich der Koloß gegen Villacoublay, beschrieb hier majestätisch einen großen Kreis und kehrte an seinen Abfahrtsort zurück, an dem er mit großer Präcision landete. Diese Thatsache läßt sich nicht bestreiten, zum ersten Male ist es einem Luftschiffer gelungen, nicht allein gegen den Wind zu „fliegen“, sondern auch an den Ort, von dem er in die Höhe gestiegen war, zurückzukehren. — Wir haben bereits in unserem Artikel „Hundert Jahre der Luftschifffahrt“ („Gartenlaube“ Jahrg. 1882, S. 215) ausführlich die an positiven Errungenschaften so überaus arme und an phantastischen Projecten so reiche Geschichte der Aeronautik beschrieben. Dort haben wir auch jene Versuche gewürdigt, die angestellt wurden, um gewöhnliche Luftballons durch Luftschrauben, Segel und Ruder lenkbar zu machen. Giffard und Dupuy de Lôme in Frankreich und Haenlein in Deutschland haben zuerst diese Idee zu verwirklichen gesucht, und ihnen folgten bald Andere. In den letzten Jahren hatten namentlich die Versuche von Baumgärtner und Wölffert die Gemüther lange Zeit beschäftigt. Alle diese lenkbaren Luftballons sollten durch Luftschrauben vorwärts bewegt werden, nur in der Construction derselben und in der Anwendung der bewegenden Kräfte gingen die Anschauungen der Erfinder aus einander. Die einen wollten mit Menschenkraft ihr Ziel erreichen, die anderen nahmen zu kleinen Dampfmaschinen oder Gasmotoren ihre Zuflucht.
Die Frage trat in ein neues Stadium, als vor wenigen Jahren Gaston und Albert Tissandier die Elektricität als treibende Kraft anwandten. Es ist ihnen gelungen, ihrem „elektrischen Luftschiffe“ eine Eigengeschwindigkeit von 3 Metern in der Secunde zu geben, aber sie konnten mit dieser verhältnißmäßig geringen Kraft selbst den Widerstand eines schwachen Windes nicht besiegen. Es war nun den französischen Officieren Ch. Renard und Arthur Krebs vorbehalten, einen besonders leichten und kräftig wirkenden elektrischen Motor zu erfinden, der ihrem Ballon eine größere Eigengeschwindigkeit verlieh. Dabei hatten sie das Glück, daß während ihres ersten Versuches am 9. August dieses Jahres die Luft äußerst ruhig war und die Geschwindigkeit des Windes, gegen den sie ihren Cours nahmen, nur 1 Meter in der Secunde betrug. Ohne den Ruhm der beiden Forscher schmälern zu wollen, muß man doch erklären, daß ihre gelungene Fahrt für die praktische Anwendung der Luftschifffahrt nicht von entscheidender Bedeutung ist. Was andere Forscher im geschlossenen Raume an Modellen uns gezeigt haben, das führten jetzt die beiden Officiere im Freien aus, und das Resultat ihres Versuches bestätigt das, was wir längst wußten, daß besonders construirte Luftballons unter günstigen Bedingungen sich gegen den Wind fortbewegen und lenkbar sein können. Die beiden Erfinder müssen uns noch den Beweis liefern, daß sie mit ihrem Luftschiffe auch gegen einen mäßig starken Wind aufkommen, dann erst wird Niemand leugnen, daß ihre Erfindung von der größten praktischen Bedeutung sei.
Von dem neuen Ballon der Herren Renard und Krebs wissen wir
nur, daß er 50,42 Meter lang, 8,40 Meter breit ist, und daß die in der
Gondel aufgestellte elektrodynamische Maschine einen Arbeitseffect von
81/2 Pferdekräften hervorbringt. Das Gesammtgewicht des Ballons, die
Passagiere mit gerechnet, soll 2000 Kilogramm betragen. Auf unsrer
Abbildung sehen wir an der Gondel des Ballons rechts die Luftschraube
und links unter dem Wimpel das Steuer befestigt. Alle Details werden
von den Erfindern unter dem Vorwande des Geschäftsgeheimnisses
verschwiegen, und so ist es auch nicht möglich, sich über den Werth ihrer
Erfindung ein genaueres Urtheil zu bilden. V.