Epistel-Postille (Wilhelm Löhe)/Osterfest 1
« Karfreitag | Wilhelm Löhe Epistel-Postille (Wilhelm Löhe) Register der Winterpostille |
Osterfest 2 » | |||
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
| |||||
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|
Am heiligen Osterfeste.
- 6. Euer Ruhm ist nicht fein. Wißet ihr nicht, daß ein wenig Sauerteig den ganzen Teig versäuert? 7. Darum feget den alten Sauerteig aus, auf daß ihr ein neuer Teig seid, gleichwie ihr ungesäuert seid. Denn wir haben auch ein Osterlamm, das ist Christus, für uns geopfert. 8. Darum laßet uns Ostern halten, nicht im alten Sauerteige, auch nicht im Sauerteige der Bosheit und Schalkheit; sondern in dem Süßteige der Lauterkeit und der Wahrheit.
Wer kann nun, meine lieben Brüder, diesen Sinn unsers Textes als den einfachen, – nicht als den hineingetragenen, sondern als den blank zu Tage liegenden erkennen, ohne zuzugestehen, daß also die Abendmahlszucht nicht eine bloß menschliche Kirchenordnung, sondern ein biblisches, apostolisches, von dem heiligen Paulus mit allem Nachdruck eingeschärftes Erfordernis christlicher Gemeinden sei? Ist’s nicht wirklich offenbar, daß in unserm Texte Zucht und Abendmahl in der engsten Beziehung zu einander stehen? Ist’s übertrieben, auf Grund unsers Textes zu behaupten, daß die Abendmahlszucht im Ausfegen des alten Sauerteigs und im Genuß der süßen Brote eben so gewis alttestamentlich geweißagt und vorgebildet ist, wie das heilige Abendmahl, selbst im Osterlamm? Ist also nicht die Abendmahlszucht wie das heilige Abendmahl selbst eines der Jahrhunderte und Jahrtausende vor dem Neuen Testamente von Gott bewahrten, in heiligen Bildern abgeschatteten Geheimnisse, welche in der Fülle der Zeit offenbart und gepredigt sind? Muß es also nicht der von aller Welt her gefaßte, nun aber offenbarte Wille Gottes sein, daß man in Gottes Vorhöfen und an Seinen Altären an der Heiligung und Vollendung der Gemeinde arbeite, indem Einer für Alle, Alle für Einen sorgen und Buße thun und glauben und gegen das festgehaltene Böse kämpfen? – Und ob auch einer zu kurzsichtig oder zu übelwollend wäre, um den Beweis der Abendmahlszucht aus dem Alten Testament und seiner Osterlammsfeier zu erkennen: die Rede des heiligen Apostel Paulus, die für sich allein schon ein göttliches Ansehen und eine göttliche Kraft besitzt, ist doch klar! Der Sauerteig, welcher ausgefegt werden soll, ist doch einmal im Text und seinem Zusammenhang nichts anders, als der offenbare, unbußfertige Sünder, der Blutschänder, von welchem die Rede ist: St. Paulus versteht einmal nichts anders darunter. Ja, ob einer auch darüber stritte, und Sauerteig wie Süßteig wie V. 8 so V. 6 und 7 nur auf den Sinn der Gemeinde, auf ihre Herzens- und Lebensreinigung bei Gottes Tisch beziehen wollte: es wäre im Grunde doch auch das nichts anders, immerhin geht der Text auf Abendmahlszucht hinaus, und auf alle Fälle gibt der 13. Vers mit unverblümten Worten zu verstehen, was Paulus will, was am Ende doch auch mit dem Ausfegen des Sauerteigs gemeint ist. „Gott wird, sagt er, die draußen sind, richten; thut von euch selbst hinaus, wer böse ist“. Was aber in seinem Sinn ein Böser ist, das liegt wieder ganz klar vor V. 11: „So jemand ist, spricht er, der sich läßt einen Bruder nennen, d. h. einen Christen, und ist ein Hurer, oder ein Geiziger, oder ein Abgöttischer, oder ein Lästerer, oder ein Trunkenbold, oder ein Räuber, mit demselbigen sollt ihr auch nicht eßen“ – nicht das tägliche Brot, geschweige des HErrn Brot und trinken Seinen Kelch.
