Erinnerungen aus den Jahren 1837, 1838 und 1839/Zweiter Theil/V
Executionen des Grafen de España. – Frau von Mondedeú. – Vorschlag und Brief an Cabrera. – Eröffnung der Campagne. – Requisitionsmittel. – Der Pfarrer von Valsarén. – Lit de justice in Caserras. – Expedition vor Cardóna. – Marco del Pont. – Hauptquartier im Priorate Puig-Reig. – Zerstörung der Häuser um Berga. – Expedition nach dem obern Segre und dem Thale von Aran. – Die Republik Andorra. – Einnahme von Viella. – Affaire an der Brücke von Escaló. – Rückzug bis Oliana. – Abgang von der catalonischen Armee und Zug bis Perpignan. – Ueber die Ermordung des Grafen de España.
[232] [233] Das Leben im Hauptquartier des Grafen de España war ziemlich einförmig, wenn gleich sehr thätig, da sein stets rastloser Geist sich und Andern wenig Ruhe ließ. Wenn man sich in die originellen Seiten, mitunter barocken Einfälle des launigen Greises zu schicken wußte, war es leicht mit ihm gut auszukommen; denn unter seinem oft strengen und barschen Aeußern schlug ein warmes Herz, freilich manchmal etwas tief verborgen. Es war ihm in seinem bewegten Leben zur andern Natur geworden, alle weichen Regungen als Schwächen zu unterdrücken; aus diesem beständigen Kampfe, zwischen wohlwollenden Gefühlen und dem, was er gewissenhaft für Pflicht hielt, erfolgten manchmal Widersprüche, die von Fremden falsch ausgelegt wurden; so geschah es oftmals, daß nachdem man ihn gerührt, zu sanften Maßregeln bewegt [234] hatte, er plötzlich zu erwachen, sich zu ermannen schien, und dann leider zuweilen desto schärfere Aussprüche erfolgten, als er sich von seiner Richtschnur weit abgeleitet glaubte.
Es ist oft und viel von der Grausamkeit, Blutgier des Grafen de España die Rede gewesen; alle Blätter haben sich hierüber breit ausgelassen, und selbst viele Royalisten mit festem Glauben bedauert, unsere gerechte und heilige Sache durch derlei Gräuel befleckt zu sehen. Ich habe dieses Alles oft mit angehört, auch zu verschiedenen Malen dem Grafen de España französische und spanische Zeitungen vorgelesen, die ihn als „Unmensch, Bluthund, Raubthier (fiera) und Tiger“ qualifizirten; was letztere Benennung anbetrifft, so war sie sogar dermaßen zum stehenden Epitheton geworden (el ex-conde de España, este tigre gavacho), daß als einst der Eco del Comercio unsern Bandenführer der Mancha, Palillos, einen Tiger nannte, de España lächelnd meinte, das wäre usurpirt, er sei der legitime Tiger.
Auf den Grund dieser Diatriben zu kommen dürfte wohl nicht schwer sein; alle liberalen Blätter der Welt wiederholen nur zu gern, ohne weiterer [235] Untersuchung, Lügen und Verläumdungen über hochgestellte Personen, besonders wenn sie, Instrumente königlicher Strafgerichte, mit Vollführung strenger Urtheile beauftragt sind. Ich kann nur aus eigener Erfahrung sprechen; mein Urtheil mag vielleicht als Carlist nicht unpartheiisch scheinen, unabhängig ist es jedenfalls. – Ich habe den Grafen de España oft unerbittlich, vielleicht zu streng gesehen, besonders wenn er Desertion, Räuber, Insubordination, vorsätzlichen Ungehorsam, Feigheit und Aufwiegler zu strafen hatte; ungerecht, willkührlich grausam ist er mir nie erschienen, und gar die Anklage einer Lust am Strafen, freudigen Ingrimms, die so oft erhoben wurde, muß ich aus meiner innigsten Ueberzeugung mit Abscheu zurückweisen. An einigen Grundsätzen hielt er, so viel mir seine Handlungen erklärlich waren, mit unbeugsamer Festigkeit, und alle persönliche Berücksichtigung, alle Bitten hätten ihn nicht erschüttert. So strafte er Offiziere strenger als Soldaten, und diese Strenge wuchs mit dem Range der Schuldigen. Seinen Gerichten gab er möglichste Publizität, verwandte Alles daran, große, langhaltende Eindrücke in den Augen der Menge hervorzubringen, ihr zu imponiren; er [236] schien weniger, Sühne dem Gesetze geben als abschreckende Beispiele statuiren zu wollen. Von öffentlich ausgesprochenen Entscheidungen war er nie abzubringen, besonders wo es galt jene Verbrechen zu züchtigen, die in Catalonien allgemein eingerissen hatten, wie Plünderung, Erpressungen wehrloser Landleute. Er fällte seine Urtheile nur langsam, nachdem er, in sich verschlossen, einige Zeit darüber nachgedacht, düster hingebrütet hatte; dann wurden sie hell, klar, mit donnernder Stimme ausgesprochen und die Ausführung folgte stets auf dem Fuße; aber wehe dem, der gesucht hätte ihn zu influenziren oder gar aufzureizen, gegen den hätte sich der ganze Zorn des General-Capitains gewandt.
Wenige Tage nach meiner Ankunft in Caserras habe ich zwei Executionen beiwohnen müssen; sie sind mir um so lebhafter im Gedächtniß geblieben, als auch ich, von der eisenen Härte des Grafen de España, übertriebene Begriffe nach Catalonien mitgebracht. Einige Landleute waren mit Klagen über vermummte Personen zu ihm gekommen, allem Anscheine nach über carlistische Offiziere, die einzeln stehende Höfe überfallen, die Wirthe an Bäume gebunden und unter [237] furchtbaren Drohungen zur Herausgabe ihrer baaren Habe gezwungen hatten. Die Wuth des Generals war gränzenlos; er schwor bei U. L. F. vom Monserrat und bei seiner Ehre, ein furchtbares Gericht halten zu wollen. Augenblicklich gab er einem Cabo de mozos und zwanzig Miñonen geheime Befehle, und machte Ersteren für das Einbringen der Schuldigen, bei seinem Kopfe verantwortlich. Als sie weg waren, ward er ruhiger; doch im ersten Momente seines Zornes wagte Niemand in seine Nähe zu treten. – Nach zwei Tagen kamen die ausgeschickten Miñones zurück und brachten drei Offiziere mit: Tristany’s Adjutanten und zwei ehemalige Lieutenants seiner Bande, die sämmtlich vor Kurzem durch de España in ein Depôt, unter Aufsicht (de cuartel), geschickt worden. Eine durch zehn Minuten versammelte Untersuchungs-Commission verhörte, überwies und verurtheilte sie; dann sandte der General ihnen einen Beichtvater zu, und am nächsten Morgen wurden sie auf dem Exerzierplatze vor Caserras, in Gegenwart sämmtlicher Truppen fusillirt. Er selbst war zugegen, sein ganzer Generalstab, alle im Hauptquartier anwesenden Offiziere und Beamte mußten ebenfalls beiwohnen. [238] Als der Moment gekommen war, hielt de España eine Anrede an die Truppen, erzählte ihnen kurz die Geschichte des Verbrechens, und ließ Feuer geben. Nachdem sie gefallen, entblößte er sein Haupt und wandte sich zu seinem Gefolge: „Meine Herren, beten wir zu Gott für die Seelen der Verstorbenen.“ Den ganzen Tag war er verstimmt; als wir Nachmittags am Heerde der Küche saßen, kamen Thränen in seine Augen, und er sagte ein paarmal, mit halblauter Stimme, vor sich hinblickend: encore trois.
Ungefähr zur selben Zeit wurden einige Soldaten eingefangen, die, als Marodeurs zurückgeblieben, kleine Diebereien verübt hatten. Unter ihren Waffen befanden sich die bereits erwähnten Cuchillos; eines war eingesägt. Bei diesem Anblicke gerieth der General in so ungemessenen Zorn, als ich ihn früher nie, selbst nicht beim eben angeführten Vorfall, gesehen. Ich glaube, wenn die Inculpaten vor ihm gestanden hätten, er würde sie selbst niedergestochen haben. Sogleich ward Generalmarsch geschlagen, die Garnison im Carré formirt, und der unglückliche Besitzer des dentelirten Messers in die Mitte geführt. Es wurde ihm mit Stricken, einem Pferdgebiß gleich, in den Mund [239] gebunden, und so sollte er, durch 200 Mann, zehnmal Spießruthen laufen. Nach den ersten Gängen fiel er halbtod hin und wurde weggetragen. De España empfahl den Chirurgen die größte Sorgfalt, und als nach einigen Tagen der Sträfling gehen konnte, ward er mit demselben Ceremoniell, das bei seiner Züchtigung angewendet worden, todgeschossen. Seine Spießgesellen, die ungesägte Messer geführt hatten, kamen mit Spießruthen davon.
Doch genug von diesen schauderhaften Scenen, auf die ich nur mit Widerwillen zurückkomme. Ein anderes Bild, seltsamer, fast wehmüthiger Natur, ist mir noch im Gedächtniß und mag zur Complettirung der Skizzen über den Grafen de España, hier Platz finden. – Bei der vorschnellen Uebergabe von Solsóna war mit der Garnison ihr Chef, Oberst Mondedeú, gefangen worden und schmachtete im Castell von Barcelona. Wir waren auf dem Punkte, einen Austausch von Gefangenen vorzunehmen; da kam Mondedeú’s Gattin, warf sich dem General zu Füßen und beschwor ihn, ihren Mann in der Convention zu begreifen. Es war eine junge, kaum sechzehnjährige Portugiesin, klein und schlank, mit moresken [240] Gesichtszügen und glühenden Augen. Ihre südlichen Formen, das vollkommene Ebenmaß ihrer Glieder, gaben ihr einen besondern Reiz, wie, in Thränen aufgelöst, an die Knie des alten Mannes geschmiegt, sie flehend zu ihm aufblickte. De España war in sichtlicher Verlegenheit, bat, tröstete im liebenswürdigsten, sanftesten Ton; Alles vergebens; sie wollte nicht aufstehen, bis der General sein Wort als Edelmann (palábra de Caballéro) gegeben; doch damit schien er nicht heraus zu wollen. Endlich glaubte auch ich, ausnahmsweise fürsprechen zu müssen, und nannte den Namen eines in Carall befindlichen christinischen Obersten, der gegen Mondedeú ausgewechselt werden könnte; doch ein strenger Blick de España’s schloß mir den Mund. – Bei allem Aufwande von Galanterie, die schöne Frau zu trösten, blieb er unerbittlich; er lud sie zu Tische, gab ihr den Arm, legte selbst ihr die besten Stücke vor; doch wie sie von ihrem Manne zu sprechen anfing, fiel ihr der General mit kläglicher Miene in’s Wort: „Um Gott! Señora, kränkt mich doch nicht so.“ Als wir endlich allein waren, versicherte er mich, schon lange nicht so viel gelitten zu haben; „ich kann,“ schloß er, „den Oberst [241] Mondedeú nicht auswechseln; denn ich müßte ihn für die elende Vertheidigung von Solsóna vor ein Kriegsgericht stellen und erschießen lassen; das Beste für ihn ist also, daß er gefangen bleibt. Doch seiner Frau konnte ich das freilich nicht sagen.“[1]
Die aufgehobene Belagerung von Morella, der Sieg bei Maëlla über Pardiñas und die Einnahme von Caspe, hatten Cabrera ein so entschiedenes Uebergewicht gegeben, daß eine größere Operation, in combinirter Mitwirkung mit ihm, ein Lieblingswunsch de España’s zu sein schien. Weit entfernt von jener Eifersucht, die bei spanischen Generalen so gewöhnlich ist, vernahm er stets mit Freude die Siegesbotschaften des jungen Feldherrn, und sandte ihm in den ersten Tagen Oktober einen Offizier mit ausgedehnten Vollmachten, eine Vereinigung beider Truppencorps oder mindestens eine Zusammenkunft der zwei Generale zu besprechen. Er schrieb an Cabrera: „Ich zähle so viel Jahre als General-Lieutenant, als E. E. an Leben, und doch werde ich mich freudig mit meinen [242] Truppen unter die Befehle des siegreichen Feldherrn stellen, den die Vorsehung zum Instrument ihrer Plane ausersehen zu haben scheint.“ Zwei detaillirte Vorschläge, die auch später de España Herrn von Rahden mitgab, waren diesem Briefe beigefügt. Der erste lautete dahin, daß zwei Divisionen Cabrera’s den Ebro bei Flix passiren, sich links gegen Lerida wenden und – in Vereinigung mit einer catalonischen Division, die bereits bei Ager, auf dem Höhenrücken zwischen dem Segre und dem Nogueras Ribagorzana, eine feste Stellung genommen hätte, – in das Obere Aragon einrücken und die Verbindung mit Navarra eröffnen sollten. Das feindliche Armee-Corps unter van Meer, als das einzige disponible, hätte unmittelbar dagegen operiren müssen, und de España mit den drei übrigen Divisionen sich sofort auf dessen Communicationen geworfen. – Der zweite Vorschlag war vielleicht mehr auf das spezielle Interesse der Operationen in Catalonien berechnet: Cabrera sollte den Ebro bei Xerta oder Mora de Ebro passiren, sich sogleich auf das offene Reús, eine der reichsten catalonischen Küstenstädte, werfen, und dann im Vereine mit der Division Ybañez (el Llarj de Copons), [243] im Felde von Tarragona, operiren. Ehe van Meer zu Hülfe eilen könne, müßten Reús genommen, und die reichsten Capitalisten als Geißel nebst den dort aufgehäuften Kriegsvorräthen abgeführt werden. De España würde dann seinerseits, mit seinen übrigen Truppen, über van Meer herfallen, der nur mit getheilten Kräften auftreten könnte.
Diese beiden Pläne sind an vielen Gründen gescheitert, vielleicht auch an der Abneigung Cabrera’s, über den Ebro zu setzen und mit seinen Truppen an dessen rechtem Ufer zu operiren, da er immer mehr nach dem Süden oder nach Madrid, dem Herzen der Monarchie hin, getrachtet hat, und nur die äußerste Nothwendigkeit ihn vermochte, als Alles verloren war, sich in der letzten Zeit unsers Kampfes nach Catalonien zu wenden.
Der Herbst rückte indessen heran, und mit ihm der, von de España zur Eröffnung der Feindseligkeiten ausersehene Moment. Als er zuerst dem Finanz-Intendanten davon sprach, und um den Zustand der Kriegscassen sich erkundigte, klagte dieser über Geldnoth. Doch konnte eine solche Rücksicht de España nicht zurückhalten; auch versprach er ihm [244] baldigst abzuhelfen, und fragte nur, welche Summe etwa fehle und zur nächsten Auszahlung der Truppen nöthig sei. Oberst Camps erhielt den Befehl einen, mit den Gebirgsstrichen des Obern Aragon vertrauten Offizier und einige Reiter in’s Hauptquartier zu senden, welchen der General geheime Befehle gab. Als nach etwa zehn Tagen Niemand mehr an diesen Gegenstand dachte, traf die kleine Streifpartei unvermuthet eines Mittags in Caserras ein; sie brachte zwei reiche aragonesische Edelleute mit, die sie auf ihren Landsitzen, in der Umgegend von Zaragoza, auf mehr als sechzig Leguas vom Hauptquartier, mitten in feindlichen Bezirken, bei Nacht heimlich aufgehoben und auf Maulthieren in Eile mitgeführt hatte. Die beiden Gefangenen, Namens Pitarque und Peralta, waren die friedlichsten Menschen, und nicht die geringste Theilnahme für eine oder die andere der kriegführenden Parteien ihnen vorzuwerfen. Sie wurden vom General sehr artig aufgenommen; er beklagte ihr Mißgeschick, ließ sie, durch die ganze Zeit ihrer Haft, aus seiner Küche beköstigen und gab ihnen ein paar Miñones zur Bedienung und Aufsicht. Als sie um den Grund dieser gewaltsamen Entführung frugen, wies de España sie an den Intendanten, wobei er [245] sehr über Mangel und Entbehrungen im Heere jammerte. Der Intendant aber erklärte ihnen trocken, daß ein jeder der beiden Herren ein Lösegeld von 10,000 Piaster (etwa 50,400 Francs) als Anlehen entrichten müßte, worauf sie sogleich in Freiheit gesetzt werden sollten. Eine gehörige Schuldverschreibung, Seitens der königlichen Intendantur, werde ihnen ausgestellt, und nach Beendigung des Kriegs der vollständige Betrag aus den Staatscassen zurückgezahlt werden. Obgleich die bestürzten Aragonesen nicht viel von der Güte der angebotenen Schuldverschreibung halten mochten, mußten sie sich dennoch in das Unvermeidliche fügen, zogen Wechsel auf einige Häuser in Barcelona, und wurden, nachdem der Betrag in Frankreich in sichere Hände deponirt worden, sogleich bis in ihre Heimath zurückgeführt. Dieß hatte mehrere Wochen gewährt, während welchen sie sich vollkommen in ihre neue Lage gefunden zu haben schienen; sie aßen oft beim General und sprachen nie von ihrer Angelegenheit, da sie wohl wußten, dieß sei ganz fruchtlos.
