Zum Inhalt springen

Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)/Reminiscere

aus Wikisource, der freien Quellensammlung
« Invocavit Wilhelm Löhe
Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)
Register der Winterpostille
Oculi »
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|

Am Sonntage Reminiscere.

1 Thess. 4, 1–7.
1. Weiter, lieben Brüder, bitten wir euch, und ermahnen in dem HErrn JEsu (nachdem ihr von uns empfangen habt, wie ihr sollt wandeln und Gott gefallen), daß ihr immer völliger werdet. 2. Denn ihr wißet, welche Gebote wir euch gegeben haben, durch den HErrn JEsum. 3. Denn das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, daß ihr meidet die Hurerei, 4. Und ein jeglicher unter euch wiße sein Faß zu behalten in Heiligung und Ehren, 5. Nicht in der Lustseuche, wie die Heiden, die von Gott nichts wißen; 6. Und daß Niemand zu weit greife, noch vervortheile seinen Bruder im Handel; denn der HErr ist der Rächer über das alles, wie wir euch zuvor gesagt und bezeuget haben. 7. Denn Gott hat uns nicht berufen zur Unreinigkeit, sondern zur Heiligung.

 WAhrlich, meine lieben Brüder, der heutige epistolische Text paßt beides zum Evangelium und zu der Zeit, in der wir leben. Das Evangelium erzählt die Geschichte vom cananäischen Weibe und ihrer dämonischen Tochter. Da erscheint uns eine heidnische Mutter und Tochter, wie sie vom Satan hart angefochten und geplagt sind. In unsrer Epistel aber erscheint uns eine heidenchristliche Gemeinde, nemlich die von Thessalonich, und zwar geplagt und angefochten von wahrhaft heidnischen und griechischen Sünden, von Fleischeslüsten und dem Begehren nach fremdem Besitz. Ich nenne diese beiden Sündengebiete heidnische und insonderheit griechische, obschon ich weiß, daß auch der Jude von beiden angefochten war und von den Aposteln ihretwegen oft gestraft wird. Der Heide, insonderheit der Grieche, hatte nemlich für beide Sünden Sinn und Gewißen verloren; Fleischeslust, Habsucht und Betrügerei erkannte er kaum mehr für Unrecht, sie erschienen ihm fast wie Tugenden. Da führt nun der Apostel in unsrem Texte die Uebertretung der beiden Gebote, des sechsten und siebenten, unter einem und demselben Namen der Unreinigkeit an, und verwirft sie damit beide. Dieser Inhalt eignet unsern Text sehr wohl, um in Begleitung des heutigen Evangeliums zu gehen. Das letztere zeigt uns die Heidenwelt unter dem verunreinigenden Einfluß der Dämonen, der Teufel; ersterer aber in der Unreinigkeit des Herzens und der Begier. Dämonische und sittliche Unreinigkeit erscheinen neben einander, für beide aber auch Ein Helfer JEsus Christus und Ein Weg der Hilfe, nemlich das „Kyrie Eleison“ der Cananäerin; denn wahrlich nur JEsus Christus und Sein blutiges Verdienst erretten uns und alle Heiden aus der Gewalt und Anfechtung der Dämonen| und von der schmählichen Unreinigkeit unsrer Begier. Der HErr, deß Leiden wir feiern, nahe sich also in unsern beiden Texten und reinige uns von allem Schmutz der Hölle und des Herzens. So gehen die beiden Texte am schönsten zu unserm Heile zusammen.

 Die Epistel paßt aber auch sehr wohl in die Passionszeit. Sehen wir den leidenden JEsus in der großen Arbeit begriffen, durch welche Er die Welt von Sünden reinigt; so fühlen wir uns Ihm gegenüber um so mehr; unsre Sündhaftigkeit und Unreinigkeit erweckt in uns Scham und Schmerzen, entzündet in unsern Seelen das Verlangen, Christi Arbeit zu genießen und rein zu werden durch Sein Blut. Vor allen andern Sünden aber erscheint uns die böse Lust des Fleisches und die elende Habsucht in den Leiden JEsu Christi ganz offenbar gerichtet. Da hängt Er am Kreuze, und Sein unaussprechlicher Schmerz des Leibes ist die Bezahlung unserer Wollustsünden; Seine völlige Verarmung aber, da Er auch nichts mehr hat den Leib zu decken, und keinen Ort mehr Sein Haupt hinzulegen, büßt unsre Begier nach Habe und Besitz. Schmerz und Armuth treten im Leiden JEsu so sehr hervor, daß vor andern Wollust und Habsucht als die Sünden erscheinen müßen, zu deren Büßung Er an’s Kreuz gestiegen ist. Es gibt größere Sünden als Wollust und Habsucht und der HErr büßt für die größeren wie für die kleineren; aber am augenfälligsten geschieht Sein Büßen für die beiden Sünden, weil bei Betrachtung der Leiden Christi auch dem oberflächlichsten Auge Schmerz und Armuth des Gekreuzigten am ersten begegnet, am offenbarsten geschaut wird. Da haben wir denn bei unserer eignen Passionsbuße Anlaß genug, den Kampf unsrer betenden Seelen gegen die zwei Sünden zu richten. Würden wir doch nur erst von ihnen rein! Käme uns doch nur zuallererst für sie Vergebung und Heilung, was für eine selige Fastenzeit wäre das! Lernten wir fasten und uns enthalten, nicht blos von Speise, sondern von aller unreinen Begier wider das sechste und siebente Gebot: was für eine große Läuterung, was für eine Erhörung, was für ein Segen unserer Seele wäre das! Möchte uns doch, meine lieben Brüder, die Betrachtung unseres Textes zu diesem Zwecke gesegnet sein, und während derselben der reinigende Geist des HErrn in uns große Arbeit thun und große Siege feiern.