Ich denke, meine lieben Brüder, aus dem allen ist leicht zu erkennen, daß der Apostel Paulus in der Gemeinde von Corinth Zucht geübt haben wollte, eben so wie sie Christus, der HErr, nach Matth. 18 in allen Gemeinden der Kirche in Uebung sehen will. Was für eine Thorheit wäre es, anzunehmen, daß Pauli Worte nur einen Specialbefehl für die Corinther enthielten, uns aber nichts angiengen! Und welche Stumpfheit, wo nicht gar absichtliche heuchlerische Verblendung wäre es, wenn man den innigen Zusammenhang zwischen dem Befehle Christi Matth. 18 und dem corinthischen Befehle Pauli leugnen oder verleugnen wollte! Nein, meine Brüder, Luther hat Recht, wenn er sagt, die Zucht sei eben so gut ein Gottesgebot, wie jedes andre. Das Zuchtgebot Christi und Seiner Apostel ist in der That nichts anderes, als das Gebot der reinsten, kirchlichsten Liebe, der Liebe der Gemeinde zu ihren Gliedern, der Glieder zur Gemeinde. Und gewis, Zucht ist in ihrer schönsten, lautersten, höchsten Faßung österliche Zucht, Abendmahlszucht,| so gewis die Kirche selbst eine österliche, eine Abendmahlsgemeinde ist, bis daß Er kommt.Dabei, meine Brüder, ist noch Eins hervorzuheben, was ich bis jetzt nur vorausgesetzt und bis hieher aufgespart habe. An wen wendet sich die Rede des Apostels im fünften Kapitel des ersten Briefes an die Corinther? Wer soll Zucht üben, den alten Sauerteig ausfegen, die Bösen hinausthun, im Süßteig der Lauterkeit und Wahrheit Ostern halten? Ist es etwa bloß zu den corinthischen Pfarrern gesagt: werden die allein zur Ausübung der Zucht überhaupt und der Abendmahlszucht insonderheit verpflichtet? So wenig als Sich Christus Matth. 18 in Seinem Zuchtbefehl bloß an die Pfarrer wendet. Allen Christen ist die Zucht, auch die Abendmahlszucht zugemuthet; die ganzen Gemeinden sind dafür verantwortlich: Zucht ist die notwendige Aeußerung der Bruderliebe; wo keine Zucht ist, ist genau genommen auch keine Bruderliebe, kein wahrer und echter Zusammenhang der Gemeinde, kein Band der Vollkommenheit, kein überzeugender Beweis, daß sich die Gemeinde für eine Familie Gottes, für eine zusammengehörige und zusammenhangende Heerde Christi erkennt. Es ist auch wirklich ganz unmöglich, Zucht im Segen zu üben, so lange die Gemeinden es nicht als Gemeindepflicht, jeder Einzelne als seine unverbrüchliche Pflicht der Bruderliebe erkennt, aus allen Kräften mitzuhelfen. Was für eine Unerfahrenheit, welch’ unstatthaftes Verlangen, daß die Pfarrer allein Zucht üben, Zucht halten sollen! Der Pfarrer ist ein Gemeindeglied, ein hervorragendes, wie nicht zu leugnen, überdies mit besonderer Verantwortung des Amtes belastet: gewis hat er das Seine zur Zucht und deren Uebung beizutragen; aber auch nur das Seine. Denn er ist und bleibt doch immerhin nur einer, ein Bruder, ein Gemeindeglied, von dem man nicht Arbeit und Liebesübung fordern kann, wie sie nur die Gemeinden in ihrer Vollzahl leisten und gewähren können; der sich auch nimmermehr solche – Verantwortung, solch unerträgliche und unmögliche Last kann und wird aufhalsen laßen.