In Auswegen dieser Art, Geld zu schaffen, war Graf de España unerschöpflich. Er kannte sehr wohl ihre nicht ganz lautern Seiten, bedauerte sehr darauf gewiesen zu sein; doch entschuldigte er Alles [246] mit den Bedürfnissen des Heeres, die jeder übrigen Rücksicht vorgehen müßten, und mit der Nothwendigkeit, den uns ergebenen Gegenden Erleichterung zu verschaffen. Oft meinte er, lieber selbst stehlen als zugeben zu wollen, daß, durch Elend dazu getrieben, seine Soldaten es thäten oder gar kümmerlich zu Grunde gingen, und er fand es weit passender, reiche Leute zu Zwangsdarlehen (emprestitos forzosos, dieser in den spanischen Finanz-Operationen so allgemein gewordene Ausdruck) zu nöthigen, als einem armen carlistischen Gebirgsdorfe die letzte Heerde wegzutreiben.
Besonders lauerte er jenen Geistlichen auf, die unter dem Schutze vom Feinde besetzter Plätze, sich der Entrichtung des Zehents entzogen, welches, einem päbstlichen Breve zufolge, sie als Kriegssteuer in die königlichen Cassen zu zahlen verpflichtet waren. De España machte förmlich Jagd auf sie, war in Listen zu ihrer Einfangung unübertrefflich, und wenn er eines derselben habhaft ward, so ließ er ihn bestimmt nicht eher los, bis der letzte Maravedis der rückständigen Schuld nachgetragen, und wohl noch irgend eine milde Gabe für die Soldaten hinzugefügt war.
Noch muß ich des Pfarrers von Valsarén gedenken, den auf eigene Art ein solches Los traf. Dieser Geistliche [247] hatte seit mehreren Jahren sich oftmals vergeblich mahnen lassen, auf die Garnison seines Ortes pochend. Da traf es sich, daß der Pfarrer eines benachbarten Dorfes, auf geringe Entfernung von Valsarén, zum Kirchweihfeste seine Collegen zu sich gebeten hatte. Als eben alle Gäste bei Tische saßen, erschien ein Detachement Reiter, umzingelte das Haus, und führte den Pfarrer von Valsarén, der sich unvorsichtiger Weise auch darunter befand, nach Caserras ab. De España behandelte ihn mit aller Schonung und Achtung; er versicherte den armen Cura, dieß gehöre durchaus nicht vor sein Forum, sondern müsse von den geistlichen Behörden entschieden werden. Der General-Feldvicar Sort und der Domherr Torrebadella, des Generals gewöhnliche geistliche Begleiter, übernahmen sofort ihren recalcitranten Amtsgenossen, und verurtheilten ihn, nicht nur die rückständigen Abgaben zu entrichten, sondern auch zur Strafe seiner Saumseligkeit zweihundert Hemde und Säcke (moral, statt Tornister von den carlistischen Soldaten getragen) zu zahlen. Nachdem dieß geschehen und der Pfarrer in sein Kirchspiel zurückgekehrt, ließ de España seiner Rache an ihm noch Luft, indem er in unserer zu [248] Berga erscheinenden Zeitung, el Restauradór Catalan (früher el Joven Observadór genannt), veröffentlichte: der würdige Pfarrer von Valsarén, obwohl von Rebellen umgeben, habe ihnen getrotzt und sich freiwillig ins Hauptquartier verfügt, durch Einzahlung der schuldigen Abgaben und großmüthige Geschenke an das königliche Heer einen Beweis seiner royalistischen Grundsätze abzulegen. Einige wollten dem General bemerklich machen, dieser Artikel, im feindlichen Hauptquartier gelesen, könne für den Pfarrer von ernsten, peinlichen Folgen sein, doch war er nicht abzubringen und meinte, ein revolutionärer Pfarrer sei die scheußlichste Mißgeburt, und verdiene keine Rücksicht.
Endlich sollte aufgebrochen werden. De España wählte hiezu den vierten November, als den Namenstag des Königs. Wenige Tage zuvor war die Ankunft der Prinzessin von Beyra auf spanischen Boden, und gleich darauf ihre Vermählung mit dem Könige (durch Procuration mit dem Marquis de Obando zu Salzburg am zweiten Februar, und vollzogen zu Azcoitia am zwanzigsten Oktober 1838) uns bekannt geworden. De España ließ diese Nachricht mit Te Deum und Revue der Truppen begehen, und wollte sie zugleich [249] benützen die mit allerlei Arrestanten gefüllten Gefängnisse von Berga und Caserras zu leeren, da ihre Ernährung in ersterem Platze eben so schwierig wurde, als nach unserem Abmarsche ihre Bewachung in Letzterem unmöglich. – Ein Feind aller weitläufigen Procedur, ließ er daher eines Morgens sämmtliche Inculpaten, unter Bedeckung, auf dem Exercier-Platze bei Caserras in zwei Reihen aufstellen und hielt einen, in seiner Art gewiß einzigen Gerichtstag. Von seinem Generalstabe und dem Personal der Militair-Commission begleitet, schritt der General von Einem zum Andern. Verhör und Urtheil dauerten nie länger als fünf Minuten, meist viel weniger. Es waren im Ganzen 156 Gefangene, darunter einige Greise, die kaum gehen konnten, und mehrere liederliche Weiber, die ohne Ausweis in Caserras und Berga sich herumgetrieben hatten. Die Meisten waren Alcalden und Bauern, mit den Steuern rückständiger Ortschaften; die wurden mit einem derben Verweise entlassen. Einem neunzigjährigen, des Spionirens verdächtigen Greise sagte der General: „Mein Vater, Ihr seid zu alt und dem Grabe zu nahe, um ein so schlechtes Handwerk zu treiben; geht nach Hause und betet lieber.“ [250] Dann gab er ihm einige Piaster. Ein paar Bursche, die auf unrechten Wegen ertappt, sich nicht legitimiren konnten und auch für Spione gehalten wurden, und einige National-Garden schickte er nach Carall als Kriegsgefangene, um sie gelegentlich auswechseln zu können. Drei Maulthiertreiber, die mit Armee-Proviant durchgegangen waren, wurden jeder zu hundert Stockstreichen verurtheilt, die sie auch sogleich erhielten. Den Weibern wurde das Haupt geschoren (rapar, eine in Spanien für derlei Volk gewöhnliche Strafe), worauf der General sie, zum großen Gelächter aller Soldaten, bis vor die Vorposten wegjagen ließ. Endlich kam man zu drei Bauerknechten, worunter ein Cretin; sie waren aus den Gebirgsthälern bei Campredon und überwiesen, einen carlistischen Stabsoffizier, dem sie als Guiden über die Grenze dienten, nebst seinem Diener ermordet zu haben. Die vollständigen Beweise hatten bis dahin gefehlt, weßhalb ihre Hinrichtung unterblieben war. Der General ließ mit großen Buchstaben auf Bögen Papier „Asesino“ schreiben, ihnen diese umhängen, sie vor allen Truppen herumführen und dann rücklings fusilliren. Nach kaum mehr als zwei Stunden war das lit de justice beendet und Niemand [251] mehr in den Gefängnissen. Von dem schauderhaften Zustande, in dem diese Leute sich befunden hatten, kann man sich kaum einen Begriff machen. Abgemagert, bleich und eingefallen, von Ungeziefer verzehrt, waren sie nur mehr mit faulenden Lumpen kaum nothdürftig bedeckt, und Vielen hätte das paradiesische Feigenblatt Noth gethan. Ich habe nie ein so gräßliches Bild menschlichen Elends gesehen.
Am vierten November Nachmittags verließen wir also Caserras, bloß der Generalstab und Miñones folgten dem General; mir war wieder wohl mich auf dem Marsche zu befinden, denn aller Thätigkeit des Hauptquartiers ungeachtet, war das Leben doch sehr einförmig gewesen. Drei Stunden lang zogen wir durch die Ebene, dann über eine enge Schlucht, an deren Höhe Monblanch, ein großes Dorf lag. Gegen Sonnenuntergang kamen wir in ein enges, langes Thal, wo wir 6 Bataillons, 5 Feldgeschütze und 120 Pferde bereits bivouaquirend trafen. Mitten im Thale stand ein einzelnes Feldwirthshaus, im übrigen Spanien venta, in Catalonien hostal genannt (etwa wie man in Schlesien Kretscham sagt). Dieses hieß hostal del Visbe (vom Bischof); der General [252] schlug sein Hauptquartier darin auf. Die Truppen, die im Thale und an den beiden Lehnen eine Menge Feuer angemacht hatten, kochten in den blechenen Kochgeschirren, die de España vor Kurzem, je für zwölf Mann eines, eingeführt hatte. Sie wurden gut rationirt, Brod, Speck, Reis, Kartoffeln, Bohnen und Salz ausgetheilt. Diese Kochgeschirre wiesen sich als vortrefflich aus; früher liefen die Soldaten in die Häuser, stahlen die Töpfe der Bauern, aßen schlecht und verübten Unordnungen. Dem war nun gesteuert.
Am nächsten Morgen verließen wir das Bivouac erst um sieben Uhr, da es schon anfing spät licht zu werden und der General das feindliche Terrain und die schlechten Steige, die wir zu passiren hatten, nicht im Dunklen betreten wollte. In einer reich bewässerten Ebene ward über Gargaglia und Sorba am Ufer der Ayguadora marschirt. Wir waren nur mehr auf 7/4 Stunden von Cardona, das wir, die Umgegend dominirend, am Ausgange des Thales erblickten. Nach Uebersteigung eines Bergrückens und 41/2 stündigem Marsche kamen wir an’s Ufer des Cardenet und nahmen oberhalb der Brücke von Golorons [253] Position, an einem durch die Natur zu einer formidablen Stellung geschaffenen Orte. Zu unserer Linken lag ein Dorf, Clariana, gerade vor uns, die Hauptstraße, die von Cardona nach Solsóna führt. Jetzt erst wurde bekannt, daß es auf den Angriff einer feindlichen Colonne abgesehen sei, die zur Ravitaillirung des letztern Ortes mit bedeutendem Convoi erwartet wurde. Entweder wollte sie auf der Heerstraße vorrücken und mußte dann den Divisionen Ybañez und Porredon in die Hände fallen, die der General-Capitain in die Sierra de Berguz (oder Vergos) beordert hatte, von wo sie alle Engpässe, durch welche die Chaussee sich schlängelt, dominiren konnten; oder sie schlugen die rechte Nebenstraße ein, die bei der Brücke von Golorons über den Cardenet führt, in welchem Falle auch nicht Ein Mann entkommen konnte. Oberhalb der Brücke erhebt sich das Terrain terrassenförmig, bis zu einem platt abgestumpften Kegel; auf den verschiedenen Schichten wurden die Baracken der Bivouacs etablirt, ein großer Theil noch im Stande vorgefunden, da schon öfters einzelne Guérillas hier verweilt hatten. Auf dem, direct die Brücke überragenden Punkte stellte der General-Capitain die fünf Geschütze auf; er [254] selbst und sein Gefolge bewohnten ein kleines Gebäude, das die Platte des Kegels krönte. Gegen Abend vernahmen wir durch einige Zeit ziemlich anhaltendes Feuern in der Gegend der Heerstraße; es mochte auf drei Stunden Entfernung sein. Wir konnten also über die Ankunft unserer zwei Divisionen an den bezeichneten Punkten beruhigt sein; doch hoffte de España der Feind werde sich nicht in die Defiléen der großen Straße wagen, beim Beginn des Angriffs zurückweichen und die zweite Straße einschlagen, wodurch er in der nämlichen Nacht oder spätestens am nächsten Morgen uns zufallen mußte. Deßhalb verblieben wir ruhig in unsern festen Stellungen, was sehr zu bedauern war, da ein unverzügliches Vorrücken bis zur Chaussee uns nothwendig in den Stand gesetzt hätte, den Feind zugleich von allen Seiten anzugreifen, seine nahe an 8000 Mann starke Colonne gänzlich aufzureiben, und uns seines reichen Convois zu bemächtigen. Das ohne denselben unhaltbare Solsóna hätte sofort dann capituliren müssen. Ich will mit diesen Worten ja keinen Tadel auf meinen kriegserfahrenen Chef werfen, sondern drücke hier blos ein Urtheil aus, das er später selbst gefällt.
[255] Um zwei Uhr Morgens kam die Nachricht, daß Porredon und Ybañez den Feind vergeblich durch mehrere Stunden harcelirt, ihm zwar beträchtlichen Schaden zugefügt hatten, jedoch sein Eindringen bis Solsóna und die Rettung des Convois nicht zu verhindern vermochten. Unsere Divisionen hatten der von Baron van Meer in Person angeführten Colonne, bis unter die Mauern von Solsóna, auf dem Fuße gefolgt und dann auf einer Stunde von diesem Platze in dominirender Stellung beim Dorfe Clará ihr Bivouac aufgeschlagen. Der Hauptzweck unserer kleinen Expedition war sonach verfehlt; doch blieb noch immer die Möglichkeit, den aus Solsóna zurückkehrenden Feind anzugreifen und in den Engpässen zu vernichten. Auch scheint es nicht unwahrscheinlich, daß Graf de España vielleicht großentheils darauf bedacht war, den Gehorsam seiner Häuptlinge zu prüfen und zu sehen, ob sie sich auf seinen ersten Wink, aus den entferntesten Theilen der Provinz, zur gegebenen Zeit, am rechten Orte einfinden würden; eine Aufgabe, der bekanntlich keiner seiner Vorgänger gewachsen war. Um zehn Uhr Morgens verließen wir das Bivouac, zogen über die Brücke von Golorons, durch Schluchten [256] und über steile Bergrücken, an der Rectoria de Riné vorbei, im Angesichte von Solsóna, auf eine Stunde von diesem Orte, und bivouaquirten auf einem von Bäumen umgebenen Plateau, das von der Natur zu diesem Zwecke bestimmt schien. Ein einzeln stehendes Schloß mit weitläufigen Dependenzien nahm wieder den General-Capitain und sein Gefolge auf. In Kurzem war der halbe Wald herum, unter den Aexten der Sappeurs gefallen, den um das Schloß bivouaquirenden Truppen Feuer zu geben. De España liebte, besonders bei gutem Wetter, die Truppen bivouaquiren zu lassen; doch dehnte er diese Neigung nicht auf sich selbst aus, und zog meist vor, unter Dach und Fach zu liegen. Er meinte, er habe in seiner Jugend genug campiren müssen. Uebrigens that er gewiß ganz wohl daran, da eine Erkältung oder ein Gichtanfall die Catalonier um ihren Chef bringen oder mindestens die Operationen lähmen konnte.
Am 7. Morgens trafen Ybañez und Porredon im Schlosse Martina, unserem Bivouac, ein. De España umarmte Beide zärtlich und lobte sie ihrer Pünktlichkeit wegen. Des langen Ybañez treuherzig ehrfurchtvolles Wesen, wenn er, zum General herabgebogen, [257] beständig mit dem Kopfe nickend, aufmerksam zuhörte, bot einen merkwürdigen Contrast zur stämmig dickligen Figur des rothhaarigen Porredon, dessen kleine Augen unstet umherrollten und Niemand recht zu trauen schienen. Ybañez hatte zwei Adjutanten bei sich, die beinahe so lange wie ihr Chef, er gewiß mit Willen von solcher Größe ausgesucht hatte. Porredon folgten seine drei Söhne, abscheuliche Ableger ihres rothen Erzeugers. Diese drei kleinen Bursche schienen unter den schwarzen Spaniern förmlich zu brennen.
Nach einem kurzen Frühstück, bei dem ich mit Porredon eine rührende Wiedererkennungs-Scene gefeiert (aus Barbastro und der Schlacht bei Guisona wird er vielleicht meinen Lesern im Gedächtniß geblieben sein) ward aufgebrochen. Bei Freysinet, auf eine Stunde vom Bivouac, campirte die Cavallerie auf einem ziemlich breiten Bergplateau und in Su, einem großen Marktflecken, zwei Stunden weiter, trafen wir die Blessirten vom gestrigen Tage. Nach drei Viertelstunden stießen wir auf die Truppen der beiden, oben erwähnten Häuptlinge, im Ganzen neun Bataillons und vierzig Pferde; zusammen ungefähr 5000 Mann, da Porredons Bataillone zwar [258] meist schwach, die des Ybañez hingegen von unverhältnißmäßiger Stärke waren. Abends langten wir bei den Torres de Berguz (Vergos) an, in der Sierra de Boxadera, eine halbe Stunde von Cardona, dem festesten Punkt in Catalonien. Cardona, auf einen isolirten Felskegel gebaut, dominirt die Umgegend und ist der eigentliche Schlüssel der ganzen Gebirgskette. Bedeutende Salzbergwerke, in ihrer Qualität und Ausbeute nur mit denen von Wieliczka in österreichisch Galizien vergleichbar, liegen im Bereiche der Kanonen, welche, 56 an der Zahl, durchaus bronzene Vierundzwanzigpfünder, die Festung vertheidigen. Mit Sehnsucht blickten wir auf das schöne Castell, ein Meisterstück militärischer Baukunst, die Hauptstütze des Feindes in diesem größtentheils den königlichen Waffen unterthanen Theile Cataloniens. Cardona war für uns unerreichbar; es ward nie genommen, weder im Successionskriege (da erst der Utrechter Friede diese Festung, auf der bis zuletzt die österreichische Flagge geweht, den Generalen Philipp’s V. übergab), noch im Unabhängigkeitskriege, in welchem die Franzosen nie Herren derselben werden konnten.
