Eitel bis zum letzten Augenblick
[208] Eitel bis zum letzten Augenblick. – Als am 6. Dezember 1741 durch eine von dem französischen Gesandten La Chétardie angezettelte Verschwörung die Herzogin Leopoldowna, die für ihren unmündigen Großneffen Iwan die Regentschaft in Rußland führte, gestürzt und Peters des Großen Tochter Elisabeth zur Kaiserin erhoben wurde, befand sich unter den aus Anlaß dieses Staatsstreiches zum Tode verurteilten früheren Anhängern der Herzogin auch Graf Weraschin, ein ebenso geistvoller und energischer wie eitler Mann. Die Verurteilten waren in ihren Kerkern aufs strengste bewacht worden und hatten keine Gelegenheit gehabt, sich irgendwelche Bequemlichkeiten zu verschaffen. Graf Weraschin, dessen Gesichtsfarbe durch die monatelange Gefangenschaft aschfahl geworden war, soll nun, wie der schwedische Gesandte Baron Lindström berichtet, der einzige der Todeskandidaten gewesen sein, der am Tage der Hinrichtung blühend frisch das Schafott betrat, während seine Leidensgefährten totenblaß auf dem Richtplatz erschienen. Er hatte im Gefängnis von der roten Ziegelmauer mit dem Deckel seiner goldenen Uhr, den er auch als Spiegel benützte, Ziegelmehl abgeschabt und sich damit in ebenso vollendeter Weise geschminkt, wie er dies früher mit den teuersten Pariser Schminken getan hatte. Bekanntlich wurden die Verurteilten dann sämtlich auf dem Schafott zur Verbannung nach Sibirien begnadigt.
Nicht minder eitel trotz seiner republikanischen Anschauungen war Danton, einer der hervorragendsten Führer der großen französischen Revolution, den Robespierre als unbequemsten Nebenbuhler später unter das Fallbeil zu bringen wußte. Auch Danton, der den Sitzungen des mordgierigen Revolutionstribunals stets mit tadellos geschminkten Wangen beigewohnt [209] hatte, betrat das Schafott im Gegensatz zu den anderen Opfern jener furchtbaren Zeitepoche mit künstlich frischgerötetem Antlitz, und diese Farbe behielt dann natürlich auch das körperlose Haupt bei, was den Schreckensmann Robespierre zu der Bemerkung veranlaßt haben soll: „Seht, Danton steigt auch noch nach dem Tode die Schamröte über seinen Verrat ins Gesicht!“
Henriette Orleille[ws 1], eine der berüchtigtsten Giftmischerinnen des achtzehnten Jahrhunderts, die kaltblütig ihren Gatten, ihre Eltern und zwei Geschwister beiseite schaffte, war unzweifelhaft um das Jahr 1792 die schönste Frau Brüssels. Die besten niederländischen Maler jener Zeit bemühten sich um den Vorzug, die „Dame mit den Madonnenaugen“, wie sie allgemein genannt wurde, auf der Leinwand verewigen zu dürfen. Dann wurde sie eines Tages, kurz nach dem Tode ihres gerade in ihrem Hause weilenden Bruders, unter der Anklage verhaftet, die genannten fünf Giftmorde innerhalb eines Zeitraumes von drei Monaten vollbracht zu haben. Mit ihr zugleich ward auch einer ihrer glühendsten Verehrer, der Baron Lesserac, als ihr angeblicher Mitwisser und Helfershelfer festgenommen. Der Prozeß Orleille nimmt unter den Kriminalfällen aller Zeiten eine besondere Stellung ein. Das schöne Weib, das ihren dunklen Augen durch raffinierte Schminkkünste jenen seelenvollen Ausdruck zu geben verstand, erschien vor Gericht in prächtigen Kleidern und mit blassem, scheinbar von dem Bewußtsein der Unschuld völlig verklärtem Antlitz. Auf die Frage des Vorsitzenden, ob sie sich endlich schuldig bekennen wolle, war ihre einzige Antwort ein todestrauriger, entsagungsvoller Blick. Die gegen Henriette Orleille zusammengetragenen Beweise hätten wohl jedem Richterkollegium genügt, und allgemein nahm man auch in Brüssel an, sie würde einstimmig zum Tode verurteilt werden. Es kam aber ganz anders. Sie wurde einstimmig – freigesprochen.
Die fünf Beisitzer des Gerichts hatten sich sämtlich in die raffiniert herausgeputzte Schöne verliebt, so berichtet wenigstens der Kriminalpsychologe Hindermann in seinem Werke „Der seelische Rapport zwischen Richter und Angeklagten“. Ja, es kam noch besser. Kaum zwei Monate später heiratete der [210] Präsident des Gerichtshofs zur Entrüstung ganz Belgiens die so schwer Verdächtigte, die angeblich nur aus Mangel an überzeugenden Beweisen freigekommen war.
