Erinnerungen an König Ludwig den Ersten von Baiern
Erinnerungen an König Ludwig den Ersten von Baiern.
König Ludwig der Erste von Baiern war in vielen Beziehungen eine so bedeutende, eigenthümliche und großartige Erscheinung, daß er gewiß für immer im Munde des Volkes fortlebt, wenn auch Manches, was er gethan, vergessen und Vieles, was er geschaffen, der Zeit zum Opfer gefallen sein wird. Sind es die Züge aus dem Privatleben und dem persönlichen Umgang, die über die Popularität eines Fürsten entscheiden, so sind sie gewiß nicht die werthlosesten zur Zeichnung seines Charakters. Das Gedächtniß hält sie am liebsten fest; sie bringen ihn uns als Menschen näher, als jene Erinnerungen aus dem öffentlichen Leben, die uns überall in Fracturschrift entgegen glänzen, wohin er seinen Fuß gesetzt, wohin sein Geist gereicht hat. – Ich war so glücklich, ihm persönlich bekannt zu sein, und bin während vierzig Jahren vielfach mit ihm in Berührung gekommen, in friedliche und freundliche, aber allerdings zuweilen auch in bedenkliche. Wenn er es aber auch ungern sah, daß ich eine der seinigen entgegengesetzte Ansicht aussprach und festhielt, ja, wenn er selbst heftig werden konnte: für einen Gegner – das wußte er wohl! – durfte er mich nicht halten, und so erlitten die guten Beziehungen nie eine langandauernde Unterbrechung. Ueber politische Angelegenheiten bin ich nie mit im in Conflict gekommen, und während der beklagenswerthen Verirrung von 1847 habe ich weder mündlich noch schriftlich ein Wort mit ihm zu wechseln Gelegenheit gehabt. Vieles aber von dem, was mir aus der Zeit vorher und nachher von dem Verkehr mit ihm in Händen und im Gedächtniß geblieben, halte ich für werth, unverloren zu bleiben. Sind es auch nur vereinzelte Züge: sie werden doch das Bild des deutschen Mannes, des Fürsten, des Menschen von natürlicher Denk- und Empfindungsweise vervollständigen helfen. –
Meine erste Bekanntschaft mit König Ludwig fällt in das Jahr 1827; sie wurde nur auf dem Papier gemacht, wo sich unsere Handschriften begegneten. Ich war beauftragt, das Programm für die Fresken des Hofgartens zu entwerfen, und bekam mein Manuscript zurück mit Bemerkungen, Correcturen und mit der Genehmigung desselben von des Königs Hand, woraus ich sah, welche gewissenhafte Aufmerksamkeit er einer im Ganzen sehr untergeordneten Aufgabe geschenkt hatte.
Wir hatten bereits in den Arcaden zu malen angefangen, als eines Tages heftig an die Thür angeklopft wurde. Es war in der Mittagstunde und außer mir Niemand da. Das Klopfen wurde so stark wiederholt, daß ich den Rock, den ich an den Nagel gehängt, hängen ließ und die Thür öffnete. Da stand der König! „Ich muß doch sehen, was Sie schaffen!“ fing er an. „Wie heißen Sie?“ und als ich meinen Namen genannt – „vielleicht ein Bruder von Friedrich Förster?“ – „Ja!“ – „Ah, das freut mich. Ihren Bruder schätze ich sehr! Sein köstliches Gedicht auf die [201] langwierigen Pariser Verhandlungen habe ich in Paris auswendig gelernt: Wie lange wollt’ ihr noch abern und odern?“ und nun sagte er das ganze Gedicht her (das übrigens zufällig und mit Unrecht unter meines Bruders Namen geht, während es von A. Bercht aus Bremen herrührt) und trug mir wiederholt viele, viele Grüße an ihn auf. Dann mußte ich ihm meine Arbeit und die Arbeiten meiner Genossen zeigen, dazu eines Jeden Namen und Heimath angeben, wobei es sich herausstellte, daß wir von Nord, Ost und West nach München gekommen, zu seiner großen Freude. „Schön! das ist sehr schön! Aus allen Gauen Teutschlands (er sprach und schrieb immer Teutschland!) kommen die Künstler zu mir! Wir wollen ein rechtes Kunstleben führen.“ Er wiederholte seine Besuche sehr oft und nahm den lebhaftesten Antheil an dem Fortgang der Arbeiten. – Er hatte ein sehr gutes Gedächtniß, besonders für Personen, aber einen einmal gefaßten Irrthum hielt er mit derselben Beharrlichkeit fest. Obschon ich ihm bei oben genannter Gelegenheit Bercht als den Verfasser des Gedichts genannt, so begrüßte er mich doch bei jedem seiner Besuche in den Arcaden mit der Erinnerung an Friedrich Förster’s köstliches Gedicht: „Wie lange wollt ihr noch etc.“
In den dreißiger Jahren war die Erinnerung an die Befreiungskriege noch sehr lebendig in Deutschland und Kriegslieder von Theodor Körner und seinen Kampfgenossen wurden auch in München häufig in Concerten gesungen. In einem solchen Concerte im neuerbanten Odeon wurde unter andern meines Bruders Lied auf Theodor Körner’s Tod: „Bei Wöbbelin auf freiem Feld etc.“ gesungen. König Ludwig war zugegen, wie er ungern ein Concert im Odeon versäumte. Als das Lied zu Ende war, erhob er sich, sah sich um und ging, als er mich erblickte, auf mich zu, faßte meine Hand und sagte, sichtlich tief erregt, zu mir: „Diese Zeit, Förster, gehört uns und wir wollen sie festhalten im Herzen! Wir wollen ihr treu bleiben, treu bis in den Tod! Schreiben Sie das Ihrem Bruder!“ Als dann im Jahre 1838 bei der fünfundzwanzigjährigen Gedächtnißfeier des Aufrufs König Friedrich Wilhelm’s des Dritten „An mein Volk“ meines Bruders Kriegslieder erschienen und er mir ein Exemplar für den König geschickt hatte, schrieb derselbe an mich:
„Herr Ernst Förster! Ich habe mit Ihrer Zuschrift vom 20. d. M. das von Ihrem Bruder Friedrich Förster für Mich zugesandte Exemplar seiner im Druck herausgegebenen Kriegslieder, als Festgabe zur fünfundzwanzigjährigen Jubelfeier der freiwilligen Jäger, empfangen. Mich freut es aufrichtig, wenn ich sehe, daß man in der gegenwärtigen Zeit jener Tage gedenkt, wo solche Begeisterung und Einigkeit der teutschen Stämme das gemeinsame teutsche Vaterland befreyt hat. Bewahren wir diese Zeit, Mir ist sie keine Vergangenheit, wie ich Ihnen einst mündlich äußerte, treu im Herzen, und droht wieder ein Feind Deutschlands Grenze, dann finde er in derselben Eintracht mit dem nehmlichen glühenden Gefühle alle Teutschen wieder! Dieses ist meiner Seele glühender Wunsch. Drücken Sie Ihrem Bruder, der der guten Ausnahme seiner Gabe gewiß seyn konnte, für seine Aufmerksamkeit Meinen Dank aus und empfangen Sie die Versicherung Meines Königlichen Wohlwollens. München, den 23. Februar 1838.