Unser Chef des Generalstabs, Oberst Perez [259] Davila, früher Gouverneur von Cardona unter Ferdinand VII., war eben damit beschäftigt, uns den Plan und die Stärke dieser Festung auseinander zu setzen, als, von einem Detachement Reiter Cabrera’s begleitet, drei Männer auf Maulthieren bei uns eintrafen. Der eine, ein hoher Siebziger, saß auf orientalische Weise, mit unterschlagenen Beinen, auf einem thurmhohen, bettförmigen Sitze. Es war der Staatsrath Marco del Pont, unser Finanzminister während der letzten Zeit, der eben von einer kleinen Insel (ich glaube Plana oder Tabarca), nicht weit von Alicante, kam, wo er seit Anfang des Krieges verborgen gelebt hatte. Er begab sich nach dem Hoflager, soll früher einen großen Theil seines bedeutenden Vermögens dem Könige und der königlichen Familie zum Opfer gebracht haben, und ein redlicher Mann sein. Ich habe ihn nur durch zwei Tage gesehen, doch ist mir in Erinnerung geblieben, daß er mit großer Sicherheit radicale Veränderungen versprach, wenn er nur einmal im Hoflager angelangt sein würde. Er hat, so vielen Andern gleich, nichts bewirkt. Viele wollen ihm Doppelzüngigkeit und Achselträgerei vorwerfen; so viel scheint gewiß, daß jene in allen öffentlichen Blättern oft erwähnte unglückliche [260] Correspondenz des Königs mit Arias-Teijeiro durch seine Hände ging, als sich dieser Exminister in Cabrera’s Hauptquartier befand. Die Animosität und alle üblen Folgen, die einige dieser Briefe hervorbrachten, welche durch Espartéro aufgefangen, an Maroto geschickt wurden, sind bekannt genug.
Abends schlugen die Sappeurs der Bataillone Baracken auf, und die sämmtlichen Truppen bivouaquirten am Abhange der Sierra in Ausdehnung einer Meile, Cardona gegenüber. Einige hundert Feuer brannten bei einbrechender Nacht. Zwei Signal-Schüsse von Cardona kündeten den benachbarten feindlichen Garnisonen unsere Anwesenheit an, und wie Nachhall hörten wir in weiter Ferne San Pedor und Manresa sie wiederholen. Bald erhöhte eine sternenhelle Nacht den Zauber dieser romantischen Gegend. Riesenmäßig streckte der Monserrat seine felsigen Gipfel über alle Berge und Sierren und schien mehr vom Firmamente als von der Erde umgeben. Alle Truppen mußten vor das Bivouac treten und das Gewehr präsentiren; alle Trommeln wirbelten, die Musikcorps fielen klingend ein und mit lauter Stimme, entblößten [261] Hauptes, rief der General-Capitän: „Catalonier, beten wir zur Schutzpatronin unseres Landes, zu U. L. F. vom Monserrat.“ Fast im selben Augenblicke loderten auf den Höhen, die unsern Horizont begrenzten, zwischen Castell Adrall und Suria, zahlreiche Feuer in langen Linien. Es war das Aufgebot der Somatènen, die mit Jagdflinten, Carabinern, Spießen und Sensen bewaffnet, 2000 Mann stark, auf den Ruf des greisen Brigadiers Samsó, eines der ältesten Häuptlinge der Halbinsel, sich dort versammelt hatten, dem Feinde, in uns entgegengesetzter Richtung, den Rückzug abzuschneiden, die Verbindung zwischen Cardona und Manresa zu interceptiren, über Nachzügler herzufallen und die feindlichen Couriere wegzufangen. Sichern Nachrichten zufolge, sollte eine starke feindliche Truppenabtheilung aus den Ebenen von Barcelona über San Pedor und Suria nach Cardona marschiren, um Belagerungsgeschütze in dieser Festung zu deponiren, „sie zu seinen weiteren Operationen näher zu haben,“ nach van Meer’s Ausdruck in aufgefangenen Depeschen. Es wurde uns unzweifelhaft, daß es auf eine Demonstration gegen Berga, vielleicht Belagerung dieses Platzes, abgesehen war.
[262] Täglich kamen viele Ueberläufer mit Waffen und Munition bei unsern Vorposten an; am neunten präsentirte sich sogar eine ganze Wache vom Regiment Albuhera, achtzehn Mann mit ihrem Unteroffizier. Zum Lobe der königlichen Truppen mag angeführt werden, daß die ganze Zeit über, während eines beständigen Contactes mit dem Feinde, auch nicht ein Mann desertirte, indessen durch die fünf Tage, die wir vor Cardona campirten, über 80 feindliche Soldaten sich bei unsern Vedetten meldeten, worunter Engländer, Franzosen, Deutsche und Italiener von der portugiesischen Legion (Cazadóres do Oporto), die von pedristischen Diensten in christinische übergegangen; Abenteurer aller Nationen, in ihrer Anzahl schon sehr geschmälert und herabgekommen, die dem Schicksal der französischen und englischen Hülfstruppen entgegen gingen, und beinahe gänzlich ausgerottet wurden. Ihr Chef, Borso di Carminati (fusillirt im October 1841 zu Zaragoza, als in den O’Donnell’schen Aufstand verwickelt) ein Piemonteser und seit zwanzig Jahren in alle revolutionairen Händel verwickelt, war zwar wie seine Soldaten ein Abenteurer, soll aber übrigens ein tüchtiger Soldat gewesen sein.
[263] Am 10. ward eine kleine Recognoscirung von 8 Compagnien, 40 Pferden und 2 Feldgeschützen bis unter die Mauern von Cardona geschickt, die Garnison herauszulocken. Unsere ersten Schüsse wurden anfänglich nicht beantwortet, und erst nach geraumer Weile schickte uns die stolze Citadelle vornehm ein Paar vierundzwanzigpfündige Kugeln, die in eine kleine Gartenmauer einschlugen, hinter der unsere Vierpfünder bescheiden aufgestellt waren. Die umherfliegenden Steine verwundeten einige Artilleristen. Endlich entschloß sich die Garnison einen kleinen Ausfall zu machen, vermuthlich um unsere Piecen wegzufangen, da er doch sonst zwecklos gewesen wäre. Auch sagte mir Oberst Davila, auf das geöffnete Thor des Castells zeigend: „wenn ich noch Gouverneur von Cardona wäre, statt zu schießen oder auszufallen, würde ich mich jetzt schlafen legen.“ Klein-Gewehrfeuer, das bis zur einbrechenden Nacht dauerte, war das einzige Resultat und kostete beiden Theilen einige Todte und Verwundete.
Am 11. Morgens erhielt der General-Capitain die Nachricht, daß die feindliche Colonne, von Manresa aus, nach Barcelona zurückgekehrt sei, einem Zusammentreffen [264] mit uns auszuweichen. Diese Kunde erregte allgemeine Unzufriedenheit, denn Alle hatten mit Ungeduld einer ernsten Affaire entgegengesehen. Augenblicklich ward aufgebrochen; nach drei Stunden Marsch kamen wir zum Dorfe Gargaglia zurück, und machten Halt. Die Truppen wurden am Saume eines Eichenwaldes im Carré formirt, der portative Altar aufgeschlagen, und der General-Feldvicar las die Messe; es war Sonntag. Hierauf wurde rationirt und nach einer Stunde der Marsch fortgesetzt. Nachts bivouaquirten wir zwei Leguas von Berga um einen großen Bauernhof herum, Canudas genannt, wo der General-Capitain sein Hauptquartier aufschlug.
Am 12. Morgens zogen wir durch das Thalgebiet des Llobregat, ließen Berga und Caserras links liegen und kamen Nachmittags nach Puig Reig. Die weitläufigen Gebäude des Malteser Priorates, die ich von den Fenstern meiner Wohnung bei Caserras gesehen, nahmen den General, sein Gefolge, den Generalstab und die Miñones auf; sechs Bataillons schlugen Baracken in dem langen schmalen Thale auf, das von Puig Reig in der Richtung von Valsarén sich ausdehnt. Es wurden Gassen alignirt, zwei Plätze [265] ausgesteckt, Offiziers- und Cantine-Baracken designirt; bald hatte dieses Bivouac das Ansehen eines Lustlagers; vom Balcon des Priorates nahmen sich die langen Reihen zeltförmiger Hütten mit Laubwerk und Nadelholz gedeckt, und durch eine fußhohe Steinwand eingefaßt, sehr zierlich und malerisch aus.
De España glaubte fest an eine Belagerung Berga’s und dachte die sämmtlichen feindlichen Kräfte würden hiezu, combinirt mitwirken. Deßhalb hatte er die Position in Puig Reig genommen, welche die Ebene des Llobregat dominirte und die Heerstraße, von Valsarén nach Berga, schließen konnte. Die erste Division, unter Porredon, wurde nach Gironella, auf drei Leguas von Berga gelegt; Ybañez mit seinen sechs Bataillons cantonnirte in Caserras, Avia, und umschloß in engerm Halbkreise die Fläche, welche vor Berga sich ausdehnt. Die Cavallerie, welcher bei dem großen Pferdemangel, de España immer besondere Rücksicht zuwandte, war in das Dorf Puig Reig, unmittelbar am Priorats-Gebäude, einquartirt, da es bei dem General stabile Regel war, die Infanterie so viel, die Cavallerie jedoch so wenig als möglich bivouaquiren zu lassen. Die Concentration so bedeutender [266] Kräfte würde der Umgegend von Berga ein lebhaftes Ansehen gegeben haben, wenn nicht das Niederreißen aller Gebäude, auf eine Stunde im Rayon der Festung, ein schreckliches Bild von Jammer und Zerstörung uns täglich vor die Augen geführt hätte. Graf de España hielt diese harte Maßregel für nothwendig, dem Feinde ein längeres Verweilen vor der Festung, besonders beim Eintreten der schlechten Jahreszeit, unmöglich zu machen. Höhere militärische Rücksichten mögen allerdings hier rechtfertigend eintreten; doch blieb es nicht weniger herzbrechend, die stumme Verzweiflung dieser unglücklichen Familien, sonst wohlhabender Landleute zu sehen, wenn bei ihrer, auf dem Felde umherliegenden Habe stehend, sie kummervoll zusahen, wie das Holz ihrer Dächer weggeschleppt und ihre Mauern niedergerissen wurden. Wenige Wochen vorher hatte die Ebene von Berga ein blühendes, reiches Ansehen gehabt. Ueberall waren Gärten und wohlbebaute Felder, mitten darin standen große, massive Landhäuser, seit Jahrhunderten in denselben Bauerfamilien erblich, und nun, so weit das Auge reichte, nur Bilder von Ruinen und Zerstörung. Diese alten ehrwürdigen Bauern werden nie aus meinem [267] Gedächtnisse schwinden, wenn mit der Beredsamkeit des innersten Schmerzes sie den General-Capitain um Abwendung dieses Fluches baten, der, meinten sie, den königlichen Waffen kein Heil bringen könne: „wir sind so gute Carlisten, als E. E., Herr,“ sagte einer von ihnen als Wortführer, „ich bin in diesem Hause geboren, mein Vater und alle meine Vordern sind es auch; auch meine vier Söhne sind hier geboren, von denen zwei in den carlistischen Reihen fielen; meine zwei letzten Söhne fechten noch jetzt in denselben. Sollte der Feind mein Haus betreten und Berga belagern wollen, so schwinge ich selbst die Brandfackel und lege, der Erste, Feuer an mein Haus. Aber Ihr dürft es nicht niederreißen, auf die bloße Muthmaßung hin; mein Haus ist ein carlistisches Haus und soll Euch heilig sein; legt Ihr Hand an, so ist es Frevel und wird Euch zum Fluch.“ Wir waren Alle tief ergriffen über die sinnvolle Rede, die mit herbem Ausdrucke der alte Bauer unerschrocken dem gefürchteten General-Capitain hielt. Doch war Alles vergebens; der Graf de España blieb fest bei seinem Ausspruche und alle Häuser wurden niedergerissen. Ich habe viele Menschen auf Schlachtfeldern fallen und [268] außer denselben niederschießen sehen, viele Gräuel mit erleben müssen; doch die schrecklichste, ich möchte beinahe sagen unheimlichste Erinnerung ist mir von allen diese geblieben, die ich so eben niedergeschrieben.
Wir waren erst seit einigen Tagen im Priorate Puig Reig einquartirt, als de España Nachts geweckt wurde; nach einer mehrstündigen Unterredung mit einem alten Maulthiertreiber, unserm besten Spion, befahl der General-Capitain, ihm 25 Unzen Goldes (circa 100 Louisd’or) auszuzahlen, und schickte sofort einen Adjutanten an den Brigadier Brujó, der mit der Reserve sich im Corregimente Vich befand. Am zweiten Morgen traf Brujó ein, und ward vom General nach Avia, auf eine Viertelstunde von Berga, beordert; denselben Vormittag ritten wir nach letzterem Orte; die sämmtliche Garnison mußte ausrücken; Niemand durfte zurückbleiben, vom Obersten Pons, Gouverneur von Berga, anzufangen bis zum letzten Tambour; nicht einmal die Schildwachen wurde zurückgelassen oder abgelöst, nur die Artillerie und Fabriksarbeiter blieben, so daß während einer Stunde unser Hauptplatz ohne ein Mann Linientruppen blieb. Als Alle auf dem Glacis versammelt waren, befahl de España dem [269] Obersten Pons die Schlüssel der Festung dem Chef des Generalstabs, Obersten Davila, zu übergeben und mit seiner sämmtlichen Mannschaft sofort nach Puig Reig zu marschiren. Zehn Minuten darauf, zog mit klingendem Spiele Brujó an der Spitze seiner drei Bataillone als neu ernannter Gouverneur in Berga ein.[2] Als zweiter Commandant wurde ihm ein alter catalonischer Edelmann von sehr vornehmen Hause zur Seite gegeben. Bei Aufzählung seiner Namen und der endlosen y’s ist mir immer die Scene des Wirthes in Don Quixote eingefallen, der für so viele Leute keinen Platz hat. Don José de Aymerich de Cruilles y Monistrol etc. etc. gehörte mit Leib und Seele jener bombastigen Race an, die selbst in Spanien schon selten, nur noch in Portugal und vielleicht in Irland zu Hause ist, wo jeder [270] halbwegs anständige Mensch mindestens von zwei königlichen Geschlechtern in directer Linie abstammen will. Trotz seiner Gasconaden hat Aymerich es seiner glorreichen Ahnen nicht unwürdig gefunden, sich später der Madrider Regierung zu unterwerfen; gegenwärtig (October 1841) soll er Präsident eines Kriegsgerichts in Valencia sein, und seine Ernennung ein Hauptgrund des letzten Aufstandes in dieser Stadt, und der Klagen wegen Bevorzugung der carlistischen Ueberläufer (convenidos de Vergara). Zu meiner Zeit war der bereits grauhaarige Edelmann mit einer sehr hübschen jungen Frau vermählt, die jedoch das Unglück hatte, einäugig zu sein, worüber sie launig scherzte und sich mit der berühmten Maitresse König Philipp II. tröstete, der auf allen deutschen Bühnen mit zwei Augen dargestellten Fürstin von Eboli, die auch nur ein, zwar allerdings sehr schönes Auge besessen. In der Gallerie des Herzogs von Ynfantado zu Guadalajara befindet sich ein prachtvolles Gemälde, das die königliche Geliebte darstellt; sie trägt eine Art Schmuck aus Gold und Juwelen, der, einem breiten Bracelet gleich gearbeitet, von der rechten Kopfseite, über die Stirne weg, das fehlende [271] linke Auge verdeckt und, in der Fülle ihrer schwarzen Haare sich verlierend, wahrscheinlich den Umkreis des schönen Hauptes macht. Doña Incarnacion[3] de Aymerich trug zwar kein dergleichen Band über das eine Auge, verstand aber mit dem andern so verführerisch zu coquettiren, daß sie einmal, acht Tage hindurch, mit einem hübschen jungen Stabsoffizier von Berga ausblieb. Ihr gravitätischer Gemahl, durch die Verantwortlichkeit seines Postens verhindert, der flüchtigen Schönen nachzueilen, klagte sein Leidwesen dem General-Capitain. De España, der bei seiner Ankunft ziemlich lockere Sitten im Hauptquartier angetroffen hatte, war in derlei Fällen unerbittlich strenge, und schickte den catalonischen Seladon auf sechs Monate nach dem Fort von San Lorenzo.
[272] Zur Uebung der neuerrichteten Sappeurs-Compagnie, so wie der Bataillons-Sappeurs, hatte der General zwischen Puig Reig und Caserras mehrere Blockhäuser verschiedener Größe und Form aufbauen lassen, die mit großer Schnelligkeit aufgestellt, abgebrochen, an andere Stellen verlegt und mit Gräben umgeben wurden. Eines Tages ritten wir sehr früh nach diesen Blockhäusern, als sie schon längst aufgebaut, isolirt dastanden. Der General betrat allein eines derselben und stellte einen Miñonen als Schildwache davor auf, allen den Eintritt zu verwehren; er blieb mehrere Stunden darin, und die auf dem Felde harrenden Offiziere seines Gefolges gaben sich den verschiedensten Muthmaßungen hin, was wohl der General allein so lange in dem kleinen Blockhause mache. Endlich kam er heraus; Alles ritt fort und de España sah strenge darauf, daß Keiner zurück bleibe. Bei eintretender Nacht wollen einige Personen eine dunkle Gestalt bemerkt haben, die sich aus dem Blockhause wegschlich und die Richtung nach Valsarén einschlug. Etwas Näheres hat man nie erfahren; doch habe ich Gründe zu glauben, daß es ein Vertrauter des Grafen de España war, der in Barcelona [273] unter den Christinos eine bedeutende Stelle bekleidete und im Herzen Carlist geblieben. Genug, daß von diesem Tage an, die außerordentlichen Vorbereitungen, einen Angriff auf Berga zu vereiteln, aufhörten und bald darauf Ybañez mit seinen sechs Bataillons nach dem Felde von Tarragona zurückkehrte.
