Erinnerungen aus den Jahren 1837, 1838 und 1839/Zweiter Theil/VI
Ueber die Fusilladen von Estella. – Progressiver Gang des Verrathes Maroto’s bis zur Convention von Vergara. – Meine Arrestation. – Züge durch Frankreich und an der Grenze. – Saint Pée und Bourges.
[338] [339] Wenige Tage nach meiner Ankunft in Paris brachte der Telegraph die Nachricht von den Fusilladen in Estella. Die allgemeine Aufregung, die dieser unerhörte Vorfall hervorbrachte, hatte sich noch nicht gelegt, als bekannt wurde, der König habe Maroto vogelfrei erklärt; doch wer schildert das peinliche Erstaunen, das alle Royalisten ergriff, als nach wenigen Tagen eine neue königliche Proclamation Maroto rehabilitirte, in seinen Aemtern und Würden bestätigte, sein Verfahren belobte und endlich erklärte, er habe nie aufgehört, sich des königlichen Vertrauens würdig zu zeigen! Bald darauf wurden Arias-Teijeiro, seine Anhänger und die meisten Intriganten der Camarilla über die Grenze geschafft, mehrere der relegirten oder eingekerkerten Häuptlinge theils in Freiheit gesetzt, theils wieder angestellt.
[340] Wenn auch vielfache Rücksichten mich nicht hinderten, in die Details dieser traurigen Episode einzugehen und hierüber ein Urtheil zu fällen, so würde ich es dennoch unterlassen, da ich zu jener Zeit mich glücklicher Weise fern vom Hoflager befand, und die ganzen Marotaden (wie sie bei uns genannt wurden) sonach außerhalb des Kreises liegen, den ich diesen Erinnerungen gezogen. Nur eine gedrängte Skizze der Thatsachen und einige minder bekannte Details glaube ich niederschreiben zu müssen.
Maroto, gegen den Willen der Camarilla und des Ministeriums an die Spitze des Heeres gestellt, hatte gewiß, vom ersten Momente an, durch die Intriguen seiner Feinde im Hoflager, viel zu leiden, unaufhörlich gegen ihren üblen Willen zu kämpfen und sich vor den Fallen zu sichern, die sie ihm täglich legten. Ohne auch nur eine der Handlungen Maroto’s im Geringsten entschuldigen zu wollen, kann man doch annehmen, daß beständig aufgereizt, seine gehässige und selbstsüchtige Seele leichter verführenden und sträflichen Einflüsterungen sich hingab, als es mit den Begriffen von Ehre und Pflicht, bei einem streng redlichen Charakter, möglich gewesen wäre. Espartéro, [341] seiner Seits gewohnter durch Intriguen als auf dem Schlachtfelde zu triumphiren, hatte zu gute Spione im Herzen der carlistischen Bezirke, um von diesem Zwiespalte nicht vollkommen unterrichtet zu sein. Was während des Commandos eines ritterlichen Prinzen unmöglich war, an dessen Seite der glühendste Feind jeder Transaction, der von den spanischen Liberalen mit dem Beinamen „der Henker“ (el verdugo) bezeichnete Moreno stand, – konnte bei einem Manne von dem Charakter Maroto’s erreicht, oder doch wenigstens versucht werden. Espartéro und Maroto waren ja alte Kriegsgefährten aus Amerika; den beiden Ayacuchos konnten die Anknüpfungspunkte nicht fehlen; es handelte sich nur darum, den ersten Schritt zu thun, ihn annehmbar zu machen.
Da traf im Spätherbst 1838 ein französischer Bataillons-Chef à demi-solde, Namens Duffeau, in Maroto’s Hauptquartier ein. Er kam zu Fuß, allem Anscheine nach ohne Geld und ohne Empfehlungen. Maroto, der mit fremden Offizieren nicht sehr liebenswürdig und gewöhnlich kurz angebunden war, wollte ihn Anfangs nicht sehen; doch gelangte endlich Duffeau in das Cabinet des Generals. Die [342] Thür schloß sich, und zur Verwunderung der im Nebengemach harrenden Offiziere blieb Duffeau durch vier Stunden allein mit Maroto. Als er heraus kam, schien er sehr vergnügt und kündigte den Anwesenden an, der General habe ihn zu seinem Privatsecretär ernannt, angeblich da er schnell französisch und spanisch zu schreiben und zu übersetzen verstände. Bald war er auf dem intimsten Fuße mit dem General-Auditor der Armee, einem Andalusier Namens Don Juan José de Arizaga, der lange Zeit Auditor in den Philipinen gewesen und mit der cynischen Corruption der von den Colonien zurückgekehrten Spanier, nebst vielem Talente, die frechste Gewissenlosigkeit verband. Maroto hatte diesen Menschen in seine nächste Umgebung gezogen.
Zu dieser Zeit war Pita Pizarro im Ministerium zu Madrid, derselbe, der als Mitglied des Cabinets Calatráva auf der Rednerbühne sich rühmte, sein Leben lang beständig gegen die Regierung Ferdinand VII. conspirirt zu haben. Pita, der seinen alten Gewohnheiten nicht entsagen konnte, war stets glücklich, Gelegenheit zu finden, durch geheime Polizei zu agiren, wie es denn [343] Menschen gibt, die in niedern Sphären dieses gemeine Gelüste angenommen haben und sich dann in höhern desselben als Regierungshebel immer gern bedienen. Für Pita bestand die Regierungs-Thätigkeit in einem fortwährenden Conspiriren und Spioniren, daher es auch nicht zu verwundern, daß er sogleich darauf bedacht war, die neue Ordnung der Dinge, die beginnenden Zwistigkeiten im carlistischen Hoflager und Heere zu seinen Zwecken zu benützen. Durch die Vermittlung des damaligen Kriegsministers Alaix, verständigte er sich mit Espartéro, der seines Theils bereits vorgearbeitet hatte, und Ende December 1838 traf ein ehemaliger Spießgeselle und Vertrauter Pita’s, Namens Avinareta, auf dem Kriegsschauplatze ein. Der Geschicklichkeit dieses, in Verschwörungen und Umtrieben ergrauten Mannes gelang es, Zutritt bei einigen Häuptern der Camarilla und den navarresischen, mit Maroto unzufriedenen Generalen, zu erlangen. Das Feuer ward gut geschürt, während auch Arizaga und Duffeau keine Gelegenheit versäumten, ihrerseits Maroto gegen die Navarresen zu stimmen, die als blinde Anhänger der ultra-absolutistischen Partei geschildert wurden, an deren Spitze der [344] Hofcaplan Echeverria, der Beichtvater Larraga und der Hofprediger Fray Domingo standen. Es währte nicht lange, so brachen überall Zeichen der Feindseligkeit aus; vom Hoflager erhielt Maroto Depechen in dictatorischem Imperativ abgefaßt, die ihm seine Unthätigkeit vorwarfen, einen Campagne-Plan vorzeichneten und anzugreifen befahlen. Einige redliche Leute, die seine Freunde geblieben, beschworen ihn in Privatbriefen, unverweilt die Operationen zu beginnen, da sonst sein Ruf auf dem Spiele stände; denen antwortete er in grobem und hochfahrendem Ton und verlor so seine letzten ehrenhaften Fürsprecher im Hoflager.
Endlich schien seinen Gegnern das Maß voll und sie beschlossen, sich seiner um jeden Preis zu entledigen. Ich weiß, daß über diesen Punkt, der noch heute in ein geheimnißvolles Halbdunkel gehüllt ist, verschiedene divergirende Meinungen bestehen; doch glaube ich mit Gewißheit annehmen zu dürfen, daß der Beschluß, Maroto aus dem Wege zu räumen, von einigen Personen im Hoflager wirklich gefaßt, und zu dessen Vollziehung die navarresischen, später zu Estella fusillirten Generale ausersehen worden. Doch bin ich eben so überzeugt, daß der König von diesem ganzen [345] Gewebe auch nicht ein Wort wußte. Carl’s V. strenge Rechtlichkeit, sein gerader loyaler Sinn, Eigenschaften, die selbst seine erbittertsten Gegner ihm zugestehen, hätten jede unlautere Handlung mit Abscheu von sich gewiesen. Wollte der König vor den Fusilladen Maroto das Commando nehmen, ihn vor ein Kriegsgericht stellen, oder über die Grenze schaffen, so war nichts einfacher und dem constanten königlichen Charakter angemessener, als an einem der vielen Tage, als Maroto sich im Hoflager befand, ihn durch die Hatschire der Garde aufgreifen zu lassen. Da dies nicht geschehen, so wollte auch der König seine Absetzung nicht, und die Ränke seiner Umgebung waren ihm unbekannt. Diese hatte zur Ausführung ihres Plans den Moment ausersehen, wenn Maroto eine navarresische Expedition mustern würde, die von der Umgegend von Estella aus, über den Ebro setzen und die reichen Thäler der castilianischen Rioja requiriren sollte. Der General-Lieutenant Don Francisco Garcia, General-Commandant von Navarra, ward zum Commando derselben designirt; unter ihm die Maréchaux de camp Guérgué und Sanz; als Chef des Generalstabs der Brigadier Carmona und als Finanzchef der [346] Intendant Urriz. Ihre Correspondenz mit ihren Vertrauten im Hoflager ging durch zwei Secretäre im Kriegsministerium, Florencio Sanz (Bruder des Generals) und Ybañez (ehemaligen Secretär Guérgué’s). Als Alles vorbereitet, besprochen, geordnet war und nur mehr die Ankunft Maroto’s erwartet wurde, erhielt dieser in Tolosa detaillirte Nachricht von der ganzen Verschwörung, und einen Theil der Original-Correspondenz der navarresischen Generale mit ihren Freunden im Hoflager. Es ist zu jener Zeit vermuthet worden, Maroto habe dem General Moreno diese Wissenschaft zu danken; wer dieses Letztern glühenden Haß gegen den neuen Oberfeldherrn kannte, muß diese Supposition absurd finden; mir scheint viel wahrscheinlicher, daß Avinareta, der sich in Guipuzcoa, in der Gegend des Hoflagers herumtrieb und durch erheuchelte Sympathie das Vertrauen der Navarresen erworben hatte, die Fäden der Verschwörung und die belegenden Briefe Maroto in die Hände spielte. Seine Anhänger, vorzüglich Arizaga und gewiß auch Duffeau versäumten nicht ihm zu insinuiren, der König stehe an der Spitze der Verschwörung, oder habe zum mindesten Kenntniß [347] davon; ein Appelliren an ihn, hieße von einer Gefahr sich in die andere begeben, sich selbst dem Henker überliefern. Maroto ging nach Estella, berief die vier Generale und den Intendanten, ließ ihnen in Gegenwart zweier seiner Anhänger, der Generale Royo und Sylvestre, durch Arizaga ihre Briefe vorlegen und sie am nächstfolgenden Tage, dem 18. Februar, ohne weitern Kriegsgerichts durch ein navarresisches Detachement auf dem Platze von Estella niederschießen. Zugleich schickte er nach Villarreal de Zumarraga, wo sich die beiden mitcompromittirten Ministerial-Secretäre befanden. Sanz gelang es durch ein Fenster zu entfliehen, doch Ybañez ward festgenommen und zwei Tage nach den Generalen ebenfalls fusillirt.