 Auf seiner zweiten Missionsreise im Jahre 52 oder 53 nach Christo kam der Apostel Paulus in die macedonische Stadt Thessalonich, die heutzutage Salonichi heißt, und damals von vielen Griechen, Römern und Juden bewohnt war. Er gründete daselbst eine christliche Gemeinde, deren Glieder hauptsächlich aus griechischen Proselyten bestand. Da die Juden einen Aufruhr erregten, mußte Paulus die Stadt verlaßen, kam nach Beröa und dann nach Athen. Von da aus schickte er in großen Sorgen um die junge Gemeinde den heiligen Timotheus nach Thessalonich. Timotheus brachte ihm bald gute Nachricht nach Corinth, wohin sich der Apostel indes begeben hatte. Doch muß er ihm auch manches Ueble berichtet haben, von Ausschweifungen in der Wollust, von wieder hervorgetretenem Hange zu Betrügereien, von Fürwitz und Müßiggang mancher thessalonichischen Christen, die bei der Aussicht auf die nahe Wiederkunft des HErrn es für unnöthig fanden zu arbeiten. Da erließ denn noch im Jahre 52 oder 53 der Apostel seinen ersten Brief an die Thessalonicher, überhaupt den ersten unter den paulinischen Briefen, die wir besitzen. Der erste Theil dieses Briefes umfaßt die drei ersten Kapitel, in welchen er seinen Dank für die reich gesegnete Aufnahme des Evangeliums in Thessalonich ausspricht, die Gemeindeglieder an seinen Wandel unter ihnen erinnert, Gott für die Treue der Thessalonicher in der Verfolgung preist, sein Verlangen sie wieder zu sehen ausspricht, auch seine Freude über die von Timotheus erhaltenen guten Nachrichten, und endlich herzlich für sie betet. – Der zweite Theil des Briefes besteht aus den noch übrigen Kapiteln, dem vierten und fünften. In diesem Theile gibt der Apostel der Gemeinde die ihr nöthigen Ermahnungen. Die sieben ersten Verse des vierten Kapitels bilden unsern heutigen Text, der wie schon oben gesagt die Doppelermahnung zur Reinigkeit rücksichtlich des sechsten und siebenten Gebotes, voran aber zwei allgemein einleitende Verse enthält. Diese Verse ermahnen die Thessalonicher, im Guten immer völliger zu werden. „Uebrigens nun, Brüder, spricht St. Paulus, bitten und ermahnen wir euch in dem HErrn JEsus, nach dem Ihr von uns empfangen habt, wie ihr sollt wandeln und Gotte gefallen, daß ihr immer völliger werdet. Denn ihr wißet,| welche Gebote wir euch gegeben haben, durch den HErrn JEsus.“ So viel also der Apostel an der thessalonichischen Gemeinde zu rühmen gefunden hat, so war ihr Zustand doch nicht, wie er hätte sein sollen, und wie er hätte sein müßen, wenn er den apostolischen Vorschriften hätte entsprechen sollen. Das „wie“ eines gottwohlgefälligen Wandels war ihnen bekannt geworden, allen standen die Unterweisungen und Gebote, welche ihnen der Apostel gegeben hatte, in gutem Andenken, dem Wißen aber entsprach das Leben nicht. Es gieng der Gemeinde zu Thessalonich, wie auch unsern gegenwärtigen Gemeinden; wie man wandeln soll, ist eben so schnell gelernt als gesagt, der Gehorsam aber folgt langsam und unvollständig nach.