Wie steht es nun aber mit dem Gehorsam gegen den Zuchtbefehl Christi und Seiner Apostel? Wir könnten diese Frage auch auf die römische, griechische, reformirte, unirte Kirche ausdehnen, und ich glaube, im Allgemeinen würden wir von allen Seiten her dieselbe betrübende und niederschlagende Antwort bekommen. Allein wir wollen nur auf unsre eigne, die lutherische Kirche schauen: wie steht es da? Wir werden zwar einen Unterschied machen müßen zwischen den Landeskirchen, in welchen der Mensch seine Confession mehr durch die Verhältnisse, kaum durch Erziehung, am wenigsten durch eigne Prüfung und Entscheidung bekommt, und zwischen denjenigen Gemeinden, welche in Preußen, Nassau, Baden, Hamburg und Nordamerika durch eigne Entscheidung für die Bekenntnisse unsrer lutherischen Väter in den letzten Jahrzehnten entstanden sind. Bei den letzteren findet man mehr oder minder auch einen größeren Ernst rücksichtlich der Zucht, wiewohl auch da nach dem eigenen Zeugnis der jenen Gemeinden vorstehenden Hirten gar vieles zu wünschen übrig bleibt. In den Landeskirchen hingegen, auf deren Gebieten sich unchristliche, ungläubige, unsittliche Menschen zu Tausenden, wenn man nicht sagen will „zu Millionen“ finden: da steht es schlecht. Zwar die alten Kirchenordnungen dieser Gemeinden reden von Zucht, namentlich von Abendmahlszucht. Aber es erweist sich schon aus der gegenwärtigen Beschaffenheit der Landeskirchen, daß schon längst der Gehorsam gegen die Kirchenordnungen aufgehört haben muß, auch wo und so weit er früher da war: woher kämen denn sonst die Tausende und Millionen von ungläubigen, unchristlichen, weltlichen Menschen, die nicht etwa insgeheim, sondern mit ganz offenbarem Hervortreten und unverholener Herzensgesinnung das Reich der Kirche eingenommen haben? Die Zucht, zumal die, welche und wie sie von dem HErrn und Seinen Aposteln befohlen ist, hat längst aufgehört, es ist keine da; oder soll man die letzten Spuren der entschwundenen, oder die ersten Zeichen einer vielleicht sich wieder regenden Zucht recht hoch anrechnen, wie es die Eigenliebe mancher jetzt lebenden Christen verlangt, nun, so können wir sagen: es ist fast keine da. Hie und da steht vielleicht ein einsamer Pfarrer, vielleicht von einigen Kirchenvorstehern in einem gewissen Maße unterstützt: er versucht es, das Seine zu thun, – vielleicht mit Zittern und Zagen: in welchem Geruch steht dann ein solcher Held? Kein Mensch sagt von| ihm, in seinem Herzen keime und sproße die Liebe; sondern streng ist er, ein Eiferer, ein anmaßender Mensch, voll Priesterstolzes, welcher das Gelüsten in sich hegt, die alte Priesterherrschaft der römischen Kirche auch in die protestantische wieder einzuführen. Die, an welchen er in großer Verlegenheit sein bischen Zucht zu üben sich gezwungen fühlt, hätten gute Lust, ihn zu verklagen, wenn sie nur dazu genug gutes Gewißen hätten, wenn nur nicht da drinnen eine Stimme zu laut für den armen Pfarrer und sein Thun spräche. Manche klagen dennoch: die Zucht der Liebe wird zur Streitsache, etwa zwischen einem Trunkenbold und dem Pfarrer, zwischen einer Hure und dem Hirten der Gemeinde. Und was sagt denn die Gemeinde? Erwacht und merkt sie, daß es unrecht ist, den Pfarrer allein zu laßen in seinem Streite; tritt sie auf seine Seite und billigt wenigstens durch ihre allgemeine Zustimmung die Liebesübung, welche sie selbst unterläßt? Ihr wißt es selbst, meine lieben Brüder, wie es geht und daß es nicht so ist, daß in den meisten Gemeinden der