Die Maßregeln, die der König bei der ersten Nachricht von diesen Ereignissen nahm, sind bekannt. Maroto ward vogelfrei erklärt. Doch schickte er seinen Sous-Chef des Generalstabs, den, seiner unglücklichen Expedition wegen, bekannten Grafen Negri, mit einer offiziellen, und Arizaga mit einer geheimen Mission zum Könige nach Azcoytia, während er selbst an der Spitze von 9 Bataillons über Lecumberri auf [348] Tolosa marschirte und das Hoflager bedrohte. Negri brachte dem Könige ein Schreiben Maroto’s aus Estella vom 20., worin u. a. stand: „Sire, ich habe die Generale (nun folgen die Namen) fusilliren lassen, und bin entschlossen, nachdem ich Beweise eines verrätherischen Attentats erlangt, noch mehrere Andere hinrichten zu lassen, die ich ohne Berücksichtigung von Fueros und Auszeichnungen aufgreifen werde; denn ich hege die Ueberzeugung, indem ich so handle, den Triumph der Sache zu sichern, die ich geschworen habe zu vertheidigen, und die nicht allein die Sache Ew. Majestät ist, sondern auch mehrerer tausende von Personen, die geopfert würden, wenn sie unterginge.“
Ich kann hier nicht in die Details der damaligen Conferenzen im Hoflager eingehen wollen, während welchen die Meisten aus der Umgebung des Königs sich eben so feige zeigten, als sie sich bisher unheilvoll und ungeschickt benommen hatten. Doch glaube ich erwähnen zu müssen, daß Arizaga sich, mehrere Monate später, öffentlich in meiner Gegenwart rühmte, dem Könige gesagt zu haben: „alle Fäden und Personen dieser ausgebreiteten Verschwörung wären dem General Maroto wohl bekannt; die Häupter [349] befänden sich im Hoflager; die bereits als Opfer Gefallenen hätten ihnen nur als Werkzeuge gedient; ihr Zweck sei die Ermordung Maroto’s, seiner Anhänger und Freunde gewesen; die Beweise habe er in Händen. Wenn der König diese verbrecherischen Intriganten nicht sofort entferne und nach Frankreich verbanne, so werde Maroto sich genöthigt sehen, nach dem Hoflager zu marschiren und sie Alle niederschießen lassen; sollte er auch mit eigener Hand sie aus dem Cabinete des Königs herausreißen.“ Ich wage nicht zu beurtheilen, ob Arizaga wirklich schamlos und pflichtvergessen genug war, eine so freche Rede seinem Herrn zu halten. Doch wenn es der Fall gewesen sein sollte, so kann ich nur bedauern, wie ich es auch damals Arizaga ausgedrückt, daß der König nicht sogleich befohlen, ihn vor dem Thore des Pallastes an einen Galgen zu hängen. Doch der König wollte weiteres Blutvergießen, vielleicht Anarchie im eigenen Feldlager verhüten, oder mag an die Existenz eines Complottes gegen das Leben seines Generals geglaubt haben. Wie dem auch sei, mir steht es nicht zu, die Gründe zu beurtheilen oder gar zu bekritteln, welche die Handlungen des Fürsten motivirten, dem ich damals diente und Treue geschworen hatte.
[350] Am 24. Februar wurden sechs königliche Decrete aus Villafranca erlassen und veröffentlicht. Die Ersten enthielten die Entlassung der vier Minister: des Justizministers und Conseilpräsidenten Bischofs von Leon, des Finanzministers Labandéro, des interimistischen Ministers der auswärtigen Angelegenheiten, Arias-Teijeiro, und des Kriegsministers Herzogs von Granada (der seit einigen Tagen den Marquis de Valde Espina ersetzt hatte). Das Dritte erklärte: der König habe, nach neuen Informationen und genauen Untersuchungen, mit hoher Verwunderung gesehen und erfahren, daß der General-Lieutenant, Chef des Generalstabs[1] Don Rafael Maroto, in Ausübung seiner Vorrechte, und geleitet durch die Gefühle von Liebe und Treue, die für die gerechte königliche Sache ihn so verdient machen, gehandelt habe. (ha obrado con la plenitud de sus atribuciones y guiado por los sentimientos de amor y fidelidad, [351] que tiene tan acreditados en favor de Mi justa causa.) Der König bekannte ferner, er sei innig überzeugt, daß unheilvolle Absichten, auf irrige Meinungen oder verbrecherische Arglist gestützt, sein königliches Vertrauen mißbraucht hätten; daß es nun sein Wille sei, dem General Maroto eine vollständige Wiederherstellung seiner Ehre angedeihen zu lassen; daß derselbe an der Spitze des Heeres zu verbleiben habe, das letzte königliche Manifest (vom 21. Februar aus Vergara, das ihn als Verräther und vogelfrei erklärt hatte) überall verbrannt und Dieses durch drei Tage vor der Fronte der Bataillone verlesen werden solle. – Die drei übrigen Decrete lösten die consultirende Kriegsjunta (die aus alten Generalen und Stabsoffizieren bestehend, Maroto des Hochverraths schuldig befunden hatte) auf, und übergaben dem Brigadier Juan Montenegro und dem ehemaligen diplomatischen Agenten in Rom, Don Paulino Ramirez de la Piscina, zwei Anhängern Maroto’s, die Portefeuilles des Krieges und der auswärtigen Angelegenheiten. Einige Tage darauf wurden 35 Personen aus dem Hoflager, die Maroto designirt hatte, unter Bedeckung eines Bataillons an die französische [352] Grenze abgeführt, und ihnen der Befehl eingeschärft, sich nie mehr in den Carl V. unterthanen Landestheilen blicken zu lassen. Unter ihnen befanden sich der Bischof von Leon und sein Secretär Pecondon; der Hofcaplan Echeverria, Arias-Teijeiro und sein Onkel José Teijeiro, Kammerdiener des Königs; Don Diego Miguel de Garcia (bei meiner Ankunft in Spanien Obercommissär in Yrun); der Finanzminister Labandéro und sein Sohn der Intendant; der Kapuziner Larraga, Beichtvater des Königs, und der Hofprediger Domingo; die Generale Uranga (General-Capitain von Navarra und den drei baskischen Provinzen, während der Expedition des Königs und zuletzt dessen Adjutant), Mazarrasa und Basilio Garcia; mehrere Räthe und Secretäre der Ministerien, die Commandanten der reitenden und der Fuß-Garde, Hofdiener u. s. w. Kurz darauf verließen Zaratiegui, Elio und Gomez die Kerker, in denen sie so lange schuldlos und ohne Untersuchung geschmachtet hatten; auch der Brigadier Cabañas und die gerichtlichen Vertheidiger der oben erwähnten Generale, Brigadiers Vargas und Madrazzo, die ihrer freimüthigen Sprache wegen arretirt [353] worden, wurden freigelassen, die Mehrzahl der durch Guérgué, nach Rückkehr der königlichen Expedition, releguirten Offiziere aus ihren Depôts berufen und wieder angestellt und so, gleich nach den Fusilladen von Estella, viele schreiende Ungerechtigkeiten gut gemacht. Dies ist von um so größerer Bedeutung, wenn man erwägt, daß zwar einige derselben, wie Urbiztondo (gegenwärtig flüchtig in Frankreich, als Anhänger O’Donnell’s), Simon de la Torre, Fernando Cabañas, Bessières, die Brüder Fulgosio (nun [Nov. 1841], als in die Pallastverschwörung verwickelt, in Madrid zum Tode verurtheilt) u. A. später mit Maroto übergingen, doch die Meisten, durch Guérgué, Arias-Teijeiro und die Camarilla so schmählich mißhandelten Offiziere bis zum letzten Augenblicke ihren Eiden treu blieben, und mit dem Könige Spanien verließen. Sie hatten Maroto ihre Freiheit, wenn auch nicht zu danken, so doch zuzuschreiben, und sind dennoch mit ihm nicht übergegangen, sondern führen jetzt im Auslande ein elendes, kummervolles Leben, in Leiden und Entbehrungen. Trotz aller gleißnerischen Versprechungen christinischer Agenten, hat doch keiner von ihnen seinen makellosen Ruf, seine militärische Ehre durch [354] unlautere Mitwirkung am letzten Aufstande O’Donnell’s (October 1841) in ein zweifelhaftes Licht stellen wollen. Ich will hier vom ritterlichen General Villarreal sprechen, dessen mittelalterliche, glänzende Bravour, bei Freund und Feind, sprichwörtlich geworden; von Gomez, Zaratiegui, Elio, Vargas, Reina, Arjona und so vielen Andern, minder allgemein Bekannten.