Nach kurzer Rast brachen auch wir auf, und schlugen abermals die Direction über Monblanch und das Hostal del Visbe ein. Drei zu einer Avantgarde-Brigade formirte Bataillons, deren Befehl dem Obersten Pons übergeben worden, befanden sich unmittelbar bei der Person des General-Capitains, nebst 70 Pferden, 5 Geschützen und einer Sappeur-Compagnie. Porredon mit der ersten Division marschirte auf geringe Entfernung in beinahe paralleler, doch kürzerer Richtung. Nachts ward beim Dorfe Naves bivouaquirt. Die Disciplin, ein vor wenigen Monaten kaum dem Namen nach gekanntes Wort, war bereits zu einem solchen Grade von Pünktlichkeit gediehen, daß während eines siebenstündigen Bivouacs, auf Schußweite vom Dorfe, auch nicht ein Soldat dasselbe betrat und nicht die geringste Unordnung verübt wurde. De España hatte wieder, wie gewöhnlich, [274] sein Hauptquartier in ein großes Landhaus verlegt, das auf geringe Entfernung vom Dorfe sich in der Mitte unsers Bivouacs befand. Dieses Haus, Casa Montanya genannt, war der ächte Typus der reichen adeligen Bauerhäuser, der hijos de algo (Hidalgo); es hatte Solsóna einen Bischof und mehrere Domherren gegeben; auch war, wohl deßhalb, eine ziemlich geräumige Kapelle im Innern des Hauses angebracht. Ein Sohn des alten Hidalgo, der Caplan war und nun zurückgezogen bei seinem Vater lebte, las am andern Morgen die Messe, worauf wir das Bivouac abbrachen und abmarschirten. Wir zogen über den einsamen Eisenhammer und die Brücke von Olius, in einer wild romantischen, und doch in den Thalgründen bebauten Gebirgsgegend, die an die Thäler des Vorarlberg erinnerte. Dann setzten wir über den Cardenet und machten Mittagshalt bei einem, dem heiligen Michael ganz besonders geweihten Landhause; nicht nur, daß Haus und Besitzer diesen Namen führen, sondern das Bild des Erzengels ist auch in Lebensgröße grell prangend über dem Hausthor abgemalt. Nachmittags passirten wir ein nacktes Berg-Plateau, auf ¾ Stunden von Solsóna, dessen Fort unsern [275] Vorbeimarsch durch Kanonenschüsse signalisirte. Dann wandten wir uns nördlich, an Ladurs vorbei, schritten über einen Gebirgskamm und stiegen in das Thal von Timoneda hinab. Wir marschirten durch 4½ Stunde längs des Rio Salado, eines salzigen Wassers, das sich in den Segre ergießt. Nachts bivouaquirten wir an seinem Ufer bei einer großen, einzeln stehenden Mühle, Molino de Querol, deren eintöniges Hämmern uns in sanften Schlaf wiegte. Am nächsten Morgen wateten wir durch eine Furth des Rio Salado und gaben noch einmal unsern Pferden daraus zu trinken, was in der Gegend für sehr gesund gilt. Wir zogen durch ein enges Seitenthal, in dem die Häuser des Dorfes Siura zerstreut umherliegen. Die Rectoria desselben ist auf die höchste Bergspitze gebaut und sah, mit ihren Wällen und Gräben, einem Castell ähnlicher als der Wohnung eines Landpfarrers.
Am Ende des Thales zogen wir durch ein Felsenthor bei Achgarn, und befanden uns plötzlich in dem Thalgebiete des Segre, dem wildesten Theile Cataloniens, das mit Ausnahme der Oase um Oliana, beinahe gar nicht bebaut, den Bewohnern der Hafenstädte und Küstenstriche so unbekannt ist, als handelte [276] es sich von Lappland oder Sibirien. Nach drei Stunden kamen wir nach Oliana, einem ziemlich bedeutenden Orte, in einem dem Anscheine nach, viel südlicheren Thale als die ganze Umgegend. Reiche Maulbeeren- und Oliven-Plantagen umgeben die Stadt, deren Häuser, zwischen Reben- und Oleander-Sträuchen, freundlich hervorblicken. Alles trug Früchte, grünte oder blühte, obwohl im November und von Hochgebirgen umgeben. Der Segre schlängelt sich so sanft und ruhig durch die üppigen Matten dieses lieblichen Thales, daß Niemand an diesem stillen Gewässer den reißenden Gebirgsstrom erkennt, der noch wenige Stunden höher, unter furchtbarem Getöse, sprützend und rauschend, ganze Baumstämme mit sich fortwälzt, Steine und Erdreich in den Abgrund hinabzieht. Am andern Ufer des Stromes, Oliana gegenüber, lehnt an einem Abhange das Städtchen Peramola, ehemals Hauptsitz der Baronie dieses Namens. In geringer Entfernung von Oliana schließt sich das Thal und nur gespaltene Felsen, die ihre gigantischen Häupter zum Himmel recken, bilden das Flußbeet des eingeengten Segre. Auf dem höchsten Gipfel des einen Felsens, einer Warte gleich den Paß zu hüten, weitragend [277] über Berg und Thal, steht eine im Lande berühmte Einsiedelei, N. S. de la Lièvre.
Senkrecht unter derselben, zwängt sich zwischen Fels und Strom der einzige Weg, der nach den Thälern von Urgel und der Republik Andorra führt. Der historische Segre (Sicuris) ist der Strom der Cäsaren, über den Hannibal die erste Brücke schlug. Hier drängt er seinen raschen Lauf durch eine ununterbrochene Reihe enger Felspässe, deren himmelhohe Granitblöcke, über das Flußbeet ragend, sich entgegenneigen. Der Steig zieht sich bald auf dieser, bald auf jener Seite, je nachdem Strom und Ufer es möglich machen, oft durch kühne luftige Bogen, Arcaden gleich aufgethürmt, vor dem Einsturze bewahrt. Diese Bogen sind römischer Arbeit; die colossalen Dimensionen ihrer Quadern bezeugen es. Drei Brücken verbinden den Steig; die Erste ist im Lande unter dem Namen Puente de los Espias seit undenklicher Zeit bekannt, und in Einem Bogen luftig hoch gespannt. Eine alte Sage berichtet: die Grafen von Barcelona hätten Verräther und Spione, ihnen häufig durch die feindlichen Grafen von Castilien zugeschickt, von dieser Brücke hinabschleudern lassen, wo sie in den Wellen [278] des reißenden Gebirgsstromes, an den Riffen und Granitblöcken einen sichern Tod gefunden.[4]
Die Zweite, eine Stunde von der Erstern, heißt Puente del Diablo; sie besteht aus zwei Brücken, über einander gewölbt. Die Untere ist schwach und gefährlich, die Obere massiv und sicher. Einer Legende zufolge, hat der Teufel den untern Bogen gespannt, und jeder Christ, der über denselben gegangen, ward unwillkührlich in den Strudel hinabgerissen; da habe denn ein frommer Eremit aus der nahen Klause N. S. de la Lièvre, von U. L. F. vom Monserrat den zweiten Bogen erbeten, der fest und sicher, gleichsam der Ewigkeit trotzend, sich über den Ersten wölbt. Eine halbe Stunde weiter, stehen mächtige Fragmente der dritten Brücke; sie wurde, wie auch das Castell am Brückenkopf, während des großen Successionskrieges zerstört; sie öffnet die Seú d’Urgel und schließt den Paß, genannt: de los tres puentes. Am Eingange steht: Philippus Hispanus, Convenarum Episcopus.[5] [279] Die Jahreszahl ist verwischt. Einzelne Gehöfte (Hostals), aus Flußstein und Granit gebaut, hängen hie und da am Felsen, Adlerhorsten gleich. Es sind die Nachtquartiere der Eisenarbeiter, Jäger, Fischer und Maulthiertreiber, die Schlupfwinkel der vielen Schleichhändler, die in der kleinen Republick Andorra, mitten im Hochgebirge der Pyreneen, mit ihren französischen Genossen zusammenkommen, und von dort aus Catalonien und Aragon mit verbotenen Waaren anfüllen. In letzter Zeit ist diesen Hostals eine größere Bedeutung geworden. Manche derselben wurden in Forts umgewandelt, sperrten die Pässe, waren oft Zeugen blutiger Gefechte, und die Anhaltspunkte der Guérillas beider Parteien. In einem derselben, hostal es Pluvins genannt, brachten wir die Nacht zu. Es liegt mitten im Passe, auf geringe Entfernung von der Brücke de los Espias. Wohl ahnte Keiner von uns damals, daß kaum ein Jahr später diese wilde Gegend Zeuge so gräuelvoller Auftritte sein würde. Der General und sein Gefolge bezogen das Hostal. Die Miñones campirten herum und die Truppen wurden vorausgeschickt, das erste Dorf außerhalb des Passes, Coll de Nargó zu besetzen; am andern Morgen [280] passirten wir durch dasselbe und gegen Mittag langten wir in Organya an. Diese Stadt war der Hauptsitz der Carlisten in jenen Gegenden, und durch einige schwache Fortificationen gegen einen Handstreich gesichert. Hier empfing der General eine Deputation der Republik Andorra, welche den regierenden Syndicus an der Spitze, für einige christinische Tendenzen Abbitte zu thun kam, die mit Nichtachtung der Neutralitätsverpflichtungen, die dieses kleine Ländchen übernommen, an den Tag gelegt worden.
Andorra, nächst San Marino, die kleinste Republik in Europa, rühmt sich mehrtausendjährigen Bestandes, seiner Anerkennung durch Cäsar, Karl den Großen und Napoleon. Der Bischof der Seú d’Urgel ist bekanntlich souveräner Fürst dieser Republik, unter Schutzherrlichkeit der Könige von Frankreich und Spanien, denen ein sehr mäßiger Geldtribut, wohl mehr der Form wegen, entrichtet wird. Die Uebernahme desselben, die Bestätigung des auf Lebenszeit ernannten regierenden Syndicus, und bei dieser Gelegenheit die erneuerte Sanction der Privilegien, geschieht für den König von Spanien durch den General-Capitain von Catalonien, französischer Seits durch [281] den Präfecten des Ariège Departements; früher fand es in Toulouse durch den Stadthalter des Languedoc statt. Die Angst vor der christinischen Besatzung der Seú d’Urgel hatte die Andorresen vermocht dem Feinde anzuzeigen, wenn carlistische Offiziere, aus Frankreich kommend, ihr Gebiet betraten, um sich nach Spanien zu begeben, so daß es nothwendig geworden, Truppen an ihre Grenze zu schicken, und die Correspondenz statt über Foix auf dem längern Wege über Perpignan zu führen. Der General-Capitain benützte seine Anwesenheit in ihrer Nähe, um sie mit Verwüstung ihres Thales und einer nahmhaften Kriegssteuer zu bedrohen, falls sie sich derlei vertragswidrige Handlungen noch beikommen ließen. Nachdem er dem Syndicus und der Deputation, die viel von ihrer Reue gesprochen, einen derben Verweis gegeben, schloß er mit den Worten: „sonst werde ich in Euer Thal marschiren und Euch alle bei den Köpfen nehmen, ohne daß deßhalb Euer Mit-Schutzherr, (Co-Suzerano) meines Königs Erlauchter Vetter und Freund, der König der Franzosen, Euere Partei nehmen, oder uns den Krieg erklären wird.“
Abends kamen die Alcalden und Municipalitäten vieler, im höchsten Gebirge halb versteckter [282] kleiner Städte und Dörfer, von ihrer Ergebenheit an die königliche Sache zu zeugen und um Bestätigung ihrer Privilegien zu bitten. Der General-Capitain empfing sie Alle auf das freundlichste und unterhielt sich lange mit ihnen in catalonischer Mundart, ein sicheres Mittel dort populär zu werden, das keiner seiner, aus dem Hoflager geschickten Vorgänger besessen.
Als er später in der Stadt eine Runde machte, wandten sich einige Soldaten, mit Klagen über die schlechte Qualität des Brodes, an ihn und wiesen unausgebackene Teigmassen vor. Der General ließ sofort den Proviant-Commissair und den Bataillons-Bäcker holen, und sie mußten zur Strafe, binnen einer Stunde Zeit, Jeder vier Pfund dieses ungenießbaren Brodes verzehren. Es ward ihnen ein Miñone zur Seite gestellt, der für pünktliche Vollziehung oder vielmehr Verspeisung, Sorge tragen mußte. Das Jammern und Flehen der schlingenden und würgenden Inculpaten war wirklich komisch zu sehen. Der Bäcker wollte lieber zu Stockstreichen und der Proviant-Commissär zu einer Geldbuße verurtheilt werden; de España meinte aber, dies könnten sie auch noch haben, zuerst aber müßten sie das Brod aufessen. [283] Sie sind Beide davon bedeutend krank geworden, was der General ganz in der Ordnung fand. Die Soldaten aller Bataillons hingegen jubelten laut über diesen Act evangelischer Gerechtigkeit.
Am ersten December verließen wir Organya und zogen am Fuße eines ungeheuern Granitkegels vorbei, der mit den Felsen von Adersbach in Böhmen vergleichbar, an seiner Spitze eine Einsiedelei, Ermita de Santa Fé, trägt. Nach 5/4 Stunden machten wir Halt und frühstückten bei der Rectoria de Cabó, von wo an, Leben und Vegetation ein Ende nehmen. Felsblöcke aller Größe liegen auf kleinerem Steingerölle, wie vom Himmel herabgeregnet umher, und bedecken ein mehrere Stunden langes Thal, das auf beiden Seiten durch nackte, starre Felsen eingeengt wird. Um einen derselben, einen schwarzen Granitkegel, windet sich zwischen Dornen spiralförmig ein enger Steig, der Einzige, der aus dem Thale führt. Einer hinter dem Andern, erkletterten wir ihn, zogen die Pferde an den Zügeln nach, und trieben die Maulthiere vor uns her. Die Geschicklichkeit der Letzteren ist merkwürdig zu sehen, im Vergleiche zur unbeholfenen Furcht jener. Das Maulthier setzt [284] vorsichtig und langsam den Fuß erst zu Boden, nachdem es, mit dem Hufe aufklopfend, dessen Festigkeit geprüft. Als wir ungefähr eine Höhe von 500 Fuß erstiegen, sprang der Windhund des Generals einem Maulthier, das ein vierpfündiges Kanonenrohr trug, zwischen die Beine; das Thier erschrack, machte einen Fehltritt und rollte in den Abgrund. In weiten Bogen und Sätzen flog das Kanonenrohr zuerst in das Thal und bald kam das Maulthier, mit eingezogenen Beinen einem Knäul gleich, ihm nach. Unten angelangt blieb es liegen und wir gaben es für verloren. Sein Treiber kletterte jedoch sogleich den Berg hinab, sich an Dornen und Haidekraut anklammernd; mehrere Artilleristen warfen ihre Carabiner weg und folgten seinem Beispiele; sie brachten das Maulthier auf die Beine, luden die Kanone wieder auf, und jagten das von uns todt geglaubte Vieh vor sich her, als wäre nichts vorgefallen; oben angelangt gewahrten wir mit Verwunderung, daß es, mit Ausnahme einiger unbedeutender Wunden, ganz heiler Haut davongekommen. Das Pferd eines Lanciers, das unmittelbar darauf, gleichsam das Maulthier nachahmend, herabstürzte, kam zerschellt und todt in schauderhaftem [285] Zustande unten an. Sein Reiter, der ihm jammernd nachlief, nahm ihm Sattel und Zaum ab, riß die Eisen von den Hufen und lud im nächsten Dorfe Alles auf eine kleine, in einem Bauerhause vorgefundene Eselin.
