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Evangelien-Postille (Wilhelm Löhe)/Trinitatis 26

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Am sechsundzwanzigsten Sonntage nach Trinitatis.

Evang. Matth. 25, 31–46.
31. Wenn aber des Menschen Sohn kommen wird in Seiner Herrlichkeit, und alle heilige Engel mit Ihm, dann wird Er sitzen auf dem Stuhl Seiner Herrlichkeit; 32. Und werden vor Ihm alle Völker versammelt werden. Und Er wird sie von einander scheiden, gleich als ein Hirt die Schafe von den Böcken scheidet; 33. Und wird die Schafe zu Seiner Rechten stellen, und die Böcke zur Linken. 34. Da wird dann der König sagen| zu denen zu Seiner Rechten: Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt! 35. Denn ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeiset. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich getränket. Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich beherberget. 36. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich bekleidet, Ich bin krank gewesen, und ihr habt mich besuchet. Ich bin gefangen gewesen, und ihr seid zu mir gekommen. 37. Dann werden Ihm die Gerechten antworten, und sagen: HErr, wann haben wir Dich hungrig gesehen, und haben Dich gespeiset? oder durstig, und haben Dich getränket? 38. Wann haben wir Dich einen Gast gesehen, und beherberget? oder nackt, und haben Dich bekleidet? 39. Wann haben wir Dich krank oder gefangen gesehen, und sind zu Dir gekommen? 40. Und der König wird antworten und sagen zu ihnen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr gethan habt einem unter diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir gethan. 41. Dann wird Er auch sagen zu denen zur Linken: Gehet hin von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln! 42. Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich nicht gespeiset. Ich bin durstig gewesen, und ihr habt mich nicht getränket. Ich bin ein Gast gewesen, und ihr habt mich nicht beherberget. Ich bin nackt gewesen, und ihr habt mich nicht bekleidet. Ich bin krank und gefangen gewesen, und ihr habt mich nicht besuchet. 44. Da werden sie Ihm auch antworten und sagen: HErr, wann haben wir Dich gesehen hungrig, oder durstig, oder einen Gast, oder nackt, oder krank, oder gefangen, und haben Dir nicht gedienet? 45. Dann wird Er ihnen antworten und sagen: Wahrlich, ich sage euch: Was ihr nicht gethan habt einem unter diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht gethan. 46. Und sie werden in die ewige Pein gehen; aber die Gerechten in das ewige Leben.

 IN dem heutigen Evangelium wird uns der HErr an Seinem Gerichtstag und Sein Gericht vor Augen gestellt. Er kommt, der Menschensohn, also ein milder, barmherziger Richter aus der Mitte der zu Richtenden selber. Er kommt in Seiner Herrlichkeit, also in der Pracht aller der Eigenschaften, welche von Seiner Gottheit auf die Menschheit überströmen, also auch in der Majestät eines allwißenden, untrüglichen, gerechten Richters. Mit Ihm, Seine Ankunft zu verherrlichen und Ihm beim Gericht zu dienen, kommen alle Seine heiligen Engel. Man wird Ihn kommen sehen mit Seinen Heerschaaren, mit denselben, die einst sangen: „Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen!“ Man wird sehen, wie Ihm Sein Thron gesetzt wird, wie Er niedersitzt und in majestätischer, erhabener Ruhe sich anschickt zur letzten That für diese Weltzeit. Auferstehen werden die Todten und die Lebendigen werden verwandelt werden. Die Völker alle mit allen ihren Gliedern, die je lebten, versammeln sich nun vor Ihm. Wie die Aehren zur Aerntezeit dicht stehen auf dem Acker und auf die Sichel warten: so wird die Menschheit stehen. Und nun gibt es ein Gericht, eine Scheidung für alle Ewigkeit. Die Schafe werden von den Böcken, die Frommen von den Gottlosen für immer ausgesondert. Die Schafe heißt der Richter zum Zeichen Seiner Gunst sich zu Seiner Rechten stellen, die Böcke zur Linken. Jenen spricht Er ein himmelsüßes Wort, durch welches ihnen nicht bloß Erlaubnis gegeben wird, Ihm zu nahen, nein, durch welches sie zu Ihm herbeigelockt werden, wie schüchterne Kinder zu ihren Vätern. Oder soll ich es lieber einen Befehl heißen, der, wenn auch mit Zittern, doch auch mit Entzücken vollzogen wird? Ach, daß uns auch dereinst das Wort, dies Wort, welches die Pforten der Seligkeit aufschließt, dies Wort der Gnaden ertönte: „Kommet her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist vom Anbeginn der Welt!“ − Dagegen denen zur Linken, den Böcken, wird ein furchtbares Verdammungsurtheil gesprochen, − ein Urtheil, welches uns hier schon zittern machen kann, deßen volle Schrecken aber nur unter den treffenden Umständen des jüngsten Tages empfunden werden können. „Gehet hin von mir, ihr Verfluchten in das ewige Feuer, das bereitet ist dem Teufel und seinen Engeln!“ Vor dem erschrecklichen Urtheil und seiner Erfahrung bewahre uns Du selber, o Richter der Welt, Lamm Gottes, durch Kraft Deines Leidens und Deiner Auferstehung!