König Ludwig wußte die stärksten Contraste in sich zu vereinigen. Er hielt sehr streng auf Etikette und duldete keine Vernachlässigung der seiner königlichen Würde gebührenden Achtungsbezeigung, und doch liebte er natürliches Gebahren und mochte vorkommenden Falles weder sich noch Andere geniren. Einem Studenten, der ihn auf der Straße nicht grüßte, schlug er die Mütze vom Kopf; einem Recruten, der Schildwache stand und aus Unbekanntschaft nicht salutirte, rief er schon von weitem zu: „Präsentirt! Der König!“ Und doch litt er bei der obenerwähnten Begegnung in den Arcaden nicht, daß ich meinen Rock anzog, und ging, mich am Arm fassend, auf und nieder mit mir; und als ich ihm einmal bei starkem Regen und Wind auf der Straße in den Weg kam und eben grüßen wollte, rief er mir zu: „Nicht, nicht! Das ist kein Wetter für Höflichkeiten!“ Den Maler Gust. König, den er gern besuchte, redete er gewöhnlich in heiterem Scherz mit „Ew. Majestät!“ an. Ueberhaupt unter Künstlern legte er gern die Krönungs-Insignien beiseite. Bei einem Künstler-Maskenfeste erschien er in der vorschriftmäßigen Narrenkappe, vor der mehr als ein ernster Würdenträger zurückgeschreckt war. Ich erinnere mich eines anderen Künstlerfestes auf der nahen Menterschwaige, auf welchem er am Schluß des Diners erschien, da die Stimmung bereits sehr erregt war. Mit Jubel empfangen, mit Toasten bestürmt, mochte er doch eine Besorgniß empfinden vor den immer höher gehenden Wogen der Begeisterung und suchte nach kurzem Verweilen den Ausgang, fand ihn aber besetzt und sah sich als den Gefangenen seiner Verehrer. Ohne sich viel zu besinnen, ging er rasch nach dem nächsten Fenster (der Saal war ebener Erde) und mit dem Rufe „Freiheit!“ sprang er in’s Freie und eilte nach seinem Wagen, aus dem er noch siegesfrohe, aber herzlich heitere Grüße zurückwinkte.
Dabei aber nahm er es sehr ernst, wenn er sich in seiner Ehre verletzt fühlte, in seinem Handeln verkannt oder verleumdet glaubte. Ich selbst, trotz all’ seiner unverkennbaren Freundlichkeit gegen mich, bin mehrmals mit ihm in schwere Conflicte gerathen. Nach Beendigung der Frescomalereien in der Ludwigskirche (1840) war Cornelius bei dem König in Ungnade gefallen und sah sich von ihm so tief gekränkt, daß er um seine Entlassung einkam und Baiern den Rücken kehrte. Um diese Zeit ließ mich einmal der König in sein Cabinet rufen und wendete sich sogleich mit der Frage an mich, was ich von den Frescomalereien von Cornelius in der Ludwigskirche halte? Ich wollte das Bedeutende der Conception, die Klarheit der Anordnung, den großen Stil der Zeichnung hervorheben, als mir der König in’s Wort fiel:
„Aber die Malerei! Die Malerei taugt nichts! Ein Maler muß malen können!“
Ich erwiderte: „Aber Cornelius ist mehr, als ein Maler, er ist ein Künstler und zwar einer der allergrößten!“
„Und doch kein Maler!“ rief der König mit erhöhter Stimme. „Er will fort. Ich werde ihn nicht halten!“
„O Majestät,“ sagte ich, „das ist sehr traurig für München, für Alle! Und Sie, Majestät, verlieren mit ihm eine Perle aus Ihrer Krone!“ –
Dies letzte Wort brachte den König in eine ungeheuere Aufregung.
