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Fitchers Vogel (1819)

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
Textdaten
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Autor: Brüder Grimm
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Titel: Fitchers Vogel
Untertitel:
aus: Kinder- und Haus-Märchen Band 1, Große Ausgabe.
S. 224-228
Herausgeber:
Auflage: 2. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1819
Verlag: G. Reimer
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Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
seit 1812: KHM 46
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Bearbeitungsstand
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Begriffsklärung Andere Ausgaben unter diesem Titel siehe unter: Fitchers Vogel.


[224]
46.

Fitchers Vogel.

Es war einmal ein Hexenmeister, der nahm die Gestalt eines armen Mannes an, ging vor die Häuser und bettelte und fing die schönen Mädchen. Kein Mensch wußte, wo er sie hinbrachte, denn sie kamen nimmermehr wieder zum Vorschein. Nun trat er auch einmal vor die Thüre eines Mannes, der drei schöne Töchter hatte, als ein armer, schwacher Bettler, und trug eine Kötze auf dem Rücken, als wollte er die milden Gaben darin sammeln. Er bat um ein bischen Essen, und als die älteste herauskam, und ihm ein Stück Brot reichen wollte, rührte er sie nur an, und alsbald mußte sie in seine Kötze springen. Dann trug er sie mit starken Schritten fort, und durch einen Wald hindurch [225] in sein Haus, wo alles prächtig war. Da gab er ihr, was sie nur wünschte und sprach: „es wird dir wohlgefallen bei mir, denn du hast alles, was dein Herz begehrt.“ Das dauerte ein paar Tage, da sagte er: „ich muß fortreisen und dich eine kurze Zeit allein lassen, da sind die Hausschlüssel, du kannst überall herumgehen und alles sehen, nur nicht in eine Stube, die dieser kleine Schlüssel aufschließt, das verbiet ich dir bei Lebensstrafe; da hast du auch ein Ei, das verwahre mir sorgfältig und trag es lieber beständig bei dir, denn wenn es verloren ging, wär’s ein großes Unglück.“ Sie nahm die Schlüssel und das Ei und versprach, alles wohl auszurichten. Als er aber fort war, konnte sie der Neugierde nicht widerstehen und nachdem sie das ganze Haus gesehen, ging sie auch zu der verbotenen Thüre und öffnete sie. Wie erschrak sie aber als sie hineintrat: da stand in der Mitte ein großes, blutiges Becken, und darin lagen todte, zerhauene Menschen. Sie erschrak so sehr, daß das Ei, das sie in Hand hielt, hineinplumpte. Zwar holte sie es geschwind wieder heraus und wischte das Blut ab, aber es half nichts, denn es kam den Augenblick wieder zum Vorschein: sie wischte und schabte, aber sie konnte es nicht herunter kriegen. Nicht lange, so kam der Mann von der Reise zurück und sprach: „nun gieb mir die Schlüssel und das Ei wieder.“ Sie reichte es ihm mit Zittern hin, er sah beides an und sah, daß sie in der Blutkammer gewesen war. Da sprach er: „bist du gegen meinen Willen in der Kammer gewesen, so sollst du nun gegen deinen wieder hinein. Dein Leben ist zu Ende.“ Darauf ergriff er sie, führte sie [226] hinein, zerhackte sie, daß ihr rothes Blut auf der Erde floß und warf sie zu den übrigen ins Becken.