 An die Urtheilssprüche des HErrn schließen sich ausführlichere Erklärungen des Menschensohnes an, welche an Majestät und Größe alles übertreffen, was Menschen von Majestät und Größe ahnen können. Es ist außerordentlich, wie völlig klar das Bild ist, welches uns der HErr vom jüngsten Gerichte gibt!| Welch eine Wißenschaft des Endes setzt es voraus! Wie völlig vertraut mit Seinen letzten Geschäften ist der HErr, schon in den Tagen Seines Fleisches, daß Er uns auch alle Seine Worte voraussagen kann, zur Lockung und zur Abschreckung! Denn so, gerade so, wie Er es vorhersagt, wird Er thun und reden. − Laßt uns doch Seine Worte mit Ehrfurcht betrachten. Sie enthüllen uns die Gründe Seiner Urteilssprüche und sagen es uns klar, wonach Sein Gericht geschehen wird. Und was könnte uns nützer sein, als Kenntnis der Rechte und Gesetze, nach welchen aller Welt und auch uns das Urtheil gesprochen werden wird?

 Das Unterscheidungszeichen der Schafe JEsu von den Böcken ist ganz offenbar die thätige Liebe zu den armen, leidenden Brüdern JEsu. Gespeist und getränkt haben sie die Hungrigen und Durstigen, die Gäste beherbergt, die Nacketen bekleidet, die Kranken und die Gefangenen besucht. Dagegen die Böcke, welche verworfen werden, haben das alles unterlaßen. Es gilt also durchaus kein unbezeugter, that- und werkloser Glaube, sondern des Glaubens Dasein wird nach dem Segen, den er den Brüdern in heiliger Liebe wirkte, ermeßen. − Wollen wir dies, wie es sich geziemt, am Ende eines Kirchenjahres, für welches wir einst Christo Rechenschaft geben müßen, auf uns anwenden; so wird es uns nicht schwer werden, zu entscheiden, ob wir bisher zu Seinen Schafen, oder zu den Böcken gehört haben. Wir sind Seine Schafe, wenn wir Seine armen, leidenden Brüder mit thätigen Erweisungen der Liebe segnen und gesegnet haben, wenn wirs in der Weise thaten, wie uns unser Text und dem Text nach diese Predigt lehren kann. Gleichwie die Schafe keine Waffen haben, mit denen sie sich wehren oder schaden könnten, gleichwie sie durchaus Nutzen bringen und an ihnen nichts ist, das nicht den Menschen dienen könnte; so leben JEsu Schafe ganz Seinen Brüdern zu Nutz. Lieben und leben, nützen und leben ist für sie eins und gleichbedeutend. Also nicht ob du in diesem Jahre viel Nutzen gehabt hast, sondern wie viel du andern genützt hast, ist die Frage, welche du, dem Gerichte voranlaufend, dir selbst zu beantworten hast.