„Was,“ sagte er, „wer ist die Kunst in München? Ist es Cornelius? Ich, der König – –“ Die laute, heftige Sprache des Königs hatte die Königin im Nebenzimmer aufgeschreckt; sie trat ein, und mit ihr auch zugleich Beruhigung. Der König ging sogleich in eine sanftere Tonart über, aber doch nur vorläufig, wie ich noch an demselben Tage erfahren mußte, da mir mehrere Künstler, die er in ihren Werkstätten nach aufgehobener Tafel besucht hatte, mittheilten, er habe mich bei ihnen wegen Ueberschätzung von Cornelius verklagt und sie selbst damit nicht recht gewürdigt. – In der Folge hat er freilich wohl die Größe des Verlustes erkannt, zumal als auch noch Schnorr ihn verließ und Schwanthaler, Nottmann, Gärtner starben, Kaulbach vornehmlich für und in Berlin thätig war, und hat sich aufrichtig bemüht, das alte freundschaftliche und herzliche Verhältniß mit Cornelius wiederherzustellen.
Inzwischen hatte der König das gegen mich gefaßte Mißtrauen, wie grundlos es auch war, festgehalten, wie es denn überhaupt schwer war, ihn von seiner Meinung abzubringen oder auf seine Vorstellungen einen bestimmenden Einfluß auszuüben. In München ist es allgemein bekannt, wie er stets die beiden Naturforscher, die unter seines königlichen Vaters Regierung Brasilien bereist hatten, Spix und Martius, mit einander verwechselte und immer Einen für den Andern anredete. Spix starb; der König begegnete Martius und das erste Wort der Begegnung war: „Ah, Spix! wie freut es mich, daß der … Martius todt ist und ich Sie nun doch nicht mehr mit ihm verwechseln kann!“ – Als ich in den dreißiger Jahren im neuen Königsbau im Salon der Königin mit Malereien zu Wieland’s Dichtungen beschäftigt war, zugleich mit Eugen Neureuther, der den Oberon illustrirte, kam der König eines Mittags herein, die Arbeiten zu besichtigen. Neureuther war nicht zugegen; ich mußte den Cicerone machen. Bei dem Gastmahl des Kalifen von Bagdad fiel ihm der reichgekleidete Großvezier als besonders dick auf. „Sagen Sie Neureuther,“ sprach er zu mir, „der Türke ist zu dick! Ein dicker Türke schickt sich nicht für den Salon der Königin!“ Neureuther änderte die Gestalt und gab ihr eine feine Taille. Vergebens! Der Türke war noch immer „viel zu dick!“ Neureuther schnürte ihn nun zur Unmöglichkeit zusammen – Alles umsonst, er blieb „zu dick!“ So löschte ihn Neureuther ganz aus. Aber auch das half noch nichts: der Türke war und blieb zu dick für den Salon der Königin, bis ich mir erlaubte, dem gnädigsten Herrn auf’s Gerüst [202] zu helfen und ihn von dem Thatbestand letzter Hand zu überzeugen, womit er sich alsdann vollkommen befriedigt erklärte.
Uebrigens hinderte ihn seine Beharrlichkeit nicht, nachzugeben, oft sehr rasch nachzugeben, wenn er den Widerspruch für begründet erkannte. Viele Beispiele stehen mir zu Gebote, ich will mich mit zweien begnügen. Er hat bekanntlich Jean Paul in Baireuth eine Ehrenbildsäule errichtet. Als die Statue gegossen war, kam ich in die Gießerei und sah die für das Postament bestimmte Inschrift: „Jean Paul Friedrich Richter, Schriftsteller.“
Ich erlaubte mir, dem König – der, beiläufig gesagt, mehrfach in Betreff der Statue mit mir Rücksprache genommen – zu schreiben: „Entweder ist der Zusatz ‚Schriftsteller‘ nöthig, so verdient Jean Paul die Statue nicht, oder er verdient sie: dann ist die Bezeichnung überflüssig.“ Noch denselben Nachmittag ging der König in die Gießerei und gab den Auftrag, die Bezeichnung „Schriftsteller“ wegzulassen. Ja, er scheint den Fall über zwei Jahrzehnte im Gedächtniß behalten zu haben, denn bevor er im Jahre 1863 die Schillerstatue in München aufstellen ließ, schrieb er unterm 2. November 1862 an mich: „Herr Dr. Ernst Förster, wünsche recht bald zu erfahren, welche Inschrift Sie am Fußgestell Schiller’s für die geeignetste halten. Ihr wohlgewogener Ludwig.“
Nach Errichtung des Ehrenstandbildes von Jean Paul in Baireuth hatte ich im Auftrag der Familie den König gebeten, des Dichters Handschrift zu seinem letzten Werke, der „Selina“, als schwaches Dankeszeichen annehmen zu wollen, und erhielt von ihm die Antwort:
„Herr Dr. Förster! Ich nehme mit Vergnügen die mir von Ihnen und im Auftrage von Jean Paul’s Hinterbliebenen, mit Schreiben vom 10. dieses vorgelegte Handschrift des gesicherten Verfassers letzten Werkes: ,Ueber die Unsterblichkeit der Seele’, als ein Geschenk für Meine Hof- und Staatsbibliothek an, und erwiedere dabey den Mir für das – dem unvergeßlichen Manne, von mir bestimmte Denkmahl, dargelegten Dank mit dem Ausdrucke meiner geneigten Gesinnungen. Ich bemerke zugleich zu Ihrer Verständigung, daß die auf des befraglichen Denkmahles Fußgestelle nach Meiner Vorschrift angebracht werdende Inschrift die Bezeichnung ,Schriftsteller’ nicht enthalten werde. Mit Königlicher Gnade Ihr wohlgewogener
München, 13. October 1841.
