Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)/Palmarum
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Am Palmensonntage.
- 5. Ein jeglicher sei gesinnet, wie JEsus Christus auch war, 6. Welcher, ob Er wohl in göttlicher Gestalt war, hielt Er es nicht für einen Raub, Gott gleich sein; 7. Sondern äußerte sich selbst, und nahm Knechts-Gestalt an, und ward gleich wie ein anderer Mensch, und an Geberden als ein Mensch erfunden. 8. Er erniedrigte sich selbst, und ward gehorsam bis zum Tode, ja zum Tode am Kreuz. 9. Darum hat Ihn auch Gott erhöhet, und hat Ihm einen Namen gegeben, der über alle Namen ist: 10. Daß in dem Namen JEsu sich beugen sollen alle derer Kniee, die im Himmel und auf Erden, und unter der Erde sind; 11. Und alle Zungen bekennen sollen, daß JEsus Christus der HErr sei zur Ehre Gottes des Vaters.
HEute, meine lieben Brüder, acht Tage vor Ostern, sechs vor dem großen Freitag, reitet der HErr, wie das Evangelium erzählt, von dem Oelberg abwärts, ins Thal Kidron, und jenseits des Thales| wieder aufwärts, von einer Höhe durch ein tiefes Thal wieder in die Höhe, vom Oelberg herunter, hinüber wo die Berge Zion liegen und nordwestlich von Jerusalem der kleine Hügel Golgatha, der berühmter geworden ist, als die höchsten Bergesspitzen der ganzen Welt. Warum sage ich das, meine Lieben? Wie kommt mir’s, dies heutige Evangelium so geographisch anzusehen? Darauf könnte ich antworten: Weil die geographische Betrachtung der Geschichte so schön entspricht. Von einer Höhe der Anerkennung, des Hosianna’s, des Psalmengesangs, zum mörderischen Geschrei der Juden am Charfreitagsmorgen, führt den HErrn Sein Lebensweg hinab, hinab zum Kreuz, hinab zum Tode und Grabe. Von da an aber geht es wieder wie aus tiefen Thalen aufwärts, zum Auferstehungsmorgen, zum Preis der Engel, zum Hallelujah der Himmel über die vollbrachte und gelungene Erlösung, über die Niederlage unseres Erb- und Erzfeindes, des Todes. Da geht es doch offenbar von einer Höhe zu der andern, obschon durch grausige tiefe Thale. Da stehen wir also heute auf des Oelbergs Höhe, von dem es abwärts geht zu Leidenstiefen, und unsere Seele freut sich, da drüben hinter acht Tagen das Ende aller Noth unseres HErrn, die Glorie der Auferstehung zu sehen. Der gehen wir durch die Betrachtung der Erlösungsleiden entgegen. Doch, meine lieben Brüder, ist damit die Deutung meiner geographischen Evangelienbetrachtung noch nicht am Ende, die heutige Epistel leitet uns noch zu einer andern an. So wie der letzte Adventsonntag, der Sonntag vor Weihnachten eine überaus liebliche, dem kommenden Feste entsprechende Epistel hat, jene gepriesene vom Frieden, der höher ist, als alle Vernunft; so geht auch der heutige epistolische Text dem Ostertage sehr entsprechend voran, majestätisch und groß wie nur irgend eine Epistel sein kann, bei lichter, klarer, tiefer Einfalt. Ihr erinnert euch, daß wir am vorigen Donnerstage das Fest der Empfängnis Christi, wenn auch nicht nach Würden, doch so gefeiert haben, wie es uns unter den gegenwärtigen Umständen möglich war. Bei diesem Gedanken der Menschwerdung und Empfängnis, der höher ist, als der Oelberg, steht der Anfang unserer Epistel, so weit sie nemlich von unserm HErrn redet, stille. Ha, was für eine Höhe, Himmelshöhe