 Wie vielmal geschieht es, daß man einem Menschen die Unterweisung zu einem beßeren Leben gibt, und die Antwort bekommt: „Ich weiß es schon,“ wie wenn man sich mit dem Wißen deßen was man soll, für den Ungehorsam gegen das Wißen entschuldigen könnte, wie wenn nicht vielmehr das Wißen die Schuld des Ungehorsams vermehrte. Aber so ist der Mensch, er weiß was er soll, und scheut doch die Erinnerung daran, wenn er nicht thut was er soll. Sein eignes Gewißen sagt ihm, daß er seiner Erkenntnis nicht treu ist, und mit der ihm gegebenen Einsicht nicht Haus hält; erinnert ihn aber ein Andrer, so wird ihm des Mahnens zu viel; von innen und außen gefaßt, stellt sich sein ungebrochenes Herz ungebärdig, und schlägt wider die Vermahnung aus. Glücklich in solchem Fall, wenn dann diejenigen, die ihn ermahnen, Liebe und Geduld der Liebe genug haben, um nicht abzulaßen mit Vermahnen, sondern das gute Werk auch wider Willen deßen fortsetzen, der sein so bedürftig ist! Ja wahrlich glücklich ein solcher, denn die wenigsten Menschen haben Muth und Beständigkeit der Liebe genug, um einem Bruder wider Willen zu dienen, und immer das Nöthige zu sagen, wenn es dafür Undank und Verdruß zu ernten gibt. Möchte sich ein jeder unter uns von der bösen, trägen, ungezogenen Art erretten laßen, und es seinen Freunden leicht machen, ihn zu ermahnen. Wir sollen ja völliger werden in unsrem geistigen und inwendigen Leben; vorwärts sollen wir gehen, dem Ziel der Vollendung entgegen, niemals rückwärts. Wie können wir das ohne treue Hilfe und Vermahnung von außen, da uns innerlich so oftmals das Bleigewicht unsrer eignen Trägheit niederzieht in thatlose Ruhe, und uns das rückwärts gehen so oft näher liegt, als der Gang vorwärts. Gesegnet sei derjenige, der uns nicht los läßt, bis wir das Gute thun, und der HErr sei sein reicher Vergelter! Wehe aber uns, wenn man uns gehen läßt, wie wir’s gerne wollen, wenn uns niemand bespricht, niemand hindert, niemand zum Guten reizt, jedermann uns thut, nicht wie wir bedürfen, sondern wie wir verdienen, und wir unsre verkehrten Wege ohne alle Einsprache und Ermahnung gehen dürfen! Wahrlich das ist ein ernster und ohne Zweifel auch paßender Eingang, nicht blos des Textes, sondern auch der Predigt. Ein Krebsschade vieler Seelen ist damit berührt, ein Bedürfnis Aller geoffenbart, nemlich vorwärts zu gehen und völliger zu werden, und zu dem Endzwecke treue ermahnende Freunde zu haben. –

 Durch die allgemeine Ermahnung vorwärts zu gehen, völliger zu werden, bereitet sich der Apostel den Weg zu den besonderen Ermahnungen. Wer die Ermahnung im Allgemeinen nicht verträgt, wem es verdrießlich ist, zum Guten und vorwärts gehen ermuntert zu werden, der wird um so mehr seine Ohren abwenden und zuhalten, wenn die Ermahnung anfängt in’s Einzelne zu gehen, und die Wunden und Schäden blos gelegt werden, um deren willen sein Gang kein Gang zur Vollendung werden kann. Daher sucht eben St. Paulus offne Herzen durch Vorausschickung der allgemeinen Ermahnung. Es kann doch eigentlich vernünftigermaßen niemand übel berührt werden, wenn er im Allgemeinen ermahnt wird völliger zu werden. Das sollen, das brauchen ja alle: was aber alle brauchen, das kann auch der Einzelne leicht als sein Bedürfnis zugeben. Gibt man aber im Allgemeinen die Notwendigkeit zu, beßer zu werden, so muß man irgendwo die Beßerung anfangen, und zwar da, wo es am nöthigsten ist, wo uns unsre größten Sünden und Mängel drücken; man wird ja im Allgemeinen nicht beßer werden, wenn man es im Einzelnen nicht wird, und man sollte daher allerdings aus der zugestandenen Nothwendigkeit sich im Allgemeinen zu beßern, auch gern den Schluß und Entschluß ableiten, da anzufangen, wo es am nöthigsten ist. Das aber verleihe der HErr nun insonderheit uns, wenn wir nach dem allgemeinen Eingang des Apostels, zu den beiden einzelnen Ermahnungen des Textes übergehen. –


|
I.