Inzwischen hatte sich der gleichfalls für unschuldig erklärte Baron Lesserac nach Amerika in Sicherheit gebracht. Von dort aus schrieb er, um sich für die Untreue der Geliebten zu rächen, an den Oberrichter Vernois, den neuen Gatten der Orleille, einen Brief, in dem er eingestand, selbst das Gift für die Mordtaten in Paris besorgt zu haben. Henriette Orleille habe die Reste der überaus giftigen Flüssigkeit im Garten ihres Hauses in seinem Beisein unter einem bestimmten Baume in einer Flasche vergraben. Der Oberrichter sagte niemand etwas von diesem Schreiben, sondern suchte zunächst an dem angegebenen Orte nach der Flasche, fand diese auch wirklich und stellte weiter fest, daß sie tatsächlich ein scharfes Gift enthielt. Nunmehr ließ er seine Frau, von deren wahren Charaktereigenschaften ihm schon die wenigen Monate seiner Ehe ein trauriges Bild gegeben hatten, aufs neue verhaften, und dieser zweite Prozeß endete dann auch mit der Verurteilung der fünffachen Giftmörderin Henriette Blanchard, verwitweten Orleille, verehelichten Vernois zum Tode.
Die kaum vierundzwanzigjährige Frau, die endlich ein umfassendes Geständnis abgelegt hatte, zeigte nicht die geringste Reue über ihre Untaten. Ebensowenig schien sie den Tod zu fürchten. Nur ein Gedanke ließ ihr keine Ruhe: im Gefängnis hatte man ihr, der Verurteilten, jetzt alle die kostbaren Gewänder und die unzähligen Schminktuben und Büchschen fortgenommen, mit deren Hilfe sie ihrem Gesicht jeden gewünschten Ausdruck zu geben verstand. Sie mußte ein einfaches, grobes Leinenkleid tragen, und ihr Gesicht, dessen Haut schon vorher durch den steten Gebrauch kosmetischer Mittel verdorben war, hatte eine aschgraue Färbung angenommen. So war von der berühmten Schönheit nichts mehr übrig geblieben. Und dieses Bewußtsein, bei der öffentlichen Hinrichtung mit diesem Äußeren vor dem Volke erscheinen zu müssen, bereitete dem ebenso eitlen wie verbrecherischen Weibe schlaflose Nächte.
[211] Schließlich fand die Orleille aber doch einen Ausweg. Sie bestach die Aufseherin ihrer Zelle und ließ sich die so sehnlichst begehrten Schminken heimlich beschaffen. Am Tage der Urteilsvollstreckung betrat sie dann mit sanft geröteten Wangen, frisch und blühend wie ein junges, unschuldiges Mädchen, das Blutgerüst. Die lauten Pfuirufe aus der Menge steigerten sich beim Anblick dieses herausgeputzten, dem Henker verfallenen Kopfes zu einem nicht endenwollenden Wutgebrüll. Die anwesenden Gerichtsbeamten befahlen hierauf den Henkersknechten, der Delinquentin das Gesicht zu waschen. Dieses geschah unter dem lauten Beifallsgeschrei der Menge in nicht gerade allzu zarter Weise, während Henriette Orleille wie eine Wahnsinnige vor Wut kreischte und sich wehrte. Wenige Minuten später rollte ihr Haupt auf die Bretter des Schafotts. Ein Bild der Giftmörderin, gemalt von Hernot im Jahre 1790, befindet sich noch heute unter dem Namen „Die Dame mit den Madonnenaugen“ in einer Münchener Galerie.
Auch Napoleon III. pflegte sich, was wenig bekannt sein dürfte, regelmäßig zu schminken. Er konnte den charakteristischen blassen Teint, der allen Bonapartes eigen war, nicht leiden, ganz im Gegensatz zu Napoleon I., der geradezu eine Vorliebe für bleiche, scharfgeschnittene Gesichter hatte. Aber niemals ließ Napoleon III. einen Kammerdiener das Geschäft des Schminkens besorgen. Vielmehr suchte er es stets ängstlich zu verbergen, daß er der Farbe seiner Haut künstlich nachgeholfen hatte. Selbst am Morgen nach der Schlacht bei Sedan, als der unglückliche Kaiser sich zu dem Zusammentreffen mit König Wilhelm I. in Donchery rüstete, vergaß er nicht, seinem durch die Aufregungen der letzten Wochen völlig verfallenen und durchsichtig weißen Antlitz durch rote Schminke ein frisches Aussehen zu verleihen. „Es war ein unwürdiger Anblick,“ schreibt der Franzose Lestrelle in seinen Kriegserinnerungen, „diese geschminkte, zusammengesunkene Puppe im Wagen sitzen zu sehen, unwürdig eines Mannes, der wußte, daß er seine Rolle als Kaiser ausgespielt hatte.“
Anmerkungen (Wikisource)
- ↑ Die Geschichte über Henriette Orleille wurde von Walther Kabel teilweise wortgleich auch in den Beitrag Sensationelle Kriminalprozesse eingearbeitet. Dieser erschien in: Deutscher Hausschatz, Illustrierte Familienzeitschrift, 37. Jahrgang Oktober 1910 – Oktober 1911, Seite 918–919.