 Der HErr spricht im Gerichte: „Ich bin hungrig gewesen, und ihr habt mich gespeist. Ich bin durstig gewesen und ihr habt mich getränkt. Ich bin ein Gast gewesen und ihr habt mich beherbergt. Ich bin nacket gewesen, und ihr habt mich bekleidet. Ich bin krank gewesen und ihr habt mich besucht. Ich bin gefangen gewesen und ihr seid zu mir gekommen.“ Wie meint ihr nun, liebe Brüder? Verlangt Er damit von den Seinigen, daß sie Ein Mal oder etliche Male im Leben Barmherzigkeit geübt haben sollen, oder verlangt Er, daß das ganze Leben eine fortwährende Uebung der Barmherzigkeit sein soll? Richtet Er bloß über barmherzige Stunden und spricht Er die frei, welche zuweilen eine Anwandelung von Barmherzigkeit oder eine barmherzige Stunde gehabt haben? Oder richtet Er über Lebensläufe, die geschloßen und in ihrer ganzen Strecke vor Ihm aufgedeckt liegen? Ohne Zweifel das Letztere. Wir sollen ja barmherzig sein, wie Er, und wann wäre Er nicht barmherzig? Oder könnte man etwa barmherzig sein, ohne barmherzig zu handeln? Geht doch der Mund und das ganze Leben von dem über, des das Herz voll ist! Der HErr wird gewis nicht mit uns zufrieden sein, wenn wir nicht barmherzig leben, so lange wir leben. Er wird uns verwerfen, wenn wir aufhören, barmherzig zu sein. Wenigstens von der Zeitfrist an, wo uns des HErrn Barmherzigkeit kräftiger erfaßte, wo uns Seine Liebe offenbart wurde, müßen auch wir ununterbrochen Barmherzigkeit wieder offenbaren und fortpflanzen. So lange wir in Christo sind, müßen wir, von Christi Geist getrieben, barmherzig leben, handeln, lieben, wenn nicht ein unbarmherziges Gericht über uns ergehen soll. Warum stecken wir also der Barmherzigkeit so enge, kurze Schranken? Warum üben wir sie so selten? Warum werden wir müde und verzeihen uns dann so leicht? Warum nehmen wir es so ungenau mit unserer Tugend, warum sind wir so leichtsinnig in dem, was uns obliegt? Sind wir denn Christen, wenn wir müde werden, Christi Brüdern zu dienen und uns der Nächste, der unser bedarf, zu oft kommt?


 Ihr fraget: wem sollen wir Barmherzigkeit erweisen? Wer ist unser Nächster? Wie denn der Mensch immer thut, als sähe er die nicht, denen er dienen soll, auch wenn sie ihm zu Hunderten vor Augen stehen!| Antwort auf diese Frage ist genug vorhanden, überall im neuen Testamente, besonders auch in unserm Texte. JEsu sollst du Barmherzigkeit erweisen, und Er erscheint dir in allen Seinen dürftigen Brüdern. Wir wollen einmal annehmen, daß der Ausdruck „JEsu Brüder“ hier im engsten Sinne genommen sei, daß nur Menschen darunter verstanden seien, welche im Glauben an Christo hangen. Wir wollen annehmen, daß bei allen denen, welche Christo angehören, die untrüglichen Früchte und Zeugnisse ihres Lebens untrüglich zu Tage stehen und daß wir das sichere, untrügliche Auge haben, allezeit die Frommen von den Bösen zu unterscheiden. Wir wollen einen strengen Satz aufstellen, und nur diejenigen zu den Christen rechnen, welche neben dem reinen vollen Bekenntnis der Wahrheit einen Wandel führen, der vor Menschengericht in nichts dem Bekenntnis widerspricht, d. i. die Glaubensgenoßen im engsten Sinn. Hätten wir nun also die Zahl der Brüder JEsu recht klein gemacht und uns besonnen, wer unter den uns bekannten Menschen in dies kurze Verzeichnis und Register der Brüder JEsu zu setzen sei; so würde sichs nun fragen, ob wir denn gegen die kleine Anzahl von uns erkannter, frommer Brüder JEsu dauernde Barmherzigkeit geübt haben? – Aber nun nennt ja der HErr nicht bloß die Seine Brüder, welche zu einer gewißen Zeit Seine Brüder gewesen sind, sondern auch die, welche es hernachmals wurden oder werden konnten. Ja, es scheint sogar, als wenn Er, was die Pflicht der Barmherzigkeit anlangt, alle die, welche Menschen, wie Er, und von Ihm zu Seinem Reiche berufen waren, in unserm Texte Seine Brüder nennete. Es stehen alle Völker vor Ihm und ohne Unterschied spricht Er von Seinen geringsten Brüdern also, als wären auch die verkommensten Heidenseelen zu diesen geringsten Brüdern zu rechnen gewesen. Denn auf irdische Geringheit und Größe sieht doch Er nicht, und der Seinen, die an Ihn glauben, dürfte doch kaum einer gering genannt werden; so mögen wohl die Gläubigen und Heiligen an jenem Tage Seine hohen, auserwählten, die andern aber − mit Einschluß derer, die verloren werden, Seine geringen und geringsten Brüder genannt werden. Es wäre also, was die Barmherzigkeit anlangt, der Brudername weit auszudehnen. Wenn wir uns nun nach einer solchen Deutung richten, wie steht es dann mit unserer barmherzigen Liebe? Wie fällt unsere Antwort? Wohin stellt uns unser Gewißen, zur Rechten oder zur Linken, unter die Schafe oder unter die Böcke? Haben wir am Ende dieses Kirchenjahrs zu jubilieren oder zu weinen? − Und ob wir die Grenze weder engerten wie zuerst, noch weiterten wie zuletzt, ob wir dem Brudernamen irgend eine dazwischen liegende Deutung gäben: wie wir ihn nehmen wollen, es wird uns immer Ursache genug bleiben, an unsere Brust zu schlagen und zu sprechen: „Geh nicht ins Gericht mit Deinen Knechten, denn vor Dir ist kein Lebendiger gerecht!“