„Jetzt will ich mir die zweite holen,“ sprach der Hexenmeister, ging wieder in Gestalt eines armen Mannes vor das Haus und bettelte. Da brachte ihm die zweite ein Stück Brot und er fing sie wie die erste durch ein bloßes Anrühren, trug sie hinaus und mordete sie in der Blutkammer, weil sie hineingeschaut hatte. Da ging er, die dritte Schwester noch zu fangen und brachte sie auch hinaus. Die dritte aber war klug und listig; als er ihr nun die Schlüssel und das Ei gegeben hatte und fortgereist war, hob sie das Ei erst auf und verschloß es und ging dann in die verbotene Kammer. Ach, was sah sie! ihre beiden lieben Schwestern jämmerlich ermordet in dem Becken liegen. Aber sie hub an und suchte ihre Glieder zusammen und legte sie zurecht, Kopf, Leib, Arm und Beine. Und als nichts mehr fehlte, da fingen die Glieder an sich zu regen und schlossen sich an einander und beide Mädchen öffneten die Augen und wurden wieder lebendig. Da freuten sie sich, küßten und herzten einander, aber die jüngste führte sie heraus und versteckte sie. Als der Mann zurückkam, forderte er die Schlüssel und das Ei und als er an diesem keine Spur von Blut entdecken konnte, sprach er: „du hast die Probe bestanden, du sollst meine Braut seyn.“ „Ja, antwortete sie, aber du mußt mir versprechen, vorher einen Korb voll Gold meinem Vater und meiner Mutter auf deinem Rücken hinzutragen, derweil will ich die Hochzeit bestellen.“ Darauf ging sie in ihr Kämmerlein, wo sie ihre Schwestern versteckt hatte und sprach: „jetzt [227] will ich euch erretten, aber sobald ihr nach Haus kommt, bestellt mir Hilfe.“ Dann setzte sie beide in einen Korb und deckte sie mit Gold ganz zu, daß nichts von ihnen zu sehen war und rief den Hexenmeister herein und sprach: „nun trag den Korb fort, aber daß du unterwegs nicht stehen bleibst und ruhen willst! ich schaue hier durch mein Fensterlein und habe Acht.“

Nun hob der Hexenmeister den Korb auf seinen Rücken und ging mit fort, er wurde ihm aber so schwer, daß ihm der Schweiß über das Angesicht lief und er glaubte, todt gedrückt zu werden. Da wollt’ er sich ein wenig ruhen, aber gleich rief eine im Korb: „ich schaue durch mein Fensterlein, daß du ruhst, willst du gleich weiter!“ Er meinte, die Braut rief ihm das zu und machte sich wieder auf. Hernach wollte er sich wieder setzen, aber es rief gleich: „ich schaue durch mein Fensterlein, daß du ruhst, willst du gleich weiter!“ Und so oft er stillstand, rief es, und da mußte er fort und brachte außer Athem den Korb mit dem Gold und den beiden Mädchen in ihrer Eltern Haus.

Daheim aber ordnete die Braut das Hochzeitfest an. Sie nahm einen Todtenkopf mit grinsenden Zähnen und setzte ihm einen Schmuck auf und trug ihn oben vors Bodenloch und ließ ihn da herausschauen. Dann lud sie die Freunde des Hexenmeisters zum Fest ein, und wie das geschehen war, steckte sie sich in ein Faß mit Honig, schnitt das Bett auf und wälzte sich darin, daß sie aussah, wie ein wunderlicher Vogel und kein Mensch sie erkennen konnte. Da ging sie zum Haus hinaus und unterwegs begegnete ihr ein Theil der Hochzeitgäste, die fragten:

[228]

„Du Fitchers-Vogel, wo kommst du her?“
     „Ich komme von Fitze Fitchers Hause her.“
„Was macht denn da die junge Braut?“
     „Hat gekehrt von unten bis oben das Haus,
     Und guckt zum Bodenloch heraus.“

Darauf begegnete ihr der Bräutigam, der zurückkam, der fragte auch:

„Du Fitchers-Vogel, wo kommst du her?“
     „Ich komme von Fitze Fitchers Hause her.“
„Was macht denn da meine junge Braut?“
     „Hat gekehrt von unten bis oben das Haus
     Und guckt zum Bodenloch heraus.“

Der Bräutigam schaute hinauf und sah den geputzten Todtenkopf, da meinte er, es wäre seine Braut und nickte ihr zu und grüßte sie freundlich. Wie er aber sammt seinen Gästen ins Haus gegangen war, da kam die Hilfe von den Schwestern an und sie schlossen alle Thüren des Hauses zu, daß niemand entfliehen konnte und steckten es an, also daß der Hexenmeister mit seinem ganzen Gesindel verbrennen mußte.