Ein anderer Fall war etwas weniger harmlos, aber nicht weniger ein Zeugniß für die Bereitwilligkeit des Königs, gegründetem Widerspruch gerecht zu werden. Seit dem Tode Schorn’s 1842 war ich mit Franz Kugler in Berlin Redacteur des Kunstblattes, einer Zeitschrift, welcher der König aus erklärlichen Gründen viel Aufmerksamkeit schenkte. Die Gemäldesammlung der Pinakothek war 1843 durch drei Bilder bereichert worden, von denen das eine den Namen Giotto’s, das andere den des Montagna, das dritte den des Giov. Bellini, und zwar nach meiner Ansicht ein jedes mit Unrecht, trug. Ich hatte es unter den kleinen „Nachrichten“ im Kunstblatt einfach mitgetheilt. Einige Zeit danach wurde mir von Stuttgart aus ein Manuscript als „Berichtigung“ zur Redaction für das Kunstblatt zugeschickt, das von hier aus dorthin gegangen war und in welchem ich wegen jener Nachricht mit Uebermuth und mit Verunglimpfung angegriffen wurde. Ich kannte die Handschrift des Verfassers, erkannte aber auch sogleich an einigen Correcturen darin des Königs Handschrift. Ich schrieb deshalb sogleich an den König, daß dieses Manuscript (das, wie ich ersehen, ihm nicht unbekannt sei) in meine Hände gelangt sei, daß dem Verfasser desselben in seiner Unbekanntschaft mit den Werken der italienischen Kunst jede Berechtigung zu seiner „Berichtigung“ fehle und daß ich dies, wenn der Artikel nicht umgeändert würde, in sehr entschiedener Weise in einer Nachschrift aussprechen würde. Das Manuscript wurde im Auftrag des Königs (im Mai) abgeholt und kam im October zu einer anständigen Kritik umgearbeitet wieder in meine Hände und dann ohne Nachschrift in’s Kunstblatt.
Der König hatte nachgegeben; er mochte es am Ende als die Meinungsverschiedenheit zwischen zwei Kunstschriftstellern auffassen, von der es ganz passend war, wenn sie in gemessener Weise zu Tage trat. –
Der König war sehr ökonomisch und galt darum bei Vielen für geizig, während er nur leichtsinnige sogenannte Ehrenausgaben vermied, aber in großartigster Weise Wohlthaten spendete. Er konnte im Schloßthor umwenden, um sich statt des guten Regenschirmes seinen „alten“ vom Lakai holen zu lassen, „weil es regnete!“ Er führte kein Geld bei sich; es traf sich aber, daß er einen Blumenstrauß für zwölf Kreuzer bei der Verkäuferin am Hofgarten borgte, sie aber durch einen ihm bekannten Herrschaftsbedienten, zu dessen Schuldner er sich nun machte, befriedigen ließ. Den Bedienten ließ er nach einigen Tagen zu sich rufen, um ihm – die zwölf Kreuzer zurückzuerstatten! während dieser wie die Blumenverkäuferin sich auf ein „königliches Douceur“ gespitzt hatte. – Bei einem starken Regenguß, der ihn in der Vorstadt überfallen, trat er in einem kleinen Hause unter und hörte bald laut, bald leise über sich wimmern. Er ging den Lauten nach und trat in ein ärmliches Zimmer, wo eine Frau mit ihrem Kinde neben einem Krankenlager saß. Er erfuhr, es sei ihr Mann, ein Maurer, der vom Gerüste gefallen und arbeitsunfähig geworden, und nun, ohne Verdienst, fehle alle Nahrung; alle Wege, eine Unterstützung zu finden, seien vergeblich gewesen.
„Seid Ihr denn schon,“ frug sie der König, „beim König gewesen?“
„Ach, bei dem Geizhals,“ war ihre Antwort, „ist vollends nichts zu holen!“
Der König, der sich unerkannt sah, bestellte unter einem leicht gefundenen Vorwand sie auf’s Schloß und dort erhielt sie eine Rolle mit hundert Gulden unter der Aufschrift: „Von dem Geizhals Ludwig.“
Diese Kraft der Selbstbeherrschung zu bewähren, bot ihm das Jahr 1848 vielfach Gelegenheit. Ich sah ihn eines Tages vor mir hergehen, es war im März desselben Jahres. An einer Straßenecke saß ein altes Weib mit Lithographien. Der König nahm eines der Blätter auf, sah es an und legte es der Alten ruhig wieder hin. Ich nahm es auch auf: es war eine Caricatur auf König Ludwig am (oder unterm) Galgen! Natürlich zerriß ich die Blätter.
Der Künstlerdeputation, die nach der Thronentsagung ihm unser Aller Schmerz ausdrücken sollte und eine von uns unterschriebene Adresse überreichte, sagte er: „Drei Stunden habe ich gebraucht zu dem Entschluß, mich von der Krone zu trennen, aber drei Tage zur Resignation auf die Kunst!“ Und er hat doch alle seine unternommenen Werke zu Ende geführt! Er dankte in einem Gedicht, das er Jedem, dessen Name unter der Adresse stand, einzeln in Couvert zuschickte.