Endlich kamen wir auf den Gipfel, der ein ziemlich ausgedehntes Plateau bildet. Hier wurde Menschen und Thieren eine Stunde Rast gegönnt. Ich pflegte ein kleines Journal bei mir zu führen, das mich nie verließ, und worin ich die momentanen Eindrücke an Ort und Stelle verzeichnete. Als öfter meine Equipage verloren ging oder vom Feinde genommen wurde, blieb mir mein kleines Journal, ohne welches es mir später unmöglich geworden wäre, meine Erinnerungen zu ordnen und zu Papier zu bringen. Auf dem obenerwähnten Plateau schrieb ich folgende Worte nieder, die ich in meinem Journal, in halbverwischten Bleistiftstrichen, später mit Dinte überzogen, wiederfinde: „nach 1½ stündigem fortwährendem perpendiculären Steigen auf die erste Gebirgsscheide der Pyreneen gelangt. Auf dem höchsten Gipfel eines schwarzen Granitkegels, über einer Schlucht von 2000 Fuß senkrechter Tiefe, wo die Pferde wie Ameisen aussehen, und wohin der Schall menschlicher Stimme nicht mehr [286] dringt, – diese Worte geschrieben. Ansicht der großen Schneekette der Pyreneen. Pic du Midi am Horizont.“
Nach ¾ Stunden Marsch cantonirten die Truppen in Thauß, einem großen, ausnahmsweise durchaus feindlich gesinnten Dorfe, dessen sämmtliche männliche Bewohner bei unserer Ankunft die Flucht ergriffen hatten, so daß wir nur Weiber und Kinder antrafen, außer einigen Greisen, die nicht mehr gehen konnten, Krüppeln und Cretins, die in diesen Gegenden so häufig sind als im Canton Wallis. Am nächsten Morgen zogen wir weiter, über schlechte Wege, Berg auf und ab, doch immer mehr in steigender Richtung, so daß wir uns endlich in der Schneeregion befanden. Ein paar ärmliche Dörfer, Freuses und Churigera, sahen wir in Schluchten zu unseren Füßen liegen. Nach fünfstündigem Marsch hielten wir bei Vilamu, einem gleich elenden Dorfe in der Sierra del Romes. Nachmittags ging es längs der minder hohen Sierra de San Sebastya, am maurischen Castell von Peramea, unterhalb des Coll de la Baseta vorbei, am Ufer eines Gießbaches, der einen schönen Wasserfall bildet. Gegen Abend überschritten wir auf einer Brücke den Nogueras Palleresa und kamen nach Sort, einer [287] ziemlich bedeutenden Stadt, wo das Hauptquartier aufgeschlagen ward.
Das Ayuntamiento und die vornehmsten Einwohner empfingen den General-Capitain beim Scheine der Fackeln, mit Musik und allerlei Festlichkeiten. Hier sollten unsere militärischen Operationen eigentlich beginnen, da der feindliche General Carbó eine bedeutende Colonne von Talarn aus, längs des Nogueras Palleresa echelonirt hatte, dessen unteres Flußgebiet, so wie das des Flemisel, er dominirte. Seine äußersten Vorposten standen bei Gerri. Der General-Capitain befahl die Unseren bei Useú aufzustellen, längs zwei kleinen Bächen, die beinahe gegenüber, in den Nogueras Palleresa einfließen und von beiden Seiten das Thal abschließen.
Bereits vor zwei Nächten war in Organya die Nachricht eingetroffen, die feindliche Garnison des Forts de la Libertad, oberhalb Viella im Thale von Aran, habe ihren Gouverneur, Obersten Don Ramon Gali, einen ehemaligen Generalstabs-Offizier des General Roten, ermordet; die Stadt Viella, Hauptstadt des Thales, sich jedoch geweigert, gemeinsame Sache mit dem Fort zu machen; so daß gegenwärtig [288] dieses liebliche, kleine Thal sich in einem Zustand anarchischer Auflösung befand. Berichte über diesen Vorfall waren bereits nach Barcelona abgeschickt worden, und die feindliche mobile Colonne des Districtes von Lerida wurde erwartet. Dieser zuvorzukommen, hatte der General-Capitain in der Nacht vom 31. zum 1. dem Brigadier Porredon, dessen Division zwei Tagemärsche vor uns voraus hatte und in Rialp cantonirte, befohlen augenblicklich nach dem Thale von Aran aufzubrechen, das befestigte Viella und das Fort de la Libertad mit Sturm zu nehmen, eine allgemeine Kriegssteuer auszuschreiben, die Fortificationen zu schleifen, sodann mit den Gefangenen und sämmtlichen Kriegsvorräthen zu ihm zurückzukehren. De España wollte indessen das Thal von Pallas (le Comté de Paillasse) am obern Nogueras Palleresa besetzen und Porredon dadurch den Rückzug über den Paß de la Bonaigua offen halten. Die größte Schnelligkeit, in Ausführung dieser Operation, war nöthig, da ein Zusammentreffen der beiden feindlichen Colonnen von Lerida und Talarn in den obern Thälern, unser ganzes Corps absperren konnte.
Am 3. Morgens kam ein Spion mit der Nachricht, [289] daß Oberst Castells mit drei Bataillons in der Conca de Orcaú, einem muschelförmigen Thale unterhalb Talarn, eingetroffen, Carbo’s Colonne bei letzterem Orte angegriffen und eine Diversion des feindlichen Generals, von Gerri aus, in südlicher Richtung dadurch bewirkt habe. Obgleich Castells, zu schwach dem Feinde länger die Spitze zu bieten, sich zurückziehen mußte, so war doch ein Vorsprung von mehreren Tagen hiedurch für uns gewonnen. Alles freute sich im Hauptquartier über diese Nachricht, die unsere Operationen erleichterte. Doch wunderten sich die Meisten, wie Castells so zu rechter Zeit, am rechten Orte zugeschlagen, da Keiner, vielleicht den Chef des Generalstabs auszunehmen, die Instructionen ahnte, die der General gegeben und die er stets in tiefes Geheimniß zu hüllen wußte. Noch denselben Morgen ward von Sort aufgebrochen, ein Bataillon nebst einer Kanone, unter Oberst Pons, zur Besetzung der Brücke und Beobachtung des Feindes zurückgelassen, und längs des Flusses im Thale fortmarschirt. Die Gegend von Sort bis Rialp, wo wir Mittags anlangten, ist gut bebaut, und gleicht ausnahmsweise wieder den Besten in Catalonien. [290] Rialp ist eine, für jenen Landstrich, ziemlich bedeutende Stadt, die in friedlichen Zeiten großen Eisenhandel trieb, doch nun halb zerstört nur den traurigsten Anblick gewährte. Am Eingange der Stadt steht eine elegante Villa, mit Colonnaden im italienischen Styl, von einem englischen Garten umgeben; doch konnten wir nicht einmal Mittags darin halten, da Fenster und Thüren, und theilweise auch der mit brasilianischem Holze ausgelegte Parquet herausgerissen waren. Nach kurzem Halt marschirten wir über Hostal del Rey und Santa Roma, und bivouaquirten nach drei Stunden bei der Brücke und dem Dorfe Llavorsi, am Eingange der Grafschaft Paillasse, deren enge Kessel, finstre Schluchten und höhlengleiche Dörfer nur von Eisenarbeitern und Schmugglern bewohnt werden. Hier drängt sich der Nogueras pfeilschnellen Laufs durch sein Felsenbeet, in dunklen Fluthen. Schmale Nachen mit Eisenstangen beladen, werden mit Lebensgefahr ihrer Führer über Strudel und Cascaden hinweggerissen, und führen, als einziges Communicationsmittel, die ergiebigen Produkte der besten spanischen Eisenbergwerke in die catalonischen Thäler, an den Ebro und zum Meere. Ueberall sieht man [291] Hochöfen, deren schwarze Rauchwolken und rothe Flammen abwechselnd diese finstern Höhlen und Pässe bei Tage verdunkeln und Nachts erleuchten. Das monotone Hämmern der Eisenwerke, in hundertfachem Echo wiedergegeben, das Rauschen des Gebirgsstromes, dem auf allen Seiten Gießbäche zufließen, der Mangel aller Vegetation drücken dieser Gegend einen Stempel primitiver Wildheit auf, als wäre sie erst gestern aus dem Chaos entstanden.
Um zwei Uhr Nachts traf ein Ordonnanz-Offizier Porredons aus dem Thale von Aran ein und meldete dem General, nach einigen vergeblichen Versuchen Viella zu nehmen, habe sein Chef sich darauf beschränken müssen diesen Ort zu blockiren, in Betren, auf ¼ Stunde Entfernung von demselben, sein Hauptquartier aufzuschlagen und die im Thale weidenden, der Stadt gehörigen Heerden eingefangen; mehr glaube er jedoch nicht unternehmen zu können, da Viella Ueberfluß an Lebensmitteln und Wasser habe. Graf de España war außer sich; er hatte erwartet, in Llavorsi die Beendigung der ganzen Operation zu vernehmen. Augenblicklich ließ er mich wecken, und befahl mir mit einem Bataillon, einer halben Compagnie [292] Sappeurs, zwei kurzen Haubitzen und zwei Mörsern, nach dem Thale von Aran aufzubrechen. Nach einer Stunde hatte ich meine letzten Instructionen erhalten und war auf dem Marsche. Noch bei Nacht passirten wir die Brücke von Escaló, einen wichtigen Punkt, der die Thäler von Pallas und Cardos abschließt, und als es Tag ward, ließ ich in Esterri halten, die Truppen zu rationiren. Dieser bedeutende Ort, unmittelbar am Fuße der großen Gebirgskette der Pyreneen, lebt ganz vom Schleichhandel und schien mir gutgesinnt, mit Ausnahme des constitutionellen Alcaden und einiger der reicheren Einwohner. Ich glaubte dem General hievon Kenntniß geben zu müssen, der auch nicht ermangelte sie sofort aufgreifen und gefangen wegführen zu lassen.
Hinter Esterri hebt sich das Terrain allmählich, und nach einer halben Legua, in Valencia, wird der Weg schon steiler. Bei Arréa, eine Stunde weiter, trafen wir Schnee an, der uns während eines vierstündigen Steigens nicht mehr verließ. Bald wurde er so tief, daß die beladenen Maulthiere bis über die Brust hineinfielen. Die von Zeit zu Zeit, zur Bezeichnung des Passes und Steiges, aufgepflanzten Stangen schützten uns [293] allein vor Unglück, da ein Hinabstürzen in die vielen mit Schnee bedeckten Schluchten sonst unvermeidlich gewesen wäre. Glücklicherweise war das Wetter hell und klar, und nur selten nöthigte uns, durch Wirbelwind aufgejagtes Schneegestöber inne zu halten. Stellenweise war der sonst weiche Schnee so fest gefroren, daß die Maulthiere und besonders die Pferde beständig ausgleiteten und fielen. Die Geschütze, Laffetten und Munitionskasten mußten abgepackt und an Stricken durch die Soldaten nachgezogen werden. Wir waren auf einer Höhe von 3100 spanischen Varas. Endlich kamen wir auf den höchsten Punkt des Passes, wo ein einsames Hostal, Meson de la Bonaigua, die ermüdeten oder verirrten Schleichhändler aufnimmt, da andere Reisende nie diesen Weg einschlagen und die Aranesen nur selten nach Catalonien gehen. Hier beginnt die Senkung. Wir waren bisher in nördlicher Richtung marschirt; nun wandten wir uns nach Süden, an den Quellen des Nogueras vorbei; zu unserer Rechten, auf der Berglehne, lehnte eine einsame Capelle N. S. de Mongarri. Noch passirten wir eine enge tiefe Schlucht, in deren Grund wir herabsteigen mußten; dann hörte die Schneeregion auf, und als wir um [294] einen vorspringenden Berg uns wandten, lag das reizende Thal von Aran zu unsern Füßen, bebaut und bewohnt, so grün und frisch als wären wir mitten im Sommer.
Das privilegirte Thal von Aran, am nördlichen Abhange der Pyreneen, ist seiner reizenden Dörfer, lieblichen Lage und beständigen Fruchtbarkeit wegen, den vielen Fremden des benachbarten Badeortes Bagnères de Luchon bekannt. Es gehört nur mehr politisch zu Spanien; auch wollen die Aranesen weder für Catalonier noch für Aragonesen passiren, mit denen sie übrigens nichts gemein haben, nicht einmal die Sprache, die ein besonderes, nur in diesem Thal übliches, altromanisches Patois ist. Bei einer Länge von acht Leguas ist das Thal nur eine halbe Stunde breit, und zählt in diesem kleinen Raume, auf beiden Ufern der Garonne, die hier entspringt, zwei und dreißig Dörfer, mit holländischer Reinlichkeit an die Berglehnen gebaut. Alle Häuser sind weiß getüncht, mit Schiefer oder rothen Ziegeln gedeckt; die großen Fenster mit Glas versehen, im Contraste zu den transpyreneeischen Bauern-Wohnungen. Jedes Dorf hat einen Platz, in dessen Mitte ein Brunnen steht; zwei [295] und dreißig Kirchthürme, die Vier von Viella ungerechnet, tragen nicht wenig zu dem lebhaften Anstrich des Thales bei. Große Heerden von Rindern gehören zu seinem Haupt-Reichthume, auch fanden wir hier das erste Mal wieder Butter, bekanntlich in Spanien eine seltene Delicatesse. Die Araneser Butter, fest gestampft und in große Kugelform gebracht, wird in Kohlblätter gewickelt und mit Bindfaden befestigt, im Winter über die Berge nach Catalonien und Aragon gebracht und dem holländischen Käse (Queso de Olanda) gleich, als bedeutender Handelsartikel verkauft.
Zwar trug die glückliche geographische Lage des Thals, zwischen Frankreich und Spanien, nicht wenig zu seinem Reichthum bei, doch verdankt es ihn vorzüglich den exceptionellen Privilegien, die den baskischen Provinzen gleich, von den spanischen Königen ihm garantirt worden. Das Thal von Aran hat früher, dem von Andorra gleich, eine kleine Bergrepublik gebildet, und nach seiner freiwilligen Unterwerfung deßhalb diese Privilegien behalten. Nächst unbedingter Steuerfreiheit liegt vorzüglich in der freien Ein- und Ausfuhr großer Werth; doch wurde natürlich das Thal von Aran der Entrepôt aller verbotenen Waaren und [296] der Sammelplatz der Schmuggler, die von hier aus den Schleichhandel im größten Maßstabe, in bewaffneten Banden und beständiger Fehde mit französischen und spanischen Zollwächtern treiben, was um so leichter geschieht, als die schneebedeckten Bergrücken, die vom Maladetta bis zum Pic de Montvallier das Thal von Aran spanischer Seits begrenzen, zu einer stabilen Zolllinie sich wenig eignen. Die jetzt bestehende, nivellirende Regierung wird wohl die Aranesen des größten Theils ihrer Privilegien berauben.
Bei Tredós betraten wir das Thal. Nach einer Stunde ließ ich in Salardú halten, der Mannschaft etwas Ruhe zu geben. Wir setzten über die ganz kleine Garonne, die hier noch ein Bach, oberhalb Salardú an ihrer Quelle nur zwei Fuß breit, durch viele Gebirgsgewässer in Kurzem verstärkt, bei Bosost, am Ende des Thals, nach acht Stunden, schon ein bedeutender Fluß ist. Gegen vier Uhr Nachmittags traf ich in Betrén, Porredons Hauptquartier ein; er hatte seine 4 Bataillons in diesem Orte und in Gausac, zu beiden Seiten des bedrohten Punktes, cantonnirt. Viella war durch eine einfache Mauer, einen Erdaufwurf und Graben und einige [297] mit Schießscharten versehene Häuser vertheidigt, der Weg nach Betrén abgestochen und durch ein paar Außenwerke bestrichen; der Brückenkopf an der Garonne bildete den festesten Punkt. Auf Flintenschußweite von der Stadt, auf einem dominirenden Bergvorsprung, der Garonne in entgegengesetzter Richtung, stand das Fort de la Libertad, ein ehemaliges Kloster, nun stark befestigt mit 8 schweren Geschützen und 200 Mann Garnison. Darin commandirte, seit Gali’s Ermordung, ein von den Soldaten zum Chef gewählter Feuerwerker. Periquet, ein berüchtigter Parteigänger, und ein Oberstlieutenant, dessen Name mir entfallen, befehligten die aus 350 Mann bestehende Garnison der Stadt. Sobald es dunkel ward, etablirte ich meine kleine Batterie dem Brückenkopf gegenüber, an das andere Ufer der Garonne, auf Flintenschußweite. Am 5. Morgens ward Viella zur Uebergabe aufgefordert und dem Befehl des General-Capitains zufolge, zwölf Minuten Bedenkzeit der Stadt gegeben; doch empfing sie den Parlamentär mit Flintenschüssen. Um 8 Uhr eröffnete unsere Batterie ihr Feuer, dem die Geschütze des Forts und das Gewehrfeuer von dem Brückenkopf erwiederten. Unsere Bomben zündeten [298] einige Häuser an, die bald hell aufloderten; nach einer Stunde war der Brückenkopf zum Schweigen gebracht. Um 9 Uhr, auf ein gegebenes Zeichen, rückten die in Betrén und Gausac bereit stehenden Truppen im Sturmschritte vor; zugleich griff das fünfte Bataillon, das die Batterie gedeckt hatte, den Brückenkopf an. Während der Nacht waren alle Leitern, deren man habhaft werden konnte, zusammengebracht worden; sie wurden angelegt; ein ziemlich hitziges Bajonnet-Gefecht entspann sich, und nach 20 Minuten waren wir Herren der Stadt. Durch Versehen des in Gausac commandirenden Stabsoffiziers ward der einzige Weg, der von der Stadt nach dem Fort führte, nicht besetzt, weßhalb ein Theil der Garnison mit Periquet sich in eiliger Flucht dorthin zurückzog. Die übrige Mannschaft und der Oberstlieutenant wurden niedergehauen, nur acht Mann, Tags darauf in einem Heuschober versteckt gefunden, geschont und als Gefangene abgeführt.
