Eine unheimliche Schönheit
Auch wenn unter den Schlangen keine wäre, die, mit dem todbringenden Gifte versehen, uns ein ernstliches Leid zufügen könnte, wir würden dennoch stets mit einem natürlichen Widerwillen an sie herantreten. Die Schlangen sind häßliche Thiere! Mögen sie noch so lebhafte Farben aufweisen, mag ihr Leib in noch so eleganten Windungen sich schlingen: der pyhsiognomische Ausdruck oder das Gesicht der Schlangen ist unheimlich, widrig und boshaft. Man denke sich diesen Gesichtsausdruck bei einem Menschen – wie würde man zurückbeben vor dem Blick voll Arglist und Falschheit, vor der platten, kraftlosen Stirn, dem breiten, lippenlosen Maule! Und nicht blos die Häßlichkeit des Thieres, sondern auch das Widerspruchsvolle in seinem Bau, die auffällige Lebensweise, das fremdartig Eigenthümliche desselben gegenüber anderen Thieren ist es, was jede Annäherung, jedes Vertrautsein mit ihnen erst als eine Frucht vernunftstarker Ueberlegung oder forscherlichen Strebens bei uns aufkommen läßt. Das natürliche Gefühl entfernt uns von ihnen; der Naturmensch flieht oder tödtet alle Schlangen, wo er sie findet.
Sind doch selbst unter den Forschern die Meinungen über Schonung oder Vertilgung giftloser Schlangen sehr getheilt; während z. B. der vortreffliche Lenz es den Regierungen an’s Herz legt, Preise für die Tödtung derselben auszusetzen, während Brehm Jedem den Rath giebt, nur immer todtzuschlagen, wird von anderer Seite hervorgehoben, daß die Unkenntniß der Schlangen ein trauriges Zeichen für die naturwissenschaftliche Bildung des Volkes sei; daß man energisch dahin zu wirken habe, daß diese Unkenntniß aufhöre, und daß alle giftlosen Schlangen wegen ihrer in Fröschen, Mäusen etc. bestehenden Nahrung der größten Schonung anzuempfehlen seien.
Lenz begründet seinen Wunsch, sämmtliche Schlangen von unserm heimathlichen Boden entfernt zu sehen, mit der Behauptung, daß „auch sie schädlich sind, denn bei dem allgemeinen Abscheu, den man vor allen Schlangen hat, verbittern auch sie vielen Menschen das Leben, indem sie sich uneingeladen in seiner Nähe ansiedeln oder ihn, wenn er irgendwo unversehens auf sie stößt, heftig erschrecken“. Wollte man aber diesem Grunde nachgeben, so müßte man folgerichtiger Weise auch gegen Eulen, Käuze und noch manche andere entschieden nützliche Thiere zum Vertilgungskampf aufrufen, was Lenz selber als argen Mißgriff kennzeichnet. Eher können wir uns Brehm’s Wunsche anschließen, daß Jeder alle Schlangen, welche er nicht kennt, todtschlagen möge, weil auf diese Weise auch manche Kreuzotter ihren wohlverdienten Lohn findet; dann aber wollen wir auch nach Kräften dafür sorgen, daß der Zweifel über giftig und nicht giftig so viel wie möglich schwinde. Und dieser Zweifel ist mit der Kenntniß eines deutlichen Merkmals, welches die einzige deutsche Giftschlange kennzeichnet, gehoben: die Kreuzotter trägt über den ganzen Rücken einen breiten Zickzackstreifen und ist nie größer als zwei und einen halben Fuß.