Im Jahre 1850 wurden die Fresken an der neuen Pinakothek in München begonnen, zu denen W. v. Kaulbach die ausgeführten Entwürfe geliefert hatte. Bekanntlich ist ihr Gegenstand das Kunstwirken des Königs Ludwig und zwar nach einer sehr satirischen Auffassung, die Anklagen und Vertheidigungen in öffentlichen Blättern hervorrief. Ich schrieb damals ungefähr folgende Zeilen in die Allgemeine Zeitung: „Die Gemälde Kaulbach’s an der neuen Pinakothek in München sind entweder wahr, dann ist das ganze Kunstleben des Königs Ludwig eine Thorheit; oder sie sind, was ich glaube, nicht wahr, dann sind sie der Vernichtung verfallen! Wind und Wetter werden bald das Ihrige dazu thun; aber ein hochherziger Entschluß sollte dem zuvorkommen!“
Der König hat die Arbeit den Elementen überlassen, die ihre Schuldigkeit bereits ausgiebig gethan haben; mich aber redete unmittelbar nach meiner obigen Erklärung der König auf offener Straße an: „Nicht Kaulbach, ich habe die Bilder angegeben, ich, der König!“ worauf ich ruhig, aber mit Bestimmtheit erwiderte: „Majestät! wir leben in einem constitutionellen Staate! Nicht der König, sondern wer seine Befehle vollzieht, ist verantwortlich!“ worauf denn natürlich keine Antwort erfolgte. Ich traf aber nach der Zeit mit ihm in der Werkstatt Kaulbach’s zusammen, wo der Entwurf zu einem neuen Gemälde jener Bilderfolge, ein Künstlerfest, auf der Staffelei stand. Den Mittelpunkt bildete die Statue des Königs, die von Mädchen aus dem Volk in nicht sehr anständiger Haltung bekränzt, von einer Schaar ziemlich roh aussehender Künstler angesungen wurde. Kaum, daß der König einen Blick darauf geworfen, brach er in die Worte aus: „Das ist ja Satire! Auf den König darf man keine Satire machen!“ Und als Kaulbach sagte: „Man kann ja da noch ändern!“ rief er: „Man kann? Nein! Man muß!“ Die Aenderung ist erfolgt. Auch ich erfuhr eine Veränderung von Seiten des Königs, der sich meines oben erwähnten Wortes zu erinnern schien. Er war wieder freundlich und gnädig.
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Schon im Jahr 1846 hatte mir der König schriftlich sein großes Interesse ausgesprochen, was er an der Errichtung der Herder-Statue in Weimar (für welche ich besonders thätig gewesen war) genommen, und mich ermächtigt, dies bei der Grundsteinlegung kundzugeben. Das hatte mich später ermuthigt, seine Theilnahme für Ausführung der Denkmäler Goethe’s, Schiller’s und Wieland’s in Weimar anzusprechen. Auf meinen desfälligen Brief vom 11. Januar 1852 erhielt ich in frühester Morgenstunde des andern Tags folgende Antwort:
„Herr Dr. Förster, erwidere auf Ihr gestern erhaltenes Schreiben, daß ich[1] mit dem Gedanken mich beschäftigt, wie geeignet es seyn würde, wenn die vier Sterne Weimars und deren Beschützer, der verewigte Großherzog Karl August, ein gemeinschaftliches Denkmahl daselbst bekämen. Seit aber Herder’s Standbild daselbst errichtet ist, geht dieses nicht wohl mehr an. Wenn jedoch in Weimar Goethe, Schiller und Wieland jeder eine Bildsäule in der Größe, welche die Herder’sche hat, bekämen, oder was vielleicht noch besser lassen würde, was beyde ersteren betrifft, die von Rauch modulierte Gruppe derselben, aber mit der eine Bedingung abgebenden Veränderung, daß auch Schiller einen Lorbeerkranz statt der Rolle in die Hand bekäme, die Kosten dafür, auch die für Wieland’s Standbild bis Ende dieses Jahres 1852, einschließlich der Fußgestelle und alle Ausgaben gedeckt, spätestens in der Hälfte 1853 mit der Ausführung begonnen und bis Schluß 1856 diese drey Bildsäulen (gleichviel ob Jeder eine einzelne bekäme oder Goethe und Schiller zu einer Gruppe verbunden würden) alle drey hier in München gegossen würden, so mache ich mich anheischig, das Metall zu diesen drey Bildsäulen zu schenken. Bliebe jedoch auch nur eine dieser Bedingungen unerfüllt, so würde es mich jeder Verbindlichkeit entheben. Wie schön! wenn in der Stadt, wo diese vier Männer lebten, sie nach Jahrhunderten noch zu sehen wären. Daß das großherzogliche Haus dem Großherzog ein Denkmahl setze, scheint passend. Es ist lobenswerth von Ihnen, sich dieses Gegenstandes anzunehmen, solches zu würdigen wissend
Ihr Ihnen wohlgewogener
München, 12. Jänner 1852. Ludwig.“
Die warme Theilnahme, die der König dem hier bezeichneten Unternehmen gewidmet, erhält noch ein besonders helles Licht, wenn ich hinzufüge, daß ich obige Antwort auf meinen Brief, den er erst am Abend des 11. erhalten haben konnte, am folgenden Morgen schon vor Tagesanbruch empfing, so daß sie seine erste Morgenarbeit – er stand im Winter wie im Sommer immer um fünf Uhr auf – gewesen sein mußte. Aber sein Brief macht uns noch auf einen andern sehr bemerkenswerthen Zug in seinem Charakter aufmerksam; ich meine die Stelle mit den auf die Kostendeckung gestellten Bedingungen. Wer weiß es nicht, daß Kunst- (und andere Unternehmungen) Jahre, Jahrzehnte oder auch für immer in’s Stocken gekommen, weil man sie ohne genaue Berechnung der Mittel für die Durchführung begonnen hatte. König Ludwig ist nie an die Ausführung eines seiner Werke gegangen, ohne vorher über Tag und Stunde der Vollendung und über den letzten dazu nöthigen Groschen vollkommene Sicherheit zu haben. Kaulbach’s „Zerstörung von Jerusalem“ hatte er erworben, ohne demselben über die Bestimmung des Bildes, so oft er auch befragt wurde, eine Auskunft zu geben. Ueber ein Jahr war so vergangen, da trat der König zu Kaulbach in die Werkstatt (ich war zufällig zugegen) mit den Worten: „Kaulbach! Jetzt hab’ ich’s fertig! Für Ihr Bild lasse ich ein eigenes Haus bauen; es wird eine Pinakothek für alle neue Gemälde, die ich habe!“ und nun bezeichnete er den Beginn des Baues wie die Vollendung desselben, und erzählte, wie er sorgfältig habe rechnen müssen, das Ziel zu erreichen. Doch kehren wir wieder zu den Denkmalen für Weimar zurück!