So schauderhaft und verbrecherisch die Hinrichtungen von Estella auch jedenfalls waren, so mußte doch jeder gute Soldat, dem die Ehre der carlistischen Waffen am Herzen lag, der an den Häuptlingen hing, die ihn so oft zum Siege geführt, diese ihre Folgen preisen und segnen. Die Camarilla war entfernt, und Alle schmeichelten sich Anfangs mit der Hoffnung, daß Keiner zurückgeblieben, der die alten Intriguen wieder anknüpfen könne. Maroto, der über alle seine Feinde triumphirt, Alles erreicht hatte, sollte nun kräftig die Operationen beginnen. Geld war im letzten Jahre im Ueberfluß, vom Auslande in die königlichen Kassen geflossen, das Heer bezahlt und equipirt, die Cavallerie montirt, Munition und Kriegsbedarf in Menge vorhanden; der Frühling brach heran, die Intriganten waren entfernt, die feindlichen Kräfte [355] getheilt. Nichts konnte Maroto hindern; denn nie hatten sich, seit Beginn des Krieges, einem carlistischen Feldherrn glänzendere Aussichten geboten. Doch hatte die letzte Zeit eine so große Masse von Galle, Rachesucht und Zorn in seiner, allen Leidenschaften empfänglichen Seele gesammelt, daß nun, wo er mit dem Schwerte in der Faust, für die Hinrichtungen von Estella, vor der Welt sich hätte rechtfertigen sollen, er den ersten Einflüsterungen Gehör gab, die von seiner schändlichen Umgebung ausgehend, die Möglichkeit einer Transaction, eines Arrangements, wie man es nannte, aufstellten.
Diese Empfänglichkeit Maroto’s, mit seinem Gewissen zu pactisiren, war Espartéro wohl bekannt; doch mußte zuerst einige Form beobachtet und somit mehr versprochen werden, als man später zu halten beabsichtigte. Somit wurden, wie ich am Eingange dieses Theils erwähnt, Vorschläge gemacht, die allerdings weit ehrenvoller klangen, als das kurz darauf Gebotene. Man sprach von einer Vermählung des Prinzen von Asturien mit seiner Cousine Isabella, die, Beide gemeinschaftlich, gleich Ferdinand von Aragon und Isabella von Castilien, unter der Bezeichnung: [356] Los Reyes,[2] nach den Cortes por Estamento, regieren würden; Carl V. solle seiner Krone, und Christine ihrer Regentschaft entsagen, eine allgemeine Amnestie proclamirt werden. Es hieß, das französische Cabinet (vom 12. März) und Ludwig Philipp in Person, wären diesem Plane sehr geneigt, und namentlich habe Marschall Soult kürzlich erklärt: „Ce serait là le plus beau succès de ma vie.“ Nachdem Maroto eigenmächtig und unrechtmäßig diesen Propositionen Gehör geschenkt, überredete man ihn, er müsse sie dem Könige geheim halten, bis sie zur Reife gediehen. Von nun an fing eine ununterbrochene Reihe von Unterhandlungen zwischen ihm und Espartéro an. Letzterer, sobald er einmal die Dictatur in Händen seines alten Kriegsgefährten aus Peru wußte, hatte keinen Augenblick mehr daran gezweifelt, durch beständiges Hinhalten und stufenweises Zurückkommen von seinen anfänglichen Versprechungen, alle seine Zwecke zu erreichen. Maroto begann damit, die [357] Garantie der französischen Regierung zu begehren, und wollte Beweise derselben in Händen haben. Espartéro gab ihm einige nichtssagende Papiere; doch dachte Maroto besser zu thun, wenn er sich an der Quelle erkundige. Er schickte deßhalb seinen Secretär Duffeau im März nach Paris. Dieser wandte sich zuerst an den Grafen Molé, der von dem ganzen Gewebe nichts wußte und ihn kühl empfing; hierauf ging er zum Marschall Soult, damals Conseil-Präsidenten, den er öfters sprach, und der ihm allerlei unbedeutende und ausweichende Antworten gab. Einmal versuchte Duffeau in halben Redensarten den würdigen, alten Marquis von Labradór zu sondiren, der früher Mitglied der Regentschaft von Cadiz und dort Minister der auswärtigen Angelegenheiten, später bevollmächtigter Botschafter beim Wiener Congreß, beim Conclave zur Wahl Leo’s XII. und am neapolitanischen Hofe gewesen, nun in Paris zurückgezogen lebte und die königlichen Geschäfte besorgte. Dieser in Ehren ergraute Diplomat zeigte jedoch Duffeau’s ersten Eröffnungen eine so entschiedene Verachtung, daß dieser für klüger hielt, ihm nicht weiter davon zu sprechen. Er zog seinen Aufenthalt in Paris in die Länge, so sehr er [358] nur konnte, bis endlich Maroto die Geduld verlor und ihn Ende April zurückrief.
Mittlerweile hatten die Unterhandlungen mit Espartéro fortgedauert, die in das größte Geheimniß gehüllt, durch eine, allem Anscheine nach, ganz unbedeutende Person geführt wurden. Espartéro hatte nämlich einen im ganzen baskischen Lande und in Navarra unter dem Beinamen, el Arriero de Bargota bekannten Maulthiertreiber, Namens Martin Echaide, gewählt. Die Maulthiertreiber gelten in Spanien seit Jahrhunderten für die ehrlichsten Leute; man vertraut ihnen die wichtigsten Geschäfte im Privatleben und übergibt ihnen die bedeutendsten Summen, ohne je Bescheinigung zu verlangen. Echaide insbesondere, hatte einen so allgemein anerkannten guten Ruf, daß die Generale beider Heere ihn, mit seinen Maulthier-Caravanen, ungehindert an den Vorposten und durch die Hauptquartiere passiren ließen. Er verbarg unter einer rauhen Außenseite die Geschicklichkeit, Vorsicht und den biegsamen Geist, die dem spanischen Bauer eigen sind. Die Unterhandlungen wurden mit der größten Vorsicht geführt und waren in das tiefste Geheimniß gehüllt. Niemand, außer Echaide, wußte etwas von ihrem Gange; er stand [359] in unmittelbarer Verbindung mit den beiden Generalen, und nur viel später ist von Madrid aus, zum großen Kummer Espartéro’s, dieser sein Canal bekannt geworden, da der Sieges-Herzog gern auch seinen letzten Schein-Operationen das Ansehen von Schlachttagen und militärischen Successen gegeben hätte.
Die ganze Sache ist auf folgende Weise an den Tag gekommen: Espartéro hatte seinem maulthiertreibenden Agenten Millionen versprochen, wenn die Unterhandlungen glücklich durchgeführt würden. Als nach Vollendung des Verrathes, man Spanien pacificirt glaubte, war zwar von den verheißenen Reichthümern nicht mehr die Rede, doch begehrte Echaide, der als ächter Spanier, auf Zeugnisse viel Gewicht legte (nach jeder Affaire wird man von einer Menge Offiziere um Verhaltungszeugnisse, [certificaciones de comportamiento] angeredet, die sie dann in großer Anzahl, bei jedem dienstlichen Anlasse, nebst ihren Patenten mit vorweisen), Espartéro möge ihm wenigstens seine großen Dienste attestiren. Nach langem Zaudern und Mäkeln gab ihm Dieser, seinen eigenen ausschließlichen Ruhm nicht zu schmälern, eine Schrift, die nur in höchst zweideutigen Ausdrücken, der Verdienste [360] des Maulthiertreibers Erwähnung that. Da wandte sich Echaide an Maroto, der sich in Madrid befand, und legte ihm, in Gegenwart der baskischen Cortes-Deputirten, einen Aufsatz des begehrten Zeugnisses vor, mit der Bitte, ihn zu unterschreiben. Maroto erkannte vor den Deputirten die vollkommene Richtigkeit aller im erwähnten Documente enthaltenen Thatsachen; doch glaubte er, aus Rücksicht für Espartéro, seine Unterschrift verweigern zu müssen. Dieser merkwürdige Aufsatz ist nichtsdestoweniger ein wichtiger Beleg zur Aufklärung jener verworrenen Episode. Mehrere Deputirte nahmen Abschriften davon, sie gingen durch viele Hände, und ich selbst habe eine derselben gesehen. Folgender Satz schien mir darin besonders bezeichnend: „Die Schritte (Los pasos), die der ehrliche Echaide erst im Monat Februar 1839 zu unternehmen begann, wurden durch ihn so geschickt und so glücklich durchgeführt, daß bereits am nächstfolgenden neunten April zwischen mir (Maroto sc.) und dem General Espartéro, directe Verbindungen zur Pacification der baskischen Provinzen, eingeleitet und geordnet waren. Sie wurden seither in aller ihrer Kraft erhalten, und haben, trotz tausend Schwierigkeiten, [361] endlich die denkwürdige Convention von Vergara hervorgebracht.“ Wenn man bedenkt, daß Duffeau erst am 30. April aus Paris nach dem Hauptquartier Maroto’s zurückkam, so sieht man, daß während seines Vertrauten langer Abwesenheit und geflissentlichen Zögerns, Maroto bereits directe Unterhandlungen mit Espartéro angeknüpft hatte, ohne erst das Resultat der gehofften französischen Garantie und Intervention abzuwarten.