ist es, auf der wir durch Betrachtung des apostolischen Wortes, wie es im 6. Vers zu lesen ist, stehen! Von dieser Höhe führt uns aber der Text hinab bis zur tiefsten Erniedrigung unsers HErrn. Also welch eine Tiefe, was für ein jähes, grausiges Thal hinab! Himmelshöhe, Todestiefe! Aber sie führt auch wieder hinauf, diese große Epistel; sie zeigt uns die Erhöhung JEsu und die Anbetung, welche Ihm von allen Creaturen im Himmel, auf Erden und unter der Erden zu Theil werden muß. Was für eine Höhe, zu der kein menschlicher Fuß, ja kaum der menschliche Gedanke emporklimmt! Himmelshöhe, Erniedrigung bis zum Tode, ja bis zum Tode am Kreuze; Erhöhung bis zum Throne Gottes, bis zum Stuhle, an deßen Boden alles feiernd und andächtig auf dem Angesicht liegt und ruft JEsus, JEsus! Von diesem Textesinhalt kann man doch wirklich die Geschichte des heutigen Evangeliums und der nächsten acht Tage als Vorbild nehmen, da findet die geographische Betrachtung, wie ich sie oben nannte, eine gewaltige, große Anwendung. So stimmen uns die beiden heutigen Texte vortrefflich zusammen, und wir können nun desto lieber zur Betrachtung unserer Epistel selber gehen, die doch recht passionsmäßig und zugleich recht sonntäglich und österlich ist.
Unser Text, meine lieben Brüder, hat einen Eingang im fünften Verse. Dann erzählt er vom sechsten bis zum achten Verse die Geschichte der Erniedrigung des HErrn, und lehrt uns dieselbe recht betrachten. Endlich kommt vom neunten bis zum eilften Verse die feiernde Erzählung und Betrachtung der Erhöhung unsers HErrn. Einfältige Anordnung so großer, herrlicher Gedanken! Erlaubt mir nun, meine Freunde, den Eingang des Apostels zum Schluß meiner Predigt zu nehmen, und euch zuvor die beiden Haupttheile des Textes vorzutragen, das ist, euch die Belehrung über Erniedrigung und Erhöhung zu geben, welche der Apostel seinen Philippern gibt. Der HErr aber und Sein guter Geist erleuchte und regiere meinen Geist, daß ich nichts anderes sage als mein Text, und mein Vortrag heut und allezeit sei eine menschliche Parallellinie, die treu und ehrerbietig neben der göttlichen Parallellinie des apostolischen Wortes herläuft.
Wenn in der Kirche die Lehre von der Erniedrigung des HErrn abgehandelt wird, so ist es selbstverständlich, daß ein Zustand der Hoheit vorausgesetzt wird, da man zwar niedrig sein kann, ohne jemals hoch| gewesen zu sein, eine Erniedrigung aber ohne vorausgehenden Zustand der Hoheit nicht zu denken ist. Nun könnte man bei unsrem HErrn den Zustand der Hoheit auf eine doppelte Weise verstehen, ihn entweder vor die Menschwerdung setzen, oder ihn mit der Menschwerdung zusammen treffen laßen. Nimmt man an, daß das erstere der Fall sei, so kann man, ja muß man auf den Gedanken kommen, daß in der Menschwerdung selbst eine Erniedrigung Gottes liege; dann wäre aber Gott ewiglich erniedrigt, weil ja in Christo JEsu die Menschheit für ewige Zeiten mit der Gottheit vereinigt ist. Im anderen Falle, wo man die Hoheit, die man sich zu denken hat, der Zeit nach mit der Menschwerdung selbst zusammen treffen läßt, entsteht die Frage, zu welcher Zeit man sich den Anfang der Erniedrigung eintretend denken müße. Läßt man diese mit der mühseligen Geburt des HErrn beginnen, so würde man die Zeit, da die zweite