Auf einem Ball im Odeon am 4. Februar (nach obigem Brief) frug mich der König nach der nähern Beschaffenheit der Rauch’schen Gruppe von Schiller und Goethe, die er aus eigener Anschauung noch nicht kannte, und war nicht sehr angenehm überrascht, als er hörte, sie seien in der idealen Tracht altgriechischer oder altrömischer Philosophen oder Dichter dargestellt. Wiederum vor Tagesanbruch am andern Morgen erhielt ich folgendes Billet:
„Herr Dr. Ernst Förster, da in griechischen Gewändern Goethe und Schiller als Denkmähler am wenigsten geeignet in Weimar sein würden, wo sie gelebt, wie vorzüglich schön gleich Rauch’s sie so darstellende Kunsterzeugung ist, aber eine Gruppe in unserer Kleidung nicht gut läßt, so halte ich für’s Beste, daß auch sie einzelne Standbilder bekämen, wie Wieland und Herder bereits bekommen hat. Dieses nachträglich zum Schreiben Ihres Ihnen wohlgewogenen
München, 5. Februar 1852. Ludwig.“
Inzwischen hatte ich den Erbgroßherzog von Weimar von des Königs Brief vom 12. Januar in Kenntniß gesetzt, der dann alsbald eine Antwort voll Freude und Dank, sowie mit bereitwilliger Annahme der gestellten Bedingungen, an den König schrieb, die dieser mir zuschickte mit einem Billet, dessen Schluß lautet: „Es liegt mir viel daran, daß derselbe (der Erbgroßherzog) sobald als nur möglich wörtlich erfahre, was ich Ihnen nachträglich geschrieben habe.“
Es traten nun bedenkliche Zwischenfälle ein. Rauch war nicht [248] geneigt, auf eine Aenderung seiner Composition einzugehen, was mir der Erbgroßherzog mittheilte und ich dem König, der nur darauf schrieb:
„Herr Dr. Ernst Förster! Mit Dank schicke ich Ihnen den mitgetheilten Brief zurück. Wie sehr ich auch für’s Antike bin und Rauch’s großes Talent schätze, muß ich dabei bleiben, daß Goethe und Schiller in Weimar, wo sie gelebt und gewirkt, nicht in antiker Tracht dargestellt werden. Bin der Ansicht, daß jedem derselben da ein Standbild werde in Erz. Schon an sich finde ich geeigneter, daß jeder dieser vier großen Männer sein besonderes Standbild bekomme in gedachter Stadt. Vernahm frei Schiller Goethe’s Ansicht, was viel weniger von dessen Seite geschah, so ging doch jeder seinen eigenthümlichen Weg, und auch darum spreche ich mich aus, daß in Weimar Goethe und Schiller eigene Standbilder, als das angemessenste erscheint. Ihr Ihnen wohlgewogener
München, 3. März 1852. Ludwig.“
Auf diesen Brief, den ich dem Erbgroßherzog mittheilte, sandte derselbe den Freiherrn Zigesar mit Specialvollmacht an den König, ihn umzustimmen. Allein hier machte das „Beharrlich!“ in des Königs Wahlspruch sich geltend. Er schrieb mir:
„Herr Dr. Ernst Förster, ich wünsche, daß Sie dem Kammerherrn von Zigesar ausdrücken möchten, daß ich meine bekannte Ansicht, die Standbilder Goethe’s und Schiller’s betreffend, nicht ändern könnte, daß für Weimar ungeeignet die Ausführung der Gruppe Rauch’s (wodurch aber keineswegs widersprochen werden soll, daß sie sehr schön sey) ich halte, und für’s beste, daß Schiller und Goethe jeder sein eigenes Standbild bekomme. Den hier beygefügten Brief des Erbgroßherzogs wünsche bald zurück. Ihr Ihnen wohlgewogener
München, 16. März 1852. Ludwig.
In großer Eile geschrieben. Der Inhalt ist Ihnen bereits bekannt, diese Wiederholung des Ausdrucks meiner Ueberzeugung.“
Die Unternehmung war somit zwischen zwei Klippen gerathen und drohte zu scheitern. In der Hoffnung, daß Rauch doch noch umzustimmen sein würde, bat mich der Erbgroßherzog, nach Berlin zu reisen und mein und sein Glück zu versuchen. Der Bericht über die Erfolglosigkeit dieses letzten Versuchs gehört nicht hierher. Rauch’s und des Königs Auffassung der Aufgaben waren so grundverschieden, daß an eine Nachgiebigkeit von der einen oder der anderen Seite nicht zu denken war, wozu überdies Rauch’s entschiedene Weigerung kam, sein Werk in München gießen zu lassen; ein Umstand, der bei dem König sehr heftige Aeußerungen hervorrief.