 Ach schon die Ueberlegungen, welche wir vorgenommen haben, können uns demüthigen! Aber laßet uns weiter gehen, laßt uns unsere Herzen nicht schonen, laßt uns ferner uns erniedrigen durch Betrachtung unserer Niedrigkeit und Bosheit, bis unser Stolz zerbricht und, wenn es in uns stockfinstere Nacht wird, der Morgenstern der Gnade, der Vorbote eines neuen Lebens über uns aufgeht!

 Wenn wir lebenslänglich Barmherzigkeit geübt haben, dennoch sind wir des göttlichen Wohlgefallens am Gerichtstage nicht sicher. Sehet einmal auf die Schafe JEsu in unserm Texte. Gewis werden Seine Schafe Barmherzigkeit zu Seiner Ehre üben, gewis werden ihre Werke der Barmherzigkeit Dankopfer für Seine Barmherzigkeit sein, gewis werden sie auf ihre Werke nicht weiter bauen als zum Zeugnis ihrer Liebe, ihres Dankes, ihres Glaubens. Aber so viel werden sie doch hoffentlich von ihren Werken sagen dürfen, daß sie Werke haben, daß sie mit denselben des Königs Ehre meinten, danken wollten und Glauben beweisen? − Und doch entschwindet ihnen vor dem Lichte des Angesichtes JEsu auch dies, und, vorausgesetzt, daß Er, was sie thun, als Ihm gethan erkennen werde, können sie zwar Seine Huld und Gnade faßen, aber das nicht, daß sie in den armen Brüdern, die sie liebten, Ihm, dem Herrlichen, einen Gottesdienst geleistet haben sollen. „HErr, wann haben wir Dich hungrig gesehen, rufen sie? wann durstig? wann einen Gast? wann nacket? wann krank? wann gefangen?“ Aus ist aller Ruhm. Es sind Menschen, die der HErr rühmt, − sie sind und leben in einer Zeit, an einem Orte, unter Umständen, wo unedle Bescheidenheit, wie alle Lüge, verschwindet, wo die Wahrheit allein redet: und siehe, sie sehen Ihn, ihren HErrn, Seine Herrlichkeit,| Seine Liebe, Sein Erbarmen; aber sich? Sich sehen sie nicht; sie verschwinden vor sich selbst und es steht und lebt vor ihren Augen ER, nur ER. − So geschieht es JEsu Schafen − und nun wollen wir uns dagegen halten. Was ist unsere Barmherzigkeit? Wir sollen nicht so mit der Verborgenheit unserer Wohlthaten buhlen, noch so eigensinnig und hochmüthig auf Verborgenheit unserer Werke dringen, daß wir aufhören, Gutes zu thun, weil und wann man uns sieht. Die schönste Verborgenheit ist die Demuth, die bleibt, auch wenn sie auf dem Markte gezeigt würde. Aber eben darum, Brüder! Wo ist denn bei den meisten unter uns die Demuth der Barmherzigkeit? Ach guter JEsu, wie legen wir so oft alles darauf an, daß wir gesehen werden! Wie schleichen wir mit unserm Groschen in der Hand oft so leise, daß wir durch Leisethun Aufsehen erregen! Und umgekehrt, wie schleichen wir oft gar nicht leise, sondern treten hervor wie Pharisäer, blasen Posaunen und setzen uns Ehrensäulen! Ach HErr, ach HErr! Gegenüber dem Gedanken Deines Gerichtes, geschweige gegenüber Deinem feurigen Angesicht fällt hin alles Rühmen! Wir fragen: „HErr, wann haben wir Dir in Deinen Elenden gedient?“ Und die Antwort unseres Gewißens ist: „Ach nie, nie recht, nie von Herzensgrund!“ Was bliebe uns übrig, wenn nicht Deine Gnade und Dein Erbarmen und Deine Allmacht, die uns, ehe wir sterben, noch fruchtbar machen kann an guten Werken?