 Diese beiden besonderen Ermahnungen des Textes betreffen, wie bereits gesagt, zwei Sünden, welche unter den Griechen allgemein geworden waren, und fast allen bösen Leumund verloren hatten, nemlich die Hurerei und die Betrügerei. – Die geschlechtlichen Verhältnisse waren zur Zeit des neu entstandenen Christentums in Rom und Griechenland, namentlich aber in dem letzteren in eine furchtbare Verwirrung gekommen. Während die Ehe dermaßen gemieden wurde, daß es an Nachkommenschaft mangelte und man fürchtete, das Geschlecht und Volk der Griechen könnte in manchen Gegenden völlig aussterben; während die Ehefrauen und ihre Töchter auf einer niedrigen Bildungsstufe stehen blieben und verachtet waren; so waren im Gegentheil die Häuser öffentlicher Buhldirnen Vereinigungsorte und Sammelpunkte für die angesehensten Männer und Jünglinge, und diese Buhlerinnen selbst glänzten in der Gesellschaft nicht blos durch leibliche Eigenschaften, sondern auch durch hohe Bildung. Fast niemand schämte sich der Buhlerei und Hurerei, keiner rechnete dem andern dahin gehörige Sünden zur Schande an. Und noch verbreiteter fast als die natürliche Wollust der beiden Geschlechter unter einander, waren jene heillosen unnatürlichen Sünden und Lüste, welche Personen desselben Geschlechtes unter einander übten, und die wir im Briefe Pauli an die Römer mit Schmach und Schande aus dem Heiligtum Gottes belegt sehen. Scham war dahin, eine allgemeine Abstumpfung rücksichtlich der Fleischessünden war in einem solchen Maße vorhanden, daß auch denjenigen Griechen, welche Christen geworden waren, immer auf’s neue die apostolische Ermahnung zu einem keuschen und züchtigen Wandel nöthig war. Man müßte keine Augen haben und keine Ueberlegung, lieben Brüder, wenn man sich nicht aus dem, was die Schriften des Neuen Testaments über die apostolischen Gemeinden sagen, die Ueberzeugung schöpfte, daß jene Gemeinden groß und reich gewesen seien, nicht blos an außerordentlichen Gaben des heiligen Geistes, sondern auch an den ordentlichen und deren treuer Benützung, an Fortschritten der Heiligung, an Glanz und Menge guter Werke. Eine Vergleichung der jetzigen Gemeinden mit den ersten wird immer nur zu unserm Nachtheil ausschlagen können: wir müßen uns schämen, den ersten reicht Wahrheit und Gerechtigkeit die Palme. Desto mehr aber muß man sich wundern, wenn wir die Gemeinden der ersten Zeit so ernst und dringend gerade vor denjenigen Sünden gewarnt sehen, die unter allen die schnödesten und schmählichsten genannt werden können, und wir würden das gar nicht begreifen, wenn wir nicht eben wüßten, wie scham- und schandelos diese Sünden in die Völker eingerißen, herrschend und allgemein geworden waren. So schlimm es auch in unsern Zeiten bereits wieder geworden ist, und zwar gerade in Anbetracht der Sünden, die wir meinen, so liegt doch Gottlob bei uns noch aller Welt Schmach und Schande über diesen Sünden, und wir haben keinen Begriff mehr davon, was für ein Dornenland das Evangelium an den griechischen und römischen Heidenvölkern zur Zeit Christi zu bearbeiten fand. Daß es noch einmal anders wurde, daß auch unter diesen Völkern die gerügten Sünden wieder zur Schande wurden, das Gewißen wieder für sie erweckt wurde, das Gegentheil derselben wieder zu Ehren kam, ist ein großer Sieg des Christentums und ein tatsächlicher Beweis, daß dem Geiste Gottes alles möglich ist, daß der gute Hirte auch die verlorensten Schafe zu Sich und Seiner Heerde bringen kann. Es ist aber auch ein Beweis und eine Frucht von der Arbeit der heiligen Apostel und von ihrem unverzagten Gemüthe voll Liebe und Hoffnung zu den Verlorenen, und ein anziehendes, ermunterndes Vorbild für die Lehrer und Prediger jetziger Zeiten, denen oft Hoffnung und Glaube ausgehen möchte, ob wohl unser Volk bei dem grauenvollen Ueberhandnehmen der Fleischessünden und dem sich täglich mindernden Grauen vor denselben noch beßere Zeiten haben und finden werde und nicht vielmehr in Baldem dahin fahren dieselbe Straße, auf der die Völker des Morgenlandes nach großem Aufschwung in Christo JEsu am Ende doch in Barbarei, in zeitliches und ewiges Verderben dahin gefahren sind.

 Der Apostel Paulus verlangt in seiner heiligen Vermahnung an die Thessalonicher stufenaufwärts dreierlei. Erlaubt mir, daß ich euch die ganze Stufenleiter eröffne, und denket dabei bereits an dasjenige, was derselbe Apostel auch von euch und euren Kindern verlangt. Vergeßet auch nicht, daß mein Ausdruck „der Apostel verlangt von euch“, in vollem Ernste| gemeint ist. Der Apostel ist ja kein Todter; sowie er Gotte lebt, so lebt er euch. Ihr hört seine Worte, ihr vernehmt seine Stimme. Wer ihn verachtet, von dem wird es JEsus Christus, der Richter der Welt, fordern, und ihr werdet daher Antwort geben müßen zur Zeit, wo die Ausreden aufhören, Leichtsinn und Trägheit verstummt.

 Die erste Forderung des Apostels findet sich im dritten Verse des Textes und heißt: „Das ist der Wille Gottes, eure Heiligung, daß ihr meidet die Hurerei,“ oder, daß ihr euch enthaltet von der Hurerei. Es versteht sich, daß damit alle Gattungen von Hurerei gemeint sind, daß es keine einzige ehrliche Gattung der Hurerei im Reiche Gottes gibt; auch ist es ganz selbstverständlich, daß der Apostel mit dem abscheulichen Namen alles bezeichnet, was darinnen liegt, daß er also auch den Verhältnissen, welchen die elende Welt schönere und anständigere Namen gab, die Larve vom Gesicht reißt und die ganze Schuld aufdeckt, die in ihnen verborgen liegt. Keine listigere und glattere Schlange, als die geschlechtliche Fleischeslust, die den Menschen oft anlacht wie Lebensfrühling, wie harmlose, unschuldige Freude, die ihren Namen verbirgt, den schrecklichen, bis sie die Thaten vollbracht hat, die dann schweigend davon sich schlängelt und den Menschen dem Selbstgericht überläßt und der mächtig höhnenden Stimme des Teufels: Auch du ein Hurer, auch du eine Hure, wie die andern alle. Aus ist’s dann mit dem süßen Schmeicheln der Sünde und es fragt sich nur, ob man im verdammten Koth der Sünde weiter wandeln soll, oder nicht. Da ruft denn der Apostel den Schuldigen zu: Es ist der Wille Gottes, eure Heiligung, daß ihr absteht von der Hurerei. –