Den Instructionen des General-Capitains zufolge sollte die Stadt, im Falle sie sich auf die erste Sommation nicht ergebe und mit Sturm genommen würde, durch zwei Stunden geplündert, dann an den vier Ecken angezündet und niedergebrannt werden. Den [299] zweiten Theil dieses Befehls glaubten wir umgehen zu dürfen; es schien uns durch Vollziehung des Ersten das arme Viella hinlänglich für den Widerstand seiner Garnison gezüchtigt. Jeder Kriegssoldat weiß, wie ein der Wuth stürmender Soldateska preisgegebener Ort aussieht; ich übergehe daher gern die Erzählung von Gräuelscenen, die bei Plünderungen unausbleiblich, sich in allen Feldzügen wiederholen. Nach einer Stunde ließen wir Generalmarsch schlagen und schickten die Truppen nach Betrén und Gausac zurück; nur ein Bataillon wurde in Viella gelassen. Der Platz dieser Stadt, durch das Fort dominirt, blieb beständig den Schüssen ausgesetzt, so daß verboten werden mußte, auf demselben stehen zu bleiben oder sich zu gruppiren, da in der ersten halben Stunde die viertelpfündigen Kugeln der feindlichen Wallbüchsen uns einige Soldaten tödteten und verwundeten; ja einige derselben fuhren durch das offene Fenster in Porredons Wohnung und schlugen, über unsern Köpfen weg, in die Tapete, als wir eben bei Tische saßen. Ich hatte Porredon aufgefordert, noch dieselbe Nacht Leitern anzulegen und das Fort zu escaladiren; doch war er dazu nicht zu bewegen, und nur mit größter Mühe [300] hielt ich ihn ab, meinen Vorschlag vor einen Kriegsrath der Bataillons-Chefs zu bringen und ihm hiedurch eine nachtheilige Oeffentlichkeit zu geben. Trotz aller Ueberredung konnte ich ihn nicht bestimmen, seine Leute ohne Bresche attaquiren zu lassen. Um mich mit ihm nicht zu entzweien, mußte ich nachgeben, und wir beschlossen, trotz der allgemeinen Ermüdung, auf eine, das Fort dominirende, nahe Anhöhe, el Aro dels Capellans genannt, dieselbe Nacht unsere Batterie zu etabliren, mit Tagesanbruch Bresche zu schießen und mit einigen Elite-Compagnien in das Fort einzudringen.
Doch wurde gegen Abend, als eben die in Viella garnisonirenden Sappeurs mit den Faschinen und Körben abmarschiren wollten, durch betrunkene Soldaten Feuer an ein Haus gelegt, und bald stand eine ganze Straße in Flammen. Die Unordnung, die hieraus anfänglich erfolgte, die zum Löschen nöthige Zeit nahmen die meisten Nachtstunden hin, und als noch vor Tagesanbruch ich dennoch die Sappeurs auf die Höhe führen wollte, fiel so dichter Schnee, durch Wirbelwind aufgepeitscht, daß alle Operationen unterbleiben mußten. Zur Deckung meiner Verantwortlichkeit schickte ich einen Offizier an den General-Capitain, [301] mit ausführlichem Berichte über die letzten Ereignisse und Porredons Widerstand. Den nächsten Tag über waren wir genöthigt, unthätig zu bleiben; gegen Mittag begaben wir uns in die Kathedrale von Viella, wo der Divisions-Caplan Fray Ignacio Hochamt und Te Deum, für die Einnahme von Viella, beim Klange unserer Bataillonsmusik hielt. An allen Glocken wurde geläutet, und nach ächt spanischer Weise dachte Niemand mehr, auf das vor uns liegende feindliche Castell.
Am folgenden 7. dauerte das Schneegestöber fort, und wenn man die Bataillone decimirt hätte, würde Keiner seine Cantonnirung verlassen haben. Gegen Mittag ward gemeldet, daß die französische Garnison von St. Béat an der Grenze sei und sich anschicke, unser Gebiet zu betreten, um einige feindliche Flüchtlinge zu verstärken, die bei unserem Einmarsch in das Thal ihre Garnisonen Begós und Bosost verlassen und sich auf französisches Territorium zurückgezogen hatten. Obschon diesem Gerüchte nicht viel Glauben beizumessen war, so verbreitete es doch so allgemeines Entsetzen, daß um den übelsten Folgen vorzubeugen, ich beschloß, an diesem ohnedieß müßigen Tage mich selbst zur Grenze zu begeben. Gegen Mittag [302] ritt ich mit einigen Generalstabs-Offizieren das Thal hinab; vor zwei Tagen noch so grün und blühend, sah es jetzt einer Eisschlucht im höchsten Norden gleich. Wir ritten durch viele Dörfer, an den Ruinen des historisch berühmten Schlosses Castel Leon vorbei; als wir nach Bosost kamen, liefen ein Dutzend Peseteros davon, die dort ihr Unwesen getrieben und wohl jene albernen Gerüchte ausgesprengt haben mochten. Wir jagten hinter ihnen her; doch konnten sie auf dem steinigen, schlüpfrigen Boden schneller laufen, als wir reiten, und als wir zur Grenzbrücke kamen, waren sie bereits auf französischem Gebiete. Doch sahen wir außer einigen Compagnien französischer Infanterie, die diese Passage beobachteten, nichts, was auf eine militärische Bewegung unserer unfreundlichen Nachbaren hingedeutet hätte.
Als ich Abends nach Viella zurückkam, fand ich Porredon noch unvernünftiger disponirt als früher; er hatte Miguel del Oli, Chef des 5. Bataillons und Bruder des Obersten Pons, zu Rathe gezogen, und war davon nicht abzubringen, in dem Fort sei nichts zu finden, der Sturm unnöthig und werde viel Leute kosten. Nach langen Debatten versprach er endlich, wenn am nächstfolgenden [303] Tage (8.) noch keine Antwort vom General-Capitain einträfe, am 9. angreifen zu lassen. Ich berichtete dieß sogleich dem General und begab mich zur Ruhe in übelster Laune über diesen unentschlossenen Menschen, den ich doch schonen mußte, da die meisten Leute unter seinem directen Befehle standen und er überdieß, als älterer Chef, das letzte Wort hatte.
Am 8., Morgens, trafen endlich die ersehnten Depechen aus dem Hauptquartier des General-Capitains ein. Sie waren vom Vorabend, und aus Esterri datirt. In einem an mich gerichteten französischen Schreiben sagte der General unter Anderem: „je suis de fort mauvaise humeur sur la lenteur que le Brigadier Porredon a mis dans l’exécution de l’opération que je lui avais confiée … Je vous prie de le lui dire en particulier; il doit sentir que la prise de ce petit fort intéresse le service du Roi notre Maître, et que cette opération doit être prompte, ne pouvant me tenir très longtems dans ces gorges, où un mouvement combiné de l’ennemi, qui connaît ma position, pourrait me couper.“ Und später: „qu’il (Porredon sc.) réunisse toutes les échelles de la vallée, [304] qu’il donne l’assaut et passe tout au fil de la bayonette, en quoi il rendrait le plus grand service au Roi et à la Principauté de Catalogne, car ce sont des assassins ou des scélérats chargés de sacrilèges et de crimes.“
Als ich Porredon dieses vorlas und übersetzte, sah er erst lange mißtrauisch die französischen Schriftzüge an und hätte wohl gern an der Genauigkeit meiner Interpretation gezweifelt; doch entschloß er sich endlich die nöthigen Befehle an die Bataillonschefs zu geben. Pons und Borges als die zwei Fähigsten wurden gerufen; man stelle sich nun meine Verzweiflung vor, als Beide ganz trocken erklärten: sie wären keine Saltimbancos, und das Klettern auf Leitern sei nicht ihre Sache; übrigens würde ihnen kein Soldat folgen und sie gewiß Keinen führen; sobald eine Bresche practicabel wäre, wollten sie selbst ihre Leute in das Fort führen, sonst nicht, und wenn der General-Capitain selbst käme. Mehr von ihnen zu erlangen, Freiwillige selbst aufzurufen und hinzuführen, wäre nicht möglich gewesen, da gewiß jeder Chef seine eigene Bande von einem so „tollkühnen und widersinnigen Unternehmen“ selbst abgehalten [305] hätte. An Aufstellung der Batterie bei Tage war nicht zu denken, da ich zu einem, ihnen so exponirt scheinenden Vorhaben keinen Mann gefunden hätte; es blieb also nur übrig die Nacht abzuwarten.
Nach mehrstündiger Arbeit, beim furchtbarsten Wetter, waren endlich unsere kleinen Piecen auf dem längst besprochenen Punkte. Um 7 Uhr begann ein ziemlich lebhaftes Feuer unserer Seits, nur schwach vom Fort erwiedert, und als nach einigen Stunden eine Wand glücklich einfiel, die Flagge vom beschädigten Thurm herabstürzte und ich jeden Augenblick erwartete, mit ein paar Elite-Compagnien durch die Bresche eindringen zu können, hörte ich, zu meinen Füßen, in Viella, Generalmarsch schlagen und gewahrte zu meiner nicht geringen Verwunderung, daß in dem Hofe der Wohnung Porredons, dessen Maulthiere gepackt wurden. Ich eilte hinab, Erklärung zu verlangen, doch hörte ich schon in allen Straßen die Offiziere und Soldaten vom Rückzuge sprechen, und als ich Porredons Haus betrat, übergab er mir mit triumphirendem Lächeln eine Depeche des General-Capitains, die den unverweilten Abmarsch befahl. In einem Schreiben de España’s aus Llavorsi von [306] letzter Nacht schrieb er mir: „le général-en-chef ennemi est près de moi en forces considérables; par conséquent ma position n’est point du tout riante. J’écris au Brigadier Porredon qu’il exécute incessamment son mouvement de retraite, qu’il doit faire avec prudence et célérité; cela lui fera connaître le tems qu’il a perdu.“ In einer Nachschrift sagt der, selbst in kritischen Momenten, stets heitere Greis, dem ich[WS 1] einige Provisionen geschickt hatte: „je vous remercie du fromage et de la bouteille de Rhum; nous n’avons rien à manger, pas même des sardines, et il fait trop froid pour le Gaspacho.“[6]
Noch wenige Stunden Zeit und das Fort wäre unser gewesen, doch war an ein längeres Verweilen mit diesen Leuten nicht zu denken, die sich glücklich schätzten, unverrichteter Dinge abziehen zu dürfen. Die Artillerie wurde aufgeladen und unter dem Hohngelächter [307] der feindlichen Besatzung abgezogen. Als Nachmittags die Truppen durch Betrén marschirten, fehlte ein ganzes Bataillon, und es fand sich, daß Porredon, in der jüngstverflossenen Nacht, es in das untere Thal geschickt hatte, Conscriptionen einzusammeln. Er war nicht einmal darauf bedacht gewesen, bei Empfang der letzten Depeche es zurück zu beordern, und so mußten wenigstens 12 Stunden vergehen ehe es anlangen konnte, da es unmöglich zurückgelassen, und dadurch dem Feinde in die Hände geliefert werden durfte. Diese Zeit wäre mehr als genügend gewesen das Fort zu nehmen, doch hatte Porredon mir nicht ein Wort von diesem ganzen Vorfall gesagt und erwiederte jetzt auf alle meine Vorwürfe mit stoischem Gleichmuthe und stehendem Lächeln auf den Lippen: „Hombre! ich hatte so viel zu denken und Alles kam so schnell, daß ich es vergessen habe.“ Erst den folgenden Nachmittag kam das erwartete Bataillon, und es war bereits 7 Uhr Abends als wir in Tredós, am Fuße der Berge anlangten. Viel Schnee war wieder während der letzten Nacht gefallen, ein gewaltiger Sturm erhob sich; die nächsten Stunden drohten unheilvoll zu werden, besonders da die Nächte ganz [308] finster waren. Ich schlug Porredon vor, den Uebergang durch den Paß bis zum nächsten Morgen zu verschieben; doch konnte er, nach so viel verlorner Zeit, den Moment gar nicht abwarten aus dem Thale zu kommen, und gab Befehl zum Abmarsch. Wir führten 42 Maulthiere mit, von denen 20 mit Glocken-Metall für die Gießerei von Berga beladen; über 300 Rinder und eine bedeutende Anzahl Schafvieh wurden auch mitgetrieben; doch kaum 2 Stunden nach unserm Ausmarsch aus Tredós, hatte sich der größte Theil der Heerden bereits verlaufen, und die Hälfte der Lastthiere lag in den Abgründen.
Als wir nach Mitternacht beim Hostal de la Bonaigua anlangten, waren sämmtliche Bataillone so debandirt, daß keine einzige Compagnie mehr ihre complette Mannschaft zählte. Artillerie, Munitionskasten, Equipage, von allen dem war nichts mehr zu sehen. Ich marschirte mit den Letzten und kletterte mühsam, trüben Sinnes auf meinen Säbel gestützt. Als ich endlich zum Hostal kam, stand Porredon vor demselben, rang die Hände und jammerte über das Unheil, das er selbst angerichtet. Um ihn herum lagen Hunderte von ermüdeten Soldaten auf dem [309] Schnee und heulten vor Kälte. Ich ließ die Scheune und Stallungen des Hostals niederreißen, das Dach abbrechen und mit diesem Brennmaterial längs des Weges eine lange Reihe von Feuern anmachen, die Angekommenen zu erwärmen und die Zurückgebliebenen zu leiten. Bald sammelten sich immer mehr Nachzügler; etwas Proviant, einige Weinschläuche und ein paar Stücke Schlachtvieh wurden noch vorgefunden oder aus den nächsten Schluchten hervorgezogen. Als der Tag anbrach hatte der Sturm sich gelegt und wir konnten den Schaden übersehen. Die Rüstigsten wurden mit Stricken zurückgeschickt, die in Schluchten versunkenen Soldaten heraufzuziehen. Die Meisten fand man noch am Leben und brachte sie glücklich ein; nur Einige waren in Schlaf verfallen und erfroren. Als wir um 9 Uhr die Bataillone auf dem Wege formirten, fehlten noch ungefähr 40 Mann, doch der größte Theil der Lastthiere, sämmtliche Artillerie, Munitionskasten, Equipage und Glocken-Material blieben verloren.[7] Der Marsch ward sogleich angetreten, doch [310] konnte er nur sehr langsam von Statten gehen, da beinahe alle Soldaten ihre Schuhe verloren, und mit wunden Füßen, hinkend über Schnee und Steine einherwankten. An solchen Tagen sah man wieder, daß der spanische Soldat, auf Märschen, im Entbehren und Leiden, der Erste der Welt ist. Nicht Eine Klage war zu hören, und nur am Verstummen ihrer frohen Lieder, am düstern Blick ihrer schwarzen Augen, waren Schmerz und Unzufriedenheit kenntlich. Diesem Zustande etwas abzuhelfen, nahmen wir zu einem Mittel unsere [311] Zuflucht, das während des letzten Krieges oftmals, wenigstens unserer Seits, mit Erfolg angewendet wurde: es ward den Soldaten erlaubt in den Orten, durch die wir passirten, alles Schuhwerk zu nehmen. Daß dieser Befehl pünktlich befolgt wurde, kann man denken, und ich glaube nicht, daß nach unserm Durchmarsche in Arréa und Valencia ein einziges Paar Sandalen oder Schuhe übrig geblieben ist, die der Frauen mit eingerechnet, welche den kleinen spanischen Füßen unserer Soldaten vortrefflich paßten. Noch ist mir erinnerlich, daß in letzterm Orte der Alkalde uns mit einigen Rationen auf dem Platze erwartete, die mein vorlaufender Miñone[8] bestellt hatte. Da griff ihn unversehens [312] ein Soldat von hinten bei den Schultern und legte ihn unsanft zur Erde, während ein Anderer von vorn unter vielen Entschuldigungen ihm die Schuhe auszog.
Endlich kamen wir nach Esterri, wo wir ein Reiter-Detachement des Grafen de España fanden, und erfuhren, er habe am Vorabend (10.) zwischen Sort und Rialp, durch fünf Stunden sich gegen van Meer geschlagen, der aus Trem mit 5000 Mann herbeigeeilt war und unsern General-Capitain angegriffen hatte. Dieser konnte nur über drei Bataillons disponiren; doch war von ihm das enge Terrain so gut benutzt worden, daß er den feindlichen General verhinderte, auch nur einen Augenblick, seine überlegenen Kräfte ganz zu deployiren. De España hatte stets unsere Ankunft erwartet, die ohne den zwölfstündigen Aufenthalt wegen des zurückgebliebenen Bataillons, auch Tags vorher erfolgt wäre. In diesem Falle wollte er sogleich die Offensive [313] ergreifen. So aber sah er sich genöthigt seine Positionen zu vertheidigen, was auch auf die brillanteste Weise geschah. Bei Sonnenuntergang zogen sich beide Theile in ihre alten Nachtquartiere zurück; doch waren mittlerweile Carbó und Sebastian aus Gerri in das Thal von Capdella eingedrungen, drohten über Bernuy (nicht mit Beranuy zu verwechseln) und einen kleinen Gebirgsrücken vorzudringen, den General-Capitain von uns abzuschneiden, und ihn zwischen sich und van Meer zu stellen. De España war daher genöthigt gewesen, nach Zurücklassung eines Observations-Detachements in Esterri, sich links ab nach Tirbia (nicht Tirvia) am Eingange des Thales von Cardos zurück zu ziehen und dort unsere Ankunft abzuwarten. Eine Depeche von ihm befahl uns möglichste Schnelligkeit, da jeder Verzug uns nothwendig abschneiden mußte.