Wir behaupteten, daß Bau und Wesen der Schlangen voller Widersprüche sei. Zum Beleg brauchen wir nur äußere und innere Organisation derselben vergleichend zu betrachten. Außen ein Wurm, innen ein hoch entwickeltes Wirbelthier mit allen Eigenthümlichkeiten des letzteren. Es fehlen der Schlange alle äußeren Bewegungswerkzeuge, sie ist ein unbeholfenes Thier, dem träge Ruhe der einzige Genuß ist, das nur unmittelbar erregt von der Außenwelt sich zu heftigen, zuckenden Bewegungen aufrafft. Das kaum bewegliche, durch den Mangel der Augenlider zum steten Starren verdammte Auge blickt uns mit fremdartigem, mannigfach wechselndem Ausdruck an; es liegt besonders im Blick der Kreuzotter etwas unwiderstehlich Fesselndes, etwas Räthselhaftes, das nicht im Einklang mit der ganzen äußern Erscheinung des Thieres zu stehen scheint. Dieser Blick ist es, was ihr seit alter Zeit in der Meinung des Volkes zu der sprüchwörtlichen Klugheit verholfen hat, denn die geistigen Eigenschaften der Schlangen deuten auf das directe Gegentheil, auf die größte Stumpfheit. Es ist das Widerspruchsvolle ihres ganzen Daseins, was ihr einen so hervorragenden Platz in der Symbolik, den Märchen und Sagen, dem Aberglauben, dem mystisch Religiösen gegeben hat. Unser nüchtern gescholtenes Zeitalter aber will, frei von Vorurtheilen, die Wahrheit an Stelle des wenn auch schönen Scheins setzen und die Schlange im Lichte realistischer Forschung betrachten.
Auch dann noch bietet sie des Interessanten und Abenteuerlichen genug. Kein anderes Wirbelthier bereitet in besonderen Organen tödtliches Gift. Nur in entsetzlicher Krankheit werden die Säfte einiger Säugethiere vom schrecklichen Wuthgift durchdrungen, aber die Schlange trägt den unheimlichen Krankheitsstoff ihr ganzes Leben hindurch, ist selbst eine permanent gewordene Krankheit in der Entwicklungsreihe der Thierwelt. Bei der Kreuzotter liegen zu beiden Seiten des Hinterkopfes, kurz hinter den Augen und theilweis von den Schläfenmuskeln bedeckt, die Giftdrüsen, deren Ausführungsgang an die Giftzähne tritt. Nicht eine schlauchförmige Blase, sondern eine aus kleinen Canälen bestehende Drüse, ähnlich den Speicheldrüsen, ist es, welche das Gift abscheidet und bewahrt. Ein feiner Canal leitet die unheilvolle Flüssigkeit unter den Augen hin zum Oberkiefer, wo derselbe nahe der Oeffnung des sichelförmigen Zahns ausmündet. Der Giftzahn selbst ist am vordersten Theile des beweglichen Oberkiefers festgewachsen, ist an seiner untern Hälfte etwas nach hinten gebogen und hat bei erwachsenen Schlangen die Größe von einem Neuntel [156] Zoll. An seinem vordern, gewölbten Rande befindet sich der Giftcanal, dessen vordere Wandung eine Naht erkennen läßt, in der die beiden Hälften mit einander verwachsen; an seinem obern und untern Ende ist er offen, oben zur Aufnahme, unten zum Abfluß des Giftes. Der Giftcanal geht somit nicht etwa durch die Mitte des Zahns; hier ist freilich auch eine Höhlung, diese endet aber blind und ist zur Aufnahme der Nerven und Gefäße des Zahns bestimmt. Durch die Bewegung des Oberkiefers wird nun der Zahn in verschiedene Stellungen gebracht: während der Ruhe oder zur Zeit des Verschlingens liegt er, die Spitze nach hinten gewendet, in einer derben,
wulstigen Scheide, erst bei beabsichtigtem Bisse zuckt er blitzschnell hervor und steht nun senkrecht aufgerichtet. Packt man eine Kreuzotter mit fester Hand oben hinter dem Kopfe, so sieht man deutlich das ganze Spiel der Giftzähne. Man bemerkt dann, wie jede Oberkieferhälfte für sich beweglich ist, wie jetzt der eine, dann der andere Zahn in vergeblichem Bemühen sich anstrengt, die Finger zu erreichen, wie der Zahn sogar seitliche Wendungen zu vollführen vermag. Außerdem erblickt man im sperrweit geöffneten Rachen noch vier sich vorn nicht verbindende Reihen kleinerer Zähne, zwei im Gaumen, nahe bei einander, zwei auf den beiden Unterkieferhälften. (Giftlose Schlangen haben sechs solcher Zahnreihen, indem hier auch die beiden Oberkieferhälften deren tragen.) Auffällig erscheint ferner die nahe dem Vorderrande der Unterkinnlade befindliche deutliche Mündung der Luftröhre, eine nothwendige Einrichtung für die stundenlang mit dem Verschlingen eines Bissens beschäftigten Thiere, und noch weiter nach vorn gerückt sieht man eine kleinere Oeffnung als Eingang zu einem Canale, der die schwarze, zweispitzige Zunge beherbergt. Von den Giftzähnen stehen mitunter an einer Kieferhälfte zwei neben- (nicht hinter-) einander, die zu gleicher Zeit thätig sein können, und hinter ihnen, als Reservezähne, zwei bis sechs kleinere, noch nicht völlig ausgebildete Zähne, welche im Fall des Abbrechens oder auch beim jährlichen Zahnwechsel an Stelle der vorderen rücken.