Pfarrer unter solchen Umständen ganz einsam steht. Was kümmert sich die Gemeinde um die „Pfaffengeschichte“: Spottvögel und die Kinder Schadenfrohs allenfalls legen sich drein, lästern den Pfarrer, steifen den in Zucht genommenen offenbaren Sünder in seiner Unbußfertigkeit; mit Hohn und Spott, mit gleißnerischer, beißender Rede gießt man Oel in’s Feuer und sorgt dafür, daß aus einer Sache, welche im eigentlichsten und edelsten Sinne Gemeindesache sein sollte, eine recht jämmerliche Parteisache und ein persönlicher Prozeß wird. So steht’s, ja so steht’s, wo es noch gut steht, nemlich in den wenigen Landgemeinden, wo die Diener Gottes noch Muth und Selbstverleugnung genug haben, dem Greuel unchristlicher Zuchtlosigkeit ein wenig zu steuern. Und nun erst da, wo es gewöhnlich – Gott segne die Ausnahmen! – wo es gewöhnlich am schlechtesten steht, in den Städten, mein’ ich, mit ihren frechen Haufen zuchtlosen Pöbels aus vornehmen und geringen Ständen! Ha, wie sich die empört, im Innersten verletzt fühlen, wenn jemand es wagen will, an ihnen, am Pöbel des neunzehnten Jahrhunderts, dem unwißenden, in allem, was zum ewigen Leben gehört, völlig unerfahrenen, von der Sünde geknechteten und geschleppten, die heilige Pflicht der Bruderliebe strafend zu erfüllen! Was ist da zu machen? Spott und Schmach über die, welche Angesichts dieser Massen vom Netz reden, das auch faule Fische fäht, –vom Acker, der auch Unkraut hat, – vom hochzeitlichen Vorhof, wo auch Heuchler und Maulchristen zu finden sind. Das heißt in der That aus großer Verlegenheit blind Gottes Wort wider Gott selbst deuten und misbrauchen. Nein, nein, so hat Christus Seine Kirche nicht gewollt, so will Er sie auch nicht laßen. Wo der Sauerteig den ganzen Teig durchdrungen hat; wo es – ich sage, in der Kirche, nicht in der Welt – zur Ausnahme geworden ist, daß jemand seine Seele davon bringt; wo die Gottlosen im Interesse der Zuchtlosigkeit die Beßeren, so zu sagen, in die Zucht nehmen, die Frommen mit Hohn und Schrecken niederhalten, daß auch sie es nicht mehr wagen, das Haupt aufzuheben und den Mund aufzuthun, sondern mit gebrochener Kraft unter der Masse stehen und froh sein müßen, wenn ihnen nicht die ganze Reinigkeit ihrer Absicht, ihr Wille, ihr Leumund beschmitzt und sie selbst als die „Heillosesten und Schlechtesten“ hingestellt werden: da ist’s nicht am Ort und an der Zeit, Christi gerechte Worte vom Netz und Acker und hochzeitlichen Kleide zur Decke zu nehmen; da muß man andere Worte Christi reden laßen, den Donner des heutigen Textes predigen und aufschreien zu Gott der Erbarmung, daß es anders werde. – Ach, Weh und Jammer! Gott helfe, sonst gibt es keine Hilfe! So hat ja der Sauerteig durchgedrungen, ein solcher Geist der Zuchtlosigkeit und Unzucht in Betreff aller Gebote ist herrschend geworden, daß auch die wenigen Versuche treuer, züchtigender Bruderliebe nicht gerathen können. So bewältigt und gebunden ist die Liebe selber, daß oft ihre wohlgemeintesten Erweisungen verkümmern, zu Zerrbildern und Karrikaturen der Bruderliebe werden, daß sich an ihnen Muth und Eifer zum Guten vollends bricht und verliert. – Ach, und wagen es einfache Christen, die nicht Pfarrer sind, die züchtigende Liebe zu üben: wie viel schaden dann selbst Pfarrer, wenn sie, vielleicht beleidigt durch den gerechten Vorwurf, der für sie in der Liebesäußerung von Gemeindegliedern liegt, von pharisäischem und Amtshochmuth aufgebläht, die armen Stümper und Humpler der Bruderliebe verkennen, mit plumpen Füßen auf ihre Werke treten, statt sich demüthig mit ihnen zu vereinigen und mit den armen Lahmen und Krüppeln JEsu den heiligen Kampf gegen das Böse| zu wagen und sich mit ihnen selbst reinigen, heiligen und vollenden zu laßen! – –