Wenige Minuten nach unserer Ankunft kamen royalistische Bauern herbeigelaufen und berichteten, der Feind besetze Rialp und Santa Roma, und seine Vorposten ständen in Llavorsi, denen des Grafen de España gegenüber, der noch immer in Tirbia verweile. Der Feind könne jeden Augenblick vordringen [314] und die Brücke von Escaló besetzen, die um jeden Preis von uns genommen werden mußte, wenn wir nicht abgeschnitten sein wollten. Ich ritt sogleich mit den dreißig von de España zurückgelassenen Reitern ab, während Porredon 2000 Rationen und 1000 Paar Schuhe in Esterri requirirte, mir das erste marschfähige Bataillon zuschicken und mit den übrigen eiligst nachfolgen sollte. Nach einer halben Stunde gestreckten Galopps kamen wir zur Brücke, als eben einige vorausgeschickte feindliche Compagnien sich anschickten sie zu besetzen. Wir chargirten und vertrieben sie, machten einige Gefangene und besetzten die Brücke. Nach kaum ¾ Stunden kam das erste Bataillon, del Rey genannt, das am schnellsten rationirt worden und am wenigsten gelitten hatte, eiligen Laufes heran. Die Brücke wurde so fest barricadirt, daß auch ein mächtiger Angriff bedeutender Kräfte abgeschlagen werden konnte. Ich ließ die Grenadier-Compagnie zurück, zog mit den übrigen sieben und den Reitern über Pere de Burgel links ab, und erstieg den Höhenkamm, der uns von Tirbia trennte. Vorher schickte ich noch eine Ordonnanz an Porredon, ihm dringend zu empfehlen, nicht zu sehr zu verweilen. Um ein Uhr kam ich [315] in Tirbia an. Der General stand auf einer Anhöhe vor dem Dorfe und beobachtete mit dem Fernrohr die Gegend. Durch einen von Tirbia aus abgeschickten Spion, der von der nächsten Höhe aus Alles beobachtet hatte, war er bereits von der Einnahme der Brücke von Escaló in Kenntniß. Als die Reiter vor ihm defilirten, nahm er seinen Stock unter den Arm und klatschte in die Hände. Doch gleich darauf rief er mich bei Seite, erkundigte sich erst freundlich nach meinem Zustand (ich war auf der Brücke verwundet worden) und ließ sich dann sehr strenge über Porredon aus, den er anfänglich vor ein Kriegsgericht stellen und degradiren wollte, doch später Oberst Davila’s und meinen Bitten nachgebend, sich darauf beschränkte, ihm das Commando seiner Division zu nehmen, das einige Tage später Segarra erhielt. Porredon hat ihm dieß nie vergeben, und war wohl nicht ohne Schuld an dem gräßlichen Morde des Grafen de España.
Den ganzen Tag über wurde Porredon vergeblich erwartet, und der General über dies unnatürliche Ausbleiben schon sehr unruhig, als Nachts ein Spion die Nachricht brachte, der Brigadier habe erst [316] gegen Abend Esterri verlassen, seine Kräfte getheilt, mit zwei Bataillons den Weg über die Brücke von Escaló eingeschlagen und die zwei andern, aus unerklärlichen Gründen, auf einem viel weitern Wege, über Estahón und das Thal von Cardos, unter Oberst-Lieutenant Borges, detachirt. Diese ungeschickte Manoeuvre hatte die traurigsten Folgen. Porredon mit den zwei Bataillons kam über die Brücke von Escaló vor Sonnenaufgang in Tirbia an, nachdem der Feind zwischen der Brücke und Pere de Burgel ihn nur schwach angegriffen. Doch besetzte van Meer nach seinem Abzuge sogleich diesen Punkt, und schickte eine starke Colonne auf kürzerem Wege in das Thal von Cardós, zwischen Estahón und Tirbia, so daß Borges, von uns abgeschnitten, sich auf die höchsten Gebirgsrücken werfen und in beständiger Flucht endlich auf das neutrale Gebiet von Andorra zurückziehen mußte. Nach mehreren Tagen passirte er die Thäler des Urgel und kam mit debandirter und verringerter Mannschaft in Oliana an, als wir bereits seit einer Woche uns in diesem Orte befanden.
Der Kessel, in dem Tirbia gelegen, bildet den Schluß des Thals von Cardós und gleicht einer Muschel, [317] welche Form überhaupt die meisten Thäler jener Gegend haben, daher sie auch im Lande, Muscheln (Concas) genannt werden. Ein steiler Höhenrücken dehnt sich zwischen Tirbia und dem Nogueras aus; am Fuße desselben fließt ein kleiner Bach vor dem Orte; ein einziger enger Paß, Coll de la Baña, in den höchsten Felsenkamm eingeschnitten, gewährt den Durchgang und ist kaum für ein beladenes Maulthier breit genug. Diesen Paß besetzte der General-Capitain mit einer Grenadier-Compagnie; eine kleine Brustwehr, aus den umherliegenden Feldsteinen, hätte genügt, Tage lang selbst größeren Heeren die Passage unmöglich zu machen, da der entgegengesetzte Abhang eben so steil, das Klettern nur einem Mann hinter dem Andern möglich machte. De España, stets darauf bedacht die Offensive zu ergreifen, wollte auf weitem Umwege, während der Feind uns noch in Tirbia glaubte, ihm in den Rücken fallen und hiezu den Augenblick benützen, wenn seine Berg-Artillerie die steile Lehne erstiege. Dann sollte durch den obern Paß ein halbes Bataillon vordringen, den Höhenkamm besetzen, auf den kletternden Feind feuern und Steine auf ihn herabrollen. Die nothwendig hieraus erfolgende [318] Unordnung, die Bestürzung des ersten Augenblicks, sich von zwei Seiten angegriffen zu sehen, hätten unzweifelhaft den Sieg auf unsere Seite geneigt. Jede Vorbereitung war bereits getroffen, und de España im Begriffe mit dem Gros der Truppen längs des Thales abzumarschiren, als zum allgemeinen Staunen wir die Grenadier-Compagnie, die den Paß besetzt hatte, ihren Chef an der Spitze, ruhig den Bergpfad herabsteigen sahen, ohne auch nur Einen Mann zur Bewachung zurück zu lassen. Nach wenig Augenblicken gewahrten wir schon die spitzen Mützen der Christinos aus dem Paße hervorblicken, und ehe ein paar Minuten vergingen war die obere Lehne mit Feinden bedeckt. Der General-Capitain schäumte vor Wuth, seinen wohl angelegten Plan, durch einen so erbärmlichen Fehler, scheitern zu sehen, doch befahl er augenblicklich ein Bataillon als Tirailleurs längs des Baches zu deployiren, dem Vordringen des Feindes Einhalt zu thun. Die an der Berglehne einzeln herabkletternden christinischen Jäger wurden zusammengeschossen, rollten in das Thal, und jede feindliche Formation am Fuße des Berges wurde unmöglich gemacht. Als der unglückliche Capitain, der seinen [319] Posten aufgegeben, bei uns ankam, nahm der General-Capitain seinen Säbel, gab ihm ein Gewehr und sagte mit donnernder Stimme: „im Namen des Königs degradire ich Sie und mache Sie zum gemeinen Soldaten.“
Unter beständigem Feuern traten wir nun unsern Rückzug an; ein längs einer Berglehne sich ziehender Steig war der einzige Ausweg, dem Feinde in entgegengesetzter Richtung. Während das Gros unserer Bataillone auf demselben abmarschirte, hielten einige Compagnien den immer stärker vordringenden Feind am Ufer des Baches auf, und zogen sich aus dem Thale in Echelons längs der Lehne zurück, als unsere ganze Colonne den engen Steig passirt und die entgegengesetzte Berglehne erreicht hatte. Der Feind konnte nur schwach verfolgen und mußte sich auf ein ziemlich unbedeutendes Geplänkel beschränken, das bis zur einbrechenden Nacht dauerte. Wir marschirten in südlicher Richtung über den Coll de Rás bei den Eisenhämmern von Burgo vorbei, bis San Juan de Lerrá: „durch unglaubliche Abgründe, senkrechte glatteise Steige, Berg auf und ab, in zwölfstündigem allerbeschwerlichstem Marsch.“ So finde ich in meinem [320] Journal diesen Zug verzeichnet. Nach zweistündigem Halt wandten wir uns nach dem Coll de la Baseta, der das Thalgebiet des Nogueras von dem des Segre scheidet; noch waren wir in beständiger Gefahr vom Feinde umzingelt zu werden und unsern Rückzug abgeschnitten zu sehen. Von drei feindlichen Colonnen umgeben, blieb nur übrig, sich direct in das Thal des Urgel zu werfen und beinahe unter den Kanonen der Seú vorbei zu passiren, da Sebastian im Norden, Carbó im Süden und van Meer im Nordwesten unserer Colonne standen, in combinirter Bewegung mit mehr als vierfach überlegenen Kräften, auf uns eindrängten und in ihren Bezirken alle Brücken abschnitten, alle Stege besetzt hielten. Gegen Morgen kamen wir nach Castell-Vó, auch Santa Cruz del Valle de Castell-Vó genannt, hielten nur die nöthige Zeit den Truppen die unentbehrlichste Ruhe zu gönnen, überschritten den kleinen Coll de Jou, zogen im Angesicht der Seú vorbei, die ein starkes aber größtentheils vergebliches Feuer auf uns richtete, und marschirten im Thalgebiet des Segre über Abellanet und Adrall bis Gramós, wo wir Mittags ankamen. Hier waren wir einigermaßen aus den feindlichen Schlingen befreit. Als nun, um [321] das Feuer des Generals gelagert, mit dem wiederkehrenden Selbstvertrauen, die meisten Häuptlinge sich den gewohnten Großsprechereien hingaben, hörte sie de España erst ruhig an und citirte dann die bekannte Stelle aus Cervantes: „Herr, sagte Sancho, wie wir geflohen sind; was nicht die Furcht macht! – Freund Sancho, erwiederte Don Quixote, das nennt man nicht Furcht; das heißt Vorsicht.“
Nachmittags setzten wir unsern Marsch fort, und kamen nach drei Stunden in Anóves an, einem bedeutenden Orte an einem Bergabhange; hier trafen wir Ybañez mit drei starken Bataillons. Der General hatte ihm aus Llavorsi geschrieben, und der gehorsame Guerilléro auf den ersten Ruf die Ebenen von Tarragona verlassen, um in Eilmärschen beinahe ganz Catalonien zu durchziehen. Durch die Mißgriffe und Unglücksfälle der letzten Tage war der Zweck seiner Ankunft vereitelt, doch der General über den guten Willen des Chefs und der Truppe hoch erfreut. Er umarmte Ybañez, lobte ihn viel und sagte, mit grimmigem Blicke auf Porredon: „wenn ich auf Alle, wie auf Dich zählen könnte, mein Sohn Manuel, würden [322] uns die Feinde nicht viel anhaben, und in sechs Monaten wollte ich in Barcelona speisen.“
Am 14. Morgens zogen wir weiter, längs des Segre; nach drei Viertelstunden ward in Casa Regula, einem eleganten Landhause des Grafen Linati, gefrühstückt, und dann durch eine Furt des Segre passirt; eine Brücke, Puente de la Torre, ließ der General barricadiren und ein darüber befindliches halbzerstörtes maurisches Castell besetzen, dem Feinde den Durchgang zu verwehren; bei einem einzelnen Gehöfte, Hostal Moú, ward Mittags gehalten, hierauf der Paß der drei Brücken passirt und bei Sonnenuntergang das Hauptquartier in Orgañya aufgeschlagen. Es waren gerade vierzehn Tage seit unserm Ausmarsch ans dieser Stadt. Hier blieben wir durch 24 Stunden, während welchen Segarra mit drei Bataillons zu uns stieß; er hatte das untere Flußgebiet des Segre und die Ebenen um Cervera, beinahe bis an den Ebro, frei durchstrichen und überall vom Feinde entblößt gefunden, da dessen sämmtliche Kräfte um uns sich concentrirt hatten. Am 16. verlegte der General sein Hauptquartier nach Oliana, wo während der nächsten Tage Porredon seine Division verlor, und Borges, debandirt, aus [323] Andorra eintraf. Der General ließ ein paar pallastartige Häuser, die leer standen, zu Kasernen einrichten und beschloß, sein Winterquartier in Oliana zu nehmen.
Durch die letzten Märsche hatte sich meine Wunde so verschlimmert, daß sie eine ernste, sorgfältige Heilung erforderte; den catalonischen Chirurgen sich anvertrauen, hieß aber dem Henker heimfallen; sie hatten sich vorgenommen, mir das Bein abzuschneiden, was ich natürlich nicht zugeben wollte, und von französischen Wundärzten, bei geregelter Pflege, meine sämmtlichen Glieder zu erhalten hoffte. Ich bat daher den General, mich zu entlassen, da meine Dienste, den Winter über, doch nur unerheblich sein konnten. Tief ergriffen nahm ich Abschied vom Grafen de España, den ich wie einen Vater liebte und verehrte, und der mich stets wie seinen eigenen Sohn behandelt hatte. Nie wird dieser Moment aus meiner Erinnerung schwinden; der General schien wahrhaft erschüttert, drückte sich herb über seine Umgebung aus, die, meinte er, mit Ausnahme von Davila und Ybañez, aus Crapule bestehe. Er schien sein unglückliches Ende zu ahnen; denn als ich ihm kurz darauf schrieb, wenn Alles zusammenschlüge, würde mein Dach das Seine [324] sein, antwortete er mir: „je vous remerci cordialement de votre hospitalité en Silésie; je suis bien vieux, mais qui sait le terme de notre misérable vie. – Vivent les Rois, quand même!“ Diesen Brief, mit dem Stempel des General-Commandos von Catalonien versehen, besitze ich noch und bewahre ihn sorgfältig, einer Reliquie gleich.[9]
[325] Von Oliana ritt ich zum letzten Male über unsere alten Bivouacplätze, die Mühle von Querol, die Eisenhämmer [326] am Cardenet, die Brücke von Golorons, Casa Montanya, Hostal del Visbe und Casa Canudas. Am [327] zweiten Abend war ich in Caserras, nahm Abschied von meinen guten Wirthen in der Villa von Lladó, [328] oberhalb Puig Reig, passirte nochmals Berga und Borradà und traf nach zwei andern Tagen wieder [329] in Rivas, bei dem alten Trilla, ein. In Doria, an der äußersten Grenze, entließ ich meine Escorte und [330] setzte, in Begleitung des Herrn von Meding und meines Dieners, von einigen Guiden geführt, auf [331] Maulthieren meinen Marsch über den letzten Höhenkamm, Coll de Magans, fort, der mich von der französischen Grenze schied. Ungeachtet stets zunehmender Leiden war ich doch bald gezwungen abzusteigen, da das Reiten, auf diesen steilen Lehnen, beim Glatteise weit ermüdender und gefährlicher war. Von zwei Schmugglern halb getragen, setzte ich meinen Weg unter den größten Schmerzen fort. Endlich war die Gebirgsscheide erreicht. Meine Guiden legten mich auf ein Brett und schleiften mich, auf dem Schnee, den Abhang hinab. Gegen Abend erreichten wir Vallsavolléra, das erste französische Dorf.
Obgleich den Schmugglern dieser Ort, als Grenzposten, zu gefährlich erschien und sie weiter wollten, war es mir doch nicht möglich, von der Stelle zu kommen, besonders da unsere Maulthiere auf der [332] Grenze zurückgeblieben waren, und wir bis zum nächsten Orte unsern Weg zu Fuße hätten fortsetzen müssen. Unsere Guiden kannten Niemand im Dorfe; doch sind die Geistlichen in der Regel Royalisten und gewiß, mit höchst geringen Ausnahmen, alle menschlichen Sinnes. Ich klopfte daher am Pfarrhause an und sagte dem öffnenden Pfarrer, wir seien carlistische Offiziere, die ihn um Nachtlager bäten. Der würdige junge Abbé empfing uns wie der Samaritaner im Evangelium; zwar goß er nicht Wein und Oel in meine Wunde, doch verband er sie selbst und goß Wein in unsere trockene Kehlen. Er gab mir sein eigenes Bett und war unablässig darauf bedacht, für unsere Bedürfnisse zu sorgen und mich zu pflegen. Gegen Mitternacht mußte er mich verlassen, um Messe zu lesen; es war der 24. December, der Weihnachts-Abend. Als er wiederkam, befand ich mich in einem starken Fieber-Anfall, und gab meinem geistlichen Wirthe viel zu schaffen. Demungeachtet mußte am nächsten Tage aufgebrochen werden, da unsere Anwesenheit in einem so kleinen Dorfe ruchbar werden und den guten Pfarrer unnöthig compromittiren konnte. Zwar wollte er uns nicht fortlassen; doch nahmen wir, [333] innig gerührt, Abschied, und noch heute gedenke ich dankbar des barmherzigen Paters, der während unsers achtzehnstündigen Aufenthalts in seinem Hause, mit echter Gastfreiheit, auch nicht eine einzige indiscrete Frage an uns gerichtet, Namen, Land oder Reiseziel betreffend.