Belauschen wir nun das Thier, wie es sich seiner Beute bemächtigt und dieselbe verschlingt. Wir müssen sie dazu im Freien aufsuchen, denn nie nimmt die Kreuzotter Nahrung in der Gefangenschaft zu sich, sondern weiht sich hier freiwillig dem langsamen Hungertode, scheint sogar so versessen darauf zu sein, daß sie schon kurze Zeit nach oder selbst im Augenblick der Gefangennahme die kurz vorher verschlungene Nahrung ausspeit. Die Kreuzotter wird in ganz Europa bis zum sechszigsten Grad der Breite, wo ihr Jagdwild, die Feldmaus, vorkommt, an Stellen gefunden, die ihr gute Schlupfwinkel darbieten und ihr erlauben, recht oft im warmen Sonnenschein ungenirt zu ruhen. Nasse oder dumpfige Orte, moderige, von der Sonne gemiedene Klüfte scheut sie; ihre Schlupfwinkel bestehen in verlassenen Maulwurfsgängen, Mauslöchern, Klüften zwischen Steinen und Baumwurzeln etc. Meist liegt sie unbeweglich, nur von Zeit zu Zeit die tastende, aber weder schmeckende noch stechende Zunge vorstreckend. Eine eigentliche Jagd unternimmt sie nicht, sondern wartet gemächlich, bis die Beute so gefällig ist, zu ihr zu kommen. Freilich muß sie deshalb oft lange auf einen guten Bissen warten, aber sie versteht sich auf’s Hungern und macht sich nichts daraus, wenn auch ein halbes Jahr vergeht, ohne daß es etwas zu beißen giebt. Die harmlos-kecke Maus, welche ihr als gewöhnliches Opfer anheimfällt, hat gar keine Scheu vor dem bösartigen Thiere, bemerkt es kaum oder wenn auch, beachtet es nicht weiter und ist wohl gar so frech, der unbeweglich daliegenden Schlange unter den Leib zu laufen. Ein rasches Aufschnellen, ein hastiger Biß und die Beute ist zum Tod verwundet.
Eifrig folgt die Schlange dem schnell, meist schon vor Ablauf der nächsten Minute verendeten Thiere und nun beginnt das schwere Geschäft des Verschlingens. Wer sich diesen Anblick verschaffen will, braucht nur die noch häufiger vorkommende Ringelnatter zu fangen, sie in einen passenden Kasten zu thun und ihr nach Verlauf von etwa acht Tagen einen Frosch vorzusetzen, den sie bald, ungenirt vom zuschauenden Publicum, hinunterwürgt. Auch bei dieser Verrichtung offenbart die Schlange ihre im Widerspruch mit den übrigen Thieren stehende Eigenthümlichkeit. Von einer fröhlichen Mahlzeit, einer behaglichen Verdauung ist hier nicht die Rede. Das Verspeisen ist die anstrengendste Arbeit, welche sie überhaupt zu verrichten hat. Die Zähne, nicht zum Kauen, sondern nur zum Festhalten eingerichtet, lauter kleine, nach hinten gerichtete Häkchenreihen, nesteln sich abwechselnd in den kolossalen Bissen ein und schieben denselben langsam weiter und weiter in den Körper. Dabei erweitert sich der Rachen unförmlich und man bemerkt deutlich, wie jede Unterkieferhälfte für sich arbeitet. Beide Hälften sind auch nicht, wie bei andern Wirbelthieren, in knöcherner Verbindung, sondern haben zwischen sich nur ein sehniges Band, welches durch seine Biegsamkeit die Einzelbewegung der Unterkieferhälften ermöglicht. Während die eine Hälfte noch haftet, schiebt sich die andere weiter nach vorn und ergreift hier wieder ein Stück des Raubes, bis derselbe verschwunden ist. Nach dem stundenlangen Würgen zeigen sich in der gänzlichen Erschöpfung der Schlange alle Merkmale fürchterlicher Ueberladung. Sie ist stumpfer und gleichgültiger gegen ihre Umgebung als je. Ihre Sinneskräfte, die nie groß waren, sind auf ein Minimum herabgesunken. Den [157] unbeweglich vor ihr stehenden Menschen bemerkt sie nicht, nur der Wechsel in ihrer Umgebung fällt ihr auf.