 Wie sind wir herabgeworfen − und wie werden wir es noch viel mehr, wenn man betrachtet, wie schön es ist, dem HErrn ein gutes Werk gethan zu haben, wie gnädig Er es ansieht, wie Er es lobt und lohnt! Gerne möchte ich anders reden, gerne durch des HErrn gnädiges Achten auf unsre Werke zu guten Werken ermuntern! Wenn es nur nicht gar so sehr niederschlüge, zu denken: „An dir sieht auch des HErrn allwißendes Auge nichts, das Er an jenem Tage zu Seines Namens Preis hervorheben und vor Seinen Heiligen rühmen könnte!“ Doch aber willst Du ja nicht, o HErr, daß wir vor Schaam und Armuth vergehen. Viel lieber hast Du hoffende, betende Seelen, die eine reichlichere Ausgießung Deines heiligen Geistes begehren, auf daß sie Dir noch einigen Dienst und Ehre erzeigen können, ehe die Nacht kommt, da man nicht mehr säet noch sonst auf Hoffnung arbeitet. Und wer weiß, ob wir nicht undankbar sind, wenn wir gar nichts in unserm Leben finden, was Dein Geist in und durch uns gewirkt hätte! Vielleicht ist bei etlichen unter uns doch Deine Kraft, Deine heilige Gabe, Deine Unterstützung, und es fehlt ihnen nur, daß sie die Kraft und Gabe achteten und betend und ringend sie erweckten! Ach, wenn irgend jemand unter uns ist, auf welchen dies paßt, der sei in JEsu Namen zur Treue mit der geschenkten Kraft und zum Fleiß im Guten ermuntert und fröhlich auf die gnädige, wohlgefällige Weise hingewiesen, in welcher der HErr im Evangelium unser Opfer aufnimmt! Der HErr bemerkt, der HErr achtet, der HErr weiß deine Werke! Wenn du in Liebe zu Ihm, um Seinetwillen Seinen Brüdern etwas thust, so ist dein Gebet im Himmel und vor Ihm gethan. Und du wolltest nicht fleißig sein in guten Werken? Sein Geist gibt dir Kraft, Sein Auge sieht so gerne die Ausübung deiner Kraft, und dir wirds so schwer, sie auszuüben? Sprich lieber zu Ihm: Auge JEsu schone, Blick JEsu verzeih, wenn ich thue was ich kann und rechne mir die Unvollkommenheit meiner Werke nicht zu! Sprich also und geh fröhlich ans Werk. Und wenn deine Hand ermüden oder dein Fuß erlahmen will, so erinnere dich, daß du alles, was du den Menschen thust, Ihm thust, deinem HErrn. Wenn du Ihm nach Seinem vierzigtägigen Fasten mit den Engeln hättest in der Wüste dienen dürfen! Oder wenn du Ihn hättest kleiden dürfen, da Er nacket am Marterpfahle stand! Oder wenn du Ihm hättest Sein Kreuz tragen, Seinen Durst am Kreuz stillen, Oel in Seine Wunden gießen dürfen! Wie verlangt dich nach solcher Ehre! Und nun sieh, wie nah dir diese Ehre gerückt ist! In viel hundert Gestalten erscheint dir Seine Armut, Sein Durst, Seine Blöße, Sein Schmerz. Du kannst annoch Ihm dienen, wenn du Seinen Stellvertretern, Seinen Kreuzträgern, dienst, und Er will dir all dein Dienen dermaleins belohnen, als wäre es Ihm persönlich geschehen. Ja Er will, daß wir selber alles, was wir den Armen und Elenden thun, ansehen als Ihm persönlich geschehen! JEsu, JEsu, daß wir könnten, was Du so hoch achtest, daß Du unser Leben mit heiliger Fertigkeit und Gewohnheit guter Werke kröntest!