Wir mietheten Maulthiere und kamen, nach ein paar Stunden, nach Ossega, wo ein Douaniers-Posten über uns herfiel und uns zum Bureau schleppte, obgleich wir gar nicht daran dachten, uns verbergen oder ihnen entfliehen zu wollen. Unsere Effecten wurden registrirt und versiegelt, und uns nach langen Debatten erlaubt, unter Escorte zweier reitenden Gendarmen, die ich bezahlen und ernähren mußte, unsern Weg fortzusetzen. Als wir vor dem Douane-Hause wieder aufsaßen, hatte sich eine Masse Volk versammelt, die uns verhöhnten und beschimpften; sie verfolgten uns noch bis vor die Stadt und schickten sich eben an, Schneeballen und Koth nach uns zu werfen, als auf meine Bemerkung: „il est bien peu français, d’insulter un blessé!“ meine beiden Gendarmen mit gezücktem Säbel auf unsere Verfolger einsprengten, die auch gleich nach allen Richtungen zerstoben. Wir ritten im Angesichte der christinischen Festung Puigcerda, [334] rechts von Bourg Madame vorbei, durch einen kleinen Ort, Léocadia genannt, und brachten die Nacht in Saillagouse zu. Am nächsten Morgen wurden uns ein paar andere Gendarmen zugetheilt, die uns bis Prades, dem Cheflieu des Arrondissement, führten. Ich kann diese Leute, ebenso wie alle französischen Gendarmen im Allgemeinen, mit denen ich während meiner öfteren Arrestationen längs der spanischen Grenze zu thun gehabt, nur in jeder Hinsicht beloben. Die Gendarmen, sämmtlich gediente Soldaten, von denen viele die Campagnen des Kaisers mitgemacht, bilden durch ihr anständiges und beinahe würdevolles Benehmen einen grellen, sehr lobenswerthen Contrast zu den bubenhaften Sitten und dem rohen, ungeschlachten Auftreten der Douaniers. Die zwei alten Gendarmen, die durch zwei Tage mich von Saillagouse bis Prades nicht verließen, muß ich noch besonders anpreisen. Sie waren voll Aufmerksamkeiten für mich und schienen mehr zu meiner Bedienung oder Bequemlichkeit, als zur Bewachung mitzureiten. Sie hielten an, halfen mir auf und ab, brachten mir zu trinken, und ritten voraus, Quartier zu machen, Feuer und Essen zu bestellen. Wenn ich ihnen hierüber meine Dankbarkeit [335] ausdrücken wollte, pflegte gewöhnlich der Eine zu sagen: „honneur au courage malheureux,“ worauf der Andere regelmäßig erwiederte: „Chacun fait son devoir selon sa conviction.“ Wir ritten durch den Port des Perches, ausgesteckter Stangen wegen so genannt, die im Winter den Weg durch diesen ziemlich gefährlichen Paß zeigen. Nach zwei Stunden sahen wir links auf einer Anhöhe das Castell Mont Louis; dann ging es über Cabanasse und Fonpadrose bis Olette. Abends langte ich endlich unter vielen Schmerzen in der kleinen Festung Villefranche an, wo ich mich alsbald in ein Bett warf und, nach vielen Leiden, endlich in tiefen Schlummer verfiel. Am folgenden Tage hatte sich mein Zustand so verschlimmert, daß es unmöglich war, mich auf ein Maulthier zu heben. Meine vortrefflichen Gendarmen mittelten jedoch einen zweirädrigen Karren aus, der mit Leinwanddach, doch ohne Federn, tartane genannt wird. Ich war zu glücklich, mich auf Mäntel und Decken hineinlegen zu können; meine Wächter ritten zu beiden Seiten, und so hielt ich, nach vielen Stößen, meinen Einzug in Prades. Der Sous-Präfect schickte mich nach Perpignan, von wo man mich nach Toulouse [336] internirte, doch auch von dort, als der Grenze zu nahe, verwies, und mir endlich den Aufenthalt in Bordeaux gestattete. Nach einem mehrwöchentlichen Anfenthalte in dieser angenehmen Stadt war ich durch die große Pflege und Geschicklichkeit des Dr. Caussade, Director des Hôtel Dieu, so vollkommen hergestellt, daß ich Anfangs der zweiten Hälfte Februar mich frisch und wohl nach Paris begeben konnte.
- ↑ Mondedeú ward 1839 durch Cabrera eingelöst und de España reclamirte ihn nicht.
- ↑ Ueber den Grund dieser schleunigen und strengen Maßregel hat nie etwas verlautet. Doch ist anzunehmen, daß der General unvollständige Andeutung eines möglichen Verständnisses mit dem Feinde erhalten hatte, die zwar zu einer größern Strafe nicht bestimmt genug war, aber dennoch die Entfernung von einem so wichtigen Posten nöthig machte.
- ↑ Die größere Hälfte aller Spanierinnen heißt Marie, doch werden sie nie so genannt, sondern nach dem Beinamen des Gnadenbildes oder Marientages, unter dessen besondern Schutz sie gestellt sind, als: Incarnacion, Concepcion (abgekürzt: Concha) Carmen (N. D. des Carmes französisch) Pilar (N. S. del Pilar, U. L. F. von der Säule in Zaragoza). So habe ich Guadalupa’s und Monserrata’s gekannt, die ihres sonderbaren Namens ungeachtet, nicht weniger anmuthig waren.
- ↑ Von dieser Brücke ward Graf de España, Ende October 1839 herabgestürzt.
- ↑ Philipp d’Espagne, Bischof von Cominges.
- ↑ Gaspacho, eine Art Salat, in ganz Spanien üblich, aus geröstetem Brod, Oel, Essig, Zwiebeln, Salz und Pfeffer; im Sommer kühlend, doch immer von schlechtem Geschmacke.
- ↑ Einige Tage später ward ein Artillerie-Offizier mit einigen Soldaten zurückgeschickt, die Kanonenröhre abzuholen. [310] Man fand sie zwar tief im Schnee, im Grunde einer Schlucht, doch beging man die Unvorsichtigkeit Bauern zu verwenden, um sie heraufzuziehen, und da zu ihrem Transporte Maulthiere und geeignete Böcke fehlten, sie in deren Gegenwart in einen Felsenriß einzugraben. Die Sache wurde ruchbar, und kurz nach Abgang unserer Artilleristen kam eine feindliche Streifpartei und nöthigte die Bauern, die nichts gestehen wollten, unter den furchtbarsten Martern (sie wurden mit bloßen Füßen auf glühend heiße Platten gestellt) das Versteck anzugeben; worauf die Kanonen hervorgeholt, nach Barcelona gebracht und im Triumph durch alle Straßen geführt wurden. In van Meer’s nächstem Bulletin war mit vielem Pathos von vier dem Feinde abgenommenen Geschützen die Rede.
- ↑ De España, der voll Attentionen für mich war, hatte mir einen Miñonen gegeben. Dieser vortreffliche Bursche, der schnellste Läufer, den ich je gesehen, besaß nebenbei einige Talente in der Kochkunst. Er briet sehr gut am Spieße; auch verstand er aus Bohnen und einem Schöps sechs verschiedene Schüsseln zuzurichten. Mir ist dabei stets der Savoyard eingefallen, der in Paris angekommen, die Kneipen seines Vaterlandes weit vorzog, in denen man so verschiedene Speisen aus Schweinefleisch bereite. Mein Miñone wurde von mir oft als Marmiton mit bestem Erfolge verwendet, [312] und zeichnete sich durch Schnelligkeit und Sauberkeit aus. Wenn einem meiner freundlichen Leser ein solcher Marmiton bekannt sein sollte, so bitte ich ihn unfrankirt an meinen Verleger, Herrn J. D. Sauerländer in Frankfurt am Main schicken zu wollen, der ihn mir sogleich zukommen lassen wird.
- ↑ Obgleich die Ermordung des Grafen de España in eine Epoche fällt, als ich mich nicht mehr in Catalonien befand, so glaube ich doch, zur Ergänzung der Skizzen über meinen alten General, die Geschichte dieses schauderhaften Vorfalls hierher schreiben zu müssen. Die Einnahme on Ripoll, einige glückliche Gefechte und die um Vieles vervollkommnete militärische Organisation seiner Provinz, hatten dem Grafen de España eine imposante Stellung gegeben, als der König im September 1839 den französischen Boden betrat. Wenn gleich die, durch den General eingeführte Ordnung, den Häuptlingen und der Junta nicht gefiel, so war doch nunmehr ihr Einfluß neutralisirt, und sie sahen sich darauf beschränkt, Intriguen mit dem königlichen Hoflager zu unterhalten, nachtheilige Gerüchte auszustreuen, das Vertrauen des Königs und der Armee zu untergraben und überall gegen die Autorität des Grafen de España aufzuwiegeln. Er kannte alle diese Umtriebe; doch verachtete er sie, vielleicht zu sehr. [325] Als die Nachricht nach Catalonien kam, daß der König Spanien verlassen, befürchtete de España die Folgen des ersten Eindrucks. Diesem zuvorzukommen, dem sinkenden Enthusiasmus einen neuen Impuls zu geben, suchte der Graf alle Erinnerungen zu wecken, die im Herzen jedes Spaniers, aus den großen Zeiten ihres Befreiungskampfes fortleben. Eine Maßregel, welche in dieser heroischen Epoche von den bedeutendsten Folgen gewesen, schien ihm geeignet, gleichen Anklang zu finden – es ist die Souveränetät und königliche Machtvollkommenheit der Provinzial-Juntas während der Abwesenheit und Gefangenschaft des Königs. So viele trübe, unglückliche Ereignisse hatten sich wiederholt: die gewaltsame Abdication im Schlosse von Marrac und der Verrath auf den Feldern von Vergara; Ferdinand VII. Gefangenschaft in Valençay und Carl’s V. Gefangenschaft in Burges – sollten denn die glanzvollen Momente sich nicht wiederfinden? – der General-Capitain Graf de España erklärte also unterm 1. October 1839 die Regierungsjunta von Catalonien, deren Präsident er war, souverän während der Abwesenheit und Gefangenschaft des Königs (Junta superior gubernativa, soberana durante la absencia y cautividad del Rey N. S.) – dieß kostete ihm das Leben. [326] Der Präsident jeder spanischen Junta hat nur zwei Stimmen: die Junta kann sich legal, in seiner Abwesenheit, unter Vorsitz eines Vocals-Vicepräsidenten versammeln, in ihrem Pleno bei absoluter Majorität abschließen und decretiren. Der erste Beschluß der nun souverän gewordenen Junta, in geheimer Sitzung gefaßt, war: die Absetzung und Entfernung ihres General-Capitains und Präsidenten, des Grafen de España. Doch wagte sie nicht ihr Decret zu veröffentlichen, die Stimmung der Truppen scheuend, die – namentlich die Soldaten – enthusiastisch an ihrem Führer hingen. Ein geheimes Mittel, eine unwürdige Falle wurde auserwählt, in die sie den alten Feldherrn lockten. An einem bestimmten Tage fanden sich mehrere unzufriedene Häuptlinge in Avia ein, und als sie ihrer Helfershelfer versichert waren, ließen die Mitglieder der Junta, unter Vorsitz ihres Vicepräsidenten, des Brigadiers Don Jacinto Orteú, durch ihren Secretär Narciso Ferer, einen Advocaten aus Barcelona, dem Grafen de España nach Berga schreiben: einige wichtige Geschäfte erheischten seine Gegenwart; sie bäten ihn zu kommen, einer Sitzung zu präsidiren. Nur von wenigen Reitern, Miñonen und einem seiner Adjutanten, dem Oberstlieutenant Don Luis de Adell (einem tüchtigen, gebildeten jungen Offizier) begleitet, [327] traf der General-Capitän noch denselben Morgen in Avia ein, und ward vor dem Regierungsgebäude, von einigen Mitgliedern der Junta ehrfurchtsvoll empfangen. Als er in den Sitzungssaal trat, ging einer der Vocale mit dem Finanz-Intendanten Don Gaspar de Labandéro (Sohn des Ex-Finanz-Ministers) zum zurückgebliebenen Adjutanten, und schickten ihn, vorgeblich im Auftrage des General-Capitäns, sogleich nach Berga zurück. Dann wandten sie sich zum Cabo de Mozos und befahlen ihm, im Namen des Generals, sich mit seinen Leuten in ein nahestehendes Haus zu verfügen und dort abzukochen, da der Graf über Mittag bei den Herren der Junta verbleiben wolle. Die Cabos de Mozos hatten, ihrem Diensteide zufolge, nur vom General in Person Befehle zu empfangen, daher sich der Erwähnte anfänglich weigerte, Folge zu leisten. Doch stellte ihm Labandéro im natürlichsten Tone vor, dieses geringe Zutrauen sei wenig schmeichelhaft für ihn, den höchsten Finanz-Beamten der Provinz; wenn er übrigens den geringsten Zweifel hege, möge er hinaufgehen und den General selbst fragen. Dieser Nachsatz beruhigte den Cabo und er zog sich mit seinen Leuten zurück. Nun fiel die Escorte der Junta, zur Sicherheit und als Amtsboten ihr beigegeben und aus vierzig Gendarmen bestehend, über die vier reitenden Ordonnanzen des Generals her und band sie. [328] Während dieses sich mit der größten Schnelligkeit ereignete, trat der General-Capitain arglos in den Sitzungssaal. Er trug an diesem Tage seinen gewöhnlichen, blauen Oberrock von militärischem Zuschnitt, doch ohne alle Abzeichen seiner Würde, und nur auf der Brust mit dem gestickten Ritterkreuze von Santiago geziert; den Generalshut, Säbel und das Rohr mit goldnem Knopfe, in Spanien ein Zeichen des activen Commandos. Auf diesen Stock gestützt, ihn nach hinten haltend, stand der General vor dem Kamine im Sitzungssaal; allein, unter vierzehn Verschwornen, die alle Dolche und Pistolen unter ihren Gewändern verbargen. Mehrere Minuten vergingen; Keiner wagte Hand anzulegen an den ergrauten Helden. Da trat Don José Pons vor (el Bep del Oli, der Ex-Gouverneur von Berga), näherte sich ihm, stieß mit dem Fuße nach seinem Stocke, und als Graf de España zurückwankte, schlug er ihm zwischen die Beine von hinten, daß der General zu fallen kam. Da stürzten sie Alle über ihn her, wie die Krähen über den verwundeten Adler; zuerst rissen sie ihm seinen Säbel weg, dann banden sie ihn an einen Stuhl, und nun verlas ihm Ferer seine Absetzung. Der General verlangte die königliche Ordre zu sehen, der er sich allein unterwerfen wolle, und [329] schwor allen Anwesenden, er würde sie sonst hängen lassen; doch schrieen sie, er solle schweigen, und Ferer verkündete ihm, daß er und der Oberst Pons ihn unter Besatzung an die französische Grenze abführen würden. Er wurde geknebelt und in eine finstere Kammer geworfen. Als sein Adjutant aus Berga zurückkam, ward er, unter Vorschützung eines Befehls des Generals, arretirt und gefänglich eingezogen. Bei Nacht wurde endlich Graf de España hervorgerissen, auf einen Esel gesetzt und durch Ferer und Pons, unter Begleitung von zwanzig Mann Gendarmen der Junta, in größter Stille und Eile, auf kaum gangbaren Steigen nach den Wildnissen der höchsten Sierren abgeführt. Unterwegs gesellten sich mehrere Spießgesellen der Junta zu ihnen, deren Namen ich nicht verbürgen kann. Herr von Göben, der sich zu jener Zeit in Catalonien befand, erzählt in seinem Buche (Vier Jahre in Spanien, Erinnerungen aus dem Bürgerkriege), daß auch Porredon (el Ros de Eroles) und Mariano Orteú, einer der Adjutanten des Grafen, darunter gewesen; ja daß Letzterer eine Pistole auf ihn abgedrückt habe, als der sterbende Feldherr, im Glauben er komme ihm zu helfen, ihn noch schwach angerufen. Meine Quellen berichten, daß am dritten Tage eiligen Marsches die Mörder des Grafen de España mit [330] ihrer Beute zum Passe der drei Brücken (de los tres puentes) am obern Segre kamen. Als sie endlich auf der Brücke de los Espias standen, riß Bep del Oli den General vom Esel herunter, stieß ihm seinen langen Dolch in den Rücken und zeichnete ihn mit einem Kreuzhiebe über das ganze Gesicht weg, ihn unkenntlich zu machen. Hierauf nahm er ihn beim Kopfe, Ferer bei den Füßen und sie stürzten ihn in den Abgrund. Der Leichnam schwamm den Segre herab, bis zur kleinen Stadt Ager (de Segre), wo die Feinde Garnison hielten. Die Schildwache am Strome sah Nachts einen dunkeln Körper im Wasser; er ward herausgeholt und der wachthabende Offizier erkannte den königlichen General-Capitain von Catalonien, Grafen de España. Er berichtete nach Barcelona, das revolutionäre Spanien wäre nun seines gefährlichsten Feindes entledigt; ich weiß nicht ob nach Bourges geschrieben worden, daß König Carl V. seinen treuesten Diener, größten Feldherrn verloren. Graf Carl de España war Graf von Foix, Vicomte von Couserans und von Comminges; Grand von Spanien erster Classe; Großkreuz der königlich Spanischen Orden von Carlos III., San Fernando und San Hermenegildo, Ritter von Sant Jago, Großkreuz des königlich französischen Sanct Ludwig- und des königlich [331] Neapolitanischen Sanct Ferdinand-Ordens; Malteser-Ritter; Präsident der königlichen Junta, General-Lieutenant und commandirender General der königlichen Fußgarde; General-Capitain des Fürstenthums Catalonien und oberster Chef sämmtlicher Gerichtsbehörden in demselben; wirklicher Kämmerer und Staatsrath Sr. Cathol. Majestät, beständiger Regidor von Palma.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Vorlage: ich ich