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Epistel

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Textdaten
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Autor: Heinrich Julius Ludwig von Rohr
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Titel: Epistel
Untertitel: An einen mißmüthigen Freund
aus: Neue Thalia. 1792–93.
1792, Zweyter Band,
S. 21–24
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage:
Entstehungsdatum: 1791
Erscheinungsdatum: 1792
Verlag: G. J. Göschen'sche Verlagsbuchhandlung
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Quelle: UB Bielefeld bzw. Scans auf Commons
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[21]
4.
Epistel.
An einen mißmüthigen Freund.
Den 24sten November 1791.

Freund, wie macht es dich so traurig,
Daß, so oft man dich verkennt? –
Jeden Ausbruch deiner frohen Laune,
Mit der Schmähsucht schallenden Posaune

5
Vorwitz und Satyre nennt! –


War es nicht das Loos der schönsten Seelen
Immer sich verkannt zu sehn? –
Ja, es kann, es kann nicht fehlen,
Gute Menschen müssen Neider zählen,

10
Die bey ihrem Licht im Schatten stehn.

[22]

Bist du nur ganz mit dir selbst zufrieden,
Lebst du, wie ein ächter Biedermann,
Achtest auf des Herzens Stimm’ hienieden,
Lebst mit dem dort oben auch in Frieden,

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Laß ihn nagen dann des Neides Zahn;

Ehe wird er Marmorsäulen nagen,
Eh’ er deiner Ruhe schaden kann! –

Herzensruhe kauft man nie zu theuer
Um der Thoren bittern Tadel ein.

20
Hoch im edlen Busen flammt das Feuer

Reiner Wonne, daß man nichts gemein
Habe mit der Narren dichten Schaaren,
Ja, daß ihnen nichts an uns gefällt;
Da, wo Gott und inn’rer Friede Richter waren,

25
Was gilt da das Urtheil einer Welt?


Aber, wend’st du ein, dieß ew’ge Streiten,
Dieses Zanken, dieses wilde Drohn,
Dieser Zwist, mit sonst ganz guten Leuten,
Spricht er nicht dem innern Frieden Hohn? –

[23]
30
Nein, mit nichten! mag es draußen stürmen,

Inn’re Seelenruhe wird den Held
Mit der himmlischen Aegide schirmen,
Unter Trümmern einer halben Welt! –

Laß die Tadler deine Thaten schmähen,

35
Sie beleben deines Daseyns Pfad.

Manche Rose blüht dem ungesehen,
Dessen Fuß noch nie auf Dornen trat.
Kleiner Zwist verbreitet auf des Lebens
Wegen einen sanften Flimmerschein;

40
Er beweis’t uns, daß wir nicht vergebens

Hier durchwandelten des Daseyns Reih’n.
Manche hohe Wahrheit lag begraben,
Hätte Luther nicht einst Muth gefaßt;
Wer den Beyfall einer Welt will haben,

45
Wird von edlen Seelen oft gehaßt! –


Immer mit dem breiten Strome schwimmen,
Ist das Antheil kleiner Seelen nur.
Höhre Pfade muthig zu erklimmen,
Zu erspäh’n die Werkstatt der Natur,

[24]
50
War den Flammenseelen aufbehalten

Die nicht durch Verspottung, nicht durch Droh’n,
Ihren Eifer ließen je erkalten,
Später Enkel Ehrfurcht ist ihr Lohn! –

Drum, o Freund! so schreite muthig weiter,

55
Auf der Laufbahn, die dein Fuß betrat,

Sind dir gleich nicht alle Stunden heiter,
Trüben düstre Wölkchen deinen Pfad:
So gedenk’, daß Düsterheit und Klarheit
Ewig unter’m Monde wechseln ab,

60
Daß das Land der schleyerlosen Wahrheit,

Unser harret über Tod und Grab;
Nimmer müsse Undank dich bewegen,
Minder thätig, minder gut zu seyn;
Jeder Edelthat harrt hoher Seegen,

65
Wenn nicht hier, gewiß im bessern Seyn!


v. R.