Espartéro der, wie gesagt, seinem militärischen Ruhme bei diesem Anlasse mehr Glanz geben wollte, wandte Alles an, Maroto zu scheinbaren Kriegsoperationen zu bewegen, wozu Letzterer sich um so bereitwilliger zeigte, als er unter dieser Maske die Fortdauer seiner Unterhandlungen verbergen konnte. Er verließ sonach Navarra und schlug sein Hauptquartier in Biscaya auf, während Espartéro von seinen Stellungen am Ebro, sich nach den Encartaciones begab. Beide Generale erließen wüthende Proclamationen voll drohender Schmähungen gegen einander, und am 27. April begannen die Operationen gegen Ramales und Guardamino. Espartéro hatte bis dahin, seine ersten Vorschläge als Grundlage seiner [362] Unterhandlungen beibehalten, und auf alle stets zunehmenden Forderungen Maroto’s halb ausweichende, halb zusagende Antworten gegeben. Nun begehrte er von Maroto die ungehinderte Einnahme dieser festen Punkte, die, meinte er, seine Stellung in Madrid consolidiren und seinen Planen, den Exaltádos gegenüber, mehr Kraft geben würde. Maroto ging in diese zweite Falle; er unterstützte die schwache Garnison des Forts von Ramales nur wenig, und überließ sie endlich ihrem Schicksal. Trotz der brillanten Vertheidigung des Capitains von Keltsch ward Ramales genommen und die Linie von Guardamino überrumpelt; bald darauf waren Orduña, der Paß von Saracho, das Thal des Nervian, und die Chaussee von Amurrio bis Llodio in Espartéro’s Gewalt. Von nun an wurden seine Antworten minder befriedigend, und eine Concession drohte nach der Andern zu schwinden. Maroto erschrack und wandte sich an Lord John Hay, der die englische Station commandirte. Er bat ihn, von Espartéro festere Versprechungen und seinerseits wo möglich die Garantie von England zu erlangen. Lord John Hay zeigte sich hiezu sehr bereitwillig, und begab sich sogleich in Maroto’s [363] Hauptquartier nach Arrigorriaga, wo seine Anwesenheit als englischer Interventions-Versuch, bezüglich der Verwüstungen der Dörfer und Erndten erklärt wurde. Ja es ist sogar mit viel Wahrscheinlichkeit aufgestellt worden, daß Espartéro im Einvernehmen mit Maroto, nur die Erndten von Navarra und Alava, deren Bataillone mit Letzterem uneins waren, verwüsten ließ. Dieses scheint um so glaubwürdiger, wenn man bedenkt, daß den Guipuzcoanern und Biscayinern, die später bei Vergara übergingen, kein solches Unglück widerfuhr. Zum Belege des Erwähnten, und der ganzen Verhandlung, mag das Journal Lord John Hay’s dienen, welches dem englischen Parlamente durch Lord Palmerston später vorgelegt wurde: „20. Juli 1839. Maroto bestand darauf, daß England im Vereine mit Frankreich die Vermittlung und Garantie des Vertrages übernehme. Der Befehl, den Espartéro seinen Generalen gab, die Erndten der carlistischen Bezirke sogleich zu zerstören, lieferte Maroto einen plausiblen Vorwand, ohne Verdacht am Hofe des Don Carlos zu erwecken, Lord John Hay eine Unterredung auf Grund des supponirten Bruchs des Tractates Elliot zu begehren.“ Von [364] Arrigorriaga begab sich Lord John Hay zu Espartéro nach Amurrio, und sandte gleich darauf einen Offizier, auf einem eigens dazu bestimmten Dampfschiffe, an Lord Palmerston. Dieser war so erfreut über Maroto’s Tendenz, seinen Herrn zu verrathen, daß er die gewöhnliche diplomatische Vorsicht hierüber vergaß. Es verlautete in seiner nächsten Umgebung Einiges über diese Verhandlungen, und in einem vom 29. Mai datirten Privatschreiben aus London kam uns eine ziemlich detaillirte Erzählung der beiden Conferenzen des englischen Vermittlers zu. Es braucht wohl nicht erwähnt zu werden, daß Espartéro ihm ganz andere Aufschlüsse über seine Absichten gab, als Maroto’s Hoffnungen geklungen hatten, daß somit die englische Vermittlung sich auf Null beschränkte.
Bei Eröffnung dieser Campagne hatte Maroto, vielleicht auf Espartéro’s Anrathen, den König um Ernennung zum Generalissimus sämmtlicher carlistischer Heere gebeten, wodurch er den Grafen de España und Cabrera mit in die beabsichtigte Convention zu ziehen dachte. Diese sonderbare Zumuthung ward auf Befehl des Königs vor einen Kriegsrath gebracht; doch erklärten sich von den 13 Mitgliedern, die ihn [365] bildeten, nur 4 dafür, und sie mußte unterbleiben; als Hauptgrund dagegen wurde angeführt, daß ein alter General wie de España, und ein siegreicher, halb unabhängiger Häuptling wie Cabrera, sich nie unter Maroto[WS 1] beugen würden.
Mittlerweile war Arias-Teijeiro aus Toulouse, wo er sich eine Weile aufgehalten, in Morella angelangt. Trotz des Exils, das seine Freunde und Anhänger betroffen, war doch einer derselben, Marco del Pont (den ich in der Sierra Boxadera gesehen) im Hoflager zurückgeblieben, und in der letzten Zeit zum Finanzminister ernannt worden. Durch diesen correspondirte nun Arias-Teijeiro mit dem Könige, nannte Maroto einen Verräther und rieth Sr. Majestät, ihn entweder hinrichten zu lassen, oder wenn er hiezu nicht mehr Gewalt habe, sich selbst eilig in Cabrera’s Hauptquartier zu begeben. Diese Briefe trugen Spione Cabrera’s durch das niedere Aragon über den Ebro in’s Hoflager. Ende Juni griff eine feindliche Streifpartei einen derselben auf; die Briefe wurden nach Madrid geschickt und in den dortigen Zeitungen veröffentlicht. Espartéro versäumte nicht, eine so gute Gelegenheit zu ergreifen, Maroto mit [366] seinem Herrn noch mehr zu entzweien, und schickte ihm in den ersten Tagen des Monats Julius, durch einen gewöhnlichen Vertrauten, die erwähnten Zeitungen. Die betreffenden Stellen waren roth angestrichen. Bei deren Durchsicht soll Maroto’s Zorn keine Grenzen gekannt haben; er ergriff das Papier und sagte einem deutschen, eben bei ihm befindlichen Offizier: „Sie verstehen mich, wenn ich schnell spanisch vorlese? nun so hören Sie einen neuen Beweis von der Niedrigkeit dieses Menschen (de la bajeza de este hombre). Jetzt werde ich Niemand mehr schonen.“
Von diesem Tage an, ward der königliche Name aus seinen Verhandlungen mit Espartéro gestrichen, und sein ganzer Haß wandte sich nur mehr gegen die Person seines unglücklichen Herrn. Nur durch die Vorstellungen seiner Vertrauten ward er im ersten Augenblicke abgehalten, sogleich das Hoflager zu überfallen und die größten Gräuel zu begehen; sie machten ihm begreiflich, daß eine vorschnelle Handlung den Erfolg der ganzen Unterhandlung gefährden könnte und man noch temporisiren müsse. Maroto begnügte sich Marco del Pont zu schreiben, seine Correspondenz mit den Verbannten sei ihm wohl bekannt; [367] dieses Benehmen könne große Unglücksfälle zur Folge haben, ja sein (Marco del Pont’s) und des Königs Haupt in Gefahr bringen; daß aber er (Maroto) großmüthig genug sei, ihn zu warnen, damit er sofort das Hoflager verlasse und sich nie mehr auf dem Kriegsschauplatze blicken lasse. Wiederholten Befehlen des Königs zufolge weigerte sich Marco del Pont diesen peremptorischen Rath zu befolgen, wodurch Maroto nur mehr aufgereizt wurde.
Am 18. Juli, während der Feind immer mehr in die biscayischen Thäler eindrang, sandte er ins Hoflager ein langes Document, an sich selbst gerichtet, worin nach vielen Lobeserhebungen für sich und Schmähungen auf die Verbannten, ein vollständiges Desavouiren der Correspondenz Arias-Teijeiro’s von Seite des Königs enthalten war. Maroto begehrte, dieses Schreiben solle als Depeche des Kriegsministeriums an ihn gerichtet werden, wozu sein stets dienstfertiger Freund und Anhänger, der interimistische Kriegsminister Juan Montenegro,[3] die [368] königliche Bewilligung zu entreißen wußte, und sich beeilte seinen Namen und sein Dienstsiegel unter dieses merkwürdige Actenstück zu setzen. Maroto ließ es durch einen Tagsbefehl aus Orozco vom 23. Juli der Armee bekannt machen.