Person der Gottheit mit der noch ungeborenen Frucht des Mutterleibes Marien vereinigt war, als die Zeit der Hoheit denken müßen, während man doch auch aus dieser ganzen Zeit keine Spur aufzeigen kann, aus welcher die Glorie und Majestät des Hochgelobten erkannt werden könnte. Man müßte daher den Zustand der Hoheit dermaßen mit dem Beginne der Erniedrigung zusammen fallen laßen, daß der HErr in dem Augenblick, in welchem Er die Menschheit an sich nahm, auch die Erniedrigung begonnen hätte, und es würde aus dem Zustande der göttlichen Hoheit nur ein Augenblick und sofort nur Macht und Recht des Menschgewordenen werden, in göttlicher Gestalt zu erscheinen. Alles, was in dem sechsten Verse steht, die göttliche Gestalt, die Gottesgleichheit würde in den ersten Augenblick der Empfängnis Christi zu versetzen und anzunehmen sein, daß in dem Augenblick, da sich die ewige Gottheit der zweiten Person mit der Menschheit vereinigte, auch die Entäußerung und die Erniedrigung begonnen habe. Es läßt sich nicht leugnen, daß beide Annahmen ihre Schwierigkeiten haben. Aber auch das ist nicht zu verkennen, daß die zweite Annahme am Ende doch eher dem Texte zu entsprechen scheint, der vor uns aufgeschlagen liegt, als die erste. Der, von welchem gesagt wird, er habe sich erniedrigt, trägt doch bereits nicht blos den Namen der Würde, den Namen Christus, sondern schon den Namen JEsus, also den Menschennamen, so daß die Person, die sich erniedrigen soll, keine andere ist, als JEsus, der menschgewordene Gottessohn. Wenn man auch sagen wollte, daß es auch andere Stellen gebe, in denen göttliches von der menschlichen Natur ausgesagt werde, so wie menschliches von der göttlichen; so wird man für solche Stellen doch immer die Menschwerdung und die Vereinigung für beide Naturen voraussetzen müßen. Und ob man auch dies bestreiten und behaupten wollte, es würden hie und da einmal von der menschlichen Natur Christi Dinge ausgesagt, die vor der Menschwerdung geschehen seien; so würde doch immer der Ausdruck: „Er achtete die Gottgleichheit nicht für einen Raub“ dagegen stehen. Von der zweiten Person Gottes sagt man nicht, sie ist Gott gleich; sie ist ja Gott selbst, so kann keine Vergleichung stattfinden. Wohl aber kann man von dem Menschgewordenen in Seiner Hoheit und Herrlichkeit sagen: Er ist Gott gleich. Möge uns daher in dieser großen und wunderbaren Sache das Licht umgeben wie Dunkel, und wir vor großer Klarheit uns nicht alles und jedes zurecht legen können, so werden wir vielleicht doch den sicheren Weg betreten, wenn wir sagen: Der, welcher erniedrigt und erhöht wird, ist nicht Gott, sondern der Gottmensch. –„Darum hat Ihn auch Gott erhöhet“, sagt der Apostel; wenige Worte sind das, aber umfaßend und inhaltsschwer. Ist der HErr erniedrigt bis zum Tode, bis zum Grabe, ja bis zum Paradiese der abgeschiedenen Seelen, in welchem ja auch Seine, vom Leibe losgelöste Seele bei aller unauflöslichen Verbindung mit der Gottheit, doch drei Tage lang war, so wird Er doch nun auch wieder erhöhet; von Stufe zu Stufe geht nun Sein Gang wieder aufwärts, und es folgt eine unendliche Zeit der Glorie und der ewigen Herrlichkeit. Er bricht, nachdem Er am frühen Ostertage Seinen Leib wieder angenommen hat, als der Stärkere dem Starken in Seinen