Man könnte sagen: es sollte aber eben auch die Zucht von oben her mehr empfohlen und befohlen sein, es sollte wieder Zuchtordnungen geben, vermöge deren sich diejenigen, welche die Liebe der Zucht üben wollen, für geschützt erachten könnten. Allein, meine Brüder, obschon daran etwas Wahres ist: so glaube ich doch, daß man durch solche Einwendungen die heilige Pflicht nur von sich wegzuschieben trachtet. Ich sehne mich darnach, daß das Zuchtgebot JEsu auch wieder einmal anerkannt und (wie jämmerlich klingt aber das!) zum Kirchengebote werde, und ich hoffe, es werde wohl auch einmal wieder dazu kommen; aber ist denn JEsu Gebot nicht über Kirchengebot, und wird Sein Wille mehr und beßer geschehen, wenn das irdische Regiment der Kirche ihn ausgesprochen haben wird? Die Ihm nicht folgen, werden die dem Kirchenregimente folgen? Ist’s nicht offenbar, daß des HErrn Gebot Kirchengebot sein muß? Ist Er nicht alleiniger HErr Seiner Kirche: kann etwas nicht gelten, was Er gesprochen hat? – Schöner Tag, wo uns eine Zuchtordnung dargeboten werden wird! Aber was hilft ein Kleid, für das sich am Ende kein Leib findet? Was hilft Canal und Waßerleitung, wenn kein Waßer da ist? Was helfen Waffen ohne Soldaten? Was helfen Zuchtordnungen ohne den Geist der Liebe und der Zucht? Die Zucht ist viel zu sehr Aeußerung der persönlichen und gemeindlichen Bruderliebe, als daß es möglich wäre sie ohne Brüder und brüderlich gesinnte Gemeinden in’s Werk zu setzen. Sie ist und bleibt die Sache, das Eigentum, die Kunst und Macht gemeindlicher Bruderliebe. Wo die Bruderliebe ist, schafft sie auch Ordnungen, zumal die Grundzüge in JEsu Worten klar vor uns liegen. Wo die Liebe erkaltet, nimmt die Ungerechtigkeit überhand, – und keine Macht des Staates, keine Ordnung der Kirche vermag alsdann den Mangel der Liebe zu ersetzen.
Ihr werdet sagen: Was ist aber dann zu thun? Die Gemeinden sind einmal, wie sie sind: aus ihnen wächst nichts hervor, was Gott gefiele, so lange sie sind, wie sie sind. Da wird das Ende von der Predigt sein, daß alles bleibt wie’s ist – und so klar die Worte Christi und die Worte des heutigen Textes vor uns liegen: was werden sie ausrichten? – Meine Antwort ist die: ich weiß keine andre, ich warte Jahre lang auf eine beßere, ich kann nichts erlauschen, nichts vernehmen. Ich bleibe dabei: eine Ermahnung der beßeren Gemeindeglieder, eine Hingebung der Christen, die es sind, an Christi Zuchtbefehle, ein vereintes Leben der Christen für Zucht und Liebe und Heiligung kann alleine fördern. Entschloßene, aufopfernde, selbstverleugnende Liebe derer, die da an Christum glauben, wird Siege erringen und manchen Brand aus dem Feuer reißen. Erinnert euch, wie es vor 20, 30 Jahren im Lande aussah, sagen die gern Zufriedenen: wo war damals Gottes Wort, wo Glaube, wo Christen? Und ja, so sage auch ich Unzufriedener: seht auf die Erfolge der Kleinen, der armen Pfarrer und ihrer bekennenden Schaaren, – und lernt daraus, wie man weiter geht. So kommt man vorwärts, wenn man nicht verzagt, wenn man fröhlich sich für’s Gute vereint, es unter Widerspruch und Leiden bekennt und übt. Da habt ihr einen nun verstandenen Text: ihr habt die Zucht, auch die Abendmalszucht als ein göttliches Gebot erkennen gelernt.