Rauch war zurückgetreten. Ich sollte für einen Ersatzmann sorgen und schlug Rietschel vor; der Erbgroßherzog ging bereitwillig darauf ein und übertrug mir, deshalb an den Künstler zu schreiben. Rietschel kam als Reconvalescent aus Italien zurück, mein Brief hatte ihn an der Grenze Deutschlands getroffen. Seine Antwort, in der er mit Freuden Ja sagte, enthielt nur mit Bezugnahme auf seine noch nicht ganz feste Gesundheit die Bedingung einer Terminverlängerung. Auf meine desfällige Mittheilung an den König erhielt ich die Antwort:
„Herr Dr. Ernst Förster, auf Ihr gestriges Schreiben erwiedere ich, daß mir anzugeben, wie viele Monate Verlängerung Rietschel wünsche, denn ins Blaue ist meine Sache nicht, ich bin bestimmt. Entschließung, ob in diese Veränderung ich eingehe, behalte ich mir vor. Es scheint mir eine recht gute Wahl zu seyn, dieser Künstler. Löblich ist Ihre Theilnahme an diesem Werke, welches wiederholt Ihr Ihnen wohlgewogener
München, 2. Juli 1852. Ludwig.“
Der König ließ jetzt der Sache ihren Lauf, die er in guten Händen wußte. Ich hatte inzwischen Nachricht erhalten von Rietschel’s Auffassung und mein Bedenken öffentlich geäußert über die Verbindung eines idealen oder poetischen Gedankens mit streng costumirten Figuren. Wie Rauch’s Auffassung sich nicht mit der Wirklichkeit, so vertrug sich – nach meiner Ansicht bei Rietschel die Darstellung nicht mit der Auffassung. Der König schrieb mir darüber:
„Herr Dr. Ernst Förster, so eben erhielt ich und las Ihr Schreiben vom 4. dieses und den beygefügten Aufsatz, mit großem Interesse. Erfreulich, wie Sie richtig bemerken, war mir zu vernehmen, daß doch vielleicht statt in einer Gruppe Goethe und Schiller jeder einzeln dargestellt werde, was ich immer noch als das geeignetste betrachte. Ihre ununterbrochene thätige Theilnahme an diesen zu errichtenden Denkmahlen ist sehr angenehm Ihrem Ihnen wohlgewogenen
Ludwigshöhe, 8. August 1852. Ludwig.“
Inzwischen hatte Rietschel seine Gruppe entworfen und dem König zur Ansicht eingeschickt. Der König ließ mir seine Billigung derselben im Ganzen, nebst einigen Bemerkungen gegen die verschiedene Wahl der Bekleidung für beide Dichter, durch seinen Flügeladjutanten mittheilen. Er hatte sich in die Aufstellung einer Gruppe, obschon mit Widerstreben, gefügt; er ließ mir auch später (17. Januar 1857), als das Gypsmodell in hiesiger Erzgießerei angekommen war, durch seinen Cabinetsrath schreiben, daß er „die Dichtergruppe recht schön gefunden“ habe, fügte aber eigenhändig unter den Brief die Worte hinzu: „Mit dem Lorbeerkranze konnte sich König Ludwig nicht befreunden, und kann sich nicht damit befreunden. Nicht Goethe nur, auch Schiller verdient ihn.“ Es braucht nicht gesagt zu werden, daß der König auf Rietschel’s der Darstellung zu Grunde liegenden Gedanken nicht eingegangen ist.
Die Schillerstiftung in München hatte mich zu ihrem Vorsitzenden gewählt. Als ich in deren Namen bei der hundertjährigen Geburtstagsfeier Schiller’s im Jahre 1859 einen Aufruf zu Beiträgen für die Stiftung erließ, war König Ludwig der erste Wohlthäter mit einer Gabe von eintausend Gulden. Und als ich zum Behuf der öffentlichen Feier (da uns die Vorhalle des Theaters abgeschlagen worden war) ihn um die Erlaubniß anging, die Feldherrnhalle zu diesem Zweck benutzen zu dürfen, schrieb er mir sogleich:
„Erwiedere den Vorständen des Schillerfest Comités auf deren Schreiben vom Gestrigen, daß Ich mit Freude ihren Wunsch der Benutzung der Feldherrnhalle zum Feste unsers Schillers erfülle. Er ist der teutsche Dichter, er spricht zum teutschen Gemüthe, schwingt zum Ideal empor. Den Vorständen sowie dem ganzen Comité des Schillerfestes wohlgewogener
München, den 2. November 1859. Ludwig.“
Mir aber sagte er in besonderer Audienz, wie es in seiner Jugend sein heißester Wunsch gewesen, Schillern eine Reise nach Italien zu ermöglichen, und wie ihm dafür in seinen beschränkten kronprinzlichen Verhältnissen die Mittel gefehlt. Noch mit diesen Gedanken beschäftigt, habe er im Frühjahr 1805 in dem Lorbeerhain der Ruinen der Kaiserpaläste in Rom gesessen, als (ich glaube) Martin Wagner zu ihm gekommen mit der Nachricht, Schiller sei gestorben. Da habe er sich gelobt, seiner Liebe und Verehrung desselben immer treu zu bleiben, und einst – wenn es ihm vergönnt sein würde – Gleichstrebende nicht ohne Beistand zu lassen. Und der König hat treulich gehalten, was der Kronprinz gelobt, und mit gleicher Wärme und bis selbst in die letzten Tage seines Lebens die Theilnahme an der Stiftung, die Schiller’s Namen trägt, bewahrt, wie er denn auch im Gefühl dessen, was er dem von ihm vor Allen geliebten und hochgehaltenen Dichter zu danken bekannte, die Statue Schiller’s auf einem der schönsten Plätze Münchens im Jahr 1862 hat errichten lassen.