Pallast ein, hält Seine gewaltige Höllenfahrt und überweist die Welt derer, die ewig verloren sind, durch Seine glorreiche Erscheinung von dem unwiderbringlichen Irrtum ihres verlorenen Lebens. Das ist die erste Stufe Seiner Erhöhung. Er erzeigt Sich den Seinen auf Erden im neuerweckten, aber verklärten Todesleibe, und die vierzig Tage nach Seiner Auferstehung mit alle dem himmlischen, wonnevollen Leben, das Er in Gesellschaft der Seinen führte, deuten auf die zweite Stufe Seiner Erhöhung. Am vierzigsten Tage aber nach Seiner Auferstehung fährt Er auf gen Himmel, ja über alle Himmel, bis zum Lichte, wohin niemand außer Ihm kommen kann, und setzt Sich zur Rechten der Majestät in der Höhe. Das ist die dritte Stufe. Da nimmt Er das Reich ein, das Ihm der Vater gegeben hat, tritt in’s Regiment der Welt und führt die Zügel aller Dinge in Seiner menschlichen durchbohrten Hand. Das alles und eben darin was für eine große, von uns nie erkannte, kaum geahnte Fülle eines ewigen, göttlichen Lebens liegt in den Worten: „Er hat Ihn erhöhet“. Schwindelnde Höhe und Tiefe, wenn wir vom Gehorsam bis zum Kreuzestode aufwärts schauen, bis zur ewigen Herrlichkeit des HErrn; niederwärts vom Throne bis zu den tiefen Todesqualen. Da drückt man gerne das Auge zu, und betet an in tiefer Stille den Vater, der den Sohn erhöhet hat und Seinen Sohn, der also erhöhet worden ist. Wie klein ist dagegen die Bergeshöhe und Thälertiefe bei Jerusalem, ein kleines Merkmal unaussprechlich großer Dinge. –
Unser Text redet jedoch nicht bloß von Erhöhung, sondern auch von einer Anerkennung des erhöhten Christus, von der man am Palmensonntag bei allen Psalmen und Hosiannarufen doch nichts ahnte. „Er hat Ihm einen Namen gegeben, den Namen über alle Namen, daß in dem Namen JEsu sich beugen sollen alle Kniee, derer die im Himmel und auf Erden und unter der Erden sind, und alle Zunge bekennen soll, daß JEsus Christus Herr ist, zur Ehre Gottes des Vaters“. In Folge der Erhöhung also ist dem HErrn JEsus Christus gegeben ein Name über alle Namen, die knieebeugende Verehrung aller Creaturen, so wie das übereinstimmende Bekenntnis aller Zungen, daß Sein ist die Herrschaft, das Reich, die Kraft und die Herrlichkeit. Fragst du mich, was für ein Name der sei, der über alle Namen ist, so weiß ich dir entweder denselben nicht zu nennen, sondern verweise dich auf jene Stelle der Offenbarung, nach welcher der höchste Name nur Ihm selbst, dem HErrn, bekannt ist; oder ich sage dir einfach, daß Name und Würde gleich ist, und daß daher der Ausdruck: „Gott hat Ihm einen Namen gegeben über alle Namen“, nichts anderes bedeute, als: es sei Ihm eine Würde, eine Majestät, ein Ruhm, eine Ehre beigelegt worden, die sich mit keinem andern Namen verbindet. Was die Seraphim von der allerheiligsten Dreieinigkeit singen: „Alle Land, alle Land sind Seiner Ehren voll“, das liegt in dem Ausdruck: Name über jeden Namen.| Eine Stelle der heiligen Schrift sagt: „HErr wie Dein Name, so ist Dein Ruhm.