Wie schützt sich der Mensch vor ihrem Biß? Sehr einfach dadurch, daß er sie nicht reizt. Die gebildeten und wohlhabenden Leser der „Gartenlaube“ dürfen ohne Sorge sein, auch wenn sie bei etwaigen Streifereien der Schlange unwissentlich zu nahe kommen und diese durch Tritte reizen, sie sind geschützt, denn der
feine und spröde Giftzahn bricht eher ab, als daß er durch den Stiefel dringt, und höher als dieser vermag die Otter sich nicht zu erheben. Und wer sich, um auszuruhen, niedersetzt oder legt, pflegt ohnehin schon den Platz zu durchmustern. Aber die Kinder der Armen, die barfüßigen Holzleser und Beerensucher, sie müssen alljährlich ihren Tribut dem Unthier zollen. Und das ist um so mehr zu bedauern, als diese in den seltensten Fällen der Wirkung des Bisses zuvorzukommen verstehen. Es ist oft genug geschehen, daß dieselben den Biß gar nicht weiter beachten und erst auf dem Krankenbette von ihrer Verletzung sprechen. Glücklicherweise führt der Biß nicht immer zum Tode. Von fünfundfünfzig Fällen, die Lenz berichtet, endeten elf tödtlich, bei vierzigen erfolgte eine mehr oder weniger schnell vorübergehende, aber schmerzliche Krankheit, bei den letzten vier dauerte die Krankheit über ein Jahr oder brachte unheilbare Lähmung, Epilepsie etc. Diesem Unheil gegenüber ist es Pflicht eines Jeden, zur Ausrottung des Gezüchts nach Kräften beizutragen; sobald man eine Otter erblickt, ohne langes Besinnen auf dieselbe loszuspringen, sie unter die Füße zu bringen und der uralten Mahnung zu gehorchen, nämlich ihr den Kopf zu zertreten, das Stechen in die Ferse wird sie schon bleiben lassen.
Auf welche Weise das Gift wirkt, ist genauer nicht anzugeben, man kann nur sagen, daß es das Blut zersetzt und daß die Wirkung desselben um so schneller und gefährlicher erfolgt, je blutreicher der gebissene Theil ist. In den Magen gebracht, verliert es durch die Verdauungssäfte seine zerstörenden Eigenschaften, es schadet somit das Aussaugen der Wunde nicht; doch hat man sich vor diesem Mittel zu hüten, falls im Munde selbst zufällig kleine Verletzungen vorhanden sind. Das Beste bleibt immer ein rascher Kreuzschnitt und reichliches Blutenlassen, aber ohne viel Besinnen. Als ein ausgezeichnetes Mittel hat sich bei Lenz’ Versuchen das Auswaschen der Wunde mit Chlorwasser, sowie das Einnehmen des letztern erprobt.
Räthselhaft und auffällig wie so Vieles im Wesen der Schlange ist auch die so verschiedene Art der Giftwirkung bei verschiedenen Menschen und Thieren. Manche sind nach vierundzwanzig Stunden wieder völlig hergestellt, manche siechen ihr ganzes Leben lang an den Folgen eines Bisses; einige Thiere, wie der Igel und der Iltis, ertragen wiederholte Bisse ohne jegliche Beschwerde, andere, wie Hunde, Störche, Pferde etc., werden gefährlich krank; kleine Vögel, Mäuse, selbst die kaltblütigen Eidechsen und Molche sterben nach längerer oder kürzerer Frist an den Folgen der Verletzung.