 Das zweite was der Apostel fordert, ist mehr als das erste. „Ein jeglicher unter euch, wiße sein Faß zu behalten in Heiligung und Ehren.“ Obgleich der Ausdruck „Faß“ bei uns ungewöhnlich ist, und deshalb unverständlich, so ist doch da leicht zu helfen. Wir sagen eben heutzutage nicht mehr „Faß“, sondern „Gefäß“, und der Apostel meint nichts anders, als das Faß oder Gefäß der Seele, darinnen sie für diese Welt gefaßt ist, also den Leib. Der Ausdruck ist rein und schön. Ein jeder hat für die Seele, die ihm Gott gegeben, ein sichtbares Gefäß, seinen Leib. Und den soll er wißen zu bewahren in Heiligung und Ehren. Es ist also hier wiederum wie sonst in der heiligen Schrift die Lehre ausgesprochen, daß man den Leib heiligen kann und soll, daß man ihn nicht verachten, daß man ihn ehren müße. Der Zusammenhang gibt es, daß der Leib durch Hurerei entheiligt und entehrt wird, daß also ein Hurer oder eine Hure vor den reinen Augen Gottes und Seiner Engel und vor denen der Kirche in einem schmutzigen, entehrten Gefäße wohnt, daß also solche Menschen, nachdem sie offenbar geworden, sich selbst entheiligt und entehrt haben, von andern keine Ehre fordern können, und sichs gefallen laßen müßen, wenn für immer dahin ist Jungfrauschaft und Unschuld des Leibes, für immer und ewig, auch nach erhaltener Vergebung, das Lob eines anständigen leiblichen Wandels dahin ist. Man darf übrigens nicht glauben, daß der Leib, der Seele Gefäß, schon dadurch geheiligt und geehrt ist, daß man sich von der Hurerei enthält. Heiligung und Ehre sind etwas so Großes, daß man sie gewis nicht in bloße Enthaltung vom Bösen setzen kann. Gegenüber der schmutzigen, häßlichen Hurerei gibt es einen Fleiß und eine Sorgfalt, den Leib und seine Glieder vor allem Annahen des Bösen zu hüten, eine Bewahrung des Leibes, wie man ein Kleinod bewahrt, und eine Heiligung der Glieder zum Dienste Gottes und der Reinigkeit, die allein ein gutes Gewißen in Sachen des sechsten Gebotes machen kann. Du sollst nicht blos nicht huren, sondern du sollst einen heiligen Leib haben, den du selbst ehren darfst mit dem Brautkranz der Unschuld, und den auch andre ehren können.

 Indes bemerkt hier ein jeder, der Einsicht vom Text genommen hat, daß man auf die zweite Forderung Pauli nicht eingehen kann ohne die dritte; die erste Forderung verlangt Enthaltung vom leiblich Bösen der Hurerei, die zweite Heiligkeit und Ehre des Leibes. Diese zweite ist nicht möglich ohne die dritte, welche in den Worten des Apostels liegt, die wir im fünften Verse lesen: „Nicht in der Lustseuche, wie die Heiden, die von Gott nichts wißen“. Wie kannst du denn deinen Leib rein halten, wenn deine Seele ein unreiner Stall böser Begierden ist, und wie willst du ein gutes und frohes Gewißen vor Gott haben, wenn du der allen Menschen einwohnenden bösen geschlechtlichen Lust so wenig Herr geworden bist, daß sie inwendig zur Leidenschaft| und zur Seuche geworden ist? Erst mußt du inwendig aufräumen und deine Seele heiligen und ehren, ehe du den Leib heiligen und ehren kannst. Es gibt gar keine Sünde, bei welcher sich Leib und Seele so ganz verbunden und als Eines zeigen, wie die Sünde der Fleischeslust. Dein Blut und alle deine Leibeskräfte und Säfte verderben in dir, wenn deine Seele innerlich in bösen Lüsten schwelgt. Dein Blick, dein Gang, deine Gebärde, dein ganzes Gefäß der Seelen verliert den reinen Glanz und die liebliche Anmuth der Jugend und des guten Gewißens, und, tausend Zeichen sagen es dem Kundigen, wenn inwendig deine Seele über dem Kothe der bösen Lüste brütet. Keine Sünde ist leiblicher, aber auch keine mehr quillt aus der Seele hervor, als die böse geschlechtliche Lust. Daher muß innen die Wandelung vor sich gehen, die Waschung und Reinigung geschehen, dein Herz muß vor Allem rein werden, wenn es der Leib sein und bleiben soll, wenn du nicht verloren gehen willst mit Leib und Seele in dem abscheulichen tiefen Schlamm der bösen Lüste.