“ Weiß ich nun nicht, welch höheren Namen der HErr ererbt hat, als den Namen JEsus, kann ich den Laut, den Klang nicht sagen, so weiß ich doch, daß des Namens Ruhm über alle Namen gehen soll. Als der HErr am Stamme des Kreuzes hieng, schrieb der bekannteste und doch verworfenste aller Landpfleger die Ueberschrift: „JEsus Nazarenus, König der Juden“; da sollte gekreuzigt, weggethan, in Vergeßenheit gebracht, qetödtet und erstorben sein, beides, die Würde eines Judenkönigs und der Name „JEsus von Nazareth, der ein König der Juden“ nach Gottes, der Engel, Seinem eigenen und aller Heiligen Urtheil war. Und als der HErr im Grabe lag, und die Juden mit Pilato wegen der nöthigen Wache verhandelten, da schien Er bereits keinen Namen mehr zu haben, sondern die Hohenpriester sagten zu Pilato Matth. 27, 63: „HErr wir haben bedacht, daß dieser Verführer sprach, da er noch lebte: Ich will in drei Tagen auferstehen“. Da ist Er schon halb verschollen, da scheints den Hohenpriestern wie aus tiefer Erinnerung empor zu dämmern, was Er einmal gesagt hat, da wird Er gar nicht mit Namen genannt, sondern man sagt blos „jener Verführer“. Aber wartet nur ein wenig, es wird sich ändern. „Als die Verführer, und doch wahrhaftig“, so sind die Apostel des Lammes erfunden, geschweige das Lamm Selbst. Er steht auf von den Todten und fährt auf über alle Himmel, und Sein Name wird der bekannteste in allen Reichen der Welt, vom Himmel bis zur Hölle. Unter den himmlischen Schaaren ist Lied und Lobgesang, und Summa alles Wißens, alles Singens und Sagens der Name: JEsus, JEsus! Auf Erden im Gnadenreiche ist Dank und Preis, Heil, Hilfe und Erlösung zusammengefaßt in den einen Namen: JEsus, JEsus! Und bei den Verlornen und Verdammten ist Inbegriff und Summa aller Angst und Pein und Schrecken der Name: JEsus, JEsus! Und ist in allen Reichen der Welt, bei dem HErrn Zebaoth und Seinen Heerschaaren kein Name wie der Name: JEsus, JEsus! –Und hier, meine lieben Brüder, kehren wir um, zum Anfang unseres Textes und machen mit ihm den Schluß, wie ich euch angekündigt habe. Seht noch einmal in die unabsehbaren schwarzen Tiefen Seiner Leiden. Hebet noch einmal den schweren, müden Blick auf bis zu dem undurchdringlichen Lichte Seines ewigen Aufenthalts. So hinab und so hinauf gieng JEsus, so hinab, auf daß Er so hinauf gienge! Und nach dieser Wiederholung der Hauptsachen unseres Textes höret und nehmet zu Herzen das Eingangswort des heiligen Apostels: „Ein jeglicher unter euch sei gesinnet, wie JEsus Christus auch war“. Wie war Er gesinnet? Das deutet dir der vierte Vers des Textcapitels, in welchem es heißt: „Ein jeglicher sehe nicht auf das seine, sondern auf das, das des andern ist“. Der HErr sah nicht auf das Seine, nicht auf die göttliche Gestalt, nicht auf die Gottesgleichheit, sondern Er sah auf das, was der andern war und ist: auf unsre Erlösung, auf unsre Seligkeit. Deshalb entäußerte Er Sich, nahm Knechtsgestalt an und erniedrigte Sich bis zum Tod am Kreuze. Und weil Er nun nicht auf das Seine sah, sondern rein auf das Unsere, und Sich um unsertwillen bis zum Kreuzestod erniedrigte, so hat Er mit dem Unsrigen auch das Seine gefunden, und hat Sich und damit auch unsre Natur gesetzt zur Rechten der Majestät in der Höhe. Nach-thun und nach-leiden, meine lieben Brüder, können wir dem HErrn JEsu Christo nicht; einen Erfolg haben wie Er oder nur in kleinem Maße ähnlich dem Seinen, können wir auch nicht. Er erwirbt ein vollgiltiges Verdienst für das Bedürfnis aller Sünder, wir hingegen leben allein aus Seinen Wunden und auch