[369] Wenn die Convention, die ungefähr fünf Wochen später auf den Feldern von Vergara statt fand, nicht schon früher, an oben erwähnter Epoche unterzeichnet und ausgeführt wurde, so dürfte der Grund lediglich in der Hoffnung Maroto’s zu suchen sein, einestheils bessere Conditionen, namentlich die unbedingte Anerkennung der Fueros, von Espartéro und der Madrider Regierung zu erlangen, anderntheils noch mehr Bataillone für sich und seine Zwecke zu gewinnen. Was Letzteres anbetrifft, so wußte Maroto zu gut, daß, wie groß sein Einfluß auf die Truppen auch sein mochte, er doch nie eine Unterwerfung unter die feindlichen Banner erreichen konnte, wenn er voraus seine wahren Zwecke und Plane ihnen mitgetheilt hätte. Auch hütete er sich wohl es zu thun. Seine Anhänger, die er, aus den Mißvergnügten gewählt, an die Spitze der Brigaden und Bataillone gestellt, denen ihre Grade und Orden anerkannt wurden, die wußten vollkommen, wovon es sich handle; für die gibt es keine Rechtfertigung, keine Entschuldigung, vielleicht noch weniger als für Maroto; denn die wurden nicht einmal betrogen, getäuscht, hingehalten; die armen Soldaten hingegen, blendeten „Fueros und [370] Friede,“ Worte, deren wahre Bedeutung sie erst an dem Tage von Vergara zu spät erfuhren.
Ueber die letzten so gewichtigen Wochen, vor dem Verrathe, glaube ich einige trockene Details aus einem weitläufigen Journal entnehmen zu müssen, das von einem Vertrauten Maroto’s geführt, in dessen Portefeuille aufbewahrt ward, und mir ein paar Tage nach der Convention von Vergara im Original vorlag. Die ersten Tage August vergingen in zwecklosen Contremärschen, während beide Generale längst über die Hauptpunkte einverstanden waren. Am 4. hatte Maroto seine letzte Zusammenkunft mit Lord John Hay; am 5. begab sich dieser zu Espartéro und am 9. zog Letzterer, mit dem Gros seiner Armee, von Amurrio nach Vitoria und ließ bei Las Ventas und Santiago seine Flanke unbedeckt, ohne daß Maroto nur Miene machte ihn anzugreifen, sondern nach einem militärischen Spaziergange bis N. S. de Escarestaza, ohne den Feind zu beunruhigen, nach Orozco zurückkehrte. Am 14. fand ein kleines Scheingefecht statt. Als am 16., während Maroto vergeblich auf den in Bilbao accreditirten französischen Consul wartete, der Baron de Los Valles ihm zu melden kam, der König [371] begebe sich nach dem Bastan, um die insurgirten zwei Bataillone (unter Echeverria) zu ihrer Pflicht zurückzuführen; da sagte Maroto einem seiner Vertrauten: „das ist der erste Schritt zu seinem Verderben.“ Am 18. früh begab sich Maroto nach Villareal de Zumarraga und besprach sich um 9 Uhr Morgens mit dem französischen Consul auf der Straße von Vergara nach Amzuela. Einige Stunden darauf kam der König nach Villareal. Maroto hatte sich zu Bett gelegt und in zwei Tagen zehn Jahre gealtert. Er schnitt seinen Schnurbart ab und ging zum Könige; als er zurückkam, sagte er laut, er habe seine Entlassung angeboten, die jedoch nicht angenommen worden sei. Gleich darauf schickte er seine zwei Knaben nach Tolosa, von wo sie in Begleitung Arizaga’s bald in Bayonne eintrafen. Am 20. zog sich der König nach Villafranca zurück, und Maroto verlegte sein Hauptquartier nach Elorrio. Am 22. nahm Espartéro das Fort von San Antonio de Urquiola, und am 23. Castañeda das befestigte Areta; Negri sollte Ersteres und Simon de la Torre Letzteres vertheidigen, doch leisteten sie nur scheinbaren Widerstand. Am nämlichen Abend rückte [372] Espartéro in Durango ein. Am 24. Morgens standen seine Vorposten in Abadiano, und Nachmittags brachte sein Adjutant Zavala die Propositionen: den König als Infanten von Spanien, die Fueros in ihrer ganzen Ausdehnung, so wie die Grade und Ehrenzeichen der Offiziere anzuerkennen. Maroto sandte sogleich diese Vorschläge an den Kriegsminister Montenegro und fügte bei, er werde am nächsten Tage, behufs weiterer Erklärung, eine Unterredung mit dem feindlichen Feldherrn haben, und verlange Verhaltungsbefehle. Am 25. kam der König nach Villareal; als Maroto sich im Pallaste präsentirte, ließ S. M. ihm bedeuten im Vorzimmer zu warten, welches dem General mit dem Beisatze: „der König werde ihm zeigen, daß er sein Herr sei,“ hinterbracht ward. Da faßte Maroto die Furcht, es sei auf sein Leben abgesehen, und er entfernte sich eilig aus dem Pallaste, unter dem Vorwande dringender Geschäfte. Gleich darauf erfolgte die von allen Blättern besprochene, unglückliche Revue zwischen Villareal und Eluvia. Der König verließ im Galopp den Ort wo die Truppen aufgestellt waren und rief seiner Umgebung zu: „wir sind verrathen.“ Am nächsten Morgen (26.) [373] erfolgte eine Unterredung Maroto’s mit Espartéro in Durango; dieser verweigerte nun die vor zwei Tagen zugesagten, den König und die Fueros betreffenden Anerkennungen, worauf die zwei Generale erbittert schieden und Maroto am selben Tage dem Kriegsminister schrieb: er sei von der Doppelzüngigkeit des feindlichen Generals überzeugt, und entschlossen, ihn nur mehr mit den Waffen zu bekämpfen; er erbitte sich dieserhalb die königlichen Befehle. Als Antwort hierauf, ward Negri ins Hauptquartier geschickt, das Commando an Maroto’s Stelle zu übernehmen, und diesem befohlen sich ins Hoflager zu verfügen und dort zu rechtfertigen. Zugleich erließ Montenegro auf königlichen Befehl eine Proclamation an das Heer, worin (ohne Maroto zu nennen) er indirect des Hochverraths angeklagt ward. Während dessen hatte Maroto (am 27.) dem König geschrieben, um für sich und seine Anhänger Gnade zu erflehen. Doch blieb es bei der ersten Entscheidung, und Maroto konnte nun klar sehen, daß kein Heil für ihn mehr möglich sei. Da trotzte er dem königlichen Befehl und Negri mußte sich zurückziehen. Indessen rückte Espartéro bis Oñate vor, und am selben Tage [374] (29.) vereinten sich Urbiztondo und de la Torre mit ihm. Nun ging Maroto in Alles ein, was von ihm begehrt wurde und erließ am selben Tage aus Zumarraga ein Rundschreiben, worin er erklärte: die unter seinen Befehlen stehenden Truppen, des Krieges müde, wären entschlossen Frieden zu schließen, welches am nächsten Tage geschehen würde. Tags darauf begab er sich nach Vergara, kam jedoch Abends nach Villareal zurück. Am 31. August war Alles zu Ende, der große Wurf geworfen, der den König seiner Krone, siebenjährige blutige Kämpfe ihrer Früchte beraubte. Noch fünf Tage vorher hätte Alles abgewendet werden können; ein Wink des Königs und Maroto wäre bei der Revue bei Villareal durch dieselben Truppen niedergeschossen worden, die so bald darauf mit ihm übergingen; und wenn Alle sich geweigert hätten, Alzàa mit seinen Alavesen hätte bestimmt gehorcht; das gerechteste Strafurtheil wäre vollzogen worden, seitdem Könige Urtheil sprechen und Hochverräther gezüchtigt werden.
