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Fünf Lieder an Liane

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Textdaten
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Autor: Sophie Hoechstetter
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Titel: Fünf Lieder an Liane
Untertitel:
aus: Vielleicht auch Träumen. Verse. S. 23–28
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Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1906
Verlag: Müller
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Erscheinungsort: München und Leipzig
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Quelle: Princeton-USA* = Commons
Kurzbeschreibung:
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[23]

LIEDER AN LIANE

I.
Ich wollte einmal dich in meiner Heimat grüßen,
Ich wollte einmal, daß zu deinen Füßen
Die Wege ziehen, die mir lang vertraut.
Ich wollte, daß mein stilles Land dir brächte

5
Sein tiefes Sehnen, seine hellen Nächte

Und du es sähest, wie ich es geschaut.

Ich wollte einmal deine Lippen küssen –
Ich wollte einmal deine lieben süßen
Geliebten Augen auf mir ruhen sehn –

10
Ich wollte einmal – einmal nur dir sagen

Wie lang dein Bild im Herzen ich getragen
Und wie es ruht dort bis zum Untergehn.

Dann aber? Oh ich weiß nicht, was noch wäre
Still ruht die Sehnsucht – ankersstill im Meere

15
Fragst du den Beter, was er noch begehrt

Wenn ihm sein Gott die Seligkeit gewährt?
Fragst du den Schiffer, der den Hafen sieht,
Ob noch ein Wunsch durch seine Seele zieht?

Ich wollte einmal deine Lippen küssen,

20
Ich wollte dich in meinem Hause grüßen –

Einmal mit dir allein sein – fern vom Leben.
Ich wollte einmal dir in erstem Schweigen
Die Heimat und mich selbst ganz dir zu eigen
Bedingungslos in deine Hände geben.

[24]

II.
Du sollst in meiner Mutter schönstem Bett
So ruhig schlafen, bis du nicht mehr müd’ –
Und wenn dir dann der junge Tag erglüht
Wird er dich wecken aus dem Traum der Nacht,

5
Daß dir erwacht

Der schönere Traum des Lebens.

Du sollst an meiner Mutter stillem Herd
Die alten lieben, guten Worte hören,
Die alten Worte, die das Herz betören:

10
Von Heimatglück, von fernen Zeiten

Von müden, lang erblaßten Leiden
Die uns noch rühren.

Du sollst in meiner Mutter Gartenland
Die kleinen, bunten Blumen pflücken,

15
Die überfallend nach dem Steig sich bücken.

Die roten Rosen, die dort einsam blühen
Und erglühen
Für dich allein.

Du sollst in meiner Mutter altem Haus

20
Die Liebe nehmen, die ich holen will

Aus meiner Seele Tiefe und dir still
Zu Füßen legen, bis der letzte Tag
Uns kommen mag
In diesem Leben.

25
Du sollst in meiner Mutter Heimatdorf

Die Einsamkeit und frühes Leid vergessen
Und allen Kummer, den du je ermessen –

[25]

Weil ich dich führen will und lächelnd tragen
Mit stolzem Wagen

30
Zu unserm letzten Glück.


Du sollst in meiner Mutter Hochzeitskleid
Von weicher, weißer, weiter Schimmerseide,
Die ein Symbol der Freude für uns beide,
Das liebe gute Wort mir geben,

35
Das mein Leben

Mit dir vereint.

III.
Nacht ist um uns, die bange
Lautlos sinkende Nacht –
Sie hat nach verblassendem Leide
Erlöstes Sehnen gebracht.

5
Greift dir ihr Schweigen an dein Herz?

Zieht es dich leise erdenwärts – –
Am Himmel – fern
Löst sich ein blasser Funken,
Ein Augenblick

10
Er ist im All versunken.

Ein Wunsch flammt auf,
Ein Wunsch – so heiß,
Ein Wunsch, der letzter Liebe Preis.
In deine Arme laß mich sinken,

15
In deiner Liebe laß mich ertrinken,

Gib mir dich ganz,
Gib mir den Glanz
Von Erdenglück:

[26]

Unser letztes Geschick – –

20
Nicht fort –

Komm – kein Wort,
Kein Wort durchbreche die Stille.

IV.
In unserm Garten liegt ein Feuerschein,
Des letzten Herbstes flammendes Verglühn.
Die stille, weiche Luft ist klar und rein,
Wir sehen rote Wolken südwärts ziehn.

5
Im Winde tausend goldne Blätter schwanken

Ein letzter Gruß der Liebe, die vergeht.
Die späte Rose blüht; doch müde sanken
Schon manche Kelche auf das Gartenbeet.

Die Mauer ist umstrickt von Scharlachwein,

10
Mit Liebesarmen nimmt er sie gefangen,

Und selbst der alte, harte, kühle Stein
Erstrahlt in rotem, brennendem Verlangen.

Ein Glühen rings, ein sonnenrotes Sterben.
Ein Sterben, seliger und schöner noch

15
Als blassen Frühlingslichtes stilles Werben

Das einst auch über dies Gelände zog.

Du lächelst schmerzlich. Weil die Liebe flieht
Von dieser armen, stillen Gartenerde?
Du lächelst schmerzlich, weil der Herbst uns glüht

20
Und weil er kommt mit strahlender Geberde?


[27]

Sieh doch: was hier vergeht, uns bleibt es immer,
Uns grüßt der Herbst, uns grüßt er wunderzart,
Weil unserer Herzen roter Liebesschimmer
Für eine traumeskurze Zeit ihm ward.

25
Wir können froh und lächelnd von ihm scheiden,

Ein sterblich Abbild ist, was hier vergeht
Von dem Unsterblichen, dem, was uns beiden
Als unvergänglich vor der Seele steht.

Bis auf der alten, lieberoten Erde

30
Das letzte, leise Wort uns klingt,

Bis zu uns als geleitender Gefährte,
Der letzte Erdenton noch dringt.

Bis wir den letzten Blick noch tauschen,
Wenn einst der Tag uns letzten Abschied bringt –

35
Und wenn im fernen Windesrauschen

Das Herz im All versinkt.

V.
Ja, du bist schön
Und deines Mundes Lächeln
Ist holder noch als weicher Geigen Klang.
Du bist so schön

5
Und deiner Augen Tiefe

Ist reiner als ein letzter Schwanensang.

     Du bist so stolz,
     Daß kein unreines Denken
     Dir nahen könnte – keine Schuld sich zeigen.

[28]
10
     Du bist so stolz

     Daß keines Fremden Urteil
     Dich loben dürfte, weil du ganz dein eigen –

Du bist mir Freund,
Denn unsre Seelen kamen

15
Zusammen in dem teuersten der Worte.

Du bist mir Freund
Zusammen schlossen
Wir auf des Paradieses Pforte.

     Du bist mir alles –

20
     Meiner Liebe Erbe

     Und meiner Liebe Erdreich wurdest du.
     Du bist mir alles
     Und an deinem Herzen
     Schließt leise sich des Leidens Türe zu.