aller Gnadenlohn, den Gott nach Seinem freien Willen uns und unsersgleichen Arbeitern im Weinberg zuertheilen möchte, ist doch nur des Schweißes und Blutes JEsu Christi. Aber gesinnet sein sollen wir wie JEsus Christus; den Eigennutz, die Selbstsucht sollen wir ausziehen, und suchen was des Andern ist; uns verleugnen, klein, schwach, gering werden und sterben können im Dienste der Brüder, und damit ihnen unsre Hände unterbreiten und sie auf unsern Schultern empor steigen laßen zu ihrer Beßerung und ihrem Heile. – Da meine Freunde, habt ihr die rechte Passionsfeier, die Nachfolge JEsu, die Art und Weise, wie wir armen Sünder hinter dem großen Kreuzträger hergehen sollen auf dem Kreuzweg des Lebens, und unser kleines Kreuzlein Seinem großen Kreuze nachtragen. Wahrlich, meine Brüder, nachdem wir erkannt haben, zu welchen Höhen die tiefen Leiden JEsu führten; so kann uns ein Muth, ja eine Sehnsucht erwachsen, dem großen Herzog Aller, die da lieb haben, nachzuwandeln und das Andenken Seiner tiefen Selbstverleugnung gleicherweise durch Verleugnung zu feiern. Weil wir einen Heiland haben, der in dieser Welt für uns gelebt hat und gestorben ist für uns, und ewig lebt und für uns bittet, so können wir nichts beßeres thun, als auch zum Segen Anderer leben, leiden, sterben und hier und dort für sie beten. Als die Leidensgefährten Davids sich zu ihm sammelten, riefen sie ihm zu: „Dein sind wir, o David, und mit dir halten wir’s, du Sohn Isai! Friede, Friede sei mit dir, Friede sei mit deinen Helfern, denn Gott hilft dir“! Laßt uns Leidensgefährten JEsu werden, und Ihm auch also zurufen. Laßt uns zu Ihm sagen: „Ich will mich mit Dir schlagen an’s Kreuz, und dem absagen, was meinem Fleisch gelüst: was Deine Augen haßen, das will ich fliehn und laßen, so viel mir immer möglich ist“[WS 1].
So laßt uns Seine werden und es mit Ihm halten. Alles was wir von Ihm lesen und hören werden in dieser Woche, reize uns zu Seiner Nachfolge in der Selbstverleugnung und demüthigen Aufopferung für andre. „Wie Er hatte geliebt die Seinen, so liebte Er sie bis an’s Ende“, steht von Ihm geschrieben. Wohlan, das sei auch unser Sinn. In dieser Woche sterbe der Haß, der Neid, der Groll, der Streit, und es triumphiere die Liebe, die Liebe zu den Brüdern, auch zu den Feinden. Wer in dieser Woche bei dem Andenken an JEsu unaussprechliche Freundes- und Feindesliebe noch zaudern kann mit der Buße, mit der Umkehr zu seinen Brüdern, mit der Liebe zu ihnen, der hat nicht verstanden, nicht gelernt, wozu man dem HErrn heute Hosianna gesungen, und was für eine Woche ER heute begonnen hat. Alle unsre Leidenschaften sollen schweigen und sterben, und unser alter Adam sich verbluten unter Buß- und Reuethränen des neuen Menschen am Kreuze JEsu. – Ja, HErr JEsu, das wirke in uns die Kraft Deines| Todes, auf daß wir auch tüchtig und würdig werden, Dir nachzufolgen und Deine Herrlichkeit zu schauen, Dein österliches Angesicht, Deine strahlenden Wundenmaale, und zu hören den Gruß Deiner ewigen Kirchengemeinschaft, wenn Du sprechen wirst zu uns, wie Du gesagt hast zu den Deinen am Ostertage:Amen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ O Welt, sieh’ hier dein Leben etc. Vers 15. Paul Gerhardt.
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