|  Wie erhebt die Betrachtung die sinkenden Kräfte! Wie freut man sich, wie gerne dient man Dir, o HErr, wenn man Dein Wohlgefallen so deutlich erkennt! Aber da sind so viele Arme, die auf Speise warten und keine geben können; die gerne tränkten, wenn sie nur getränkt wären; gerne kleideten, aber sie sind selbst bloß; gerne dienten, wenn sie nur das Vermögen hätten, zu dienen. Geben ist seliger, als nehmen: was wird mit denen sein, welchen Vermögen und Leibeskräfte fehlen, um zu dienen? Gibts denn unter uns Leute, die sich mit solchen Fragen und mit der Sorge befaßen, wie der Arme wohlthun solle? Sie werden zu zählen sein unter uns und anderwärts. Ach das sind seltene Arme, die da weinen möchten, wenn sie von der Süßigkeit und dem Lohn der Barmherzigkeit hören und sie selbst nicht wie andere bethätigen können. Wenige werden deshalb Trost bedürfen; doch werden es immerhin etliche sein. Man denke nur nicht bloß an die Bettelarmen, die vor Mangel nichts anderes denken können, als ihres Mangels Stillung. Man denke an die, deren Kräfte nicht nichts, aber klein sind. Wie oft sind wir unvermögend zu helfen und müßen mit blutendem Herzen Elend, das uns Gott gezeigt hat, ungelindert laßen. Was thun wir dann? Ach lieber Armer, dann faßen wir unsere Seelen im herben Schmerz der Ohnmacht in Geduld, oder noch beßer, wir fangen an zu beten und zu rufen zu Dem, der da reich ist über alle, vor welchem die betende Barmherzigkeit ohne Zweifel beßer ist als die gebende. − Und wenn wir aber nicht bloß andern nicht geben könnten, wenn wir selbst Wohlthat annehmen müßten? So bleibt uns doch auch das reiche Gebet, das über große Schätze waltet, und die wenn auch entsagungsvolle, doch edle Freude, daß unsre Noth andere zur Barmherzigkeit reizt und also die Ehre Christi befördert. Es ist kein leichter Weg, der hier mit wenigen Worten bezeichnet ist. Es wird oft sehr bitter, sich dienen zu laßen, auch wenn sich die Willigkeit uns zu dienen bei andern findet; und eine große Ueberwindung ist es, arm zu sein, und sein Brot nicht aus der Hand Gottes, sondern aus der Menschen Händen annehmen zu müßen. Dafür ist es aber auch etwas wahrhaft Großes, alles fühlen, was die Abhängigkeit von andern Bitteres hat, und dennoch fröhlich sein. Es können, ist eine große Gnadengabe und ein glänzendes Zeichen von der Huld des HErrn. Wer es kann und treulich übt, den wird der HErr an jenem Tage nicht verleugnen, vielmehr wird er zu denen gehören, welche die andern in die ewigen Hütten aufnehmen. Köstliche Kleinodien der Christenheit und ihres HErrn sind solche Arme, Zierden der Kirche und ihre Schätze. Sie können Menschen bitten, als bäten sie den HErrn, und betteln, als wären sie berufen, die unsterblichen Beweise der Liebe Christi in den Seinen einzusammeln. Hätten wir nur solcher Armen viele und wäre nur von ihnen das Wort des HErrn gesprochen: „Arme habt ihr allezeit!“

 Es sei gelobet der HErr, der unaustilgbar auf Erden gemacht hat den Armen und den Reichen, und ebendamit unaustilgbar die Barmherzigkeit, die der Reiche dem Armen erweist, die der Arme von dem Reichen in Demuth annimmt. Gelobt sei Er, daß Er dem Reichen im Armen den Reiz zur Barmherzigkeit, dem Armen im Reichen den Reiz zur Demuth geschenkt hat! Und selig ist der Knecht, den der HErr, wenn Er kommen wird, also wird finden thun, − den Er in Werken der Barmherzigkeit, in treuem Geben, in demüthigem, betendem Nehmen findet! − HErr, offenbare uns Deine Barmherzigkeit, gieße sie aus in unsre Seele, auf daß wir barmherzig werden im Geben und im Beten! Amen.




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