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Die Postsparcassen

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Textdaten
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Titel: Die Postsparcassen
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 40
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1879
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[40] Die Postsparcassen. „Ich habe jetzt,“ erzählte mir ein sogenannter Weinreisender, „täglich zwanzig Mark Spesen. Bei sparsamer Lebensweise kann ich an jedem Tage sehr gut fünf Mark zurücklegen. Behalte ich nun das Geld bei mir, dann weiß ich nicht, ob ich es wieder nach Hause bringe. Denn als Weinreisender komme ich oft in lustige Gesellschaft oder an den Spieltisch, und dann können meine Ersparnisse sehr leicht an einem Abende hinschwinden. Aber ich richte mich jetzt anders ein. Jeden zweiten Tag gebe ich zehn Mark zur Post – postlagernd in L. unter meiner Adresse. Nach drei Wochen komme ich zurück und erhebe auf der Hauptpost meine hundert Mark, für die ich recht gern an Porto inclusive Bringerlohn zwei Mark fünfzig Pfennig bezahlen werde.“

Seit jenem Tage habe ich den Mann noch nicht wieder gesehen und weiß also nicht, ob er seinen Plan ausgeführt hat. In Betreff der Verlegenheit aber, die er anführte, steht er nicht allein. Ueberall giebt es eine große Anzahl von Leuten, die Geschäfte halber oft ihren Wohnort verändern müssen. Für diese hat es nun wenig Sinn und Zweck, ihr Geld in Sparcassen anzulegen. In ihre Heimath kommen sie selten, nach anderen Orten, wo sie Geld gespart, vielleicht niemals zurück. Ein Erdarbeiter z. B., der bei den Eisenbahnbauten in Sachsen beschäftigt ist, befindet sich heute bei Gohlis, in vierzehn Tagen bei Markranstädt, und in vier Wochen arbeitet er vielleicht auf der Staatsbahn bei Zwickau. Was nützt ihm die Sparcasse seines Heimathsortes oder die so trefflich eingerichtete Sparcasse der Stadt Leipzig?

Als mir jener Reisende von seiner Benutzung der Post zu Gunsten seines Sparsystems erzählte, hatte ich schon von den in England, Italien, Belgien und in der Schweiz förmlich eingerichteten Postsparcassen gehört, welche überall die kleinen Ersparnisse in Empfang nehmen und überall, wo sich Postanstalten befinden, das Geld sofort auch wieder auszahlen. Auf dem jetzt während der Weltausstellung in Paris abgehaltenen Congresse für Wohlfahrtseinrichtungen ist der Gegenstand ausführlich zur Sprache gekommen, und auch unser verdienstvoller Generalpostmeister Stephan hegt, wie verlautet, die ernste Absicht, die Postsparcassen in Deutschland einzuführen. Auf dem Pariser Kongresse war es der französische Volkswirth Gustav Hubbard, welcher in einer Sitzung des erwähnten Congresses den Plan einer großen, unter staatlicher Leitung stehenden Postsparcasse zunächst für Frankreich entwickelte. Dieser Plan ist aber für jedes civilisirte Land anwendbar, und es hat die Gesetzgebung, durch welche Postsparcassen in einem Lande errichtet würden, vor Allem folgende drei Punkte in’s Auge zu fassen: 1) die Bestimmung der Postämter zur Annahme und Auszahlung der kleinen Ersparnisse; 2) die Uebernahme der bestehenden Sparcassen durch den Staat und 3) die Verwaltung des gesammelten Sparcapitals durch den Staat.

Die Ermächtigung der Postbeamten zur Annahme der ersparten Gelder am Schalter und zur Ausstellung von Sparbüchern wird wohl bei dem heutigen Umfang der postalischen Tätigkeit auf keine besondern Schwierigkeiten stoßen. Wenn wir erwägen, daß die Post nicht nur Briefe, Pakete und Geldsendungen befördert, sondern sogar Rechnungen einzieht und Wechsel protestirt, dann werden wir leicht zugeben, daß sie auch jener neuen Anforderung vollkommen gewachsen ist. Erwünscht wäre es vielleicht, daß dabei eine Trennung der Cassen eingeführt würde, wie sie in England besteht. Die kleinen Ersparnisse, von zehn Pfennig an, werden dort von den sogenannten Pennybanken angenommen und es wird die ersparte Summe, wenn sie fünf Pfund Sterling (100 Mark) erreicht hat, an die eigentlichen Sparcassen, die Savingbanken, abgeliefert. Diese Theilung ist wichtig für den Zweck; es wird damit für den umherziehenden Theil der Arbeiterbevölkerung eine Sparbank mit möglichst zahlreichen Filialen geschaffen.

Mehr Schwierigkeiten würde die zweite Frage bereiten: die Uebernahme der bestehenden Sparcassen durch den Staat. Die Nothwendigkeit dieser Maßregel wird dadurch begründet, daß die gesammelten Capitalien in Privathänden nicht immer hinlänglich gesichert erscheinen. Die häufigen Bankerotte der englischen Sparcassen haben im Anfange der sechsziger Jahre selbst das Parlament des im Punkte der persönlichen Freiheit so empfindlichen England bewogen, die bestehenden Sparcassen unter Regierungsaufsicht zu stellen und staatliche Sparcassen an der Post in’s Leben zu rufen. Die freie Concurrenz zwischen diesen Privat- und Staatsanstalten hat im Verlauf von zehn Jahren, von 1865 bis 1875, zu dem Erfolg geführt, daß die Postsparcassen, was die Höhe der eingezahlten Summen und die Zahl der Bücher anbelangt, die alten Privatanstalten überflügelt hatten. Wir sehen also, daß auch ohne die Uebernahme der bestehenden Cassen durch den Staat die Postsparcassen zur Blüthe gelangen können. Diesen Weg gedenkt auch, wie das Postarchiv berichtet, unsere deutsche Regierung einzuschlagen.

Was schließlich die Verwaltung des gesammelten Geldes betrifft, so darf man mit Recht verlangen, daß dieses von der arbeitenden Classe dem Staate anvertraute Capital auch nach Möglichkeit im Interesse dieser Classe verwendet werde. Es wird vorgeschlagen, das Geld an Leihhäuser zu zahlen, und erst den verbleibenden Ueberschuß an die Stadt- und Dorfgemeinden auf sichere Hypotheken zu geben.

Aber nicht allein die Sicherheit der gesammelten Capitalien, für welche der Staat garantirt, nicht nur die Erleichterung der Einzahlungen und Erhebungen der Ersparnisse, nicht nur die Begründung einer großen nationalen Arbeiterbank, die in ihrer Bedeutung alle Hülfscassen überträfe, sondern auch politische Rücksichten sind es, die uns die Verwirklichung dieses Projectes für Deutschland herbeiwünschen lassen. Daß an dieser Reichssparcasse, an diesem Nationalvermögen die Arbeiter eines erlaubten Staatsschutzes sich erfreuen würden, das ist wahrlich ein Moment, welches nicht zu gering angeschlagen werden darf. Möchte also das Unternehmen erwogen werden und bald die teilnehmende Zustimmung aller verständigen Kreise finden! Man ist berechtigt zu der Annahme, daß es zu den besten Mitteln gehört, die verblendeten Arbeitermassen den Bethörungen durch wühlerische Hetzer abwendig zu machen und sie das Glück wieder nur da suchen zu lassen, wo es zu finden ist: in fleißiger Arbeit, geordnetem Wandel und Sparsamkeit.