[375] Am Abende des 1. Septembers lief eine englische Barke im kleinen Hafen von St. Jean de Luz ein, und setzte einen Marine-Cadeten ans Land, der eiligst ein Postpferd bestieg und, nach einer Stunde schnellen Rittes, dem britischen Consul ein kurzes Billet Lord John Hay’s überbrachte, welches die erste, noch unvollkommene Nachricht von der Convention von Vergara enthielt. Am nachsten Nachmittag langte sie offiziell aus Espartéro’s Hauptquartier an; die spanische Flagge wurde vor dem christinischen Consulats-Gebäude aufgepflanzt, und alle Vorübergehenden erhielten Exemplare der Uebereinkunft. Ich befand mich seit Kurzem in Bayonne, wo ich in der Vorstadt Petit-Bourg, am rechten Ufer des Adour, größtentheils von Basken bewohnt, in einer kleinen Kneipe verborgen lebte. Ich hatte Ende April Paris verlassen und den Weg bis Bayonne mit Duffeau zurückgelegt. Ohne in Details einzugehen, die es mir nicht zusteht zu veröffentlichen, und die auch jetzt, nachdem doch Alles vergebens war, ihr Hauptinteresse verloren, mag hier nur erwähnt werden, daß ich mit Aufträgen kam, Eröffnungen zu machen hatte, die bei einer halbwegs vernünftigen Regierung die schnellste Aufnahme gefunden, [376] die entscheidendsten Resultate zur Folge gehabt hätten. Ein weit aussehender Plan, von einer damals uns befreundeten Regierung unterstützt, wurde dem Ministerium vorgelegt; doch waren dessen sämmtliche Mitglieder schon damals so sehr in Händen Maroto’s, daß sie keine einzige Maßregel ohne dessen Sanction unternahmen; diese wurde beständig verschoben, von einem Tage zum andern hingehalten. So verging, trotz aller Vorstellungen mehrerer bedeutender Männer im Auslande und des Baron de los Valles, der im Hoflager den Gang der Unterhandlungen leitete, eine Woche um die andere, ohne eine definitive Entscheidung erlangen zu können. Ich sollte die königliche Unterschrift in Bayonne abwarten, um sogleich nach Paris, und von dort mit einem Agenten der erwähnten Regierung mich an den betreffenden Hof zu begeben. Doch war Bayonne ein zu gefährlicher Aufenthalt, und ich mußte befürchten, jeden Augenblick in dieser Stadt entdeckt und arretirt zu werden, weßhalb ich mich in dem kleinen Estaminet, am Fuße des Schlosses von Marrac etablirte, dessen ich am Eingange dieses Theils erwähnt. Hier brachte ich über drei Wochen in der strengsten Reclusion zu, auf einen wenige Quadrat-Schuh [377] großen Raum beschränkt, den ich nie verlassen durfte. Wenn das Gastzimmer unter mir von Gendarmen oder Douaniers besucht ward, durfte ich in meiner Clause nicht die geringste Bewegung machen, da sie für unbewohnt galt. Nach Sonnenuntergang schlich sich der königliche Agent, oder einer seiner Leute, durch ein Hinterpförtchen zu mir und brachte die Depechen aus dem Hoflager, die beständig vertrösteten und gewöhnlich für die nächsten Tage Entscheidung versprachen.
Endlich ward mir die Ankunft eines Vertrauten in Vera, an der äußersten Grenze gemeldet; dort sollte ich Antwort erhalten. Von ein paar Schmugglern geführt, begab ich mich sogleich an Ort und Stelle. Die Auskünfte waren zweideutig, unerschöpfend, und aus allem konnte man den Zwiespalt, die zunehmende Gährung im Hoflager und Heere erkennen. Doch war dieß nicht zu ändern, und noch dieselbe Nacht trat ich den Rückweg an. Ob verrathen oder verkauft, will ich nicht entscheiden, doch kaum hatte ich französischen Boden betreten, so wurde ich arretirt. Der Guide, der vor mir herging, war plötzlich verschwunden, als ich in einen dunklen Hohlweg kam, aus dem von allen Seiten Gendarmen und Douaniers auf mich herabstürzten. [378] Eine Blendlaterne wurde mir in’s Gesicht gehalten, und nach dem wenig erfreulichen Ausspruche: „c’est bien lui!“ angedeutet, unweigerlich zu folgen. Ich übergab meine Terzerolen und mußte mir gefallen lassen, genau durchsucht zu werden. Man nahm mir einige unbedeutende Papiere ab, die ich in meinem baskischen Gurte trug; meine Depechen aber, in der Sohle einer meiner Sandalen eingenäht, konnten sie nicht finden. Nach St. Jean de Luz geführt, nahm der Polizei-Commissär sogleich procès verbal auf, und vier Gendarmen bewachten mich die Nacht über. Eine Estaffette ward sogleich an den Sous-Präfecten geschickt, und am nächsten Morgen kam der Befehl, mich unter Bedeckung nach Bayonne zu führen. Es war am 26. Mai, und eben Sonntag; da die Straße von St. Jean de Luz nach Bayonne auch nach dem besuchten Seebade Biaritz führt, mußte ich befürchten, der ganzen schönen Welt von Bayonne, die Sonntags sich dort zu belustigen pflegt, in diesem fatalen Aufzuge zu begegnen. Ich entwickelte diese Gründe dem Brigadier der Gendarmerie, dem die Verantwortlichkeit meines Transportes oblag, worauf er so anständig war, dieses sogleich nach Bayonne zu schreiben [379] und mich erst gegen Abend abzuführen. Er setzte sich zu mir in eine Post-Cariole, zwei Gendarmen ritten daneben, und so kam ich um halb acht Uhr im Hôtel de Commerce an, das mir provisorisch als Wohnung angewiesen worden.
Am nächsten Morgen sollte mein Verhör beginnen, da der Sous-Präfect, nach langem Warten, sich auf einer Landpartie befand. Ich hatte zu gewärtigen, in Folge besonderer Instructionen des Ministeriums, in Begleitung von Gendarmen nach Paris geführt zu werden. Als ich eben mich in Gesellschaft von zweien derselben, die mich à vue bewachten, zum Souper niedersetzte, fand ich in der Serviette meines Couverts ein kleines zusammengerolltes Papier. Ich erkannte die Schriftzüge des Obersten von Lagracinière (ehemaligen königlichen General-Agenten längs der Grenze); er schrieb: „wenn ich noch nicht 25 Jahre zählte und gute Beine hätte, würden 25 Fuß mir nicht zu hoch dünken, besonders wenn unten kein Pflaster ist.“ Der Rath war gut, und eine Stunde darauf, während meine Gendarmen, denen ich tüchtig eingeschenkt hatte, eben im Begriff waren, ein paar frische Flaschen zu öffnen, sprang ich zum Fenster hinaus. Nach kurzem Laufe erreichte ich das Haus eines [380] Freundes, ward auf den Boden, und von dort über einige Giebeldächer in ein andres Haus geführt, das auf eine zweite Gasse gab. Nach zwei Nächten verließ ich Bayonne bei einem Gußregen und ritt, querüber die Landes, bis zum Schlosse F…, einem meiner Freunde gehörig. Drei Tage später war ich, über Auch und Toulouse, in Paris angelangt, wo ich in dem von Handlungsreisenden sehr stark besuchten Hôtel de l’Europe, rue Valois palais-royal, als M. Eugène Pinet, négociant en soieries, natif de Lyon, abstieg und meinen Paß als solcher abgab.[4]
[381] Zehn Tage später war ich mit der Mallepost in Toulouse wieder angelangt. Der königliche Agent, den ich sogleich aufsuchte, zeigte mir eine Regierungs-Currende, die allen Behörden und Posten mein Signalement und einen Preis auf meine Arrestation bekannt machte. Obschon über die Wichtigkeit geschmeichelt, die man auf das Einfangen meiner unbedeutenden Person zu legen schien, machte dieß meine Weiterreise nicht angenehm. Doch hatte der Marquis von L. in Bayonne dafür bereits Sorge getragen, und am nächsten Abend bestieg ich die Imperiale einer Diligence, dem Conducteur derselben anvertraut. Eine halbe Stunde [382] vor Auch begegneten wir einem eleganten Phaëton; auf ein Zeichen meines Führers kletterte ich von meinem Sitze herab und nahm, sobald die Diligence hinweggerollt, neben Herrn A…, Besitzer der erwähnten Equipage Platz. So fuhren wir im schärfsten Trabe durch Auch durch, an allen Posten vorbei. Nach einer Stunde bestieg ich wieder meinen alten Sitz. Mit einer Blouse, einem Strohhut und großen Leinwand-Regenschirm folgte ich einer alten Frau durch die winkligen Gassen von Tarbes, und einige Stunden später führte mich eine schlanke Bearneser Dirne, nachdem ich in einem Bauerhause die Kleidung dieses Landes angethan, längs der Gave dicht am Schlosse Heinrich IV. vorbei, um Pau herum. Am zweiten Tage Mittags ward ich beim Schlosse des Baron D’O… abgesetzt und von dessen liebenswürdiger Familie freundlichst aufgenommen. Nach einem vortrefflichen Diner bestieg ich ein Jagdpferd des Baron und hetzte mit einigen benachbarten Edelleuten querfeldein bis St. L…, dessen Eigenthümer Herr von R… sich unter meinen Begleitern befand und artig bedauerte, daß auf meiner, von Bayonne aus, streng vorgezeichneten Marschroute sein Schloß nicht als Nachtquartier [383] bezeichnet worden. Nach kurzem Halt ritten wir weiter, und nach Sonnenuntergang stiegen wir beim Schlosse M… ab, das am Ufer des Adour herrlich gelegen, mit Terrassen und Gärten umgeben, Herrn von …e gehört. Die Königin (Prinzessin von Beyra) hatte hier 3 Tage zugebracht, ehe sie die Grenze überschritt. Mit ächter Gastfreundschaft empfing mich der Herr dieses schönen Landsitzes, und obwohl ich nicht das Recht habe, die legitimistischen Edelleute, die auf diesen und anderen Zügen mich so freundlich aufnahmen, zu nennen, so drücke ich ihnen doch Allen meinen öffentlichen Dank hier aus. Sie sind sämmtlich wahre Royalisten, im ehrenvollsten Umfange des Wortes, und ihr Leben hat bei den feinen Sitten der besten Gesellschaft eine patriarchalische Einfachheit beibehalten, welche die größte Hochachtung verdient.