 Nicht in der Lustseuche, sagt der Apostel, wie die Heiden, die von Gott nichts wißen.“ Es scheint nicht gleich so, aber es ist so: hier wird der Fluch der Fleischessünden aufgedeckt, und man muß ihn ansehen, damit die Seele vom heilsamen Schrecken ergriffen, beten und seufzen lerne um ein reines Herz, und um einen neuen gewissen Geist. – Von den Heiden wird hier ein Doppeltes ausgesagt, sie wißen von Gott nichts, und sie leben in der Lustseuche. Dies erinnert stark an jenen berühmten Anfang des Briefes Pauli an die Römer, in welchem dargestellt wird, wie die Heiden von dem lebendigen Gott abgefallen und dafür in ihres Herzens Gelüste hingegeben worden seien. Beide Stellen setzen also den Abfall von Gott, und das tiefe, sittliche Verderben in Zusammenhang, und zwar, wie der Brief an die Römer zeigt, in keinen blos zufälligen. Können wir auch diesen Zusammenhang und die Art und Weise desselbigen nicht ergründen, so ist er doch offenbar vorhanden, und die furchtbaren Verirrungen der Geschlechtslust, welche an den heidnischen Völkern zur Zeit Christi zu bemerken sind, erscheinen zugleich als Frucht des selbsterwählten Weges und als Strafe des Allmächtigen, welcher den Menschen in den eigenen Willen dahin stürzen läßt, wenn er sich von dem Schöpfer und Seiner Anbetung abwendet.

 Es wäre hier in der That nicht schwer, eine große Anzahl geschichtlicher Mittheilungen von dem Verderben der von Gott abgefallenen Heiden zu machen, aber die Heiden sind ja in unsrem Texte nur Beispiele, durch welche die apostolische Warnung den Christen nur desto tiefer in’s Herz gehen soll, daher ich nicht weitläufig über dieselben zu reden brauche, sondern vor dem Uebergang zum zweiten und letzten Theile unseres Textes nur zwei seelsorgerische Erfahrungen hinzustellen wage, welche dem Worte des Apostels von der verbotenen Geschlechtslust Nachdruck geben können. Zuerst die eine Erfahrung. So lange Zeit bin ich Seelsorger, mit so vielen Menschen habe ich als Beichtvater Umgang gepflogen. Da kam es mir denn oft zu Handen, daß Christen, welche sich den geschlechtlichen Lüsten, insonderheit den heimlichen, ergeben hatten, auch später noch, wenn sie sich längst bekehrt hatten, von Zweifeln an Gott und den Geheimnissen des Glaubens geplagt wurden und es selten zu einem recht freudigen und kräftigen Glaubensleben brachten. Ich erkannte hier einen tiefen Zusammenhang des sechsten und ersten Gebotes, der Uebertretungen des sechsten mit Glaubensohnmacht. So sehr trat mir dieser Zusammenhang vor Augen, daß ich zuweilen auch bei denen, die über Zweifel und Glaubensohnmacht klagten, ohne deshalb mir als Lüstlinge bekannt zu sein, die Vermuthung wagte, es möchte die innere Lebenskraft durch Hingabe an geschlechtliche Lüste angefreßen sein. Die Vermuthung erwies sich dann hinterher oft als treffend wahr. – Die zweite Erfahrung. Oefters hatte ich Schüler, die für alles Göttliche empfänglich waren, die aber auf einmal stumpf und theilnahmlos wurden gegen das Wort des HErrn. Was war die Ursache der schnellen großen Aenderung? Sie hatten der Schlange, der Verführerin, der Wollust nachgegeben, und sich in ein weltliches Leben gestürzt. Die zweite Erfahrung ist an noch zahlreicheren Beispielen gemacht, als die erste: ganze Jahreskurse von Confirmanden stehen als Beispiele da. Unsre todte, theilnahmlose, allem göttlichen Sinne entfremdete Jugend, wie ist sie zu dieser Niederträchtigkeit, zu dieser Gemeinheit und Stumpfheit gekommen? Durch verführerische Worte listiger Weltkinder irre geworden an dem Worte des treuen Seelsorgers, durch Tänze und Jahrmärkte geködert, durch die Annehmlichkeit der ersten geschlechtlichen Bekanntschaft überrascht und gefangen, in Lüste| verstrickt, in Hurerei versunken, alles reinen Herzens und Willens baar, können sie Gott nicht mehr schauen, Sein Wort nicht mehr erkennen, fühlen sie sich von demselben verurtheilt und verdammt, fliehen sie Seine Mahnung, werden sie immer mehr eine Beute des niederträchtigen, gemeinen Lebens, in dem ein Geschlecht nach dem andern untergeht. Eine grauenvolle Erfahrung, deren Richtigkeit prüfen kann wer da will, und bewährt finden wird, wer da prüft. Wenn das nicht eine Warnung vor der Wollust ist, so sage mir eine, die stärker ist und mächtiger auf die Seele wirken kann.


