Eine spanische Schönheit
[40] Eine spanische Schönheit. (Siehe Abbildung S. 25.) Von jeher hat Spanien, „das Land des Weins und der Gesänge“, einen besonderen geheimnißvollen Reiz auf unsere Phantasie ausgeübt. Warum? Es gleicht einem verschlossenen Zimmer in dem allenthalben offenen Hause Europa, dessen Räume sonst so bekannt und vertraut anmuthen. Aber in der verschlossenen Thür des Zimmers sind Ritzen, ganz kleine Ritzen, und durch die Ritzen hat das Auge einige fremdartig schöne Dinge entdeckt, welche der Zauber der Unnahbarkeit und des gebrochenen Lichts wunderbar verklärt hat. So ist denn unsere Phantasie angefüllt mit den immergrünen Gärten von Murcia, Valencia, Granada voll südlicher Pracht, mit einförmig wüsten Hochplateaus, wo der Merinoschäfer und der Räuber hausen, mit Stiergefechten, Alhambras und Zigeunern, stolzen Hidalgos und bezaubernden Duennas mit schmachtenden Mandelaugen, welche so versengend feurig blicken können, mit Citherklang, lauschigen Balcons und sonst allerlei. Dazu kommen Reminiscenzen aus der Glanzzeit der spanischen Geschichte und Literatur. Das ist Spanien für uns. Der Kenner des Landes hat freilich andere Vorstellungen; er weiß auch, was es mit den bezaubernden Duennas auf sich hat – die Schönheit ist eben allenthalben eine vereinzelt wachsende Blume, und die Wäscherinnen vom Manzanares sind keine Engel. Aber es ist etwas Besonderes an dem Schönheitstypus wie dem Schönheitsideal jedes Landes, und was den spanischen Typus auszeichnete, das hat jedenfalls für uns durch seine Fremdartigkeit etwas Reizvolles: ein gewisser, sozusagen orientalischer Zug neben der pikanten Farbenzusammenstellung des Südens und jener von sinnlich koketter Grazie durchsättigten Beweglichkeit, welche sich aus der kurzen Blüthe des südlichen Weibes mit Naturnothwendigkeit herausgebildet hat. Je kürzere Zeit letzteres zu bezaubern vermag, um so intensiver muß es den Zauber wirken lassen. Unsere Madrider Schöne, deren Photographie wir der Filiale eines spanischen Kunstverlags in Stuttgart (B. Schlesinger) verdanken, mit der reizenden aufgesteckten Mantilla, deren Zipfel sich über der Brust kreuzen, mit dem nie fehlenden Fächer, mit den schwimmenden dunklen Augen und den weißen Perlenzähnen – es wird ihr gehen wie allen ihren Landsmänninnen, welche „das Loos des Schönen auf der Erde“ so viel rascher erfahren, als ihre nordischen Schwestern. Im Umsehen ist sie eines Tages verblüht, und kein Photograph kommt mehr auf den Einfall, sie um eine Sitzung zu bitten und ihr Bild in die Welt hinaus zu schicken.