Am zweiten Abende setzte mich eine Barke an das linke Adour Ufer, wo ein Schmuggler mit zwei Kleppern mich erwartete. Nach wenigen Stunden hielt ich vor dem Hause des größten baskischen Schleichhändler-Chefs. Ich will weder die allerliebste Lage dieses Hauses, noch die marquante Gestalt seines Besitzers [384] näher beschreiben, da Letzterer wahrscheinlich sein Metier mit dem besten Erfolge jetzt noch forttreibt. Nur so viel, daß es am Ufer der Nive, in einem lieblichen Gebirgsthal gelegen, und ich nahe an fünf Wochen darin unter den Schleichhändlern zubrachte. Ein geräumiges Zimmer ward ganz comfortabel für mich eingerichtet; die alte Mutter meines Hausherrn besorgte die Küche, und seine junge Schwester servirte mein schmackhaftes und reinliches Essen. Ein Schmuggler brachte mir meinen Diener zu, der seit meiner Arrestation, im Estaminet von Marrac verborgen geblieben, und so entbehrte ich, unter meinen wilden Hausgenossen, keiner einzigen Bequemlichkeit. Alle Nächte trafen die Gesellen des freien Meisters (hacheros de contrabanda) mit der Correspondenz aus dem Hoflager ein; ich wurde geweckt; dann gab es durch ein paar Stunden Arbeit, worauf andere Schmuggler die Ankömmlinge ablösten und die Depechen nach Bayonne trugen. Oefter wurden große Transporte von Pferden oder Kriegsbedarf, von meinem Hause aus expedirt; dann war um uns her das regste Leben. Gegen Sonnenuntergang kamen verbündete Schleichhändler und Knechte von allen Seiten herbeigelaufen, oder auf ihren Maulthieren [385] geritten; die gefährlichsten Pässe wurden militärisch durch Schildwachen besetzt, nach den Douaniersposten geschickt deren Bewegungen zu beobachten, und die Hunde losgekoppelt, die Umgegend des Hauses zu durchspüren. Die Nacht über aßen, tranken und jubelten Alle, und gegen 3 Uhr Morgens dachte man gewöhnlich an den Abmarsch, wog die Ballen, packte sie zu gleichförmigen Lasten und vertheilte sie unter die Läufer und Reiter. Salpeter war der gewöhnlichste Artikel; die Fußgänger trugen bis zu dem Gewichte von 2 Centnern, die Maulthiere 6 bis 8. Wenn es große Transporte von 100 und mehr Maulthieren galt, wurde gewöhnlich ein kleiner Unbedeutender exponirt und preisgegeben; über diesen fiel dann die Douane her und versäumte den Wichtigern, der über Schluchten und Abgründe meist sicher auf spanischem Boden anlangte. Einzelne Douaniers wagen es nie die Schmuggler anzuhalten, die ihre Waffen, das lange Messer und den schwer beschlagenen Stock, mit furchtbarer Geschicklichkeit zu führen wissen; auch hing auf jedem Maulthiere ein Carabiner.
Diese Züge hatten wirklich etwas großartiges; ich habe mehrere derselben theilweise mitgemacht, da die [386] Geschäfte, die mich an diese Gegend fesselten, öftere Zusammenkünfte auf spanischem Boden mit Personen, die aus dem Hoflager hiezu eintrafen, nöthig machten.
Endlich schien Alles auf Abschließung zu deuten, und auch Maroto hatte in diesem Sinne geschrieben. Da ward Duffeau, den er ein zweites Mal mit geheimen Aufträgen, zu einem nochmaligen Versuche französischer Mediation, nach Paris geschickt, bei seiner Rückkehr von Gendarmen aufgegriffen und vor den Sous-Präfecten geführt. Nach einer halbstündigen Unterredung ließ ihn dieser frei, gab ihm einen Paß nach Spanien und befahl den Grenzbehörden ihm keine Hindernisse in den Weg zu legen. In einer einsamen Borda oberhalb St. Jean de Luz hatte ich in der Nacht des 25. Juli eine Unterredung mit ihm; es wurde mir nicht schwer sie mit andern Nachrichten zu combiniren und auf baldige sichere Umwälzungen zu schließen. Am folgenden 7. August war ich wieder in Spanien und kam in der Venta von Landivar mit dem Baron de Los Valles zusammen. Dieser treue Diener des Königs sah eben so klar wie ich, doch mußte auch er auf ohnmächtige Klagen sich beschränken, da den Wenigen, die eingreifen und helfen [387] konnten, der Muth oder der Wille fehlte. Am folgenden Tage sprach ich in Bayonne Lord Ranelagh, der aus dem Hoflager kam und meine Ansichten nur bestätigte.
Endlich kam am 10. die Nachricht von der Insurrection des fünften Bataillons von Navarra unter dem Hofcaplan Echeverria, der als ehemaliger Präsident ihrer Junta großen Einfluß auf diese Leute ausübte. Von nun an mußte Jeder, nicht gänzlich Befangene, mit jedem Tage einer schmählichen Auflösung entgegensehen, da drei Parteien im eigenen Feldlager, die Anhänger Maroto’s, die Echeverria’s und die wenigen unter sich Entzweiten, die um den König geblieben, sich offener und gehässiger bekriegten als je den Feind. Der 31. August bestätigte nur zu sehr alle diese traurigen Ahnungen. Von nun an schienen Alle im Hoflager den Kopf gänzlich verloren zu haben; statt die letzten Kräfte zu sammeln, eine Diversion über den Ebro nach Castilien oder Aragon zu unternehmen, den Kriegsschauplatz in die Umgegend der Hauptstadt zu versetzen oder sich mit Cabrera zu vereinen, dachten die Meisten nur an Flucht, an Rettung ihrer Person und Habe. Täglich [388] kamen hunderte von Beamten, Höflingen, Mönchen, Frauen, meist aus der berüchtigten Klasse der Ojalatéros auf französischen Boden über Zugarramurdi und die Alduiden; aus der Masse dieser Flüchtlinge, die nun Bayonne und die umliegenden Orte anfüllten, konnte man erst recht entnehmen, welche Landplage sie für Navarra und die drei baskischen Provinzen gewesen. Allerlei Gräuel wurden an der Grenze an wehrlosen Greisen und Frauen durch die debandirten Navarresen verübt, endlich am 6. September durch die Ermordung des General-Capitains Moreno diesen Schandthaten die Krone aufgesetzt.
Am 13. September kam der König nach Urdax, nur von einigen Bataillons und ein paar Escadrons gefolgt. Nach einigen Stunden ward bekannt, Espartéro sei in Elisondo eingerückt, worauf der König seinen Adjutanten, General Zabala, an den französischen General Harispe und den Sous-Präfecten Hénault nach Bayonne schickte, seine Absicht, sich auf französischen Boden zu begeben, ihnen anzuzeigen und anzufragen, welches Schicksal ihn und seine Anhänger erwarte. Es ward ihm geantwortet, er würde mit aller, seinem Range gebührenden Ehrfurcht behandelt [389] werden, auch Pässe für sich und sein Gefolge erhalten; die höheren Offiziere (les chefs) sollten ihre Säbel behalten, die Truppen, nach erfolgter Desarmirung, in Depôts abgehen. Am 14. um 2 Uhr Nachmittags waren alle Höhen, die Urdax von drei Seiten umgeben, mit Feinden bedeckt; bald begann das cantabrische Bataillon, das die Zugänge des Dorfes besetzte, ein lebhaftes Feuer. Dann wurde Generalmarsch geschlagen, und von sämmtlichen Truppen begleitet, ritt der König der Grenze zu. Auf Befehl Elio’s, der in den letzten Tagen das Commando führte, blieben die 100 Hatschiere der Fußgarde in Urdax zurück; an ihre Spitze stellten sich Villarreal, Gomez, der Graf von Madeira, Merino, Zabala, die treu gebliebenen Häuptlinge, die so oft größere Massen zum Siege geführt, und nun mit dem letzten Häuflein den Schauplatz ihres Ruhmes nur kämpfend verlassen wollten. Mehrere Offiziere gesellten sich zu ihnen, die feindlichen Kugeln zum letzten Mal zu begrüßen; unter ihnen bemerkte man den Grafen Stanislaus von Blacas, Sohn des Herzogs von Blacas, der vor einigen Monaten eingetroffen war, ein liebenswürdiger junger Mann und [390] mein späterer Reisegefährte bis Bourges. Endlich stieg der Feind in das Thal von Urdax hinab, und unter beständigem Feuer zogen sich die Hatschiere langsam zurück. Die feindliche Cavallerie chargirte sie; an der Grenzbrücke Dancharria angelangt, feuerten sie noch einmal ihre Gewehre ab, und die Garde Carl’s V. war auf französischem Boden.