II.
 Mit dem Laster der Wollust war bei den Griechen in der apostolischen Zeit das Laster der Untreue im „Mein“ und „Dein“, der Betrügerei, verbunden. Das Geschlecht der Griechen war rücksichtlich der Untreue zum Sprichwort geworden. Griechische Treue war dasselbe, was späterhin fränkische Treue, und in der neueren Zeit, wenigstens eine Zeit lang französische Treue sagen sollte. Schon in früheren beßeren Zeiten galt Betrug und Diebstahl sogar bei dem griechischen Volke der Spartaner, welches vor anderen gewisse Vorzüge besaß, für einen Beweis von Verstand und praktischer Tüchtigkeit. In den Zeiten der Apostel hatte sich das alles zur abgefeimtesten und niederträchtigsten Lebensweise eines Handelsvolkes ohne Gleichen ausgebildet. So wie die Hurerei, so war die Betrügerei bei dem Griechen gewißenlos geworden; und wie wir aus unserem Texte sehen, hatte der Grieche, der Macedonier, der Thessalonicher, selbst dann mit dieser angeerbten, angewöhnten, anerzogenen Sünde zu kämpfen, wenn unleugbar schon große göttliche Gaben des Lichtes und eines heiligen Wandels vorhanden waren. Daher schreibt der Apostel Vers 6, daß nicht einer den andern vervortheilen und zu weit greifen solle im Handel. Sollte man es denken, daß der Geist Gottes nur Sein Werk noch in Menschen haben könne, die nicht einmal ehrlich und redlich sind, die auf eine listige Weise vom Bruder zeitlichen Nutzen ziehen, nehmen und fordern, wozu sie kein Recht haben und Meister in der Kunst sind, sich Geld zu machen und andere zu vervortheilen? Dem heiligen Geiste geziemt doch ein reiner Tempel; und Er kann bei den Menschen bleiben und in ihnen wirken, wenn sie in Fleischeslust leben, und wenn sie in niederträchtigster Weise aus der Habsucht ein Gewerbe machen?! Sage man, was man will, es ist so. Es sind viele unter euch, und zwar Leute der verschiedensten Stände und Gewerbe, welche den Textesvers, von dem wir so eben handeln, alles Ernstes auf sich anwenden dürften, viele, die für gar nichts anders leben, als für den Erwerb, und die es gar keinen Hehl haben dürfen, daß sie nichts weiter scheuen, als blos das „ertappt und offenbar“ werden. Sie treiben Jahrzehende lang ihr sündlich böses Geschäft, sie häufen den Fluch des ungerechten Gutes auf sich und ihre Kinder, sie wühlen sich immer tiefer hinein in die jammervolle Schuld der Habsucht, ja der boshaftesten und betrügerischesten Schurkerei und Dieberei. Ihr Gewißen muß nothwendig immer schlechter werden und in ihr Herz immer tiefer mit brennenden Zügen das Brandmaal der Heuchelei und Gleißnerei eingebrannt werden, ihr Gang ist ein Gang zur Hölle, – und dennoch arbeitet der Geist Gottes noch an ihnen. Es ist, wie wenn eine solche Verdammnis ihrer wartete, daß der ewige Seelsorger aller Menschen, der Geist des HErrn, eine besondere und beständige Treue an ihnen glaubt erweisen zu müßen, damit sie wo möglich vor solchem ewigen Unglück errettet bleiben. Es ist eine wunderliche Erfahrung, meine lieben Brüder, daß einerseits der Geizige, der Habsüchtige, der Betrüger und betrügerische Untertreter seiner Mitmenschen so überaus schwer zur Erkenntnis ihrer Schuld kommen, andrerseits aber oft bis an ihr Ende hin süße Stunden der Heimsuchung und starke Gnadenzüge bekommen. Große Arbeit des heiligen Geistes, göttliche, unendliche Treue, Herzen erwiesen, die doch nur immer härter werden und immer mehr für das Feuer der tiefen Hölle reifen! Da heißt es: „Weißest Du nicht, daß dich Gottes Güte zur Buße leitet“? Die Antwort aber ist: „Nein, wir wißen nichts, wir sind fromm, wir gehen zur Kirche, wir beten, wir lesen die Schrift; daß wir aber auf das Unsre sehen, ist unsre Schuldigkeit“. Wohlan, weigert euch nur immerzu des göttlichen Willens und Wortes, verhärtet euch nur immer mehr gegen den Einfluß des heiligen Geistes, rühmt euch nur und brüstet euch, zumal wenn es euch gelingt, wenn ihr durch Betrug und Diebstahl schuldenfrei, durch Blutgeld und Schweiß eurer Brüder wohlhabend und stattliche Leute werdet, stopfet euch wohl| auch die Ohren zu gegen das Wort, das euch witzigen könnte, haltet euch für klug und weise, und die andre Wege gehen als ihr, für Narren: Eines müßt ihr doch nicht blos hören, sondern ihr werdet es erfahren, nemlich was St. Paulus schreibt in unserm Texte: „Der HErr ist ein Rächer über das alles, wie wir euch zuvor gesagt und bezeugt haben.