Auf nun, laßt uns leben für Liebe, Liebeszucht, Abendmahlszucht, für heilige Tischzucht JEsu – für Heiligung und Vollendung! Die Christen sind, die seien es in vollen Ernste. Es sei ihre höchste Angelegenheit, selig zu werden und sich des ewigen Berufes in dieser Welt würdig zu verhalten. Die eigne Seele erretten, das sei das Erste, – und das Zweite sei, die Brüder lieben und für die Mehrung ihrer Zahl, für die Heiligung, Gründung, Stärkung und Vollendung der Glaubensgenoßen zu leben. Jeder meide den bösen Schein, damit nicht andere durch den bösen Schein der Christen an der Sonne Christus irre gemacht werden. Jeder halte Glauben und gut Gewißen und laße sein Licht, sein Glaubenslicht leuchten, auf daß die Leute die guten Werke sehen, auf daß durch gute Thaten die Lästerung und Verleumdung überwunden werde und unsre Feinde von uns sagen müßen: „Ja, sie sind beßere Menschen.“ Und daß wir’s werden, dazu helfe dem Christen der Christ durch brüderliche Zucht. Laßt uns einander tragen mit unsern Schwachheiten, aber auch einander reizen und dringen, daß wir vorwärts kommen: keiner leide am andern Sünde, alle für einen, einer für alle müße sorgen in Demuth, in Bekenntnis der eignen Sünde, daß nicht der Balken im Auge| den Splitter entschuldige, daß nicht in Hochmuth das Werk der brüderlichsten Demuth ersterbe.Und wenn ihr also Glauben und gut Gewißen bewahret, dann steht nicht wie Schächer in den Gemeinden, gebt nicht mehr feig und zappelnd, wie das böse Gewißen, unter dem unschlachtigen Geschlecht, – auch nicht wie selbstgerechte, übermüthige Tyrannen, die sich pharisäisch über andre erheben: meidet beides, Verzagtheit und Uebermuth – bittet aber Gott um demuthsvollen Muth, Zucht und Heiligung, Religion und Wahrheit unter euren Nachbarn zu bekennen, zu vertreten, das Böse anzugreifen, das Gute zu fördern, nach Beßerung der Gemeinden mit aller Macht zu ringen. Nicht die Rotte der Gottlosen hat das Recht in den Gemeinden: das werde ihnen nun auch einmal bekannt, ihr elend Recht werde bestritten – und die Christen, die Beßeren in den Gemeinden, sollen es wagen zu sein, was sie sind, Priester des Allerhöchsten, welche die Tugenden Des, der sie berufen hat von der Finsternis zu Seinem wunderbaren Licht, mit kühnem Wort und heller That bekennen. – Auf diesem Wege gibt es Leiden, wer weiß, welche. Aber es gibt keinen andern, die Gemeinden, so wie sie sind, zum Guten aufzurufen. Die Stimme des Predigers ist zu einsam: so laßt nun Gottes Drommeten in Haufen blasen und Jericho’s Mauern fallen. Getrost den Leidensweg der Liebe gegangen, meine Brüder! „Haßet das Arge, hanget dem Guten an“ vermahnt die Schrift unsre Seelen. Wohlan! Laßt uns Protest gegen alles Böse einlegen: laßt uns ausdauern in Vertheidigung des Guten, – und laßt uns anhalten am Gebet und Flehen, daß unser treues Thun und Meinen gesegnet sei, unsre Fehler der heiligen Absicht, für die wir leben, nicht hinderlich seien, und unsre in Gott gethanen Werke durch des HErrn Blut gereinigt und durch Seinen Geist gesegnet seien für die Welt und für die Kirche.
Das Leben geht hin, bald ist es verraucht: ist es gar dahin – so sind wir reich und groß, wenn wir selig sind, und wir haben nicht umsonst gelebt, wenn wir unter dem unschlachtigen Geschlechte unsrer Gemeinden Wahrheit und Recht, Glauben und Heiligung gelehrt, empfohlen, so viel an uns lag, vertheidigt und aufrecht gehalten haben.
Diese meine Rede, welche ich nach dem Liebesberuf Eures ehrwürdigen Herrn Pfarrers unter Euch gehalten habe – in der Eintracht mit ihm, nehmet freundlich auf. Der HErr aber laße meine Worte gesegnet sein. Auf Ihn und Seinen Segen harre ich. Nicht leer laß, o HErr, was an dieser meiner Rede richtig ist, zurückkommen. Ach gib, daß es thue, wozu es gesprochen ist! Amen.
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ s. auch Wilhelm Löhe: Missionspredigt von der Abendmahlszucht.
« Karfreitag | Wilhelm Löhe Epistel-Postille (Wilhelm Löhe) |
Osterfest 2 » | |||
Für eine seitenweise Ansicht und den Vergleich mit den zugrundegelegten Scans, klicke bitte auf die entsprechende Seitenzahl (in eckigen Klammern).
|