Von der Brücke Dancharria bis zum Dorfe Ainhoa war französisches Linienmilitär aufgestellt. Augenblicklich wurde unsere Colonne desarmirt, und der gestrigen Versprechungen ungeachtet, Niemand ausgenommen. Der siegreiche Degen Villarreal’s, die Klinge des kühnen Gomez, die in der Sonne der vier Andalusien gestrahlt, und viele andre in hundert Gefechten erprobte Schwerter fielen in die unreinen Hände französischer Polizei- und Zollbeamten. Als man auch den Infanten Don Sebastian entwaffnen wollte, weigerte er sich und sagte: diesen Säbel habe er siegreich geführt und würde sich nie von ihm trennen. Der französische Commissär besaß noch so viel Scham nicht weiter zu insistiren. Zwischen zwei Reihen französischer Soldaten wurde unsere Colonne von Ainhoa links über die Nivelle nach dem [391] Dorfe Saint Pée geführt, und dem königlichen Gefolge bedeutet, dieß sei, bis auf weitere Ordre, der vorläufige Aufenthalt Aller. Ein Gendarmerie-Posten und einige Compagnien Infanterie besetzten das Dorf und die Zugänge zum Hause des Friedens-Richter, das der König bewohnte. Alle umgrenzenden Höhen bedeckten Truppen; wir waren also Gefangene. Die düstre Stimmung, die dieser erste Wortbruch bei Allen hervorbrachte, entging den französischen Behörden nicht; auch schienen sie einen verzweifelten Entschluß, vielleicht Aufruhr und Versuch einer Rückkehr nach Spanien zu befürchten. Als der Sous-Präfect im kleinen Hausflur, der den königlichen Vorsaal vertrat, alle marquanten Personen gewahrte, wurde er ängstlich und erklärte, er könne zahlreiche Versammlungen nicht dulden; nur die im Dienste wären, dürften hier verbleiben. Den Eintritt zu wehren, setzten er und der Friedens-Richter Goyeneche sich vor die Thür des kleinen Gemachs worin der König, die Königin und der Prinz von Asturien sich befanden. Demungeachtet gelang es doch einem nach dem Andern durchzudringen, unsern unglücklichen Herrn zu sprechen. Der König war sehr gefaßt; man sah, daß er alle [392] Hoffnung nicht aufgegeben hatte. Er wußte nicht was ihm bevorstehe, doch als Einige von uns ihm die gegründete Besorgniß ausdrückten, die französische Regierung möchte ihn gefangen zurückhalten, wollte er diesem Gedanken nicht Raum geben und meinte, es wäre ein undenkbarer Wortbruch gegen das feierliche Versprechen, das im Namen des Königs der Franzosen und im Auftrage seines Ministeriums durch die Bayonner Behörden gegeben worden; überdieß wäre es auch eine flagrante Verletzung des Völkerrechtes, welche die drei nordischen Großmächte wohl nicht dulden würden. Der Infant Don Sebastian war sehr aufgeregt, und sagte mir einmal über das Andere: „Wenn man mich noch zuletzt hätte handeln lassen, in Kurzem hätten wir einen zweiten Tag von Oriamendi gehabt.“ Er schien unsern Wächtern vorzüglich Besorgniß einzuflößen, sie beobachteten jede seiner Bewegungen ängstlich und mochten wohl einen coup de tête, etwa eine Rückkehr auf spanischen Boden, allein oder mit einem Häuflein, befürchten.
Dieser Zustand dauerte am folgenden 15. fort. Der Telegraph hatte über die letzten Ereignisse nach Paris berichtet, und die französischen Behörden warteten [393] die Antwort ab. Am 16. Morgens kam sie, und lautete: die Truppen sollten nach Marrac und in andere Orte um Bayonne so schnell als möglich geführt, und von dort nach verschiedenen Punkten im Innern Frankreichs internirt werden, die Häuptlinge bis auf weitere Ordre sich nach Bayonne verfügen. Der königlichen Familie wurde nur eine ganz kleine Umgebung gelassen, mit der sie in Begleitung eines Polizei-Commissairs und unter strenger Bewachung nach Périgueux abgehen solle. Jedem ward die Stunde seines Abgangs bestimmt, und Niemand durfte länger verweilen oder sich von dem vorgezeichneten Wege entfernen. Gegen Mittag ritt auch ich mit dem Grafen von Blacas und dem Baron de los Valles ab; Bayonne war mit Carlisten angefüllt und beinahe nirgends Platz zur Unterkunft. Als es hieß, der König würde Abends durch Bayonne kommen und Pferde wechseln, versammelten sich viele seiner Anhänger auf dem Platze, Abschied von ihm zu nehmen. Doch sobald dieß den französischen Behörden bekannt ward, ließen sie die Postpferde auf die Höhe von Saint Esprit, außerhalb der Stadt stellen und den König bei Nacht und Regen, nach geflissentlich verzögerter Abreise, durch Bayonne [394] in größtem Galopp führen. Nur wenige von uns erlangten durch Zufall hievon Kenntniß und liefen auf die besagte Anhöhe, wo eben drei Wagen hielten, von Polizeidienern und Gendarmen umgeben. Wir drängten uns durch sie, zum Ersten und klopften an das Fenster. Der König, die Königin, der Prinz von Asturien und Don Sebastian saßen darin; doch kaum hatte mir der unglückliche Herr die Hand gegeben, ich ihm meine letzten Wünsche und Hoffnungen zugerufen, so saßen schon die Postillone auf, der Sous-Präfect rief „en avant“ und pfeilschnell verlor sich der Wagen in Nacht und Nebel; er führte gefangen den königlichen Herrn ab, mit dem ich gehofft hatte siegreich in die Hauptstadt seines Reiches einzuziehen.
[395] Zehn Tage darauf war ich in Bourges, der Stadt, die dem Könige als Gefängniß angewiesen worden. Im Hôtel de la Panette sah ich den unglücklichen Fürsten wieder, der als Opfer des schändlichsten Verrathes und der Indifferenz unserer Zeit gefallen. Die französische Regierung glaubte vielleicht den Spaniern, durch unwürdige Gefangenschaft ihres Königs, den Frieden zu geben. Die letzten Ereignisse haben diese Hoffnungen zu Nichte gemacht. Eine große historische Gerechtigkeit hat Carl V. und seine Vertheidiger gerächt. Kaum hatte der letzte carlistische Soldat Spanien verlassen, als derselbe Zwiespalt im Hofe und Lager unserer Feinde ausbrach, der unsern Untergang beschleunigt hatte. Die Ereignisse von Barcelona und Valencia, die gewaltsame Abdication der Königin Christine, und in der neuesten Zeit die Reaction ihrer Anhänger in den Provinzen, haben die Unhaltbarkeit einer constitutionellen Regierung auf revolutionär moderner Basis gezeigt. Das Blut Diego Leons und aller politischen Opfer für die Espartéro kein Wort der Gnade fand, schreit um Sühne; noch ist der Aufstand in dem alten Kriegsschauplatze kaum gedämpft, noch haben sich die Folgen der militärischen Despotie [396] des Regenten dort nicht gezeigt, und schon regen sich in den großen Städten der Ostküste überall thätig republikanische Sympathien. Spanien ist gewiß von Frieden und Ruhe entfernter als je. Ströme Blutes werden noch in diesem Lande fließen, große Bewegungen sich heben und legen, viel muß noch ausgähren. Das Ende mag Gott allein absehen; Menschen haben nichts gethan, um es herbeizuführen.
- ↑ Guérgué und Maroto führten diesen Titel, seit der König nach Rückkehr seiner Expedition im Manifeste von Arciniega (29. October 1837) erklärt hatte, er stelle sich selbst an die Spitze seines Heeres.
- ↑ König und Königin (Rey y Reina) geben im Spanischen Plural: Los Reyes, etwa wie im Deutschen die Worte Bruder und Schwester: Geschwister.
- ↑ Dieser erbärmliche Mensch trieb zwar die Schamlosigkeit nicht so weit, ihm auf die Felder von Vergara zu [368] folgen, doch ließ er seinen Herrn und sein Portefeuille im Stich und ergriff eiligst die Flucht, sobald er den König in Gefahr wußte umzingelt zu werden, und er eine ultra-royalistische Reaction befürchten konnte, deren Symptome, nach dem Beispiele der Insurrection des 5. und 12. Bataillons von Navarra unter Echeverria, sich bereits zu manifestiren anfingen. Der König soll über Montenegro’s Flucht sehr ergriffen gewesen sein. Scheint es doch fast, als ob die gewöhnlichsten Begriffe von Scham und Ehre in dieser Familie nicht anzutreffen wären, mit einziger Ausnahme des Artillerie-Directors General Montenegro, gegen den nichts Ehrenrühriges anzuführen ist. Juan Montenegro, des Ministers Bruder, ehemaliger Kammerdiener Ferdinand VII., der als Ruheposten das Consulat in Genua erhielt, hat immer eine höchst zweideutige Rolle gespielt, und Joaquin, des Kammerdieners Sohn, entblödete sich nicht durch sechs Jahre in Wien, in Grenadier-Capitains-Uniform, Romanzen zu trillern und ein paar Briefe des Grafen Alcudia abzuschreiben, während jeder junge Spanier, dem ein Herz im Leibe schlug, sich für eine oder die andere Partei auf dem Kriegsschauplatze befand.
- ↑ Am selben Morgen las ich in allen Zeitungen folgenden Artikel: un poste de gendarmerie placé en embuscade à l’extrême frontière d’Espagne, avait arrêté le 26. Mai le g. p. de L. au moment où il rentrait en France, venant à ce que l’on suppose du quartier-général de Don Carlos. Conduit à Bayonne par la gendarmerie pour être mis à la disposition du sous-préfet, il y arriva vers huit heures du soir et fût déposé dans l’hôtel du commerce, sous la surveillance de deux gendarmes de cette ville, qui étaient chargés de le garder à vue pour le représenter le lendemain à l’autorité. Au moment où le prisonnier soupait, profitant d’un moment [381] d’inadvertance de ses argus, il s’élança par la fenêtre et disparut comme l’éclair, sans que jusqu’à présent, malgré la plus grande activité et toutes les recherches imaginables, on ait seulement pû découvrir ses traces. Dix-sept gendarmes ont été mis en campagne pour explorer les environs et tous les douaniers de la frontière sont en mouvement, mais en vain; M. de L. paraît avoir disparu de la surface de la terre. On croit que son passage a été dénoncé aux autorités par un des agens de la faction Teijeiro, qui pullullent dans cette contrée, des deux côtés de la frontière.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: Marota