 Dies Wort von der Rache Gottes geht allerdings nicht allein auf die Betrügerei, sondern auch auf die Wollust. Der HErr ist ein Rächer für beides. Die Rache über den Lüstling ist oft sonnenklar, denn die Wollust hat oft ihr Gericht schon in der Zeit, und ihre Verdammnis schon unter der Sonne. Aber auch für den Betrüger, den unredlichen und ungerechten, ist der HErr ein Rächer. Es heißt nicht: Er könnte rächen, sondern es heißt: „Er ist ein Rächer“. Sein Auge ist offen, Sein Gedächtnis ist treu, Seine Rache weiß ihre Zeit, Sein Fuß kommt behende, Seine Hand schlägt unbarmherzig den Unbarmherzigen. Wie ein Löwe seinen Feind faßt und ihn nimmer los läßt, so kommt der Allmächtige über dich, du elender Thor, der du Gott und Sein Gericht nicht scheuest, List, Gewalt und Frevel übest an denen, die sich nicht wider dich wehren können. – Aber das ist alles in den Wind geredet, das sind ernste Worte, auf die niemand merkt, das gilt für eitel Kapuzinergepolter und Kanzelpochen, denn das Ohr des Selbstsüchtigen ist hart und stumpf, und weßen Gott der Mammon geworden ist, der glaubt je länger, je weniger an einen lebendigen Gott, an ein Gericht und eine Rache, die in den Lauf der Lebendigen eingreifen, oder gar den Todten bezahlen wird, wie sie es verdienen.

 Darum wende ich mich zum Schluß an die unter euch, die noch weicher sind, die noch nicht durch den Ton des Geldes und das Rauschen des Besitzes um alles Gefühl und alle Beachtung der göttlichen Stimme gekommen sind. Wenn mein Wort für die Sklaven der Habsucht bestrafend geklungen hat, so wünsche ich, daß es für euch zuletzt noch eine Warnung und Ermunterung werde. Sehet in den Text. Im dritten Verse, vor der speziellen Ausführung der apostolischen Ermahnung leset ihr: „das ist der Wille Gottes, eure Heiligung“. Im siebenten Verse aber, dem Schlußverse des ganzen Kapitels, sagt der Apostel: „Gott hat uns nicht berufen zur Unreinigkeit, sondern zur Heiligung.“ Was versteht er unter dem Worte Unreinigkeit? Offenbar beides, Hurerei und Betrügerei. Was aber versteht er unter Heiligung? Offenbar in dieser Stelle zunächst: die Befreiung von Hurerei und Betrügerei, die Bekehrung zur Keuschheit und Redlichkeit. Die Zusammenfaßung ist merkwürdig. Wir würden vielleicht niemals dahin gekommen sein, die beiden Sünden: Hurerei und Betrügerei als Schwestern zu betrachten, die gerne mit einander Hand in Hand durchs Land hingehen. Wenn man ja Sünden paarweise hätte zusammen stellen wollen, so würden wir auch Paare gefunden haben, aber nicht das Textespaar. Und doch ist es gewis, die zwei Sünden gehören zusammen, und gehen auch tausendmal zusammen; sie haben beide mit einander eine und dieselbige große Kraft, die Seele zu verunreinigen. Das merkt der nicht mehr, der schon über und über unrein ist, aber der Anfänger kann’s merken. Ich will mir einmal einen priesterlichen Jüngling denken, der sich lange nach dem Tag gesehnt hat, an welchem er des Sakramentes walten, den Leib und das Blut des Erlösers in seine Hände nehmen darf. Endlich kommt sein großer Ehrentag: welche Freudenschauer und welche zitternde Andacht wird sein Herz bewegen, wenn er zum erstenmale consecrirt, und nun die gesegneten Elemente vom Tische Gottes den Kommunicanten reicht! Selige Stunde! Nun denk dir aber einmal einen priesterlichen Menschen, welcher die Pforten seines Innern der Fleischeslust geöffnet hat, innerlich gefallen ist. Er tritt mit bebendem Herzen zum Altar und seine Hand, die vom Schlamme seiner Sünde nicht rein werden will, greift nach dem Sacramente: welch ein durchbohrendes Gefühl der Unwürdigkeit muß ihn durchdringen! Wenn er zusammenstürzte, wenn er verzweifelte, man könnte es faßen. Wenn nun aber derselbe priesterliche Mensch nicht gehurt hätte, aber gestohlen, betrogen, untertreten: würde er sich eben so unwerth, so durchbohrt, so verworfen fühlen? Vielleicht nicht, vielleicht doch, ob aber, oder nicht, die Unreinigkeit wäre gleich groß. Der Betrüger, der Habsüchtige, der Selbstsüchtige ist um nichts beßer als der Hurer. Nicht auf’s Gefühl, auf die Wahrheit des göttlichen Gerichts kommt es an, und nach dem Worte Gottes muß alles beurtheilt werden. Darum nehme, wer noch ein Gefühl hat für das Wort des HErrn, wer noch offen für dasselbe ist, das| Wort Unreinigkeit und Heiligung und deßen vorzugsweise zwiefache Deutung auf das sechste und siebente Gebot mit sich von hinnen und schlage an seine Brust. Des HErrn schmerzenreiche Blöße, des HErrn arme Nacktheit an Seinem Kreuze, des HErrn hervortretendes schmähliches Leiden und Entbehren und Seine Arbeit, unsere Wollust und Habsucht zu büßen, stehe unserem heutigen epistolischen Texte zur Seite und helfe ihm durchdringen und Buße wirken für die beiden Sünden, die an verunreinigender Kraft unter dem Heere der Sünden kaum ihres Gleichen haben, für die schnöde Lust und für die Habsucht. – Amen. –




« Invocavit Wilhelm Löhe
Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)
Oculi »
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).