Inzwischen war ihm auch Goethe’s Andenken gleich heilig, und als ich einmal gegen ihn äußerte, es wäre wünschenswerth, daß das Plätzchen in Rom, wo Goethe den Stoff gesammelt zu den „römischen Elegien“, die sogenannte Goethekneipe in den Ruinen vom Theater des Marcellus, eine bleibende Erinnerung erhielte, äußerte er sich sehr einverstanden. Im Winter 1865, da ich zugleich mit ihm in Rom war, sagte er mir: „Ihr Gedanke hat mich hierher begleitet, in der Goethekneipe ein Andenken an Goethe zu stiften. Ich habe mich nur vorher vergewissern wollen, ob die Nachricht begründet ist, und lese ebendeshalb wieder die italienische Reise von Goethe. Sie müssen mich hinführen an die Stelle, damit ich an keine falsche komme.“ Und nun steht die Gedächtnißtafel von Marmor an der einst in der helldunkeln Spelunke des alten Gemäuers höchst gemüthlichen, nun leider durch moderne Civilisation sehr veränderten Stelle, wo Goethe einst seine süßen Feierstunden verlebte.
Die historische Gewissenhaftigkeit bildete einen hervortretenden Zug in des Königs Charakter. In der ebenerwähnten Zeit ging ich einmal mit des Königs Leibarzt und einigen andern Landsleuten von Quattro Fontane hinab und hinaus nach S. Croce. Unweit der vier Brunnen an der Straßenmauer ist ein verschlossener Kasten, dessen mir aus früher Zeit und Ueberlieferung [249] bekannte Geschichte ich den Freunden mittheilte: daß in einer schönen hellen Mondnacht Cornelius mit seinen Freunden aus der Weinkneipe etwas schwankenden Schrittes nach Hause gegangen, aber gesagt habe, auf die Beine komme es beim Maler nicht an, sondern auf die Hand, und sogleich sei von der seinigen ein Christusbild mit Kohle auf die Mauer gezeichnet worden, das am andern Tag von der Nachbarschaft angestaunt, ohne Verzug mit einem Glaskasten und ewigem Licht versehen und ein bleibendes Andachtsbild geworden. Wir verschafften uns den Schlüssel, dem das verrostete Schloß kaum folgen wollte, und fanden noch die Spuren der (freilich ungeschickt retouchirten) Zeichnung, die Cornelius’ Hand dennoch erkennen ließ. Ich betheuerte überdies, daß Cornelius selbst die Thatsache mir bestätigt habe, und der Leibarzt fand die Geschichte interessant genug, sie dem König zu erzählen und in einem Briefe der Allgemeinen Zeitung mitzutheilen. Als dies der König erfuhr, ließ er sogleich Nachforschungen anstellen, ob die Geschichte auch „wirklich wahr“ sei. In Rom lebte nur noch ein Zeitgenosse von Cornelius, der Landschaftsmaler von Rhoden aus Cassel. Da dieser aber auf Befragen erklärte, er wisse nichts von der Geschichte, sie komme ihm nicht glaublich vor, ließ der König sogleich – weil der historische Beweis der Wahrheit zweifelhaft geworden nach Augsburg telegraphiren, die Erzählung von dem Andachtsbild von Quattro Fontane in Rom solle nicht in die Allgemeine Zeitung aufgenommen werden.
Nicht leicht fiel ein an ihn gerichtetes Wort an den Boden, und oft erhielt man eine Antwort, wenn man die Anrede selbst fast vergessen hatte. Der König befand sich in Rom, als die Gräflich-Schönborn’sche Bildergalerie aus Pommersfelden nach Paris geschickt wurde, um dort unter den Hammer zu kommen. Ich schrieb dem König, wie beklagenswerth dieser Verlust für Baiern sei, wie man aber an das Land nicht wohl das Ansinnen stellen könne, sie käuflich zu erwerben. Nur ein Gemälde, nach meiner Ansicht das größte Juwel der Sammlung, sollte doch Baiern erhalten bleiben, „die trauernde Mutter mit dem Kind,“ ein Bild, in welchem ich mit Gewißheit die Hand Leonardo’s zu erkennen glaubte. – Im Monat Juni wurde ich im Bade Ems durch folgendes Briefchen überrascht:
„Herr Dr. Ernst Förster, wollte gestern Ihnen mündlich danken mich nach Rom schreibend aufmerksam gemacht zu haben auf den Juwel der Pommersfeld’schen Galerie. Dieses herrliche Gemälde gab mir die Ueberzeugung, daß es ein Leonardo da Vinci, kein Luini. Wiederholt dankend Ihr wohlgewogene
München, 5. Juni 1867. Ludwig I.“
Seitdem ist das Bild eine Zierde der Pinakothek in München.
Des Königs Theilnahme an der Schillerstiftung hatte es mir zur Pflicht gemacht, ihm von Zeit zu Zeit über deren Wirken Bericht zu erstatten. Ich that es zuletzt Anfang Februar dieses Jahres, bei welcher Gelegenheit ich meine Theilnahme an seiner gestörten Gesundheit aussprach, und erhielt nach wenigen Tagen aus dem Cabinet den Dank des Königs für Bericht und Brief mit dem Zusatz: „daß ich täglich spazieren gehe, spazieren fahre, fleißig Gesellschaften besuche, dieses als Erwiderung auf das, was meine Gesundheit betrifft.“ Und zwei Tage nachher mußte er sich der Operation unterwerfen, der rasch eine zweite und ohne langes Zögern der Tod folgte.
Er war ein seltener Mensch, eines unvergänglichen Gedächtnisses sicher, und aus voller Seele wiederhole ich über seinem Sarkophag den Schlußgesang der Walhallagenossen aus meinem vor achtunddreißig Jahren zur feierlichen Grundsteinlegung der Walhalla gedichteten Liede:
Laßt die Schilde laut erdröhnen,
Nehmet den Pocal zur Hand!
Singet, daß es wiederhalle
In dem deutschen Vaterland:
Heil dem Fürsten, den des Ruhmes[2]
Ew’ge Sternenkrone lohnt,
Wenn er einst in späten Jahren
Selber in Walhalla thront!